II.

Adolf Wagner.

[19] Studienjahre in Leipzig und Jena. – Freundschaft mit Arnold Kanne und Joh. Falk. – ›Zwei Epochen der modernen Poesie‹. – Persönliche und literarische Beziehungen: August Apel, Wendt und Brockhaus. – Apels ›Polyidos‹. – Übersetzungen und eigene Dichtungen A. Wagners.


›Sein Name ist ein geehrter in dem Kreise der Männer von Geist und Charakter, welche teils mit schöpferischer Kraft eine neue Epoche in irgendeinem Kreise der Geisteskultur herbeigeführt haben, teils zur Erhaltung und Fortbildung des geistigen Ertrags in Deutschland eifrig mitwirken, und er hat, mit den Besten seiner Zeit und seines Volkes in Verbindung, stets gegen das Gemeine, Schlechte und Oberflächliche in Leben und Literatur kräftig gekämpft‹

Nekrolog A. Wagners.1


›Am Ende gibt, was von uns Menschen nach außen fällt, auch wohl Hobelspäne und Schlacken. Gut, wenn ein Silberblick vordrang und der Metallkönig nicht verschwindet! Diesen hab' ich mir, denk' ich, ›gerettet.‹

Adolf Wagner.


Wir widmen dieses Kapitel der Betrachtung der Lebensverhältnisse und der geistigen Entwicklung eines Mannes, der in die Jugendjahre unseres Meisters als eine würdige, seiner Erinnerung bis in die spätesten Jahre wohlvertraute, geachtete Erscheinung hineinragt und mancherlei verwandtschaftliche Züge mit seinem großen Neffen aufweist.

›Ein begünstigteres Talent für Aneignung der verschiedenartigsten Weltgegenstände werde schwerlich jemals geboren, aber auch schwerlich so wenig nutzbar gemacht und konzentriert‹, sagt über ihn ein älterer Gewährsmann.2 ›Er griff aufnehmenslustig nach allen Einzelheiten, da ihn jedes interessierte, und er in seinem reichen beweglichen Geiste für jedes ein Organ der Verarbeitung hatte; aber nirgends genügte er dabei sich selbst oder ließ sein eigenstes Wesen in dem, was er schrieb, zu seinem Rechte kommen.‹ Mit dieser [20] vielseitigen Anlage ausgestattet, war Adolf Wagner am 15. November 1774 zur Welt gekommen, und hatte von seinem neunten Lebensjahre an seine Bildung und Erziehung auf der Leipziger Thomana empfangen. Früh begründete sich hier in ihm der Trieb zu philologischen Studien. Achtzehn Jahre alt, ließ er sich an der Universität Leipzig bei der theologischen Fakultät inskribieren; doch fesselte ihn, gleich im Beginn seiner Studienzeit, mehr die Beschäftigung mit dem klassischen Altertum. Hierin bestärkte ihn das Beispiel des hervorragendsten unter seinen theologischen Lehrern, Chr. Daniel Beck, der, als einer jener älteren deutschen Gelehrten mit ihrer staunenswerten Wissensfülle, vom altrömischen Rechte ausgegangen, über Exegese, Kirchen- und Dogmengeschichte bis zur Universalgeschichte vordringend, sich als Historiker durch gründliche Kenntnis der, teilweise von ihm selbst erschlossenen Quellen auszeichnete und dessen heimatlicher Boden dennoch die altklassische Philologie blieb. Junge Philologen zu tüchtigen Lehrern für die Gelehrtenschulen zu bilden, war ein Hauptaugenmerk seiner Wirksamkeit. Er wünschte auch Adolf Wagner für die Universität heranzuziehen. Diesem Wunsche setzte die innere Abneigung des begabten Schülers einen unüberwindlichen Widerstand entgegen. Sein reger Wissensdrang war mit einem ausgeprägten Triebe zur Unabhängigkeit gepaart, dem zu Liebe er selbst Entsagungen und Opfer mancher Art dem Eintritt in eine akademische Laufbahn vorzog.

Neben theologischen und philologischen Studien zog ihn mächtig die wieder aufgelebte deutsche Philosophie an, worin er sich jedoch mehr der eigenen Lektüre überlassen mußte, als er sich durch Vorlesungen gefördert sah. Auch reizte ihn die Beschäftigung mit den neueren Sprachen, insonderheit der italienischen Sprache und Literatur, – in der Folge ein Hauptgebiet seiner gelehrten Tätigkeit. Hatte er, frei und dem ihm innewohnenden Triebe folgend, ein amtloses Leben auf eigene Gefahr und Mühseligkeit erwählt und deshalb manchen Anlaß, eine bestimmte Laufbahn im bürgerlichen Leben einzuschlagen, vernachlässigt oder abgelehnt, so sah er sich nun aber bald, durch den Tod des wackeren Vaters, von der Notwendigkeit an sich selbst verwiesen, und auf den vermeintlich selbstgewählten Punkt gestellt.

