III.

Komposition des ›Tannhäuser‹.

[87] Grundstimmung des ›Tannhäuser‹: die hohe Tragik der Entsagung. – Neue Ausfälle der Kritik. – Komplott-Anekdote – Johanna Wagner. – ›Gruß der Getreuen an Friedrich August den Geliebten.‹ – Auf ›Fischers Weinberg‹: Arbeit am ›Tannhäuser‹. – Spontini in Dresden. – Einbringung der Asche Webers. – Vollendung der ›Tannhäuser‹-Partitur.


Dem Dichter ist es eigen, in der inneren Anschauung des Wesens der Welt reifer zu sein, als in der abstrakt bewußten Erkenntnis.

Richard Wagner.


Eine neuerdings1 ans Licht getretene Kompositions-Skizze zum ›Tannhäuser‹ mit vollständig untergelegtem Text und Angabe der Instrumente enthält zugleich an zahlreichen Stellen eingestreute Vermerke, wo und wann die einzelnen Szenen komponiert sind, und wann sie beendet wurden. So findet man auf der ersten Seite die Datierung: ›Dresden, November 1843.‹ Der szenische Entwurf war bereits im Sommer 1842 in Teplitz ausgeführt,2 die Dichtung im Frühjahr 1843 vollendet;3 und wie sich die spätere musikalische Komposition in ihrem Entstehen zu jenen ersten Anfängen und vorläufigen Skizzierungen verhielt, hat er selbst, mit spezieller Beziehung auf den ›Tannhäuser‹ in einem Briefe an Gaillard4 genau bezeichnet. ›Es ist bei mir nicht der Fall, daß ich irgend einen beliebigen Stoff wähle, ihn in Verse bringe und dann darüber nachdenke, wie ich auch eine passende Musik dazu machen wolle. Ehe ich daran gehe, einen Vers zu machen, ja eine Szene zu entwerfen, bin ich bereits in dem musikalischen Dufte meiner Schöpfung berauscht; ich habe alle Töne, alle charakteristischen Motive im Kopfe, so daß, wenn dann die Verse fertig und die Szenen geordnet sind, für mich die eigentliche Oper ebenfalls schon fertig, und die detaillierte musikalische Behandlung [88] mehr eine ruhige und besonnene Nacharbeit ist, der der Moment des eigentlichen Produzierens bereits vorausgegangen ist.‹ Allerdings ist das Verhältnis von Konzeption und Ausführung im vorstehenden mehr nur von einer bestimmten Seite her zur Darstellung gebracht, als freundliche Erwiderung auf die Frage, wie er – als Dichter und Musiker – dem Übelstande entgehe, sich zweimal für seinen Gegenstand zu begeistern; und der nachmals (bei der Komposition des ›Siegfried‹) ihm entfahrende Ausruf eigenen Erstaunens: ›Wunderbar! Erst beim Komponieren gehen mir die Geheimnisse meiner Dichtung auf!‹ in vollem Maße auch auf die Ausführung seiner früheren Werke zu beziehen. Ist doch das Wesen jeder wahrhaft künstlerischen Konzeption uns von Hause aus unfaßbar, wenn nicht als die Offenbarung von etwas durchaus Fertigem, ideell bereits Vorhandenem, und ihre Ausführung demnach als der sukzessive Einblick in das Wunderreich der künstlerischen Idee, gleichsam das Hinwegziehen eines Schleiers von dem Geheimnis des eigenen Innern (›was dort in keuscher Nacht dunkel verschlossen wacht‹), – mithin als ein ekstatischer Vorgang, der allerdings nicht durch eine zweimalige, sondern eine durchaus einmalige, nämlich anhaltende ›Begeisterung‹ ermöglicht wird! In gleichem Sinne berichtet er gerade im Rückblick auf die Entstehung seines ›Tannhäuser‹, er habe während dessen Ausführung wie unter dem anhaltenden Banne eines mächtigen Zaubers gestanden. ›Wie und wo ich meinen Stoff nur berührte, erbebte ich in Wärme und Glut; bei den großen Unterbrechungen, die mich von meiner Arbeit trennten, war ich stets mit einem Atemzuge ganz wieder in dem eigentümlichen Dufte, der mich bei der allerersten Konzeption berauschte.‹

