VIII.

[45] Außer den großen Verdiensten, welche Bach in der Kunst als vollendeter Spieler, Componist und Musiklehrer hatte, besaß er auch das Verdienst, ein vorzüglich guter Hausvater, Freund und Staatsbürger zu seyn. Die Tugenden des Hausvaters bewies er durch seine Sorgfalt für die Bildung seiner Kinder, und die übrigen durch gewissenhafte Erfüllung gesellschaftlicher und bürgerlicher Pflichten. Sein Umgang war Jedermann angenehm. Wer nur irgend ein Kunstliebhaber war, er mochte fremd oder einheimisch seyn, konnte sein Haus besuchen, und sicher seyn, eine freundliche Aufnahme zu finden. Diese geselligen Tugenden mit seinem großen Kunstruf vereint, waren auch Ursache, daß sein Haus fast nie von Besuchen leer wurde.

Als Künstler war er außerordentlich bescheiden. Bey dem großen Uebergewicht, welches er über seine Kunstverwandte hatte, und gewiß fühlen mußte, bey der Bewunderung und Ehrerbiethung, die ihm täglich als so hervorragendem Künstler bewiesen wurde, hat man doch kein Beyspiel, daß er je irgend einen Anspruch darauf gebaut hätte. Wenn er bisweilen gefragt wurde, wie er es denn angefangen habe, der Kunst in einem so hohen Grade mächtig zu werden, antwortete er gewöhnlich: Ich habe fleißig seyn müssen; wer eben so fleißig ist, der wird es eben so weit bringen können. Auf seine größern angebohrnen Gaben schien er nichts zu rechnen. Alle seine Urtheile über andere Künstler und ihre Werke waren freundlich und billig. Es mußte ihm nothwendig manches Kunstwerk klein vorkommen, da er sich ausschließend fast immer mit der höhern, größern Kunst beschäftigte; dennoch hat er sich nie erlaubt, ein hartes Urtheil darüber zu äußern, es müßte denn gegen einen seiner Schüler gewesen seyn, welchen er reine, strenge Wahrheit schuldig zu seyn glaubte. Noch weniger hat er sich je durch das Gefühl seiner Kraft und Uebermacht verleiten lassen, ein herausfordernder musikalischer Renomist zu werden, wie dieß so häufig der Fall bey Spielern ist, die sich für stark halten, wenn sie einen schwächern vor sich zu sehen glauben. Seine Bescheidenheit ging hierin so weit, daß er selbst von dem musikalischen Wettstreit, welchen er gegen Marchand bestehen sollte, nie freywillig sprach, ob er gleich hier nicht Ausforderer, sondern der Aufgeforderte war. Die vielen zum Theil abentheuerlichen Fechterstreiche, die ihm nachgesagt werden, z.B. daß er bisweilen, als ein armer Dorffschulmeister gekleidet, in eine Kirche[45] gekommen sey, und den Organisten gebethen habe, ihn einen Choral spielen zu lassen, um sodann das durch sein Spielen erregte allgemeine Staunen der Anwesenden zu genießen, oder vom Organisten zu hören, er müsse entweder Bach oder der Teufel seyn etc. sind erdichtete Mährchen. Er selbst hat nie etwas davon wissen wollen. Auch hatte er zu viele wahre Kunst, als daß er solche Scherze mit ihr hätte treiben können. Ein Künstler wie Bach wirst sich nicht weg.

