IV.

Krankheitsnöte.

[98] Peps' Tod. – Seelisberg. – Erkrankung an der Gesichtsrose. – Verzögerung von Liszts Besuch. – Semper nach Zürich. – Züricher Schopenhauer-Bewegung. – Ablehnung weiterer Beteiligung an den Musikvereinskonzerten. – ›Tannhäuser‹ in Berlin. – Gottfried Keller. – Vollendung der ›Walküre‹. – Rückfälle der Gesichtsrose. – Mornex. – ›Die Sieger.‹ – Hausbaupläne.


Mit meiner Gesundheit lebe ich fortwährend im Kampfe. Ich war von diesem abscheulichen Kranksein den ganzen Winter an der Vollendung meiner großen Arbeit, der Partitur der ›Walküre‹, verhindert.

Richard Wagner.


Das Londoner Unternehmen bildet im Leben des Meisters einen Ausschnitt von kaum einem halben Jahr (der eigentliche Aufenthalt in London rund vier Monate umfassend); aber, indem es ihn mitten aus dem Zuge seines Schaffens heraus in wildfremde, ihm ganz antipathische Verhältnisse versetzte, brachte es ihn, wie er sich dessen schon in London bewußt ward ›eigentlich um ein ganzes Jahr zurück‹. Diese prophetische Zeitangabe ist tatsächlich in nichts übertrieben, besonders wenn wir mit in Betracht ziehen, daß die ununterbrochenen Krankheitsanfälle, die ihn während des folgenden Winters plagten und an seiner Arbeit hinderten, ihren ausschließlichen Grund in den nachteiligen Einwirkungen des Londoner Klimas und der dortigen, seiner ganzen Natur innerlichst widerstehenden Eindrücke hatten. Zu Ostern des Jahres 1855 sollte die Partitur der ›Walküre‹ vollendet sein, – sie ward es genau ein Jahr später, im März 1856.

Seit er im Vorjahre den Seelisberg, ›entdeckt‹, hatte er sich nach ihm hingesehnt. Dort hatte er gehofft, den ›jungen Siegfried‹ zu komponieren. Nun mußte er froh sein, wenn es ihm gelang, den überstandenen Zwang so weit sich aus den Gliedern zu treiben, daß die ›Walküre‹ nur erst recht wieder in ihm lebendig würde. ›Ich für mein Teil faullenze für jetzt noch stark,‹ schreibt er einige Tage nach seiner Ankunft.1 ›Meine Frau hat mir eine herrliche [98] Hausjacke gemacht und wundervolle seidene Haussommerhosen; in denen wälze ich mich von einem Kanapee zum andern und – sehne mich nach Arbeit. Montag (9. Juli) ziehe ich mit Weib, Hund und Vogel auf den Seelisberg: dort denke ich mich endlich wieder zurecht zu finden.‹ Leider erfuhr dieser Plan eine traurige Verzögerung durch das Schicksal eben des Hundes, von dem in dieser Ankündigung die Rede ist: des altgetreuen Peps2 Kurz vor Wagners Ankunft war er etwas erkrankt; nachdem er seinen heimgekehrten Herrn auf das freundlichste begrüßt, schien er sich wieder zu erholen, und schon war der Tag der Abreise nach Seelisberg festgesetzt, da stellten sich bei dem guten Tiere plötzlich bedenkliche Zeichen ein. ›Wir verschoben unsere Abreise, um zwei Tage über den armen Sterbenden zu pflegen, der bis zuletzt eine wirklich herzzerreißend rührende Liebe zu mir bezeigte, und – fast schon tot – immer noch den Kopf, endlich nur noch das Auge, sehnsüchtig mir nachsandte, wenn ich mich auf ein paar Schritte von ihm entfernte. Ohne Schrei, ruhig und still, starb er dann in unseren Händen in der Nacht vom 9. zum 10. Juli. Am Mittag darauf begruben wir beide ihn in einem Garten beim Hause. Unaufhörlich mußte ich weinen, und habe um den lieben, dreizehnjährigen Freund, der stets mit mir arbeitete und spazieren ging, eine Trauer und einen Schmerz empfunden, der mich deutlich darüber belehrt hat, daß – die Welt nur in unserem Herzen und unserer Anschauung existiert.‹3

Nur einen ähnlichen Verlust, der ihm gleich diesem zu Herzen ging, hatte er bis dahin durch den Tod Papos erlebt. Nun war der zweite dieser tierischen Genossen seiner kinderlosen Häuslichkeit, aus der er sten Hälfte seiner Dresdener Periode, von ihm geschieden Zwar hatte Papo einen Nachfolger erhalten, auf dessen Existenz sich die eben zitierte Briefstelle ›mit Hund und Vogel‹ bezieht; und auch Peps sollte auf die Dauer nicht ohne Sukzession bleiben Trotzdem ist die Erinnerung an ihn in des Meisters Herzen niemals erloschen. Von dem frischen Grabe seines unersetzlichen kleinen Freundes, der ihn – wie der treue Argos den heimkehrenden Odysseus – gerade nur noch für ein letztes kurzes Wiedersehen erwartet, ging es dann in die herrliche Alpenwelt des Seelisbergs am Vierwaldstätter See. Hier oben in wundervoll [99] entlegener Öde, im ›Kurhaus Sonnenberg‹ (Bes. Michael Truttmann), setzte die immer noch leidende Minna ihre im vorigen Jahre (S. 45) begonnene Molkenkur fort. Wie ein Panorama breitete sich hier das ganze östliche und südöstliche Ufer des Urner Sees vor seinen Blicken aus: Brunnen, Schwyz, Marschach, Ort, Sisikon, Tellsplatte, Flüelen, Altdorf; dahinter die schneegekrönten Häupter der Tödi-Kette. ›Seit einigen Tagen bin ich hier oben im Paradiese angelangt‹, schreibt er von dort aus. ›Du hast keinen Begriff, wie schön es hier ist, welche Luft man atmet, und wie wohltätig dieses Ganze auf mich wirkt‹. ›Es war gut, daß ich zum Trost in diese heilige erhabene Gegend meinen Blick versenken konnte. Bei mir ists jetzt die herrliche Natur, die mich wieder für das Leben stimmt; so habe ich denn die Arbeit wieder aufgenommen.‹4 Im Übrigen vergehen die vier Wochen auf dem Seelisberg nach außen hin so schweigsam, daß wir außer den kurzen Zeilen an Liszt vom 22. Juli, die von dessen für den Herbst beabsichtigten Besuche handeln, nichts Näheres über diesen Aufenthalt erfahren, es wäre denn die nachträgliche Erwähnung an Fischer, daß es während der ganzen Zeit meist ›schlechtes Wetter‹ gegeben habe.5 Eine Episode davon hat uns indeß die Erinnerung des bekannten Münchener Originals, Baron Robert Hornstein, aufbewahrt, der damals als wohlgelittener junger Enthusiast und spezieller Freund Karl Ritters, dem Meister auf Seelisberg einen Besuch machte und an seinen Spaziergängen teilnahm. ›Ich hatte mich‹, so erzählt er ›das Jahr über viel mit Ludwig Feuerbach beschäftigt und brachte schon am ersten Abend das Gespräch auf ihn. Es fiel mir an Wagner eine gewisse Teilnahmlosigkeit gegen Feuerbach auf, – bald wurde mir klar, weshalb. Wagner machte einen raschen Sprung auf einen gewissen Arthur Schopenhauer, dessen Namen ich damals zum ersten Male hörte. Es würde zu weit führen alles das wiederzugeben, was er an jenem langen Abend über Schopenhauer sprach: es genügt wohl, daß ich nie mit solchem Enthusiasmus einen Künstler oder Autor habe rühmen hören. Wagner schrieb damals mit seiner Platinafeder6 aus einer Bleistiftskizze die »Walküre«7 ins Reine.‹ Er stand an einem Pult, wenige Schritte von einer Altane entfernt, die ich okkupiert hatte, um Schopenhauerzu studieren. Die wenigen Wochen auf dem Seelisberg machten mich zu einem Schopenhauer-festen Manne. Den ganzen Tag wurde eifrig studiert, und auch auf dem Abendspaziergange und nach dem Nachtmahle drehte sich das Gespräch hauptsächlich um Wagners neuen Helden. Als ich Wagner verließ, begleitete er mich noch ein gutes Stück gegen den See hinab, und sein letztes Wort war: ›wenn Sie nach Frankfurt kommen, grüßen Sie mir Schopenhauer.8

[100] Mit seiner Rückkehr nach Zürich am 15. August begann für den armen Meister ein überaus trauriger Herbst und Winter Seine Natur rächte sich für den ihr durch London angetanen Zwang. Ein peinigendes Unwohlbefinden, dessen Belästigungen sich seit lange in ihm aufgesammelt, kam zu wiederholtem Ausbruch, zuletzt als Gesichtsrose, die ihn in beständigen Rückfällen bis zum Frühjahr nicht verließ, sondern immer wieder auf das Krankenlager zurückwarf. In den Zwischenzeiten, die der Krankheits-Dämon ihm übrig ließ, ward die Partitur der ›Walküre‹ vollendet. Aber nur sehr allmählich. Seine briefllichen Nachrichten an Liszt und Fischer bieten unter diesen Umständen eine völlige Krankheitsgeschichte, die bis zum Mai des folgenden Jahres hinausreicht. Schon Anfang September heißt es: ›Jetzt habe ich acht Tage wegen Krankheit nicht arbeiten können‹; im Oktober: ›schon mehrere Tage fühle ich mich nicht wohl: es steckt mir was in den Gliedern.‹ Unmittelbar darauf legt er sich auf das Krankenlager, und meldet am 3. Nov.: ›Unglücklicherweise war ich gezwungen, die letzten Wochen im Bette zuzubringen.‹ Bald darnach: ›Heute habe ich mich eine Stunde aus dem Bette aufgemacht, um an X. zu schreiben.‹ Am 16. Nov.: ›Seitdem bin ich noch nicht wieder an die Luft gekommen. Doch gewöhne ich mich an das Zimmer, und sehne mich wenig an unsere Herbstnebel hinaus.‹ ›Zu den Dornen meines Daseins sind mir nun auch die »Rosen« erblüht; ich leide an steten Rückfällen der Gesichtsrose. Im glücklichsten Falle kann ich in diesem Jahre nicht mehr an die Luft gehen; den ganzen Winter aber werde ich unter beständiger Sorge vor Rückfällen zu verleben haben. Die geringste Aufregung mit kleinster Erkältung wirst mich sicher für zwei bis drei Wochen auf das Krankenlager‹ (12. Dez.). ›Ich bin immer wieder – oder immer noch – krank und unfähig zu allem‹ (Ende Dez.). ›Mit meiner Gesundheit lebe ich fortwährend im Kampfe, keinen Augenblick bin ich vor Rückfällen sicher‹ (18. Jan.). Und noch am 29. April: ›Da habe ich einmal wieder die Gesichtsrose gehabt; meine Laune aber will doch nicht rosig werden,‹ und Anfang Mai (an Liszt): ›Dein letzter Brief traf mich wieder auf dem Krankenbett: heute fürchte ich, kaum genesen, einen neuen Rückfall: so geht mirs!‹ –