Wohl wäre es eine verlockende biographische Aufgabe, jene genauen Daten der Kompositions-Skizze in ihrem Verhältnis zu den unserer Kenntnis offen liegenden Begebenheiten und Erfahrungen des gleichen Zeitraumes eingehend zu verfolgen, wogegen wir uns im folgenden mit einer bloß summarischen Übersicht dieser Verflechtungen begnügen müssen. Von größerer Wichtigkeit wird es uns dagegen sein, das Bild der Grundstimmung festzuhalten, die den Künstler während der Vollendung seines Werkes beseelte und erfüllte. ›Wenn im Tannhäuser (und Lohengrin) ein poetischer Grundzug ausgedrückt ist, so ist es die hohe Tragik der Entsagung, der wohlmotivierten, endlich notwendig eintretenden, einzig erlösenden Verneinung des Willens. Dieser tiefe Zug ist es, der meiner Dichtung, meiner Musik die Weihe gab, ohne die alles wirklich Ergreifende, was sie ausübt, ihnen nicht zu eigen werden konnte.‹5 Jenes unter scheinbar günstigen Verhältnissen neu gewonnene, wollüstig freudige Selbstgefühl6 der ersten Dresdener Zeit identifizierte ihn in seiner Empfindung unmittelbar mit seinem lebensfreudigen Helden, und [89] nur als der ›Wissende des Unbewußten‹ konnte er diesen, anstatt ihn – dem alten Liede gemäß – trotzig und unerlöst in den Venusberg zurück zu geleiten, vielmehr durch das heiligste Opfer entsagender Liebe der göttlichen Erlösung zuführen, ja in der wunderbaren Gestalt seiner jugendlichen Heiligen das intuitiv erschaute Phänomen der Heiligkeit, der ›Verneinung des Willens‹ selbst, durch alle Phasen ›bis zum endlichen Erblühen der todesdustigen Blume‹ zur innigst ergreifenden Anschauung gelangen lassen.

Jene das ganze Kunstwerk in sich umfassende Grundstimmung während seines Entstehens kann, bis in ihre letzten und feinsten Züge, nicht eindringlicher in Worte und Begriffe gefaßt und die inneren und äußeren Schicksale des Künstlers, selbst ohne Berührung einzelner Tatsachen, nicht vollkommener zum Ausdruck gebracht werden, als es in der – Wort für Wort so höchst bedeutungsvollen – Schilderung in der ›Mitteilung an meine Freunde‹ geschieht. Auch ohne Erwähnung einzelner Tatsachen finden wir doch alle Begebenheiten und Erfahrungen dieser Epoche, sowohl die bereits betrachteten als die noch folgenden, auf das kenntlichste darin widergespiegelt. ›Durch die günstige Veränderung meiner äußeren Lage, durch die Hoffnungen, die ich auf ihre noch günstigere Entwickelung setzte, endlich durch persönliche, in einem gewissen Sinne berauschende Berührungen mit einer mir neuen und geneigten Umgebung, war ein Verlangen in mir genährt, das mich auf Genuß hindrängte, und um dieses Genusses willen mein inneres, unter leidenvollen Eindrücken der Vergangenheit, und durch den Kampf gegen sie, in mir gestaltetes Wesen von seiner eigentümlichen Richtung ablenkte. Ein Trieb, der in jedem Menschen zum unmittelbaren Leben hindrängt, bestimmte mich in meinen besonderen Verhältnissen als Künstler nun in einer Richtung, die mich wiederum sehr bald und heftig anekeln mußte. Dieser Trieb wäre im Leben nur zu stillen gewesen, wenn ich auch als Künstler Glanz und Genuß durch vollständige Unterordnung meines wahren Wesens unter die Anforderungen des öffentlichen Kunstgeschmackes zu erstreben gesucht hätte. Ich hätte mich der Mode und der Spekulation auf ihre Schwächen hingeben müssen, und hier, an diesem Punkte, wurde es meinem Gefühle klar, daß ich beim wirklichen Eintritte in diese Richtung vor Ekel zu Grunde gehen müßte. Sinnlichkeit und