Mayland.28

[52] In dieser Stadt die sehr groß und volkreich ist, wird die Musik viel getrieben. Sgr. Battista Sam. Martini ist Organist von zwey oder drey Kirchen hieselbst. Ich hatte einen Brief an ihn vom Herrn Giardini, welcher mir eine sehr gütige Aufnahme verschafte. Er ist ein Bruder des berühmten Londonschen Martini, der uns so lange Zeit, so wohl mit seinem Spiel auf der Hoboe, als mit seinen Kompositionen vergnügt hat. Des mayländischen Martini Komposition ist in England sehr bekannt.

Was hier meine Neugierde am meisten reizte, war der ambrosianische Gesang oder der Kirchen-Gesang, welcher Mayland eigen ist, und vom heil. Ambrosius zweyhundert Jahr vor dem römischen, der vom heil. Gregor herstammt, eingeführt worden.

In dem Dohm, der an Größe alle gothischen Gebäude in Italien übertrift, und beynahe der Peterskirche in Rom an Umfange gleich seyn soll, sind zwey große Orgeln, an jeder Seite des Chors eine. An Festtagen führt man Oratorien a due cori auf, wobey beyde Orgeln gebraucht werden; sonst geht nur eine. Es sind hier zwey Organisten. J.C. Bach, ehe er nach London kam, war einer von ihnen: jezt ist Sgr. G. Corbeli der vornehmste.


Freytags, den 17 Julius.

[53] Nachdem ich dem Gottesdienste, so wie er nach ambrosischer Art gehalten wird, beygewohnet hatte, ward ich mit Hrn. Giov. Andrea Fioroni Maestro di Capella der Domkirche bekannt gemacht, welcher mich in das Orchester führte, und mir die Kirchenmusik zeigte, welche sie eben absingen wollten. Sie war von einem Holzschnitte abgedruckt, und vierstimmig; der Diskant und Tenor auf der linken, und Alt und Baß auf der rechten Seite, und ohne Taktstriche. Es waren ein Knabe und zwey Kastraten für den Diskant und Contrealt, nebst zwey Tenoristen und zwey Bassisten da, unter Anführung des Sgr. Fioroni, welcher den Takt schlug und zuweilen mit sang. Diese Kirchenmusik war etwa vor hundert und funfzig Jahren von einem Kapellmeister am Dohm gesezt, und sehr im Styl unsrer Kirchenmusiken aus jener Zeit, voll guter Harmonie, sinnreichem Contrapunkt, und Erfindung; aber ohne Melodie. Von da gieng ich mit Herrn Fioroni nach Hause, der so gütig war, mir alle seine musikalischen Merkwürdigkeiten zu zeigen, so wie er mich vorher die in der Sacristey hatte sehen lassen. Er spielte und sang mir ein ganzes Oratorio von seiner Komposition vor; und war so gütig mir eine Abschrift einer von seinen Kirchenmusiken zu geben. Sie war achtstimmig und für zwey Chöre,29 und ich bat sie mir von ihm aus, um[54] die Welt zu überzeugen, daß die alte ernsthafte Schreibart noch nicht ganz untergegangen sey, ungeachtet der Theater und Kirchenstyl, wenn man Instrumente und Ripiensänger dabey gebraucht, izt beynahe einerley sind.

Piccini war dieß Jahr, während des Carnevals, wozu er eine ernsthafte Oper komponirt hatte, in Mayland gewesen. Der vornehmste Sänger war Sigr. Aprile, die erste Sängerinn Sgra. Piccinelli, und die beyden ersten Tänzer Herr und Mad. Pique.

Nach geendigtem Carneval sezte Piccini, für die Operisten, die sich noch hier aufhielten, eine komische Oper Il Regno della Luna. Er war nur eine kurze Zeit vor meiner Ankunft von hier gegangen.

Ausser der Carnevalszeit ist keine ernsthafte Oper in Mayland. Die erste komische Oper, die ich dort hörte, war l'Amore artigiano; sie fieng um acht Uhr an, und war vor zwölf Uhr nicht vorbey; die Musik, worin sehr viel Schönes war, hatte Herrn Florian Gasmann, in kaiserlichen Diensten, zum Verfasser, der den Flügel spielte, Es waren sieben Rollen darinn, die alle recht gut gespielt, aber keine einzige sehr gut gesungen wurden.

Das Ballet in dieser Oper war sehr unterhaltend. Es waren eine unendliche Menge Solotänzer und Figuranten, ausser zweyen saltatori Palecini und seiner Frau, die mehr Beyfall erhielten, als alle übrigen. Ihre Behendigkeit war auch wirklich[55] erstaunend. Zwey andere tanzten ausserdem all' Inglese, auch war ein französischer peruquier in der komischen Oper, der im französischen Geschmacke singen sollte: allein ihre Nachahmungen sind hier, wie die unsrigen in London, das ist ohngefähr so ähnlich als ein elendes Wirthshausschild worunter der Nahmen des Königs oder der Königinn steht, Georgen dem Dritten oder Charlotten; man ist geneigter solche Mimiker zu verlachen, als über sie zu lachen. Bey dem Ballette war die Bühne auf eine überaus prächtige und für mich ganz neue Art, erleuchtet, nehmlich mit lampioni coloriti oder farbigten Lampen, welche gute Wirkung thaten; die Vorscene und das Tafelwerk sowohl, als die Kulissen waren voll solcher Lampen.

