Rom.
Sonntags, den 11ten November.

[272] Nachdem ich mich ein bischen von meiner Reise aus Neapel ausgeruhet hatte, fieng ich meine Geschäfte zu Rom von neuem an.

Heute früh gieng ich in das Kloster der heil. Ursula, eine Nonne den Schleyer anziehen zu sehen. Die Gesellschaft war sehr zahlreich, und[272] bestund hauptsächlich aus den vornehmsten Leuten in Rom, welche alle im völligen Putze erschienen. Ich stund dicht bey dem Altare, wo ich die ganze Ceremonie sehen, und alles hören konnte. Der Gottesdienst fieng mit Lesung der Messe an, worauf der Kardinal Rossi in einem prächtigen Anzuge erschien, unterdeß daß die Orgel gespielt, und die Messe gesungen ward. Sowohl die Vocal- als Instrumentalmusik ward von den Nonnen und Klosterfrauen, welche auf der Orgelgallerie stunden, gesungen. Die Komposition war schön, aber ward schlecht aufgeführt; die Orgel war schlecht, und für dieß Orchester zu stark; die besten Spielerinnen waren in dem Kloster mit der innern Ceremonie beschäftigt, und die äusserliche ward in der Kapelle verrichtet.

Als der Kardinal das Meßgewand angezogen hatte, ward die Novitiatin von einer der vornehmsten Damen zu Rom in die Kapelle, und in einem äusserst prächtigen Anzuge zum Altare geführt. Ihr schönes Haar war hellbraun, und über den ganzen Kopf en tête de mouton frisirt. Ihr Kleid war von dem reichsten blauen Silbertuch, das ich je gesehen habe, mit gestickten oder gar maßiven Blumen. Sie trug einen hohen Kopfputz und einen kostbaren Schmuck von Diamanten; dabey hatte sie einen großen Reifrock an, und die Schleppe ihres Kleides war vollkommen zwey Ellen lang. Sie schien mehr ein artiges junges Frauenzimmer, als eine Schönheit zu seyn.[273] Als sie zuerst heraus kam, sah sie sehr blaß aus und mehr todt, als lebendig; sie machte eine sehr tiefe Verbeugung vor dem Kardinal, der in seiner Mitra und ganzen reichen Kleidung oben vor dem Altare saß, um sie zu empfangen. Sie fiel am Fuße des Altars auf die Knie, und blieb einige Zeit in solcher Lage, unterdeß daß die Ceremonie weiter fortgieng; sodann gieng sie zum Kardinal hinauf, der zu ihr sagte: Figlia mia, che domandate? Meine Tochter, was verlangen sie? Sie sagte, daß sie bäte, als Schwester des Ordens der heiligen Ursula aufgenommen zu werden. Haben sie wohl überlegt, sagte der Cardinal, was sie bitten? Sie antwortete ganz heiter, daß sie es gethan habe, und wisse, welchen Schritt sie thue. Darauf kniete sie noch einmal nieder, küßte des Kardinals Hände, und empfieng von ihm ein kleines Crucifix, welches sie gleichfalls küsste; darauf gieng sie wieder an den Fuß des Altars zurück, wo sie sich auf die Knie warf, unterdeß daß der Kardinal die Messe las, welche zugleich auf der Orgel gesungen ward. Hierauf folgte eine Predigt in italiänischer Sprache, und wie die vorbey war, führte der Kardinal die erwählte Nonne in das Kloster, wo man ihr allen ihren prächtigen Schmuck und weltliche Eitelkeiten auszog, und das Haar abschor. Sodann kam sie in ihrem geistlichen Anzuge an die Thür, um den weissen Schleyer zu empfangen, womit die Abtißinn sie in Gegenwart des Kardinals und der übrigen Zeugen bekleidete.[274]

Nach diesem allen ward noch eine schöne Musik schlecht aufgeführt. Die Orgel, welche die Instrumentalbegleitung und Ritornelle spielte, überschrie die Violinen, und that sehr schlechte Wirkung, ungeachtet sie gut gespielt ward.

Als die neue Schwester ihren Schleyer empfangen hatte, kam sie an die Thür des Klosters, um die Glückswünsche ihrer Freundinnen und der übrigen Gesellschaft zu empfangen. Doch gieng sie noch vorher mit einer brennenden Wachskerze im Kloster herum, alle Nonnen zu begrüssen, die gleichfalls Wachskerzen in ihren Händen hatten. Als sie mit niedergeschlagenem Schleyer an der Thür stund, trat ich mit den übrigen Zuschauern näher zu ihr, und fand, daß sie weit schöner war, als ich vorher gedacht hatte. Sie hatte einen lieblichen Mund, und die schönsten Zähne von der Welt, lebhafte funkelnde Augen und freye Gesichtszüge; man würde sie allenthalben für ein sehr schönes Frauenzimmer gehalten haben; allein so wie sie hier erschien, war sie eine Schönheit. Am Altare veränderte sich ihr Gesicht verschiedenemal, zuerst ward sie blaß, und dann roth, sie schien beängstigt, und war in Gefahr entweder in Thränen auszubrechen, oder ohnmächtig zu werden; doch ward ihr besser, ehe die Ceremonie vorbey war, und sie nahm an der Klosterthür gewissermassen eine heitere freudige Mine an, sprach mit verschiedenen von ihren Freundinnen und Bekannten, und schien der Welt heldenmüthig zu entsagen. – So endigte sich dieß Menschenopfer![275]

Nach Tische gieng ich in die Chiesa nuova, ein Oratorium in dieser Kirche zu hören, wo die heiligen Dramen zuerst entstanden sind. Es sind zwey Emporkirchen darin; auf der einen steht eine Orgel, und auf der andern ein Flügel. Die Kirchenmusik fieng auf der ersten mit den Frühmetten in vier Stimmen alla Palestrina an; darauf folgte ein Salve Regina, à voce sola, und darauf Gebete, nach welchen ein kleiner etwa sechsjähriger Knabe auf die Kanzel stieg, und eine Rede gleich einer Predigt hielt, die er auswendig gelernet hatte, und welche durch die Person, die den Vortrag unternommen hatte, würklich lächerlich ward. Nach dieser Predigt ward das Oratorium Abigail, welches Sgr. Casali gesetzt hatte, aufgeführt. Dieß Drama hatte vier Personen, und bestund aus zwey Theilen. Die beyden ersten Sätze der Anfangssymphonie gefielen mir ungemein, der letzte aber durchaus nicht. Es war, nach itziger Mode, eine Menuet, die in die gemeinste Gique ausartete. Diese Geschwindigkeit, womit die Menuetten aller neuern Symphonien vorgetragen werden, macht sie in einer Oper schon unangenehm; allein in der Kirche sind sie völlig unschicklich.115 Das übrige von dieser Musik[276] war ganz artig, ob man es gleich schon sonst gehört hatte; denn ob es gleich weder neuer Melodien noch neuer Modulationen sich rühmen konnte, so war doch nichts gemeines darin.

Sgr. Cristofero sang die Hautstimme sehr schön in Guarducci's sanfter, feiner Manier. Er machte ein Paar vortrefliche Cadenzen, die aber fast zu lang waren; dieser Fehler aber ist durch ganz Rom und Neapel gewöhnlich, wo eine so weit getriebene Ueppigkeit in den Cadenzen aller Sänger herrscht, daß sie allemal langweilig und oft eckelhaft sind. Selbst die Cadenzen großer Sänger sollten abgekürzt werden, und die der Sänger von niedrigerm Range bedürfen nicht nur einer Verkürzung, sondern auch einer Verbesserung. Wenige auserlesene Noten, denen man viel Bedeutung und Nachdruck einprägte, sind das einzige, was eine Cadenz erwünscht machen kann, die nehmlich etwas Höheres, als man vorher in der Arie gehört hatte, enthalten soll, widrigenfalls sie lästig wird. Dieser Misbrauch im Cadenzenmachen, ist eben nicht alt; denn in einer Oper des ältern Scarlatti, welche er 1717 gesetzt hat, ist keine einzige Stelle, wo eine Cadenz ad libitum Statt fände.

