7. Die letzten Opern.

1737–1740.

Heidegger, der unverwüstliche, sammelte die Trümmer der beiden schiffbrüchigen Opernunternehmungen und bildete daraus eine bunte Gesellschaft, mit welcher er auf eigne Rechnung, obwohl durch Subscription unterstützt, am 29. October '37 in seinem Haymarket-Theater die Vorstellungen eröffnete.

Er gewann den Sänger Caffarelli, der schon im Frühling dieses Jahres behandelt wurde, und nach anfänglicher Absicht als ein neues Reizmittel neben dem fast verbrauchten Farinelli auftreten sollte; letzterer mußte sich dabei sagen lassen, Caffarelli sei der größte Sänger Italiens, eine Behauptung der auch Porpora beigestimmt haben soll. Es ist überhaupt das Verdienst der neuen italienischen Schule von Tonsetzern und Sängern, den Streit über den »größten« zu einem stehenden Thema erhoben zu haben; bis dahin stand die große Sache doch noch immer weit über der Person. Farinelli hatte sich eine gewisse studirte Bescheidenheit und herablassende Milde angeeignet, sein Nachfolger dagegen zeichnete sich durch Insolenz und Hochmuth aus. Die goldne Zeit für die italienischen Sänger in England war indeß vorüber, wie Caffarelli denn auch selbst zu Burney sagte, er sei erst »in den letzten Jahren der Regierung Heidegger's« nach London gekommen.1 Er trat am 29. October in Arsaces[446] zuerst auf.2 Der Componist Pescetti leitete die Vorstellungen und setzte einige neue Opern. Um der Unternehmung eine größere Anziehung zu verleihen, wandte Heidegger sich an Händel, und dieser versprach ihm zwei neue Werke und ein Pasticcio. Heidegger bezahlte dieselben, wahrscheinlich einschließlich der Mühe sie einzuüben und aufzuführen, mit £ 1000.3 Außerdem hatte Händel mit dem Unternehmen nichts zu schaffen, nahm also zu der italienischen Oper jetzt ungefähr dieselbe Stellung ein, wie bei seiner ersten Ankunft in England.

Was ihn veranlaßte, Heidegger zu willfahren, war lediglich das in Aussicht stehende Honorar; denn mit demselben konnte er einige ungestüme Gläubiger vorläufig beschwichtigen und auf diese Weise dem nahen Schuldgefängnisse entgehen.


Faramondo. 1737.

»angefangen den 15. Novembr 1737 | Dienstag.« – »Fine dell Atto 1. Montag den 28 Novembr 1737 « – »Fine dell' Atto 2do | Den 4 Decembr 1737. | Sontags Abends üm 10 Uhr.« – »Fine dell' Opera | G.F. Handel. London Decembr 24. 1737.« Die Zeit der Entstehung und die Unterbrechung durch das Begräbniß-Anthem ist schon oben (S. 436) besprochen. Die unruhigen Tage, welche seine Theilnahme und bald auch seine künstlerische Kraft auf einen andern Weg leiteten, waren der Composition einer Oper nicht günstig; ebenso hinderlich war es, daß er für eine ihm fast ganz unbekannte Sängergesellschaft schreiben mußte. Die Einwirkung dieser Hindernisse auf die übrigens schöne Musik wird man leicht bemerken.

Der Text ist von Apostolo Zeno. Die erste der sechs Vorstellungen fand am 7. Januar '38 statt. Die Subscription auf den Druck[447] wurde am 23. d. M. eröffnet, und das Werk erschien schon am 4. Februar.4

Das Pasticcio Alessandro Severo mit einer ausgezeichneten Ouvertüre und einigen neuen Gesängen folgte am 25. Februar und erlebte sieben Aufführungen. Walsh veröffentlichte die beliebtesten Gesänge.5


Serse. 1737–38.

»angefangen den 25 Decembr 1737 | Sontag oder 26 Montag, den 2 /tag.« Das heißt: »Angefangen am 25. December, Sonntags, oder vielmehr am 26sten, Montags, nämlich am zweiten Christtage.«6 Die Zahl 25 ist durchstrichen. Händel hatte am Tage vor Weihnachten Faramondo beendigt, ruhte darauf am ersten Festtage, und begann am zweiten die folgende Oper: ein neues Beispiel von seiner Art zu arbeiten. – »Fine dell Atto primo | Jan 9. | 1738.« – »Fine dell' Atto 2do. Jan. 25. 1738.« – »Fine dell' Opera G.F. Handel. | London Februar. 6. 1738 | geendiget auszufüllen den 14 dieses Febr 17[38].«

Der Text entstammt einem sicherlich 40–50 Jahre älteren Drama. Er enthält ein Gemisch von ernsten und komischen Scenen, ganz wie Scarlatti's und Keiser's Opern zu Anfang des Jahrhunderts, oder wie Händel's erster Versuch in Hamburg. Schon daraus geht hervor, daß Heidegger ihm denselben aufnöthigte, oder wenigstens eine derartige Oper zur Bedingung machte. Das Komische wurde jetzt wieder allgemein begehrt, ein weiteres Anzeichen, daß die etwa um 1680 begonnene Entwicklung nunmehr ihren großen Rundgang vollendet hatte, als Endergebniß ein Höheres, ja Höchstes erreichend, andererseits aber in die alten kindischen Bahnen mit neuer,[448] Lust und Kunst wieder einlenkend. In Händel's Musik erscheinen kleine ariose Gänge, die ihrer Fassung nach schon um 1700 geschrieben sein könnten; vermuthlich benutzte er eine Composition seines Textes aus früherer Zeit, welche denn auch den Grundstock der Buffoarien lieferte. In diesen Gesängen ist der komische Gehalt nicht zu verkennen; aber Händel hört hier auf Händel zu sein. Xerxes hat ein ziemlich buntscheckiges Ansehen, doch nicht den Reichthum und die Originalität seiner besten Opern. Die erste Vorstellung, welcher vier andere folgten, fand am 15. April statt.