Das Theater ist hier sehr breit und prächtig; es sind fünf Reihen Logen auf jeder Seite, jede Reihe zu hundert; und parallel mit ihnen läuft eine breite Gallerie als ein Zugang zu jeder Reihe Logen rund um das ganze Haus herum; jede Loge enthält sechs Personen, die zur Seiten gegen einander übersitzen. Auf der Communicationsgallerie sind besondere Zimmer für jede Loge, worin Kamine und gute Anstalten zu Erquickungen und zum Kartenspiele sind. In der vierten Reihe sind Pharaotische, auf jeder Seite des Hauses einer, welche während der Vorstellung der Oper gebraucht werden. Gegen dem Theater über ist eine sehr große Loge, gleich dem Eßzimmer in London, welche bloß für den Herzog von Modena,[56] der Statthalter zu Mayland ist, und für die Principessina seine Tochter bestimmt ist, die beyde zugegen waren. Das Lärm während der Vorstellung war hier abscheulich, ausgenommen, als ein paar Arien und ein Duett gesungen wurden, welche jederman in Entzückung setzten. Als das Duett zu Ende war, bezeigte jeder seinen Beyfall unaufhörlich mit grosser Heftigkeit, bis die Schauspieler es noch einmahl anfiengen; denn das ist hier die Art eine Favoritarie noch einmahl zu fordern. Die erste Violine spielte Lucchini. Das Orchester ist sehr zahlreich und der Platz für dasselbe verhältnißmäßig groß gegen das Theater, welches viel weitläufiger ist, als das Turiner Opernhaus. Die Zuschauer in der obersten Reihe Logen, sitzen mit dem Gesichte gegen die Bühne, und diejenigen welche keine Plätze bekommen können, stehen hinter ihnen in der Gallerie. Alle Logen sind hier wie zu Turin auf die Theaterzeit vermiethet. Zwischen den Akten kommen die Zuschauer aus dem Parterre herauf, und gehen auf den Gallerien spazieren. Es kam nur ein Ballet vor, welches aber sehr lang war.

Es ist eben nicht der Geist der Engländer, mit ihrem gegenwärtigen Zustande oder dem was sie izt besitzen, zufrieden zu seyn, sonst mögte man wohl kühnlich behaupten, daß sie mit so einer komischen Oper, als die vorigen Winter in London war, hätten zufrieden seyn können. Sie übertraf was das Singen anbetrift, die Mayländische bey weitem; denn ich habe durch ganz Italien,[57] nie drey solche Sänger, wenigstens nicht auf einem Theater gefunden, als Sgr. Lovatini, Sgr. Morigi und Sgra. Guadagni.

Dreißig Edelleute sind die Unternehmer der hiesigen Opern; man unterschreibt sich zu sechzig Zechinen, wofür jeder Subscribent eine freye Loge hat; die übrigen Logen werden la prima fila, (die erste Reihe) für funfzig Zechinen, die zweyte für vierzig, die dritte für dreißig, und so verhältnißmäßig die andern, vermiethet. Die zufälligen Einkünfte werden aus dem Parterre und den oberen Sitzen oder piccionaja gezogen. Man spielt alle Abend, des Freytags ausgenommen.


Mittwochs, den 18ten.

Heute früh gieng ich das erste mahl in die Ambrosianische Bibliothek,30 deren Größe nicht der Erwartung gleich kömmt, wenn man die Nachrichten davon in den Reisebeschreibungen gelesen, und die königliche Bibliothek zu Paris gesehen hat, die wenigstens zehnmal so groß ist. Eigentlich ist nur ein grosses Zimmer voller gedrukter Bücher; ausserdem enthalten zwey kleinere die gedrukten französischen Bücher und die Handschriften. Ein andres Zimmer enthält Copien von den besten alten Statuen zu Rom und Florenz; zulezt kömmt, noch ein großer Saal, voller[58] vortreflicher Stücke von Leonardo da Vinci, und Johann Breugel von Antwerpen, der seine Werke so fein ausmahlte, daß er über die vier Elemente, welche sich in dieser Sammlung befinden, wie man sagt, sein Gesicht verlohren hat. Es ist auch ein vortrefliches Bildniß des Organisten Merula31 von diesem Mahler hier. Als ich nach den Catalogus der Mßte fragte, ward mir zur Antwort, es sey nicht gebräuchlich, daß man ihn zeige, doch könnte ich jedes Mßt zu sehen kriegen, wenn ich nur nahmentlich darnach fragen wollte; allein ich wuste so wenig den Nahmen als den Inhalt: ich suchte neue Wesen, neue unbekannte Werke der Gelehrsamkeit, welche von unheiligen Compilatoren und Druckern unentweihet waren. Da ich die Absicht meines Zuges nach Mayland erklärte, und sagte daß es vornehmlich in der Absicht geschähe, die Zeit zu bestimmen, wenn der ambrosianische Kirchengesang eingeführt worden, so erzählte man mir, daß Pater Martini eben dergleichen Untersuchung angestellt hätte, aber ohne etwas heraus zu bringen, und es schiene, als wenn die Lebensbeschreiber des H. Ambrosius einer nach dem andern ihm diesen Gesang ohne gehörigen Beweis beygelegt hätten. Ungeachtet dieß ziemlich abschreckend war, so gab ich die[59] die Sache dennoch nicht auf; und fand nachher mehr Gnade in den Augen der Bibliothekare. Bisher hatte ich diesen Herrn noch nicht meine Empfehlungsschreiben übergeben; allein bey den folgenden Besuchen verschafte ihre Gefälligkeit mir alles, was diese Bibliothek mir liefern konnte.