Zwischen den beyden Theilen dieses Oratoriums hielt ein Jesuit von eben der Kanzel, wo[277] das Kind ausgetreten war, eine Predigt. Ich blieb, um das letzte Chor zu hören, welches, ungeachtet es vom Papiere abgesungen ward, dennoch so leicht und unbedeutend war, als ein Opernchor, welches auswendig gelernt werden muß. Ein wahres Oratorienchor, nach händelischer Art mit Instrumenten begleitet, habe ich, so lange ich in Italien gewesen bin, nur selten gehört. Als diese Musik vorbey war, gieng ich, meiner Gewohnheit nach, in des Herzogs von Dorset Concert.


Montags, den 12ten.

Ich besuchte die päbstliche oder Sixtinische Kapelle, und da eben kein Gottesdienst gehalten ward, so erhielt ich Erlaubniß, allenthalben hinzugehen, welches ich aus verschiedenen Ursachen gern that. Erstlich, weil dieß der Ort war, wo das berühmte Miserere von Allegri aufgeführt wird; zweytens, weil hier die Kirchenmusik zuerst entstund, und zu ihrem höchsten Grade der Vollkommenheit gebracht ward; und drittens, wegen des wundernswürdigen Altarstücks. Dieß Gemählde vom jüngsten Gerichte ist das größte Werk des Michel Angelo, und vielleicht der Kunst überhaupt. Nichts kann schrecklicher und erstaunender seyn, als die Gedanken und Figuren, welche seine schwarze Einbildungskraft hervorgebracht hat: weder das Inferno des Dante, noch die Miltons Hölle kann etwas schrecklichers[278] hervorbringen. Allein dieß erstaunliche Werk ist sehr verbleicht, und von der Decke, welches eben dieser Mahler verfertiget hat, ist an manchen Orten der Kalk ein Paar Fuß breit abgefallen. Die Wände hat von Pietro Perugino gemahlt, und dieß sind die besten Gemählde, welche ich von diesem berühmten Meister des göttlichen Raphael gesehen habe.

Ich gieng in das Orchester mit ehrfurchtsvoller Begierde, den Ort zu sehen, der den Werken des Palestrina heilig ist. Es scheint kaum groß genug für dreyßig Personen, welches die ordentliche Zahl der Sänger in der päbstlichen Kapelle ist, und doch werden bey hohen Festen noch Ueberzählige hinzugethan. Itzt war in dem Orchester nichts, als ein großer hölzerner Tisch für die Partitur des Kapellmeisters, und hinten und zur Seiten Marmorbänke. Es liegt rechter Hand, wenn man auf den Altar zugehet, dem päbstlichen Thron gegen über, welcher auf der andern Seite nahe am Altare liegt. An beyden Seiten der Kapelle sind abgesonderte Sitze für die Cardinäle, und Plätze zum Stehen für die fremden Abgesandten, noch innerhalb des Gitterwerks, das dem Altare gegen über ist. Andere Fremde werden niemals hineingelassen, ausser den Spielern, welche während des Gottesdienstes in das Orchester kommen dürfen. Die Ballustrade, welche vergoldet ist, scheint ein Drittheil der ganzen Kapelle einzunehmen, welche aber auch, so hoch und prächtig sie ist, sehr[279] bestäubt und lange nicht reparirt ist. Der Fußboden ist von schöner mosaischer Arbeit in Marmor.

Von hier gieng ich in die paulinische Kapelle, welche nur einmal des Jahrs gebraucht wird, da sie mit vielen tausend Lampen erleuchtet ist.

Des Nachmittags hatte ich das Vergnügen, meinen lieben Freund Santarelli zu sehen, der nicht nur sehr geschäftig gewesen war, musikalische Merkwürdigkeiten für mich in meiner Abwesenheit von Rom, aufzusuchen, sondern auch verschiedene Leute gebraucht hatte, sie abzuschreiben. Der Abt Elie hatte in der vatikanischen Bibliothek eben das gethan, und der Cavalier Piranesi, einige Engländer, die meine Freunde waren, und verschiedene geschickte Antiquarien und Künstler hatten fleißig auf dem bassi rilievi, und den besten antiken Bildhauereyen alte musikalische Instrumente aufgesucht, und für mich abzeichnen lassen, damit sie bey meiner Rückreise zu Rom fertig wären. Sgr. Santarelli hatte die Gütigkeit, mich nach des Cavaliers Battoni Hause zu begleiten, wo seine Schülerinn Signorina Battoni mit aller Simplicität und wahrem Ausdrucke der Leidenschaften einige Arien von Hasse, Galuppi, Traetta und Piccini sang.

Von hier gieng ich in ein großes Concert, welches in dem Hause des Rußischen Generals Schuwalov war, und beynahe hätte ich hier geglaubt,[280] ich wäre in London; denn drey oder vier Personen ausgenommen, bestund die ganze Gesellschaft, welches etwa dreyßig Edelleute, Herren und Damen waren, aus Engländern. Die kleine Miniatrice Bicchelli sang daselbst, und noch eine andere Sängerinn; die erste sang sehr gut, und die andere wird es mit der Zeit auch. Bey den Instrumenten war nichts merkwürdiges.


Donnerstags, den 13ten.

Ich hatte nur wenig Zeit übrig, in die kleine schöne Kirche S. Andrea della noviciata zu gehen, welche Bernini gebauet hat, und woselbst Musik war, die Orisicchio gesetzt hatte, und Nicolai dirigirte; allein ungeachtet ich nur einige Minuten blieb, hörte ich doch eine Symphonie oder Overtur und ein Chor a due cori, welche vortreflich waren.116


Freytags, den 16ten.

Als ich heute früh Sgr. Santarelli besuchte, so fand ich einige von seinen Mitsängern in der päbstlichen Kapelle, unter andern war Sgr. Pasquale Pisari da, der das Original einer Partitur von einer Messe mit sechszehn obligaten Stimmen bey sich hatte, welche voller Kanons, Fugen[281] und Nachahmungen war. Nie habe ich eine gelehrtere, sinnreichere Komposition dieser Art gesehen. Palestrina schrieb nur für acht obligate Singstimmen, und wenige haben nur so vielstimmig mit Glück geschrieben; allein diese Zahl verdoppeln, das heißt, die Schwierigkeiten unendlich mehr als verdoppeln. So wie man über drey Stimmen hinaus ist, wird es immer schwerer eine neue hinzuzuthun; alles was man bey dieser Gelegenheit thun kann, besteht darin, daß man sich an eine simple Melodie und Modulation hält, und die Stimmen so viel möglich in der gegenseitigen, oder wenigstens in der ungleichen Bewegung zu erhalten sucht. In Sgr. Pisari's Komposition war alle Art von Erfindung glücklich angebracht. Bald antworten oder nachahmen sich die Stimmen je zwey und zwey; bald sind die Subjekte in einigen Stimmen umgekehrt worden, unterdeß daß die ordentliche Melodie in den übrigen fortgeht. Vor ein Paar Jahrhunderten wären dem Verfasser einer solchen Komposition Ehrensäulen errichtet worden; allein itzt würde es eben so schwer seyn, sechszehn Leute zu finden, die Geduld genug hätten, sie anzuhören, als so viele gute Sänger an einen Orte, die sie aufführen könnten. Ausser den Singstimmen hat diese Messe noch die Begleitung einer Orgel, welche oft ein ordentliches Subjekt, das von dem übrigen verschieden ist, ausführt. Der Grund des ganzen Werks ist canto fermo welcher in einigen Sätzen ein Subjekt zur Nachahmung wird, und durch alle Stimmen[282] fortgeht. Ueberhaupt muß man gestehen, daß die Komposition dieses Werks, welches aus vielen verschiedenen Sätzen bestehet, und ziemlich lang ist, allein schon die ganze Lebenszeit eines Menschen habe erfodern können, und daß der Verfasser mit Recht Lob und Bewunderung verdiene, sollten auch einige glauben, daß mehr Geduld, als Genie dazu gehöre.