Dieser Überblick über sein körperliches Befinden während des Winterhalbjahres und darüber hinaus bis ins vorgerückte Frühjahr mußte vorausgeschickt werden, um im Folgenden nicht jedesmal einzeln darauf zurückzukommen. [101] Mit Mühe und Not nahm er im Herbst die Arbeit wieder auf: er erzwang sie, weil sie einzig ihm Vergessen und Befreiung gewährte. Doch blieb seine innerliche Verstimmung unbeschreiblich: – ›oft starre ich Tage lang auf das Notenpapier und finde keine Erinnerung, kein Gedächtnis, keinen Sinn für meine Arbeit mehr.‹ Trotzdem konnte er schon am 3. Oktober die Reinschrift der fertigen beiden ersten Akte der ›Walküre‹ an Liszt nach Weimar senden, während die Instrumentationsskizzen behufs Anfertigung des Klavierauszuges nach London zu Klindworth gingen.9 Aber auch an nagenden Sorgen war diese Zeit nicht arm. Zeugnis davon legt vor allem der Brief an den alten Fischer ab, in welchem er sich über die Verwahrlosung des Meserschen Verlagsgeschäftes und daraus resultierende Bedrängnis durch seine alten Dresdener Gläubiger beklagt. Es fehlte nur, daß er dadurch noch einmal sich zu dem verderblichen Wahn hätte anstacheln lassen, nachdem er London noch nicht aus den Gliedern hatte, einer ähnlichen Verlockung nach Amerika nachzugeben, wo einerseits New-York, andererseits die Stadt Boston (bei Gelegenheit der Einweihung einer Beethoven-Statue) ein großartiges Musikfest unter seiner Leitung plante. Daß man eine solche Einladung für ihn im Sinne hatte, war ihm schon in London bekannt geworden, nun ward ihm derselbe Antrag aufs Neue durch Liszt übermittelt. Er empfand es als ›wahres Glück‹, daß ihm dabei keine großen Geld-Offerten gemacht wurden! ›Sollten sich die New-Yorker entschließen können, mir eine namhafte Summe zu bieten, so müßte mich dies wirklich in eine gräßliche Verlegenheit setzen.‹ ›Du lieber Gott, dergleichen Summen, wie ich sie in Amerika »verdienen« könnte, sollten mir die Leute schenken, ohne etwas Anderes dafür zu fordern, als das, was ich eben tue, und was das Beste ist, das ich tun kann.‹ ›Es ist nicht meine Sache »Geld zu verdienen«; aber es wäre die Sache meiner Verehrer, mir soviel Geld zu geben, als ich brauche, um guter Laune etwas Rechtes zu schaffen.‹

Dem Herbst 1855 gehört auch noch ein kurzer Briefwechsel mit Berlioz an, ein Nachspiel zu ihrer letzten Londoner Begegnung, und zugleich von Wagners Seite ein redlicher Versuch, diese allerneuesten künstlerischen und persönlichen Beziehungen, nachdem sie zuletzt sich anscheinend so freundlich gestaltet, nach Kräften zu pflegen und festzuhalten. ›Morgen schreibe ich Berlioz,‹ meldet er Liszt schon Anfang September (einige Wochen nach seiner Rückkehr von Seelisberg) ›er soll mir seine Partituren schicken. Mich wird er nie recht kennen lernen; die Unkenntnis der deutschen Sprache wehrt ihm dies; er wird mich immer nur in trügerischen Umrissen sehen. So will ich denn mein Vorrecht ehrlich gebrauchen, und ihn desto näher mir zuzuführen suchen.‹ Auch wiederholte er ihm bei dieser Gelegenheit seine schon in London ihm [102] mündlich vorgebrachte, freundschaftlich warme Einladung, ihn in Zürich zu besuchen und sich dabei mit Liszt ein Rendez-vous zu geben. ›Die vorgeschlagene Zusammenkunft‹, erwidert ihm Berlioz (10. Sept.), ›wäre ein Fest für mich, aber ich muß mich wohl hüten, daran zu denken. Ich muß für meinen Lebensunterhalt ganz andere, unangenehme Reisen machen, da Paris für mich nur Früchte voller Asche hervorbringt. Einerlei‹, fährt er fort, ›wenn wir noch ein Hundert Jahre leben würden, so glaube ich, wir würden über manche Dinge und über manche Personen Recht erhalten.‹ Über Wagners künstlerische Beschäftigung angesichts der erhabenen Alpennatur heißt es: ›Sie sind also im vollen Zuge, durch Ihre Nibelungenmusik die Gletscher schmelzen zu machen! Das muß herrlich sein, so in Gegenwart der großen Natur zu schreiben!‹ Von sich selbst sagt er im Gegensatz dazu, es sei ihm unmöglich unter dem unmittelbaren Eindruck der Natur, schöner Landschaften oder hoher Bergesgipfel, zu schaffen: ›ich kann den Mond nur zeichnen, indem ich sein Bild im Brunnen erblicke.‹10 Wagners Bitte, seine sämtlichen Partituren, wenn er sie gratis erhalten könnte, ihm zum Geschenk zu machen, konnte er nicht erfüllen, da ihm seine Verleger seit lange keine Freiexemplare mehr bewilligten. Wagner seinerseits befand sich nicht in der Lage, 500 Francs an ihre Anschaffung zu wenden, und mußte sich demnach ohne ihre nähere Kenntnis begnügen, wiewohl es ihn gerade damals ›sehr interessiert hätte, Berlioz' Symphonieen einmal genau in der Partitur vorzunehmen.‹ Er wandte sich deshalb an Liszt mit der Bitte sie ihm zu leihen,11 und Liszt versprach ihm den Packen ›bis Mitte November zu schicken.‹12 Allein auch dazu kam es nicht, vermutlich weil er ihrer, die aus seiner Bibliothek soeben nach allen Richtungen hin sämtlich ausgeliehen waren, nicht zur rechten Zeit wieder habhaft werden konnte. Als daher Liszt im nächsten Frühjahr anläßlich einer Weimarer ›Lohengrin‹-Vorstellung mit drei Worten anführt: ›Berlioz war zugegen‹,13 erwidert ihm der Meister: ›Von Berlioz hattest Du mir nichts weiter zu melden? Wirklich glaubte ich recht viel von ihm zu erfahren. Und von seinen Partituren kann ich auch immer noch nichts bekom men?‹ Diese nochmalige Erkundigung ist die letzte Erwähnung dieser Angelegenheit zwischen den beiden Freunden. Von einer Sendung der Berliozschen Werke nach Zürich ist auch weiterhin mit keinem Worte die Rede, woraus mit Sicherheit entnommen werden kann, daß sie aus dem schon erwähnten Grunde überhaupt nicht erfolgt und das Verlangen Wagners einfach unerfüllt geblieben ist

Wenn in dieser entsagungsvollen Zeit zwischen Krankheit und Sorge etwas zu seiner Erfrischung beitragen konnte, so wäre es Liszts seit lange in [103] Aussicht gestellter Besuch gewesen. Leider sollte es für jetzt auch zu dieser Erquickung nicht kommen. Der Grund der Verhinderung dieses seit lange ersehnten Zusammenseins war indeß nicht auf Liszts Seite. Er lag vielmehr in der unerfreulichen Situation in der sich der Meister durch seine Krankheit und alle daraus sich ergebenden Übelstände befand. Nachdem Liszts erneuter Besuch in Zürich ursprünglich schon für den Herbst 1854 geplant gewesen,14 nachdem Wagners Hoffnung auf ein Zusammentreffen in London15 unverwirklicht, sein Verlangen nach einem gemeinschaftlichen Aufenthalt auf dem Seelisberg16 unerfüllt geblieben, war er es schließlich selbst, der das so lange verzögerte Wiedersehen immer noch weiter hinausschob. Um den Genuß desselben sich so ergiebig als möglich zu machen, wünschte er die endliche Zusammenkunft nun nicht früher zu veranstalten, als bis er die ganz vollendete Partitur der ›Walküre‹ mit Liszt gemeinschaftlich am Klavier durchgehen könnte. Er hoffte, dies werde zu Weihnachten möglich sein: da kamen die beständigen Rückfälle seiner Krankheit, schließlich die völlige Ungewißheit seines Gesundheitszustandes, störend dazwischen. ›Heute sollte ich bei Dir sein,‹ schreibt ihm Liszt am 24. Dezember, ›und Dir einen Christbaum anzünden, wo Dir die Strahlen und Gaben Deines Genius aufflimmern! Und nun sitzen wir so auseinander, Du mit Deiner Gesichtsrose, und ich auch mit allerlei Rosen aus ähnlichen Gärten.‹ ...