Ein Herr aus Parma, mit dem ich von Paris hieher gereiset war, hatte einen Brief von Herrn Messier an Pater Bostowich, der ihm von einem neuen Kometen Nachricht gab, welchen er den eilften Junius entdekt hatte; ich machte mir das Vergnügen, meinen Freund bey dem Besuche den er in denn Jesuitercollegium bey diesem Pater ablegte, zu begleiten. Er nahm uns beyde sehr höflich auf, und da er hörte, daß ich ein Engländer sey, der die Wissenschaften liebte, und sich eine Ehre daraus machte, einen so berühmten Mann zu sehen, so wandte er sich vornehmlich zu mir. Er hat verschiedene junge Studierende von Stande bey sich, und sagte, er erwartete den Morgen drey vornehme Herrn die seine Instrumente besehen wollten, und bat mich, von der Parthey zu seyn. Ich nahm den Vorschlag willig an, und er zeigte mir sogleich verschiedene Maschienen und Erfindungen, welche er zu optischen Versuchen erfunden hatte. Ehe die Signori kamen, welches ein Maltheser Ritter, ein Verwandter Pabst Benedikt des vierzehnten, und noch ein Cavalier waren. Sodann fuhr er fort und sezte uns alle auf die angenehmste Art in[60] Verwunderung, vornehmlich durch sein Stetsol, womit er die Sonnenstrahlen die durch eine Ritze oder Prisma fallen, an der Wand gegen über, wo er will fixiren kann: er theilt und fixirt auf gleiche Weise jede prismatische Farbe eines Sonnenstrahles. Er zeigte uns eine Methode ein mit Wasser gefülltes Prisma zu machen, und die Wirkungen welche aus Verbindung verschiedener Linsen entstünde, welches alles ungemein sinnreich und simpel erfunden war. Er hat zu Wien eine lateinische Abhandlung hierüber geschrieben. Hierauf giengen wir auf verschiedene Observatorien, wo ich seine Instrumente auf eine so geschickte und zweckmäßige Art aufgestellt fand, daß es mir ein grosses Vergnügen machte. Er war so gefällig nichts als französisch mit mir zu sprechen, weil ich ihn in dieser Sprache anredete, die ich damahls viel fertiger sprach, als die italiänische. Herr Messier hatte ihm erzählt, der Komet bewege sich sehr wenig, und scheine beynahe stillzustehen; allein Pater Boscowich fand ihn nachmahls sehr schnell, so daß er täglich funfzig Grade fortrückte. Mais la comete, Monsieur, lui dis-je, oú est ella à present? »Avec le soleil, elle est mariée.« Der verstorbne Herzog von York machte ihm ein Geschenk mit einem zwölfzolligen Reflektirtelescop von Short, zwanzig Guineen werth; allein er hat ein achromatisches von demselben Meister, welches ihm hundert kostet. Die Kosten seines Observatoriums, welche er selbst hergegeben hat, müssen[61] ausserordentlich gewesen seyn. Er ist Professor auf der Universität zu Parma, wo er den Winter zuzubringen pflegt. Wenn in der Astronomie neue Entdeckungen zu machen sind, so kann man sie von diesem gelehrten Jesuiten erwarten. Sein Fleiß in optischen Versuchen zur Verbesserung der Ferngläser, wovon soviel abhängt; die Menge der vortreflichsten Instrumente von allerley Art, die er besizt, verbunden mit dem vortreflichen Klima und der grossen Erfindsamkeit welche er bey Einrichtung seines Observatoriums und seiner Maschinen zeiget, alle diese Vortheile, wird man sonst nicht leicht irgendwo beysammen antreffen. Er beklagte sich sehr über das Stillschweigen der englischen Astronomen, die alle seine Briefe unbeantwortet liessen. Er hat sich sieben Monathe in England aufgehalten, und ist während der Zeit viel mit Herrn Maskelyne, Dr. Shepherd, Dr. Bevis, und Maty umgegangen, mit welchen er einen Briefwechsel zu unterhalten hofte. Er hatte auch wirklich vor kurzem den neuesten Nautical Almanach (Schifferkalender) und Mayers Mondtafeln von dem Professor Maskelyne erhalten, welches ihm Hofnung gab, daß ihre gelehrte Verbindung werde erneuert werden. Er ist ein langer starker Mann, etwa funfzig Jahr alt, und angenehm im Umgange. Als er sich in Paris aufhielt, so wollte ihn die französische Akademie der Wissenschaften zu ihrem ordentlichen Mitgliede aufnehmen, allein das Parlement verbot es, weil er Jesuit war. Allein[62] wenn alle Jesuiten diesem Pater ähnlich wären, und vorzügliche Gelehrsamkeit und Einsichten nur zur Aufnahme der Wissenschaften und zur Glückseligkeit des menschlichen Geschlechts anwendeten, so hätte man wünschen mögen, daß diese Gesellschaft so lange die Welt steht, gewähret hätte. So wie sie nun ist, sollte man doch wie es scheint, einigen Unterschied bey Verdammung der Jesuiten gemacht haben; denn, ungeachtet eine gute Politik die Aufhebung des Ordens erfodern mag, so lehrt uns doch die Menschlichkeit wünschen, die Alten, die Schwachen und Unschuldigen vor dem allgemeinen Untergange und der Zerstörung welche nur dem Schuldigen treffen soll, zu bewahren.

