II.

Auswärtige Aufführungen.

[40] Der ›fl. Holländer‹ in Kassel und Riga. – Anmeldungen anderer Theater für beide Opern. – Wiederaufnahme des ›Rienzi‹. – Teilnahme an den Direktionsgeschäften. – Leipziger Gegenströmung, vom Konservatorium ausgehend. – Der ›fl. Holländer‹ in Berlin: Berliner Gegenströmung. – Herausgabe beider Opern auf eigene Kosten. – ›Rienzi‹ in Hamburg.


Zunächst täuschte mich die, immerhin wohl nicht durchaus grundlose, Annahme eines schnellen, oder – wenn langsameren – doch unausbleiblichen, lohnbringenden Erfolges meiner Opern durch ihre Verbreitung über die deutschen Theater.

Richard Wagner.


Der erste außerordentliche Erfolg des ›Rienzi‹ erregte unter Wagners Freunden eine seltsame Besorgnis. Sie gelangt in einem Briefe des alten ›Heinemännel‹ (Ferdinand Heine) an den gemeinsamen Freund Kietz (in Paris) zu naiv-vertraulichem Ausdruck. ›Rienzi‹, heißt es darin ›hat die Hugenotten ganz eklipsiert. Ich fürchte, daß Meyer beer, der sowohl für Berlin wie Paris für Wagner so unendlich einflußreich ist, am Ende futterneidisch werden wird. Er ist ein Jude, und zwar ein ehrgeiziger Jude!!!!‹ Damit war viel gesagt.

Wer sich die vertrauensvollen Beziehungen des jungen Meisters zu dem fragwürdigen Gönner seiner Pariser Periode in ihrem bisherigen Verlaufe recht vergegenwärtigt, wird sich leicht vorstellen, daß diese Beziehungen durch seine Dresdener Niederlassung keinen plötzlichen Abbruch finden konnten. Noch war das Versprechen einer Berliner Aufführung des ›fliegenden Holländers‹ unerfüllt. Noch gab sich der Mächtige, Einflußreiche den Anschein des wohlgesinnten Protektors, und so klar auch sein künstlerischer Charakter dem gereifteren Urteil des deutschen Künstlers offen lag, so wenig Mißtrauen setzte er bis jetzt noch in seine rein menschliche Gesinnung. Noch kürzlich (6. April) hatte ihm Meyerbeer geschrieben, der ›Holländer‹ werde binnen [41] vier Wochen (im Mai) in Berlin herauskommen. Wagner meldet dies tags darauf den teilnehmenden Pariser Freunden, zugleich mit seinen wohlbegründeten Zweifeln an der Verwirklichung dieser Aussicht. Allerdings erstreckten sich letztere zur Zeit noch nicht so sehr auf die Ehrlichkeit des Maestro, als auf die unverkennbare Schwäche der Berliner Zustände, an deren Spitze dieser seit einem Jahre als kgl. preußischer General-Mu sikdirektor stand. Er behielt recht, der Monat Mai und das ganze Jahr 1843 ging vorüber, ohne daß vom ›Holländer‹ weiter die Rede war.

Aber einen anderen, aufrichtigeren Freund und Beschützer seines Werkes hatte er inzwischen gewonnen Dies war der ehrwürdige, von der umgebenden Musikwelt schroff sich absondernde Ludwig Spohr in Kassel. Wagners erste persönliche Begegnung mit ihm war vielmehr eine Nicht-Begegnung zu nennen. Es war im Sommer des vergangenen Jahres, noch lange vor den ersten ›Rienzi‹-Proben, daß der bald sechzigjährige Altmeister, der selbst dem Beethoven der zweiten Periode ein ablehnendes Unverständnis entgegensetzte, soeben zum Besuche in Dresden weilend, sich gleichzeitig mit ihm auf der Bühn des Hoftheaters befand. Seine Zurückhaltung gegen jede neuere Erscheinung auf dem Gebiete seiner Kunst war dem jungen Meister wohl bekannt; im bescheidenen Bewußtsein seiner bisherigen ›Unbekanntheit und Unbedeutendheit‹ blieb er deshalb im dunklen Hintergrunde und vermied es absichtlich, hervorzutreten und den wunderlich schroffen Gast mit seiner Annäherung zu belästigen. Um so größer sein Erstaunen, als er, kaum ein halbes Jahr später, ohne jedes Zutun seinerseits, von der Direktion des Kurfürstl. Hoftheaters in Kassel die Aufforderung erhielt, ihr die Partitur des ›fliegenden Holländers‹ zur Aufführung einzusenden. Spohr hatte inzwischen einer Dresdener Vorstellung des Werkes beigewohnt und den günstigsten Eindruck davon erhalten. ›Insoweit glaube ich mit meinem Urteile im klaren zu sein‹, äußerte er sich bald darauf brieflich ›daß ich Wagner unter den jetzigen dramatischen Komponisten für den begabtesten halte; wenigstens ist sein Streben in diesem Werke dem Edeln zugewendet, und das besticht in jetziger Zeit, wo Alles darauf ausgeht, Aufsehen zu erregen und dem gemeinen Ohrenkitzel zu fröhnen.‹ Mit so ungewöhnlicher Liebe und so feurigem Eifer verwendete er sich in den Proben für das Werk, und seine Begeisterung strömte so sehr über alle Beteiligten aus, daß das Kasseler Publikum schon vor der Aufführung auf etwas Ungewöhnliches, Bedeutendes vorbereitet war. Unter diesen Umständen gestaltete sich die erste Vorstellung am 5. Juni – mit Biberhofer als ›Holländer‹ – zu einem bedeutsamen Erfolge.1 Dabei blieb Spohr nicht stehen; zum Erstaunen und zur freudigen [42] Überraschung Wagners tat er ihm noch außerdem in einem Briefe seine volle Zuneigung kund; er erklärte diese durch die innige Freude, einem jungen Künstler zu begegnen, dem man es an Allem ansehe, daß es ihm um die Kunst ernst sei! ›Spohr, der Greis, blieb der einzige deutsche Kapellmeister, der mit warmer Liebe mich aufnahm, meine Arbeiten nach Kräften pflegte, und unter allen Umständen mir treu und freundlich gesinnt blieb‹, schrieb Wagner zehn Jahre später. Und in seiner vom 10. Juni datierten Antwort schüttet er ihm sein volles, dankbares Herz mit aller Wärme der unmittelbaren Empfindung aus. ›Ich war untröstlich‹, sind seine Worte ›meine, Frau bereits in das Bad nach Teplitz geschickt zu haben; sie in der Freude über Ihren Brief nicht umarmen zu können, war mir fast schmerzlich.‹ Und mit rührender Bescheidenheit gegenüber dem greisen, ehrwürdigen Meister fährt er dann fort: ›Wenn mir hier in Dresden das Publikum Ehren- und Beifallsbezeigungen in vollstem Maße zuteil werden ließ, so mußte ich mir doch immer dessen bewußt sein, daß dieselben Bezeigungen schon an Leute und für Leistungen ausgeteilt worden sind, denen ich meine künstlerische Achtung unbedingt versagen mußte: – aber zwei Worte von Ihnen, ja jetzt der tätigste und erfolgreichste Beweis Ihrer Teilnahme! da muß ich mich wehren und auf meiner Hut sein, nicht eitel zu werden und den Kopf nicht zu verlieren!‹ Wie lebhaft seine Freude war, geht auch aus seinen in derselben Sache an Minna gerichteten Worten hervor, in denen er ihr schildert, wie er gleich nach Empfang des Spohrschen Briefes damit zu den Freunden Fischer und Heine gelaufen sei, und wie der gute Fischer eine kindische Freude daran gehabt, ihm um den Hals gefallen sei und ihn abgeküßt habe: ›So mußte es kommen! Gerade in Kassel mußte diese Oper zunächst aufgeführt werden! Ei, welches Glück! Das ist gut! Das ist gut!‹2

Eine andere auswärtige Bühne hatte der Kasseler mit einer Vorführung des ›fliegenden Holländers‹ sogar um zwei Tage den Vorrang abgewonnen: dies war das entlegene Rigasche Theater, dessen Leitung noch immer in den Händen Johann Hoffmanns lag. Die dortige Aufführung fand fast um die gleiche Zeit, am 3. Juni (in Rußland: 22. Mai) statt; Dorn dirigierte, den Holländer gab Karl Günther,3 die Senta Dem. Köhler. Ein begeisterter Bericht darüber wurde der ›Neuen Zeitschrift für Musik‹ eingesandt. ›Die neueste Erscheinung war für uns die Aufführung des fliegenden Holländers von Richard Wagner‹, heißt es darin. ›Riga ist, so viel ich weiß,[43] die erste Stadt, in der er auf die Bühne kam. Nun hatte Wagner während seines hiesigen Aufenthaltes in zu anspruchsloser Stille gelebt, um besondere Erwartungen zu erregen, und es ist vielleicht keine Stadt verwöhnter und durch Bellinische und Donizettische Musik verweichlichter, als eben Riga; gleichwohl – welch eine Aufnahme! Schon in dem ersten, am dunkelsten gehaltenen Akte brach bei der ersten und noch mehr bei der zweiten Aufführung ein stürmischer Beifall aus, wie schwer es auch wurde, in den streng zusammenhängenden Nummern einen Haltepunkt dafür zu finden. Alle Nummern des zweiten und dritten Aktes wurden mit laut geäußertem Entzücken aufgenommen ... Eine solche Aufnahme, unter den gegebenen Bedingungen hier auf keine Weise zu erwarten, läßt sich nur dadurch erklären, daß das größere Publikum durch halbbewußte Intuition inne wurde, was dem Musiker klar war, daß ihm nämlich hier ein Talent entgegenträte, das ganz etwas anderes zu geben gesonnen sei, als italienische Milch ... Und so sei uns denn der fliegende Holländer ein Hoffnungssignal, daß wir bald ganz von der wüsten Irrfahrt in den fremden Meeren ausländischer Musik erlöst sein und die selige deutsche Heimat finden werden!4

Was so schön ihm von Riga aus zugerufen worden war, sein Holländer sei ein Wegweiser zur Einkehr in heimische Gewässer, bewegte den jungen Meister zu gleicher Hoffnung, als er von Teplitz aus an Ferdinand Heine die freudigen Worte schrieb: ›Daß diese Oper nicht nur in Dresden, sondern auch in Kassel und Riga sich Freunde erworben, erscheint mir als ein wichtiger Fingerzeig, daß wir nur schreiben müssen, wie es der uns Deutschen angeborene Sinn eingibt, nirgendhin Zugeständnisse an eine fremde Mode machen und einfach die Stoffe wählen und behandeln, wie sie uns zusagen, um am sichersten zu sein, auch mit so gewagten Dingen Gnade vor den Augen unserer Landsleute zu finden. Auf diese Art könnten wir vielleicht auch wieder eine deutsche Originaloper gewinnen, und alle, die daran verzweifeln und sich ausländische Modelle kommen lassen, können sich an diesem Holländer ein Beispiel nehmen, der sicher so konzipiert ist, wie ihn nun und nimmer ein Italiener oder Franzose konzipiert haben würde.‹ Und noch eine andere naheliegende Hoffnung durfte mit Recht durch die Kasseler und Rigaer Aufführung in ihm bestärkt werden: die Hoffnung auf eine schnelle Verbreitung seiner Arbeiten über die deutschen Theater. Wohin [44] er blickte, ward er gewahr, wie auf diesen, durch italienische und französische Produkte aus dem Geleise einer eigenartigen Entwickelung gebrachten Bühnen nun doch am Ende auch diese Italiener und Franzosen ihren Kredit verloren hatten und ringsum eine französische Oper nach der anderen durchfiel. Sollte da nicht, auch ohne auf ein nationales Ehrgefühl der Direktionen zu rechnen, die allgemein empfundene Leere ganz an und für sich allein geeignet sein, seinem produktiven Triebe freie Bahn zu gewähren? In diesem Interesse hatte er in den letzten Dresdener Wochen und Monaten mitten unter aller gehäuften Belastung die große Arbeit auf sich genommen, die ungeheuerliche Partitur seines ›letzten Tribunen‹ durch allerlei Reduktionen und Änderungen so weit einzurichten, daß sie selbst an einem mittleren Theater an einem Abend gut gegeben werden könne, und hielt sich für vollberechtigt, auf dieses bei weitem glänzendere Werk noch ganz andere Hoffnungen als auf den ›fliegenden Holländer‹ begründen zu können. Eine unvorhergesehene, verhängnisvolle Bedeutung sollte die Verschleppung der seit Jahren ihm zugesagten Berliner Aufführung durch den traurigen Umstand gewinnen, daß in der Nacht vom 18. auf den 19. August das Berliner Kgl. Opernhaus im Inneren völlig ausbrannte!! Dagegen überraschte ihn die Administration des K. K. Kärntnertor-Theaters in Wien mit der Aufforderung, ihr für die bevorstehende Saison eigens eine neue Oper zu schreiben.5 Weshalb es nicht dazu kam, entzieht sich unserer Kenntnis. War der Antrag nicht ernstlich genug gemeint? Wagner resümiert die Verhandlungen ein halbes Jahr später kurzweg mit den Worten: ›Ich habe es abgeschlagen, ich hasse diese Stadt Donizettis.‹ Von Hamburg aus hatte sich Direktor Cornet im Hinblick auf ein geplantes Gastspiel Tichatscheks für den ›Rienzi‹ gemeldet:6 selbst Leipzig erschien, trotz der gegenwirkenden ›Clique‹, noch nicht als ganz verschlossen. Königsberg verhielt sich hoffnungerweckend,7 und während Prag und Danzig8 über den ›Holländer‹ für den bevorstehenden Winter verhandelten, [45] machten selbst noch kleinere Bühnen Miene durch die Tat zu beweisen, daß ›Rienzi‹ keineswegs die ›monströse Oper‹ sei, an welcher die Kräfte ihrer Sänger und Musiker notwendig scheitern müßten. So lesen wir in einer gleichzeitigen Journalnotiz: ›Rienzi‹ sei an dem kleinen Theater zu Halle angenommen und ›vom Komponisten für die dortigen Kräfte zusammengezogen‹.9 Die letztere seltsame Nachricht ist wohl nur durch den Umstand erklärlich, daß um jene Zeit Bruder Albert daselbst als Regisseur und Schauspieler tätig war, nachdem ihn die Einbuße seiner Gesangstimme in immer engere Wirkungskreise gedrängt hatte. Die Hineinzwängung in die beschränkten Verhältnisse des Halleschen Stadttheaters blieb dem Tribunen erspart, indem die offenbar rein persönliche Anknüpfung dafür, durch die Übersiedelung Alberts nach Bernburg, in Wegfall kam. Leider aber hielten auch die anderweitig erweckten Hoffnungen größtenteils nicht Stich, teils weil die Schwierigkeiten der Inszenierung übertrieben wurden, teils weil in der Tat für eine glückliche Durchführung der Hauptrolle ein ausnahmsweise kräftiger Tenor gehörte, wie er nicht überall zu finden war.

In Dresden selbst sicherte die Begeisterung Tichatscheks der Hauptrolle einen glänzenden Vertreter; doch fehlte es, seit dem Abgang der Schröder-Devrient, an einem geeigneten Repräsentanten des Adriano. Auf diese Schwierigkeit für die Wiederaufnahme des Werkes bezieht sich ein ebenfalls aus Teplitz (bald nach seiner Ankunft daselbst10) an seine bisherige Irene, Dem. Henriette Wüst, gerichtetes Briefchen voll liebenswürdiger Schmeichelei. Er ladet sie darin ein, im bevorstehenden Herbst für die wichtigere Partie des jungen Colonna einzutreten. ›Liebes Fräulein Jette!‹ ruft er ihr von hier aus in jenem vertraulich schalkhaften Tone zu, mit dem er sich jederzeit so unwiderstehlich die Herzen seiner Künstler gewann ›wenn Sie meinen Adriano nicht singen wollen, bringe ich Ihnen auch nichts mit; – wenn Sie ihn aber singen wollen, so sollen Sie nicht allein die Partie davon sehr bald ins Haus bekommen, sondern außerdem noch ein charmantes Hochzeitsgeschenk‹ usw. Unterzeichnet ist das Briefchen mit der gleichen freundschaftlichen Neckerei: ›Ihr Dich liebender Richard Wagner.‹11 Die Teplitzer [46] Wochen vergingen dem Erholungsbedürftigen nur allzu schnell, und es ist uns durch kein bestimmtes Datum ein Anhaltspunkt dafür an die Hand gegeben, ob während dieser kurzen Zeit die musikalische Ausführung des ›Tannhäuser‹ in Angriff genommen worden sei. Noch vor der Rückkehr an seinen Berufsort sah er bei einem Ausflug nach Prag seinen Jugendfreund Joh. Kittl12 wieder, der soeben – im Mai 1843 – unter zahlreichen Mitbewerbern, unter denen sich auch Spohr und Molique befanden, zum Direktor des Konservatoriums und Nachfolger Dionys Webers ernannt worden war. Anhaltend genug hatte der Bann eines engherzigen Klassizismus auf den Pragern gelastet, deren einflußreichstes Musikinstitut unter der Leitung eines Mannes stand, welcher Beethoven nur bis zur dritten Symphonie gelten ließ. Mit der Übernahme desselben durch den jungen, strebenden Kittl brach dies Eis, ein frischer, jugendlicher Hauch schien durch das Musikleben der Moldaustadt zu wehen. Doch waren die ersten Monate der neuen Tätigkeit immerhin anstrengend, und Kittl verlor einige Male den Mut. In dieser Niedergeschlagenheit traf ihn Wagner, als er den alten Freund auf der Durchreise mit seiner Frau besuchte. Sein Zuspruch gab Kittl das Selbstgefühl wieder, das ihn zur Fortsetzung des aufgenommenen Kampfes den Blick mutig vorwärts richten ließ.