Die durch Wagners Befürwortung veranlaßte Berufung Sempers an das Züricher neueröffnete Polytechnikum vermehrte inzwischen in erfreulicher Weise den Bestand des Züricher Freundeskreises (in welchem sonst immer noch der treffliche Jakob Sulzer die erste Stelle einnahm) um eine, zwar in manchen Stücken schroffe und seltsame, doch aber kernige und geniale Persönlichkeit. ›Du weißt wohl, daß Semper jetzt hier angestellt ist?‹ meldet Wagner an Liszt. ›Er macht mir große Freude: Künstler durch und durch, und dabei im Naturell jetzt liebenswürdiger als früher; aber immer noch feurig.‹ ›Auch Karl Ritter läßt sich jetzt hier nieder, er gefällt mir jetzt mehr wie je. Sein Verstand ist enorm: ich kenne keinen jungen Mann seinesgleichen.‹ In diesem lebhaft angeregten, geistsprühenden Kreise wurde denn auch mit großem Eifer Schopenhauers Philosophie diskutiert. Seit Wagners erstem Bekanntwerden mit Schopenhauers Schriften und seiner enthusiastischen Erklärung für den – jahrzehntelang verkannten und totgeschwiegenen – großen Philosophen, war Zürich ein wahrer Mittelpunkt begeisterter Anhängerschaft und Verehrung für ihn geworden. Wie das Beispiel des jungen Hornstein beweist, ging nicht leicht Jemand unbelehrt und unbekehrt aus seiner Nähe, und wenn er auch aus dem entgegengesetzten philosophischen Lager kam Einzig gegen Sempers hartnäckiges Naturell scheint seine feurige Überredung nichts ausgerichtet zu[104] haben. ›Semper wollte nie etwas hören von Schopenhauers Philosophie‹, soll er sich später über diesen geäußert haben ›sie vernichte, meinte er, alles künstlerische Wirken. Meine Werke sprechen vom Gegenteil.‹17 Die Reflexe der Züricher Bewegung können wir in Schopenhauers gleichzeitigem Briefwechsel genau verfolgen. Wir begegnen darin nicht allein wiederholt dem Namen Wagners, sondern sukzessive auch den meisten seiner näheren und ferneren Züricher Freunde: Sulzer, Herwegh, Wille, Karl Ritter, Hornstein etc., sogar auch Semper, wenn auch in mehr indirekter Beziehung. Der Reigen dieser demonstrativen Huldigungen an den einsamen Frankfurter Weisen war durch den Meister selbst eröffnet. Schon das Jahr zuvor – um Weihnachten 1854 – hatte er ihm eines der sehr wenigen, ihm noch übrig gebliebenen gedruckten Exemplare seiner Dichtung vom ›Ring des Nibelungen‹ übersandt. ›Kein Brief dabei, sondern bloß eingeschrieben: aus Verehrung und Dankbarkeit‹, meldet Schopenhauer in einem Briefe an Frauenstädt vom 30. Dezember 1854, nachdem er zuvor des Buches erwähnt: ›welches nicht im Buchhandel, sondern bloß für Freunde gedruckt ist, auf süperbem dickem Papier und sauber gebunden.‹18 In demselben Briefe gedenkt er der an ihn ergangenen Einladung einer ›ganzen Koterie schöner Geister‹ zu einem Besuche in Zürich.19 Kurz darauf heißt es wieder: ›in dem Zürich scheint so ziemlich der Teufel mit mir los zu sein. Fort bien!‹20 Der durch Wagners Begeisterung entfachte Funke hatte gezündet, und wirkte nun selbstätig weiter. Stiller wird es für eine Weile, solange der Meister in London weilt. Kaum aber ist er von dort zurück, so beginnen auch schon wieder in Schopenhauers Korrespondenz die Erwähnungen neuer Züricher Symptome. Besuche, Grüße, Einladungen, Projekte folgen einander dicht auf dem Fuße. Zunächst der Besuch Hornsteins, der dabei direkt als ›Schüler Richard Wagners‹ bezeichnet wird (S. 101, A.). Hornstein selbst erzählt, Schopenhauer, dem er Wagners Grüße ausrichtete, habe dessen Verehrung für ihn bereits gekannt. ›Er hat mir schon einmal durch einen Züricher Studenten (?), politischer Flüchtling schien er mir zu [105] sein, Grüße sagen lassen; der Mensch gefiel mir aber nicht.21 Doch halt, der alte Wille hat mir ja auch Grüße von ihm gebracht, der alte Wille, ja freilich, eigentlich ein guter Hamburger.‹ Dann tritt das Projekt in den Vordergrund, in Zürich einen eigenen Lehrstuhl für Schopenhauers Philosophie zu errichten; ersichtlich auf Wagners Anregung, wiewohl dabei nicht sein, sondern bloß Sulzers Name genannt wird. ›Kommt mir ein Brief aus Zürich von einem K(arl) R(itter)‹, heißt es dazwischen (23. Dezember) ›meldend, in einem Kreise, zu dem er gehöre, seien meine Schriften mit solcher Begeisterung gelesen, daß sie sehr wünschen, mein Bild zu haben, in Daguerrotyp, Zeichnung, Farbenbild oder wie, und daß der Künstler es an ihn schicken und den Betrag sich von der Post zahlen lassen möge.‹22 Ende März wird der persönliche Besuch Ritters als kürzlich stattgefunden signalisiert, – ›versteht sich im Auftrag der ganzen Partei, welche die Sache (Errichtung des Lehrstuhles in Zürich) auf die Beine gebracht hat und im Rat durch den Regierungsrat Sulzer vertreten wird.‹ Man hatte gemeint, der neue Lehrstuhl werde am besten durch Frauenstädt zu besetzen sein, darüber sollte Ritter Schopenhauers zustimmende Meinung einholen. Schopenhauer gefiel die Eröffnung sehr wohl. Er erklärte sich auch mit der getroffenen Wahl zufrieden und befürwortete den Gedanken brieflich bei Frauenstädt. Auf der Züricher Universität würde, gegen so vielen Materialismus (Moleschott etc.) gerade seine Philosophie als stark idealistisches Gegengewicht sehr passend und dienlich sein.23 Kam es nun in der Tat nicht zur Ausführung des so weit eingeleiteten Projektes, so dauern doch die Beziehungen der ›Züricher Gemeinde‹ zu dem greisen Philosophen in der Folge ununterbrochen fort.24 Insonderheit war und blieb es für den Meister eine ganz unwillkürliche Lebensäußerung, die empfangene Wohltat einer einzig dastehenden philosophischen Offenbarung nach seinen Kräften auch Anderen zuteil werden zu lassen. Mit Recht weist daher Prof. Max Koch in seiner rühmlichst bekannten Geschichte der deutschen Literatur auf die einflußreiche Bedeutung dieser, so ganz unwillkürlichen Propaganda Wagners für den verehrten Philosophen hin. Anknüpfend an die [106] Prophezeiung Goethes (a. d. Jahre 1813, dem Geburtsjahr des Meisters), wonach der mürrische junge Sonderling ›uns allen noch einmal über den Kopf wachsen würde‹, – wirst er einen Blick auf den fast schon erreichten Triumph jenes Ignorier-und Schweigsystems der Hegelschen Partei, das ihn und sein Hauptwerk mehr als dreißig Jahre hindurch völlig hatte verschollen sein lassen, und fährt dann mit den Worten fort: ›erst seit dem Erscheinen der »Parerga« und Richard Wagners Eintreten für seine Philosophie bestätigte sich auch der äußere Erfolg der Goetheschen Weissagung.‹25

Wie noch in jedem früheren Winter war er auch in diesem Jahr wiederholt darum angegangen, in den alljährlichen Abonnements-Konzerten der Züricher Musikgesellschaft in gewohnter Weise die Leitung einer Beethovenschen Symphonie oder einer anderweitigen Vorführung zu übernehmen. Insonderheit wurde ihm die Direktion der für den März 1856 beabsichtigten Mozart-Feier angetragen. War nun aber schon seine unzuverlässige Gesundheit ein Verhinderungsgrund für die Annahme dieses Antrages, so gab es doch außerdem noch anderweitige schwerwiegende künstlerische Bedenken dagegen, die in der Mangelhaftigkeit des ihm zur Verfügung gestellten instrumentalen und vokalen Tonkörpers ihre Ursache hatten. Als daher die Nachricht einer Ablehnung der ihm angetragenen Leitung der Mozartfeier ohne jede nähere Begründung in die Öffentlichkeit gedrungen war, sah sich Wagner unter'm 15. Februar zu nachstehender Erklärung in der Züricher ›Eidgenössischen Zeitung‹ veranlaßt: ›Ich habe sowohl der hiesigen Musikgesellschaft, die mich anging, in ihrem vierten Abonnementskonzerte eine mögliche Auswahl Mozartscher Stücke zu dirigieren, als auch dem diesjährigen Theaterdirektor, der mir die Leitung einer Mozartschen Oper antrug, ablehnend geantwortet, weil meine Gesundheit durch derartige Anstrengungen bereits soweit angegriffen ist, daß ich in Übereinstimmung mit meinem Arzte für diesen Winter zunächst mich bestimmen mußte, weder Abonnementskonzerte noch Theatervorstellungen mehr zu dirigieren. Doch kann ich zu meiner Rechtfertigung, wenn sie nötig wäre, die öffentliche Andeutung nicht unterlassen, daß ich noch heute einer Mozartfeier selbst meine Gesundheit zu opfern bereit bin, wenn mir durch ein entsprechendes Opfer der hiesigen Kunstfreunde eine würdige Aufführung des »Requiem« in einem geeigneten, an sich leider fehlenden und daher besonders herzurichtenden Lokale mit einem genügenden gemischten Gesangschor und einem vervollständigten Orchester ermöglicht wird.‹ Den hiermit verlautbarten Anforderungen [107] an ihre Opferwilligkeit nachzukommen, fanden sich die angerufenen Kunstfreunde leider nicht geneigt, so sehr die, seit Jahren durch den Meister empfohlenen, Maßnahmen dem gesamten Züricher Konzert- und Musikwesen für alle Zukunft entscheidend zugute gekommen wären. Damit war aber, durch ihr eigenes Verhalten, sowohl für dieses als auch für alle folgenden Jahre die Beziehung zu Wagner als Dirigenten ein für allemal unwiderruflich durchschnitten. Die Wirkungslosigkeit seines wiederholten Appells an das Ehrgefühl der meist sehr begüterten Züricher Kunstgönner mußte ihn endlich zu einer dauernd ablehnenden Haltung gegen ihre, einseitig an seine aufreibenden Bemühungen gerichteten Zumutungen bestimmen. Nie wieder hat Wagner eines der Musikvereinskonzerte oder eine der dortigen Theatervorstellungen dirigiert.