Die zweyte Oper welche ich hier gehört habe, warla lavandra astuta ein Pasticcio, worin eine Menge von Piccini's Arien vorkamen. Garibaldi der erste Sänger, hatte eine beßre Rolle in dieser Operette, als in der vorigen, und sang sehr gut. Er hat eine angenehme Stimme, und viel Geschmack und Ausdruck; man rief ihm auf gut Italiänisch zwey-drey mahl ancora zu. Die eine Baglioni32 singt besser, als die andern beyden, und hatte auch mehr zu thun. Caratoli belustigte die Mayländer ungemein durch seine Aktion und Laune, die übrigens sehr local war, und in England wenig gefallen würde. Das Ballet[63] war dasselbige, welches ich vorher gesehn hatte.

Ein Privatconcert heißt in Italien eine Akademie; das erste wohin ich gieng bestund bloß aus Liebhabern. Der Herr vom Hause spielte die erste Geige, und hatte einen kräftigen Strich; ausserdem waren hier zwölf oder vierzehn Spieler, worunter ich einige gute Violinisten fand; auch waren zwey Flöten, ein Violonschell und ein kleines Violon dabey. Die Ausführung war ganz artig; man spielte einige von des Londoner Bachs Symphonien, die von den in England gestochenen verschieden waren. Man hat hier nichts, als geschriebene Musik. Was ich am liebsten hörte, war die Singstimme der Signora Padrona della Casa, oder der Dame vom Hause; sie hatte eine angenehme reine Stimme, einen guten Triller, den wahren Geschmack und Ausdruck, und sang, indem sie an dem gewöhnlichen Instrumentenpulte saß, worauf ihre Noten lagen, ohne allen Zwang, verschiedene schöne Arien von Traetta.

Ueberhaupt sah dieß Concert unsern Privatconcerten in England so ziemlich ähnlich; die Spieler waren bald im Gleisse, bald daraussen. Doch war wohl im Ganzen die Musik besser ausgesucht, die Ausführung glänzender und feuriger, und das Singen der Vollkommenheit näher, als wir bey solchen Gelegenheiten rühmen können; nicht eben in Ansehung der Stimme und der Fertigkeit, denn was das anbetrift, so giebt unser Frauenzimmer darin wenigstens unsern Nachbarn nichts nach,[64] sondern in dem Portamento, dem Tragen und der Leitung der Stimme, im Ausdrucke und in der Bescheidenheit.33

An eben den Tage, Freytags den 20. Julius, war in drey verschiedenen Kirchen Musik; ich wäre gern bey allen dreyen zugegen gewesen; doch es war unmöglich mehrern als zweyen beyzuwohnen. Die erste war des Morgens in der Kirche der Santa Maria secreta; es war eine Missa in Musica von Sgr. Monza gesetzt, und von ihm selbst aufgeführt. Sein Bruder spielte das obligate Violonschell, aber weder der Ton noch sein Geschmack waren sehr angenehm. Sgr. Lucchini der Vorspieler in der komischen Oper, spielte die erste Geige; unter den Sängern, waren zwey oder drey Castraten. Es war eine kleine elende Orgel bey dieser Gelegenheit errichtet worden; zwar hatte man eine größere, allein es war kein Platz[65] zum Orchester dabey. Die Musik war schön; lange sinnreiche Einleitungssymphonien giengen vor jeden concento, (so heißt man die verschiedenen Theile der Messe) vorher; alles war in einem guten Geschmacke und geistreich gesetzt; weil aber die Orgel, die Hoboe und einige Geigen nichts taugten, so zerstörte dieß die gute Wirkung einiger wohlausgedachten Stellen. Als erster Geiger verdient Sgr. Lucchini keinen vorzüglichen Rang; es fehlt ihm nicht an Fertigkeit, aber sehr an seiner Ausführung. Er hatte verschiedne Solostellen, und machte drey oder vier Cadenzen.

Der Gesang war zwar im Ganzen besser, als in unsern Oratorien, aber lange nicht so gut, als wir ihn oftmals in der italiänischen Oper in England hören. Bisher hatte ich noch keinen grossen Sänger seit meiner Ankunft in Italien angetroffen. Der erste Discantist war hier, wie wir in England sagen würden, ein ganz guter Sänger, mit einer ganz guten Stimme; sein Geschmack aber war weder original noch vorzüglich. Der zweyte Sänger, ein Altist, hatte gleichfals nur mittelmäßige Verdienste; doch war seine Stimme angenehm genug, und er beleidigte nur durch ihren Misbrauch das Gehör. Allein


'Tis in song as 'tis in painting,

Much may be right, yet much be wanting.[66]


Es geht mit dem Gesang wie mit der Mahlerey,

Es fehlt noch immer viel, ist viel nur fehlerfrey.


