München.

[89] Ich ward für meine Mühe, nach dieser Stadt zu reisen, sehr reichlich belohnt, weil ich hier nicht allein sehr wichtige Materialien für meine Geschichte, sondern auch viele Musikkünstler von der ersten Klasse fand, deren Musik und Umgang ergötzend und lehrreich waren. So hatte ich auch die Ehre, daß Personen von allen Ständen mich nicht nur gütig aufnahmen, sondern mir auch in meinen Nachforschungen Beystand leisteten. Ein Glück, das ich größtentheils dem freundschaftlichen und wirksamen Eifer unsers Ministers an diesem Hofe, Herrn de Visme, zu danken habe, dessen[89] Gelehrsamkeit, Einsicht und Erfahrung, verbunden mit einer unermüdeten Willfährigkeit und Gastfreyheit, alle das ihrige dazu beytrugen, meinen Aufenthalt in München nützlich und angenehm für mich zu machen.

Ich langte hier Sonntags den 16ten August des Morgens an. Mein erstes Geschäft war, dem Herrn de Visine aufzuwarten, und meine Empfehlungsschreiben zu überbringen. Sobald er solche gelesen, und von mir selbst nähere Nachricht über den Zweck meiner Reise eingezogen hatte, sendete er zum Signor Don Panzachi, einen vortreflichen Tenorsänger, seit verschiedenen Jahren im churfürstlichen Dienste bey der ernsthaften Oper, der daher im Stande war, mir Nachricht von solchen Personen zu geben, deren Bekanntschaft ich zum Vergnügen und Unterricht suchte, und der mich auch so lange ich mich hier aufhielt, tägliche Beweise von seinem thätigen Willen und von seinem Einsichten gab. Diesem braven Sänger habe ich auch eine umständliche Nachricht von der spanischen Musik zu verdanken, weil er neun Jahre in Spanien gewesen ist; und er ließ es nicht bloß dabey bewenden, mir manches gutes spanisches Buch über die Musik zu leihen: sondern er war auch so gütig, mir verschiedene Tonadillas und Seguidillas vorzusingen; und Personen, die in Spanien gewesen waren, sagten mir, daß er solche eben so gut, das heißt, eben so natürlich, sänge, als es für jemand möglich sey, der kein gebohrner Spanier ist.[90]

Ich war so glücklich, hier den Signor Guadagni und die Signora Mingotti anzutreffen, welche beyde mir auf die verbindlichste Weise ausserordentliche Dienste erwiesen. Ihre Bereitwilligkeit war mir um desto schmeichelhafter und angenehmer, da es Sänger von so hohem Range sind, die so vielerley Dienste kennen, und deren grosse Geschicklichkeit mich so oft in England entzückt hat. Sie bezeugen beyde allen möglichen Respekt, Dankbarkeit und Ehrerbietung für einzelne Engländer, führen aber bittre Klagen über das englische Publikum, mit was Recht, getraue ich mir nicht zu entscheiden, weil ich nicht gesonnen bin, die Schlachten solcher zwey geschickten Streiter noch einmal durchzufechten. Ich gestehe es, ich bin so partheyisch für Talente, wo ich sie auch antreffe, daß ich immer geneigt bin, mich zu ihrer Seite zu schlagen, wenn sie angegriffen werden.

Guadagniklagt über unartige Begegnung vom Publikum, welches ihn, als er ohne alle Bezahlung oder Belohnung, bloß aus Gefälligkeit gegen Sir W.W. in der Oper Orpheus sang, deswegen auszischte, daß er, als man ihm encora rufte vom Theater ging, welches er aus keiner andern Absicht that, im theatralischen Charakter wiederzukommen.

Signora Mingotti sagt auch, daß sie in England öfters ausgezischt worden, weil sie Zahnschmerzen, einen Schnupfen oder ein Fieber hatte; welchen Zufällen, wie die guten Leute in England gerne zu geben, jedes menschliche Geschöpf ausgesetzt[91] seyn kann, nur kein Akteur oder Sänger. Mir ist bekannt, daß das Publikum hierin mit Recht ungläubig ist, weil seine Herzen durch wiederholte Vorspiegelungen verhärtet worden. Indessen bleibt es doch, ungeachtet allen fälschlich vorgewandten Schnupfen und Fiebern der theatralischen Personen immer noch möglich, daß ihnen wirkliche Unpäßlichkeiten zustossen können, sonst hätten sie das nächste Recht auf die Unsterblichkeit.

Signor Guadagni kam von Verona nach München, mit Ihro Hoheit, der vewittweten Churfürstinn von Sachsen. Diese Prinzessinn wird in ganz Europa wegen ihrer Talente verehrt, und wegen des Schutzes, den sie den Künsten beständig angedeihen läßt, in welchen sie es selbst sehr weit gebracht hat.

Ihro Hoheit übt die Dichtkunst, die Mahlerey und die Musik besonders, daß Sie auf so einen hohen Grad gut spielt, singt und komponirt, welchen ein Liebhaber nur sehr selten erreicht. Sie hat unter andern auch zwey Opern in italiänischer Sprache gemacht, die sie selbst in Musik gesetzt hat: Talestri und Il Trionfo della Fedeltà. Beyde sind zu Leipzig in Partitur gedruckt, und werden in ganz Deutschland bewundert, woselbst sie auch öfters aufgeführt worden. Dieses heißt eine Aussöhnung zwischen Poesie und Musik bewirken, welche so lange Zeit in Zwietracht gelebt haben und getrennt gewesen sind. Bey den Alten waren Dicht- und Tonkunst beständig in einer Person vereint. Unsre neuern Zeiten aber haben wenige[92] Beyspiele von solcher Vereinigung, ausgenommen in dieser Prinzessinn, und in Mr. Rousseau, welcher von dem kleinen Drama, le Devin du Village zugleich Dichter und Komponist ist.