Jena, damals der Herd deutscher Bildung und Wissenschaft, wo Fichte, Schelling, Steffens, die beiden Schlegel, Gries, Brentano, in der Nähe des ›großen Dreigestirnes‹ Goethe, Schiller und Wieland lebten, zog den Zweiundzwanzigjährigen mehr als Alles an. Er wanderte 1798 mit einem Freunde ›nicht unabenteuerlich‹ dahin, wurde dort Schiller bekannt und verkehrte, freundlich von ihm aufgenommen, bis zu dessen Übersiedelung nach Weimar fast täglich in des Dichters gastlichem Hause. Auch besuchte er Fichtes Vorlesungen, der, vier Jahre zuvor nach Jena berufen, hier sein eigenes System zu begründen begann und den Sinn der Studierenden zu leiten und zu veredeln bemüht war. Bekannt sind die üblen Folgen, welche Mißverständnisse aller [21] Art, Uneinigkeit mit seinen Kollegen und Fichtes natürliche Heftigkeit und Unbeugsamkeit für ihn nach sich zogen. Man verdächtigte ihn des Atheismus, und Wagner erlebte es noch während seines Jenaer Aufenthaltes, wie der von ihm hochgeschätzte Mann, infolge solcher Aufwiegelungen und dadurch veranlaßter Untersuchungen, von augenblicklicher Aufwallung fortgerissen, seine Entlassung einreichte und sofort bestätigt erhielt. Mehr jedoch als der Anhörung akademischer Vorträge, gab sich Adolf Wagner auch hier Privatstudien und der frischen lebendigen Bildung durch mancherlei anregenden persönlichen Umgang hin. In der Gesellschaft war er › eine schöne und glückmachende Erscheinung und genoß die Süßigkeit des Lebens in mancherlei anziehenden Verhältnissen‹. Seinen bescheidenen Forderungen an das äußere Dasein suchte er durch schriftstellerische Arbeiten, Übersetzungen aus allen Sprachen, die ihm schon damals in hohem Grade geläufig waren, durch Beiträge zu kritischen und anderen Blättern, Genüge zu tun; über äußere Beschränkungen und Entbehrungen setzte er sich mit genialer Gleichgültigkeit hinweg.

Einen getreuen Stubengenossen und zeitlebens treu ergebenen Freund gewann er sich in Jena an Arnold Kanne, dem gelehrten und schicksalsreichen Forscher auf dem Gebiete der Etymologie und Mythologie. Ihre sonstigen Verschiedenheiten und die Neigung Kannes zu unstetem Umherwandern konnten dieser Freundschaft keinen Eintrag tun. Im Sommer 1806, beim Ausbruch des Krieges mit Frankreich, trat Kanne in preußische Dienste, und geriet nach der unglücklichen Schlacht bei Jena in französische Gefangenschaft. Im dünnen Soldatenrock und bei schmaler Kost mußte er zwanzig rauhe Novembertage marschieren. Auf nächtlichem Marsch gelang es ihm, im Walde bei Vach zu entrinnen; im nächsten Dorfe rettete er sich durch Verleugnung seines Militärstandes und durch Aufweisung zweier in seinen Hosentaschen befindlicher Briefe, die ihn als Literaten und Schriftsteller dokumentierten; der eine von Jean Paul, der andere, wenige Monate alt, von Adolf Wagner. Als Bettler kam er so nach demselben Meiningen, wo er einige Jahre vorher mit dem Herzog spazieren gefahren war. Aber da er wegen der deutsch-französischen Truppen nicht in die Stadt kommen konnte, nahm er unweit Meiningen wieder österreichische Kriegsdienste. Wie er aus diesen loskam, berichtet er in seiner Selbstbiographie. Fieberkrank lag er im Lazarett zu Linz, an seinem Leben und Schicksal verzweifelnd. ›Urplötzlich‹, so erzählt er ›kam unerwartete Hilfe‹. Ich hatte an meinen Freund Adolf Wagner in Leipzig geschrieben, den Einzigen, mit dem ich in jeder Lage in brieflichem Zusammenhang blieb, und der mich treu liebte, wie ich ihn. Nicht vierzehn Tage war ich aus dem Spital, als – wie vom Himmel gefallen – ein Mann zu mir kam, als Emissär des Buchhändlers Haßlinger in Linz, und mich zu diesem einlud. Es war von Loskaufen die Rede, und wirklich wurde ich für 160 Gulden frei. Damals, und lange noch, stand ich in der Meinung, [22] Haßlinger hätte mich losgekauft, auf die Nachricht hin, daß ich der Verfasser der soeben erschienenen ›ersten Urkunden der Geschichte‹ wäre. Dies war mir um so wahrscheinlicher, da Haßlinger ohne Frau und Kinder war, und nichts sagte, was mir meinen Irrtum hätte benehmen können. Aber nun weiß ich's seit nicht gar langer Zeit als ganz gewiß, daß der Präsident Jakobi in München mein Befreier gewesen ist, Jean Paul aber, an den Adolf Wagner geschrieben hatte, die erste Veranlassung dazu gewesen sein muß. Mein Freund hatte alles aufgeboten und auch an den österreichischen Kriegsminister von Dohm geschrieben, um mich aus meiner höchst gefährlichen Lage zu erretten. ›Mit größter Dankbarkeit gedenkt daher Kanne auch sonst in seinen Lebenserinnerungen, seines lieben Adolf Wagner, der, viel zu gut für ihn, alle seine großen Fehler in keine Rechnung gebracht hätte.‹ Der Anhang einer Übersicht der Mythologie zu Kannes ›Chronos‹ bezeichnet ihr Verhältnis und ihren gemeinsamen Bildungsgang. Eine Panglotte, auf der Idee der Einheit der Religion und der Sprache fußend, deren Material, von Kanne geliefert, Wagner bearbeiten sollte, und wozu dieser bereits eine philosophische Einleitung, der größeren Verbreitung des Werkes zu lieb, in lateinischer Sprache begonnen hatte, unterblieb, weil Kanne in Erlangen eine Richtung in das Mystische nahm und seine Handschrift fanatisch dem Feuer opferte. Wie verschieden Wagner in dieser Hinsicht dachte, und wie manche Erörterung dies unter den Freunden veranlaßte, ihr Verhältnis blieb das gleiche; nur der Briefwechsel ward mit den Jahren seltener.