Doch eine Musik wie diese sollte man nicht zu strenge beurtheilen, denn man hört sie umsonst. Ich spreche als ein Reisender; allein die Einwohner von Italien, die so viel zur Erhaltung der Kirchen hergeben, haben freylich sehr viel Recht, etwas vortrefliches von der Art zu verlangen.

Die andre Messe, welche ich heute hörte, war von Battista San Martini gesetzt, und unter seiner Aufsicht in der Kirche der Carmelitermönche aufgeführt. Die Symphonien waren sehr sinnreich und voll von dem Geiste und Feuer, welches dem Verfasser eigen ist. Die Instrumentstimmen in seinen Kompositionen sind gut ausgearbeitet; er läßt keinen von den Spielern lange müßig gehen, und vornemlich haben die Violinen keine Ruhe. Man mögte jedoch manchmal wünschen, daß er seinen Pegasus auf die Stange ritte, denn er scheint oftmals ganz mit ihm durchzugehen. Eigentlich zu reden, seine Musik würde mehr gefallen, wenn sie weniger Noten und weniger Allegro's enthielte: allein die Heftigkeit seines Geistes treibt ihn an, in einer Folge von schnellen Sätzen fortzulaufen, welche zuletzt den Ausführer sowohl, als den Zuhörer ermüden. Marchesini, der mir nicht sonderlich gefiel, sang die erste Discantstimme; Ciprandi, ein vortreflicher[67] Tenorist, der vor einigen Jahren in England war, und dessen Rollen nachher nie so gut wieder sind besetzt worden, sang hier vorzüglich schön vor allen andern. Das Orchester war nur mittelmäßig; die erste Violine spielte Zuccherini, welchen man hier für einen guten Violinisten hält. Ich habe bemerkt, daß man auf dergleichen Musiken hier wenig achtet, und habe niemals Leute von Stande darin gesehen. Die Versammlung bestehet meistentheils aus Geistlichen, Kaufleuten, Handwerkern, Bauern und Betlern, welche gewöhnlich sehr unaufmerksam und unruhig sind, und selten die ganze Musik ausdauern. San Marrini ist,Maestro di Capella bey der Hälfte von den hiesigen Kirchen, und die Anzahl der Messen, die er hier gesetzt hat, ist beynahe unendlich; doch behält sein Feuer und seine Erfindungskraft noch immer ihre völlige Stärke.

In einer andern Kirche ward heute Abend die Vesper bloß von Mönchen und Nonnen gesungen; ich kam zu spät, und hörte sie also nicht. Inzwischen führte man mich in eine der besten Akademien zu Mayland, welche fast aus dreyßig Sängern und Spielern bestund, worunter verschiedene gute waren. Madam Dé sang, und ungeachtet sie einen Schnupfen hatte, der ihrer Stimme hinderlich war, so gab sie doch verschiedne Proben ihrer Kunst, die eine vortrefliche Sängerin verriethen. Ausser zwey Arien die einen weiten Umfang der Stimme und viel Fertigkeit erforderten, sang sie ein Adagio mit dem feinsten Geschmacke.[68] Der Clavicembalist war Sgr. Scotri. Man spielte einige Symphonien von J.C. Bach, die sehr gelobt wurden, und vier vortrefliche von Martini. Auch ward ein Doppelconcert auf der Geige von Raymond, einem Deutschen sehr schön gesetzt, wiewohl es sehr schwer war, von zwey Violinisten gespielt, die an Stärke sehr verschieden, aber jeder in seiner Art, gut waren. Der eine war ein ältlicher Mann, der einen sehr reinen und weichen aber dabey schwachen Ton hatte; der andre war ein junger Mann, voll Stärke und Feuer, welches ihn in Kurzem zu einem großen Spieler machen wird, vornehmlich da er mit diesen Eigenschaften viel Ausdruck verbindet. Es war ein bewundernswürdiger Streit zwischen Jugend und Alter, Beurtheilungskraft und Genie. Dieß waren alle Virtuosen oder wirklicher Musiker, das übrige bestand aus Liebhabern.


Sonnabend, den 21sten.

Ich glaubte daß es meinem Zwecke nicht zuwider seyn würde, wenn ich den Palazzo Simonetta der einige Meilen von Mayland liegt, besuchte, um das berühmte Echo zu hören, wovon die Reisebeschreiber so viel zu erzählen wissen, daß ich vieles für übertrieben hielt.34 Es ist[69] hier der Ort nicht die Materie vom Wiederhalle zu untersuchen; ich behalte es mir in einem andern Werke vor; was aber das Faktum anbetrift, so ist es wirklich sehr wunderbar. Der Palast Simonetta hat kein anderes Gebäude in der Nähe; das Land rund herum ist völlig eben, und es sind keine Berge näher als die Schweitzeralpen, welche an dreyßig englische Meilen entfernt liegen. Dieser Pallast war itzt unbewohnt und gerieth ganz in Verfall; ehemals ist er sehr schön gewesen. Die Vorderseite ist frey, und von sehr leichten doppelten ionischen Säulen unterstützt. Das Echo aber kann man bloß hinter dem Hause hören, welches nach dem Garten zu zwey Flügel hat.


Vorderseite.


Mayland

Garten.