In musikalischen Gesellschaften, in welchen Quartette oder vollstimmigere Instrumentalstücke aufgeführt wurden, und er sonst nicht dabey beschäftigt war, machte es ihm Vergnügen, die Bratsche mit zu spielen. Er befand sich mit diesem Instrument gleichsam in der Mitte der Harmonie, aus welcher er sie von beyden Seiten am besten hören und genießen konnte. Wenn es in solchen Gesellschaften die Gelegenheit mit sich brachte, accompagnirte er auch bisweilen ein Trio oder sonst etwas mit dem Flügel. War er dann fröhlichen Geistes, und wußte, daß es der etwa anwesende Componist des Stücks nicht übel nehmen würde, so pflegte er, wie schon oben gesagt worden, entweder aus dem bezifferten Baß ein neues Trio, oder aus 3 einzelnen Stimmen ein Quartett aus dem Stegreif zu machen. Dieß sind aber wirklich die einzigen Fälle, wobey er gegen andere bewies, wie stark er war. Ein gewisser Hurlebusch aus Braunschweig, ein eingebildeter und übermüthiger Clavierspieler, besuchte ihn einst in Leipzig, nicht um ihn zu hören, sondern um sich hören zu lassen. Bach nahm ihn freundlich und höflich auf, hörte sein sehr unbedeutendes Spielen mit Geduld an, und als er beym Abschied den ältesten Söhnen ein Geschenk mit einer gedruckten Sammlung von Sonaten machte, mit der Ermahnung, daß sie sie recht fleißig studiren möchten, (sie, die schon ganz andere Sachen studirt hatten) lächelte er doch bloß in sich, und wurde gegen den Fremden nicht im mindesten unfreundlicher.

Er mochte gern fremde Musik hören. Wenn er nun in einer Kirche eine stark besetzte Fuge hörte, und einer seiner beyden ältesten Söhne stand etwa neben ihm, so sagte er stets vorher, sobald er die ersten Eintritte des Thema gehört hatte, was der Componist und von Rechts wegen anbringen müsse, und was möglicher Weise angebracht werden könne. Hatte nun der Componist gut gearbeitet, so trafen seine Vorhersagungen ein;[46] dann freuete er sich, und stieß den Sohn an, um ihn aufmerksam darauf zu machen. Man sieht hieraus, daß er auch die Kunst Anderer schätzte.

Die Componisten, die er in seiner Jugend studirte, schätzte und liebte, sind schon genannt. In seinem spätern, völlig reisen Alter wurden sie aber verdrängt. Hingegen hielt er nun viel auf den ehemahligen Kaiserlichen Ober-Capellmeister Fux, auf Händel, auf Caldara, auf Reinh. Kayser, auf Hasse, beyde Graune, Telemann, Zelenka, Benda etc. überhaupt auf alles, was damahls in Dresden und Berlin am vorzüglichsten war. Die ersten vier, nehmlich Fux, Händel, Caldara und Kayser, kannte er nicht persönlich, die übrigen aber sämmtlich. Mit Telemann hatte er in seiner Jugend vielen Umgang. Händeln achtete er sehr hoch, und wünschte oft, ihn persönlich kennen zu lernen. Da Händel ebenfalls ein großer Clavier- und Orgelspieler war, so wünschten auch viele Musikfreunde in Leipzig und in der dortigen Gegend, beyde große Männer einmahl gegen einander zu hören. Aber Händel konnte nie die Zeit zu einer solchen Zusammenkunft finden. Er war dreymahl aus London zum Besuch nach Halle (seiner Vaterstadt) gekommen. Beym ersten Besuch, etwa im Jahr 1719, war Bach noch in Cöthen, nur 4 kleine Meilen von Halle entfernt. Er erfuhr Händels Ankunft sogleich, und säumte keinen Augenblick, ihm unverzüglich seinen Besuch abzustatten; aber gerade am Tage seiner Ankunft, reiste Händel wieder von Halle ab. Beym zweyten Händelschen Besuch in Halle (zwischen 1730–1740.) war Bach schon in Leipzig, aber krank. Er sandte aber, sobald er Händels Ankunft in Halle erfahren hatte, sogleich seinen ältesten Sohn, Wilh. Friedemann, dahin, und ließ Händeln aufs höflichste zu sich nach Leipzig einladen. Händel bedauerte aber, daß er nicht kommen könne. Beym dritten Händelschen Besuch, um das Jahr 1752 oder 1753 war Bach schon todt. Sein Wunsch, Händeln persönlich kennen zu lernen, wurde ihm also eben so wenig erfüllt, als der Wunsch vieler Musikfreunde, die ihn und Händel gern neben einander gesehen und gehört hätten.