Nach Dresden zurückgekehrt, trat er selbst guten Mutes sein Amt wieder an, in dessen Pflichten er während einer, fast ausschließlich der italienischen Oper gewidmeten Sommersaison durch Reißiger und Röckel vertreten worden war. Am 31. August dirigiert er bereits wieder die ›Schweizerfamilie‹. Es würde dem Zweck unserer Darstellung nicht entsprechen, ihn durch die eintönigen Alltagsbeschäftigungen des damaligen Dresdener Repertoires zu geleiten. Während er in seinem Innern schon ganz in dem werdenden ›Tannhäuser‹ lebte, traf er im Publikum einzig auf das Verlangen nach einer Wiederaufnahme des ›Rienzi‹, die in Abwesenheit des eben beurlaubten Tichatschek noch längere Zeit hingehalten wurde. Gern bewilligte er dem Militärmusikdirektor Hartung das Arrangement mehrerer Stücke der Oper für dessen Musikkorps; sie bildeten seitdem den Glanzpunkt der Dresdener Gartenkonzerte auf der Brühlschen Terrasse und verfehlten nie ihre elektrisierende Wirkung. ›Gestern wurde‹, so berichtet er selbst ›auf der Brühlschen Terrasse die Ouvertüre zum »Rienzi« gespielt: ich war mit unter dem Publikum, [47] und als die Ouvertüre, die recht gut exekutiert wurde, zu Ende war, ging ein wahres Hurrah los : bravo! bravo! – Jetzt kann man sie nun alle Tage, bald auf der Terrasse, bald im großen Garten, hören. – Das macht mir nun viel Spaß!‹13 ›Hartung sagte mir, die Ouvertüre hätte er zum Unglück einstudiert; denn sie machte seine Leute tot, weil sie immerwährend verlangt würde.‹14 Auch an sonstigen ›Popularisierungs‹-Versuchen fehlte es nicht, weniger, um damit dem Werke oder dem Meister zu dienen, sondern, wie bis auf den heutigen Tag, weil das Bestreben, die Großen zu popularisieren, eine Art von einträglichem Zwischenhandel abgibt. Ein Dresdener Orchestermusiker wählte sich ein Thema aus der Ballettmusik des ›Rienzi‹, um es für sich zu einem Virtuosenstück zu bearbeiten. Da es eines der unbedeutendsten dieser – einst in Riga ohne besondere Sorgfalt ausgeführten – Episode war, fragte ihn Wagner verwundert, weshalb er sich gerade dieses Thema ausgesucht, und erhielt die originelle Antwort: ›weil es das einzige im 6/8 Takt sei‹. Ende September kehrte Tichatschek von seiner Gastspielreise zurück, und auch das liebenswürdige ›Fräulein Jette‹ hatte nicht lange darauf ihre Familienangelegenheiten soweit geordnet, daß sie, als nunmehrige Frau Kriete, den Anforderungen an eine Darstellung des Adriano genügen zu können vermeinte. Wagner selbst gehörte mit Tichatschek zu den Brautführern des neuvermählten Paares, und das ›charmante Hochzeitsgeschenk‹ war nicht vergessen.15 Beim feierlichen Hochzeitsbankett aber hielt er der noch so jugendlichen alten Freundin, die einst in Leipzig seine allererste ›Szene und Arie‹ öffentlich gesungen,16 eine genial humoristische Rede von ›zwerchfellerschütternder Wirkung‹, der es an so viel Ernst nicht fehlte, als für die Gelegenheit passend war. Die Erinnerungen der damaligen Kollegen schildern den Meister überhaupt zu jener Zeit als, ausgelassen wie ein Kind, übermütig und zu den tollsten Eulenspiegeleien aufgelegt: er habe allerlei Mummenschanz getrieben, sich unter den Tisch verkrochen ›das Hundegebell nachgeahmt und andere derartige Allotria mehr‹.17

[48] Der Winter von 1843 zu 44 war in der Tat, trotz mancher noch nicht überwundener Sorgen, trotz mancher beginnenden Mißgunst und Anfeindung, der hoffnungsvollste, und deshalb glücklichste Abschnitt der so drangsalreichen Dresdener Epoche. Er hatte sich seit seiner Rückkehr aus Teplitz endlich auch ein anspruchsloses, aber angenehm wohnliches Heim in der Ostra-Allee Nr. 6 (zweites Stockwerk) für den Mietpreis von 220 Talern begründet und sich darin nach Behagen eingerichtet. Daß zu letzterem Zwecke ein abschläglich empfangenes ›Rienzi‹-Honorar aus Hamburg18 mit behilflich sein konnte, stellte sich ihm unwillkürlich als willkommene Bürgschaft künftiger regelmäßiger Einnahmen von den auswärtigen Aufführungen seiner Werke dar. Mancherlei Verpflichtungen aus seinen Notzeiten19 hatten seine Einkünfte im ersten Halbjahr wesentlich geschmälert; nun durfte er einer um so günstigeren Entwickelung seiner Lage entgegensehen. Zu keiner Zeit hat er sich so positiv befriedigt über seine Situation ausgesprochen. Für alle überstandenen Entbehrungen schien die Entschädigung nahe bevorstehend; die Aussicht auf eine einträgliche Verbreitung seiner Werke trug das Ihrige zu solcher Hoffnung bei. ›Eine glänzende, lebenslängliche Anstellung in der reizendsten Stadt und unter den angenehmsten Verhältnissen, von meinem König und dem ganzen Publikum auf jede Weise ausgezeichnet, kann ich ruhig der Verbreitung meiner Opern zusehen und mir Zeit für neue Arbeiten nehmen.‹20

Auch an den laufenden Direktions-Geschäften mit ihren zahlreichen Sitzungen und Beratungen beteiligte er sich um diese Zeit gern und ohne Zurückhaltung. Traf er hier noch so manches im hergebrachten Schlendrian verwahrlost, so betrachtete er es eben als die ihm zugewiesene Aufgabe, der Willkür und Bequemlichkeit mit den strengen Forderungen entgegenzutreten, zu deren pünktlicher Erfüllung er selbst das lebendige Beispiel gab. Es gelang ihm u.a., mit der notwendigen Schutzmaßregel durchzudringen, daß ›von jetzt ab sämtliche Sänger und Sängerinnen, denen kontraktlich Urlaubsreisen verwilligt waren, zu einer und derselben Zeit reisen und zurückkehren sollten‹. Es ward dadurch dem Übelstande vorgebeugt, daß – wie bisher – bald der erste Tenor, bald die Primadonna, bald der Bassist mitten in der Saison auf und davon ging, um wo anders zu gastieren, und infolgedessen ein einstudiertes und schon angesetztes Werk, nicht selten für immer, zurückgelegt ward. ›Ob sich all unsere Sänger und Sängerinnen, namentlich Tichatschek und die Schröder-Devrient, dieser notwendigen Maßregel fügen werden, ist freilich die Frage!‹ bemerkt dazu eine gleichzeitige [49] Stimme.21 ›Wir wollen aber hoffen, daß unsere Hoftheater-Intendanz zum Besten des ganzen Instituts und zu ihrer eigenen Ehre hier keine Widersetzlichkeit duldet, sondern den Anordnungen Wagners Gehorsam verschafft. Den Sängern und Sängerinnen wird dies mehr zum wahren Nutzen gereichen, als die bisherige Nachsicht gegen ihre Launen und Ungezogenheiten, oder gar das Trotzen derselben.‹ Ein im Besitze der Sängerin Kriete erhaltenes undatiertes Blättchen aus dem Frühjahr 1844 zeigt uns deutlich, wie willkommen seine Energie der Generaldirektion in Repertoirenöten war, wie gern man sich in solchen Fällen auf seine Schultern stützte. ›Werteste Freundin!‹ heißt es darin ›würden Sie uns (denn ich spreche als sehr in Verlegenheit gesetzte Theaterdirektion und Regie) wohl den großen Gefallen erweisen, morgen die Agathe zu singen, damit die einzige unter obwaltenden Umständen mögliche Oper, der Freischütz, gegeben werden könne? Da Norma nicht sein kann, die Regimentstochter22 durch Unwohlsein der Gentiluomo ebenfalls nicht möglich ist; Zar und Zimmermann, Wildschütz usw. wegen entstandener Lücken in der Besetzung unmöglich sind; da ferner andere Opern, wie die weiße Dame, von Tichatschek ohne Probe zurückgewiesen werden müssen: bleibt für den Augenblick nichts anderes übrig, als Ihre Gefälligkeit in Anspruch zu nehmen, damit wir nicht ganz sitzen bleiben. Oder haben Sie sonst einen Vorschlag zu ma chen? Er soll sehr willkommen sein! Ach Gott, wenn ein Regisseur krank ist, hat ein Kapellmeister doch schreckliche Sorgen!‹

Zu den näheren Freunden, die sich außer Tichatschek, Röckel, Fischer und Ferdinand Heine um den jungen Meister scharten, gehört als einer der ältesten und treuesten sein damaliger Hausarzt, Dr. med. Anton Pusinelli. Wir haben die erste Annäherung dieses bewährten und ausgezeichneten Freundes – anläßlich jenes Geburtstagsständchens der Dresdener Liedertafel (S. 33) – bereits beachtet, dazu auch die fernere Entwickelung dieser Beziehung in kurzer Andeutung vorweggenommen. Einige Worte mögen hier der Persönlichkeit Pusinellis gewidmet sein. Als ältester Sproß des italienischen Kaufmanns Pusinelli zu Dresden am 10. Januar 1815 geboren, hatte er den Vater zwar bereits in seinem dreizehnten Lebensjahr zu Grabe getragen, war aber dafür, trotz aller Jugend, seiner Mutter eine Stütze, seinen fünf jüngeren Geschwistern ein treuer Freund und wahrhaft väterlicher Berater geworden. Seine medizinischen Studien absolvierte er in Leipzig und promovierte daselbst im September 1838, um die Zeit von Wagners Verweilen im fernen Riga.

[50] Im Sommer 1839, während Wagner eben im Begriff stand, seine abenteuerliche Fahrt nach Paris anzutreten, kehrte er von einer Reise nach Oberitalien zurück und ließ sich an seinem sächsischen Geburtsort als praktischer Arzt nieder.23 Um die Zeit der Heimkehr des jungen Meisters aus Paris nach Dresden verheiratete er sich mit Bertha Chiappone, der Tochter seines einstigen Vormundes, mit der ihn damals bereits eine fast zweijährige Brautzeit verband. Dann entsprang in ihm als ein neues beglückendes Lebenselement die Liebe zu Richard Wagner: ihre Wohnungen lagen damals in der Marienstraße (S. 36) nahe beieinander, und die beiderseitigen Familien traten in einen regen, harmlos heiteren Verkehr. Pusinelli wurde des jungen Meisters sorgsamer Hausarzt und bewies sich in der Folge, bei den äußeren Schwierigkeiten, die sich über dem Leben des, in einer ihm urfremden Welt seinem Ideale nachstrebenden Künstlers anhäuften, als eifrig tätiger Berater. – Ein stets gern gesehener junger Freund, dessen sich Wagner mit besonderem Wohlwollen annahm, ward ihm, seit dessen erstem Besuch in seinem Hause, der siebzehnjährige Gustav Kietz, der ebenso bescheidene, als talentvolle jüngere Bruder seines Pariser Freundes, der soeben die Dresdener Akademie besuchte, um sich der Bildhauerkunst zu widmen. Jener Besuch war kurz vor der ersten ›Rienzi‹-Aufführung erfolgt; er wurde dabei mit der gewinnendsten Herzlichkeit aufgenommen und nur ausgescholten, weil er nicht schon viel früher gekommen war. Alle Anhänglichkeit Wagners an den Pariser Freund, alle Dankbarkeit, die sein großes Herz diesem Letzteren für zahlreiche Beweise seiner treuen Ergebenheit zu schulden vermeinte, wurde von ihm auf den jungen Mann übertragen, der bald sein besonderer Schützling und Pflegling ward, und dessen erhaltene Briefe an seinen Bruder Ernst von enthusiastischen Äußerungen über Wagners Werke, seine Person und seine häusliche Umgebung erfüllt sind.24 ›Ich habe Rienzi gesehen und gehört; es hat mich noch nie eine Musik so entzückt wie diese‹, schreibt er in voller Begeisterung. Dann wieder berichtet er über den aus dem ›fliegenden Holländer‹ empfangenen Eindruck, dessen Musik er ›dem Rienzi fast vorziehe‹, über die Lebhaftigkeit, mit welcher Wagner dirigiert habe, und den stürmischen Hervorruf des Meisters. ›Ich gehe jetzt oft zu Wagners‹, heißt es ein andres Mal ›und bin gern bei ihnen; es sind prächtige Leute. Mme. Wagner erzählte mir auch, daß sie Dir Reisegeld geschickt hätten, damit Du endlich zurückkommen solltest. Am 8. Januar‹ (also nach der 3. Aufführung des fl. Holländers) ›hätte Wagner von Dir geträumt und ganz laut gesprochen: »schäme dich, Kietz, bleibe Dir [51] endlich selber treu, sonst wird nichts aus Dir« – dann habe sie ihn geweckt‹ Diese frühesten Besuche fanden noch in Wagners erster Dresdener Wohnung in der Waisenhausgasse statt;25 nach der Übersiedelung in die Ostra-Allee wurde der junge Kietz an bestimmten Wochentagen sein regelmäßiger Haus- und Tischgast. ›Wagner hat sich meiner in geistiger Beziehung auf das Teilnehmendste angenommen‹, berichtete er später den Seinen ›er ging auf meine Fragen ein, regte mich nach allen Seiten hin an, lieh mir Werke aus seiner Bibliothek; kurz, ich bin ihm zeitlebens dankbar gewesen für das, was er mir in meiner Jugend war. Die in seinem Hause verlebten Stunden sind die schönsten meiner Jugendzeit; er wurde immer herzlicher im Umgang und war immer voll heiteren, sprudelnden Humors.‹26

›Ruhig der Verbreitung meiner Opern zusehen und mir Zeit für neue Arbeiten nehmen‹ – diese brieflichen Worte bezeichnen dasjenige, woran dem Schaffensfreudigen einzig gelegen war. Mehr verlangte er nicht von der Welt, und zu keiner Zeit schien ihm dieser erwünschte Zustand nach innen wie nach außen mehr gesichert. Nur zu deutlich drängte sich ihm das Vorhandensein zahlreicher ›heimlicher Neider und offener Feinde‹ auf;27 buchstäblich wahrheitsgemäß konnte er schon damals von sich sagen: ›ich nehme schon gar kein Journal mehr in die Hände, ohne sicher zu sein, daß ich darin heruntergerissen oder bekrittelt werde‹. Dennoch erschien ihm die Position seiner Werke dadurch noch nicht direkt gefährdet: ›das wird wohl noch eine Zeitlang so fortgehen, bis meine Opern überall herum sind: dann werden sie endlich doch das Maul halten müssen‹. Anfang November sandte er die Partitur des ›fliegenden Holländers‹ nach Prag an den dortigen Theaterdirektor Stöger, der ihm Hoffnung auf ihre baldige Aufführung erweckt hatte. ›Du – wache mir ja über die Aufführung‹, schreibt er gleichzeitig an Kittl. ›Ist der Bassist gut, so ist mir eine Hauptbedingung erfüllt; auch die Grosser28 ist mir ganz recht; nur gehört von seiten des Bassisten zumal viel guter Wille dazu, denn seine Partie ist äußerst schwierig, – besonders auch in rein musikalischer Hinsicht. Wegen der Darstellung der Szene habe [52] ich Stöger auf den Maschinisten des Kasseler Hoftheaters hingewiesen: der soll ihm die besten und praktischesten Einrichtungen mitteilen. Den Dirigenten, Herrn Skraup29, mußt Du aber noch übernehmen, auch dieser muß besonders guten Willen haben und späterhin viel Geduld, zumal mit dem Orchester; die Violinen haben teufelmäßig schwer zu spielen. Grüße doch Skraup von mir und empfiehl mich ihm bestens. – Das Gescheiteste, was Du tun könntest, wäre – recht bald selbst eine Oper zu komponieren, damit ich Gelegenheit erhalte, Dir Gleiches mit Gleichem für Dresden zu vergelten. Wie steht es mit einem Texte?‹ Die Aufführung war für den Monat Dezember in Aussicht genommen, verzögerte sich aber immer mehr – endlich erfolgte die Rücksendung der Partitur: die wirkliche erste Prager Vorstellung fand erst dreizehn Jahre später (Sept. 1856) statt! Dann freilich zu Beginn einer ›Wagner-Woche‹, – aber dennoch zu spät, um einer inzwischen fest eingewurzelten Gegnerschaft den bereits gewonnenen Vorsprung abzuschneiden!

Am 19. November gelangte ›Rienzi‹ neu einstudiert vor das Dresdener Publikum. Frau Kriete gab den Adriano mit gewohnter Tüchtigkeit, die Partie der Irene war durch eine jüngere Kraft (Frl. Wächter) vertreten. In dieser neuen Aufführung erlebte das Werk im Laufe von zwölf Monaten wiederum elf Aufführungen, von denen zwei dem ersten Teile, d.h. den unverkürzten beiden ersten Akten unter dem Titel ›Rienzis Größe‹ gewidmet waren.30 Auch von der Nachbarstadt Leipzig fand hierzu wiederholter lebhafter Zuspruch statt. Schon seit längerer Zeit hatte sich zwar die Frage erhoben, weshalb man ›Wagners Opern nicht auch in Leipzig selbst inszeniere, deren jede doch mehr Gehalt habe, als ein Dutzend französischer oder italienischer Novitäten‹. So gerechtfertigt diese Frage war, so ungehört, war sie unter Ringelhardts Leitung verhallt; jetzt, wo man der Niederlegung seines Amtes in die Hände eines neuen Direktors (Karl Christian Schmidt) entgegensah, verlautete mit zunehmender Bestimmtheit: ›Rienzi‹ von Richard Wagner werde eine der ersten Opern sein, die unter dem neuen Direktorat zur Aufführung gelangen würden. Aber die Erwartung erwies sich als trügerisch. Das in der eigenen Geburts- und Vaterstadt des Komponisten doppelt berechtigte Verlangen nach einer Vorführung des eindrucksvollsten Werkes der jüngsten Vergangenheit, das in der Nachbarstadt fortwährend die gleiche begeisterte Aufnahme erhielt, wie bei seinem ersten Erscheinen, fand gerade hier an maßgebender Stelle so wenig Entgegenkommen, als es einst die ›Feen‹, das ›Liebesverbot‹ und der noch von Paris aus nach Leipzig entsandte [53] ›Holländer‹ gefunden. Gewiß war dies nicht allein der Direktion schuld zu geben. Im Publikum selbst, dessen Neigungen eine geschäftsmäßig auf ihren Vorteil bedachte Theaterleitung so gern in Berücksichtigung zieht, bei den eigentlichen musikalischen ›Honoratioren‹ der Stadt, machte sich, unter dem unbestritten dominierenden Einfluß des Gewandhausdirigenten und seiner Anhänger, eine gewichtige Gegenströmung geltend. Der durch seine Universität und seinen Buchhandel in allem deutschen Wesen sonst so regsam sich auszeichnende Ort hatte in Beziehung auf den jungen Meister und seine Werke ›selbst die natürlichen Sympathien jedes, deutschen Städten sonst so willig anhaftenden Lokalpatriotismus verlernt‹. Im April 1843 hatte die feierliche Eröffnung des durch Mendelssohn begründeten Leipziger Konservatoriums stattgehabt, und der Anhang des berühmten Musikers einen neuen Punkt des Zusammenschlusses um die berückende Persönlichkeit des Meisters gefunden. Seine kurz zuvor erfolgte Ernennung zum Kgl. preußischen Generalmusikdirektor wob ihm nur eine neue Glorie um das Haupt, ohne ihn auf die Dauer von Leipzig und dem Kreise seiner dortigen Verehrer zu trennen. Selbst ein R. Schumann, der doch anfänglich in seiner Zeitschrift eine vom Mendelssohnschen Geiste sehr verschiedene Richtung verfolgt und sie in eigenen Tonschöpfungen zur Geltung gebracht hatte, ward widerstandslos mehr und mehr in die gleiche Richtung gezogen, so wenig seine warme Begeisterung für das Schaffen des Allbewunderten von diesem durch irgend welches tiefere sympathische Verständnis seiner eigenen Kunstrichtung erwidert wurde. Es ist wiederholt auf den charakteristischen Umstand hingewiesen, daß man in den hinterlassenen schriftlichen Äußerungen Mendelssohns vergeblich nach irgend welchen anerkennenden Urteilen über Schumanns Werke sucht, wie sie sich umgekehrt in des letzteren Briefen und Schriften über Jenen so zahlreich antreffen lassen.31 Dies ist kein Zufall, sondern entspricht dem tatsächlichen Verhältnis: Mendelssohn liebte es ausschließlich Huldigungen entgegenzunehmen. Von früh auf waren ihm solche verschwenderisch dargeboten worden; er war daran gewohnt und empfing sie mit würdevoller Überlegenheit wie einen ihm gebührenden Zoll. Was von ihm verschieden war, mußte sich ihm bedingungslos unterwerfen, oder es ward instinktmäßig in gebührender Entfernung gehalten. Schumann ward am Konservatorium als Lehrer mit eingereiht; aber er hielt es nur ein Jahr in der neuen Stellung aus. Er gab sie nicht auf, weil er nach Dresden übersiedeln wollte, sondern er siedelte über, weil ihm Leipzig unerträglich geworden war. In Dresden bot sich ihm, als er [54] 1844 seinen Wohnsitz dahin verlegte, nach Aufgabe seiner Zeitschrift keinerlei Garantie für eine gesicherte Existenz. Bereits am 23. Dezember 1844 dirigierte er in einer musikalischen Akademie der Kgl. Kapelle zum Besten der Armen im Dresdener Hoftheater persönlich seine größere Tonschöpfung ›das Paradies und die Peri‹. Den ersten Teil des Konzerts sollte ursprünglich Wagners ›Faustouvertüre‹ bilden. In einem Briefe vom 17. Dezember ladet Wagner seinen alten Freund Kittl dazu ein: er benachrichtigt ihn, daß, an dem genannten Tage (Sonnabend d. 23. d. M.) auf dem hiesigen Theater ein Armenkonzert, ausgeführt von der ganzen Kapelle, stattfinde, in welchem außer Schumanns ›Paradies und die Peri‹ – für Dich gewiß eine höchst interessante Neuigkeit – auch eine Ouvertüre von mir, zum ersten Teil des Goetheschen Faust ›vorgetragen wird‹. Statt der Faustouvertüre gelangte, aus unbekannten Gründen, die Oberon-Ouvertüre unter Reißigers Leitung zur Aufführung; leider fand auch Schumanns Tondichtung nicht das ihr gebührende Interesse. Schladebach bezeichnete sie als Dilettantenarbeit und rügte den Mangel an praktischer Kenntnis der Instrumentierung; der Direktion des Komponisten habe es an Gewandtheit, Feuer und Seele gefehlt. – Wollte es so dem armen Schumann von jetzt ab weder hüben noch drüben mehr recht glücken, so zögerte sich aber auch die so zuversichtlich angekündigte32 Leipziger Aufführung des ›Rienzi‹ immer weiter hinaus. Es verblieb bei der bloßen Ankündigung, zur Verwirklichung gelangte diese erst ein Vierteljahrhundert später, am 15. September 1869, nachdem inzwischen der Volkstribun zuvor selbst in Paris seinen ruhmvollen Einzug gehalten33 und dort in kurzer Frist 25 Vorstellungen erlebt hatte. So nachhaltig waren in der Vaterstadt des Künstlers die Schutzmaßregeln gegen sein Aufkommen getroffen!