Von auswärtigen Vorgängen in dem Vorrücken seiner Werke waren es hauptsächlich zwei, die ihm eine gewisse Genugtuung bereiteten, und beide Male war es der ›Tannhäuser‹, der in seiner Laufbahn über die Bühnen einen weiteren Schritt tat. Bereits am 12. August 1855 hatte er sich – trotz Lachners verbittertem Antagonismus – seinen Eintritt in München erzwungen und daselbst bis zum Ende des Jahres bei ausverkauftem Hause und erhöhten Preisen zehn Aufführungen erlebt. ›Was meinen denn nur die Herren in Dresden, wenn sie so wieder vom »Tannhäuser« in München hören?‹ schreibt der Meister darüber an den alten Freund Fischer. ›Macht ihnen die Rache Freude, mich immer noch zu verhindern, solchen Aufführungen beizuwohnen? ich vermute es!‹ Der Münchener Aufführung folgte dann endlich (am 7. Januar 1856) auch die nicht minder lange verzögerte in Berlin. Liszt, der in eigener Angelegenheit schon im Dezember drei Wochen lang sich in Berlin aufgehalten und auf besondere Einladung des Herrn von Hülsen und Dorns sogar ein paar Klavierproben mitgemacht hatte, benachrichtigte ihn über den dortigen Erfolg sogleich durch eine telegraphische Depesche, sodann durch eingehende briefliche Nachricht über die Vorzüge und Schwächen der Vorstellung, die sich für den Augenblick in mancher Beziehung leidlich glänzend ausnahm. Eine Geschichte der Aufführungen von Wagners Werken an den deutschen Bühnen, wie sie uns an dieser Stelle zu geben nicht vergönnt ist,26 wird auf die bei diesem Vorgang zusammenwirkenden Faktoren, wie auch auf die einmütige Erhebung der gesamten, in Meyerbeers Diensten stehenden Berliner (Juden-) Presse in belehrender Weise näher einzugehen haben. Diese Trabantenschaft hatte die Bedeutung des Momentes richtig erfaßt, als den eines Kampfes auf Leben und Tod. ›Die Frommann schreibt mir jetzt täglich‹, meldet Wagner am 18. Januar ›und zwar immer in großer Sorge um ein [108] endliches Feststellen eines positiven Erfolges des »Tannhäuser«. In diesem aberwitzigen, gänzlich unproduktiven Berlin scheint alles erst von neuem geboren werden zu müssen.‹ Eigentümlich berührte es ihn, daß in demselben Briefe, worin ihm Liszt über den Berliner ›Tannhäuser‹ berichtete, ihm auch der Wunsch des Berliner Musikalienhändlers Heinrich Schlesinger übermittelt wurde, einer von ihm vorbereiteten neuen Auflage der Gluckschen Ouvertüren seinen, für Zürich eingerichteten, Schluß derselben beifügen zu dürfen. ›Gegen den Gebrauch meines Schlusses zur Gluckschen Iphigenien-Ouvertüre‹, fügt er als Nachschrift seinem Briefe an Liszt hinzu ›habe ich, da er bereits der Öffentlichkeit von mir übergeben wurde, nichts einzuwenden; vernünftig wäre es aber, wenn die Ouvertüre selbst mit den richtigen Tempo- und einigen nötigen Vortrags-Bezeichnungen erschiene. Außerdem könnte sich Herr Schlesinger in seinem musikalischen Blatte27 wohl einen besseren Ton gegen mich angewöhnen, falls ihm dies Herr M(eyerbeer), erlaubt.

Einen ›Wagnerianer‹, von ganz besonderer Art, hatte die Berliner ›Tannhäuser‹-Aufführung hingegen nichtmehrin Berlin angetroffen, nachdem er doch eine Reihe von Jahren auf Züricher Staatskosten daselbst seiner Ausbildung als ›dramatischer Dichter‹ gelebt hatte. Es war dies der schweizerische Poet Gottfried Keller, der eben damals nach Ablauf einer längeren Studienzeit in seine Heimat zurückkehrte. 1819 in Zürich geboren, und demnach nur sechs Jahre jünger als Wagner, hatte er es bis zu jenem Zeitpunkt doch noch zu keiner bestimmten Lebensstellung und -Richtung gebracht. Anfänglich zum Berufe eines Landschaftsmalers bestimmt, war er mit ten in der Beschäftigung damit, ein paar größere landschaftliche Kompositionen zustande zu bringen, auf fast zufällige Weise stecken geblieben und begann plötzlich Verse zu machen. Mit einem Reisestipendium des Züricher Senates versehen, setzte er seine in Zürich begonnenen philosophischen Studien in den Jahren 1850–55 erst in Heidelberg, dann in Berlin fort, mit der bestimmt ausgesprochenen Absicht, sich der dramatischen Dichtung zu widmen. Aber seine zahlreichen dramatischen Pläne blieben liegen; statt ihrer entstand als sein Erstlingswerk sein Roman ›der grüne Heinrich‹ Durch seine Züricher Freunde Baumgartner und Wilh. Schulz hatte er seit Wagners Ankunft in Zürich manches über den Meister erfahren, und erwidert auf die ausführlichen begeisterten Nachrichten, die ihm Baumgartner nach Berlin zukommen ließ, daß er Wagners erste Schriften schon in Heidelberg kennen gelernt und [109] seither alles ihn Betreffende mit großem Interesse verfolgt habe.28 Um so mehr beklagt er es in einem an Sulzer gerichteten Briefe vom November 1855, daß er ›gerade nun der Aufführung des »Tannhäuser« aus dem Wege laufe, auf welche ganz Berlin gespannt ist.‹29 Seine Heimkehr geschah im Dezember 1855; wann seine ersten persönlichen Beziehungen zu Wagner stattgefunden, dem er höchstwahrscheinlich durch seinen Gönner Sulzer vorgestellt worden ist, läßt sich nicht konstatieren. Schon im Januar finden wir ihn in lebhaften Beziehungen zu dem Meister und dessen Freundeskreise. ›Hier in Zürich geht es mir bis dato gut; ich habe die beste Gesellschaft und sehe vielerlei Leute‹, plaudert er um diese Zeit brieflich. ›Auch eine rheinische Familie, Wesendonck ist hier, ursprünglich aus Düsseldorf, die aber eine zeitlang in New-York waren. Sie ist eine sehr hübsche Frau, namens Mathilde Luckemeier, und machen diese Leute ein elegantes Haus, bauen auch eine prächtige Villa in der Nähe der Stadt. Diese haben mich freundlich aufgenommen. Dann gibt es bei einem eleganten Regierungsrat (Dr. J. J. Sulzer) seine Soupers, wo Richard Wagner, Semper, der das Dresdener Theater und Museum baute, der Tübinger Vischer30 und einige Züricher zusammenkommen und wo man morgens zwei Uhr nach genugsamem Schwelgen eine Tasse heißen Tee und eine Havannazigarre bekommt. Wagner selbst verabreicht zuweilen einen soliden Mittagstisch, wo tapfer pokuliert wird‹ (bekanntlich Kellers besondere Vorliebe!), ›so daß ich, der ich glaubte aus dem Berliner Materialismus heraus zu sein, vom Regen in die Traufe gekommen bin.‹31 ›Ich gehe jetzt oft mit Richard Wagner um, welcher jedenfalls ein hochbegabter Mensch ist und sehr liebenswürdig; auch ist er sicher ein Poet, denn seine Nibelungen-Trilogie enthält einen Schatz ursprünglicher deutscher Poesie mit Text. Auch Semper sehe ich: dieser ist ein ebenso gelehrter und theoretisch gebildeter Mann, als er genialer Künster ist, und persönlich ein wahrer Typus der einfachen und gediegenen Künstlernatur. Er sagte, er habe den letzten Strich am Dresdener Museum noch fertig gemacht, als eben der [110] Generalmarsch geschlagen wurde.‹32 Und wiederum, im April 1856: ›Ich gehe viel mit Richard Wagner um, welcher ein genialer und auch guter Mensch ist. Wenn Sie Gelegenheit finden, seine Nibelungen-Trilogie zu lesen, so tun Sie es doch: Sie werden finden, daß eine gewaltige Poesie, urdeutsch, aber von antik tragischem Geiste geläutert, darin weht.‹33 Fünf Tage später, an eine andere Adresse gerichtet: ›Richard Wagner ist ein sehr genialer und kurzweiliger Mann, von der besten Bildung und wirklich tiefsinnig. Sein neues Opernbuch, die Nibelungen-Trilogie, ist an sich schon eine glut- und blütenvolle Dichtung und hat einen viel tieferen Eindruck auf mich gemacht, als alle anderen poetischen Bücher, die ich seit langem gelesen.‹34 Wie sich Keller nach dem Vorstehenden in der Lobpreisung der Nibelungen-Dichtung nicht genug tun konnte, so machte wechselsweise der junge schweizerische Poet, sowohl mit seinem ›grünen Heinrich‹, als auch mit dem damals soeben erschienenen ersten Bande seiner ›Leute von Seldwyla‹ auf den Meister einen nicht ungünstigen Eindruck ›Die drei gerechten Kammacher‹ und das romantische Märchen ›Spiegel das Kätzchen‹ blieben zeitlebens seine besonderen Lieblinge. Aber auch die originelle Persönlichkeit des kleinen, breitschulterigen, untersetzten, bärtigen Mannes, in seiner urwüchsigen schweizerischen Derbheit, mit den feurigen dunklen Augen unter der mächtigen Stirn, wortkarg, aber stets bereit, wenn ihn etwas ärgerte, unverhohlen seine Meinung zu äußern, gewann seine Gunst und hat sie trotz seiner drastischen Ungebärdigkeiten stets zu behaupten gewußt. Als Beispiel der letzteren führt sein Biograph Baechtold an, wie er einst in großer Tafelrunde bei Sulzer, in welcher, außer einigen Damen, Wagner, Jakob Burckhardt, Semper, Vischer, Ettmüller, Baumgartner u.a. saßen, unter maßlosem Schimpfen auf einen, mehreren Anwesenden befreundeten Schriftsteller, eine kleine vor ihm stehende Beige kostbaren japanesischen Porzellans mit der Faust zertrümmerte und völlig wütend abgeführt werden mußte. Trotz solcher Unberechenbarkeiten und seltsamen Ausschreitungen – unzertrennlich von Kellers ganzem Wesen – blieb dieser doch sowohl bei Wagner, als auch bei den sonstigen Züricher Freunden immer wohlgelitten. ›Wir nannten ihn‹, sagt der Meister, ›zum Scherz »Auerbachs Keller.«‹35 Wiederholt war er Zuhörer soeben komponierter Abschnitte aus dem ›Ring des Nibelungen‹. Zu einer solchen Aufführung kam es um die Mitte April in Wagners Wohnung, kurz nach Vollendung der Partitur der ›Walküre‹. ›Endlich ist die Walküre ganz fertig‹, schreibt der Meister mit Beziehung darauf an Fischer ›sie ist furchtbar schön ausgefallen. Den ersten Akt habe ich letzthin einmal [111] bei mir aufgeführt: ich sang den Siegmund und Hunding, und Frau Heim, eine sehr tüchtige Dilettantin, die Sieglinde; ein Freund (Baumgartner?) akkompagnierte.‹36

