Montefiascone,
den 18ten September.

[191] Auf meinem Wege nach Rom besuchte ich den Sgr. Guarducci, der sich hier ein schönes Haus gebauet, und solches mit vielem Geschmack auf englische Art ausmöblirt hat. Er hatte schon von meiner Reise nach Italien gehört, und empfieng mich auf eine so höfliche Art, als man sich nur einbilden kann. Er war so verbindlich, sich vor mir in einer Arie von Sacchini's Komposition hören zu lassen, und er sang solche ganz himmlisch. Seine Stimme, deucht mir, ist stärker, als da er in England war, und sein Geschmack und Ausdruck[191] scheint den höchstmöglichen Grad auserwählter Feinheit erlangt zu haben. Er ist ein sehr bescheidner Sänger; er setzt nur sehr wenige Noten hinzu; diese wenigen Noten aber sind so aus der Natur der Sache herausgehoben, daß sie grosse Wirkung thun, und das Ohr völlig befriedigen. Er hat zu Florenz ein Winterhaus, und dieses hat er zu Montefiascone, seinem Geburtsorte gebauet, um sich hier des Sommers aufzuhalten, und seine Mutter und sein Geschwister bey sich zu haben: es liegt sehr reizend an einer Höhe, von welcher man auf der einem Seite eine sehr schöne freye Aussicht hat, die bis nach Aquapendente, und überdem eine Strecke des Bolsenischen Sees geht; und auf der andern Seite sieht man die Berge von Viterbo und das davor liegende Land. – Er sagt, er habe das Theater völlig verlassen, und wollte nicht mehr öffentlich singen. Das ist ein Verlust für Italien, denn ich finde, daß ihm die Italiäner den ersten Platz unter allen Sängern dieser Periode einräumen, und zu Rom sprechen sie noch mit Entzücken von seinem Singen in Piccini's Didone Abbandonata. Sgr. Guarducci gab mir sehr verbindlicher Weise Briefe an verschiedene große Virtuosen in Rom und Neapel mit, und bewirthete mich nicht nur mit der größesten Gastfreyheit, so lange ich bey ihm war, sondern ließ auch in meine Kutsche allerhand Erfrischungen und vortreflichen Wein packen, der auf seinen eignen Weinbergen gewachsen war.76

76

Der Montefiasconer ist in Italien sehr berühmt, und zum Sprichworte geworden.

Quelle:
Carl Burney's der Musik Doctors Tagebuch einer Musikalischen Reise. [Bd. I]: durch Frankreich und Italien, Hamburg 1772 [Nachdruck: Charles Burney: Tagebuch einer musikalischen Reise. Kassel 2003], S. 191-192.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Tagebuch einer musikalischen Reise
Tagebuch einer musikalischen Reise: Durch Frankreich und Italien, durch Flandern, die Niederlande und am Rhein bis Wien, durch Böhmen, Sachsen, Brandenburg, Hamburg und Holland 1770-1772