›Wie mir übrigens die Leipziger gesinnt sind‹, äußert sich Wagner in demselben vertraulichen Briefe, dem wir zuvor (S. 26) einen so neidlos wohlwollenden Passus über seinen seltsamen künstlerischen Antipoden entnahmen ›kannst Du aus der Leipziger musikalischen Zeitung erkennen: dieses Organ Mendelssohns hat fast noch kein Wort über meine Opern mitgeteilt!‹ Gewiß ein Zeichen der Zeit.34 Hatte doch eben dieses angesehene [55] Leipziger Blatt sich einst ›unter Finks und Rochlitz‹ Leitung, der instrumentalen Erstlingswerke seiner Jünglingsjahre mit so freundlicher Aufmunterung angenommen. Redakteur der ›Allg. Musikalischen Zeitung‹ war damals (1843) Moritz Hauptmann, der Nachfolger Weinligs als Thomaskantor und bekanntlich ein eingefleischter Mendelssohnianer Geistvoll, witzig, sarkastisch, von vorzüglicher wissenschaftlicher Bildung, aber ausschließlich auf ›schönes Ebenmaß und Harmonie‹ gerichtet, jedem lebensvollen Individualismus in der Musik im tiefsten Grunde abhold, nahm er selbst zu Webers Schaffen von je eine zurückhaltende Stellung ein35 und blieb bis zu seinem Ende (1868) ein unversöhnlicher Gegner von Wagners Schöpfungen und Bestrebungen. Bezeichnend ist es ferner, daß gerade die Epoche von Wagners Hervortreten in dem journalistischen Fortifikationswesen des Leipziger Musiktreibens noch weitere Verschanzungen, Mauern und Türme nötig erscheinen ließ: als fühlte man sich in den beiden vorhandenen Blättern noch nicht sicher genug, traten damals (Anfang 1843), als eine neue Festung, bei all ihrem anscheinend leichten Aufbau mit wohlorganisierten Schießscharten, Laufgräben, Ausfallbrücken reichlich versehen, die alsbald zu einer enormen Verbreitung gebrachten, leicht geschürzten, Signale für die ›musikalische Welt‹ in das Leben. Welcher Geist mochte wohl aus ihren Spalten der ›musikalischen Welt‹ Losungen und ›Signale‹ erteilen wollen? Ihre tatsächliche Wirksamkeit – durch Jahrzehnte hindurch mit wenigen Schwankungen sich gleichbleibend! – ist hinlänglich bekannt; während der vierziger Jahre waren sie das ausschließliche Organ des Mendelssohnschen Kreises. Ihre erste Bemerkung über den ›fliegenden Holländer‹ lautete: ›Auch die zweite Oper Richard Wagners, der fliegende Holländer, hat bei ihrer Aufführung Furore gemacht, alle Blätter sind darüber einig. Uns schreibt jemand, es sei das Langweiligste, was ihm je vorgekommen.‹ Dem großen Wollen Wagners ward von hier aus durch seine gesamte Künstlerlaufbahn der zäheste und erbittertste Widerstand zuteil.

Hatte die Aufführung einer Oper in Deutschland Aufsehen gemacht, so war es die des ›Rienzi‹; der Autor selbst erhielt immer mehr Belege dafür, daß die neue Erscheinung, literarisch und persönlich, bis in die äußersten Winkel des Vaterlandes besprochen worden war. Zweifellos entströmten dabei begeisterte Anerkennung auf der einen, absprechender Widerstand auf der anderen Seite der gleichen bestimmten Empfindung von der überragenden Bedeutung des Werkes und seines noch so jugendlichen Schöpfers. Für eine [56] richtige Beurteilung dieses Verhältnisses ist die treffende Bemerkung O. Eichbergs in Betracht zu ziehen: ›Denen, die zur Zeit nur den Rienzi kannten, wäre dieser (wenn der etwas sonderbare Ausdruck erlaubt sei) sehr viel Wagnerischer – in unserem späteren Sinne – erschienen, als irgend Jemandem der heutigen Generationen.‹ Und zwar galt dies in gleicher Weise von den Lobrednern, wie von den Tadlern des Werkes. ›Statt es einfach in die Familie der, großen, heroischen Opern. einzureihen und von diesem Standpunkte aus zu beurteilen, – empfanden vielmehr Freund und Feind das Wehen eines neuen starken Geistes, dem man mit altgewohntem Formelwesen nicht beikommen konnte, und der zur Nachfolge oder zum Kampfe zwang‹36 ›Richard Wagner hat mit feinem »Rienzi« eine neue Ära der Musik eröffnet‹, so lautet eines dieser zeitgenössischen Urteile ›es ist ein Fluten und Wogen gewaltiger, rauschender Klänge, die selten sich runden zu einer lieblichen, leicht verständlichen Melodie.‹37 ›Wagners Werke‹, läßt sich eine andere dieser Stimmen vernehmen ›sind die Schöpfungen eines reichen, fast überreichen Genius, und gänzlich abweichend von der Bahn aller modernen und antiken (?) Komponisten. Sie sind ein Chaos von Tönen, ein Meer der Harmonie, vor denen allerdings der lauschende Hörer anfangs mehr überwältigt staunt, als er sie in sich aufnehmen kann.‹38 Mit am wohlwollendsten hatte sich die seit dem Sommer 1843 erscheinende Leipziger ›Illustrierte Zeitung‹ (J. J. Weber) gegen den jungen Meister erwiesen: ›Pflicht ist es einem Jeden, dem vaterländische Tonkunst wahrhaft am Herzen liegt, das Vaterland mit einer so hoffnungsvollen Erscheinung, wie die Wagners, bekannt zu machen.‹ So hatte sie (durch Ferd. Heines befreundete Feder) sich vernehmen lassen und dieser Pflicht durch ausführliche Berichte über ›Rienzi‹ und den ›fliegenden Holländer‹ nachzukommen gesucht. Eingehende Würdigungsversuche beider Opern, von minder wohlwollender Natur, zumteil bereits von auffallender Gehässigkeit, brachten die ›Neue Zeitschrift für Musik‹ von Albert Schiffner (›Rienzi‹), sowie die mancherlei ›Kometen‹ und ›Planeten‹ des Leipziger Publizisten-Himmels, die ›Rosen ‹ und ›Dornen‹ der üppig um das Gewandhaus wuchernden Journal-Flora an der Pleiße;39 in der ›Wiener Allg. Musikzeitung‹ [57] (Red. Aug. Schmidt) hatte sich selbst eine längere Fehde entsponnen, die von einer vorurteilsvollen Besprechung der Oper ausging (›einen Schritt weiter, und es gibt gar keine Musik mehr‹), gegen die ein ›Musikmeister‹ Abendroth zugunsten des Werkes eine Lanze brach. Wenn aber ein anderer Korrespondent desselben Blattes den Worttondichter des ›Rienzi‹ und des ›Holländers‹ über haupt für ein ›Rätsel‹ erklärt: ›als dramatischer Dichter hätte er vielleicht Glück gemacht, als Komponist muß ich es bezweifeln‹, so hatte Wagner damit schon nach Ablauf seines ersten Jahres in Deutschland erlebt, was er als Zusammenfassung aller kritischen Betrachtungen über sein künstlerisches Wirken und Schaffen während seiner Dresdener Periode mit den Worten bezeichnete: ›Musiker von Fach sprachen mir dichterisches Talent zu; Dichter von Fach ließen meine musikalischen Fähigkeiten gelten; das Publikum gelang es mir oft lebhaft zu erregen; Kritiker von Fach haben mich stets heruntergerissen.‹ So war schon jetzt die Stellung des produzierenden Künstlers Wagner beschaffen, der Dirigent fiel der lokalen Kritik anheim, die Person vom ersten Augenblick an dem Stadtklatsch.40 Hin und wieder drang auch aus diesen Regionen eine abgeschmackte Probe an die weitere Öffentlichkeit. Daß Laube als Redakteur der ›eleganten Welt‹ einer öffentlichen Inkrimination, wie dem ›Brief über die Don Juan-Aufführung‹, die Spalten seines Blattes öffnete, mochte ihm immerhin als ein Zeichen seines Strebens nach ›Unparteilichkeit‹ angerechnet werden; auf die Redaktion des Beiblattes seiner Zeitung hatte er keinen Einfluß; hier machten sich denn auch die seichtesten Journalisten-Späße breit, durch keinerlei Unparteilichkeits-Rücksichten entschuldbar und zu nichts geeignet, als die Person des von ihnen betroffenen Künstlers (z.B. auch Liszts) in das Bereich des Sonderbaren zu [58] ziehen und ihm die Teilnahme zu entfremden. So, wenn es hier von ihm hieß: ›Richard Wagner komponiert dann mit der größten Begeisterung, wenn er sich geärgert hat. Ein Streit, der sein Blut in Wallung gebracht, ist für ihn die Quelle seiner besten Ideen, und seine Freunde können daher nicht freundschaftlicher an ihm handeln, als wenn sie ihm Gelegenheit geben, ihm recht unangenehm zu sein. Nach einer recht ärgerlichen Theaterintrigue mag er manchen schönen Chor erfunden haben, und wenn er sein Orchester einmal mit besonderem Feuer dirigiert, so kann das Dresdener Publikum darauf rechnen, daß ihm während der vorangegangenen Probe die Galle ins Blut getreten ist.‹41 Auf diese Art wurde das deutsche Publikum also schon 1843 über den Meister unterhalten. Ja selbst die ›Neue Zeitschrift für Musik‹, noch immer das Brevier aller jungen deutschen Musiker, betrachtete ihn schon jetzt so gern als bequemen Lückenbüßer, daß sie, wenn es eben nichts andres über ihn zu berichten gab, die sinnlose Ankündigung brachte: ›In Dresden gelangt nächstens zur Aufführung die »Hekuba« des Sophokles (!) mit Musik vom Kapellmeister Wagner.‹ Bekanntlich gibt es keine Hekuba von Sophokles; Schumann oder sein etwaiger Hilfsredakteur hätte dies wissen können. Veranlassung zu dieser seltsamen Verwechselung gaben die gleichzeitigen Experimente, mittelst deren man in Berlin soeben eifrigst beschäftigt war, auf neu entdeckten Nebenwegen in den Schacht der Antike hinabzusteigen und die abgeschiedenen Geister des Sophokles und Euripides durch Aufführungen ihrer Werke im Potsdamer Palais mit Mendelssohnscher und Taubertscher Musik zu beunruhigen. Friedrich Wilhelm IV., für den als Kronprinzen Glucks ›Iphigenie‹ vor den leeren Bänken des Opernhauses aufgeführt worden war, war durch Ludwig Tieck, den er bei seinem Regierungsantritt nach Berlin berufen, auf den Einfall gebracht, sich eine wirkliche griechische Tragödie nach allen Regeln der Altertumswissenschaft vorführen zu lassen. ›Antigone‹ war dazu ausersehen, die Komposition der Chöre hatte Mendelssohn den Generalmusikdirektor-Titel und den Orden pour le mérite eingetragen. ›Dieses Sophokleische Drama erwies sich unserm Leben gegenüber als eine grobe künstlerische Notlüge: als eine Lüge, welche die Not hervorbrachte, um die [59] Unwahrheit unseres ganzen Kunstwesens zu bemänteln; als eine Lüge, welche die wahre Not unsrer Zeit unter allerhand künstlerischen Vorwänden hinwegzuleugnen suchte!‹42

Gegen Ende des Jahres machte Berlin endlich Ernst mit der versprochenen Aufführung des ›fliegen den Holländers‹. Dies geschah unter dem Regime desselben, ebenfalls neu berufenen Herrn von Küstner, der seinerzeit in München den ihm von Paris aus eingesandten ›Holländer‹ als ›für Deutschland ungeeignet‹ abgelehnt hatte. Leider zur ungünstigsten Epoche, die sich für die Aufführung des Werkes erdenken ließ. Das vor wenigen Monaten völlig ausgebrannte Opernhaus war im Umbau begriffen, und das einstweilen für Opernaufführungen mit verwendete Kgl. Schauspielhaus eignete sich wohl vortrefflich für die Ausführung der eben in größter Beliebtheit stehenden Mendelssohnschen Musik zum ›Sommernachtstraum‹, nicht aber für die reich instrumentierte Partitur des ›Holländers‹. In seinen engen Räumlichkeiten wurde die vorgeschriebene Zahl der Streichinstrumente fast um die Hälfte verkürzt und blieb fortwährend dem Übelstande ausgesetzt, von den Bläsern übertönt zu werden. Ein Mißverhältnis, worunter besonders die Ouvertüre zu leiden hatte: die Kritik ermangelte nicht, es zu Ungunsten des Komponisten gehörig auszubeuten und ihm den zu reichlichen Gebrauch der Blechinstrumente zum Vorwurf zu machen.

Zu Beginn des Januar 1844 ging er persönlich nach Berlin, um die letzten Proben zu überwachen und, wenn nötig, den Geist der Aufführung selbst zu beeinflussen. Aus den Briefen an seine Frau können wir diese Berliner Tage vom ersten Beginn bis zum Schluß recht genau verfolgen. ›Mir geht's gut‹, schreibt er gleich am ersten Abend (4. Januar), ›und ich habe auch heute bereits mehrere Gänge besorgt, obgleich ich erst gegen 3 Uhr nachmittags im Gasthof (Hôtel de Russie) ankam. Du mußt nun jedenfalls herkommen; denn meine Oper ist hier erst Sonntag, anstatt Sonnabend, – das Ganze beruht auf einem Mißverständnis des Schreibers, der nur aus Versehen den 6. statt den 7. geschrieben hat. Nun, das ist mir sogar recht lieb; denn auf diese Art wohne ich noch drei großen Theaterproben bei, 4 Orchesterproben sind schon gewesen, und Küstner versicherte mich, die Oper ginge schon sehr gut. Morgen will ich demnach zuhören und nicht dirigieren; genügt mir der Dirigent aber nicht, so halte ich Freitag und Sonnabend die Proben selbst. Von seiten der Kapelle sind mir durch den Konzertmeister Ganz schon große Schönheiten gesagt worden. – Meyerbeer ist auch schon gestern wieder angekommen; ich konnte ihn noch nicht treffen; morgen früh um 8 Uhr suche ich ihn wieder auf; er kann mir doch – zumal beim König – von großem Nutzen sein.‹43 Man sieht, er hatte damals die Hoffnung auf [60] ein freundschaftlich förderndes Verhalten des großen Generalmusikdirektors noch nicht aufgegeben. Kein Zweifel, dieser wäre in seiner überaus einflußreichen, ja fast allmächtigen Stellung, in der er durchsetzen konnte, was er wollte, zu einer derartig fördernden Einwirkung sehr wohl imstande gewesen, wenn der ebenso höfliche als vorsichtige Mann dazu nur den entferntesten guten Willen gehabt hätte. Leider war ganz das Gegenteil der Fall. Es ist ungewiß, ob der junge Meister seinen geheimnisvollen Protektor in der Frühe des folgenden Morgens getroffen hat oder nicht; jedenfalls haben persönliche Beziehungen während dieser Berliner Tage stattgefunden, und Wagner ist sogar einmal – am Tage nach der Aufführung – Meyerbeers Mittagsgast gewesen.

Als er am Freitag den 5. Januar der ersten Theaterprobe beiwohnte, fand er die szenische Ausstattung des Werkes über seine Erwartung gelungen; die Vertreter der Hauptrollen taten, was in ihren Kräften stand. Dem. Marx war eine tüchtige Senta, wenn auch freilich nicht von der Bedeutung der Schröder-Devrient; Bötticher, einer der ersten Baritonisten der damaligen Periode, sang und spielte den Holländer sehr eindrucksvoll; Ziesche, ein in allen Sätteln gerechter Bassist, gab den Daland derb und energisch, mit musterhaft deutlicher Aussprache. Mantius stand als Erik etwas zurück.44 Hingegen erkannte er sogleich den, von ihm selbst deutlich vorausgesehenen, in der Lokalität des Schauspielhauses (die durch ihren allzu kleinen Raum sogar zur numerischen Schwächung des Streichquartettes zwang) begründeten Übelstand einer zu massigen Wirkung der Blas-, besonders der Blechinstrumente; zu gleicher Zeit auch die Unfähigkeit des angestellten Orchesterdirigenten (Carl Wilh. Henning), eines tüchtigen Routiniers, der aber weder von dem seinem Taktstabe anvertrauten Werk, noch auch von seiner Aufgabe demselben gegenüber die leiseste Ahnung hatte und daher mit Zuvorkommenheit dem anwesenden Komponisten die Leitung seiner eigenen Oper abtrat. Wagner erwähnt ihn daher in seinem nächsten Briefe auch nicht mit einem einzigen Wort, wogegen er der einzelnen Mitwirkenden mit uneingeschränkter Anerkennung gedenkt. ›Die zwei Generalproben habe ich selbst gehalten und dirigiere auch heute Abend‹, schreibt er am Tage der Aufführung (Sonntag, den 7. Januar). ›Die Vorstellung wird sehr gut gehen, Bötticher, Ziesche, Mantius sind ausgezeichnet. Trotz des kleinen Hauses würdest Du auch die Maschinerien gegen Dresden nicht wiedererkennen.‹ Die szenische Darstellung, besonders des Meeres und der beiden Schiffe, war bekanntlich in der ohnehin schwachen Dresdener Aufführung der allerschwächste Teil gewesen.45 Daß seine [61] Frau es über sich gebracht hatte, trotz seiner warmen Einladung nicht nach Berlin zu kommen, verdachte er ihr sehr; zweimal war er, am Sonnabend und am Sonntag, zu ihrem Empfang vergeblich auf dem Bahnhof gewesen. ›Du hast keinen Begriff, wie sehr Du mich durch Dein Nichtkommen betrübt hast!‹ Dennoch erneuerte er die Einladung noch für die bevorstehende Wiederholung seines Werkes. ›Dienstag ist nämlich die zweite Vorstellung, welche ich dringend aufgefordert bin, noch zu dirigieren. Morgen früh schreibe ich an Lüttichau; vor Donnerstag Mittag kann ich nicht zurückkommen.‹ ›Ich erwarte mir einen guten Erfolg! – Gott gebe ihn!‹46