1. Das Fenster, worin man am besten den Versuch machen kann.

2. Das Fenster, wo man das Echo am besten hört.[70]

3. Eine Mauer mit blinden Fenstern, woher der Wiederhall zu kommen scheint.

So natürlich es auch ist, vorauszusetzen, daß die gegen über stehenden Mauren den Schall reflektiren, so schwer ist es zu bestimmen, wie dieß geschehe, indem die Form des Gebäudes sehr gewöhnlich ist, und kein anderes von eben der Bauart, so viel ich je gehört habe, diese Wirkung thut. Ich machte allerhand Versuche, in verschiedenen Stellungen, mit der Stimme, langsam, geschwind; mit einer Trompete, in welche ein Bedienter der bey mir war, stieß; mit einem Pistol und einer Flinte, und fand allemahl, der Lehre vom Echo gemäß, daß die Wiederholung desto häufiger ist, je geschwinder und heftiger die Luft bewegt wird. Der Wiederhall war bey Losfeurung einer Flinte beynahe funfzigfach, und schien an Stärke immer abzunehmen, und sich immer zu entfernen. Man könnte nach Pater Birchers Methode einen einstimmigen musikalischen Kanon für dieß Echo erfinden, der eben die Wirkung als einer von zwey, drey ja vier Stimmen hätte. Ein einziges Ha! ward ein lautes Gelächter, und ein überblasener Ton auf der Trompete ward zum possirlichsten lächerlichsten Getöse, so man sich denken kann.

Die Komponisten hieselbst sind unzählich. Man führte mich heute zu drey Frauenzimmern, sie singen zu hören, und ich fand Lampugnani, der ihr Lehrer ist, bey ihnen. Er halt sich beständig zu Mayland auf, spielt den ersten Flügel in der Oper,[71] wenn die Komponisten abwesend sind, und setzt die pasticci zusammen. Diese Frauenzimmer machten ihm durch ihren Vortrag viel Ehre; sie sungen einige Arien, Duette und Terzette. Die eine von ihnen sang eine lange Scene aus Jomelli's Olympiade, welche ausserordentlich schwer ist; die Komposition wird mit Recht wegen der Kühnheit und Gelehrsamkeit in der Modulation bewundert, welche recherchée aber voll Ausdruck und gefällig ist. Ich erhielt eine Abschrift dieser Scene. Es war in eben dem Hause eine guter Violinist Sgr. Pasqualini, der mit vieler Feinheit und Urtheile die Geige zu den Arien spielte.

Hierauf gieng ich in die Oper, wo die Zuschauer sich sehr hintergangen fanden; weil der Tenorist, der einzige gute Sänger in derselben, unpaß war. Seine ganze Rolle ward ausgelassen. Da nun der Baritono, welcher die Person eines alten polternden Vaters spielte, der seinem Sohne in der ersten Scene und Arie sehr übel mit fahren sollte, keinen Sohn vorfand, so gab er dem unverhoften Zufalle eine Wendung, welche die Zuschauer sehr belustigte, und ihnen ihre betrogne Hofnung geduldiger ertragen half, als man in England gethan hätte; denn anstatt seines Sohnes fiel er über den Einhelfer her, der hier so wie in der Oper zu London, mit dem Kopfe aus einem Loche im Theater hervorgukt. Die Zuschauer fanden ein so grosses Vergnügen, an diesem Anfalle auf den Einhelfer, den sie immer als einen Stöhrer[72] ihres Vergnügens ansehen, daß sie die Arie, worin es geschah, wiederhohlen ließen. Dennoch gieng ich nach Endigung des ersten Akts und Ballets weg, weil die Lichter in dem Operhause meinen Augen ungemein heftige Schmerzen verursachten, und weil ich heute Abend keine Vergeltung dafür zu hoffen hatte, so entzog ich mir die übrigen Akte der Oper.


Sonntags, den 22sten.

Nachdem ich heute früh in dem Duomo den ambrosianischen Gesang in seiner ganzen Vollkommenheit angehöret hatte, gieng ich nach dem Kloster Santa Maria Maddalena, wo ich die Nonnen verschiedene Motteten singen hörte. Es war der Festtag ihrer Heiligen. Die Komposition war von Sgr. B.S. Marrini, der in diesem Kloster Maestro di Capella ist, und die Nonnen singen lehrt. Er ersetzte mir vollkommen den Mangel langsamer Sätze in seiner Messe vom vorigen Freytage, durch ein Adagio in der heutigen Mottete, welches wirklich himmlisch war, von einer Nonne himmlisch gesungen und von einer andern bloß mit der Orgel begleitet ward. Dieß war ohne Zweifel in allem Betrachte das beste Singen, das ich seit meiner Ankunft in Italien gehört hatte; wo doch des Singens so viel ist, daß man dessen leicht überdrüßig werden könnte. Bey meiner ersten Ankunft hungerte und durstete mich[73] nach Musik, doch izt hatte ich beynahe ihrer satt; man ist aber ein strengerer Richter bey vollem Magen, als bey guten Appetite. Es sangen verschiedene Nonnen, einige nur mittelmäßig, allein eine unter ihnen hatte eine vortrefliche Stimme, voll, stark, angenehm und biegsam, sie hatte einen schönen Triller, und ungemein viel Ausdruck; alles war so reizend, daß ihr nichts mehr als eine lange Dauer dieser Vorzüge zu wünschen übrig blieb.