Xerxes wurde gleichfalls auf Subscription gedruckt, und war das letzte Werk welches Händel in dieser Weise herausgab. Die Aufforderung erschien am 24. April, der Druck am 30. Mai.7

Die Tage, in welchen er diese komische Oper schrieb, gehörten zu den traurigsten seines Lebens. Um sein Ehrenwort einzulösen und die Freiheit seiner Person zu wahren, arbeitete er angestrengter als seine kaum zurück gekehrten Kräfte zuließen. Hierzu kam eine Drohung, die für einen Mann von Händel's Charakter schrecklich sein mußte, um so schrecklicher, als sie von einer Person ausging, welche ihm lebenslänglichen Dank schuldete. Del Pò, der rohe, streitsüchtige Gemahl der Strada, hatte sich auf Zureden seiner Frau und sonstiger Freunde Händel's ein Jahr lang mit Wechseln und Versprechungen besänftigen lassen. Aber als er in diesem Winter keine Gelegenheit fand, seine Frau vortheilhaft zu verdingen (sie sang nicht in Heidegger's Oper), drang er auf Bezahlung und drohte mit dem Schuldgefängnisse. In der äußersten Bedrängniß riethen Händel's Freunde zu einem äußersten Mittel, nämlich zum Benefiz. So herkömmlich ein solches Verfahren war, hatte Händel doch nie davon Gebrauch gemacht, sondern oft und in starken Worten gegen ehrlose Bettelei geeifert. Auch jetzt noch weigerte er sich beharrlich und gab erst nach, als der Antrag von so vielen Seiten kam, daß er den Wunsch des ganzen ihm wohlwollenden Publikums darin erkennen konnte. Das Concert fand am 28. März in der Passionswoche statt, bestehend aus englischen und italienischen Gesängen nebst einem Orgelconcerte. Es erhielt den weitschichtigen Namen »Oratorium«, weil die Theater in[449] der Passionswoche keine andere als höchstens oratorische Musik aufführen durften. Auch auf der Bühne wurden Plätze für die Zuhörer hergerichtet.8 Die Theilnahme war fast über Erwarten groß; Allen schien die Gelegenheit willkommen, dem Meister ihre Verehrung bezeigen zu können. Das Haus war gedrängt voll, und »als der Vorhang aufging, erblickte man 500 vornehme Personen amphitheatralisch auf der Bühne sitzend«.9 Die Massenbetheiligung ging hier nicht, wie bei dem Benefiz der Castraten, von dem Adel, sondern mehr von dem kunstgebildeten Mittelstande aus. Händel's Einnahme wurde auf £ 800 geschätzt.10 Mainwaring giebt fast die doppelte Summe an, indem er bemerkt: »Von einem einzigen Benefiz in Haymarket 1738, welches ihm angeblich £ 1500 einbrachte, kann man schließen was sich zur Besserung seiner Umstände hätte thun lassen; aber er war allen Subscriptions-Verbindungen so abhold, daß er sich entschloß, seine Sache für die Zukunft ganz anders einzurichten.«11 Dies ist einer der vielen Beweise, daß Mainwaring sich Händel's Leben nach einem halb überkommenen halb eingebildeten Schema zurecht legte. In einer Zeit, wo Händel zu einem Lohndiener seiner Gläubiger herab gedrückt war und das öffentliche Wohlwollen ansprach, wo er also nicht einmal bei seinem früheren Verfahren beharren, viel weniger einen neuen und besseren Weg einschlagen konnte, lag ihm sicherlich nichts ferner, als eine Schaustellung von Grundsätzen, zu deren Bethätigung er augenblicklich nicht das geringste unternehmen konnte. Was trotzdem in seinem Innern gedieh und auch bald zur Erscheinung kam, gehört auf ein ganz anderes Gebiet.

Außer Händel's Musik wurde in dieser Saison eine neue Oper von Pescetti, La Conquista del Vello d'Oro, am 28. Januar, und eine andere von Veracini,Partenio, am 14. März zuerst aufgeführt.[450] Nur von Veracini's Oper gelangte einiges zum Druck. Der Jahrlauf endete am 6. Juni. Wegen der Ferien, welche der Tod der Königin verursachte, konnten nicht die verheißenen funfzig, sondern nur etwa vierzig Vorstellungen gegeben werden; Heidegger offerirte daher seit dem 26. April seinen Subscribenten noch ein zweites Billet.12

Die Geschichte der Londoner Oper des folgenden Jahres ist in drei Inseraten nieder gelegt.