Eine ähnliche innere Wandlung erlebte Adolf Wagner an einem anderen Jenaer Freunde, Johannes Falk, dessen erste satirische Dichtungen, noch unter Wielands Auspizien im ›Deutschen Merkur‹ erschienen, sich einer fast enthusiastischen Anpreisung durch den greisen Dichter zu erfreuen hatten: ›der Geist Juvenals scheine so reichlich über ihn ausgegossen, daß ihn auch das Schicksal des römischen Dichters nicht von seiner Laufbahn abschrecken würde‹.3 Die Sinnesart des trotzigen jungen Satirikers, des Dichters der ›Helden‹ und der ›Gräber zu Kon‹, in heftigem Widerspruch gegen das Zeitalter bis zu förmlicher Menschenfeindschaft erregt, nahm in seiner ferneren Entwickelung eine Richtung, die ihm Liebe und Wohlwollen gegen die ganze Menschheit einhauchte. 1806 und 1813 wiederholt in das Kriegsgetümmel gerissen, fand er für den schmerzlichen Verlust seiner eigenen blühenden Kinder Beruhigung in [23] dem Vorsatz, den zahllosen durch den Krieg verwaisten und verwilderten Kindern ein Versorger und Vater zu werden. Die hierzu von ihm in Weimar begründete Anstalt gewann den Beifall aller Edelgesinnten; ihr Hauptzweck war die Ausbildung ihrer Zöglinge zu nützlichen bürgerlichen Gewerben. Zum Besten dieser Anstalt war die Sammlung seiner auserlesenen Werke bestimmt, welche Adolf Wagner 1819 in drei Bänden zum Druck beförderte. Auch in Falk achtete er, wie überall im Leben, die Idee, wiewohl sie in ihm eine andere Richtung nahm, sein Gemüt, seine Ehrlichkeit und Aufopferung und das lebendige fromme Vertrauen des Mannes.

Als Schiller nach Weimar gegangen war, Fichte seine Entlassung genommen hatte und Wagners Stubengenosse anderer Studien halber nach Wien zog, wanderte er, nach einjährigem Verweilen in Jena, in seine Vaterstadt zurück. Ausflüge der folgenden Jahre führten ihn zu längerem oder kürzerem Aufenthalt an verschiedene Orte, insbesondere nach Dresden, Berlin und Breslau, dessen stattlicher Gebäude, altertümlicher Kirchen, schöner Anlagen, wie der Ziegelbastei, und Umgebungen, wie der Morgenau, zumal aber des in langer blauer Ferne sich hinziehenden Riesengebirges, er noch in späteren Jahren mit Wärme gedenkt. Während mehrfacher Besuche in Dresden trat er Ludwig Tieck freundschaftlich nahe, mit dem er noch gegen das Ende seines Jenaer Aufenthaltes persönliche Beziehungen angeknüpft hatte und dem er zeitlebens hervorragende Anhänglichkeit und Hochachtung zollte. Seinen bleibenden Wohnsitz aber behielt er fortan in Leipzig, standhaft und vielgeprüft nur seiner Bildung lebend, dennoch mit Lust und Liebe, wie mit regem Fleiß, und mit den gebildetsten Männern und Frauen im Umgang, das Edlere stets sich aneignend.