Lebensgenuß stellten sich somit meinem Gefühle nur in der Gestalt dessen dar, was unsere moderne Welt als Sinnlichkeit und Lebensgenuß bietet; und als Künstler mir erreichbar wiederum nur in der Richtung, die ich bereits als Ausbeutung unseres elenden öffentlichen Kunstwesens kennen gelernt hatte. Wandte ich mich hiervon mit Widerwillen ab, und verdankte ich die Kraft meines Widerwillens nur meiner bereits zur Selbständigkeit entwickelten, menschlich künstlerischen Natur, so äußerte sie sich, menschlich und künstlerisch, notwendig als Sehnsucht nach Befriedigung in einem höheren edleren Elemente, das, in seinem Gegensatze zu der einzig unmittelbar erkennbaren Genußsinnlichkeit [90] der mich weithin umgebenden modernen Gegenwart in Leben und Kunst, mir als ein reines, keusches, jungfräuliches, unnahbar und ungreifbar liebendes erscheinen mußte. Was endlich konnte diese Liebessehnsucht, das Edelste, was ich meiner Natur nach zu empfinden vermochte, wieder anderes sein, als das Verlangen nach dem Hinschwinden aus der Gegenwart, nach dem Ersterben in einem Elemente unendlicher, irdisch unvorhandener Liebe, wie es nur mit dem Tode erreichbar schien?‹ ... ›Es war eine verzehrend üppige Erregtheit, die mir Blut und Nerven in fiebernder Wallung erhielt, als ich die Musik des Tannhäuser entwarf und ausführte. Meine wahre Natur, die mir im Ekel vor der modernen Welt und im Drange nach einem Edleren und Edelsten ganz wiedergekehrt war, umfing wie mit einer heftigen und brünstigen Umarmung die äußersten Gegensätze meines Wesens, die beide in einen Strom: höchstes Liebesverlangen, mündeten. Mit diesem Werke schrieb ich mir mein Todesurteil: vor der modernen Kunstwelt konnte ich nun nicht mehr auf Leben hoffen. Dies fühlte ich; aber noch wußte ich es nicht mit voller Klarheit: – dies Wissen sollte ich mir erst noch gewinnen.‹7 – – –

Von seinem vierzehntägigen Hamburger Ausfluge zurückgekehrt, traf er Karl Gutzkow in Dresden an, der hier soeben (18. März) mit seinem Schauspiel ›Zopf und Schwert‹ eine glänzende Aufnahme beim Publikum gefunden. Ein wichtigeres Ereignis war der mit dem 1. April sich vollziehende Wiedereintritt der Schröder-Devrient in den Dresdener Künstlerverband, wodurch sich die ein volles Jahr unterbrochen gewesenen persönlichen Beziehungen zu der von ihm aufrichtig bewunderten Frau erneuerten. Seine erste Betätigung nach der Rückkehr aus Hamburg galt dem am 31. März stattfindenden alljährlichen Palmsonntag-Konzert für den Witwen- und Waisenfonds in den großen, einst prächtigen, nun allerdings sehr abgenützten, teilweise verwitterten Räumen des ›alten Opernhauses‹. Da im Vorjahre die Leitung dieses Konzertes noch in den Händen Mendelssohns und Reißigers gelegen hatte (S. 24), so war es das erste Mal, daß seine Funktion zu diesen Konzerten herangezogen wurde. er wählte sich dafür die Pastoral-Symphonie. Die Beschäftigung mit dem weihevollen Werke, in dessen Klängen ›die Welt ihre Kindesunschuld wiedergewinnt‹, entrückte ihn in tief wohltuender Weise den Ansprüchen des Theaterdienstes. ›Mit mir seid heute im Paradiese – wer hörte sich dieses Erlöserwort nicht zugerufen, wenn er der Pastoral-Symphonie lauschte?‹8 ›Beethovens geniales Tongemälde erschien unter Wagners Leitung in einer neuen, ganz eigentümlichen Beleuchtung; egoistische Musikpedanten werden freilich mit der Wahl der Tempi usw. nicht immer [91] einverstanden sein‹, lesen wir darüber in einem gleichzeitigen Bericht der Leipziger Allg. Mus. Zeitung.