Während dieses Besuchs, welches der letzte war, den ich bey Sgr. Santarelli abstattete, waren er und seine Collegen aus der päbstlichen Kapelle so gütig, verschiedene schöne Kompositionen von Palestrina, Benevoli und Allegri zu singen, um mir von der delikaten ausdrucksvollen Art, womit sie in der Kapelle Sr. päbstlichen Heiligkeit gesungen werden, einen rechten Begriff zu machen.

Des Nachmittags gieng ich in Sgr. Crispi's Accademia; ich kam zu spät, unterdeß daß einige neue Quartetten von seiner Arbeit gespielt wurden; allein er war so gefällig, und bat die Musiker, noch einmal von vorne anzufangen, und so alle sechs durchzuspielen. Mir deucht, daß diese Stücke sehr viel Gutes haben, und seinen übrigen Werken weit vorzuziehen sind.


Sonntags, den 18ten.

Heute früh gieng ich mit Herrn Wysemann in die Kirche des heil. Johannes im Lateran,[283] welches die älteste Kirche der Christenheit ist.117 Ich hörte hier die hohe Messe in der Colonna-Kapelle, welche von zwey Chören gesungen, und von Sgr. Colista, dem berühmten Organisten dieser Kirche auf einer kleinen beweglichen Orgel gespielt ward. Die Komposition war von Sgr. Casali, Maestro di Capella, welcher auch gegenwärtig war und den Takt schlug. Nach geendigter Messe ward ich sowohl ihm als Sgr. Colista vorgestellt. Als ich Leztern bat, mich die große Orgel hören zu lassen, so bewilligte er mir diese Bitte mit der Bedingung, daß Monsignor il Prefetto der Kirche um Erlaubniß gebeten würde; welche Ceremonie deswegen nöthig ist, weil das Werk einmal durch die Bosheit oder Unwissenheit eines Fremden, der darauf spielte, Schaden gelitten hatte. Sgr. Casali gieng so gleich zu ihm, und erhielt die Erlaubniß.

Sgr. Colista führte mich auf die große Orgel, machte mir das Gehäuse auf, und zeigte mir den ganzen innern Bau dieses berühmten Werks.[284] Es ist eine zwey und dreyßigfüßige Orgel, und die größte in Rom. Sie ward 1549 gebauet, und ist seitdem zweymal ausgebessert worden; einmal 1600 von Luca Blasi Perugino; und zum zweytenmale vor einigen Jahren unter der Aufsicht des itzigen Organisten. Sie hat sechs und dreyßig Register, zwey Manuale, große Octave, und geht unten bis Contra: f, und oben bis drey-gestrichen c. Sie hat auch ein Pedal, worauf Sgr. Colista sehr geschickt ist. Seine Art, dieß Instrument zu behandeln, scheint der wahre Orgelstyl, wiewohl sein Geschmack etwas altmodig ist. Ich muß gestehen, daß der Orgelstyl sich in Italien besser erhalten hat, als bey uns; weil der Flügel zu wenig gespielt und geachtet wird, als daß die Art, ihn zu spielen, sich der Orgel bemeistern könnte. Sgr Colista spielte verschiedene Fugen, worin das Pedal oftmals das Thema recht meisterhaft mitspielte. Doch es scheint fast, als wenn jede musikalische Tugend an eine Ausschweifung gränzte; denn diese Spielart schließt alle Grazie, Geschmack und Melodie aus118;[285] dagegen die leichte, durchsichtige Manier des Flügels alles Sostenuto und allen Reichthum der Harmonie und Erfindung zerstört, deren dieß göttliche Instrument so vorzüglich fähig ist.[286]

Es ist sehr sonderbar, daß die Schwellung bis itzt in Italien ganz unbekannt geblieben ist, da man sie doch seit mehr als funfzig Jahren bey den englischen Orgeln angebracht hat, und da sie den Ausdruck so sehr befördert, und so angenehme Wirkung thut, daß man sie mit Recht für die beste Verbesserung halten mag, welche jemals an einem Clavierinstrumente ist gemacht worden.119[287]

Die Tastatur der Orgel, welche unsre Orgelbauer so sehr verbessert haben, bleibt noch immer so schwer und lärmend, als sie vor Zeiten war; und ich muß bey dieser Gelegenheit bemerken, daß die meisten Orgeln, welche ich auf dem festen Lande angetroffen habe, unsre von Pater Smith, Byfield oder Snetzler gebauten Orgeln in keinem Stücke, als in der Größe übertreffen. Wie die Kirchen oftmals unermeßlich groß sind, so sind es auch die Orgeln; zwar wird der Ton durch den Raum und die Entfernung etwas gemildert und verfeinert; allein wenn man ihn in der Nähe hört, so klingt er rauh und lärmend. Ungeachtet die Anzahl der Register in diesen weitläuftigen Werken sehr groß ist, so sind sie doch weniger Verändrung fähig, indem es meistentheils Verdoppelungen unter einander im Einklange oder in der Octave sind, Z.E. die acht und vierfüßigen Duodena, Quintadena und Hohlflöten. Daher sind in unsern Orgeln nicht nur der Anschlag und Ton leichter und angenehmer, sondern auch die Register zu Nachahmungen übertreffen die in den auswärtigen Orgeln, welche ich gesehen habe, bey weiten.

Gleich nach dem Mittagsessen gieng ich in die Peters Kirche, wo eine große Funzione wegen ihres Einweihungs-Festes war. Kardinal York, von verschiedenen Bischöfen begleitet, verrichtete den Gottesdienst in der Vesper. Mazzanti und Cristofero sangen, ausser einigen Ueberzähligen[288] und dem ganzen Chore. Der fette Giovanni, welcher sowohl seines Violonschellspielens wegen berühmt ist, als auch weil er einer von den Kapellmeistern der Peterskirche ist, schlug den Takt. Die beyden obgemeldeten Sänger hatten die Soloparthien, welche sie ungemein schön sangen; die Chöre wurden von zwey Chören und zwey Orgeln vortreflich aufgeführt. Ein Theil der Musik war von Palästrina, der andere von Benevoli; das übrige war neu, aber in einem ernsten, majestätischen Style geschrieben. Nie habe ich, ausgenommen in der päbstlichen Kapelle, eine Kirchenmusik besser aufführen hören. Es waren keine Instrumente dabey, als zwey Orgeln, vier Violonschelle, und zwey Violons. Die beyden Chöre sangen einige Fugen und einige dialogirte Nachahmungen, welche vortrefliche Wirkung thaten. Die Musik ward in der großen Canonical- oder Winterkapelle aufgeführt, in welcher die größte Orgel der Peterskirche steht.120

Cardinal York las des Morgens gleichfalls vor einer großen Versammlung die Messe.

Diesen Abend gieng ich, das Oratorium Jonathan zu hören, in die Chiesa nuova; allein da es weder gut gesetzt, noch gut gesungen war,[289] so gieng ich aus dieser Musik weg, um eine andere in der Kirche S. Girolamo della Carità zu hören, welche bloß aus drey Personen bestund. Dieß Oratorium hieß: das Urtheil des Salomo. Der Tenorist darin war vortreflich, er hatte vielen Geschmack und eine ausserordentliche Leichtigkeit in geschwinden Sätzen. Ein Castrat, welcher die Rolle der einen Mutter sang, hatte einen angenehmen Ton der Stimme und eine gefällige Manier. Die Geschichte scheint einer musikalischen Bearbeitung ungemein fähig zu seyn: der Ernst des Richters; die Gleichgültigkeit der falschen Mutter; die Zärtlichkeit der wahren sind jeder besondern musikalischen Farben und Ausdrucks fähig. Die Musik, welche ganz gut war, hatte einen jungen Komponisten zum Verfasser, der sich selbst dazu erboten hatte, um Gelegenheit zu haben, seine Talente zu zeigen. Er hieß Giuseppe Maria Magherini.


Dienstags, den 20sten.

Heute früh gieng ich in die berühmte todinische Gallerie in dem verospischen Pallaste. Alle Beschreibungen von Rom sind voll vom Lobe dieser musikalischen Gallerie, oder wie man sie zu nennen pflegt, Gallerie der Instrumente; allein nichts beweist die Nothwendigkeit selbst zu sehen mehr, als diese Nachrichten. Die hiesigen Instrumente können seit vielen Jahren nicht mehr seyn gebraucht worden; allein wenn etwas einmal[290] als eine Merkwürdigkeit in eine Reisebeschreibung gerathen ist, so wird es von den Nachschreibern ohne weitere Untersuchung, beständig fort dafür ausgegeben.