Zu seinen, noch unter den Anregungen Becks entstandenen, philologischen Arbeiten gehört seine Erstlingsschrift, die Abhandlung de Alcestide Euripidea (Leipzig, 1797), der er, nach seiner Rückkehr aus Jena, eine vollständige Ausgabe der ›Alcestis‹ folgen ließ. Noch zwanzig Jahre später kehrte er, in der Durcharbeitung von Seybolds Alcestis-Übertragung, zu dem gleichen Werke des Euripides zurück Eine Übersetzung der ›Jahrbücher Cäsars‹ mag um des Umstandes willen erwähnt sein, daß sie i. J. 1808 zu Bayreuth im Druck erschien: bemerkenswerter ist seine mit ausführlicher deutscher Einleitung versehene Übertragung von Sophokles' ›König Ödipus‹. In die erste Zeit seiner Rückkehr nach Leipzig fällt noch eine Verdeutschung der ›Reden Ulrichs von Hutten‹, woran sich eine ganze Folge populär-historischer Darstellungen in den ›Lebensbeschreibungen der Reformatoren‹ schloß (Zwingli, Leipzig 1800; Wiklef 1801; Erasmus 1802; Hutten 1803; Hieronymus von Prag 1803; Ökolampadius 1804). Gleichzeitig beschäftigte er sich andauernd mit der italienischen Sprache und Literatur und ward der Handhabung des Italienischen in dem Grade mächtig, daß er nicht allein in Übertragungen aus dieser [24] Sprache, sondern auch in sie seine vollkommene Beherrschung des fremden Idioms erwies.4 So gereichte es ihm zu inniger Freude, den Wohllaut der Erzählung von Fouqués lieblichem ›Undinen‹-Märchen für Freunde dieser anmutigen Dichtung und der italienischen Sprache zum erstenmal in den weichen Lauten des Südens wiederklingen zu lassen. Auf seine enge persönliche Befreundung mit dem Dichter der ›Undine‹ deutet ein zwischen beiden in den Jahren 1814/17 geführter äußerst reger Briefwechsel.5 Als Weigls Oper ›Die Schweizerfamilie‹ für die Dresdener kgl. Bühne hoffähig gemacht werden sollte, mußte sie es sich zuvor gefallen lassen, italienisch umgedichtet zu werden. Man wußte sich in der Verlegenheit nicht anders zu helfen, als sich damit an den besten einheimischen Kenner der italienischen Sprache, an Adolf Wagner zu wenden, der sich dem Hofe zu Liebe wohl oder übel der sonderbaren Aufgabe der Italianisierung eines deutsch geschriebenen Werkes für eine deutsche Residenzbühne unterzog, – ›da rappresentarsi nel teatro reale di Sassonia‹, wie es auf dem Titelblatte heißt. Die erste Aufführung dieses harmlos sentimentalen Werkes in deutscher Sprache fand in Dresden bekanntlich erst lange danach unter K. M. von Weber statt, am fünften Geburtstage Richard Wagners, dem 22. Mai 1818! Gerade so gingen Mozarts Werke erst allmählich in den Bereich der (von Weber begründeten) deutschen Oper über, da man sie zuvor nicht anders als von italienischen Sängern und in italienischer Sprache gehört hatte.6

Eine Frucht der Versenkung Adolf Wagners in den Geist italienischer Dichtung war seine größere Abhandlung unter dem Titel: ›Zwei Epochen der modernen Poesie, dargestellt in Dante, Petrarca, Boccaccio, Goethe, Schiller und Wieland‹ (Leipzig, Breitkopf und Härtel, 1806). Es ist der [25] Zweck dieser Arbeit ›aus dem modernen Weltgemälde zwei Hauptgruppen herauszuheben‹, und zu versuchen, ob an ihnen ›das Gemälde in seinem inneren Zusammenhange aufgefaßt und erkannt werden könne‹. Bedeutungsvoll berührt uns in dieser Schrift der helle Blick, mit dem der Verfasser der ›zwei Epochen‹ der gedankenlosen Abstempelung der edelsten Wirksamkeit Goethes und Schillers als einer in sich abgeschlossenen Epoche, eines ›goldenen Zeitalters‹ nach Maßgabe des siècle d'or der Franzosen, entgegentritt, und dagegen auf den darin enthaltenen Lebenskeim für eine ›neue Welt der Konzentration bisher vereinzelter Kräfte‹ hinweist. Diese ›neue Welt‹ bedurfte zu ihrer Ergänzung auch einer neuen Macht, die sich dem seherischen Wirken unserer großen Dichter als die beseelende Kraft der Musik erst zu vermählen hatte. Ohne diese Macht mußte gerade der Deutsche in seinem universalen Drange versucht sein, die bevorstehende Konzentration weniger als eine Betätigung des rein menschlichen Gemütes, von innerlichster Kraft und Gewalt, wie als das Ergebnis einer umfassenden Aneignung der mannigfachsten Welterscheinungen durch den rastlos und emsig forschenden Geist sich zu deuten, wobei sie sich denn den vorzüglichsten Söhnen Deutschlands in den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts etwa unter der nebelhaften Vorstellung einer ›Weltliteratur‹ vergegenwärtigte.