Da das Palmsonntag-Konzert die üblichen vierzehntägigen Theaterferien einleitete, fand er nach den Beunruhigungen des Hamburger Ausfluges die erste Möglichkeit, der seit länger unterbrochenen Arbeit am ›Tannhäuser‹ sich zuzuwenden. Dem Wiedereintritt der Schröder-Devrient folgte (am 14. April) alsbald auch ihr erstes Auftreten als ›Armida‹, in derselben Rolle, in der sie das Jahr zuvor zuletzt vor den Dresdenern erschienen war. Es war Wagner geglückt, bei diesem Anlaß eine neue Aufstellung des Orchesters, insbesondere der zuvor höchst ungeschickt placierten Bässe durchzusetzen; Dirigent und Sänger hatten es außerdem an nichts fehlen lassen, dem in Dresden so warm aufgenommenen edlen Werke gerecht zu werden. Dennoch ward ›Armida‹ für jetzt nur einmal wiederholt; das von der Intendanz durch eine prächtige antike Ausstattung nach Sempers Angaben geförderte, lebhaftere Interesse des Dresdener Publikums an der damals ganz neuen ›Antigone‹, mit den Mendelssohnschen Chören (seit dem 12. April in 10 Tagen fünf Mal wiederholt), hielt das Interesse an Glucks Meisterwerk für diesmal in Schranken. Sein ebenerwähnter Versuch zur Beseitigung längst empfundener Mängel in der Orchester- Aufstellung rief abermals den Widerspruch der Kritik hervor: es hieß, die veränderte Aufstellung der Bässe dränge die Bratschen zurück, und diese verlören dadurch an akustischer Wirkung. Es macht sich als eine recht unerfreuliche Erscheinung bemerkbar, mit welcher erbitterten Konsequenz diese fast einen jeden Schritt, den er nach bester, wohlbegründeter Überzeugung tat, mit denselben kurzsichtigen oder böswilligen Äußerungen begleitete. Eine Aufführung des ›Titus‹ am 3. Mai, in welcher die Schröder-Devrient den Sextus sang,9 gab den Anlaß zu besonders heftigen Ausbrüchen von dieser Seite her; die alten törichten Beschuldigungen, die das Jahr zuvor in Anlaß der ›Don Juan‹-Aufführung erhoben worden waren, gipfelten hierbei in einem besonderen tendenziösen Artikel der ›Neuen Zeitschrift für Musik‹ aus Schladebachs Feder: ›Herr Kapellmeister Richard Wagner und Mozart.‹ Was mochte sich dieser Kritiker wohl unter dem ›Geiste Mozarts‹ vorstellen, wenn er sich darüber beschwert, daß sich Wagner ›durchaus nicht in denselben‹ versetzen könne? Gegenüber den eigenen späteren Darlegungen des Meisters [92] über den Vortrag Mozarts darf getrost angenommen werden, es sei damit kein anderer Geist als der gewohnte Reißigers oder der aus dem Grabe beschworene Morlachis gewesen! Werden wir durch diese Berufung nicht vielmehr ganz unmittelbar an jene ›Rokokopuppe‹ gemahnt, zu der sich (nach Chamberlains treffendem Wort) ›Mozarts großer, zu den freiesten Taten hinausstrebender Geist zusammenschnüren lassen mußte, um – nach vollzogener Operation – als ewig unabsetzbarer Monarch aller papierschwärzenden Klavier-und Kapellmeister auf den Thron der Philistermusik erhoben zu werden?