Signora Mingotti hat, so viel ich erfahren habe, von keinem Hofe Gehalt. Sie hat aber Freunde, bey denen sie gerne lebt, und sagt, daß sie hier mit wenigern auskommen kann, als in England, sonst würde sie dort ihr kleines Einkommen verzehrt, und ihre übrigen Tage zugebracht haben.

Der Erste Sänger in der hiesigen serieusen Oper ist Signor Rauzzini, ein junger Virtuose aus Rom gebürtig, von ausserordentlichem Verdienste, und der schon sechs Jahre am hiesigen Hofe in Diensten steht; auf das nächste Carneval aber wird er nach Mayland gehen, und daselbst in einer vom jungen Mozart komponirten Oper zu singen. Er ist nicht nur ein reizender Sänger, von gefallender Figur, und ein guter Akteur; sondern ein viel besserer Contrapunktist und Clavierspieler, als man sonst einem Sänger zu werden erlaubt, weil die Italiäner der Meinung sind, alle Art von anhaltendem Fleisse im Clavierspielen oder Komponiren sey der Stimme nachtheilig. Signor Rauzzini hat hier zwey oder drey komische Opern gesetzt, welche vielen Beyfall gefunden haben, und er wies und sang mir verschiedene ernsthafte Arien, die sehr gut geschrieben, und in einem vortreflichen Geschmacke waren.[93]

Den Tag nach meiner Ankunft hatte ich das Vergnügen, mit Guadagni, Rauzzini und Ravanni, einem Contretenor in hiesigen Hofdiensten, zu Mittag zu essen und sie nach dem Essen Trios singen zu hören, welche sie bis zum Entzücken schön sangen.

Des Abends ging ich nach der komischen Oper auf dem kleinen Theater, wobey der Churfürst, die Churfürstinn, die verwittwete Churfürstinn von Sachsen, der Markgraf von Baaden und die Herzoginn von Bayern zugegen waren. Die Oper hieß: L'Amore senze malizia, komponirt von Ottani von Bologna, ein Schüler vom Pater Martini, dessen ich in meiner italiänischen Reise gedacht habe. Signora Lodi, welche die erste Frauenrolle machte, gefiel mir sehr, wegen des runden hellen Tones ihrer Stimme sowohl, als wegen ihrer eleganten Art zu singen und zu agiren. Wenn sie einen Fehler in der Stimme hat: so ist es, daß sie zuweilen ein wenig in der Gurgel stockt. Man könnte auch wünschen, daß sie von ein wenig schmälern Wuchse seyn möchte. Unter den Sängern waren Herr Adamont, ein deutscher Tenorist, dessen Stimme und Singart sehr angenehm war, und Signor Guglielmi, ein Mann, dessen Aktion und launige Einfälle den gänzlichen Mangel an Stimme einigermassen ersetzten. Nach der Oper aß ich wieder zu Abend mit eben der Gesellschaft, womit ich zu Mittag gegessen hatte, und hatte wieder das Entzücken Trios zu hören, die so gesungen wurden, daß man niemals[94] hoffen kann, dergleichen öffentlich zu hören, und auch in vertraulicher Gesellschaft möchte es sehr schwer halten.

Die churfürstliche Bibliothek ist reicher an alten musikalischen Autoren und alten Kompositionen, als irgend eine andre, die ich noch in Europa gesehen hatte. Der Herr de Visme war nicht nur so gütig, gleich den zweyten Tag des Morgens seinen Sekretair zu den Bibliothekar zu schicken, sondern erzeigte mir auch die Ehre, nach Tische selbst mit mir nach der Bibliothek zu gehen.

Die Bücher, nach welchen ich suchte, hatten in dem Generalverzeichnisse keinen eignen Abschnitt, sondern waren unter den mathematischen und andern Kunstsachen herum versteckt. Ehe ich also diese Bücher suchen und examiniren konnte, mußte ich mir erst einen Auszug aus den vermischten Verzeichnisse machen. Der Leser kann sich einen ungefehren Begriff von der Anzahl der musikalischen Schriftsteller machen, wenn ich ihm sage, daß das blosse Verzeichnis ihrer Werke, das ich aus den übrigen heraus gezogen hatte, ungefehr zwanzig grosse Foliobogen betrugen, und zwar die meisten aus dem sechszehnten Jahrhunderte. Aus dem funfzehnten waren überhaupt wenige Bücher vorhanden, und seit den sechzehnten hat diese Bibliothek wenigen Zuwachs erhalten. Indessen befindet sich in der Kapelle eine ungeheure Menge von geschriebenen Musikalien, von der ersten Entstehnung des Contrapunkts an, bis auf gegenwärtige Zeiten.

Quelle:
Carl Burney's der Musik Doctors Tagebuch einer Musikalischen Reise. [Bd. II]: Durch Flandern, die Niederlande und am Rhein bis Wien, Hamburg 1773 [Nachdruck: Charles Burney: Tagebuch einer musikalischen Reise. Kassel 2003], S. 89-95.
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Tagebuch einer musikalischen Reise: Durch Frankreich und Italien, durch Flandern, die Niederlande und am Rhein bis Wien, durch Böhmen, Sachsen, Brandenburg, Hamburg und Holland 1770-1772

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