In Dresden war die Capelle und die Oper, während Hasse Capellmeister dort war, sehr glänzend und vortrefflich. Bach hatte schon in frühern Jahren dort viele Bekannte, von welchen allen er sehr geehrt wurde. Auch Hasse nebst seiner Gattin, der berühmten Faustina, waren mehrere Mahle in Leipzig gewesen, und hatten seine[47] große Kunst bewundert. Er hatte auf diese Weise immer eine ausgezeichnet ehrenvolle Aufnahme in Dresden, und ging oft dahin, um die Oper zu hören. Sein ältester Sohn mußte ihn gewöhnlich begleiten. Er pflegte dann einige Tage vor der Abreise im Scherz zu sagen: Friedemann, wollen wir nicht die schönen Dresdener Liederchen einmahl wieder hören? So unschuldig dieser Scherz an sich ist, so bin ich doch überzeugt, daß ihn Bach gegen keinen andern als gegen diesen Sohn geäußert haben würde, der um jene Zeit ebenfalls schon wußte, was in der Kunst groß, und was bloß schön und angenehm ist.

Was man in der Welt einglänzendes Glück nennt, hat Bach nicht gemacht. Er hatte zwar ein einträgliches Amt, aber er hatte auch von den Einkünften des selben eine große Anzahl Kinder zu ernähren und zu erziehen. Andere Hülfsquellen hatte und suchte er nicht. Er war viel zu sehr in seine Geschäfte und in seine Kunst vertieft, als daß er diejenigen Wege hätte einschlagen mögen, auf welchen vielleicht für einen solchen Mann, wie er war, besonders in seiner Zeit, eine Goldgrube zu finden gewesen wäre. Wenn er hätte reisen wollen, so würde er, wie sogar einer seiner Feinde gesagt hat, die Bewunderung der ganzen Welt auf sich gezogen haben. Allein, er liebte ein häusliches, stilles Leben, eine stete, ununterbrochene Beschäftigung mit seiner Kunst, und war, wie schon von seinen Vorfahren gesagt worden ist, genügsam.

Ueberdieß gebrach es ihm in seinem Leben weder an Liebe und Freundschaft, noch an großer Ehre. Der Fürst Leopold in Cöthen, Herzog Ernst Augustin Weimar, und Herzog Christian in Weissenfels waren ihm mit herzlicher Liebe zugethan, die dem großen Künstler um so mehr werth seyn mußte, da diese Fürsten nicht bloß Freunde, sondern auch Kenner der Kunst waren. In Berlin und Dresden wurde er ebenfalls allgemein geachtet und verehrt. Wenn man hierzu noch die Bewunderung der Kenner und Liebhaber der Kunst rechnet, die ihn gehört oder seine Werke kennen gelernt hatten, so wird man leicht begreifen, daß ein Mann wie Bach, der nur »sich und den Musensang« auch aus den Händen des Ruhms alles erhalten hatte, was er sich wünschen konnte, und was für ihn mehr Reitz hatte, als die zweydeutigen Geschenke eines Ordensbandes oder einer goldenen Kette.[48]

Daß er im Jahr 1747 Mitglied der von Mitzler gestifteten Societät der musikalischen Wissenschaften wurde, würde kaum bemerkt zu werden verdienen, wenn wir diesem Umstand nicht den vortrefflichen Choral: Vom Himmel hoch etc. zu verdanken hätten. Er übergab diesen Choral der Societät bey seinem Eintritt in dieselbe, und ließ ihn nachher in Kupfer stechen.

Quelle:
Forkel, Johann Nikolaus: Über Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. Leipzig 1802 (Nachdruck Frankfurt am Main 1950), S. 45-49.
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