Unter diesen Umständen ging die erste Berliner Aufführung des ›fliegenden Holländers‹ unter persönlicher Leitung seines Schöpfers am Sonntag, den 7. Januar vonstatten. Der Erfolg war nicht anders als durchaus günstig zu betrachten. ›Die mißtrauischeste, zum Schlechtfinden aufgelegte Berliner Kälte desselben, die den ganzen ersten Akt über angehalten hatte, ging im Verlaufe des zweiten in vollste Wärme und Ergriffenheit über.‹ Der Komponist mußte nach dem zweiten Akte mit den Sängern vor dem Publikum erscheinen. Ebenso am Schlusse des ganzen Werkes. Den frischen Eindruck des ganzen Vorganges lernen wir am besten aus seinen, anderen Morgens um 7 Uhr an seine Frau gerichteten hastigen Aufzeichnungen kennen. Sie sind durch keine Reflexion, keine Einwirkung späterer Erfahrungen beeinflußt, alles unmittelbarste Gegenwart. ›Gott, was erlebt man nicht alles an so einem Abende wie gestern: was ist nicht alles in mir wieder vorgegangen! Es war einer der entscheidungsvollsten Abende für mich! – Denke Dir, – ich trete mit dieser phantastischen, gänzlich von allem jetzt Gehörten und Gewohnten verschiedenen Oper, die von anfang herein so wenig Verlockendes und Belohnendes bietet, vor ein mir wildfremdes Publikum! Ich empfand dies deutlich: da war mir kein einziger aus diesem Publikum persönlich befreundet, niemand im voraus für mich eingenommen; mit gewöhnlicher kalter Neugier sitzt alles da und denkt: na, was wird denn das für ein Ding sein, der fliegende Holländer? – Nach der Ouvertüre rührt sich keine Hand, – mit gespannter Neugier und Verwunderung hört man dem melancholischen ersten Akte zu, ohne zu wissen, wofür man sich entscheiden soll: mit Mühe wird der Sänger hie und da ein wenig belohnt; – kurz, ich werde meiner Lage inne, – verzweifle aber nicht, da ich sehe, daß die Aufführung außerordentlich gut geht. Der zweite Akt beginnt, und allmählich überzeuge ich mich, daß ich meinen Zweck erreicht habe: ich habe das Publikum umsponnen und durch den ersten Akt in die seltsame Stimmung versetzt, die es fähig macht, mir nun überallhin zu folgen, wohin ich will. Die Teilnahme steigt, die Gespanntheit geht in Aufregung, in Exaltation – in Enthusiasmus über, [62] und noch ehe der Vorhang zum zweiten Male fällt, feiere ich einen Triumph, wie er gewiß nur wenigen zuteil geworden ist. Ich habe noch nie, selbst in Dresden beim »Rienzi« nicht, einen solchen dauernden Ausbruch des Enthusiasmus gesehen und gehört, wie er sich hier kundgab, nachdem der Vorhang fiel; – man sah und hörte es, daß von all den versammelten Menschen, Vornehm und Niedrig, Fürst und Bettler, nicht ein einziger war, der nicht laut mit schrie und tobte. Als ich endlich mit den Sängern erschien, denke ich, das Haus bricht zusammen! – Mit dem letzten Akte hatte ich nun leichtes Spiel. die Szenerie ging und wirkte vortrefflich; alles ging und spielte sich sehr rasch und kam überraschend schnell zum Schluß, welcher sehr gut dargestellt wurde. Noch lange ehe der Vorhang fiel, brach der Jubel von neuem los und tobte eine Ewigkeit, ehe ich mich aus dem Orchester herauswinden und mit den Sängern, die wiederum meiner harrten, hervorgehen konnte. – Kurz, mein liebes Weib, ich habe einen merkwürdigen Triumph erfochten: nur Derjenige weiß das Außerordentliche und sonst noch nicht Dagewesene meines hiesigen Sieges zu würdigen, der genau alle Umstände, den jetzigen Zustand unserer Oper, das gänzlich Abweichende und Befremdende meiner Richtung in diesem »Holländer« zu erwägen imstande ist. – Die Aufführung war hinreißend schön, – alle sangen und spielten wie die Götter, – ich hätte sie auffressen mögen; – die Marx hat mich ganz verdreht gemacht: erwartete ich von einem wenig, so war es von ihr, – und wie hat sie meine Erwartungen getäuscht und übertroffen! Ich sage Dir nichts mehr, als – so toll es klingt – die Devrient wird einen schweren Stand haben. – Die einzige Möglichkeit, mich nach der Vorstellung etwas auszusprechen, gab mir die Devrient: einige Stunden vor dem Theater schickte sie schon nach mir, – ich traf sie mit ihrem Liebhaber zusammen. Wie sie nun ist, in aller ihrer Ungezogenheit erfreute sie mich doch sehr durch ihre Teilnahme. Nach der Vorstellung war ich noch eine Stunde bei ihr: sie hatte mit mir gelitten und gejubelt, und war hocherfreut über den Erfolg. Als ich dann in meinem Gasthof ankam, empfing mich der Wirt mit einer Gratulation, die Gäste hatten schon Lärm geschlagen und ihren Enthusiasmus ausposaunt. – Wärst Du nun dagewesen!! Geh', soll ich Dir nun nicht böse sein? – Wärest Du dagewesen, wir hätten die ganze Nacht miteinander geplaudert, – so war ich allein!‹

Wir sehen in diesem ausführlichen Bericht den jungen Meister nach seinem abendlichen Zusammensein mit der Schröder-Devrient, der ungezogenen und doch hinreißenden, mitempfindenden, in sein Hotel de Russie zurückkehren, von Wirt und Gästen begrüßt werden; wir sehen ihn spät nach Mitternacht zu Bette gehen und die Nacht einsam und schlaflos verbringen, da es in seinem Kopfe unausgesetzt fortarbeitet und er niemand hat, dem er sich mitteilen könnte. Dazu ist es in seinem Zimmer kalt, und alle innere Glut vermag[63] diese fröstelnde Einwirkung von außen nicht aufzuheben. Wir sehen ihn am Morgen früh um 5 Uhr, als das erste Leben in seinem Gasthof erwacht, sich Licht anzünden und einheizen lassen, da er nicht länger schlaflos liegen kann. Wir sehen ihn um 7 Uhr sich an seinen Schreibtisch setzen und die vorstehende Schilderung der gestrigen Eindrücke in seinen fliegenden Schriftzügen auf das Papier bringen und ›zu gleicher Zeit‹ an Lüttichau schreiben, um auch der Exzellenz mit den schwarzen Augenbrauen den errungenen Erfolg in Kürze zu melden, insbesondere aber ihr anzukündigen, daß er nicht vor Donnerstag wieder in Dresden eintreffen könne. Wir sehen ihn, wie er sich vorbereitet, der Einladung zum Diner bei Meyerbeer, den er nach der gestrigen Vorstellung noch nicht wieder gesprochen, Folge zu leisten; für morgen, Dienstag, ist er bei Küstner zu Tisch. Er erfreut sich u.a. auch daran, daß der König bei der ersten Aufführung seines Werkes zugegen gewesen und daß jemand, der diesen immer beobachtet, ihn versichert habe, es habe Sr. Majestät ganz ungemein gefallen. Demselben König von Preußen, dessen besonderen Schutz er für sein ›in Nacht und Elend‹47 entworfenes und ausgeführtes Werk in besonderer Eingabe noch von Paris aus angerufen,48 und der sich nun durch eigenen Augenschein davon überzeugen konnte, daß es kein unwürdiger Gegenstand war, dem er diesen Schutz hatte angedeihen lassen sollen! Nur von einer persönlichen Annäherung an ihn, woran ihm schon jetzt viel gelegen wäre, kann vorläufig keine Rede sein. Meyerbeer, der sie etwa vermitteln konnte, war doch nicht in der Lage, sie sogleich in diesen wenigen Tagen zur Ausführung zu bringen. Aber auch der zweite ›Generalmusikdirektor‹ der preußischen Hauptstadt, Mendelssohn, vor wenig Monaten erst von seinen Leipziger Verehrern mit schmerzlichem Bedauern entlassen und hier an der Spree in seinen neuen Berufskreis getreten, hat ihn immerhin ›recht erfreut‹ und die ihm soeben in Dresden widerfahrene Bewillkommnung auf seine Art zu erwidern gesucht. Schon in den Probentagen hat er den Dresdener Kollegen einmal zu Tisch geladen, nach der Vorstellung ist er auf die Bühne gekommen, hat ihn umarmt und ihm ›sehr herzlich gratuliert‹. So heißt es wenigstens in dem Briefe an Minna. Von Kälte und Glätte, wie sie dem Vielumschmeichelten sonst zu eigen war, verlautet kein Wort. Aber man begreift leicht, daß die eigene herzliche Erregung ihn das bloß Konventionelle dieser Begrüßung nicht hat empfinden lassen, daß sie im allgemeinen Strome der Begeisterung als einzelnes Moment mit unterging und das Spezifische der Mendelssohnschen Eigenart gerade der Empfängerin dieser Nachricht gegenüber, die es gut genug kannte, nicht hervorgehoben wird. Als er in viel späterer Zeit aus klarer Erinnerung darüber berichtet, heißt es von derselben Begegnung: ›Mendelssohn assistierte einer ersten Aufführung meines »fliegenden [64] Holländers« in Berlin und fand, daß, da die Oper doch eigentlich nicht ganz durchgefallen war, ich doch mit dem Erfolge zufrieden sein könnte.‹49 Und anders wird es dem Sinn und Inhalt nach nicht gewesen sein.

Meyerbeer und Mendelssohn, die beiden über alles entscheidenden Faktoren des musikalischen Berlin! Die beiden einander entgegengesetzten Pole und Angelpunkte für jede Bewegung, aber auch für jeden Stillstand, ohne die in Oper und Konzert kein Stein ins Rollen kommen, kein Apfel vom Baume fallen konnte! Die beiden Generalmusikdirektoren, die sich Friedrich Wilhelm IV. zur Erhöhung des künstlerischen Glanzes seiner Residenz nebst anderen Tagesnotabilitäten nach Berlin berufen, und mit deren legitimer Oberherrschaft die preußische Hauptstadt, die Stadt der Intelligenz, sich nun abzufinden hatte! Wir wissen es aus den handgreiflichsten Beispielen, wie gegen sie, insonderheit gegen Meyerbeer, nichts durchzusetzen war, wie sein Einfluß, sobald es ihm erst darauf ankam, über die Oper hinaus selbst bis in das Schauspiel hinein sich erstreckte,50 wie wenig andererseits ihr Einfluß imstande war, irgend eine produktive Erinnerung an ihre Wirksamkeit zu hinterlassen. ›Da Meyerbeer recht gut verstand, was auf einen glücklichen Vortrag ankommt, außerdem reich und unabhängig war, hätte er für das Berliner Orchester von außerordentlicher Verdienstlichkeit werden können, als ihn der König von Preußen als Generalmusikdirektor dazu berief. Hierzu war nun gleichzeitig aber auch Mendelssohn berufen, dem es doch wahrlich nicht an ungewöhnlichsten Kenntnissen und Begabungen fehlte. Gewiß stellten sich beiden dieselben Hindernisse entgegen, welche eben alles Gute in diesem Bereiche bisher gehemmt haben: allein, diese eben sollten sie hinwegräumen, warum verließ sie ihre Kraft? Es scheint: weil sie eben keine Kraft hatten. Sie ließen die Sache stecken; nun haben wir das »berühmte« Berliner Orchester vor uns, in welchem auch noch die letzte Spur selbst der Spontinischen Präzisionstradition geschwunden ist.‹ So schrieb Wagner im Jahre 1869, auf die bereits abgelaufene Tätigkeit beider und ihren Erfolg zurückblickend.51 Dagegen hatte sich Meyerbeer sogleich beim allerersten Antritt seiner einflußreichen Stellung im Einvernehmen mit Herrn Küstner ein unleugbares und unbezweifelbares Verdienst erworben, ein rein finanzielles zugunsten der Autoren, die das Glück hatten, daß ihre Werke an der Berliner Hofoper angenommen wurden, und das weitere Glück, daß es diesen vergönnt war, daselbst festen Fuß zu fassen. Es war die Einführung regelmäßiger zehnprozentiger Tantièmen nach Pariser Vorbild, wogegen man bisher nichts weiter gekannt hatte, als das einmalige Honorar an den Autor bei Erwerbung des Aufführungsrechtes. Dafür war er nun aber auch [65] auf das zäheste und nachhaltigste darauf bedacht, mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln eines klugen Schachspielers keinen anderen lebenden Autor neben sich aufkommen zu lassen; wenigstens nicht an den drei einträglichen Hauptpunkten der europäischen Theaterwelt: Paris, London und – seit dieser Tantièmeneinführung – auch Berlin. Für eine dauernde Befestigung und ein Heimischwerden der Werke Wagners auf der Berliner Hofbühne war der hiermit bezeichnete geheime Widerstand das auf lange Zeit hinaus wirkende, unbesiegliche Haupthindernis. Der ›fliegende Holländer‹ hatte dies zuerst an sich zu erfahren.

Einen ganz vorzüglich geeigneten Bundesgenossen hatte der Antagonist mit der höflichen Gönnermiene an dem Zustande der damaligen Berliner Kritik. Was half dem ›Holländer‹ aller durch seine erste Aufführung erregte Enthusiasmus, alle ausgesprochene Teilnahme des Publikums für das neue Werk, sobald den Theaterbesuchern nachträglich klar gemacht werden konnte, daß sie sich in dem Gegenstande ihrer Begeisterung geirrt und vergriffen hätten? ›Das Publikum gelang es mir oft lebhaft zu erregen, Kritiker von Fach haben mich stets heruntergerissen‹ – das war die immer wiederkehrende Erfahrung des Künstlers. Zwischen den beiden ersten Aufführungen des ›fliegenden Holländers‹ hatte die Berliner Kritik ihren Feldzug dagegen eröffnet und dem Publikum seine Haltung gegenüber dem neuen Werke diktiert. Voran in der Vossischen Zeitung Ludwig Rellstab, ›ein Journalist der alten Schule, der über alles schrieb, über Politik und sämtliche Wissenschaften, über bildende, redende und musikalische Künste, und über hundert andere Sachen‹. (Außerdem verfaßte er Romane, Erzählungen, Novellen, Humoresken und Trauerspiele.) ›Es ist klar, daß er das alles durchaus nicht etwa gründlich verstand; in der Musik besonders waren seine wirklichen Kenntnisse wohl nur sehr bescheiden.‹52 Das hinderte ihn nicht, als rezensierender Rhadamanth in seiner Zeitung die unbeschränkte Geltung eines kritischen Orakels zu behaupten. Danach handelte es sich in dem Schöpfer des ›fliegenden Holländers‹ um ›ein großes Talent bei großen Verirrungen‹. Der Grundgedanke des Werkes sei glücklich, die Ausführung aber weder im Ganzen, noch im Einzelnen gelungen: kein einziges Musikstück, das einen frischen, freien Charakter trüge; ein fortdauerndes Arbeiten in scharfen Dissonanzen usw. Die Richtung der Musik Wagners habe das bisherige Kunstgesetz so gut als verworfen: und sich ›das Recht der Ausnahmen fast zum einzigen Gesetz gemacht‹. Wohlwollender lautete der Bericht eines ungenannten Kritikers (Karl Philipp Samuel Schmidt) in der Haude und Spenerschen Zeitung; sie gibt sogar dem Wunsche Ausdruck, nun auch Wagners erste heroische Oper ›Rienzi‹ kennen zu lernen. Doch findet sie in der Musik eine vorherrschende Neigung [66] zu stark gewürzter harmonischer Behandlung und anhaltender Benutzung der Blechinstrumente. Feodor Wehl witzelte in einer Berliner Korrespondenz vom 11. Januar für die ›elegante Welt‹, die Instrumentation des Holländers wisse sich nicht mit dem Gesange in Einklang zu setzen: ›es läuft immer eins dem andern nach, und wenn sie sich treffen, tritt eins dem andern auf den Fuß‹.53 ›Von der Aufnahme des fliegenden Holländers sei viel gefabelt worden‹, lautet ein anderer merkwürdiger Bericht nach auswärts,54 ›es sei aber nur gefabelt, die Stimme des unparteiischen Publikums wäre dagegen.‹ (Man fragt sich verwundert, woher in dem damaligen Berlin ein für den Künstler eingenommenes, parteiisches Publikum bereits zur ersten Aufführung des wildfremden Werkes sich hätte bilden können?) ›Rellstab habe die Oper kritisch richtig gewürdigt, obgleich er diesmal das Werk mit Glacéhandschuhen angefaßt, und selbst der Referent der »Preuß. Allg. Zeitung« Herr Hofrat J. B. Rousseau, der über alles schreiben zu können meine, es nicht gewagt (!), in die Lärmtrompete des Lobes (?) zu stoßen.‹ Die einzige Stimme, die sich im ganzen Berlin mit aufopferungsvoller Offenheit für das Werk und seinen Meister entschied, gehörte dem Redakteur eines unbedeutenden kleinen Musikblattes an. Dieser Tapfere hieß Karl Gaillard: er hatte als bescheidener Mitbesitzer der Challierschen Musikhandlung soeben, im Januar 1844, ein unscheinbares Wochenblättchen, unter dem Titel einer ›Berliner Musikalischen Zeitung‹ begründet und sah durchaus nicht ein, weshalb er die deutlich von ihm erkannte Wahrheit nicht in naiver Begeisterung [67] vor aller Welt verkünden sollte. Er mußte es bald genug erfahren. Sein wenig gelesenes Blatt konnte sich nicht halten und ging wenige Jahre darauf (im Oktober 1847) in die – ausschließlich Meyerbeer huldigende – ›Neue Berliner Musikzeitung‹ über, um nun erst einen dauernden Bestand zu gewinnen; er selbst siechte trotz vielseitiger Begabung unter Sorgen und Krankheit einem frühen Ende entgegen († 10. Januar 1851). Seine journalistischen Feldzüge für Wagner gehören ausschließlich seinem eigenen Blatte und der kurzen Periode von 1844–47 an; sein Name aber wird um so weniger vergessen werden, als er sich durch seine begeisterte Parteinahme die Freundschaft des Meisters erwarb, als deren Denkmal eine Anzahl an ihn gerichteter Briefe sein vielgeprüftes Dasein überdauert hat. Persönlich ist er dem Künstler nicht nahegetreten, außer bei späteren flüchtigen Besuchen in Dresden: während seiner damaligen kurzen Anwesenheit in Berlin hat er ihn nicht einmal Aug' in Auge kennen gelernt. Auch kann nicht geleugnet werden, daß die nachmalige persönliche Bekanntschaft in bezug auf die vorausgesetzte geistige Bedeutung und Fähigkeit seines Berliner journalistischen Freundes dem Meister doch eine kleine Enttäuschung bereitete.

Zwei Tage später, am Dienstag, den 9. Januar, fand – abermals vor einem gedrängt vollen Hause – die zweite von Wagner dirigierte Aufführung statt. Weitere Wiederholungen des aufsehenerregenden Werkes waren anläßlich eines bevorstehenden Gastspieles der Schröder-Devrient fest in Aussicht genommen; darüber hinaus war dann sein siegreicher Einzug an die ihm gebührende Stätte, in das inzwischen restaurierte Hofopernhaus mit seinem größeren Orchesterraum bestimmt zu erwarten. Als der junge Meister nach dieser zweiten Aufführung Berlin den Rücken wandte, um an seinen Berufsort, die sächsische Residenz, zurückzukehren, war die Niederlage seines Werkes noch so wenig entschieden, daß trotz aller kritischen Anfechtungen es vielmehr einzig dem energischen Vorgehen der Direktion anheimgestellt war, die schwankende Aufnahme in einen vollständigen Sieg zu verwandeln. Es bedurfte nur ihres redlichen Wollens, um es gegen den – in Betracht seiner Neuheit nicht unerhörten – Ansturm der federführenden Öffentlichkeit eine kleine Weile aufrecht zu erhalten. Das Publikum hatte sich eher dafür als dawider ausgesprochen. War es doch gerade hier in Berlin, wo er übrigens ganz unbekannt war, daß der junge Meister die erste bestimmte Genugtuung und Aufforderung zum weiteren Fortschreiten in der mit dem ›Holländer‹ eingeschlagenen Richtung empfing. Es geschah dies durch Begegnungen mit einzelnen Personen, die, ihm zuvor ganz fremd, durch den ungewöhnlich starken Eindruck seines Werkes ihm zugeführt werden waren. Er berichtet später von zwei Menschen, einem Manne und einer Frau, die ihm dieses wohltuende Gefühl der Genugtuung verschafft hätten.55 Dennoch [68] kam es erst sechs Wochen später, gelegentlich jenes Gastspieles der Schröder-Devrient, zu zwei erneuten Aufführungen, am 23. und 25. Februar. Wiederum ließ sich Rellstab bei dieser Gelegenheit in der ›Vossischen‹ vernehmen: ›Der fliegende Holländer hat längere Zeit ruhen müssen, als einem Kunstwerk gegenüber billig erscheint, das sich in seiner seltsamen Eigentümlichkeit, seinen schroffen Formen erst die Bahn zum allgemeineren Verständnis brechen muß. Das Werk selbst wird uns mit jedem Hören zugänglicher; seine Rätsel lösen sich dem Ohre mehr und mehr; doch frei müssen wir bekennen: sie gewinnen durch die Auflösung nicht überall. Ein edles Streben, ein begeistertes Kunstgefühl, bleibt aber dem Komponisten als hohes und unbestreitbares Gut übrig, wenngleich wir ihn in der Wahl der Formen und Mittel für weit verirrt halten müssen.‹56 Beide Aufführungen gingen wiederum vor ausverkauftem Hause und unter lebhaftesten Beifallsbezeigungen des Publikums vonstatten. Dann – war der Faden abgeschnitten, ganz und gar, für ein volles Vierteljahrhundert. Von einer Überführung des Werkes an den Ort, wo es erst seine volle Wirksamkeit hätte entfalten können, in das nach seinem Brande glänzend restaurierte Kgl. Opernhaus, ward abgesehen. Es war abgetan und vergessen Wenn selbst ein Rellstab sich ihm so weit genähert hatte, daß ›dessen Rätsel sich ihm zu lösen begannen‹, daß es ihm ›mit jedem Hören zugänglicher wurde‹ – so war es allerdings hohe Zeit, mit weiteren Aufführungen abzubrechen! Dies geschah denn auch auf das prompteste und pünktlichste. Die im Geheimen wirkende Veranlassung zu dieser sonderbaren Enthaltung war niemandem deutlich, man fragte ihr auch nicht weiter nach. So lange Meyerbeer am Leben war, wußte er dafür zu sorgen, daß der ›fliegende Hollän der‹ da, wo er es verhindern konnte, nicht wieder aufkam. Erst vier Jahre nach seinem Tode,57 im Dezember 1868(!), ging die 5. Aufführung des ›fliegenden Holländers‹ in der Kgl. preußischen Hofoper vor sich, die 200. Aufführung am 16. September 1907. Ein seltsames Stück Theatergeschichte liegt in diesen Daten.