Man klagt allenthalben in England, über die laute Begleitung der Instrumente; wenn dieß ein Uebel ist, so findet man es doppelt in Italien. In der Oper kann man nichts, als die Instrumente hören, ausser wenn die Baritoni oder Baßstimmen singen, die es mit ihnen aushalten können; denn nichts als Lärm kann man vor anderem Lärm hervor hören, eine sanfte Stimme wird erstickt. Es schien mir, als wenn das Orchester nicht nur zu laut spielte, sondern auch zu viel zu thun hätte.

Ausser der Orgel für die Chöre, war noch in besagtem Kloster eine Orgel mit einem Claveßin, welche gleichfalls von einer Nonne gespielt ward. Die bloße Begleitung dieses Instruments, mit jener himmlischen Stimme, vergnügte mich unbeschreiblich, und zwar nicht so sehr durch das, was sie that, als durch das, was sie nicht that; denn man kann wahrlich nicht zu viel von einer so himlisch süssen Stimme hören. Alles Gewäsche verschiedener Instrumente, muhseliger Erfindung und schwerer[74] Ausübung ist nicht viel besser als eine häßliche Larve auf einem schönen Gesichte; selbst die Harmonie ist in solchen Fällen ein Uebel, wenn sie, statt unterthan zu seyn, sich zur Herrscherinn aufwirft. Ich weiß, daß ich nicht als Tonkünstler so rede, aber ich will allzeit gern meine Profeßion aufgeben, wenn sie sich zur Pedanterey neigt; und meinem Gefühle nachhängen, wenn es die Vernunft auf seiner Seite zu haben scheint. Wenn eine Stimme rauh oder sonst unangenehm ist, so kann sie nicht wenig genug gehört werden, und dann mögen rauschende Begleitungen und künstliche Erfindungen füglich statt finden; aber eine einzige Note von einer solchen Stimme, als ich diesen Morgen hörte, dringt tiefer in die Seele, als eben die Note auf dem besten Instrumente von der Welt thun kann, welches aufs höchste nur eine Nachahmung der menschlichen Stimme seyn kann.

Die heutige Musik ward ganz von den Nonnen selbst, welche man aber nicht sehen konnte, aufgeführt; denn obgleich die Klosterkirche, so wie eine Pfarrkirche jedem offen steht, und die Prediger, wie gewöhnlich von allen gesehen werden können, so werden doch hier die Antworten hinter dem Altare, wo die Orgel steht, gesungen. Als ich in die Kirche trat, sahe ich vergebens nach der Orgel und den Sängern, weil ich nicht wuste, daß es eine Klosterkirche war. Da ich das Singen sehr lobte, erzehlte man mir, daß hier verschiedene Klöster wären, wo die Nonnen noch[75] viel besser sängen. Allein ich muß gestehen, daß ich sehr daran zweifelte, und nur begierig war, sie selbst zu hören. Ich war über dieß Singen so entzückt, daß ich, ungeachtet ich in einer Privatgesellschaft auf einem sehr geselligen und angenehmen Fuß speisete, dennoch ehe der zweyte Gang aufgetragen ward, aus der Gesellschaft weglief, in Hofnung in dem Kloster noch mehr davon zu hören. Ich war so glücklich, daß ich gerade hinein kam, als die Musik angieng, und die nehmliche Mottete von der Nonne gesungen, mit doppeltem Vergnügen wieder hörte.

Die Liedersänger zu Mayland singen Duette auf der Gasse, bald mit, bald ohne Instrumente, und sind ihrer Sache sehr gewiß; allein ich habe nicht bemerkt, daß sie hier wie in Turin die Bühne besteigen.

Heute Abend war, weil der Tenorist in der komischen Oper noch immer krank war, nur eine Akademie auf dem Theater und keine Operette. Die Sänger waren die nehmlichen, die ich zuvor gehört hatte; nur hatte man sie auf dem Theater fast auf eben die Art gestellet, als in London bey dem jährlichen Concerte zum besten abgelebter Musiker gewöhnlich ist: sie fassen je zwey und zwey an Tischen, und wenn sie sungen, stund jeder auf und trat den Zuhörern näher. Es wurden verschiedne Opernsymphonien aber keine Solos gespielet; an deren Statt Ballette während der Zwischenpausen im Concerte getanzt wurden. Hinter den Sängern, deren sechse waren, stunden auf dem Theater die[76] ganze Zeit hindurch eben so viele Bedienten. Die Baglioni erschienen heute mehr zu ihrem Vortheile als in der Oper, vornemlich Clementine, die auf einem kleineren Theater eine sehr angenehme Sängerinn seyn würde, dahingegen auf diesem alle Stimmen verloren gehen.


Montags, den 23ten.