Während Klindworth in London nach den Instrumentationsskizzen seine Arbeit des Klavierauszuges fortsetzte, konnte die Originalpartitur des nun vollendeten Werkes dem Züricher Kopisten behufs Anfertigung einer Abschrift übergeben werden, nachdem er sie zuvor Liszt zur Verfügung gestellt hatte. ›Gewiß bin ich‹, schreibt er dem Weimarer Freunde ›ungeheuer verlangend zu wissen, wie Dir der letzte Akt gefiele: ich habe ja außer Dir Niemand, dem ich das eigentlich mit Erfolg mitteilen könnte. Er ist geraten; wahrscheinlich das Beste, was ich noch geschrieben. Ein furchtbarer Sturm – der Elemente und der Herzen – der sich allmählich bis zum Wunderschlaf Brünnhildes besänftigt. Ach, daß Du noch so lange von mir fern bleiben mußt! Kannst Du nicht schnell einmal einen kleinen plötzlichen Ausflug zu mir machen?‹37

So war denn endlich (gegen Ende März) auch diese zweite Partitur der Trilogie zum Abschluß gelangt, an deren Vollendung er nun seit einem vollen Jahre immer wieder verhindert worden war. Anstatt, wie er es einzig gewünscht, das ganze in seinem Geiste völlig fertige Werk unter günstigen Umständen in einem Zuge zu Ende zu führen, hatte sich ihm erst London aufgedrängt, dann die Krankheit mit all ihren Rückfällen, und dazwischen verhängnisvolle materielle Sorgen. ›Es gehört so unsäglich viel Geduld dazu, in meiner widerwärtigen Lage Mut und Arbeitslust zu behalten, daß ich aus dem täglichen Sinnen und Trachten, wie ich mir diese – trotz der Ungunst der Verhältnisse – bewahren soll, wirklich nur für die immer spärlicheren Momente herauskomme, wo ich, im glücklichen Arbeiten, alles um mich her vergessen kann.‹38 Aber auch der Gegenstand seiner Arbeit selbst, mit seiner zermalmenden tragischen Wacht, seinem ›Superlativ von Leid, Schmerz und Verzweiflung‹, hatte ihn notwendig ›furchtbar angegriffen‹. ›Ich könnte‹, so war seine damalige Empfindung ›etwas Ähnliches nicht wieder zu Ende bringen‹. ›Wenn es fertig ist, nimmt sich, als Kunstwerk, dann vieles natürlich ganz anders aus, und kann selbst da erfreuen, wo eigentlich nur die reine Verzweiflung schöpferisch war.‹39 Er sehnte sich nun nach einer Ausspannung und neuen Anregung, und einer seiner liebsten Wünsche, dem er damals nach mehreren Seiten hin brieflich Ausdruck verleiht, war der, im bevorstehenden Herbst, gemeinschaftlich mit Semper, nach Rom zu gehen.40 ›Wenn ich irgend wüßte, wie es anfangen, machte ich im Herbst mit Semper einen Ausflug nach Rom,‹ schreibt er an Liszt. ›Wir unterhalten uns oft davon, immer [112] mit der stillen Hoffnung, daß Du mit dabei wärest.‹41 Daneben beschäftigte ihn ernstlicher als je der Gedanke an seine Amnestierung. Bereits war er drauf und dran, sich direkt an seinen Landesvater, den König von Sachsen, zu wenden, mit dem freimütigen Zugeständnis einer begangenen ›Übereilung‹ und einem wohlmotivierten Versprechen, sich nie und in keiner Weise mehr mit politischen Dingen zu befassen. Was ihn davon zurückhielt, war das Schreckgespenst eines leicht zu gewärtigenden Mißbrauches, den das schlechtverhehlte Übelwollen seiner Gegner im sächsischen Ministerium mit einem solchen Schriftstück treiben konnte. Es konnte leicht in einer Weise der Öffentlichkeit notifiziert werden, die ihn nötigte, gegen eine falsche und demütigende Deutung seines Schrittes wiederum öffentlich zu protestieren und eben hiermit ein für allemal einen unheilbaren Bruch herbeizuführen.42 Wohlüberlegt, mußte er es demnach immer noch für das Zweckmäßigste halten, wenn sein Gesuch durch eine dritte Person mündlich dem Könige vorgetragen würde. Wessen Persönlichkeit aber war für eine solche delikate Aufgabe geeigneter, als diejenige Liszts? Ihm durfte es möglich sein, durch einen Brief des Großherzogs von Weimar eingeführt, bei dem sächsischen Könige eine Audienz zu erlangen. Seinem verständnisvollen Zartsinn mußte es leicht fallen, bei einer solchen Unterredung den Akzent ausschließlich auf das künstlerische Naturell des verbannten Freundes zu legen, insofern aus ihm und aus seinem besonderen individuellen Charakter als Künstler sowohl jener auffallende politische Exzeß zu erklären und zu entschuldigen, als auch die Gründe für eine Amnestierung nur in Rücksicht darauf zu erwägen gewesen wären. Liszt war gern zu jeder Vermittelung bereit, nur machte er die Bedingung, daß Wagner sofort an den König von Sachsen ein förmliches ›Gnadengesuch‹ richte. ›Du kannst versichert sein, daß ich Dich nicht dazu veranlassen würde, wenn ich nicht mit Bestimmtheit annehmen müßte, daß Deine Rückkehr nach Deutschland auf keine andere Weise zu erlangen ist.‹ Er riet ihm vorderhand, diese Begnadigung nur insoweit zu verlangen, daß es ihm erlaubt würde, seine Werke in Weimar zu hören, weil dies für sein weiteres Schaffen notwendig sei und er die Gewißheit hätte, daß ihm in Weimar von seiten des Großherzogs ein geneigtes Wohlwollen zuteil würde.

[113] Soweit war diese freundschaftliche Beratung gediehen, als aufs Neue die unglückliche Krankheit dazwischen trat: der Monat Mai brachte ihm allein drei Rückfälle seiner Gesichtsrose. Und außerdem gab es noch Etwas, was ihm die von der Krankheit noch frei gelassenen Momente seines Daseins vollends verleidete: die Ansprüche eben jener, von Keller (S. 110) so verlockend geschilderten Züricher Geselligkeit, die sich in ihrer Zusammensetzung, wie dies zu gehen pflegt, nur allzuhäufig über den wirklich assimilierten, oder assimilierbaren Kreis der engeren, mehr oder weniger wirklich ergebenen Freunde hinaus erstreckte. ›Was unser Eines im Umgang mit heterogenen, gänzlich uns fremden Menschen sich aufopfert, welche Leiden und Martern uns hieraus erwachsen, das kann kein anderer auch nur annähernd empfinden. Diese Qualen sind um so größer, als sie von niemand sonst begriffen werden, und weil die uns abgelegensten Menschen wirklich glauben, wir wären eigentlich doch nur ihresgleichen; denn sie verstehen eben gerade nur soviel von uns, als wir wirklich mit ihnen gemein haben, begreifen aber nicht, wie wenig, wie fast gar nichts dies von uns ist.‹ ›Die Qualen des Umganges sind mir jetzt die empfindlichsten geworden, und ich raffiniere nur darauf mich zu isolieren.‹43 So drängten ihn sowohl sein körperliches Befinden, wie die unerträglichen Genüsse des Züricher Verkehrs fort, fort, fort aus der Umgebung, in der er es den ganzen Winter und Frühling über ausgehalten! Er verhoffte alles Gute von einer Orts- und Luftveränderung, die ihn in eine Pension am Genfer See, unter geeignete ärztliche Behandlung bringen sollte. Da, im entscheidenden Moment, Ende Mai, als er eben im Begriff stand sich zu flüchten, besuchte ihn plötzlich – Tichatschek. Das war mehr, als seine überreizte und angegriffene Natur, nach allen überstandenen schweren Krankheitsleiden des verflossenen Winters, ertragen konnte. ›Dieser gute Mensch mit dem prächtigen kindlichen Herzen und dem liebenswürdigen Köpfchen war mir recht angenehm, und seine enthusiastische Anhänglichkeit tat mir recht wohl; namentlich erfreute mich auch seine Stimme noch sehr und gab mir ein, ihr noch etwas zuzutrauen.‹ Von einem Karlsruher Gastspiel kommend, wo er wohlverdiente Lorbeern geerntet, konnte er dem Meister viel von einem hochbegabten Kunstjünger erzählen, dessen Bekanntschaft er soeben gemacht. Aus Tichatscheks Munde erhielt er damals, wie er selbst später berichtet, den ersten Hinweis für die Zukunft auf den jungen Sänger Ludwig Schnorr von Carolsfeld.44 Vor kurzem erst hatte dieser am Großherzoglichen Theater zu Karlsruhe unter der Leitung Eduard Devrients seine Laufbahn als dramatischer Sänger angetreten und ließ schon jetzt Hervorragendes von seiner Begabung erwarten. Trotz aller wirklichen Freude an dem alten Freunde, den er nach sechs schicksalsreichen Jahren unverändert wieder sah, ward dennoch dieser Besuch, gerade um die Zeit [114] seiner äußersten Erholungsbedürftigkeit, in seinen Folgen für ihn verhängnisvoll. ›Ich wollte ihn,‹ so erzählt er selbst,›nach Brunnen führen; schlechtes Wetter verzögerte dies Vorhaben, bis wir's endlich doch wagten und ich auf der Fahrt mir den zwölften Rückfall meiner Gesichtsrose (für diesen Winter) zuzog. Ich hatte alles vorausgesehen und war deshalb während Tichatscheks zwölftägigen Aufenthaltes in beständiger ängstlicher Marter gewesen.‹ So fühlte er sich unfähig zu Allem, und hatte gründlich für seine Herstellung zu sorgen. Gerade am 22. Mai, seinem dreiundvierzigsten Geburtstage, war ihm von Liszts Seite eine sehr gelegene freundschaftliche Zuwendung im Betrage von eintausend Francs zuteil geworden. Diese außerordentliche Einnahme bestimmte er zu der ihm nötigen Kur, und wirklich hatte diese den gesegneten Erfolg, daß er auf unabsehbar lange Zeit hinaus (Ende 1879) von dem abscheulichen Leiden verschont blieb, welches ihm den ganzen letzten Winter so arg zugesetzt.