Wir sprachen vorhin von den zwei charakteristischen und folgenreichen Begegnungen des Meisters in diesen Berliner Tagen, mit ›einem Manne und [69] einer Frau, die, ihm zuvor ganz fremd, der Eindruck des fliegenden Holländers plötzlich ihm zugeführt hatte‹. Da die Namen dieser beiden Personen damals, als er diesen Satz aufzeichnete (i. J. 1850), von ihm aus sehr verständlichen privaten Gründen unangeführt geblieben waren, hat es von seiten der Alleswissenden nicht an den allerverwunderlichsten und trivialsten Unterschiebungen gefehlt.58 Den wirklichen Namen des ›Mannes‹, der von jenem Zeitpunkt ab dem Meister ein ergebener Freund verblieb, hat erst ein halbes Jahrhundert später der Verfasser einer ebenso geistvollen als warmempfundenen biographischen Skizze: ›Erinnerung an Karl Werder‹59 öffentlich genannt; und seine hierbei mitgeteilten Erinnerungen stimmen buchstäblich mit den eigenen des Meisters überein. Professor Karl Werder war es, der, ›als Richard Wagner nach der ersten Aufführung des »fliegenden Holländers« in Berlin am 7. Januar 1844 um Mitternacht verdüstert und niedergeschlagen sein Hotel aufsuchte, diesen daselbst bereits erwartete, als ein dem Komponisten bis dahin gänzlich Unbekannter – rein durch den Drang des Herzens getrieben. Werder prophezeite in jener denkwürdigen Nacht dem Dichterkomponisten enthusiastisch eine ruhmvolle Zukunft und erteilte durch das überzeugende seines ganzen Wesens dem Niedergedrückten neue Schwungkraft, so daß Wagner jener Berliner Mißerfolg nichts mehr anhaben konnte‹. Unrichtig ist an diesem Bericht nur die Verlegung des Vorfalles, der sich tatsächlich erst am 9. Januar nach der zweiten Aufführung zugetragen hat (für Werder war es die erste gewesen!), auf das Datum der ersten Berliner Holländer-Aufführung: diese war, trotz aller von uns geschilderten ungünstigen Umstände, des engen Raumes und der hierin begründeten übertriebenen Sonorität des Orchesters, wie wir gesehen haben, nichts weniger als ein ›Mißerfolg‹ zu nennen gewesen. Erst den übereinstimmenden angelegentlichen Bemühungen der gesamten Meyerbeerschen Preßtrabantenschaft war es gelungen, das Publikum durch die Einmütigkeit ihres wahrhaft nichtswürdigen Vorgehens so nachhaltig zu beeinflussen, daß dieses zur zweiten Aufführung merklich kühler und zurückhaltender geworden war, als es sich bei der ersten gezeigt. Dies hatte Werder empfunden, nachdem er inzwischen auch für seine Person von den publizistischen Herunterreißungen der neuen Oper Notiz genommen und ihre Wirkung beobachtet. Von dem hinreißenden Eindruck des Werkes als ein feingebildeter Kenner theatralischer Kunst in seinem Innersten mächtig erfaßt, fühlte er sich dazu bestimmt, diesen empfangenen Eindruck dem Schöpfer des Werkes in beredter Mitteilung zur ermutigenden Kenntnis zu bringen und scheute sich deshalb [70] nicht – um einer bald zu gewärtigenden Abreise Wagners zuvorzukommen – ihn noch in vorgerückter Nachtstunde in seinem Gasthof zu erwarten. Bereits damals zählte übrigens der, nachmals so berühmte Dramaturg und Ästhetiker zu den ›Intimen‹ des Berliner Hofes, mit dessen Angehörigen er durch mehrere Generationen hindurch in vertrautem Umgange verblieb, so daß Kaiser Wilhelm I., mit dem er schon in dessen Kronprinzenzeit befreundet war, bei seinem Tode das ihm gewidmete einfache Grabmonument mit der vielsagenden Inschrift zieren konnte : ›Amico Imperator‹.60 Die zweite hierhergehörige, ebenfalls durch den Eindruck des fliegenden Holländers vermittelte Bekanntschaft war die mit einer dem gleichen Kreise angehörigen Freundin, der wir im nachstehenden noch wiederholt begegnen werden. Alwine Frommann, die nachmalige Vorleserin der Kaiserin Augusta, schon damals mit dem Prinzen Wilhelm und seiner Gemahlin gut befreundet, trat ihm während späterer Berliner Aufenthalte auch persönlich nahe; einstweilen aber drängte es sie zu einer brieflichen Mitteilung, wie sie in so ausdrucksvoll beseelter Weise dem jungen Meister noch nicht begegnet war. Auch diese Freundschaft war von Dauer, sie erstreckt sich in vertraulicher Teilnahme an seinen Geschicken, soweit diese zu Berlin in Beziehung traten, über die Revolutionsperiode hinaus durch sein ganzes ferneres Leben.

Mit wie günstigen Hoffnungen auf eine normale und gedeihliche fernere Entwickelung des äußeren Schicksals seiner Werke er sich damals trug, zeigt sich in dem Umstande, daß er gerade um diese Zeit einen Entschluß faßte, der sich einzig aus solchen Voraussetzungen erklärt. Bisher war noch keines dieser Werke durch den Druck vervielfältigt, kein Verleger hatte es damit wagen wollen. In dem bekannten Altmannschen Briefkatalog61 finden wir ein vom 11. Juli 1843 an Breitkopf & Härtel datiertes Schreiben, worin er ihnen den Verlag seiner Oper ›der fliegende Holländer‹ anbietet, die bereits auf 3 Bühnen, zuletzt in Kassel und Riga, Erfolg gehabt und demnächst in Berlin gegeben werden solle; Musikdirektor Röckel erbiete sich zur Anfertigung des Klavierauszuges. Aber auch die Antwort darauf ist bekannt: sie war im wesentlichen durch die damalige Lage der Dinge ein gegeben. Die Auslagen der Drucklegung waren namhaft, aber nicht unerschwinglich: am Ende galt es wohl nur den rechten Glauben an ihre Zukunft, um ihre Herausgabe auf eigene Kosten zu unternehmen. Standen dem Unbemittelten die dazu erforderlichen[71] Summen nicht zur Verfügung, so fanden sich dafür doch einige nahestehende Personen, die den Glauben an die Zukunft dieser Werke mit ihm teilten und ihm bei der Unternehmung behilflich sein wollten. ›Richard Wagners Werke erscheinen bei Meser in Dresden‹, lesen wir bereits in einer Notiz vom 24. Februar 1844.62 Zwei Monate früher hatte er sich über diesen Punkt noch ganz zweifelhaft ausgesprochen;63 in der Zwischenzeit muß also der Entschluß in ihm gereist sein, ein finanzielles Risiko auf sich zu nehmen, das allerdings bei halbwegs geschickter Geschäftsführung einen unausbleiblichen Ertrag in sichere Aussicht stellte. Die Kgl. Hofmusikalienhandlung von C. F. Meser übernahm den Kommissionsverlag gegen einen entsprechenden Gewinnanteil, die Beschaffung der erforderlichen Kapitalien fiel dem Autor zu. Also die völlige Umkehrung des normalen Verhältnisses. Auf eine solche sah sich der Schöpfer des ›Rienzi‹ und ›Holländer‹ auch noch für sein folgendes Werk, den ›Tannhäuser‹, angewiesen, wollte er seinen Arbeiten die allergewöhnlichste Vergünstigung zuteil werden lassen, dem Publikum in Gestalt gedruckter Klavierauszüge vorzuliegen, denen sich die unvermeidlichen Einzelnummern, Ouvertüren, Gesangsstücke usw. (als eigentlich gewinnbringend!), späterhin auch eine Anzahl Partituren der einzelnen Werke anzuschließen hatten. Eine endlose Leidensgeschichte knüpft sich an dieses Unternehmen. Sie durchklingt noch zehn Jahre später den Briefwechsel mit den Dresdener Freunden. Er selbst deutet in der ›Mitteilung an meine Freunde‹ darauf hin: die sinnlich behagliche Stimmung, die ihm durch den Umschwung seiner äußeren Verhältnisse gekommen sei, das wollüstig freudige Selbstgefühl, zu dem sich diese Stimmung durch den ersten Genuß einer gesicherten Lebenslage gesteigert, habe ihn zur Verkennung und Mißverwendung seines eigentlichen Wesens verführt und die Annahme einer lohnbringenden Verbreitung seiner Werke ihn zu Opfern und Unternehmungen veranlaßt, die ›bei ausbleibendem Erfolge seine äußeren Verhältnisse von neuem zerrütten mußten‹,64 – zu deren Hebung und dauernder Sicherung sie bestimmt gewesen waren! Gewiß war die Annahme einer solchen ›lohnbringenden Verbreitung‹ an sich nichts weniger als grundlos. Alle bisherigen Erfahrungen dienten zu ihrer Rechtfertigung. Was war die Ursache, daß sie sich so langsam erfüllte? Wir haben sie bei weitem weniger in dem gewaltigen inneren Fortschritte dieser Werke zu suchen, dem etwa das Publikum als [72] solches nicht hätte folgen können, sobald sie ihm in verständlichen Aufführungen geboten worden wären. Dagegen hatten er und seine Freunde bei ihren hoffnungsvollen Veranschlagungen ein ganz anderes, weit davon abliegendes Moment nicht in Betracht ziehen können: eine förmlich organisierte Gegenströmung, die sich von den entscheidenden Zentralpunkten der damaligen Kunstpflege, Berlin und Leipzig, seinem siegreichen Durchdringen mit aller Gewalt entgegenstemmte. Ist es doch in jedem einzelnen Falle im voraus unabsehbar, wie vielerlei Interessen durch das bloße Erscheinen des Genius nach jeder Richtung hin verletzt und durchkreuzt werden!

Zunächst hingen alle seine Hoffnungen an gewissen Voraussetzungen und Fäden, deren Lenkung sich nicht in seinen Händen befand. Seine Dresdener Erfolge, nicht einmal durch das nächstbenachbarte Leipzig bestätigt, hatten einen allzu lokalen Charakter. Er bedurfte zu ihrer Bekräftigung durchaus noch einer anderen großen Stadt Deutschlands: dies konnte damals nur Berlin sein. Nun war ihm durch die einfache Tatsache, daß sich ihm die Berliner Oper andauernd entzog, die Aussicht auf eine weitere Verbreitung z.B. seines ›fliegenden Holländers‹ im Laufe eines Jahres, geradezu ruiniert. Kein anderes Theater zeigte sich geneigt, ihm gastlich die Pforten zu öffnen. ›Erfolg und Interesse hatte er überall gefunden: plötzlich war er heimatlos geworden, geächtet, sehr bald vergessen. Man fragt vergeblich nach dem Grunde dieser Vernachlässigung, die bei einem unbedeutenderen Werke als kritische Gerechtigkeit betrachtet werden könnte, bei dem Holländer aber wie eine Verschwörung erscheint!‹65 Den Rückschlag dieser widerlichen Erfahrung auf seine äußere Lage haben wir nicht erst auszumalen.

In seiner Dresdener Amtstätigkeit war zu Beginn des neuen Jahres zunächst Marschners ›Hans Heiling‹ der Gegenstand seiner sorgfältigen Bemühungen. Die Hervorziehung dieser Partitur aus dem Staube des Hoftheater-Archives war sein persönliches Verdienst; sie war vor zehn Jahren von der Intendanz zur Aufführung angenommen, schlief aber ruhig in der Bibliothek, bis sich Richard Wagner ihrer annahm.66 Am 20. Januar 1844 [73] gelangte die Oper unter seiner Leitung zur erstmaligen Dresdener Aufführung. Ihre erste Wiederholung am folgenden Sonntag, den 28., fiel mit dem fünfjährigen Stiftungsfest der ›Liedertafel‹ zusammen. An dem Konzerte, mit welchem die Feier begangen wurde, durch seinen Beruf teilzunehmen verhindert, konnte er sich doch als Chargierter des Vereins dem darauf folgenden festlichen Mahle nicht entziehen, welches die Teilnehmer mit Toasten und Reden bis tief in die Nacht vereinigt erhielt. Der eifrige Vorstand der Liedertafel, Professor Löwe, ließ sich dabei in feuriger Rede über die Bedeutung des ›Männergesanges‹ im sozialen Leben und als Bildungsmittel vernehmen. Er trug sich aber gerade damals noch mit einem anderen Gedanken, für den es ihm nicht schwer fiel, Wagners volle Teilnahme zu gewinnen. Es war die von den näheren Freunden K. M. von Webers längst geplante Überführung der Asche des verewigten Meisters aus London in das heimische Dresden. Durch einen Reisenden war bekannt geworden, der unscheinbare Sarg, welcher Webers Asche verwahrte, sei in einem entlegenen Raume der Londoner Paulskirche so rücksichtslos untergebracht, daß zu befürchten stünde, in nicht langer Zeit werde er gar nicht mehr aufzufinden sein. Schon vor Jahren war durch öffentlichen Aufruf67 der erste Anstoß zu dem Gedanken einer Überführung gegeben; aber das frühere Komitee zur Betreibung der Angelegenheit hatte sich aufgelöst, und sie drohte in Vergessenheit zu geraten. Ein der Familie Webers lange Jahre aufs engste verbundener Freund68 hatte sie in erneute Erinnerung gebracht und Löwe bereits, zur Aufbringung der Kosten, ein Männergesangskonzert mit verhältnismäßig bedeutendem Erfolge veranstaltet. Man wollte nun die Theaterintendanz auffordern, im gleichen Sinne sich mittätig zu beweisen, als hiergegen an Ort und Stelle auf einen ersten zähen Widerstand gestoßen wurde. Von seiten der General-Direktion war dem Komitee bedeutet worden, der König fände religiöse Bedenken gegen die beabsichtigte Störung der Ruhe eines Toten. Man mochte dem angegebenen Motive nicht recht trauen, konnte aber doch nichts ausrichten, und nun ward Wagners neue hoffnungsreiche Stellung als Kapellmeister benutzt, um ihn [74] für das Vorhaben eintreten zu lassen. ›Mit großer Wärme ging ich darauf ein; ich ließ mich zum Vorstand wählen; man zog eine künstlerische Autorität, den Direktor des Antiken-Kabinetts, Herrn Hofrat Schulz, außerdem noch einen Bankier hinzu; die Agitation ward von neuem eifrig betrieben. Aufforderungen ergingen nach allen Seiten; ausführliche Pläne wurden entworfen, und vor allem fanden zahllose Sitzungen statt. Hier trat ich denn abermals in einen Antagonismus mit meinem Chef Herrn von Lüttichau. Er hätte mir, mit bezug auf den vorgegebenen königlichen Willen, gewiß alles gern einfach verboten, wenn es gegangen wäre, und wenn er nicht, nach vorausgegangenen Erfahrungen, wie man sich (auch nach der Gewohnheit des Herrn von Lüttichau) populär ausdrückte »ein Haar darin gefunden hätte«, mit mir in solchen Dingen anzubinden.‹ Mit dem königlichen Widerwillen gegen die Unternehmung war es schließlich nicht so arg bestellt; auch mußte er einsehen, daß dieser königliche Wille die Ausführung des Unternehmens auf dem Privatwege nicht hätte verhindern können, wogegen es dem Hofe Gehässigkeit zuziehen mußte, wenn das königliche Hoftheater, dem einst Weber angehört hatte, sich feindselig davon ausschloß. Er setzte es deshalb darauf an, den jungen Meister mehr durch gemütliche Vorstellungen von seiner Teilnahme abzubringen, ohne welche nach seiner Meinung die Sache doch nicht zustande kommen würde. ›Er könne doch unmöglich zugeben, daß gerade dem Andenken Webers eine solche übertriebene Ehre erwiesen würde, während doch der verstorbene Morlachi viel längere Zeit um die Kgl. Kapelle sich verdient gemacht habe, und Niemand daran denke, dessen Asche aus Italien herzuholen. Zu welchen Konsequenzen sollte das führen? Er setze den Fall, Reißiger stürbe nächstens auf einer Badereise; seine Frau könne mit Recht dann ebenso gut, wie jetzt Frau von Weber verlangen, daß man die Leiche ihres Mannes mit Sang und Klang herkommen ließe.‹ Hierüber suchte nun Wagner ihn zu beruhigen. Gelang es ihm nicht, der würdevollen Exzellenz die Unterschiede klar zu machen, über welche diese in Verwirrung geriet, so vermochte er sie doch davon zu überzeugen, daß jetzt die Sache ihren Lauf nehmen müsse, besonders da inzwischen auch schon das Berliner Hoftheater, durch Meyerbeer dazu veranlaßt (an welchen das Komitee sich gewendet), zur Unterstützung der Sache eine Benefiz-Vorstellung angekündigt habe. –

Nicht ohne das gebührende Interesse unterzog er sich dem Einstudieren von Mendelssohns damals neuer Musik zum ›Sommernachtstraum‹, der seit dem 9. Februar zahlreiche Wiederholungen erlebte,69 und dessen musikalische [75] Ausstattung ihn weit eher zu befriedigen vermochte als die der ›Antigone‹, welcher letzteren – nach ihren Potsdamer und Berliner Erfolgen – auch das Dresdener Theater bald darauf (12. April, unter Reißigers Leitung) sich erschloß. Gegen Ende des Monats traf Franz Liszt in Dresden ein und veranstaltete im Hoftheater zwei ›musikalische Akademien‹, wobei er mit dem Vortrage des Beethovenschen Es dur-Konzertes die Bewunderung seiner Hörer einerntete. So sehr Wagner dabei aufs neue Gelegenheit erhielt, sich von dem unwiderstehlichen Eindruck dieser genialen Leistungen willig berauschen zu lassen, so wenig fand er sich doch auch noch bei diesem Anlaß gedrängt, dem gefeierten Virtuosen aus eigenem Antriebe persönlich näher zu treten. Wir erinnern uns seines Ausspruches mit bezug auf ihre erste Pariser Begegnung: er habe ihn von da ab den Erscheinungen zugezählt ›die man als von Natur sich fremd und feindselig betrachtet‹.70 Was er in dieser fortgesetzten Stimmung wiederholt gegen andere ausgesprochen, war Liszt um eben jene Zeit zu Gehör gekommen, als ›Rienzi‹ in Dresden so plötzliches Aufsehen erregt hatte: er war betroffen darüber, von einem Menschen, den er fast gar nicht kennen gelernt hatte, so heftig mißverstanden worden zu sein. ›Es hat für mich‹, erzählt Wagner in späterem Rückblick (1851), ›etwas ungemein Rührendes, die angelegentlichen und mit einer wirklichen Ausdauer fortgesetzten Versuche mir vorzuführen, mit denen Liszt sich bemühte, mir eine andere Meinung über sich beizubringen. Noch kannte er zunächst nichts von meinen Werken, und es sprach somit aus diesem Bemühen noch keine eigentliche künstlerische Sympathie, sondern lediglich der rein menschliche Wunsch, eine zufällig entstandene Disharmonie nicht fortbestehen zu lassen, dem sich vielleicht ein zarter Zweifel darüber beimischte, ob er mich nicht etwa gar wirklich verletzt habe. Wer in allen unseren sozialen Verhältnissen, und namentlich in den Beziehungen der modernen Künstler zueinander, die grenzenlos eigensüchtige Lieblosigkeit und gefühllose Unachtsamkeit der Berührungen kennt, der muß mehr als erstaunen, er muß durch und durch entzückt sein, wenn er von dem Verhalten einer Persönlichkeit Wahrnehmungen macht, wie sie mir sich von jenem außerordentlichen Menschen aufdrängten. Noch nicht aber war ich damals imstande, das ungemein Reizende und Hinreißende von Liszts über alles liebenswürdigem und liebendem Naturell zu empfinden: ich betrachtete seine Annäherung an mich zuerst noch mit einer gewissen Verwunderung, [76] der ich Zweifelsüchtiger oft sogar geneigt war eine fast triviale Nahrung zu geben.‹