Es befindet sich ein dem Ansehen nach sehr schöner Flügel daselbst, auf welchem aber kein Ton anspricht: er war vordem mit der Orgel mit zwey Spinetten und einem Virginal, die in demselben Zimmer stehen, verbunden; unten an dem Flügel ist ein Bratschen- und Violonschellzug, den man mit dem Fuße anzieht, und vermittelst des ordentlichen Claviers spielt. Die Orgel ist vorn im Zimmer, nicht aber zur Seiten, wo Pfeiffen und Maschinen eingeschlossen zu seyn scheinen; allein weil der alte Cicerone eben gestorben war, so konnte es uns niemand aufschliessen oder erklären.


Mittwochs, den 21sten.

Heute früh gieng ich in das Kirchersche Museum, welches um die Mitte des vorigen Jahrhunderts von dem berühmten Pater Kircher, dem Verfasser der Musurgie und verschiedener andern sonderbaren und gelehrten Werke, ist gestiftet worden. Herr Morrison, der mir die Erlaubniß verschafft hatte, es zu sehen, war so gütig, mich dahin zu begleiten. Das Museum zeigte uns ein junger Jesuit aus Irland, Pater Plunket, der, wie mir deucht, auch ein junger Antiquar ist; allein Herr Morrison, der ohne[291] Zweifel einer der besten, scharfsinnigsten Antiquaren zu Rom ist, half ihn bey manchen Dingen zurecht. Alte Gemählde, Urnen, Vasen, Juwelen, Gemmen, Cameen und andere Alterthümer giebt es hier in solcher Menge, daß ich zu Portici zu seyn glaubte; allein die Merkwürdigkeiten, welche ich hier vornehmlich sehen wollte, waren Pater Kirchers musikalische Instrumente und Maschinen, welche er in seiner Musurgia beschrieben hat. Sie sind itzt alle in Anordnung; allein ihre Einrichtung ist würklich merkwürdig, und ein Beweis, sowohl von der Erfindungskraft als dem Eifer dieses gelehrten Jesuiten bey seinen musikalischen Untersuchungen und Erfindungen.

Da ich itzt Rom zum zweytenmale besuchte, nahm ich auch die Schauplätze, deren sieben oder acht sind, in Augenschein; die vornehmsten sind: Argentina, Aliberti, Pordinone und Capranica: die ersten beyden sind sehr weitläuftig, und bloß ernsthaften Opern gewidmet. Das pordinonische Theater wird zu Lust- und Trauerspielen gebraucht; und das Capranica-Theater zu komischen Opern.

Die öffentlichen Schauspiele sind in Rom bloß in der Carnevalszeit erlaubt, welche vom siebenden Januar bis Aschermittwochen währet; auch darf nie ein Frauenzimmer die Bühne betreten, und die weiblichen Charaktere werden von Castraten, und zwar oftmals wegen der Schönheit ihrer[292] Stimme und Figur so gut vorgestellt, daß manche, die von diesem Verbote nichts wissen, dadurch hintergangen werden.

Rom ist der gefährlichste Posten für einen Komponisten, weil die Römer die eigensinnigsten Richter der Musik in Italien sind. Die Kabale und der Partheygeist sind hier auch weit stärker, als anderswo. Man glaubt gewöhnlich, daß ein Komponist oder Spieler, der in Rom glücklich ist, von der Strenge der Kritiker in andern Städten nichts zu fürchten habe. Im Anfange einer Oper währt das Geschrey und das Beyfallrufen oft eine lange Zeit, ehe man eine Note hören kann. Ein Lieblingskomponist wird mit jauchzendemBravo! Signor Maestro, viva Signor Maestro! empfangen. Wenn die Zuschauer einen Komponisten verwerfen, so geschieht es ausdrücklich mit Ausnahme des Sängers, indem sie, wenn sie ausgezischt haben, rufen: Bravo pure il Guarducci; und im Gegentheil, wenn der Sänger bey der Ausführung einer Arie von einem guten Komponisten misfällt, so ruft man, nachdem der Sänger ausgezischt worden: Viva! pure il Signor Maestro.

Ich verließ sehr ungern diese ehrwürdige Stadt, welche Fremden eben sowohl wegen des ungezwungenen gesellschaftlichen Umganges mit den Einwohnern und unter sich selbst, als wegen der unzähligen Merkwürdigkeiten, die darin zu sehen sind, ungemein angenehm ist.[293]

Dies ist die Nachricht von dem Zustande der Musik in den vornehmsten Städten Italiens. Es sind ausserdem noch manche Oerter, welche ich entweder nicht besuchen konnte, oder wo ich mich zu kurze Zeit aufhielt, als daß ich viel Nachrichten hätte sammlen können. Doch scheint folgendes noch merkwürdig zu seyn. In Loretto ist eine ansehnliche Musikschule; zu Siena sind merkwürdige Missalen; zu Pisa ist die Musik in einem blühenden Zustande, wie mir Herr Lidarti, der daselbst wohnt, erzählt hat; Sgr. Gualberto Brunetti ist Kapellmeister an der Domkirche, und Gherardeschi, Renzini, Lidarti und Corrucci sind bekannte Komponisten in dieser Stadt.

In Perugia hat Sgr. Zanetti sich lange Zeit aufgehalten; allein er verlohr neulich seine Stelle als Kapellmeister der dasigen Hauptkirche, weil er auf dem Albertischen Theater als Sänger in einer Oper aufgetreten war, die er selbst gesetzt hatte, und zwar bloß, um die Stelle des ersten Tenoristen, der weggelaufen war, zu ersetzen, und zu hindern, daß das Stück nicht unausgeführt bliebe. Er hat seitdem ein schönes Frauenzimmer geheyrathet, und wird vermuthlich dadurch für den Verlust seiner Stelle schadlos gehalten.

Zu Parma ist Sgr. Poncini Komponist bey der Hauptkirche, und Sgr. Colla bey dem Fürsten; Sgr. Ferrara, ein Bruder des berühmten Violonspielers und selbst ein ungemein geschickter Violonschellist;[294] imgleichen der berühmte Sänger Bastardella und Sgra. Roger, eine starke Flügelspielerinn, ehmalige Hofmeisterinn der Prinzeßinn von Asturien, werden alle von dem Hofe besoldet. Das Theater zu Parma ist das größte in Europa; es kann viertausend Menschen fassen, und unter der Bühne ist hinlänglich Wasser, einen großen Fluß oder eine Seeschlacht vorzustellen; doch ist seit dem Tode des vorigen Herzogs nicht darin gespielt worden.121

Als ich nach Genua kam, fand ich daselbst keine andere Musik, als ein Intermezzo, worin Piotti, ein junger Sänger, der eben von England zurückgekommen war, die erste Rolle hatte.

Vielleicht mögte man wegen der Menge musikalischer Institute und der aufgeführten Musiken, die Italiäner beschuldigen, daß sie die Musik, bis zur Ausschweifung liebten; allein wer sich nur kurze Zeit in einer von ihren Hauptstädten aufhält, wird bald merken, daß andere Künste und Wessenschaften nicht vernachläßiget werden: und wenn man auch selbst das Land durchreiset, so sieht man, (einen Theil des Kirchenstaats ausgenommen) daß die natürliche Fruchtbarkeit des Bodens nicht die einzige Ursache des Ueberflusses an Lebensmitteln ist; denn ich mögte behaupten daß durch die ganze Lombardey und Toscana der Ackerbau so geschickt und lebhaft getrieben wird, daß ich nie, so viel ich mich erinnern kann, Ländereyen besser angebauet[295] oder weniger habe braach liegen sehen. Die Armen werden freylich unterdrückt, und durch die harte Regierung entnervet; aber waren sie es weniger unter ihren gothischen Tyrannen, da Künste und Wissenschaften bey ihnen nicht nur vernachläßigt, sondern so gar ausgerottet wurden? Vielleicht mag die Kultur der Künste des Friedens eben so viel zu der Glückseligkeit der itzigen Einwohner Italiens, so wie der übrigen Welt, beytragen, als die Eroberung ganzer Königreiche ihre kriegerischen Vorfahren beglückte, welche alle ihre Zeit und Talente, so bald sie nicht beschäft waren, einander die Hälse zu brechen, bloß dazu anwendeten, das menschliche Geschlecht auszuplündern und zu Sclaven zu machen.