‹ Was wußten diese Taktschläger und Papierschwärzer aus eigener innerer Erfahrung von dem göttlichen ›Licht- und Liebesgenius‹ Mozarts? Wiederum finden wir Wagner der ›Selbstüberschätzung‹ geziehen und alle von ihm für nötig gehaltenen Modifikationen des Vorgefundenen einem ›Eigensinn‹ zugeschrieben, der, wie sich die Stimme des Rezensenten mit Emphase erhob, wenigstens den Werken jenes unsterblichen Meisters gegenüber sich nicht zeigen sollte! Sogar die alberne Unterstellung, wonach er sich bei jener früheren ›Don Juan‹-Aufführung auf die Pariser Tempi berufen habe, wird von neuem vorgebracht, da dieses selbstgeschaffene Gespenst sich am leichtesten bekämpfen ließ.10 Was bedeutete [93] nach solchen Vorwürfen die heuchlerische Anerkennung des ›besten Willens‹? der Zuruf des ne quid nimis? Konnte, was im einzelnen zu billigen war und dann doch nur sorgfältige Beachtung der gegebenen Vorschriften oder seines Herausfühlen des bloß Angedeuteten sein konnte, wirklich zu weit getrieben sein? In demselben Zusammenhang findet sich aber der gleiche Vorwurf ungerechtfertigter ›Neuerungslust‹ auch noch auf eine kurz zuvor (28. April) stattgehabte Aufführung der ›Euryanthe‹ erhoben: ›bei dieser Oper wenigstens müßte doch die einst von Weber selbst geleitete Kapelle die richtigen Tempi fest und entschieden bewahrt haben!‹ Nun bieten uns aber glücklicherweise die eigenen Erinnerungen des Meisters gerade hinsichtlich der Traditionen Weberscher Musik den vollgültigen Beweis des Gegenteils: ›Als ich‹, so erzählte er ›achtzehn Jahre nach des Meisters Tode (1844) zum ersten Male selbst in Dresden den Freischütz dirigierte, und hierbei, unbekümmert um die unter meinem älteren Kollegen Reißiger bisher eingerissenen Gewohnheiten, auch das Tempo der Einleitung der Ouvertüre nach meinem Sinne nahm, wendete sich ein Veteran aus Webers Zeit, der alte Violoncellist Dotzauer,11 ernsthaft zu mir und sagte mir: »Ja, so hat es Weber auch genommen; ich höre es jetzt zum ersten Male wieder richtig.« Von seiten der damals noch in Dresden lebenden Witwe Webers trug mir diese Beurkundung meines richtigen Gefühles für die Musik ihres lange verschiedenen Gemahls wahrhaft zärtliche Wünsche für mein gedeihenvolles Verharren in der Dresdener Kapellmeisterstellung ein, weil sie nun der so lange schmerzlich verlorenen Hoffnung sich von neuem hingeben dürfe, jene Musik in Dresden richtig wieder aufgeführt zu wissen.‹12

Kann es uns nicht von fern in den Sinn kommen, in der Darstellung von Wagners Leben die Art, wie der Schöpfer des soeben im Werden begriffenen ›Tann häuser‹ Mozarts und Webers Werke szenisch ins Leben rief, gegen seinen damaligen obskuren Rezensenten nachträglich in Schutz nehmen zu wollen, so halten wir es dagegen der geschichtlichen Darstellung nicht unangemessen, den völligen Unwert dieser eifrigst beflissenen Anfeindungen durch einen kurzen Hinweis zu dokumentieren. Die vorsichtig zurückhaltende Wendung des Kritikers bekundet klar, daß er durch eigene Erinnerung über die Tradition der Weberschen Vortragsweise in keinem Fall ein selbständiges Urteil hatte. Dagegen lieh er sich offenbar den oft mehr trivialen, als böswilligen Einbläsereien kollegialischen Neides mit Behagen zum Sprachrohr her. In dem ganzen Schladebachschen Artikel mit seiner, schon durch die Verallgemeinerung aufreizenden Überschrift ist demnach nur ein einziger Passus geschichtlich merkwürdig: die Erwähnung des Umstandes, daß