Richten wir für jetzt den Blick auf die Umgebung, die das innere und äußere Leben des jungen Privatgelehrten in seiner Vaterstadt beeinflußte. ›Unsere Umgebungen leihen uns Farben‹, sagte er ›aber die Farbenharmonie ist Sache unserer Freiheit.‹ Bereits ward der Beschaffenheit seines Umganges im allgemeinen gedacht, sowie mancher freundschaftlicher Beziehungen, die er sich außerhalb Leipzigs gewonnen. In Leipzig selbst hielt er sich zu den ›Geistreichsten und Wohlgebornen, das Wort im ursprünglichen Sinne genommen.‹ In erster Reihe ist hier der angesehene Ratsherr August Apel unter den Nahebefreundeten zu nennen, eine reichbegabte Natur, aus Patriziergeschlecht, in gemächlichen Verhältnissen lebend, sicher und gediegen in Wort und Tat. ›Er war frei und ein Mann, den das Selbsterrungene und das Selbsterringen freute, und der nur dieses mit freudiger Anerkennung achtete‹, sagt Adolf Wagner über ihn. ›Gegen alles andere, was bloß wie zufällige Gunst aussah, oder unfreies Spiel, verschloß er sich, und so erschien er dem flacheren Beobachter kalt, fremd, bemessen. Aber daheim mußte man ihn sehen, zumal auf seinem Rittersitz, wo er die Sommerzeit im Umgang mit Freunden und den Dichtern der Vor- und Mitwelt zubrachte, um in ihm einen liebenswürdigen, edlen, seinen, ja fast kindlich spielenden Mann zu finden, dem es gefiel, den tiefen, kühnsten Ernst unter der Kindermaske zu bergen.‹ So geartet, leistete er in den unglücklichen Kriegsjahren seiner Vaterstadt manchen Dienst durch schnell überschauenden Blick, ruhige Bemessenheit, Geistesschärfe und Gewandtheit. Wie sich andererseits durch seine Dichtungen (es sei an den [26] ›Freischütz‹ und ›Das stille Kind‹ erinnert) die Vorliebe für das Schauerlich-Romantische hinzieht, lockte ihn wohl auch im Leben ein gewisser Aberglaube in die Schauertiefen des Geisterreichs. So hat uns A. Wagner den Zug von ihm aufbewahrt, er habe der noch unerwachsenen Tochter eines Freundes ein Faß Weines, wie er dem Kinde gemundet, zu ihrem dereinstigen Hochzeitstage vermacht, mit der Mahnung jedoch, daß es dann auch geleert werden müsse, widrigenfalls er selbst als Geist zur Hochzeit sich einstellen werde.

Ein anderer Freund, auf dessen Lebensgang Adolf Wagner bestimmend einwirkte, indem er es war, dessen Verkehr ihn vollends der Philosophie und Ästhetik zuführte, war der nachmals in diesem Fache rühmlichst bekannt gewordene Amadeus Wendt, seit 1808 in Leipzig habilitiert und später nach Göttingen berufen. Durch Schönheit und Liebenswürdigkeit in den auserlesenen Kreisen Leipzigs beliebt und sowohl Apel als Adolf Wagner befreundet war die ›Hofrätin‹ Minna Spazier, seit dem Tode ihres Mannes (des Begründers der vielgelesenen ›Zeitung für die elegante Welt‹) ebenfalls in Leipzig ansässig. Mit ihren beiden Schwägern, Jean Paul und Mahlmann, stand sie in guten Beziehungen und wurde von ihnen in ihrer literarischen Tätigkeit unterstützt; auch A. Wagner hat für das von ihr herausgegebene › Taschenbuch für Liebe und Freundschaft‹ wiederholt Beiträge geliefert. Durch sie wurde er mit dem rüstig aufstrebenden jungen Buchhändler Friedrich Brockhaus bekannt, der in einem noch erhaltenen Briefe Wagner und Wendt unter seine ›liebsten Bekanntschaften‹ zählt. Als er einst auf ein größeres episches Gedicht für seine Zeitschrift ›Urania‹ einen ansehnlichen Preis ausschrieb, lud er Apel, Wendt und A. Wagner zu Preisrichtern ein, die es sich ihrerseits nicht nehmen ließen, ihr Urteil vor der Publikation Goethe zur letzten Entscheidung vorzulegen (das preisgekrönte Gedicht war Ernst Schulzes ›bezauberte Rose‹). So gehörte Adolf Wagner auch zu den ersten Mitarbeitern des 1812 begonnenen ›Konversationslexikons‹.