Allein gegenwärtig wird die Musik in ganz Europa für ein Bedürfniß gehalten; und wenn man solche einmal haben muß, warum soll sie denn nicht auch vortreflich seyn? Man kann die vorzügliche Schönheit der italiänischen Musik wohl nicht füglich auf Rechnung der großen Anzahl künstlich gemachter Stimmen setzen, woran Italien, gar nicht zu seiner Ehre, einen solchen Ueberfluß hat; denn die Vokalmusik erscheint itzt in ihrem höchsten Punkte der Vollkommenheit, in den venetianischen Conservatorien, woselbst man nur natürliche, weibliche Stimmen zu hören bekommt. Das größte Verbrechen, dessen die Italiäner schuldig zu seyn scheinen, bestehet also darin, daß sie sich unterstanden haben, zu ihrer[296] sanftern Sprache eine Art von Musik zu erfinden, die delikater und verfeinerter ist, als der Ueberrest von Europa von der seinigen rühmen kann.

Es ist Zeit, meine Nachricht von dem gegenwärtigen Zustande der Musik in Italien zu schliessen, wobey ich meine Besorgniß nicht verbergen kann, daß meine Leser solche für ein wenig weitschweifig halten werden, weil ich, nachdem ich mein Tagebuch wieder durchgesehen, zu meinem Misvergnügen bemerke, daß das Gewebe meiner Erzählung immer lockrer wird, je weiter ich in dieses Land hinein gekommen bin; denn in dem Verhältnisse, als ich mehr zu sehen und zu hören hatte, fehlte mir die Zeit zum Ueberlegen und Schreiben. Ich zweifle würklich, ob eine bloße Geschichtserzählung von musikalischen Ausführungen dem Leier ein sonderliches Vergnügen machen werde; denn diese sind sich einander so ähnlich, daß eine Beschreibung der einen, in vielen Umständen wenigstens, eine Beschreibung der andern ist; so daß eine umständliche Erzählung von Dingen, die vielleicht an sich selbst nicht einmal sehr anziehend sind, selbst Trotz der Abwechslung, langweilig seyn mag. Alles, was ich zu meiner Entschuldigung anzuführen habe, ist, daß meine Erzählungen getreu sind, und daß, wenn die Oerter, durch welche ich gereiset bin, mehr Unterhaltendes geliefert hätten, ich solches dem Publikum mitgetheilet haben würde.[297]

Nach einer sehr beschwerlichen und gefährlichen Reise über die fürchterlichen Alpen, und durch Provence und Languedoc, während welcher ein unaufhörlicher Regen die Wege aufs äusserste verdarb, langte ich den 3. December, auf meiner Rückkehr zu Lyon an. Ich besuchte hier das Theater, und meine Ohren litten itzt mehr als jemals vom Anhören französischer Musik, nachdem ich an die vortreflichen italiänischen Arbeiten gewöhnt worden war. Nach der Eugenie, einem ganz artigen Drama, führte man eine Operette von der Komposition des Herrn Gretry auf: Silvain. In der Musik waren manche hübsche Stellen, sie ward aber so elend gesungen, mit einem so falschen Ausdrucke, mit einem so erzwängten Geschrey, mit einem solchen Getrillere, daß mir fast übel dabey ward.

Ich bemühte mich auf dem Wege, zu entdecken, durch was für Mittelstuffen die Franzosen zu diesem äussersten Verderben in ihrem musikalischen Ausdrucke gelangen; und ich finde, daß man solche nicht auf einmal antrift, wenn man von den Alpen kommt. In Provence und Languedoc sind die Liedermelodien der Landleute mehrentheils recht hübsch; ich beredete einige, an dem Orte, wo ich still hielt, mir etliche vorzusingen, welches sie mit einer natürlichen und ungekünstelten Art thaten. Ihre Gesangsweisen sind nicht so wild, als die Schottischen, wie sie denn auch nicht so alt sind; dennoch glaube ich fast, daß die Melodien[298] in Provence und Languedoc älter sind, als irgendwo andere, die noch vorhanden, und auf das System des Guido geschrieben sind.

Von Lyon reisete ich Nacht und Tag durch nach Paris, woselbst ich den 8. December eintraf. Allein, ich will meine Leser nicht länger mit Anmerkungen über die französische Musik aufhalten, deren Ausdruck von keinem andern Volke in Europa, als den Franzosen selbst, wie bekannt, leidlich gefunden wird. Gleichwohl ist es bey diesem scheinbar harten Urtheile billig, daß man einräume, daß die Franzosen die mechanischen Regeln des Contrapunkts eben so lange gekannt haben, als irgend eine andere Nation in Europa; und daß sie gegenwärtig, durch Hülfe des Systems, und der Anweisung zum Generalbasse vom Herrn Rameau, recht gute Beurtheiler der Harmonie sind. So muß man auch einräumen, daß sie lange Zeit im Besitze der ungekünstelten und angenehmen provenzalischen und languedockischen Melodien gewesen sind, zu welchen sie noch täglich die artigsten Verse machen, um in Gesellschaften gesungen zu werden; in welchem geselligen Gesange sie den Vorzug vor allen andern Völkern auf dem Erdboden haben; und daß sie auch itzt das Verdienst haben, in ihren komischen Opern die Musik der italiänischenBurlette mit vielem Glücke nachzuahmen; wie auch, daß sie in der poetischen Komposition dieser musikalischen Lustspiele, nicht allein die Italiäner, sondern vielleicht alle übrigen Nationen, weit hinter sich zurücke lassen.[299]

Während meines letzten Aufenthalts zu Paris, hatte ich die Ehre, mich mit verschiedenen Gelehrten von der ersten Klasse zu besprechen, deren ofnes und höfliches Betragen gegen mich meinen aufrichtigen und öffentlichen Dank verdient; und ich kann dem Reize nicht widerstehen, zwey unter ihnen ganz vorzüglich zu nennen, nehmlich die Herren Diderot und Rousseau. Mit dem Herrn Diderot hatte ich das Glück öfters zu sprechen, und es freuet mich, zu finden, daß unter allen Wissenschaften, welche sein großes Genie und seine weitläuftige Gelehrsamkeit umfasset, keine ist, um die er sich angelegentlichere Mühe giebt, als um die Musik. Mademoiselle Diderot, seine Tochter, ist eine der besten Flügelspielerinnen in Paris, und für ein Frauenzimmer besitzt sie ungewöhnlich viele Kenntniß von der Modulation; indessen, ob ich gleich das Vergnügen gehabt habe, sie verschiedene Stunden zu hören, so hat sie doch platterdings nichts von französischer Komposition gespielt, sondern alles war italiänische und deutsche Arbeit; und hieraus läßt sich leicht auf des Herrn Diderots Geschmack in der Musik schließen. Er nahm so warmen Antheil an meinem Vorsatze, die Geschichte seiner Lieblingskunst betreffend, daß er mich mit vielen von seinen eignen Handschriften beschenkte, welche einen Folianten über diese Materie ausmachen würden. Diese von einem solchen Schriftsteller, halte ich für unschätzbar. »Da, nehmen sie hin, (sagte er) ich weiß nicht, was sie enthalten; ist etwas darin, daß ihnen zu[300] ihrem Zwecke dienlich seyn kann, so brauchen sie es in ihrem Werke, als ob es ihr Eigenthum wäre; wo nicht, so werfen sie es ins Feuer.« So redlicher Weise indessen diese Papiere in meine Hände gekommen sind: so werde ich mich doch für verbunden achten, nicht allein Herrn Diderot, sondern auch dem Publikum Rechenschaft davon abzulegen.