Am 24. Mai '38 schrieb Heidegger: »Alle Personen, welche zwanzig Guineen für die nächstjährige italienische Oper in Haymarket unter meiner Direction subscribirt haben, oder willens sind solches zu thun, seien ersucht zehn Guineen an den Banker Drummond zu senden, welcher das Geld zurück erstatten wird im Falle die Oper nicht zu Stande kommen sollte. Und da ich erklärt habe die Oper unternehmen zu wollen, vorausgesetzt, daß ich mit den Sängern überein kommen und 200 Subscribenten erhalten kann; und da der größte Theil der Subscribenten bereits die zehn Guineen eingezahlt hat: so ersuche ich die noch rückständigen Subscribenten, das Geld bis zum 5. Juni an Hn. Drummond gelangen zu lassen, damit ich meine Maaßnahmen treffen und, je nachdem die Summe bezahlt oder nicht bezahlt wird, die Oper unternehmen oder aufgeben kann, denn es ist unmöglich, nach der genannten Zeit noch die nöthigen Vorbereitungen zu treffen und mit den Sängern zu unterhandeln. J.J. Heidegger.«13

Am 21. Juni ließ sich der erhabene Del Pò vernehmen. »Am letzten Sonnabend reiste Signora Strada Del Pò von hier nach Breda ab, wohin sie sich begiebt in Folge der von Ihrer Kön. Hoheit der Prinzessin von Oranien erhaltenen Befehle, und von wo sie beabsichtigt nach Italien zu gehen: vor ihrem Abschiede jedoch wünschend, der britische Adel und die übrige vornehme Welt (von welchen allen sie so viele Gunstbezeugungen erhalten hat) mögen in Kenntniß gesetzt werden, daß es keineswegs ihre Schuld ist, wenn der gegenwärtige Plan zur Aufführung von Opern im nächsten Winter unter[451] der Direction des Hn. Heidegger verunglückte, wie maliciöser Weise ausgestreuet worden; denn sie hatte schon einen Monat zuvor mit Hn. Heidegger eine Vereinbarung getroffen, was derselbe bezeugen kann.«14

Heidegger bezeugt dies indeß nicht, sondern erklärt, wieder einen Monat später, einfach: »Haymarket, 25. Juli, 1738. Weil die Opern für die folgende Saison nicht in beabsichtigter Weise stattfinden können, indem die Subscription nicht voll ist und mit den Sängern kein Uebereinkommen zu treffen war, obwohl ich Einem [Einer?] von ihnen Ein Tausend Guineen bot: deßhalb erachte ich mich verbunden zu erklären, daß ich die Unternehmung für das nächste Jahr hiermit aufgebe, und daß Hr. Drummond bereit ist das eingezahlte Geld bei Vorzeigung der Quittung zurück zu erstatten; zugleich benutze ich diese Gelegenheit, allen jenen Personen meinen gehorsamsten Dank abzustatten, denen es gefiel meine Bestrebungen in Beschaffung der genannten Vergnügungen zu unterstützen. J.J. Heidegger.«15

Heidegger sagt »tho' I offer'd One Thousand Guineas to One of them«: und es ist schwer zu entscheiden, ob er mit diesem geschlechtslosen Ausdrucke einen Castraten oder eine Frau, nämlich Caffarelli oder Signora Strada bezeichnen wollte. Daß die Strada dem rohen Del Pò in die Klauen gerieth und durch ihn endlich dem Kreise desjenigen Meisters entzogen wurde, welchem sie ihre ganze künstlerische Bedeutung verdankte, ist tief zu beklagen. Das Ausharren bei Händel in versucherischen Zeiten, das Aufsteigen an seiner Hand zu unbetretenen, von ihm erst gebahnten Kunstpfaden hat ihr einen reineren Ruhm verschafft, als der Tesi, der Faustina und der Cuzzoni, die doch ungleich mehr von sich reden machten. An Händel hing ihr ganzes geistiges Dasein; getrennt von ihm verlor sie ihren Glanz, wie ein Wandelgestirn welches sich der Sonne entzieht. Wie betrübend daher ist es, daß sie je in die Lage versetzt wurde sich von ihm trennen zu müssen!
[452]

Jupiter in Argos. 1739.

»Fine dell Opera Jupiter in Argos! April 24. | 1739.« Ein Blatt mit dieser Unterschrift bewahrt das Fitzwilliam-Museum in Cambridge (X. 3. 31.); aber eine vollständige Partitur hat sich noch nicht gefunden. In einer ähnlichen Unsicherheit, wie über das Werk selbst, sind wir über die Aufführung desselben. Vom 26sten bis zum 30. April heißt es in der London Daily Post: »Haymarket. Dienstag, am ersten Mai, wird eine dramatische Composition dargestellt (represented) werden, genannt Jupiter in Argos. Mit Chören und zwei Orgelconcerten untermischt.« Aber vom ersten bis zum 7. Mai fehlt in Burney's Sammlung (jetzt im British Museum) eben diejenige Zeitung, in welcher die Opern angezeigt wurden, und vom 8. Mai an ist über »Jupiter« nichts mehr zu finden: so daß sich nur vermuthen läßt, diese mit fremdartigen Bestandtheilen vermischte Composition sei am ersten und vielleicht auch noch am fünften Mai zur Aufführung gekommen. Daß von Händel Vorbereitungen gemacht waren zu einigen Aufführungen in dem augenblicklich leeren Haymarket-Theater, geht auch aus folgender Nachricht vom 19. April hervor: »Wie wir hören, ist Signora Busterla, eine berühmte italienische Sängerin, letzten Dienstag hier angelangt, und wird in den Opern singen, welche Hr. Händel nach Ostern aufzuführen beabsichtigt.«16 Jupiter war hauptsächlich aus früheren Werken zusammen gesetzt, fast wie Alessandro Severo; als Original führen wir ihn hier nur auf, weil Händel ihn ausdrücklich als ein solches unterzeichnet hat.