Liszt verweilte über eine Woche in Dresden; er gab am 1. März noch ein drittes Konzert, aber nicht im Hoftheater. Am 29. Februar fand eine Aufführung des ›Rienzi‹ statt Es ist offenbar diejenige, von welcher Wagner später berichtet, Liszt habe sie ›beinahe erzwingen müssen‹, da die Oper, die er noch nicht kannte, sich augenblicklich nicht im Repertoire befand. Sie sollte erst im April, nach inzwischen erfolgtem Wiedereintritt der Schröder-Devrient, neu aufgenommen werden. An diese Aufführung knüpfen sich Liszts erste Eindrücke von Wagners Musik und von seiner Person. Noch nach Jahren gedenkt er, zufällig wieder in demselben Gasthofzimmer (Hotel de Saxe, Nr. 17) weilend, dieser damaligen Begegnung Es war die erste entscheidende ›wo wir uns zuerst näher traten, wo mir Dein Genius aufleuchtete!‹ wie er dem Meister in späterer Erinnerung zuruft.71 Von der Lebhaftigkeit und Nachhaltigkeit dieser Eindrücke empfing Wagner im Laufe der nächsten Jahre manches auffallende Anzeichen. ›Aus aller Welt Enden, wohin er im Laufe seiner Virtuosenzüge gelangt war, erhielt ich, bald durch diese, bald durch jene Person, Zeugnisse von dem rastlosen Eifer Liszts, seine Freude, die er von meiner Musik empfunden, anderen mitzuteilen und so, ohne alle Absicht, Propaganda für mich zu machen.‹ übrigens hatte die ›Rienzi‹-Aufführung vom 29. Februar noch einen andern Gast unter ihren Zuhörern: Direktor Cornet aus Hamburg. Die besondere Verwendung Tichatscheks hatte ihn schon das Jahr zuvor zur definitiven Annahme der Oper bewogen, und er war eigens zum Zweck persönlicher Kenntnisnahme der für die Darstellung der Oper nötigen Mittel nach Dresden gekommen. Hier ward ihm freilich bange, wenn er an seinen schwachen Chor und sein nicht eben vorzügliches Streichorchester dachte, das sich mit dem des Dresdener Hoftheaters nicht messen konnte. Doch verlor er deshalb nicht den Mut; er lud Wagner ein, sein Werk persönlich einzustudieren, und getröstete sich eines demnächst bevorstehenden Gastspieles Tichatscheks, der sich kontraktlich anheischig gemacht, die Partie des ›Rienzi‹ während seines Urlaubes sechsmal dort zu singen, wogegen die Direktion für den Fall, daß die Oper bis dahin nicht in Szene gesetzt sei, ihm eine Konventionalstrafe von 2000 Talern zu zahlen hätte. Die Aufführung war auf die zweite Hälfte des Monats März angesetzt, und Wagner selbst wollte um die Mitte des Monats dazu in Hamburg eintreffen Bevor es aber dazu kam, drängte sich zwischenhinein noch die Regelung einer bestimmten lokalen Angelegenheit, durch welche er die fernere künstlerische Existenz seines Kollegen Röckel auf das empfindlichste bedroht sah. Die Wühlereien derselben Dresdener Clique, die in ihren rastlosen Bemühungen sich so eifrig auf die Verherrlichung [77] Reißigers, wie andererseits auf die konsequente Herabsetzung Wagners und die Unterminierung seiner Autorität bedacht zeigte, hatte sich noch ein weiteres Ziel für ihren planmäßigen Feldzug gesteckt Es war die Beseitigung Röckels, der in den Schladebachschen Rezensionen kurzweg für unfähig, ja selbst nicht einmal der bloßen ›mechanischen Fertigkeit des Taktierens‹ für mächtig erklärt wurde, und die Einschiebung eines gewissen Herrn Bach in seine Stelle, eines im übrigen völlig unbekannten, auch in der Folgezeit nicht durch das geringste Verdienst bekannt gewordenen Musikers aus dem Reißigerschen Kreise. Auch mag es sein, daß gewisse aus der gleichen Quelle strömende gegen Wagner selbst gerichtete kritische Insinuationen in bezug auf die Art, wie er Bellinische und Donizettische Meisterwerke dirigiere, auch bei Hofe gedankenlos nachgesprochen waren, während andererseits Lüttichau zugunsten jenes Herrn Bach auf das eifrigste bearbeitet worden war Aus diesen Voraussetzungen entwickelte sich, kurz vor seiner Abreise nach Hamburg, das Folgende.

Am Sonnabend, den 9. März 1844, berief ihn Lüttichau zu einer Besprechung in das Bureau der Hoftheaterexpedition und eröffnete dem jungen Meister zu dessen Überraschung seine Absicht, den bis zu diesem Augenblicke bloß provisorisch angestellten Musikdirektor August Röckel aus seinem Amte zu entlassen und ihn durch einen tüchtigeren Musiker zu ersetzen: der soeben erwähnte Herr Bach wurde dabei offen genannt. Immer darauf bedacht, bei solchen Gelegenheiten seine Superiorität als Hofbeamter und Vorgesetzter zur Geltung zu bringen, beging hierbei Lüttichau die Unvorsichtigkeit, auch in betreff Wagners einige Wendungen einfließen zu lassen, als hätte sich der ›allerhöchste Hof‹ mit seinen (Wagners) Leistungen als Dirigent nicht unbedingt zufrieden erklärt; so daß es ihm selbst erwünscht erscheinen müßte, wenn ihm, anstatt des ›unfähigen‹ Röckel, ein mit voller Autorität ihm beizuordnender gediegener Musiker (also eben jener, durch Reißiger empfohlene Herr Bach) zur Seite gestellt würde Seine Entgegnung darauf darf als ein wahres Muster feinfühliger Vornehmheit und Selbstlosigkeit gelten, jener wahrhaft künstlerischen Selbstlosigkeit, der es stets nur auf die Sache, keineswegs aber auf irgend welchen Vorteil der eigenen Person ankommt, während er sich doch andererseits mit der vollen Breite seiner Brust schützend vor den in seiner Existenz bedrohten Kollegen stellt. Durch seine Gewohnheit, Erklärungen dieser Art, in deren mündlicher Erledigung er sich nicht genug getan, noch einmal in ausführlicher Darlegung schriftlich zu geben, sind wir in der Lage, einen vollen Einblick in diese seine Erwiderung zu gewinnen. ›Die ausführliche Unterredung‹, heißt es in dem Eingang dieses, vom 11. März datierten Schreibens,72 ›deren mich Ew. Exzellenz am vergangenen Sonnabend würdigten, [78] hat auf mich einen Eindruck hinterlassen, dessen Peinlichkeit mich seit dem Augenblick, wo ich die Schwelle der Expedition verließ, bis jetzt, wo ich mir die Freiheit nehme, mich schriftlich an Ew. Exzellenz zu wenden, so unablässig eingenommen und bewältigt hat, daß ich, ohne mich gegen irgend jemand, selbst nicht gegen meine Frau, darüber ausgelassen zu haben, durch genaues Zurategehen mit meinem Innern endlich zu dem vollsten Bewußtsein dessen gelangt bin, was mir als unverbrüchliche Pflicht erscheint‹.

Er erklärt demnach, daß er diesmal mit sehr schwerem Herzen zu seiner Reise nach Hamburg sich entferne, weil in der Zwischenzeit ohne sein Beisein die wichtigsten Beschlüsse gefaßt werden sollten. Als einen solchen wichtigsten Beschluß betrachte er die bevorstehende Entscheidung über die Anstellung des ›provisorischen‹ Musikdirektors Röckel: sie werde ein für allemal darüber entscheiden, ob eine mit Talent und Kenntnissen nicht gering ausgestattete Künstlernatur zu einer höheren Entwickelung und Reise gelangen oder für das ganze Leben einem empfindlichen, fast vernichtenden Stoße erliegen solle. Auf der anderen Seite aber erkenne er in dem vorliegenden Falle sein eigenes Interesse als nicht wenig beteiligt. Er beruft sich hierfür auf die bei jener Unterredung ihm wiederholt vorgebrachten Versicherungen Lüttichaus, daß, wenn er selbst das nötige Vertrauen des ›allerhöchsten Hofes‹ in einem größeren Maße besäße, die Notwendigkeit, sich nach einem talentvolleren Dirigenten als Röckel umzusehen, keineswegs vorhanden wäre. Somit liege nach genauerer Prüfung hier der Fall vor, den er selbst bei seiner Anstellung als Möglichkeit in das Auge gefaßt und für welchen er damals schriftlich versichert habe, daß – träte er ein – es sich mit seinem Ehrgefühl nie vertragen würde, auf den Vorteilen einer Anstellung zu beharren, für die er nicht das nötige Vertrauen besäße.73 ›Besteht nun der Tadel, der gegen mein Dirigenten-Talent ausgesprochen wird, nur in den hie und da gegen mich zu äußernden Wünschen in bezug auf gewisse Tempi in den Opern der neueren italienischen Maestri:74 so könnte sich ein deutscher Musiker, der sonst Tüchtiges zu leisten imstande [79] ist, dadurch im ganzen nur wenig betroffen fühlen, ebensowenig, als dies bei Weber oder Mendelssohn,75 hätten diese sich mit ähnlichen Aufgaben zu befassen gehabt, von großem Belang gewesen sein würde, – und zwar aus Gründen, die ich einem Teile des musikalischen Publikums gegenüber, der jene Opern vorzugsweise liebt, gern verschweige. Man kann nur einem Gott dienen, und das ist der wahre, den man erkennt und verehrt! Geht jener Tadel aber weiter, und erstreckt er sich auf die – leider nur wenigen – Leistungen, bei denen mir und der Kapelle Aufgaben gestellt werden, wie sie z.B. Mendelssohn ausschließlich sich nur stellt, und bei denen einzig die wahren Kräfte eines Künstlers in Anspruch genommen werden, so ist er allerdings von mir in ernsten Betracht zu ziehen, und ich kann nicht anders glauben, als daß es sich um einen solchen Tadel handle, da sich Ew. Exzellenz gedrungen fühlten, mir die Erklärung zu machen, ich besäße das Vertrauen des allerhöchsten Hofes nicht in dem Maße, als daß Ew. Exzellenz es nicht für nötig hielten, noch einen ganz besonders befähigten Dirigenten zur Leitung der Kapelle zu berufen.‹

›Fühlen sich nun Ew. Exzellenz bewogen, diese Ansicht von der Sache zu bestätigen, so halte ich es für meine Pflicht, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß dann auch die Anstellung eines zwar wackeren, aber ziemlich gewöhnlichen Musikers, wie Herr Bach es ist, der Sache und dem Institute nicht entsprechen würde; vielmehr könnten Ew. Exzellenz dann Ihr Augenmerk auf einen bedeutenderen und renommierteren Dirigenten richten, da Ihnen durch meinen notwendigen Zurücktritt dann leicht die Mittel an die Hand gegeben würden, den Gehalt für die zu besetzende Stelle reichlicher auszustatten, als er jetzt ist, und für welchen Ew. Exzellenz es immer als einen glücklichen Zufall ansehen müßten, einen bedeutenden Künstler für die Dauer zu gewinnen. Ich für meinen Teil würde nämlich mein alleruntertänigstes Gesuch an Se. Majestät dahin stellen, daß Allerhöchstdieselben die Gnade hätten, mich meiner Funktionen so weit zu entbinden, als es mir gestattet sein sollte, nur meine Opern einzustudieren und zu dirigieren, sowie vielleicht in besonderen Fällen nach dem Wunsche Sr. Majestät diese oder jene Aufführung zu leiten, sobald sie der Spezialität meines geringen Talentes angemessen erscheinen sollte, wofür mir dann natürlich nur ein beliebiger kleiner Gehalt zuzugestehen sein würde‹

›Der von mir unter den bezeichneten Bedingungen gewünschte Zurücktritt vom eigentlichen aktiven Dienste als Vorstand der Kapelle wird mir aber noch aus anderen Rücksichten unter den mir von Ew. Exzellenz vorgestern dargetanen Umständen zu einer Gewissenspflicht. Die Kapelle bedarf jetzt eines Vertreters, der das Vertrauen Sr. Majestät und Ew. Exzellenz im [80] vollsten und höchsten Maße besitzt, weil es die höchste Zeit ist, daß ein solcher endlich, und zwar nur unter dem Ausspruche des vollsten Vertrauens, beauftragt werde, einen gründlichen Bericht über den Zustand dieses Institutes und über die unumgänglich notwendige, unserer Zeit und ihren Ansprüchen gemäße Abhilfe der in demselben wurzelnden Übelstände abzugeben. Es liegt am Tage, daß mit einem solchen Auftrage, wenn er Erfolg haben soll, nur ein Mann beehrt werden kann, der, wie erwähnt, das vollste und unbedingteste Vertrauen seiner hohen Vorgesetzten innehat, ein Mann, von dem man auf Treue und Glauben annimmt, daß er der Sache vollkommen gewachsen ist und ohne Übertreibung nur das Nötige beansprucht. Nach meinen neuesten Erfahrungen gestehe ich zu, daß ich sehr eitel war, als ich mir schmeichelte, nicht weit mehr von dem Ziele entfernt zu sein, an welchem ich die unschätzbare Ehre eines solchen Auftrages beanspruchen dürfte. Ich hatte, trotz der wirklich nur sehr spärlichen Gelegenheiten, im Dienste des Hoftheaters echt Künstlerisches zu leisten (zumal da auch die wenigen Gelegenheiten, würdige und wahrhaft lohnende Aufgaben zu lösen, stets nur in gedrängter Zeit und eingeengt zwischen den trivialsten Tagesbedürfnissen eines Theaters sich darboten), mir rastlose Mühe gegeben, den künstlerischen Sinn der Kapelle, der wohl oft unter der Last der ordinärsten Tagesarbeit zu erliegen drohte, zu beleben und guten Mutes zu erhalten, so daß wir zu unserem eigenen Verwundern oft von unsrer Leistung selbst mehr überrascht wurden, als wir der Abspannung nach von uns selbst erwarteten. Durch stetes und aufmerksames Bestreben habe ich die anfangs zwischen mir und der Kapelle bestehenden Differenzen soweit zu beseitigen gewußt, daß ich mir jetzt schmeicheln darf, von ihr als Derjenige angesehen zu werden, von dem sie sich mit vollstem Vertrauen die Abhilfe ihrer Leiden verspricht. Dennoch muß ich nun einsehen, daß mir das Wichtigste, das Vertrauen des allerhöchsten Hofes, noch fehlt. Ew. Exzellenz haben mir bei der letzten Unterredung zwar die Hoffnung auf ein solches Vertrauen für spätere Zeiten noch übriggelassen: – ich aber teile diese Hoffnung nicht, da ich mir bewußt bin, unter den gegebenen Umständen (– und andere Umstände herbeizuführen steht nicht in meiner Macht–) nicht mehr leisten zu können, als ich bisher geleistet habe; und sollte ich den Glauben haben, mir später noch das fehlende Vertrauen erwerben zu können, so würde dies doch jedenfalls zu spät für den wichtigen Dienst sein, welcher der Kapelle sehr bald geleistet werden muß. Da mir außerdem Ew. Exzellenz auch oft den Vorwurf meiner Neuheit in den hiesigen Verhält nissen machen, so muß ich bekennen, wie ich selbst nicht hoffe durch Älterwerden in denselben zu gewinnen: das Auge, welches sich gewöhnt, eine längere Zeit hindurch täglich dieselben Übelstände zu sehen, wird wohl endlich matt und stumpf und gewahrt sie nicht mehr so, als damals, wo es frisch und scharf war.‹

[81] ›Es könnte auffallend erscheinen, daß die Sache des Musikdirektors Röckel somit zu der meinigen geworden ist. Um nicht den Schein einer blinden Parteilichkeit für irgend jemand auf mich zu laden, mußte ich mich offen nach allen Richtungen hin aussprechen; Ew. Exzellenz haben mir durch die Erklärung, daß die fragliche Anstellung Röckels mit meiner eigenen Stellung in unmittelbarem Zusammenhange stehe, dazu die vollste Veranlassung gegeben. Ich spreche auf meine gehorsamste Mitteilung durchaus keine schnelle Entschließung von seiten Ew. Exzellenz an; ja Ew. Exzellenz würden mich sogar verbinden, wenn Sie vorläufig selbst mündlich keine weitere Besprechung über diesen Gegenstand mit mir anzuregen belieben wollten. Ich werde, von Ihrer außerordentlich gütigen Zusage Gebrauch machend, vierzehn Tage von Dresden entfernt sein, während welcher Ew. Exzellenz von meiner Seite gänzlich ungestört, und durch den von mir gemachten Vorschlag eines freiwilligen Zurücktrittes sogar zu freieren Maßregeln in bezug auf die Besetzung der fraglichen Stelle veranlaßt, nach Ermessen beschließen werden.‹

Vergegenwärtigen wir uns die Miene der Exzellenz mit den schwarzen Augenbrauen bei Durchlesung des vorstehenden Aktenstückes, so dürften wir wohl in der Annahme nicht fehlgehen, daß ihr Gesicht sich merklich verlängerte und dessen Ausdruck die verlegene Verwunderung wiederspiegelte, die sich dabei ihres Innern bemächtigte. Wieder einmal hatte sich dieser noch so junge ›Kapellmeister‹ ihm gegenüber als etwas durchaus Inkommensurables bezeugt, zu dessen Beurteilung ihm der Maßstab fehlte. Der Vorschlag eines freiwilligen Zurücktrittes aus einem lebenslänglich verliehenen Amte, und noch dazu nicht in der gewohnten Form eines komödiantisch dünkelhaften Trotzes, sondern mit der verbindlichsten Anerkennung seiner ihm erwiesenen ›großen Güte‹, dürfte ihm wohl in den hergebrachten Verhältnissen etwas so Neues, Unerhörtes gewesen sein, daß er befürchten mußte: der König würde, auf einer näheren Mitteilung der motivierenden Umstände bestehend, einen tieferen Einblick in dieselben verlangen, als ihm lieb sein konnte. Umsomehr als es mit dem, in dem Schriftstück wiederholt erwähnten Mangel an Vertrauen seitens des ›allerhöchsten Hofes‹ vielleicht gar nicht einmal so arg bestellt war, als es der Herr Geheimrat bei jener Unterredung in wohlberechneter Klugheit hatte einfließen lassen. Vielleicht war dies am Ende gar nicht so ›klug‹ gewesen, als er es sich gedacht? – – Der Erfolg der Unterredung vom 9. März 1844 und des ihr folgenden Schreibens vom 11. war jedenfalls, daß einstweilen alles beim alten blieb. Röckel erhielt seine Bestätigung; zu der Anstellung des Herrn Bach an seiner Stelle kam es nicht, und der feurig uneigennützige Künstler wurde nach seiner Rückkehr aus Hamburg vorläufig mit seinen allzu weitgehenden idealen Forderungen beschwichtigt. Für wie lange Zeit? Das mußte der fernere Verlauf der Dinge lehren. Es mußte sich zeigen, wie lange seiner impulsiven, einzig das Beste der Kunst [82] und die Würde des ihm anvertrauten Institutes der Kgl. Kapelle erstrebenden Natur gegenüber mit bloßen Vertröstungen und Palliativmaßregeln auszukommen war.