Meine Bekanntschaft mit dem Herrn Rousseau zu Paris betrachtete ich als eine besonders glückliche Ergänzung meiner persönlichen Verbindung mit dem gelehrten und witzigen Köpfen des festen Landes. Ich war so glücklich, eine ziemlich lange Zeit mit ihm über die Musik zu reden; eine Kunst, die von seiner Feder so viele Verschönerungen erhalten hat, daß auch ihre trockensten Theile unter seiner Bearbeitung, sowohl in der Encyclopedie, als in seinem musikalischen Wörterbuche, etwas Anziehendes erhalten haben. Er überlas meinen Plan mit vieler Aufmerksamkeit, und sagte mir über jeden Artikel seine Meynung. Hierauf erkundigte er sich nach verschiedenen italiänischen Komponisten von seiner Bekanntschaft, und schien vielen Antheil an dem gegenwärtigen Zustande der Musik in Italien zu nehmen, wie auch an allen dem, was ich als einen Vorrath zu meinem künftigen Werke gesammlet hatte.


[301] * * *


Der Leser dieses Tagebuchs wird nunmehr in den Stand gesetzet seyn, sich nicht allein einen Begriff von dem Zustande der Musik in den Ländern zu machen, durch welche ich gereiset bin, sondern auch von den Gelegenheiten, womit ich begünstiget worden, die Bibliotheken und Gelehrte über alles das zu Rathe zu ziehen, was in meiner künftigen Geschichte als das Zweifelhafteste und Merkwürdigste vorkommen kann. Ich habe einiger von den Materialien erwähnt, die ich zusammen gebracht habe, und zu diesen können noch die andern hinzu gerechnet werden, an denen ich schon manches Jahr in England gesammlet, und fast vier hundert Bände rarer Bücher über die Musik, die ich mir auswärts angeschaft habe. Gleichfalls habe ich in jeder großen Stadt, die ich auf dem festen Lande besucht habe, eine Correspondenz verabredet, vermittelst welcher ich hoffen kann, von Zeit zu Zeit mit den neuesten Nachrichten die Musik betreffend versorgt zu werden, wie auch mit solchen Entdeckungen, welche zur Aufklärung der Alten etwas beytragen können; und dabey bin ich überzeugt, daß kein Ort reichhaltiger an Männern von gesunder Gelehrsamkeit, oder Sammlern von seltnen Kompositionen, und guten und zu meinem vorhabenden Werke nöthigen Materialien ist, als mein Vaterland. Ich hoffe ergebenst, daß auch diese mich mit ihrem Rathe und Beytrage beehren werden.[302]

Bey allen diesen Hülfsmitteln wird mich dennoch die Hochachtung gegen das Publikum, gegen die Kunst, von der ich schreibe, und auch gegen mich selbst abhalten, den Druck zu übereilen. Eine Geschichte, wie diejenige ist, die ich vorhabe, muß unvermeidlicher Weise ein Werk der Zeit seyn. Denn ausser der Arbeit, aus den seltensten und besten Büchern und Handschriften Auszüge zu machen, und mit den erfahrensten Künstlern und Theoretikern zu referiren, erfodert das Auswählen, Verdauen und in Ordnungbringen so verschiedner und zerstreuter Materien nicht bloß Muße und Arbeit; sondern eine so geduldige und anhaltende Anstrengung, wozu man sich ohne einen fast enthusiastischen Eifer schwerlich entschließen könnte. Es ist nicht die Geschichte einer Kunst in ihrem Stande der Kindheit, deren Aeltern noch am Leben sind, mit welcher ichs zu unternehmen gewagt habe: sondern einer Kunst von gleichem Alter mit der Welt, deren Alterthum ihre Abstammung eben so zweifelhaft macht, als die Entstehung der Sprache, oder die erste Artikulation der menschlichen Stimme.


[303] * * *


Die Liebhaber der Kirchenmusik werden ohne Zweifel einige Lebensumstände derer Komponisten zu erfahren wünschen, deren Arbeiten so lange schon bey dem Gottesdienste der päbstlichen Kapelle den ersten Rang behaupten, wo man die Reinigkeit der Harmonie, die Schönheit des Gesanges, und die Feinheit des Vortrages zur höchsten Vollkommenheit gebracht hat. Um also die Neugierde derselben zu befriedigen, hat man folgende biographische Umstände dieser großen Meister der Harmonie gesammlet, vornehmlich aus dem Adami und Bontempi, sehr verdienten Schriftstellern, deren Werke nur in wenig Händen sind.

Giovanni Pierluigi da Palestrina war ein Schüler des Gaudimel, der aus der Franche Comtè gebürtig war, und im Jahre 1572, bey der parisischen Bluthochzeit, zu Lyon ermordet, und sein Leichnam in die Rhone geworfen wurde. Die eigentliche Zeit der Geburt des Palestrina läßt sich nicht genau bestimmen, weil das Kirchenbuch in dem Brande von Palestrina, seiner Geburtsstadt, von der er auch den Namen führte, mit darauf gieng, als diese Stadt im Jahre 1557 von dem Herzoge von Alva zerstöret wurde: allein da man aus einem Buche des Torrigio, le grotte vaticane, so viel ersieht, daß er den 2. Febr. 1594 im sechs und fünfzigsten Jahre seines Alters gestorben sey; so folgt, daß er im Jahre 1529 müsse gebohren seyn.

Seine Glücksumstände waren sehr dürftig; allein der Reichthum seines Genies machte ihn bald zu einem Wunder, nicht nur von Rom, sondern von ganz Europa. Hievon sind die zahlreichen Ausgaben seiner vielen vortreflichen Werke hinlängliche Beweise; denn diese waren mit so großer Einsicht und Genauigkeit[304] geschrieben, daß alle folgenden Meister sie als Muster der Vollkommenheit betrachteten.

Es gab schon manche vortrefliche Kontrapunktisten vor der Zeit dieses grossen Mannes, unter andern Jusquin del Prato, der auch zuweilen Jacopo Pratense heißt, und Erfinder der lebhaftesten Fugen und Versetzungen war, deren sich die Musik zu seiner Zeit rühmen konnte. Allein, obgleich diese vortreflichen Meister die Regeln der Komposition aufs genauste beobachteten, so bewog doch ihre unüberlegte Art, Melodien auf einen Text einzurichten, den Pabst Marcellus den Zweyten, die Musik von dem Gottesdienste gänzlich zu verbannen. Dieser Pabst hatte in allen Künsten einen sehr feinen Geschmack, und ob er gleich die Kirche nur zwey und zwanzig Tage regierte, so fing er doch schon während dieser Zeit mit allem Ernste an, Mißbräuche abzustellen, vornämlich diejenigen, welche in die Kirchenmusik eingeschlichen waren.

Allein zu eben der Zeit, da noch das Schicksal derselben zweifelhaft war, bat Giovanni Pierluigi de Palestrina, der damals nur sechs und zwanzig Jahr alt war, Seine Heiligkeit, ehe die Musik auf ewig von dem Gottesdienste ausgeschlossen würde, noch zu erlauben, daß eine Messe, welche er in dem wahren feyerlichen Kirchenstyl gesetzt hatte, in seiner Gegenwart aufgeführt würde. Diese Bitte wurde ihm gewährt, und so führte er am Ostersonntage 1555 die berühmte sechsstimmige Messe auf, welche Papæ Marcelli genannt wird, und so grossen Beyfall erhielt, daß die Musik dadurch wieder in die vormalige Gunst kam, und beym Gottesdienste wieder hergestellt wurde. Diese Messe wurde in der Folge herausgegeben, und dem Nachfolger des Marcellus, Paul dem Vierten, zugeeignet, der den Palestrina zum Komponisten der päbstlichen Kapelle machte.[305]

Das Verdienst dieses grossen Meisters, die Kirchenmusik von ihrer gänzlichen Abschaffung gerettet zu haben, war für die ganze Tonkunst von solcher Erheblichkeit, daß sein Name von allen Musikern überhaupt, und vorzüglich von den Mitgliedern des Collegii zu Rom mit der größten Achtung verehrt wird, die sich insgesammt nach jenen bewundernswürdigen Mustern der Setzkunst gebildet haben, mit welchen er die päbstliche Kapelle versah, und wovon noch itzt weit mehrere gesungen werden, als von irgend einem andern Komponisten. Ein Originalbildniß dieses Vaters der Harmonie, als des Wiederherstellers und Wohlthäters der Musik, wird in den Archiven der päbstlichen Kapelle sorgfältig aufbewahrt.