Die achtunggebietenden Eigenschaften seines Geistes und Charakters und die ihm in hohem Grade eigenen geselligen Vorzüge erklären seine Beliebtheit und Hochschätzung in den mannigfachen Kreisen seines Verkehrs. Ein Zeitgenosse stellt seine persönliche und schriftstellerische Art sich zu geben in etwas schroffen Gegensatz. Von dem reichen Goldlager an Gedanken und Anschauungen, das er in sich barg, habe er in allem, was er je geschrieben, nur einzelne stachlichte Splitter und Klumpen an die Oberfläche geworfen. Indem er immer zu viel geben wollte, habe er oft zu wenig gegeben und sich in deutscher Sprache einen Styl eingerichtet, mit dessen wundersam geistvollen Hieroglyphen man einen Kampf auf Leben und Tod zu bestehen hätte. ›Wenn er aber sprach, ließ er diese zu große Absichtlichkeit und motivierte Geschraubtheit gänzlich fahren, und nie hat man einen Deutschen vortrefflicher und in edler fließenden Melodieen von Sprache und Gedanken reden [27] gehört; womit er, obwohl er dann gern das Wort führte, die größte Anspruchslosigkeit des Benehmens verband.‹ Dazu stand ihm ein vorzüglich wohlklingendes Organ zu Gebote, dessen Unterstützung ihn als beliebten Vorleser seinem dafür berühmten Freunde Tieck nicht nachstehen ließ.

Es war auf jenem ›Rittersitz‹ Apels, daß Adolf Wagner im Freundeskreise dessen eben vollendete Dichtung im äschyleischen Styl ›Polyidos‹ vortrug. Dem Dichter fiel es auf, daß der vorlesende Freund nicht selten stockte, ohne etwas Anderes als eine Art rhythmischer Idiosynkrasie als Grund angeben zu können. Dieser Vorfall ward der erste Anstoß zur Entstehung der bekannten Apelschen ›Metrik‹ als Takttheorie der Verse, welche der Verfasser in seinem reichen und gewandt organisierenden Geiste Jahre lang aus- und durchbildete. Eine von Adolf Wagner im Sinne der Antike geleitete Privataufführung des Trauerspiels im Jahre 1806 bestätigte seine erste Empfindung. Der Rhythmus der genau nach der gemeingültigen metrischen Theorie gebildeten Verse mußte sich wegen des nötigen Zusammenhalts mehrerer Stimmen allerlei Veränderungen unterwerfen: der Takt erwies sich als das einzig mögliche und doch unerläßliche Bindemittel. Vermöge seiner gründlichen Kenntnis der Musik hatte der Dichter dasselbe schon im voraus geahnt; seinem klaren Geiste boten sich bei jedem Schritte die folgenreichsten Bestätigungen, und leicht fügten sich die Glieder des Systems zu einem lebendigen Ganzen. Die Frucht dieser gemeinschaftlichen Bestrebungen war die durch Apels Tod zwar abgebrochene, in ihren Grundzügen aber vollendete Metrik, zu welcher Wagner den bescheidenen Freund drängte, – das Werk beinahe zehnjähriger unermüdeter Forschung. Vorurteil, beschränkte Zünftelei, Unkunde der Musik wehrten ihren Ergebnissen den Eingang: an der Spitze ihrer Gegner stand der gelehrte Gottfried Hermann, dessen eigene ›doctrina metrica‹ durch Apels Resultate in ihren Grundfesten erschüttert wurde. Nachdem er zunächst vom philologischen Dreifuß herab verkündet, der Verfasser sei zwar ein scharfsinniger Mann, kenne aber die antike Metrik nicht, verhielt er sich schweigend; und das Verdienst des Nichtphilologen blieb zweifelhaft. Der berühmte Gelehrte fand auch in der Folge nicht den Mut zu einem männlich geraden Worte; statt dessen hatte sich noch zu den Lebzeiten Apels manches vor ihm nicht Geahnte, ganz anders Gestellte, unmerklich in die zweite Auflage der ›doctrina metrica‹ verlaufen.