Es war augenblicklich kein Mangel an italienischen Sängern, Componisten und Musikern in London, und bei der abnehmenden Musikbegeisterung auf dem Festlande führte der alte Ruf des englischen Goldes immer neue Schaaren herbei. Auch Carestini war unter ihnen. Eine patriotische Stimme läßt sich bei der Ankunft des großen Sängers also vernehmen: »Signor Carestini und andere italienische Strolche werden hier in einigen Tagen erwartet, worauf in Haymarket Opern gegeben werden sollen.«17 Nicht in Haymarket,[453] sondern in Coventgarden rafften sich die neuen Ankömmlinge unter Pescetti zu einigen erfolglosen Versuchen auf. Im folgenden Winter nahmen sie das kleine Theater am Haymarket in Besitz und gaben vom 22. Januar bis zum 31. Mai '40 drei neue Tanzopern ziemlich ununterbrochen. Von der Glanzzeit der italienischen Oper früherer Jahre war jetzt kaum noch ein Schatten geblieben; die beiden Opern endeten damit, daß zuletzt keine einzige, und am wenigsten die rein italienische, im Stande war, ihre Spiele in einem großen Hause anzurichten. Carestini ging im Sommer 1740 wieder von dannen. Er, der inzwischen völlig ein Anhänger Hasse's geworden war und nichts lieber sang, als dessen Salve Regina, irrte sich sehr, wenn er meinte in England ohne oder gegen Händel durchdringen zu können; und so machte man sich die jämmerliche Lage durch ein allgemeines Mißverstehen und Mißwollen noch trostloser.

Zur selben Zeit gab Händel in Lincoln's-Inn-Fields nur Oratorien. Jedoch im folgenden Winter, als die Italiener völlig lahm gelegt waren, nahm er in sein Repertoire von Oratorien, Serenaten und Oden auch zwei neue Opern auf.


Imeneo. 1738–40.

Schon im Jahre 1738 begonnen, wurde dieses Werk doch erst am 10. October 1740 beendet. Das Original ist ziemlich ungeordnet und unvollständig. Hymen besteht nur aus zwei Akten, daher wird er in den Ankündigungen und in dem Druck der beliebten Gesänge als Operette bezeichnet.18 Die erste Aufführung war am 22. November und die zweite und letzte am 13. December. Daß die Operette nur zwei mal gegeben wurde, ist weniger ein Beweis von mißfälliger Aufnahme, als von der Unzulänglichkeit der damaligen Sänger Händel's für eine stehende italienische Oper. Dieses sah er vorher und suchte deßhalb durch Vorführung von Werken aller Art die Theilnahme wach zu erhalten. Händel ließ das Werk später in Dublin als Concertstück singen, wozu sich die allerliebste Musik auch besonders eignete.


Deidamia. 1740.

[454] »angefangen Octobr 27. 1740. « – »Fine dell Atto 1. | G.F. Handel ħ Nov. 1. 1740. « – »Fine dell Atto 2do | G.F. Handel Novembr 7. 1740 | 7. Die letzten Opern.« – »Fine dell' Opera. | G.F. Handel London Novembr 20. 7. Die letzten Opern | 1740.«

Paolo Rolli fuhr fort Operntexte zu schreiben, obwohl von dem ganzen Personal der Gegenoper nur er allein noch vorhanden war. Er näherte sich daher wieder dem Manne, welchen er jahrelang mit der giftigsten Feindschaft beehrt hatte, und Händel nahm sein Gedicht zur Composition an. So entstand Deidamia, Händel's letzte Oper. Sie gelangte drei mal zur Aufführung, am 10. und 17. Januar und 10. Februar '41, und wurde von Walsh in zwei Sammlungen gedruckt.19

»Die Totalsumme werthvoller Arien in dieser Oper«, sagt Burney, »ist so beträchtlich, daß man das Werk, obwohl der erste Akt dem zweiten und dieser dem dritten überlegen ist, den glücklichsten seiner dramatischen Erzeugnisse beizählen darf. Und wenn man sich erinnert, daß, von seinen frühesten in Deutschland und Italien gesetzten Opern abgesehen, dieses das 39ste italienische Drama war, welches er für die englische Bühne in Musik gesetzt hatte, so muß die Schnelligkeit und Stärke seiner Erfindung Erstaunen erregen! Die Arien dieser letzten Oper Deidamia contrastiren so sehr in Schreibart, Zweck und Ausschmückung, wie diejenigen welche er dreißig Jahre früher componirte; und hierin namentlich erscheinen Händel's Kräfte größer als die irgend eines andern bändereichen Operncomponisten den ich kenne. Bei der Untersuchung der Partituren von Hasse, Graun, Galuppi, Perez, Piccini und Sacchini findet man unzählige schöne Arien, aber nicht jene planmäßige Mannigfaltigkeit der Gegenstände, wie bei Händel.«20 Und bei einer andern Gelegenheit äußert er: »Wahrlich, es scheint unmöglich, irgend einen dramatischen Tonsetzer[455] zu nennen, der so beständig seine Gesänge nach Thema, Styl und Begleitung veränderte, wie Händel, denn er vermied nicht nur, zwei auf einander folgende Arien in derselben Ton- oder Taktart zu setzen, sondern scheint absichtlich aller und jeder Aehnlichkeit ausgewichen zu sein zwischen einer Arie und irgend einer andern eine ganze Oper hindurch.«21 Näher auf das Werk gesehen, erstrebt der Dichter in Deidamia stellenweise das Dramatische auf Kosten des Musikalischen, und der Tonsetzer da gegen das concertmäßig Musikalische auf Kosten des Dramatischen. Rolli's Texte fehlt die Einheit, Händel's Musik der Mittel- und Schwerpunkt. Rolli unternahm schon eine schüchterne Nachahmung französischer Musikdramen, wodurch seinem Gedichte der Zusammenhang der bisherigen italienischen Singspiele abhanden kam; Händel folgte ihm nicht, sondern suchte seinen Halt in musikalischen Sätzen, die wie contrastirende Bilder neben einander gestellt sind. Die Musik ist sicherlich schön; doch hat die Oper ihre hauptsächlichste Bedeutung für uns darin, daß sie zeigt, wie Händel bis zu Ende aus bestrebt war, bei der Composition italienischer Dramen in dem Kreise der altitalienischen Oper zu verharren. Sein letztes Werk für das italienische Theater führt uns also an eine Grenze in der inneren Entwicklung der Oper, welche er nicht überschritt.