Im Jahre 1562, im drey und dreyßigsten seines Alters, wurde Palestrina Maestro di Capella di St. Maria Maggiore, und 1571 folgte er dem Giovanni Animuccia in eben demselben Amte bey der Peterskirche. Dieser grosse Harmonist starb den 2 Februar 1594 unter der Regierung des Pabstes Klemens VIII, reich an Jahren und Ruhm, zum unaussprechlichen Leidwesen nicht nur der Tonkünstler, sondern auch aller damaligen Liebhaber der Musik. Bey seiner Beerdigung wurde eine öffentliche Musik mit drey Chören aufgeführt, und er wurde nach der Peterskirche, wo er vor dem Altar des heil. Simon und Juda begraben ward, nicht nur von allen Sängern der päbstlichen Kapelle, sondern auch von allen Musikern zu Rom, und von einer unzähligen Menge Volks begleitet. Sein Begräbniß in der Peterskirche war eine ihm vorzüglich verwilligte Ehre, wegen seiner ausserordentlichen Verdienste. Während der Prozession wurde das Libera me, Domine, nach seiner eigenen Komposition, durch die Gassen gesungen. Ueber seinem Grabe liest man, auf einer Platte, folgende Inschrift:


[306] IOANNES PETRUS ALOYSIUS

PRAENESTINUS, MUSICAE

PRINCEPS.


Der Ehrwürdige Gregorio Allegri, aus Rom gebürtig, kam den 6 Dec. 1629 als ein Altist in die päbstliche Kapelle. Er studirte unter dem berühmten Nanini, in Gesellschaft mit dem Antonio Cifra und Pier Francesco Valentini. Nanini lebte noch zugleich mit dem Palestrina, und war dessen vertrautester Freund. Sie waren Mitschüler unter dem Gaudimel gewesen, der zu Rom eine Musikschule angelegt hatte, aus welcher eine grosse Anzahl vortreflicher Männer gekommen war. Allegri wurde für einen ausserordentlichen Meister der Harmonie gehalten. Viele von seinen Werken werden noch itzt in der päbstlichen Kapelle aufbewahrt und aufgeführt, vornämlich das berühmte Miserere. Als Sänger hatte er nur geringe Fähigkeiten; indeß wurde er von allen Musikern seiner Zeit so sehr verehrt, daß ihn der Pabst, um ihn seinem Dienste ganz eigen zu machen, zu einem seiner Kapellsänger machte. Mit seinen ausserordentlichen Verdiensten verband er einen vortrefflichen moralischen Charakter; denn er stand nicht nur den Armen aufs möglichste bey, die seine Thüre fast beständig besetzt hielten, sondern besuchte auch täglich die Gefängnisse in Rom, um den würdigsten und unglücklichsten Leuten, die er darinn antraf, seine Allmosen mitzutheilen. »Dieß hat mich, sagt der Verfasser, aus welchem diese Umstande genommen sind, einer von Allegri's Schülern versichert, ein Mann von der größten Zuverläßigkeit, der itzt (1711) noch lebt.« Er setzte viele Kirchenstücke, mit einer solchen herrlichen Simplizität und reinen Harmonie, daß sein Verlust von dem ganzen Collegium der Sänger in päbstlichen Diensten sehr empfunden[307] und mit der größten Aufrichtigkeit beklagt wurde. Er starb den 18 Februar, und wurde in der Chiesa. Nuova vor der Kapelle des heil. Filippo Neri, nicht weit von dem Altare der heil. Verkündigung begraben, wo ein Gewölbe für die verstorbenen Sänger der päbstlichen Kapelle befindlich ist, mit folgender Inschrift:


CANTORES PONTIFICII,

NE QUOS VIVOS

CONCORS MELODIA

IUNXIT

MORTUOS CORPORIS

DISCORS RESOLUTIO

DISSOLVERET

HIC UNA CONDI

VOLUERE.

ANNO 1640.


Tommaso Bai, Verfasser des Miserere, welches in der päbstlichen Kapelle am grünen Donnerstage gesungen wird, wurde zu Crevalcore, unweit Bologna, ungefähr in der Mitte des vorigen Jahrhunderts gebohren, und starb zu Rom, 1718. Er verdient sehr viel Lob wegen seiner Aufmerksamkeit auf die Prosodie, oder den richtigen Accent der Worte, die er mit einer solchen Genauigkeit auf Noten setzte, daß das Verhältniß der langen und kurzen Sylben dieses Psalms beym Absingen desselben eben so genau beobachtet wird, als es beym Herlesen nur immer geschehen kann. Die gedachte Komposition wurde in die Stelle einer andern von Alessandro Scarlatti aufgenommen, die sonst an diesem Tage gesungen zu werden pflegte, und ist[308] deswegen merkwürdig, weil sie das einzige neue musikalische Werk ist, welches dieß ganze Jahrhundert hindurch die Ehre gehabt hat, bey dem Gottesdienste der päbstlichen Kapelle eingeführt zu werden.

Von der Art, wie das berühmte Miserere des Allegri aufgeführt wird, ist schon etwas in dem gegenwärtigen Zustande der Musik in Frankreich und Italien gesagt; auch von den Sängern in der päbstlichen Kapelle; und es wird leicht seyn, ihre Fähigkeiten, jeder Komposition bey diesem Gottesdienste Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen, aus der Nachricht zu beurtheilen, welche Angellini Bontempi von ihrer Erziehung und Art zu studiren giebt. »Die Schüler der römischen Schule, sagt dieser Schriftsteller, waren verbunden, sich täglich eine Stunde in schweren Intonationen zu üben, um eine Leichtigkeit in der Ausführung zu erlangen; eine andre Stunde wandten sie zur Übung des Trillers an, eine andre zu geschwinden Passagien, eine andre zur Erlernung der Literatur, und noch eine andre zur Bildung des Geschmacks und des Ausdrucks, alles in Gegenwart des Meisters, der sie anhielt, vor einem Spiegel zu singen, um jede Art von Grimasse oder unschicklicher Bewegung der Muskeln, entweder im runzelziehen der Stirne, oder im blinzen der Augenlieder, oder im verzerren des Mundes, zu vermeiden. Alles dieß war nur die Beschäfftigung des Morgens. Nachmittags wandten sie eine halbe Stunde auf die Theorie des Schalles, eine andre auf den einfachen Contrapunkt, eine Stunde auf die Erlernung der Regeln, welche ihnen der Meister von der Komposition gab, und auch die Aueübung derselben auf dem Papiere; eine andre auf die Literatur, und die übrige Zeit des Tages auf das Clavierspielen, auf die Verfertigung eines Psalms, einer Mottete, eines Liedes, oder irgend einer andern Arbeit, die dem Genie des Schülers[309] gemäß war; und die waren dieß gewöhnlichen Übungen an denen Tagen, wo es den Studierenden nicht erlaubt war, die Schule zu verlassen. Wenn sie hingegen Erlaubniß hatten, auszugehen, so gingen sie oft vor die Porta Angelica unweit des Berges Marius, um gegen das Echo zu singen, und an den Antworten desselben ihre eigne Fehler kennen zu lernen. Zur andern Zeit wurden sie entweder in den Kirchen zu Rom zum Singen bey den öffentlichen Musiken gebraucht, oder es war ihnen wenigstens erlaubt, dahin zu gehen, um die vielen grossen Meister zu hören, welche unter der päbstlichen Regierung Urbans VIII. (von 1624 bis 1644) blühten. Wenn sie zurück in das Collegium kamen, wandten sie ihre Nebenstunden dazu an. nach diesen Mustern zu arbeiten, und dem Meister von dem, was sie gemacht hatten, Rechenschaft zu geben, der, seiner Seits, über die innersten und nützlichsten Geheimnisse der musikalischen Kunst Vorlesungen zu halten pflegte.«