Mornex bei Genf, zwei Stunden von der Stadt entfernt, auf halber Höhe des Mont Salève, in herrlicher Luft, war der Ort, der – vom 10. Juli ab – diese vortreffliche Wirkung ausübte. Noch im Beginn dieses Kuraufenthaltes verging keine Stunde am Tage, ohne daß er eines neuen Ausbruches seines Übels gewärtig war. Größte Ruhe, Entfernung jeder Aufregung, jedes Ärgers, ferner Karlsbader Wasser und ein peinlich strenges Regime in bezug auf Diät und sonstige Lebensweise, gewisse warme Bäder, später kalte etc. waren die angewandten Mittel, die ihn bald für die Kräftigung seines Wohlseins hoffen ließen. ›In einer Pension,‹ (gehalten von einer Mme. oder Mlle. Latard) ›fand ich ein, von dem Hauptgebäude abgelegenes Gartenhäuschen, das ich ganz allein bewohne: vom Balkon aus habe ich die göttlichste Aussicht auf die ganze Montblanc-Kette, aus der Tür trete ich in ein hübsches Gärtchen. Vollkommenste Abgeschlossenheit war erste Bedingung; ich werde besonders serviert und sehe niemand als den Aufwärter. Ein freundliches Hündchen – Pepsens Nachfolger – Fips genannt, ist meine einzige Gesellschaft. Nur eine Bedingung mußte ich eingehen, um die Vergünstigung des Besitzes dieses Garten-Salons zu erhalten: des Sonntags Morgens muß ich von 8 bis 12 Uhr ihn räumen; da kommt ein Genfer Pfarrer und hält den hier wohnenden Protestanten Gottesdienst in demselben Lokale, in welchem ich Gottloser die übrige Zeit mein Wesen treibe.‹ ›Ein Piano, wenn auch nicht von der besten Sorte, steht ebenfalls in meinem Salon; hoffentlich fasse ich bald wieder Mut und beginne endlich den Siegfried.‹ Trotzdem verrät er dem Weimarer Freunde, daß er jetzt eigentlich lieber dichten als komponieren möchte: ›es gehört eine ungeheure Hartnäckigkeit dazu, so bei der Stange zu bleiben.‹ Ich habe wieder zwei wundervolle Stoffe, die ich noch einmal ausführen muß: ›Tristan und Isolde‹ ›das weißt Du! – dann aber – der Sieg – das Heiligste, die vollständige Erlösung: das kann ich Dir nicht mitteilen.‹ So [115] berichtet er an Liszt, zwei Tage nach seiner Ankunft, an einem Sonnabend. Tags darauf, am ersten Sonntag in Genf, mußte er zum ersten Male den ihm sonst so willkommenen Salon räumen, um ›der Religion ein Opfer zu bringen‹. Ob nun dieses Opfer ihm selbst oder der ›Religiosität der Kurgäste‹ auf die Dauer beschwerlich gefallen sei, läßt sich aus seinen brieflichen Nachrichten nicht entscheiden. Genug, daß er schon am darauffolgenden Sonntag, den 20. Juli, seinen nächsten Brief an Liszt aus einem anderen Lokale datiert, aus der benachbarten Wasserheilanstalt des Dr. Vaillant. Glücklicherweise war er hier an den rechten Mann geraten. ›Ich konnte, was meine Gesundheit betrifft, nichts Gescheidteres tun, als mich direkt unter die Aufsicht und Leitung dieses französischen Arztes zu stellen. Alle meine anfängliche Abgeneigtheit dagegen überwand ich, als ich die große Tüchtigkeit Vaillants (Pariser) erkannte. Ich gehe somit gründlich zu Werke, bei einer mir ganz neuen, sorgsamen Methode, und bin nun sicher, von meinem Übel, das schließlich doch nur in meiner Nervosität begründet war, vollständig geheilt zu werden. Doch ist es mehr als möglich, daß ich bis Ende August darüber zubringen werde.‹45

Allerdings durfte nun, in dieser strengen Kurperiode, von keinerlei geistiger Arbeit, weder von Dichten, noch auch von Komponieren mehr die Rede sein. Beides war ihm bis nach Ablauf derselben unweigerlich untersagt. Zwei Dinge beschäftigten ihn in dieser Zeit: die Lektüre von Liszts symphonischen Dichtungen, und – allerlei Pläne für eine befriedigende definitive Niederlassung in Zürich durch Ankauf eines eigenen Grundstückes außerhalb der Stadt und Einrichtung eines Wohngebäudes auf demselben, nach seinen Wünschen und Bedürfnissen. Die Partituren der symphonischen Dichtungen, nach denen er sich lange gesehnt, waren ihm schon in der letzten Züricher Krankheitszeit zugegangen, als er am wenigsten zu ihrer Kenntnisnahme befähigt war. ›In dem für mich so schauderhaften Monat Mai konnte ich nur erst noch wie aus trüben Wolken die sechs Partituren46 durchsehen; aber bereits so empfing ich den elektrischen Schlag, den das Große auf uns hervorbringt.‹ ›Deine symphonischen Dichtungen sind mir nun ganz vertraut geworden: sie sind die [116] einzige Musik, mit der ich mich abgebe, da ich selbst, während meiner Kur, an das Arbeiten nicht denken darf. Täglich lese ich die eine oder die andere Partitur durch, so wie ich ein Gedicht durchlesen würde, fließend und ungehemmt. Mir ist's dann jedesmal, als ob ich in eine tiefe Kristallflut untertauchte, um dort ganz bei mir zu sein, alle Welt hinter mir gelassen zu haben, und für eine Stunde mein eigentliches Leben zu leben. Erfrischt und gestärkt tauche ich dann wieder auf, um mich nach Deiner Gegenwart zu sehnen. Ja, Freund, Du kannst es! Du kannst es!‹47 Zu der Notwendigkeit, sich in Zürich eine Häuslichkeit auf eigenem Grund und Boden zu errichten, drängte ihn die völlige Verzweiflung. ›Ich komme um, und werde unfähig, ferner noch zu arbeiten, wenn ich nicht endlich eine Wohnung finde, wie sie mir nötig ist, d.h. ein kleines Haus für mich allein, dazu ein Garten, beides entfernt von allem Geräusch, namentlich dem verfluchten Klaviergeräusch, dem ich nicht mehr entgehen zu können verdammt bin, und das mich so nervös gemacht hat, daß ich, nur in dem Gedanken daran, gar nicht mehr an Arbeiten denken mag.‹48 Seit vier Jahren suchte er sich vergebens dies Verlangen zu erfüllen. Bereits in Albisbrunn (Anf. Nov. 1851) hatte er sich, wie wir uns erinnern, den Plan dieses seines zukünftigen Heims mit Lineal und Zirkel entworfen.49 Ein Jahr später (9. August 1852); treffen wir in seinen Briefen an Uhlig die Äußerung: ›Der Wunsch, ein Häuschen mit einem Garten hier auf dem Lande, weithin auf der Höhe am See zu besitzen, den kleinen Besitz zu pflegen, mich mit Blumen und Tieren zu umgeben, und einen behaglichen Winkel für besuchende Freunde herzurichten, lebt jetzt mit solcher Stärke in mir, daß ich ihn um jeden Preis auszuführen gesonnen bin.‹50 Nur der Ankauf eines Terrains und der eigene Bau eines Hauses konnte ihm das Ersehnte verschaffen. Sehr hübsch antwortete ihm Liszt auf diese Mitteilung: der Schauspieler Dawison habe ihm neulich erzählt, daß ihm sein Berliner Gastspiel den Ankauf eines Landhauses bei Dresden bezahlt habe: ›im Verhältnis solltest du mindesten ganz Zürich, nebst den sieben Churfirsten und dem See, mit Deinen Partituren akquirieren können.‹51 Denn um diese Partituren handelte es sich, die Partituren des ›Ringes‹, auf deren Verwertung zu einem Bauprojekt er verfallen war, nachdem er ›wie ein Rasender,‹ vergeblich über andere Mittel gebrütet hatte. Er trug sie den Verlegern seines ›Lohengrin,‹ der Leipziger Firma Breitkopf und Härtel an, um von diesen die ihm nötige Summe als Honorar für sein Lebenswerk zu erhalten. Wirklich erklärten ihm diese ihre Bereitwilligkeit, etwas Ungewöhnliches tun zu wollen, um in den Besitz seines Werkes zu gelangen. Darauf hin stellte er seine Forderungen. Sie sollten ihm danach die beiden fertigen Teile jetzt schon abkaufen, im Laufe des nächsten [117] Jahres den ›Siegfried‹ und Ende 1858 ›Siegfrieds Tod‹ gegen jedesmalige Honorarzahlung von 10000 Franks erhalten und endlich das Ganze 1859 – im Jahre der Aufführung – herausgeben, um ihm somit die Mittel zur Herstellung eines Grundstückes nach seinem Sinne zu verschaffen. So meldet er Ende Juli den Stand der Angelegenheit nach zwei Richtungen hin: an Liszt und an Wesendonck. Aber die definitive Erklärung der Verleger zögerte sich lange heraus, sie kam endlich einen vollen Monat später, nach seiner bereits erfolgten Rückkehr nach Zürich. Er entnahm ihr nicht ohne Bitterkeit, daß ›kein bedächtiger Mensch, sobald er zum Bedenken kommt, sich mit mir zu verbinden wünscht.‹ Welche Einflüsse die ziemlich auffallende Umstimmung der anfänglichen Bereitwilligkeit des Leipziger Hauses in ihr Gegenteil herbeigeführt hatten, entzog sich seinem Urteil. Auf alle Fälle vereitelte sie seine mühsam aufgebaute Hoffnung, und überließ ihn von neuem ›dem Schildkrötengange seines trägen Schicksals.‹