Am 12. März trat der junge Meister, mit dem gewiß befriedigten Gefühl, in der ihm so nahegehenden Sache Röckels das Seine getan, dem Herrn Generaldirektor gegenüber aber in jedem Sinne seine künstlerische Würde behauptet zu haben, seinen vierzehntägigen Urlaub für die Hamburger ›Rienzi‹-Fahrt an. Vom Vorabend seiner Abreise datiert sind ein paar fliegende Zeilen an Gaillard, der ihn in den letzten Wochen wiederholt durch die Zusendung seiner Musikzeitschrift76 verpflichtet und ihm dadurch zu erst bekannt geworden war. Sie zeigen ihn zugleich in voller Tätigkeit an der Herausgabe seiner Werke, mit Druckkorrekturen usw. bis zum letzten Moment beschäftigt. ›Verehrter Herr‹, heißt es darin ›ich stehe soeben im Begriff von meiner Frau Abschied zu nehmen, um nach Hamburg zu reisen, wo ich die erste Aufführung meines »Rienzi« leiten will. Rings um mich her ist Trubel und Unruhe: mein Verleger hetzt mich mit Korrekturen u. dgl. – da fällt mir Ihre Zeitung mit den neuesten Berichten über meinen Holländer in die Hände, und ein Gefühl übermannt mich gegen Sie, das ich unmöglich bloß Dankbarkeit nennen kann. Ihre Teilnahme für mich, auf so ganz schlichte Weise gewonnen, ist mir eine so erhebende Erscheinung, daß sie auf mich den Eindruck der plötzlichen Bekanntschaft mit einem hohen Kunstwerke macht, das mich durch und durch erwärmt und begeistert! So angeregte Empfindungen tragen gute Früchte, denn sie sind produktiv! – Laßt uns erwarten, was ich Ihnen zu danken haben werde!‹

Weniger erhebend waren die Eindrücke in Hamburg, wo er zum 15. erwartet wurde und nach beschwerlicher Fahrt pünktlich eintraf, – nämlich noch einen Tag vor dem vereinbarten spätesten Termin. ›Auf der Reise‹, schreibt er an seine Frau ›traf ich alles glücklich: in Leipzig noch den Magdeburger, – in Magdeburg den Braunschweiger Dampfwagen. Der kurze Augenblick, den ich in Magdeburg war, machte auf mich vielen Eindruck: die Eisenbahn kommt grade an dem Walle an, wo wir so oft manche verzweifelte Promenade in Zeiten der Windstille machten.77 Gott, wenn ich an den Trödel denke! Von Braunschweig ging es abends um 9 Uhr mit der Eilpost weiter direkt bis Hamburg, wo ich gestern – Donnerstag (14. März) – um 7 Uhr abends ankam. Müde und zerschlagen war ich nach der Ordnung; besonders hatte ich sehr im vollgepfropften Eilwagen gelitten, wo an ein Ausstrecken der Beine [83] nicht zu denken war, so daß mir diese nicht nur brummten, sondern endlich halblaut schrieen. Im Gasthof angekommen, gönnte ich mir denn gehörige Ruhe und schickte bloß nach Cornet. Dieser kam, unterhielt sich ein Stündchen mit mir, ließ mich dann allein und übergab mich dem Schlafe. Besonders lieb war es ihm, daß ich nicht erst Freitag angekommen bin. Man hat hier schon mit Orchester probiert, und nun seien auch die Musiker, sagt mir Cornet, Feuer und Flamme für die Sache.‹78 Der Anblick Hamburgs war damals kein unbedingt erfreulicher: die schöne Stadt hatte sich aus den Ruinen des großen Brandes von 1843 noch nicht ganz wieder erhoben und bot durch reichlichen Trümmerschutt trotz alles mächtigen Handelsverkehrs einen unbehaglichen Anblick. Das Theater lag weit außerhalb der Stadt in einer abgelegenen öden Gegend. Nicht so sehr das, gegen Dresden unbedeutende Orchester, oder die mangelhafte Komparserie auf der Szene entmutigte ihn so, als der völlig unfähige Tenorist, dem die Verkörperung seines letzten Tribunen übergeben war: Wenzel Wurda, den er früher einmal als Eleazar gesehen, sang und spielte – nach Wagners eigener mündlicher Schilderung – den Rienzi genau so, als wenn er ebenfalls Eleazar wäre. Dies stellte sich sogleich in den ersten Proben heraus: es war unmöglich, dieser Aufführung einen Hauch von Poesie einzuflößen. Direktor Cornet, der nimmer ruhende Welschtiroler, verlor nicht die Geduld. Meist selbst Regisseur der Oper, pflegte er vor Beginn der Vorstellung eine strenge Revision des Chores und der Statisten zu halten, ob alles in Ordnung sei, und zupfte eigenhändig den Purpur seines Helden zurecht, wenn er ihn aus den Falten geraten fand. Leider hatte er sich auch in betreff der äußeren Ausstattung über die tatsächlichen Anforderungen des Werkes irrige Vorstellungen gemacht, und war z.B. nicht davon abzubringen, zur Füllung seiner Bühne die militärischen Aufzüge durch Mädchen und Kinder, nach Ballettweise in Gaze gekleidet, zu vermehren.79 Unter dem Personale der damaligen Hamburger Oper blieb dem Meister einer der Bassisten, Brassin (der Vater der nachmaligen Künstler-Generation dieses Namens, Louis, Gerhard und Leopold Brassin), in so guter Erinnerung, daß er ihn nach langen Jahren bei einer zufälligen Begegnung in Paris sogleich wieder erkannte. Seine sorgsame Überwachung der Proben und alle dem instrumentalen Teile zugewendete Bemühung konnte die Geist- und Schwunglosigkeit der, am Donnerstag den 21. März 1844 vor sich gehenden Vorstellung nicht hindern. Der äußere Erfolg dieser ersten Aufführung war an sich nicht gering zu nennen, und doch begriff er selbst nicht, wie ein solcher Erfolg ohne einen Darsteller der Hauptrolle nur möglich war. ›Wurda kam nicht dem Schatten Tichatscheks gleich, wiewohl er einzelnes recht gut [84] sang; aber der ganze Kerl ist schrecklich ledern! Wieviel tausendmal dachte ich: »himmlischer Vater, hätte ich jetzt meinen Tichatschek hier!« Je ungenügender nun Wurda war, desto größer ist eigentlich mein Ruhm, und ich gestehe, ich tue mir etwas darauf zugut. Alles übrige wurde meist sehr gut gesungen, mit Ausnahme des Friedensboten, der sehr schläfrig war. Die Chöre gingen ausgezeichnet, und am meisten hingerissen waren eben Musiker und Sänger, und das ist für die Dauer ein sehr gutes Zeichen. Adriano war – wie ich erwartete – vortrefflich; die beiden Volksführer – ausgezeichnet. Die Arrangements waren noch etwas unsicher, wiewohl vieles sehr gut ausgestattet war, einiges entschieden besser als in Dresden, namentlich das Ballett. In den Zügen herrschte ab und zu noch Konfusion: das schadet aber am Ende nichts, denn effektuiert hat alles vortrefflich. Ich möchte weiter nichts als den Jubel sehen, wenn Tichatschek hier den Rienzi gibt. Cornet rechnet auf gegen 20 Vorstellungen des Rienzi in diesem Jahre: die Tantièmen80 werden schmecken, nicht wahr?‹81 Drei Tage später, am Sonntag (24. März), fand die zweite Vorstellung statt; der äußere Erfolg war wiederum hoffnungerweckend, und ›der Komponist und die Sänger wurden‹, wie die gleichzeitigen Theaterberichte melden ›mehrfach stürmisch gerufen‹.82 Unmittelbar danach trat er die Rückreise an, die weitere Leitung seines Werkes den Händen des dortigen Kapellmeisters Karl Krebs überlassend. Wer hätte es ihm damals wohl prophezeien mögen, daß der gegenwärtige Hamburger Kollege [85] in kurzer Frist – fünf Jahre später! – sein Nachfolger am Dresdener Dirigentenpult werden sollte?83

Wir beschließen mit der Hamburger Exkursion den gegenwärtigen Abschnitt unserer Erzählung. Es kam mit dem elenden Darsteller des ›Rienzi‹ in Hamburg nicht zu den erhofften zwanzig, selbst nicht zu zehn, sondern bloß zu sechs Vorstellungen des neuen Werkes, von denen die eine bereits vor recht leerem Hause vor sich ging. ›Ein durchaus ungeeigneter Sänger‹, so rekapituliert Wagner selbst die Hamburger Resultate ›verdarb die Hauptpartie, und der Direktor sah sich, bei einem mühsam aufrecht erhaltenen, ungenügenden Erfolge, in seinen ihm erregten Hoffnungen getäuscht. Ich sah dort zu meinem Erstaunen, daß selbst dieser »Rienzi« den Leuten zu hoch gegeben war. Mag ich selbst jetzt noch so kalt auf dieses mein früheres Werk zurückblicken, so muß ich doch eines in ihm gelten lassen: den jugendlichen, heroisch gestimmten Enthusiasmus, der es durchweht. Unser Publikum hat sich aber an den Meisterwerken der modernen Opernmachkunst gewöhnt, Stoff zu Theaterenthusiasmus sich aus etwas ganz anderem herauszufinden, als aus der Grundstimmung eines dramatischen Werkes. In Dresden half mir etwas anderes auf, nämlich der rein sinnliche Ungestüm der Erscheinung, die dort unter glücklichen Umständen und namentlich durch den Glanz der Mittel und des Naturells des Hauptfängers, in berauschender Weise auf das Publikum wirkte.‹ Außerhalb Dresdens aber? Der Druck, welcher sich den ferneren auswärtigen Aufführungen seiner Werke entgegenstemmte, ging von den entscheidenden Mittelpunkten der herrschenden Operntheaterkunst aus und war kräftig genug, um die berechtigtesten Erwartungen durch seine Zähigkeit zum Scheitern zu bringen. Seine Hoffnungen auf eine schnelle Verbreitung seiner Opern und die davon erwarteten Vorteile blieben unerfüllt. Bereits angeknüpfte Unterhandlungen auswärtiger Direktionen verschleppten sich oder wurden wieder rückgängig gemacht. Am Herzoglichen Hoftheater zu Koburg z.B. war es nach längeren, von dieser Theaterverwaltung eingeleiteten Vorverhandlungen soweit gekommen, daß ein eigenhändiges Signat des kunstsinnigen Herzogs Ernst II. vom 20. Juli 1844 den Ankauf der Oper ›Rienzi‹ [86] für den verlangten Preis von 25 Louisd'or definitiv genehmigte; welche Umstände die Aufführung nichtsdestoweniger bis zum Jahre 1860 (!!) verzögerten, ist weder dem Meister jemals bekannt geworden, noch ist es aus den Akten des Koburger Hoftheaters zu ersehen gewesen.

Der Verfall seiner äußeren Lage war durch diesen Sieg seiner offenen und heimlichen Gegner unterschrieben: Das war es, was sie dem ringenden Genius auf lange hinaus anhaben konnten. Freilich stellte sich dies nicht plötzlich heraus. Aber es hing wie ein Damoklesschwert über den Bedingungen seiner äußeren Existenz.

Fußnoten

1 Das Orchester unter Spohrs Leitung war vorzüglich, die Inszenierung, besonders des dritten Aktes, ließ nichts zu wünschen übrig, so daß in letzterer Hinsicht Wagner sogar die Kasseler Einrichtung der Bühne später der Weimarischen als Muster empfahl. Die Leipziger ›Signale‹, von Anbeginn in erbittertem Kampf gegen Wagner, heben gerade diese Ausstattung in folgender hämischer Notiz hervor: ›In Kassel wurde Wagners neueste Oper: der fliegende Holländer, gegeben. Zwei imposante Seeschiffe, mit bewunderungswürdiger Leichtigkeit über die Bühne segelnd, erregten großen Enthusiasmus.‹ (Vgl. O. Eichberg, der fliegende Holländer, im Bayr Taschenbuch für 1893).


2 Briefe an Minna Wagner I, S. 16.


3 Vgl. Bd. I, S. 293.


4 Es fehlt dieser Rigaer Korrespondenz nicht an den obligaten Ausstellungen hinsichtlich der Melodiebildung und der Instrumentation: letztere wirken doppelt wunderlich, wenn man sich durch den Augenschein davon überzeugt, wie monströs zusammengestrichen und umredigiert die damalige Rigaer Partitur war. Ihre nachmalige restitutio in integrum hat die größten Mühen bereitet: es mußte eine fast völlig neue Partitur hergestellt werden, um den Dornschen ›Holländer‹ in den Wagnerschen zurückzuverwandeln!


5 N. Zeitschr für Musik 1843, II Nr. 2 (Juli): ›R. W. arbeitet jetzt an einer neuen Oper, das Sujet ist der Wartburgkrieg. Vor kurzem bekam er auch aus Wien die Einladung, eine Oper für das Kärntnertortheater zu schreiben.‹ Dresdener ›Abendzeitung‹ vom 12. August: ›R. W. hat von der Kaiserl. Österr. Hoftheater-Intendanz den Auftrag erhalten, für die dasige Hofbühne eine Oper zu komponieren.‹ Vgl. den Briefentwurf an die Administration der K. K. Hofoper in Wien bei Oesterlein III, S. 10 (Nr. 5613).


6 Neue Zeitschr. für Musik 1843, I Nr. 39 (Mitte Mai): ›R. W. s. »Rienzi« (wird zunächst in Hamburg gegeben. Der Komponist ist jetzt mit Verkürzung der Oper beschäftigt, so daß sie nur einen Abend ausfüllen soll‹.)


7 Brieflich an Löbmann: ›Das erste Theater nach Dresden wird Hamburg sein, wo die Oper mit vielem Aufwand künftigen Januar in Szene gehen soll. Dann soll das neue Theaterunternehmen in Leipzig damit eröffnet werden, und selbst Königsberg macht sich schon jetzt daran.‹ Wie es mit Leipzig bestellt war, wird uns weiter unten beschäftigen; die erste Königsberger Aufführung verzögerte sich bis zum März 1845.


8 A. a. O. 9. Dez. 1843: Im Laufe dieses Monates geht der ›fliegende Holländer‹ gleichzeitig in Berlin und Prag in Szene; auch mehrere kleine Theater, wie Danzig, machen sich daran.


9 Zeitung f. d. eleg. Welt v. 21. Juni 1843.


10 Die Teplitzer Kurliste von 1843 meldet seine Ankunft erst am 29. Juli, aber gewiß mindestens 8–10 Tage nach seinem wirklichen Eintreffen; seine Wohnung daselbst ist die gleiche wie im vorigen Sommer: ›Zur Eiche‹ in Schönau bei Teplitz.


11 Dasselbe Briefchen, datiert ›Teplitz-Schönau, 25. Juli 1843‹, enthält auch noch die zuvor (S. 36) erwähnte Hindeutung auf jene speziellen freundschaftlich geschäftlichen Beziehungen Minnas zu dem damaligen Bräutigam der Dem. Wust, dem Schauspieler Hans Kriete: ›Meine Frau läßt Sie schönstens grüßen, und Ihrem Herzallerliebsten läßt sie wunderbare Dinge sagen: sie entdeckt mir nämlich soeben, daß sie sich in einer gewissen heimlichen Möbel-Angelegenheit von Ihrem Liebsten habe Geld geben lassen, und daß der Termin für die Wiederbezahlung jetzt nahe sei. Ich bitte daher den heimlichen Möbel-Kaufs Helfer sich bis zu meiner Zurückkunft zu gedulden, wo ich ihn jedenfalls nach Verdienst und Schuldigkeit belohnen will.‹ Kriete war zugleich der Textdichter von Reißigers (1846 zur Aufführung gelangten) Oper: ›Der Schiffbruch der Medusa‹. Das gleiche Sujet war bereits vorher von Flotow als Erstlingsprodukt für die französische Oper komponiert, vgl. Band I des vorliegenden Werkes, S. 348.


12 Ebendaselbst S. 165/66 und 452.


13 Briefe an Minna Wagner I, S. 14. Vgl. die Schilderung, wie er aus der, in einem großen Lokal auf der Brühlschen Terrasse gehaltenen Sängerprobe seines ›Liebesmahls‹ in die Restauration tretend, vom Orchester mit dem Friedensboten-Chor empfangen wird: ›als er zu Ende war, wurde furchtbar vom ganzen Publikum applaudiert; dann erfuhr ich, daß er auf Verlangen soeben zum drittenmal ausgeführt worden sei. Gleich darauf spielten sie wieder die Ouvertüre zu Rienzi, die nun schon alle Tage abgedroschen worden ist, und von allen Seiten ging dasselbe Hurrah wieder los‹ (ebendaselbst S. 21).


14 Ebendaselbst S. 21/22.


15 Es bestand aus einer ›wertvollen, kunstreich gearbeiteten Butterbüchse von Kristall‹, die, sei es nun in Wirklichkeit, oder auch nur in der dankbaren Erinnerung der Empfängerin fortlebend, vor kurzem aus diesem Erinnerungsschatze wieder vor der Öffentlichkeit aufgetaucht ist (Neue Musikzeitung [Köln] 1887, Nr. 18, S. 210).


16 Vgl. Band I des vorliegenden Werkes S. 152/53.


17 Neue Musikzeitung (Köln) 1887, Nr. 18, S. 210.


18 Im Betrage von 202 Mark Banko; Herm. Uhde erwähnt diese Vorausbezahlung (im Oktober 1843) in seiner Geschichte des Hamburger Theaters.


19 Vgl. Band I, S. 469.


20 Brieflich an Franz Löbmann in Riga, 9. Dez. 1843.


21 J. P. Lyser in Gaßners ›Zeitschrift für Deutschlands Musikvereine‹ 1844.


22 Die ›Regimentstochter‹ seit 18. Februar 1844 im Dresdener Repertoire, mit der Spatzer-Gentiluomo in der Titelrolle der Oper, und unter Röckels Direktion. Das Zettelchen etwa aus dem März oder April.


23 Wie junge Ärzte zu tun pflegen, suchte auch er zunächst um eine Armenarzt-Stelle nach, und er ist zeit seines Lebens, als seine ärztliche Praxis und sein Ruf immer mehr anwuchsen, dennoch den Armen stets ein liebevoller Helfer geblieben (Bayr. Bl. 1902, S. 89).


24 Auszüge aus diesen Briefen wurden dem Verfasser seinerzeit durch die Güte der Tochter des Herrn Prof. Gustav Kietz mitgeteilt.


25 Waisenhausgasse 5, in der Nähe des Seetors, in dem alten Rokoko-Hause (S. 36, Anm.).


26 Man vergleiche zu all diesen einzelnen Anführungen die Zusammenfassung der Kietzschen Erinnerungen in dem liebenswürdigen Büchlein: ›Richard Wagner in den Jahren 1842–49 und 1873–75‹ von Gustav Adolf Kietz (Dresden, 1905).


27 Vgl. die gleichzeitige Äußerung J. P. Lysers: ›Wagner steht gegenwärtig im kräftigsten, jugendlichen Mannesalter; wir dürfen also hoffen, daß er noch lange für unsere Oper mit gleicher Kraft wie jetzt tätig sein werde. Daß es ihm weder an heimlichen Neidern noch offenen Feinden fehlt, ist bei einem so entschiedenen Charakter wohl natürlich. Doch auch die Zahl der Freunde Wagners, die in ihm den genialen Künstler und herzigen biedern Menschen ehren, ist nicht gering. Er weiß dies, freut sich dessen und geht unbefangen seinen geraden Weg fort.‹ (Zeitschr. für ›Deutschlands Musikvereine‹ 1844, herausgegeben von Dr. F. S. Gaßner.)


28 Henriette Grosser, vgl. Bd. I, S. 269.


29 Skraup in Prag war unter den Mitbewerbern um die Dresdener Kapellmeisterstellung gewesen, vgl. Bd. I, S. 474 Anm.


30 Wiederholungen des ›Rienzi‹ am 19. Nov., 22. Nov. (erster Teil), 26. Nov. (mit Hinweglassung der Tänze, wegen der protestantischen Totenfeier!), 10. Dez, 5. Jan. (erster Teil), 29. Febr, 21. Mai, 26. Juli, 20. Sept. (20 Aufführung), 22., 27. Okt. 1844.


31 Das nach unserer Kenntnis einzige Schriftstück, in welchem sich Mendelssohn anerkennend über ein Schumannsches Werk ausspricht (es handelt sich um ›das Paradies und die Peri‹), ein nach London gerichtetes Empfehlungsschreiben aus Berlin, 27. Januar 1844, wurde neuerdings in den ›Times‹ ostensibel zum Abdruck gebracht, um den Beweis zu führen, daß zwischen Mendelssohn und Schumann keine Feindschaft (!) bestanden habe.


32 ›Neue Zeitschrift für Musik‹ 1843, II, Nr. 43 (Mitte November): ›Rienzi von Richard Wagner wird eine der ersten Opern sein, die in Leipzig unter dem neuen Direktorat zur Aufführung kommen werden. Dieselbe Oper geht ehestens in Hamburg über die Bühne.‹


33 Am Théatre lyrique unter Carvalhos Direktion (erste Aufführung 6. April 1869).


34 Über die erste Aufführung des fliegenden Holländers hatte sich diese Zeitschrift folgendermaßen kurz gefaßt: ›Am 31. Dez. 1842 wurde in Leipzig A. Lortzings, am 2. Jan. 1843 Rich. Wagners neueste Oper gegeben; jene heißt: Der Wildschütz, diese: Der fliegende Holländer. Beide fanden Beifall.‹ Das war alles! Auch der ganze folgende Jahrgang bringt es nicht über einige unbedeutende Notizen. Kein Wort darüber, daß es sich um eine reichbegabte, hoffnungerweckende Erscheinung handele, deren Erstlingswerke bereits vor einem Jahrzehnt einer teilnehmenden Bewillkommnung seitens des Publikums und der Kritik in den Spalten desselben Organs gewürdigt worden waren! (Vgl. Band I, S. 151. 179.)