Aus diesem und vieler andern Schriftsteller Zeugnisse sieht man, daß die Harmonie in der päbstlichen Kapelle der Vollkommenheit am nächsten gebracht wurde. Denn so, wie in derselben keine Fehler durch künstliche Töne bedeckt wurden, so wurden auch keine Schönheiten versteckt oder verderbt; und jene kleinen gelegentlichen Schönheiten, für welche die Sprache der Töne keine Charaktere hat, und welche allein die Biegsamkeit der Stimmen ausdrücken kann, wurden nicht durch Instrumente gestört, deren Töne unwandelbar bestimmt sind. Man schätzte und belohnte die Würde der Schreibart an dem Komponisten, und Anstand und Simplicität an dem Ausüber, und gab der Eitelkeit und Thorheit nicht den mindesten Anlaß, durch eine unschickliche Prahlerey mit Talenten nach Beyfall zu streben, die auf einem Theater noch so sehr bezaubern mögen, aber für den erhabnen Inhalt des geistlichen[310] Gesanges sich sehr übel schicken. Bey dem Vortrage der Musik in Stimmen, unter denen die Melodie auf gleiche Art vertheilt ist, muß der einzige Ehrgeitz eines Jeden auf die glückliche Ausführung des Ganzen gerichtet seyn. Der Starke sollte dem Schwachen aufhelfen, der Geschwinde dem Langsamen; und so verschieden die Stimmen auch immer sind, so sollte doch das Ganze von einer anscheinenden Einheit nicht viel mehr unterschieden seyn, als die harmonischen Akkorde von einem einzelnen Tone, oder die prismatischen Farben von einem einzelnen Lichtstrahl verschieden sind, aus welchem sie entstehen, und welche, zusammengenommen, Eins ausmachen. Aristoteles beschrieb die Freundschaft, als eine Seele in zwey Leibern; und ein Chor sollte nichts anders zu seyn scheinen, als viele Töne, die aus einem Organe herkämen.

115

Ueberhaupt giebt es viele so galante Symphonien, in welche eine Menuet hineinpaßte? Sticht sie nicht meistentheils gegen die übrigen Sätze zu sehr ab, als daß sie ein gutes Ganzes ausmachen könnte? Wenn dieß wahr ist, so muß man mit den neuern deutschen Komponisten noch unzufriedner seyn, die sie gar in ihre Quartetten und Trios mischen. Ein Misbrauch, worüber Kenner längst geklagt haben: nur Schade, daß der Modekomponist so wenig als der Modeliebhaber auf die Gründe der Kenner achtet.

116

Sgr. Orisicchio hat unter den römischen Kirchenkomponisten soviel Ansehn, daß man bey jedem Feste, wo er die Musik dirigirt, und eine Messe gesetzt hat, gewiß eine Menge Zuschauer erwarten darf.

117

Herr Wysemann ist ein würdiger englischer Musiklehrer, welcher bey allen Engländern zu Rom sehr bekannt und beliebt ist. Er har so lange daselbst gewohnt, daß er beynahe seine Muttersprache vergessen hat. Itzt wohnt er in dem Palazzo Rafaele, ausserhalb der Stadt, wo er während des Winters, bis die Opern angehen, wöchentlich ein Concert giebt. Hier wohnte der große Raphael, von welchem daselbst noch einige Frescomalereyen übrig sind; der verstorbene Herzog von York, der Erbprinz von Braunschweig und verschiedene andere Fürstl. Personen haben hier den Großen in Rom Concerte gegeben.

118

Man verstehe hier den Verfasser nicht unrecht. Seine Absicht kann nicht seyn, zu behaupten, daß die Orgel nach ihrer wahren gebundenen vollstimmigen Spielart, keine Grazie, Geschmack und Melodie zulasse; sonst würde er dieß Instrument nicht göttlich nennen, noch ihm Reichthum der Harmonie und Erfindung zu schreiben. War etwa Sgr. Colista einer von den finstern grillenhaften Orgelspielern, die mit ihren harmonischen Künsteleyen und schweren Vollstimmigkeit die Melodie so verdunkeln, daß sie alles Gefällige verliehrt? Alsdenn war es die Schuld des Spielers, nicht der Spielart, welche die Orgel erfordert. Ich habe mehr als einmal Orgelfugen, Fantasien und Präludien gehört, die erhabene Affekte ausdrückten, und das Herz stark rührten; auch hat die Orgel sanftere zärtliche Regungen in mir hervorgebracht, wenn gehörig dazu registriret und gespielt ward; und doch brauchte der Organist sich nicht zu dem leichten Geschmacke einer italiänischen Claviersonate herabzulassen, oder eine Opernarie zu spielen. Es giebt ja mehr als einen Weg zum Herzen. Bach, Krebs, Sack und andere mehr können dieß beweisen, und haben mich von diesen Grundsätzen durch die That überzeugt. Der Beweis a priori, für dieselben ist eben so leicht. Wenn die Orgel eine Folge von Tönen zulässt, so muß sie auch Melodie zulassen, und ihre Vollstimmigkeit muß der Melodie nicht nothwendig schaden; sonst wäre alle vollstimmige Komposition verwerflich. Eben so wenig thut es die gebundene Schreibart; denn welche große Wirkung bringen nicht Z.E. Händels Oratorien hervor, und wer macht so viel Gebrauch von dieser Schreibart, als Händel? Die Orgel kann sich zu seinen Werken in Ansehung der Wirkung verhalten, wie jede Instrumental- zur Vocalmusik; sie kann mehr als Bewunderung der Kunst und neuer Einfälle erregen: sie kann rühren. Nur muß der Organist auch ein Mann von Genie und Gefühl seyn. Wenn sie es nicht immer thut, so geht es ihr, wie den übrigen Instrumen, deren Spieler heut zu Tage, so wie die meisten Instrumentalkomponisten nur glänzen, nicht aber fürs Herz arbeiten wollen. – Findet aber eine rührende affektvolle Spielart, so findet auch Grazie und Geschmack auf der Orgel Statt; nur nicht Geschmack und Grazie des Kleinen und Niedlichen, sondern des Erhabenen, Großen und Edeln. A.D.U.

119

Es ist einerley mit dem Anschlage (Beat) im »Einklange, in der Octave oder einem andern consonirenden Tone mit einer Note auf der Violine, welcher die Stelle der alten Bebung (close-shake) so glücklich ersetzt. Diese schöne Manier ist, wo nicht ganz unbekannt, doch wird sie wenigstens von allen Violinspielern, die ich gut dem festen Lande gehört habe, ganz vernachläßigt: dahingegen die Giardinische Schule in England sie häufig und glücklich ausübt.«

In Deutschland ist diese Manier gar nicht unbekannt, wiewohl ich keinen eigenen Namen dafür kenne. Was der Verfasser unter dem alten close-shake, dessen Stelle sie glücklich ersetzen soll, eigentlich verstehe, habe ich nicht ausfindig machen können. Noch weniger haben mir englische und deutsche Musiker erklären können, wie die Schwellung in der Orgel damit verglichen werden könne, The Swell, die Schwellung, so wie sie in den englischen Orgeln, und in der neuen Orgel zu St. Michaelis in Hamburg angebracht worden, ist eine Erfindung, den Ton durch Bedeckung und Aufdeckung der Pfeiffen schwächer und stärker zu machen. Diese Erfindung hilft einem wesentlichen Mangel der Orgel ab, die sonst keinen allmähligen Uebergang aus dem piano ins forte, und umgekehrt, hervorbringen konnte. Sie ist von dem Tremulante ganz unterschieden. Vielleicht versteht aber der Verfasser eben diesen unter der Schwellung, wovon er redet. A.D.U.

120

Es sind keine andere Orgeln noch Chöre in der Peterskirche, als die in den Seitenkapellen; so daß der Raum zwischen dem westlichen Chore und dem großen Altare ein ganz freyer und offener Platz ist.

121

S. Volkmann B. 1. S. 322.

Quelle:
Carl Burney's der Musik Doctors Tagebuch einer Musikalischen Reise. [Bd. I]: durch Frankreich und Italien, Hamburg 1772 [Nachdruck: Charles Burney: Tagebuch einer musikalischen Reise. Kassel 2003], S. 272-311.
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