Heute früh gieng ich zeitig mit dem Pater Mojana, einem sehr gefälligen Dominikaner nach der Ambrosianischen Bibliothek, und bekam mit sehr vieler Mühe zwey oder drey sehr alte Manuscripte, die in mein Fach schlugen, zu sehen; auch sah ich die prächtige Ausgabe der Kirchengesänge, die in der Domkirche abgesungen werden, und 1619. in vier Folianten, blos zum Gebrauche dieser Kirche abgedruckt sind. Der Druck ist sehr nett in Holz geschnitten, aber ohne Taktstriche, und folglich nicht in Partitur, obgleich die Stimmen alle vor Augen liegen, weil sie einander gegen über gedruckt sind, nemlich der Discant und Tenor auf der ersten, und der Alt und Baß auf der zweyten Seite. Ich schrieb mir verschiednes daraus ab. Der Bibliothekar Sgr. Oltrocchi fing an minder zurückhaltend mit den Büchern zu seyn, als er anfangs war. Eins von den ältesten, die er mir heute zeigte war eine schöne Handschrift aus dem neunten Jahrhunderte, die sehr gut war erhalten worden. Sie enthielt ein Missale, welches wenigstens zweyhundert Jahr vor Guido's Zeiten,[77] und also ehe man das Notensystem kannte dessen sich dieser Mönch bediente, geschrieben war. Die Noten sind nicht viel mehr als verschiedne Accente, welche über den Hymnen stehen.35 Ich fand einen edlen und gelehrten Geistlichen Don Triulzi hier, der sehr bejahrt war; er hatte diese Charaktere untersucht, und einige sinnreiche Muthmassungen darüber.

Den folgenden Tag wandte ich zur Aufsuchung alter Bücher an, und hörte des Abends Musik. Chiesa und Monza haben den Ruf, und scheinen auch itzt die beyden besten hiesigen Theatercomponisten zu seyn. Serbelloni, ein contr' alto castrato der vor einigen Jahren in England war, hat Dispensation erhalten ein Mönch zu werden, und singt itzt blos in der Kirche.


Dienstags, den 24sten.

Heute früh gieng eine feyerliche Proceßion um Regen zu erbitten durch die Strassen nach der St. Ambrosius Kirche, weswegen die öffentliche Bibliothek verschlossen war. Dieß war mir sehr unangenehm, indem es der lezte Tag meines Aufenthalts war; doch hatten meine Briefe mir nunmehr die Bekanntschaft und Unterstützung Sr. Excellenz des Graven Firmian, des Graven Pò, des Marchese Menafoglio, des D. Franzesko[78] Carcano, des Abt Bonelli und anderer verschaft; deren Zauberkraft die Thüren öfnete und alle Schwierigkeiten aus dem Wege räumte. Als ich nun mit dem Abt Bonelli vor die Ambrosianische Bibliothek kam, ward sie gleich geöfnet und eigentlich bekam ich itzt auch zum erstenmahle alle ihre Schätze zu sehen. Nun wurden die merkwürdigsten Manuscripte hervorgebracht, worunter verschiedene von Petrarcha und Leonardo da Vinci eigener Hand waren. Man zeigte mir gleichfalls verschiedne sehr alte Manuscripte auf aegyptischem Papiere, die wohl bewahrt waren. Kurz, meine vorhin fehlgeschlagene Hofnung wurde itztreichlich erfüllt, indem ich in ein Zimmer geführt ward, das an lauter Handschriften über funfzehntausend Bände enthielt.

Von hieraus führte mich der Abt zum Pater Sacchi, einen gelehrten Musiker, was die Theorie anbetrift; er hat zwey sehr merkwürdige Bücher über die Musik herausgegeben, die ich mir vorher schon angeschaft hatte. Er nahm mich sehr höflich auf, und wir vertieften uns bald in ein Gespräch über diese Schriften und über meine Reise. Er war so gütig, meine Addresse aufzuzeichnen, und machte mir Muth an ihn zu schreiben, wenn ich bey Lesung seiner Schriften einige Schwierigkeiten fände.

28

Volkmann I Th. S. 236.

29

Dieß Stück, soll nebst andern merkwürdigen Kompositionen, deren unten gedacht wird, gedrukt werden.

30

Volkmann, I B.S. 248.

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Claudius Merulus wie die Deutschen ihn nanten, war von Antwerpen gebürtig, und blühete im sechszehnten Jahrhunderte (Walther im musikalischen Lexikon, nennt ihn Merula und giebt Corregio als seinen Geburtsort an.)

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Es sind sechs Schwestern dieses Nahmens, die alle vom Singen Profession machen, und wovon drey zu Mayland waren. Es ist eine Bolognesische Familie.

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Der Verfasser hofft demüthigst, daß seine schönen Landsmänninnen durch den Gebrauch des Worts Bescheidenheit sich nicht werden beleidigt finden, da es hier bloß im musikalischen Verstande gebraucht wird. Darin wird die Liebe zu den sogenannten Manieren zu einem solchen Grade der Unbescheidenheit getrieben, daß man dadurch gewöhnlich gute Stellen in schlechte, und schlechte in elende verwandelt. Ein wenig Schminke kann ein mittelmäßig hübsches Gesicht verschönern, obgleich die Menge es häßlich machen würde; allein wahre Schönheit zeigt sich am besten in ihrer natürlichen Gestalt.

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S. Volkmann, I Th. S. 294.

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Eine Probe dieser Notenschrift wird in der allgemeinen Geschichte der Musik gegeben werden.

Quelle:
Carl Burney's der Musik Doctors Tagebuch einer Musikalischen Reise. [Bd. I]: durch Frankreich und Italien, Hamburg 1772 [Nachdruck: Charles Burney: Tagebuch einer musikalischen Reise. Kassel 2003], S. 52-79.
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Tagebuch einer musikalischen Reise: Durch Frankreich und Italien, durch Flandern, die Niederlande und am Rhein bis Wien, durch Böhmen, Sachsen, Brandenburg, Hamburg und Holland 1770-1772

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