das Orchester[94] – man denkt unwillkürlich an dessen eigenwilligen ersten Konzertmeister! – gegenüber dem Zeitmaß des Dirigenten seinerseits zum Teil in das gewohnte Tempo verfallen und dadurch, auf Momente wenigstens, ein buntes Durcheinander entstanden sei! Lebhaft vergegenwärtigt uns dies von neuem die bereits erwähnte Klage des Meisters (S. 26), wonach er so oft gerade zu Vorstellungen Mozartscher Werke ohne vorausgegangene Probe aushilfsweise an die Spitze des Orchesters habe treten müssen und in solchem Falle, statt einer konsequenten Durchführung des von ihm gemeinten Vortrages, nur dafür zu sorgen gehabt habe, daß die Aufführung ›so glatt und ungestört als möglich vorübergehe‹. Charakteristisch ist in dieser Beziehung jene, auf die Vorstellung der ›Entführung‹ am 9. Mai bezügliche Anekdote aus den ›Denkwürdigkeiten eines Dresdener Musikers‹. An einem Sonntag Abend (es kann nur der 5. Mai 1844, zwei Tage nach der ›Titus‹-Aufführung, gewesen sein) sei dieser zwischen den Kulissen des Dresdener Hoftheaters, bloß durch eine bemalte Leinwand davon getrennt, der unfreiwillige Zeuge eines heftig, aber leise geführten Gespräches zwischen Reißiger, Lipinski und dem Kammermusikus Kotte13 gewesen, dem er erst von dem Augenblick an Aufmerksamkeit zugewendet, als er Wagners Namen öfter mit Heftigkeit nennen hörte. Das Thema der erregten Unterhaltung sei dessen ›leidige Popularität‹ gewesen: ›es möchte dem Publikum nur einmal Gelegenheit geboten werden zu sehen, daß er vielleicht seine eigenen, durchaus aber nicht klassische Opern zu dirigieren verstehe, dann werde seine Überschätzung schon bald ihr Ende finden‹. Immer leidenschaftlicher habe der ›schlaue Pole‹, unterstützt von seinem Kollegen Kotte, seine hämische Kritik an Wagners Dirigentenfähigkeit geübt, während Reißiger, mehr in abwartendem Schweigen verharrend, die Kundgebung der ihm so willkommenen Gesinnung mit freundlich würdevoller Behäbigkeit entgegennahm. Hierdurch ermutigt, begannen die beiden Herren nun zu ganz positiven Vorschlägen überzugehen: Reißiger solle am nächsten Donnerstag, für welchen Abend Mozarts ›Entführung‹14 angesetzt war, sich kurz vor der Vorstellung krank melden, dann sei Wagner genötigt, unvorbereitet die Leitung zu übernehmen und das erwünschteste Fiasko für ihn unausbleiblich. ›Ich hörte keinen Widerspruch von seiten Reißigers, auch keine Zustimmung. Die Vorstellung sollte beginnen, und ich verließ meinen [95] Platz, ohne erfahren zu haben, was nun geschehen würde. Mit begreiflicher Spannung sah ich dem kommenden Donnerstag (9. Mai) entgegen. Er kam heran, ohne im Verlauf des Tages die Meldung einer Repertoireänderung zu bringen. Eine halbe Stunde vor Beginn der Vorstellung traf ich am Orchester-Eingang den Kapelldiener aufgestellt, der jedem Kommenden mitteilte, Herr Kapellmeister Wagner, der heute wegen Erkrankung Reißigers die Leitung der Oper übernommen, lasse die Herren ersuchen, sich vor Beginn im Stimmzimmer zu versammeln, woselbst er ihnen eine Mitteilung zu machen habe. Diese Mitteilung bestand darin, daß sich Wagner u.a. die besondere Aufmerksamkeit des Orchesters für das zweite Finale erbat, welches