Von diesem Standorte aus können wir auch den zurück gelegten Weg klar übersehen. Bei der großen künstlerischen und kunstbildenden Bedeutung der Händel'schen Opern muß es einigermaßen auffallend erscheinen, daß erst jetzt, nachdem mehr als ein Jahrhundert verflossen ist, der erste Versuch einer zusammenhängenden Darstellung derselben gemacht wird. Aber solches erklärt sich leicht bei der Vernachlässigung des ganzen Gebietes, dessen geschichtlicher Erhellung dieses Werk gewidmet ist; und man begreift es wohl, daß die herrschend gewordene Betrachtungsweise, nachdem sie das Oratorium selbst sogut wie beseitigt hatte, sich noch viel weniger um die Erkennung des Weges bemühen mochte, der seiner Zeit zur Vollendung des Oratoriums führte. Denn das ist die Eigenthümlichkeit dieser Oper, nicht zu einer weiter entwickelten Form der Oper hingeleitet, sondern dem Oratorium den Weg gebahnt zu haben. Dies bedingte die concertartige[456] Haltung, von der vorhin mehrfach die Rede war; und ihre Schwäche als Oper lag eben in der Gestaltung plastisch vollendeter wie begrenzter Tonsätze, deren innere Reise die herkömmlich triviale Handlung zu einer bloßen Anregung und Einrahmung der herrlichen Tonbilder herab drückte. Bei aller Vollendung entdecken wir in dieser Musik doch durchaus nicht den Trieb, sich in dem Sinne zu einem dramatisch-musikalischen Ganzen durchzubilden, welcher seit Gluck und eigentlich schon seit dem Vordringen der neapolitanischen Schule die Oper beherrschte. Händel hat allerdings Musikdramen geschaffen, nämlich seine sogenannten Oratorien, aber auf andere Weise, als durch Verbindung italienisch-französischer Opernelemente; jedoch in seinen italienischen Opern beschränkte er die Handlung auf die nöthige scenisch-dramatische Anregung zur Gestaltung des Tonbildes. Alles Wesentliche ist der Musik ganz allein überlassen; die oft so ergreifenden Scenen sind rein musikalischer Natur, wenn auch genauer und innerlich sicherer nach dramatischen. Gesetzen gestaltet, als bei vielen Tonsetzern, die wegen ihrer Dramatik einen Ruf erlangt haben. Er beseitigte die kleinen dramatischen Züge wieder, die sich schon bei Purcell, Scarlatti und Keiser vorfinden, anstatt weiterbildend in sie einzugehen, und zog sich, merkwürdig genug, auf eine psychologische Mittelstellung zurück, welche die Oper weder vor noch nach ihm in solcher Beharrlichkeit und Ruhe hat einnehmen können. Was daher von den Bühnenwerken Lully's, Rameau's, Scarlatti's und der neapolitanischen Schule, in gewissem Sinne selbst Purcell's und Keiser's gilt, nämlich daß sie in verschiedener Hinsicht als Vorstufen der späteren Blüthe der dramatischen Musik angesehen werden müssen, vermöchte ich bei den Händel'schen nicht nachzuweisen, selbst nicht auf die Aussicht hin ihre Bedeutung dadurch zu erhöhen. Freilich ließe sich dieselbe dadurch auch nicht erhöhen, da der wahre Werth dieser Opern eben in ihrer Abgeschlossenheit liegt, und der einzige Weg zu ihrem Verständniß der bleibt, sie zunächst in dieser ihrer Sonderstellung zu begreifen.