Die von Adolf Wagner geleitete Privataufführung des Apelschen ›Polyidos‹ war es auch, die ihn zu seiner deutschen Bearbeitung von Sophokles' ›König Ödipus‹ veranlaßte. Der Wert dieser Übersetzung ist unter seinen zahlreichen ähnlichen Arbeiten nicht hervorragend hoch anzuschlagen; Gegner haben sie scharf getadelt. Die umfangreiche Vorrede entwickelt die leitenden Grundsätze des Übersetzers. ›Wenn Zweck und Ertrag der häufigen und stets vervielfältigten Übersetzungen griechischer Dichter nur das Griechenzen wäre, [28] welches auch unter uns seine Zeit erfüllen zu müssen scheint, und es mithin gälte, eine noch so treffliche versunkene Weltform aus dem Abgrunde der Zeit wieder heraufzubeschwören, so hätte der Übersetzer auch diesen kleinen Beitrag zurückgehalten.‹ Vielmehr sei die Kunst, ein Weltgewächs, dessen Bestandteile so viel Völker seien, das unter dem Einfluß des Lichts und der Erde keimt, blüht, fruchtet, welkt, und so seine Geschichte hat, wie alles Endliche, oder ›welches Eins ist, gefallene Göttliche.‹ Gegen jenes Pseudo-Griechentum, das hier strafend und launig zugleich als ein müßiges Sich-Ergehen ›Griechenzen‹, bezeichnet wird, wie es in Schlegels ›Jon‹ und anderen Erzeugnissen der Zeit das volle Gegenbild zur ›Iphigenia‹ und ›Braut von Messina‹ darbot, ja den sicheren Weg wies, um das dort Gewonnene wieder zu verlieren, – hatte Adolf Wagner schon einmal in einem satirisch-heiteren Jugendwerke (›Der Bühnenschwarm oder das Spiel der Schauspieler‹ 1804) polemisiert, worin er der ›neueren idealischen Gräkomanie‹ die alte Iffland'sche ›Natürlichkeit‹ in tränenreichen Gemälden aus der Wirklichkeit des häuslichen Lebens gegenüberstellte. Jenes ›Weltgewächs‹ aber in seinen Verzweigungen, Bestandteilen, Verhältnissen und dem in ihren Wechselbeziehungen sich aussprechenden Leben in Übersetzungen zu vergegenwärtigen, ist die besondere Lieblingsneigung, zu welcher der emsig Forschende von den mancherlei Gebieten des Wissens her, in die er sich versenkte, stets gern zurückkehrte. Ihr verdankt sich die bereits erwähnte Verdeutschung von Gozzis ›Raben‹, wie die späteren Jahren entstammende von Byrons ›Manfred‹. Sie spricht auch aus der Schrift: ›Theater und Publikum. Eine Didaskalie von A. Wagner‹ (Leipzig, Weygand 1826), einer gedrängten Übersicht über die Entwicklung des Dramas bei den verschiedenen europäischen Nationen. Er macht darin den Versuch ›dem Verfalle des deutschen Theaters, den es als Magd der Üppigkeit und Notbehelf der Langeweile erlitten, auf eine den Bühnen, den Zuschauern und dem Geschmack angemessene Weise zu steuern.‹ Er weist der deutschen Bühne, gemäß der deutschen Universalität, umfassende geregelte Darstellungen der dramatischen Produkte aller Zeiten und Nationen als Aufgabe zu, wobei er ganz im Sinne seines Freundes Tieck auf buchstäblich unveränderter Wiedergabe Shakespeares besteht. Ein vielseitiger, lebhafter Widerspruch gegen diese, mehr dem feinsinnigen Kenner und Gelehrten entstammende, als den natürlichen Anforderungen an die Schaubühne entsprechende Ansicht von der Bestimmung des Theaters konnte nicht ausbleiben und – ward dem Verfasser reichlichst zuteil!

Es existiert von ihm endlich auch eine Sammlung dramatischer Versuche unter dem Titel ›Theater‹, vier Lustspiele eigener Dichtung umfassend: ›Umwege‹ (in 5 Akten), ›Liebesnetze‹, ›Ein Augenblick‹, ›Hinterlist‹ (in je einem Akt). Der bekannte Literaturforscher H. Kurz urteilt darüber, er sei in den ›Umwegen‹, der Dramatisierung einer italienischen Novelle Bandellos, an dem [29] schwer zu bewältigenden Stoffe gescheitert; weit glücklicher, auch viel klarer und zarter gehalten, seien ›Ein Augenblick‹ und ›Liebesnetze‹.7 Trotz des späten Erscheinens dieser Sammlung (1816) glauben wir annehmen zu dürfen, daß wir es hier mit einem Jugendwerk, aus Wagners erster Periode, zu tun haben, entstanden vielleicht bald nach dem ›Bühnenschwarm‹. Bei dieser Gelegenheit erwähnen wir auch noch eines Romanes aus seiner Feder unter dem Titel ›Liebestand und Liebesernst‹ (Jena 1818), von welchem wir uns jedoch, als einem gänzlich unzugänglich gewordenen Buche, trotz mancher Bemühungen, eine nähere Kenntnis nicht haben verschaffen können.8 Möge der im Vorstehenden gebotene Überblick über die literarische Tätigkeit Adolf Wagners auf gelehrtem wie schöngeistigem Gebiete uns vorläufig genügen, um uns ein Bild des ihm in so hohem Maße eigenen Strebens und Ringens nach allumfassender Aneignung der Welterscheinungen bis in ihre entlegensten Gebiete im Bereich der Geschichte wie des menschlichen Denkens zu gewähren. Dieser ausgesprochene Trieb zur Universalität mahnt uns im voraus lebhaft an den Geist seines großen Neffen; nur hatte sich der äußeren Expansion seines Gesichtskreises und der Fülle der von ihm umspannten Weltgegenstände in letzterem eine unvergleichlich gewaltigere Kraft der Intensität zu verbinden, um dessen überragenden Künstlergenius zu siegreicher Offenbarung der universalen Befähigung des deutschen Geistes zu führen.