Von der Förderung seines großen Werkes durch das Verbot seines Arztes ausgeschlossen, konnte er doch seiner rastlosen Phantasie nicht wehren daß sie neuem Schaffen und Gestalten unwillkürlich sich hingab. Insbesondere nahm der Stoff der ›Sieger‹ ihn so ein, daß er ›alle dazwischenliegende Arbeit hätte verschlingen mögen, um nur zur Ausführung dieses neuesten Planes zu kommen.‹52 Er hatte ihn zuerst am 16. Mai d. J., in einer der Pausen seiner Krankheit, als Entwurf in sein Notizbuch eingezeichnet, in derselben Gestalt, wie er, fast dreißig Jahre später, im Nachlaßbande publiziert wurde.53 Nach neueren Forschungen54 war seine Quelle dafür Burnoufs gelehrtes Werk: ›Introduction à l'histoire du Buddhisme Indien‹. Sie enthält auf S. 183–87 (der 2. Auflage) als konkreten Stoff jene kleine Erzählung von Buddhas Lieblingsschüler Ananda und dem Tschandalamädchen Prakriti, die in seinem schöpferischen Geiste die großartigsten philosophischen und poetischen Proportionen annahm. In der äußeren Führung der Handlung ergibt sich eine fast vollständige Übereinstimmung. Die Umgestaltung der Legende durch Wagner betrifft gerade die Punkte, durch welche der Dichter, vollständig im Geiste des buddhistischen Mythus, ihre ursprüngliche Gestalt wieder aufgedeckt, ihre getrübte Reinheit wiederhergestellt zu haben scheint. Wir können an dieser Stelle weder auf den Inhalt dieses ergreifendsten aller Dichtungs-Entwürfe, noch auf die interessanten Ausführungen über seine Herkunft näher eingehen,55 [118] und heben hier nur sein glühendes Verlangen hervor, der Gestaltung dieses Gegenstandes sich hinzugeben. Gegen Liszt äußerte er sich, mit Beziehung auf dessen ihm nun bestimmt angekündigten Besuch: ›Wenn Ihr mir recht gute Laune macht, krame ich Euch vielleicht auch meine, »Sieger« aus; wiewohl es damit seine große Schwierigkeit hat, da ich die Idee dazu zwar schon lange mit mir herumtrage, der Stoff zu ihrer Verkörperung mir aber eben erst nur wie im Blitzesleuchten angekommen ist, zwar für mich in höchster Deutlichkeit und Bestimmtheit, aber noch nicht so für die Mitteilung. Erst müßtet ihr auch meinen Tristan verdaut haben, namentlich seinen dritten Akt, mit der schwarzen und der weißen Flagge. Dann würden erst die »Sieger« deutlicher werden.‹ Selbst die musikalischen Themen des neuen Werkes regten sich damals schon in ihm, so vor allem das erhabene Thema, welches nachmals als sogenanntes ›Welterbschaftsmotiv‹ in die Musik des dritten ›Siegfried‹ Aktes überging, wo es in der großen Szene Wotans mit Erda zum ersten Male erklingt. Diese ganz buchstäblich zu nehmende Herkunft des feierlich erhabenen Themas einer freudigen Entsagung hat der Verfasser aus des Meisters eigenem Munde Einen mehr andeutenden Hinweis auf schon damals in ihm lebende musikalische Themen des kaum erst dichterisch skizzierten ›Tristan‹ (selbst solche, die ihrerseits wieder schon die Keime neuer, noch ungestalteter Welten in sich tragen!) finden wir hingegen in einer Ausführung H. v. Wolzogens, in Anknüpfung an das, nach dem gleichen Autor, bereits von uns erwähnte Erscheinen Parzivals am Sterbelager Tristans (S. 58). ›Der nach dem Gral suchende Parzival sollte auf Kareol als Pilger einkehren, während Tristan dort im verzweifeltsten Liebesleiden auf dem Sterbebette liegt. Hier der Tod, dort das neue Leben! Und es heißt, eine bestimmte Melodie des wandernden Parzival habe zu dem todwunden Tristan emporklingen sollen, gleichsam die geheimnisvoll verhallende Antwort auf dessen lebenvernichtende Frage nach dem »Warum?« des Daseins. Aus dieser Melodie, kann man sagen, ist das Bühnenweihefestspiel geworden.‹56

Gekräftigt und erheitert trat er um die Mitte August den Rückweg über Bern nach Zürich an. In Bern hatte er ein Rendez-vous mit Wesendonck verabredet, der sich um diese Zeit mit seiner Familie nach Frankreich begeben hatte und den nächsten Winter in Paris zu verbringen gedachte. Um so [119] mehr war ihm daran gelegen, den Wunsch des Meisters nach einem kurzen Zusammensein behufs mancher mündlichen Besprechung mit gefälligem Entgegenkommen zu erfüllen und damit zugleich einen Gebirgsausflug ins Oberland zu verbinden. Wenige Tage darauf traf Wagner in Zürich ein, wohin inzwischen auch Minna von ihrer fortgesetzten Molkenkur auf dem Seelisberge heimgekehrt war, und wo er nun in vier Wochen dem so lange verzögerten Besuche Liszt mit freudiger Erwartung entgegensah.

Fußnoten

[120] 1 Chamberlain, Echte Briefe an Ferdinand Präger Seite 81.


2 Vgl. Band II, S. 96. 155. 428. 438 A. 451. Außerdem S. 22. 31 des gegenwärtigen Bandes.


3 Chamberlain, Echte Briefe an F. Präger, S. 84 Eine andere ausführliche briefliche Schilderung von Peps' Tod aus einem Briefe vom 29. Dez. 1855 an Frau Julie Ritter findet sich in H. v. Wolzogens Schrift: ›Richard Wagner und die Tierwelt, auch eine Biographie‹ (Leipzig, Hartung 1890) S. 43. Sie schließt mit den Worten: ›Das war wieder ein hartes Stück für mich!‹ Vgl. auch an Fischer, vom 17. August: ›daß mein Peps am zehnten Tage nach meiner Rückkehr gestorben ist, vermag ich nicht in scherzhaftem Tone zu melden: dieser Fall hat mich und Minna sehr angegriffen. Ich weine noch, wenn ich an den Sterbetag des guten Tieres gedenke.‹ (An Fischer S. 332.)


4 Chamberlain, Echte Briefe an F. Präger S. 84. 85


5 Briefe an Uhlig, Fischer, Heine S. 331.


6 Es ist natürlich die mehrerwähnte goldne Feder von Frau Wesendonck gemeint.


7 Irrtümlich schreibt Hornstein: ›Das Rheingold‹.


8 Vgl. R. v. Hornstein, ›Meine Erinnerungen an Schopenhauer‹ (N. Fr. Presse 1883, Nr 6910. 6912). Des Besuches, den Hornstein unmittelbar darauf wirklich in Frankfurt machte, gedenkt Schopenhauer ausdrücklich in seinem Briefe an Frauenstädt vom 7. Sept. 1855, worin es heißt: ›Viele Besuche habe erhalten ... v. Hornstein, junger Komponist, Schüler R. Wagners, der auch, wie Hornstein sagt, sehr eifrig meine Werte studiert. Dieser ist noch hier, bezeigt mir übertriebene Ehrfurcht, z.B. steht vom Tisch auf, draußen denjenigen Favoritkellner zu suchen, den ich eben requiriere.‹ (Briefe Schopenhauers, herausgegeben von E. Griesebach, Leipz., Reclam S. 306.)


9 Briefwechsel mit Liszt II, S. 99 und 119.


10 Der vollständige Brief Berlioz' an Wagner findet sich, getreu faksimiliert, im Mus. Wochbl. 1871, Nr. 36, S. 568.69


11 Briefwechsel II, S. 101.


12 Ebenda S. 102.


13 Ebenda S. 117.


14 Briefwechsel II, S. 36.


15 Ebendaselbst S. 55.


16 Ebendaselbst S. 47.


17 Erinnerungen der Frau Wille S. 110.


18 ›Es heißt: der Ring der (sic!) Niebelungen, ist eine Folge von 4 Opern, die er einst komponieren will, – wohl das eigentliche Kunstwerk der Zukunft: scheint sehr phantastisch zu sein: habe erst das Vorspiel gelesen: werde weiter sehn‹ (Schopenhauers Briefe, herausgegeben von E. Grisebach, Leipzig Reclam, S. 285.)