Ihre Aehnlichkeit mit einer Gruppe von Shakespeare's Lustspielen ist auffallend und lehrreich. Beide passen gleich wenig in die dramatische oder in die dramatisch-musikalische Theorie, da sie abseiten des Weges stehen auf welchem die betreffenden Gattungen sich am breitesten[457] entwickelt haben, und sind deßhalb nur von einem besonderen Standpunkte aus richtig zu verstehen. Shakespeare zieht sich aus dem realistischen Gebiete zurück in das phantastische, wie Händel aus dem allgemein dramatischen in das subjectiv innerliche. Beide in ihrem Lebensdrange und gesunden Sinne schienen so vorzüglich begabt, die Lebensverhältnisse, wie sie sich im tagtäglichen Laufe als natürlich ergeben, im Lustspiel und in der Oper künstlerisch gestaltet wieder scheinen zu lassen; wir sehen aber, daß sie sich mit Behagen auf einem phantastischen Boden bewegen, in Witz- und Tonspielen sich ergehend, die bei aller Frische, bei aller Trefflichkeit der Charakterzeichnung und bei allen Reizen der Kunst doch ihrer wesentlichen Haltung nach nicht original sind, insofern sie sich in einer schon vor ihnen zur Geltung gebrachten künstlerischen Grundform bewegen. Beide nämlich haben sich in diesen Lustspielen und Opern am meisten ihrer eingebornen germanischen Natur begeben und in dem Drange nach mehr geschlossenen, künstlerisch einheitlichen Formen, als die Heimath darbot, romanische, namentlich italienische Ideale in einer Weise nachgebildet, daß uns oft der warme Hauch einer südlichen Kunst daraus entgegen weht, aber ebenso oft auch der große nordische Athem fehlt: und wie sie also auf diesen Gebieten nicht mit der voll vereinten Kraft ihrer Natur arbeiteten, so hat auch keiner von ihnen zu bewirken vermocht, daß die fernere Entwicklung dieser Kunstzweige den von ihnen betretenen Weg einhielt. Im Gegentheil, wir haben es erlebt, daß der nächste und bedeutendste Fortschritt, der gethan werden konnte, im Lustspiel wie in der Oper darin bestand, das italienische Ideal als maßgebend zu verlassen und mehr im wirklichen Leben einen Boden zu gewinnen, auf welchem diese Kunstzweige dann auch in der That erst ihre breiteste, glänzendste und natürlichste Entwicklung fanden. So gab Frankreich bald, fast unmittelbar nach Shakespeare, der Lustspieldichtung einen neuen Anstoß, der am stärksten auf England, die Heimath Shakespeare's, zurück wirkte; und ebenso unmittelbar nach Händel empfing die Oper wieder von Frankreich aus ein neues Leben, das nirgends einen so fruchtreichen Boden fand, wie in Deutschland, der Heimath Händel's. Die Gleichartigkeit, Gleichzeitigkeit und gleiche Rückwirkung ist höchst merkwürdig und beleuchtet die besprochenen Kunstgattungen sicherlich mehr als bloß von außen. Zugleich[458] war diese nach-Shakespeare'sche und nach-Händel'sche Entwicklung, obwohl nicht im ausgesprochenen Gegensatze gegen sie begonnen, doch der schlimmste Feind ihrer Kunst, denn dadurch verrückten sich die richtigen Gesichtspunkte für ihr Verständniß, und so wurde sie durch Verkennung nach und nach in Vergessenheit gebracht. In Sachen Shakespeare's ist der Umschlag längst eingetreten, den wir bei Händel noch erst erwarten, aber auch zuversichtlich erwarten dürfen. Und endlich ist auch noch dieses zu beachten – gewiß die entscheidendste und wesentlichste aller hier vorhandenen Aehnlichkeiten –, daß bei Shakespeare auf das Lustspiel die Tragödie, bei Händel auf die Oper das Oratorium folgte, bei beiden das überragende und ernstere Werk auf das kleinere und fremdländisch angelegte. Was in Shakespeare's Tragödien aus den Lustspielen einging, das leichte behende Geschoß des Witzes, hat seiner Zeit nicht weniger beschränkten Tadel erfahren, als die kunstvoll gewebte Arie, welche Händel doch wesentlich aus der Oper in das Oratorium herüber nahm. Diese Gleichartigkeit im Schaffen Shakespeare's und Händel's nannte ich den entscheidenden Zug ihres verwandtschaftlichen Verhältnisses; und in der That wird uns dadurch noch etwas anderes und allgemeineres erklärt, als die Eigenthümlichkeit zweier Künstlernaturen. Hierüber sei noch ein Wort gestattet.

Für das Erreichen irgend eines höheren oder höchsten Gebietes besteht die nothwendige Voraussetzung, daß die dahin führenden niederen sämmtlich vorher durchschritten sein müssen. Und dennoch hat es selbst eine auf das entschiedenste für ideales Kunstschaffen begabte Natur nicht in ihrer Gewalt, auch nur zwei Gebiete gleich vorzüglich zu bewältigen: schließlich ergiebt sich immer ein Feld als der Hauptschauplatz, auf welchem Kunstbildung und Geistesgehalt in ganz gleichem Maaße zu vollendeten Schöpfungen zusammen wirken. Daß solches bei minder bedeutenden Künstlern der Fall sein müsse, ist leicht zu verstehen, denn sie gelangen in ihrem Auftreten zuletzt an Gegenstände, zu deren Bewältigung ihre Kraft nicht mehr ausreicht. Schwerer begreift es sich bei den universal Begabten: und doch predigt auch bei ihnen die Erfahrung dieselbe Lehre, und womöglich noch eindringlicher, die Lehre, daß es im Reiche der Kunst keinen Einen giebt, der Alles einschlösse, daß auch der Größte, der, dessen Ideale[459] uns die theuersten und der Menschheit die segenbringendsten sind, sich begnügen muß neben andern Großen als Gleicher zu erscheinen. Der Grund einer so durch allgemeine Erfahrung bestätigten Thatsache wird überaus lehrreich sein und uns das innerste Verhältniß des einzelnen Künstlers zu der Kunst aufdecken.