Fußnoten

1 Enthalten in dem älteren gelehrten Sammelwerk ›Neuer Nekrolog der Deutschen Weimar‹, Voigt, XIII, S. 649–51.


2 Der ungenannte Verfasser eben jenes in unserem Motto zitierten ›Nekrologs‹, vielleicht der Ästhetiker Amadeus Wendt?


3 Einen Beweis seiner Unerschrockenheit hatte Falk in Halle gegeben, als er dort in einem satirischen Marionettenspiele, dessen Personal Uhus, Käuzlein, ausgestopfte Nachteulen und Raben ausmachten, unter großem Zulauf von Professoren und Zuschauern aller Stände durch kühne öffentliche Anspielungen auf lebende Personen, Schützlinge des mächtigen Wöllner, die ganze Stadt in Erregung setzte. Ein anonymer Brief aus Berlin empfahl ihm schleunige Flucht: es bedürfe nur eines Kabinettsbefehls, so stünde ihm Festungsstrafe oder Gassenlaufen bevor. Falk beharrte, und – der Kabinettsbefehl blieb aus.


4 Hierher gehört seine vortreffliche Übertragung von Gozzis dramatischem Märchen ›der Rabe‹ (Leipzig 1804), sowie die Novellensammlung: ›Scherz und Liebe, in italienischen Novellen‹. Wagners Gozzi-Übersetzung ist die erste, die es auf eine genaue Wiedergabe, nicht freie Bearbeitung absah, und Jamben gab, wo das Original Jamben, Prosa, wo es Prosa hat. Zuvor gab es nur die Werthessche Übertragung der Gozzischen Stücke (welche Schillers ›Prinzessin Turandot‹ zugrunde liegt).


5 Achtzehn eigenhändige Briefe Fouqués an Adolf Wagner, zusammen 53 eng beschriebene Quartseiten umfassend (vom 17. Juni 1814 bis zum 28. Februar 1817), wurden im März 1898 durch das Berliner Antiquariat von Leo Liepmannssohn zum öffentlichen Verkauf ausgeboten.


6 Eine geistvolle Französin berichtet in ihren, in die Epoche Karls X. fallenden Jugenderinnerungen, die Familien des Faubourg St. Germain hätten ihre Töchter aus zwei schlagenden Gründen nicht in das Schauspiel, wohl aber in die italienische Oper geführt: ›les chanteurs italiens n'étaient point excommuniés, et l'on ne comprenait pas les paroles!‹A1 Schwerer wog die gleiche Enthaltung in der Elbresidenz; sie betraf hier nicht allein die ›Töchter‹, sondern das ganze Publikum, welches bis zu Weber ausschließlich auf die italienische Oper angewiesen war, deren ›Worte es nicht verstand‹, und dies als zum Wesen der Oper gehörig hinnahm.


7 H. Kurz, Geschichte der deutschen Literatur III, S. 395.


8 Das bekannte Brümmersche Dichterlexikon (Leipzig, Reclam) I, 566 zitiert, unbeschadet seiner sonstigen Verdienste, nicht einmal den Titel richtig, sondern macht daraus, vermutlich durch einen Schreibfehler oder eine unleserliche Handschrift veranlaßt: ›Liebesstand und Liebesrecht‹(!). Dem Verfasser des betreffenden Artikels scheint demnach jener Roman auch nicht im Original vorgelegen zu haben.


A1 Daniel Stern, mes souvenirs Paris, 1877 (2me ed.), S. 195. Bekanntlich ist ›Daniel Stern‹ der Schriftstellername der Gräfin d'Agoult, der Mutter von Liszt's Kindern: Cosima, Blandine und Daniel.

Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 1, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 19-30.
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