19 Dgl. in einem etwas späteren Briefe an A. v. Doß (10. Jan. 1855): Im Dezember erhielt ich eine Einladung nach Zürich: daselbst sitzt eine ganze Koterie schöner, aber gebannter Geister, d.h. die den deutschen Boden nicht betreten, also nicht herkommen dürfen, mich zu sehn; Richard Wagner, Herwegh, ein für meine Philosophie schwärmender Ungar als Wortführer u.a.m. (S. 368.)


20 2. Februar 1855, anläßlich 4 empfangener Huldigungsschreiben, von deren Verfassern er bloß einen, v. B(ruchhausen), namentlich andeutet: es sei ein 1848 verabschiedeter preußischer Artillerie-Leutnant, der ihm kürzlich sein abgeschmacktes Buch ›Dreieinheitslehre‹A1 übersandt habe und bald darauf diese Epistel (S. 287).


21 29. Juni 1855: ›Hier gewesen ist B..., hat unter falschem Namen, sich hier einen Tag versteckt gehalten, um im wohlverschlossenen Wagen, mit Zagen, mich zu besuchen. Ein schöner, sehr großer junger Mann; scheint wirklich Kenntnisse zu haben, in orientalischen Sprachen; sagt, er wolle in Zürich meine Philosophie dozieren. – ist vielleicht Wind. Beim Abschied küßte er mir die Land, worüber ich vor Schreck laut aufschrie.‹ (Ebendaselbst S. 298.)


22 Ebendaselbst S. 316. Vgl. S. 374, wo die Absendung des verlangten Bildes (Photographie), im Januar 1856, gemeldet wird


23 Ebendaselbst S. 335.


24R(itter) aus Zürich hat mir zwei architektonische Broschuren von Semper geschickt, aber mit nur wenigen Zeilen: ist über Chromatoplastik und Architektur‹ (13. Mai 1856); ›auch v. Hornstein war wieder da, war vor 2. Monat in Zürich gewesen, wo Herwegh Buddhaismus studiert, durch mich dahin geführt‹ (17. Sept. 1856). ›Dr. Wille, von meiner Züricher Gemeinde, war kürzlich hier‹ (9. März 1859) etc. Ebendaselbst S. 329. 347. 439.


25 Geschichte der deutschen Literatur von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart, von Prof. Dr. Friedrich Vogt und Prof. Dr. Max Koch, Leipzig und Wien, Bibliographisches Institut 1896, S. 662. Vgl. auch Gwinners ›Leben Schopenhauers‹ S. 479: ›Wenigstens hatte vorher selbst das Auftreten seiner ersten aktiven Apostel (Dorguths seit 1843 und Frauenstädts 1848) nichts gefruchtet. Bis zum Anfang der 50er Jahre war Sch. selbst bei den meisten damaligen Fachgenossen so gut wie unbekannt geblieben.‹


26 Die ersten Ausgaben dieses Buches enthalten eine Skizze dazu, die sich unter berufener Hand jedenfalls zu einem besonderen, lehrreichen Werke auszuwachsen haben dürfte!


27 Es ist hiermit die damals weit verbreitete, in Meyerbeers Diensten stehende, musikalische Wochenschrift ›Das Echo‹ gemeint. Ihr geschäftskundiger Herausgeber Heinrich Schlesinger war der jüngere Bruder jenes Pariser Verlegers der Gazette musicale, Moritz Schlesinger (dessen Bekanntschaft Wagner in seiner ersten Pariser Periode durch Meyerbeers Vermittelung gemacht hatte), und der Nachfolger seines Vaters in der von diesem 1795 begründeten renommierten Berliner Musikalienhandlung.


28 Baechtold, Gottfried Kellers Leben II, S. 173.


29 Ebendaselbst S. 299.


30 Friedrich Theodor Vischer, der bekannte Ästhetiker, damals soeben an das neubegründete Züricher Polytechnikum berufen; seine vielberühmte dreibändige ›Ästhetik‹, seit 1847 im Entstehen, näherte sich damals ihrem Abschluß Wagner gedenkt seiner als eines ›gutartigen‹ Menschen, dem es, als er sich bei der Ausführung eines großen Systems mit dem Artikel ›Musik‹ herumzuplagen hatte ›nicht wohl zu verdenken war, wenn er sich der Bequemlichkeit und Sicherheit wegen mit dem so sehr gepriesenen Wiener Musikästhetiker (Dr. Hanslick!) assoziierte: er überließ ihm die Ausführung dieses Artikels, von dem er nichts zu verstehen bekannte, für sein großes Werk. Dieses teilte mir Herr Prof. Vischer einst selbst in Zürich mit: in welchem Verhältnis die Mitarbeit des Herrn Hanslick als eine persönliche und unmittelbare herbeigezogen wurde, ist mir unbekannt geblieben. So saß denn die musikalische Judenschönheit mitten im Herzen eines vollblutig germanischen Systems der Ästhetik‹ Gesammelte Schriften Band VIII, Seite 313.


31 Baechtold, Band II, Seite 333/334.


32 Brieflich an H. Hettner, 21. Febr. 1856; bei Baechtold II, S. 339/40.


33 An H. Hettner, 16. April 1856; bei Baechtold II, S. 350.


34 An Ludmilla Assing, 21. April 1856; bei Baechtold II, S. 354/55.


35 Gesammelte Schriften X, S. 188.


36 An Fischer S. 337


37 An Liszt II, S. 119/120.


38 Ebenda II, S. 118.


39 Chamberlain, Echte Briefe an F. Präger S. 89.


40 Ebendaselbst S. 90.


41 An Liszt S. II, S. 120.


42 Wie wohlbegründet diese Voraussetzung war, zeigte sich Loch im Herbst desselben Jahres an einer kleinen Probe. Eine geschwätzige Journalistik von Athen hatte von diesen seinen vorläufigen intimen Verhandlungen mit Liszt Kunde erhalten, und daraus vorgreifend sogar schon das fait accompli der Einreichung eines Gnadengesuches gemacht, ja das selbstgeschaffene Gerücht gleich auch noch auf zwei andere sächsische Verbannte in Zürich, Semper und Köchly (Band II, S. 265 u. 309), mit ausgedehnt. Nach Kellers Erwähnung hätten die beiden Letzteren tatsächlich ›ihre désaveux abgegeben‹, wogegen Wagner es vorgezogen habe zu schweigen ›um sich nicht von vornherein das Spiel aufs neue zu verderben‹. (Gottfr. Keller, brieflich an Hettner, 18. Okt. 1856.)


43 An Liszt, Briefwechsel II, S. 126.


44 Gesammelte Schriften, Band VIII, S. 223.


45 An Liszt II, S. 134. Noch mehr als 20 Jahre später gedenkt er mit Dankbarkeit dieses trefflichen Arztes und seiner völlig an ihm gelungenen Kur, in einem Briefe an einen jungen Freund, dem er ebenfalls das gleiche kalmierende Verfahren einer Wasserheilanstalt anempfiehlt. ›Im Jahre 1856 war ich so nervenleidend geworden, daß ich mich vor jedem sanften Luftzug fürchtete. In Mornex (bei Genf) sagte mir der Hydropath: Mein Herr, Sie sind nur nervös! Bleiben Sie zwei Monate bei mir und Sie werden von Ihren Beunruhigungen nie wieder etwas erfahren!‹ ›Dieses ging buchstäblich in Erfüllung, und es zeigte sich, daß alle sonstigen Leiden nur sekundär waren.‹ (Brieflich an Edmund von Hagen, 16. Juli 1878.)


46Les Préludes‹ ›Orpheus‹, ›Prometheus‹, ›Tasso‹, ›Mazeppa‹, ›Festklänge‹ (sämtlich bei Breitkopf & Härtel in Leipzig).


47 An Liszt, Briefwechsel II, S. 128. 134/35.


48 Ebenda S. 135.


49 Band II des vorliegenden Werkes, S. 402.


50 An Uhlig S. 208.–


51 Briefwechsel II, S. 139.


52 Brieflich an Wesendonck, Mornex 7. August 1856.


53 ›Entwürfe, Gedanken, Fragmente‹ (Leipzig, Breitkopf & Härtel 1885) S. 97/98.


54 Vgl. Karl Heckels geistvolle Studie: ›Jesus von Nazareth‹ – Buddha (›Die Sieger‹) – ›Parsifal‹ in den ›Bayreuther Blättern, 1891, S. 5/19. Heckel wurde durch die Hinweisung jener edelgesinnten Freundin des Meisters‹ die wir schon auf S. 77 dieses Bandes kennen lernten, Malvida von Meysenbug, auf Burnouf als die Quelle des Meisters gelenkt.


55 Wie eindringend und viel seitig aber des Meisters Studien auf diesem Gebiete indischer Mythen-Philosophie gewesen sein müssen, lehrt uns Heckel a. a. O. durch den weiteren Nachweis, daß ganz wesentlich anschauliche Züge der, Parsifal-Dichtung (gewissermaßen ihr ganzer zweiter Akt): Klingsors Zaubergarten, die verführerischen Blumenmädchen, der über Parsifals Haupte schweben bleibende Speer in Wagners Geiste ebenfalls durch in dische Mythenzüge aus der Buddha-Legende angeregt worden sind, wofür Heckel uns reichliche und überzeugende Mitteilungen aus Spence Hardy's ›Manual of Buddhism‹ als beredte Zeugnisse vorführt.


56 H. v. Wolzogen ›Tristan und Parsifal‹, in den ›Bayreuther Blättern‹ 1886, S. 73.


A1 W. v. Bruchhausen, Die Dreieinheit, ein leichtbegreifliches, überall gültiges Naturgesetz; der Schlüssel zur Einsicht in die Natur der Dinge. Zürich, Kiesling 1854 (XX, 216 S. 80).

Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 3, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 98-121.
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