35 Vgl. einen Brief an Spohr vom Februar 1822 nach den ersten ›Freischütz‹-Aufführungen in der von Ferd. Hiller herausgegebenen Sammlung Hauptmannscher Briefe. Eine andere, ältere Sammlung ist an den ›Feen‹-Feind Franz Hauser (vgl. Band I, S. 197/99. 225. 235) gerichtet.


36 O. Eichberg, Zum fünfzigjährigen Jubiläum des ›Rienzi‹ (Bayr. Taschenbuch 1892, S. 51–85).


37 Theophrast, in der Zeitschrift ›Leipziger Reibeisen‹ (herausgegeben v. Robert Binder) Nr. 88 v. 24. Juli 1848.


38 C. O. Sternau, Kaleidoskop von Dresden (Magdeburg 1843) S. 13.


39 Der ›Komet‹, von Braun von Braunthal; der ›Planet‹, von dem Redakteur der Zeitschrift, Ernst Keil; die ›Rosen‹, von A. Hitzschold; vgl. auch die ›Dresdener Theaterdepeschen‹ von Florentin, die ›Allg. Theaterzeitung‹ usw. usw. Mit die voreingenommenste und unfreundlichste Stellung gab sich der spätere Begründer der ›Gartenlaube‹, der damals achtundzwanzigjährige Ernst Keil, in dem von ihm herausgegebenen Journal ›Unser Planet‹ (Leipzig, Weigand, seit 1838 von ihm redigiert). Er ging so weit, den in Dresden gewonnenen Erfolg der Werke Wagners für seine Leser schlechterdings in Abrede zu stellen. Nicht durch seine Musik, die der Melodie und Harmonie entbehre, sondern durch die Lobhudeleien einiger Journale sei der Komponist des ›Rienzi‹ und des ›fliegenden Holländers‹ zur Berühmtheit gelangt. Die Dresdener selbst wüßten gar nichts von dem ›begeisterten Beifall‹, von dem einige, dem Komponisten befreundete Blätter erzählten. ›Wagner hat viel studiert und gelernt‹, schließt der Artikel in Nr. 31 des ›Planeten‹ (Februar 1843), ›ist aber nichts weniger als ein Genie. Mit seinen Opern wird es gehen, wie mit den Dramen des jungen Deutschland; man hört sie ein-, auch zweimal, dann sind sie auf immer vergessen.‹ Leider hat der ebenso unmusikalische, als geschäftskundige ›Märtyrer der Preßfreiheit‹ die gleiche gehässige Haltung bis zum Ende seines Lebens (März 1878) mit gleicher, durch nichts zu belehrender Zähigkeit behauptet; erst von dem Augenblick seines Hinscheidens an hat die von ihm durch ein volles Vierteljahrhundert in allbekannter Weise geleitete vielgelesene Zeitschrift, selbst dem größten Unternehmen des Meisters gegenüber, ihre unverhohlene Feindseligkeit aufgegeben. Die ›Gartenlaube‹ hatte um die Zeit des Hingangs ihres Begründers ca. 500000 Abonnenten; ihre Leser zählten also nach Millionen. Sie rühmte sich, über den ganzen Erdball bis nach San Franzisko, dem Kap der guten Hoffnung, nach Hinterindien, Japan und China verbreitet zu sein. Sie hat demnach durch ihr Verhalten gegen Wagner, ihr jahrzehntelanges Verschweigen und Entstellen, die geistige Irreleitung von Millionen weithin zerstreuter Deutschen in der entscheidendsten Angelegenheit deutscher Kunst auf ihrem Gewissen.


40 Vgl. die ersten Proben solcher geschäftigen Lokalgerüchte Band I des vorliegenden Werkes, S. 462/63.


41 Man halte hiergegen den charakteristischen Ausspruch Wagners (Ges. Schr IX, 122), daß wir ›ganz gewiß fehlen würden, wenn wir glauben wollten, der Künstler könne überhaupt anders als bei tief innerer Seelenheiterkeit produzieren‹. – Auf der anderen Seite wird die seichte Albernheit eines derartigen journalistischen Spaßes dadurch nicht entschuldigt, wenn sich nachweisen ließe, daß die zugrunde liegende Beobachtung nicht einfach erlogen, sondern nur am unpassenden Platze in unpassender Form einem sensationslüsternen Zeitungsleserpublikum zuliebe vorgebracht wäre! Uns ist ein ganz ähnlicher Ausspruch des Meisters über den ›Ärger‹, der ›die Kräfte ansporne‹ und wobei ihm schon ›manches eingefallen‹ sei, aus recht später Zeit, nämlich volle drei Jahrzehnte nachher (24. Juli 1874) als authentisch garantiert. Im Genius wirken eben die verschiedenartigsten Antriebe immer dem gleichen Ziele zu.


42 Wagner, Ges. Schr IV, S. 37.


43 Briefe an Minna Wagner I, S. 25/26.


44 Vgl. O. Eichberg, ›der fliegende Holländer von Richard Wagner. Ein Jubiläumsbeitrag‹ (Bayreuther Taschenbuch 1893, S. 168).


45 Vgl. Band I des vorliegenden Werkes, S. 470 Anm., sowie das auf S. 42/43 dieses gegenwärtigen Bandes über Kassel Gesagte.


46 Briefe an Minna Wagner I, S. 27.


47 Band I des vorliegenden Werkes, S. 418.


48 Ebendaselbst, S. 424.


49 Ges. Schr. X, S. 401/02.


50 Vgl. in Band I des vorliegenden Werkes, S. 512/13 die so ausnehmend lehrreichen, ganze Bände sprechenden Erfahrungen Laubes an seinem ›Struensee‹!


51 Gesammelte Schriften, Band VIII, S. 333/34.


52 O. Eichberg, a.a. O., S. 171.


53 ›Zeitung für die elegante Welt‹ 24. Jan. 1844. Zu einem wunderlich wüsten Angriff gestaltet sich die fade Witzelei des ungenannten Kritikers der in den ›Künstlerkreisen‹ von Spree-Athen damals vielgelesenen Zeitschrift, Berliner Modenspiegel in- und ausländischer Originale (12. Jahrgang 1844 Nr. 3 vom 20. Jan.). Wo die ›Koryphäen‹ der Berliner kritischen Intelligenz den Tonangegeben, blieb dem Journal-Witzling nur noch die Variation des gegebenen Themas. ›Setzt, wenn ihr wollt, die alte Nacht in Musik mit ihren wilden Erzeugungen, wüsten Unförmlichkeiten und gräßlichen Ungeheuern; komponiert das Chaos, wo die Bildungen zwischen Unterdrückung und Empörung schwanken; stellt die hundertarmigen Riesen am Orchester auf, laßt die schrecklichen Cyklopen die Kesselpauken bearbeiten; peitscht den Cerberus, tretet dem zweiköpfigen Hund Orthrus auf den Schwanz und macht ihn heulen, bis die Erde in ihren innersten Tiefen über das Schicksal ihrer Kinder seufzt und auf Rache denkt; gebt uns statt Musik einen Stein in Windeln zu schlucken und laßt die Korybanten mit Spießen und Schildern dazwischen krachen, Instrumental- und Vokalmusik in einen gräßlichen Vernichtungskampf sich verwickeln, Orchestermassen und Sängerpersonal sich wechselseitig zerfleischen und würgen‹ – in diesem schwülstigen Tone ergeht sich der ungenannte Rezensent des Cosmarschen Blattes durch mehrere Spalten desselben, um den ›niederschmetternden Eindruck‹ zu schildern, den der ›fliegende Holländer‹ auf ihn hervorgebracht. Es sei die ›trostloseste Musik, die je gedichtet worden; vom Meer, dem Elemente des Gespenstes, habe sie nichts als das Einförmige, Unfruchtbare, das öde Gären eines ungestaltsamen Tonschwalles‹ usw.


54 Dresdener Abendzeitung vom 1. Februar 1844.


55 Gesammelte Schriften, Band IV, S. 347.


56 Am störendsten ist dem Literaten und Übersetzer französischer: Operntexte (u.a. Meyerbeers), daß sich Wagner selbst den Text seiner Oper verfaßt. Die Dichtergabe hätte der Künstler nicht in sich voraussetzen sollen: ›Die Götter schenken nicht zwiefach; auch nennt ihm die Kunstgeschichte keinen Vorgänger, der nach dem Kranze beider Musen hätte streben dürfen‹ Darum also? Bereits in seiner früheren Kritik hatte er hervorgehoben, daß selbst die ›sprachliche Gestaltung‹ der Holländer-Dichtung ein ›Kämpfen ohne Sieg‹ bedeute.


57 Man denkt dabei an Heines boshaften Witz über seinen berühmten Stammesgenossen: ›Meyerbeer wird unsterblich bleiben, so lange er lebt. Und auch ein bischen nachher, weil er im voraus bezahlt hat.‹ Dies galt nun an der Stätte seines Wirkens buchstäblich auch für seinen Einfluß.


58 Der Berliner Musikschriftsteller W. Tappert hatte frischweg auf den eben von uns erwähnten Gaillard und seine ›geistreiche Gattin Auguste‹ (!) geraten und auch andere in das gleiche Fahrwasser einer willkürlichen Vermutung verlockt.


59 Ferdinand Laban in der ›Deutschen Rundschau‹, Septemberheft 1900.


60 Auch dem Herzog von Meiningen war Professor Werder nahe befreundet; bei diesem traf ihn im Juli 1878 (in Bad Liebenstein) Hans von Bülow und erfreute sich seiner Bekanntschaft ›Ich hatte‹, so berichtet er seiner Mutter über diese Begegnung ›mit dem alten, unglaublich jungen, geistsprühenden Herrn ein nicht kürzer als drei Stunden währendes Aussprechungsgespräch, das für mich den Wert eines der angenehmsten Erlebnisse neuerer Zeit besitzen wird‹ (Bülow, Briefe V, S. 514/15).


61 Richard Wagners Briefe nach Zeitfolge und Inhalt (Leipzig, Breitkopf u. Härtel 1905) S. 29, Nr. 148.


62 Berliner Musikalische Zeitung 1844, Nr. 5.


63 Brieflich an Löbmann, 9. Dez. 1843.


64 Ges. Schr. IV, 339. Vgl. Pohl, Richard Wagner, S. 149: ›Trotzdem er, um ähnlichen Schicksalen (wie in den Pariser Leidensjahren) zu entgehen, nun ein Amt angenommen, hat doch die Sorge ihn nie verlassen. Er geriet in Dresden bald in pekuniäre Verlegenheiten, und zwar gerade durch seine Werke, die er damals, zunächst auf eigene Kosten, herausgeben mußte. Dies verschlang große, für ihn unerschwingliche Summen, während die Verleger später dabei reich geworden sind. Auch das ist eine alte Geschichte, die ewig neu bleibt.‹


65 O. Eichberg in seinem ›Holländer‹-Jubiläumsaufsatz (Bayreuther Taschenbuch 1893, S. 175).


66 Es ist nützlich, dies aus genauester Kenntnis des Sachverhaltes hervorzuheben, da z.B. R. Prölß in dem Kapitel ›Die Oper unter Richard Wagner‹ (Gesch. d. Dresd. Hoftheaters, S. 531 ff.), woraus man der Aufschrift gemäß ein halbwegs zutreffendes Bild der Dirigententätigkeit des Meisters erhalten zu können vermeinen sollte, die ablenkende Vermutung ausspricht (S. 541), die Initiative zu dieser Aufführung sei – nicht von dem angestellten Kapellmeister, sondern von Ed. Devrient (!) ausgegangen, dessen Eintritt in seine Dresdener Schauspieler- und Regisseur-Funktionen er übereinstimmend damit (S. 504), um ein volles Halbjahr (1. Januar 1844!) zurückdatiert!! Einen anderen Anhalt, als den Umstand, daß E. Devrient seiner Zeit Marschner die Textdichtung zu dieser Oper geliefert, kann Prölß für seine ganz willkürliche Hypothese nicht gehabt haben; trotzdem dehnt er sie (a. a. O.) sogar auf den ›Adolf von Nassau‹ mit aus, in beiden Fällen der tatsächlichen Dresdener Wirksamkeit Richard Wagners (trotz aller – so manchem imponierenden – direkten ›Aktenkenntnis‹) einen sehr charakteristischen Zug entziehend! Wie es hingegen in Wahrheit zugegangen, daß ›Hans Heiling‹ zehn Jahre hindurch nicht zur Aufführung gelangte, schildert Gutzkow im Anschluß an seine Charakteristik Reißigers, als ›Typus des deutschen Kapellmeisters, der einige Opern von sich hatte aufführen lassen, die keinen Erfolg erzielten und ihn dann zum geschworenen Feinde aller andern Opern außer den klassischen machten‹. ›Wenn von Marschners Bitten die Rede war‹, fährt er fort ›endlich doch seine seit Jahren angenommene Oper herauszubringen, rief Reißiger im gemütlichsten Tone und wie mit Tränen: »Aber, Exzellenz, da fehlt uns ja der hohe Alt!« Oder: »Exzellenz, ohne die Veltheim ist die Oper nicht möglich, und die will doch keiner mehr hören!« So lagen die Opern, seit Jahren angenommen, und kamen nicht heraus‹. (Gutzkow, Rückblicke S. 316.)


67 1841 in der ›Europa‹ durch Gambihler.


68 Der Tonkünstler Brauer.


69 9., 11., 14., 17., 23. Febr., 16. März, 29. Mai usw. ›Wir hatten auch Mendelssohns »Sommernachtstraum«, welchen Wagner für das Beste von diesem Komponisten hält; auch gab er sich damit die größte Mühe, wiewohl ihm des Komponisten unfreundliche Gesinnung wohlbekannt ist.‹ So zitiert Präger in seinem Buche einen angeblichen Brief Röckels vom Mai 1844, der sich schon dadurch als eine seiner phantasievollen Fälschungen ausweist, daß den soeben angeführten Worten der verräterische Passus vorausgeht. ›Hier hatten wir seitdem Marschners Hans Heiling und den Vampyr‹ – denn wohl ›Hans Heiling‹, keineswegs aber der ›Vampyr‹, stand damals auf dem Dresdener Repertoire! Das konnte also Röckel nicht geschrieben haben, ebensowenig den niedrigen Satz: ›Wiewohl ihm usw.‹ – Endlich hielt Wagner keineswegs die Musik zum ›Sommernachtstraum‹ für ›das Beste von diesem Komponisten‹, so wenig er ihr sonst seine Anerkennung entzog.


70 Vgl. Band I des vorliegenden Werkes, S. 385.


71 Briefwechsel zwischen Wagner und Liszt II, S. 180/81.


72 Dasselbe wurde erstmalig und auszugsweise, in der Zeitschrift ›Die Musik‹ (Jahrgang 5, Heft 21, S. 149 s.), von uns veröffentlicht.


73 Vgl. S. 5 dieses gegenwärtigen Bandes.


74 Betrübend genug war und blieb für den jungen Meister die Vorliebe des Hofes für die gefallsüchtig seichten Erzeugnisse der ›geschlechtslosen italienischen Opernmuse‹ mit ihren ›perfiden Kunststückchen und unausstehlichen Primadonnen-Zierraten‹, an deren Wiedergabe sowohl die Kapelle, wie ihr feuriger Leiter ihre Kräfte sinnlos zu verschwenden hatten. Und doch war es gerade bei solchen Anlässen einer Aufführung der ›Lukrezia Borgia‹, daß man durch Herrn Schladebach vernahm, oder es auch mit eigenen ›allerhöchsten‹ Ohren verspürte, ein beliebiges Duett darin sei durch unsichere Sänger ins Schwanken geraten und – ›da der Dirigent, Herr Kapellmeister Wagner, das Einhelfen unterließ – vollkommene Störung in die Szene gebracht worden‹. Oder, bei einer Darstellung der ›Norma‹ seien die Chöre unsicher, die Kapelle ermattet und unlustig gewesen, und Herr Wagner habe die mannigfachen Schwankungen auf der Bühne und im Orchester nur eben zu verdecken gewußt, – und was dergleichen mehr war.


75 Offenbar hatte Lüttichau diese beiden Namen genannt!


76 Nr. 5 und 7 vom 24. Febr. und 9. März bringen eine mit warmen Eingangsworten eingeführte Biographie Wagners (frei nach der ›autobiogr. Skizze‹ für Laubes Zeitung), Nr. 6 vom 2. März einen sehr guten Bericht über die beiden letztstattgefundenen Berliner Aufführungen des ›fliegenden Holländers‹ (am 23. und 25. Febr. unter Mitwirkung der Schröder-Devrient).


77 Vgl. Band I des vorliegenden Werkes, S. 256.


78 Briefe an Minna Wagner, S. 30/31.


79 Laut mündlicher Erzählung des Meisters (4. Juli 1878).


80 Die Tantièmen, von denen hier die Rede ist, waren noch nicht nach dem heute gewohnten festen Maßstab eingerichtet, sondern die Direktion hatte dieselben ganz in ihrer Hand. Es war eine generöse Einrichtung Direktor Cornets, daß er lebenden Autoren von jeder zehnten Vorstellung ihres Werkes das Drittel der Brutto-Einnahme als ›Tantième-Benefiz‹ zuwies. Daher er denn auch, wie die obige Briefstelle zeigt, in hoffnungsvollen Fällen immer gleich mit den runden Zahlen von 10 oder 20 Vorstellungen rechnete!


81 Briefe an Minna Wagner I, S. 32/33.


82 Man halte hierzu den gleichzeitigen Bericht in Koffkas ›Theaterzeitung‹ und die daran geknüpften Erwägungen: ›Musiker von Fach, und zwar tüchtige, schwer zu befriedigende Leute, mit denen ich mich hinsichtlich des Rienzi unterhielt, sind entzückt von dieser kolossalen Tondichtung und betrachten Wagner als ein Stück Morgenröte, welche uns die Ära einer neuen deutschen Oper unzweifelhaft verkündet. Sie behaupten: so wie man Gluck und Beethoven erst nach Jahren in der ganzen Glorie ihrer Originalität und ihres Verdienstes anerkannt habe, so werde auch Wagner mit seinem »Rienzi« erst in späterer Zeit die volle und ihm gebührende Würdigung seines Verdienstes finden. Übrigens war auch der unmittelbare Erfolg der Oper ein sehr bedeutender, und dem Komponisten, welcher bei den ersten Aufführungen sein Werk selbst dirigierte, ward jedesmal mehrfacher, stürmischer Hervorruf, den Wurda, als Repräsentant des Rienzi, fast immer teilte. Wurda ist freilich durch seine jetzt sehr geschwächten Stimmittel nicht mehr der Mann dazu, die Schönheiten einer, soviel Energie und Macht des Vortrags fordernden Oper in das günstigste Licht zu stellen. Einst freilich – – tempi passati! Bei Tichatscheks Gastspiel im nächsten Monat wird der »Rienzi« erst in voller Glorie seines Wertes und seiner Wirksamkeit erscheinen‹ (unterz. J. Mendelssohn). Einen ganz anderen Ton finden wir in dem absprechenden Bericht Theodor Hagens (Joachim Fels) in der ›N. Zeitschr. f. Musik‹ angeschlagen: ›Der Komponist hat sich Meyerbeers System anzueignen gewußt, ein System, das aus der Musik ein mathematisches Rechenexempel macht, nur tritt es bei Wagner krasser hervor als bei Meyerbeer.‹ Seine Musik wirke ›wie eine Theaterdekoration, wie ein Stück von Charlotte Birch-Pfeiffer, das Virtuosentum sei darin auf die Bühne verpflanzt‹ usw. ›Dagegen sei ein energischer Protest nötig, und er habe hiermit seine Pflicht erfüllt.‹ (N. Z. f. M. 1844, I, Nr. 32.)


83 Einen Brief an den Kapellmeister Krebs in Hamburg vom 17. Juni 1844, mit freundschaftlicher Anerkennung seiner Verdienste um die Aufführung, besitzt das Oesterleinsche ›Museum‹ (gegenwärtig zu Eisenach) sub Nr. 5614: ›Wertester Herr Kollege, zuvor meinen herzlichsten Gruß und die Versicherung, daß ich Ihrer mit großer Dankbarkeit eingedenk bin! Hoffentlich hat Ihnen Herr Cornet wiederholentlich meine Grüße und Dankbarkeits-Bezeigungen ausgerichtet‹ usw.

Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 2, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 40-87.
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