Bei jedem Künstler ist die Freude an den reinen Formen seiner Kunst vorhanden, noch abgesehen von allem Gehalt, und je größer der Künstler ist, desto stärker äußert sich in ihm der Trieb nach der Bewältigung der Kunstformen und das Wohlgefallen daran. Dieses Vergnügen an der künstlerischen Formbildung muß es verursachen, daß große Künstler in mittleren Gebieten über einen gewissen Formalismus nicht hinaus kommen, nämlich in allen denjenigen Gebieten, welche ungeeignet sind zur vollen Aufnahme des tieferen Gehaltes, der in solchen Künstlern zur Gestaltung drängt. Wir sehen daher wie Shakespeare mit unerschöpflichen Hülfsmitteln ein Lustspiel auf phantastischem Grunde aufführt, welches Andere nach ihm viel einfacher auf einen natürlicheren Boden verlegten, wo die Handlung sich wie von selbst zu ergeben schien, während schon der Grundriß seiner Feenpaläste mehr künstlerische Phantasie voraussetzt, als den meisten Lustspieldichtern verliehen ist. Wir sehen wie Händel in seinen vielen Opern unbefangen und anscheinend unbedacht die Formen einhält, deren Durchbrechung Andere nach ihm berühmt gemacht hat; wie er mit derselben Unerschöpflichkeit und demselben künstlerischen Luxus sich ergeht in der Schilderung allgemeiner Gefühlszustände, allgemeiner Charaktere mit einem geringen Anhauch individueller Charakteristik, die später das ABC der Operncomposition wurde, und mit einem Aufwand von Kunstgedanken der ebenfalls den meisten nachfolgenden Operncomponisten nicht entfernt zu Gebote stand. Bei Beiden stehen Mittel und Zweck nicht in einem völlig natürlichen Verhältnisse; das Behagen, welches uns ihre Lustspiele und Opern einflößen, ist kein bloß sachliches, es ist zum guten Theil ein formell künstlerisches, und auch da noch bewundern wir Dichter und Musiker als solche, wo uns die Sache selbst wenig anzieht. Die Hauptursache hiervon ist, daß die Meister ebenfalls eine überwiegend formell künstlerische Haltung zu ihrem Gegenstande einnahmen. Darin liegt zugleich die Erklärung der auffallenden Erscheinung, daß Beide, die das[460] rein Ernste doch so erschütternd ernst nahmen, sich hier über Dinge leichtsinnig hinweg hoben, deren ernstere oder angemessenere Behandlung bei Andern die schönsten Kunstwerke erzeugt hat. Wir müssen diese ihre Gebilde ansehen als köstliche und merkwürdige Erzeugnisse der Ueberfülle künstlerischer Phantasie, zugleich aber auch als einen Tummelplatz, auf welchem sie sich für das Höhere und Ernstere stählten. Lustspiel und Oper, eben wegen ihrer auf sich selbst gestellten, völlige Lebendigkeit erstrebenden Haltung, waren die besten Mittel, die Künstler in ihrem Schaffen durchaus sicher zu machen, sie durch Bewältigung und Beherrschung der Form von dem Zwange der Form vollkommen zu befreien. Eine unausgesetzte Dahingabe an die Tragödie und das Oratorium würde dies nie in einem solchen Maaße bewirkt haben. Dasselbe Genie, welches auf dem Durchgange durch Lustspiel und Oper zur höchsten Kunstschönheit heran reiste, wäre bei einseitiger Beschäftigung mit Tragödie und Oratorium in Gefahr gekommen, einem formlosen Naturalismus zu verfallen. Die frühesten uns erhaltenen Werke Shakespeare's und Händel's legen die Möglichkeit dieses Abweges noch deutlich genug vor Augen. Jedes große und allgemein verständliche Kunstwerk muß auf dem goldnen Grunde der Heiterkeit, durchsichtiger Klarheit und individueller Lebendigkeit ruhen. Aber diesen Grund freischaffend zu gewinnen, ist Werken von wesentlich tragischer und erhabener Haltung unmöglich, da der menschliche Geist seine Thätigkeit nicht zu gleicher Zeit und bei einem und demselben Werke gleich stark nach zwei entgegen gesetzten Seiten erstrecken kann; der Grund muß schon gewonnen, schon in seinem eignen Gebiete freigelegt sein, bevor ein Gebäude von größerer Anlage auf ihm sich erheben kann. Diese Aufgabe hatten ihre Lustspiele und Opern, die an Adel, Charakterwahrheit und Idealität alle Werke ihrer Zeitgenossen weit überflügeln. Und Beide arbeiteten dann als Tragöde und als Oratoriencomponist so ursprünglich frisch und schnitten ihre Garben in einem eben gereiften vollen Aehrenfelde, weil sie selber sich dieses Feld erst auserwählt und von Grund aus bereitet hatten. Keiner ihrer Nachfolger erreichte ihre Größe, denn keiner war je wieder in der Lage, so mit Tagesanbruch sein Werk zu beginnen und die Frische dieses Schöpfungsmorgens zu empfinden.

Weit entfernt daher, Händel's langes und mit so vielen Widerwärtigkeiten[461] verbundenes Verweilen bei der italienischen Oper für fruchtlos oder gar für verfehlt zu erklären (wie geschehen ist), wird meine Darstellung überall – ich hoffe unabsichtlich wie absichtlich – den Beweis geführt haben, daß er den völlig richtigen Weg ging, den einzigen Weg auf welchem er sich selber treu bleiben und endlich das werden konnte, was zu werden für ihn wie für die Tonkunst entscheidend war. Für ihn wie für den großen Briten war die Bühne, und was an diesen Mittelpunkt grenzte, der naturgemäße Wirkungsplatz. Händel war hier mit Shakespeare wesentlich in gleicher Lage. Man darf sich durch seine Kämpfe gegen die Oper nicht beirren lassen: er ging nie eigentlich von der Bühne ab, sondern nur darüber hinaus, wie es seine Kunst, die Tonkunst, zu ihrer Vollendung erforderte. Das Theaterspiel war in vollem Gange, als Beide die Bühne betraten, die ganze Oeffentlichkeit drängte sich auf diesen Weg. Es war kein hoher Weg, es war eine breite Heerstraße, niedrig und etwas schmutzig gelegen. Reinlichere stillere Geister, vom Gewühl verscheucht und durch den Schmutz abgeschreckt, pflegten daher wohl den einsameren Spaziergang rechts oder links oben auf den Bergen vorzuziehen. Zu oben rechts und links in Shakespeare's Wege wandelten lyrische und epische Dichtung, das lyrische Sonett und das romantische Epos, beide nebst dem Drama wesentlich von italienischer Formung; in Händel's Wege aber der zur Kammermusik erweiterte lyrische Gesang und die zu vollchörigen Kirchensätzen gestaltete epische (biblische) Hymne, beide nebst der Oper gleichfalls in Italien am höchsten ausgebildet. Diese den Theaterspielen zur Seite gehenden Künste waren hochvollendet, als dramatische Dichtung und Tonkunst in der Gestalt des Schauspiels und der Oper auf dem mittleren Wege noch unmündig dahin schlenderten. Sie nun endlich in Tragödie und Oratorium zu ihrer vollen Größe zu bringen, den überkommenen theatralischen Weg so zu erhöhen, daß die alte Kluft ausgefüllt und eine freie Bahn gewonnen wurde, welche die Höhen zu beiden Seiten verband und noch überragte: dies war die große That, die jeder von ihnen in seinem Gebiete vollbrachte. Damit hatte man denn die gesuchte wahrhaft neue Bahn, welche die Kunst fortan wandelte.

Fußnoten

1 Burney, Tagebuch einer musikal. Reise I, 259.


2 »29 Oct., Saturday, their MM. were at the Opera in the Hay-Market, where the celebrated Sig. Caffarielli perform'd for the first time with universal applause.« Daily Advertiser v. 31. Oct. '37. Burney (IV, 418) läßt ihn erst am 1. November auftreten.


3 Mainwaring, Memoirs p. 124. Hiernach wäre Lord Middlesex der Director der Opern gewesen und hätte die besagte Summe für Faramondo und das Pasticcio Alessandro Severo bezahlt: Irrthümer, welche Hawkins (V, 354) nachsprach.


4 London Daily Post v. 23. Jan. u. 4. Feb. '38. »Faramondo an Opera as it is Perform'd at the King's Theatre in the Hay-Market. Compos'd by M. Handel. London, J. Walsh... No. 633.« 91 Seiten in Fol.


5 »This day is publish'd, price 1 [2?] s. 6 d., The favourite Songs in the Opera call'd Alexander Severo,in Score. By Mr. Handel. J. Walsh,« London Daily Post v. 8. März '38.


6 Burney liest: »Angefangen der 26 December, Montag, der 2 X dag.« History IV, 423. Die Erklärung dieser Lesart ist er uns schuldig geblieben.


7 London Daily Post v. 24. April u. 30. Mai '38.


8 »For the benefit of Mr. Handel, at the King's Th. in the Hay-Market, this day [Dienstag] will be performed An Oratorio. With a Concerto on the Organ. Pit and Boxes to be put together..... Tickets.. at half a Guinea each. Gallery five Shillings... N.B. For the better conveniency there will be benches upon the Stage.« London Daily Post v. 28. März '38.


9 Burney, Sketch in Comm. p. 24.


10 Burney, History IV, 426.


11 Mainwaring, Memoirs p. 125–26.


12 London Daily Post v. 26. April '38, und öfter.


13 London Daily Post v. 24. Mai '38.


14 London Daily Post v. 21. Juni '38.


15 London Daily Post v. 26. Juli '38.


16 London Daily Post v. 19. April '39.


17 London Evening-Post v. 20./23. Jan. '39.


18 »This day is publish'd, price 4 s. The favourite Songs in the Operetta call'd Hymen, in Score, composed by Mr. Handel. J. Walsh.« London Daily Post v. 18. April '41.


19 »Songs in the new Opera call'd Deidamia, Composed by Mr. Handel. First Collection. Pr. 4 s.«Lond. Daily Post v. 29. Jan. '41. – Am 21. Februar: »The whole Opera of Deidamia in Score«, nebst Nachricht, daß die erste Lieferung nur den ersten Akt enthalte und jetzt durch die zweite vervollständigt werden könne.


20 Burney, History IV, 435–36.


21 Burney, History IV, 359.

Quelle:
Chrysander, Friedrich: G.F. Händel. Band 2, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1860.
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