er im Tempo gerade noch einmal so schnell als sein Kollege Reißiger nehme. Die Sänger seien vorbereitet, von dem vortrefflichen Orchester erwarte er, daß auch ohne Probe diese allerdings gänzlich veränderte Wiedergabe des Finales bei der nötigen Aufmerksamkeit gelingen werde. Diese Vorstellung der Oper zeigte nun, durch das unvergleichlich poesievolle Mozart-Verständnis Wagners getragen, eine ganz andere Physiognomie als ihre Vorgängerinnen. Das Publikum erwies sich hierfür empfänglich und wurde von Nummer zu Nummer animierter. Das bewußte Finale aber, sonst immer ohne sonderliche Wirkung ausgeführt, entfesselte heute einen wahren Beifallssturm. ‹ ›Reißigers Gesundheit‹, so schließt der Erzähler ›wurde seit diesem Abend zuverlässiger, so daß Wagner nie wieder eine seinem Kollegen, »zugehörige« Oper zu übernehmen in die, für diesen unbehagliche Lage geriet.‹15

Um die Mitte Mai hatte er die Freude, seine Nichte Johanna und seinen Bruder Albert in Dresden zu begrüßen. Einige Tage vor dem einunddreißigsten Geburtstage des Meisters war sie mit dem Vater eingetroffen, um am Hoftheater auf Engagement zu gastieren. Mit Freude erblickte er in ihr, die er zuletzt als Kind gesehen, ein zu blühender Schönheit entwickeltes siebzehnjähriges junges Mädchen von schlankem hohem Wuchse, schöner Stimme und ausgesprochener dramatischer Befähigung. Der Kern ihrer Stimme war ein ausgezeichneter Mezzo-Sopran; für die Kraft war die vollste Höhe da, die sich, behutsam von ihrem Vater gepflegt, immer leichter zu entwickeln versprach. Sie hatte sich, nachdem sie die Bühne zuerst in Ballenstedt als [96] Abigail in Scribes ›Glas Wasser‹ betreten, nach einem glücklichen Erfolge als Catarina Cornaro in Halévys ›Königin von Cypern‹ ganz der Oper gewidmet und gastierte jetzt auch in Dresden als Glied des herzogl. Bernburgschen Opernverbandes. ›Ich gestehe, eine schönere Stimme noch nicht gehört zu haben‹, berichtet Wagner bald darauf über sie; ›was mich aber besonders freut, ist das Gefühl, die Wärme und das dramatische Geschick, wodurch sich schon jetzt ihre Leistungen auszeichnen. Ein Glück für sie, daß sie hier noch die Devrient hören und sehen kann, um sich an ihren Vorzügen zu bilden.‹ Die erste Gelegenheit dazu fand sie in einer Vorstellung des ›Rienzi‹ am Vorabend des 22. Mai, in welcher die große Künstlerin die Partie des Adriano wieder übernommen hatte und zum ersten Male seit ihrem Wiedereintritt in ihrer genialen Weise verkörperte. Zwei Tage später, am Donnerstag den 23., nannte der Dresdener Theaterzettel zu einer Vorstellung von ›Maurer und Schlosser‹ in der Rolle der Irma: ›Fräulein Wagner vom Herzogl. Hoftheater zu Bernburg als Gast.‹ Der Irma folgte noch in derselben Woche (25. Mai) die Agathe und unmittelbar darauf, unter Befürwortung Wagners, ihr Engagement.16 ›Ich habe, als ich sie hierherzog, rein aus Rücksichten für unsere Oper, nicht im mindesten aber aus verwandtschaftlicher Fürsorge gehandelt‹, äußerte er sich brieflich gegen Spohr ›ich war wirklich froh, endlich ein junges Talent gefunden zu haben, wie sie leider jetzt so sehr selten sind, wie sie aber den deutschen Opern-Komponisten nottun.‹17 Die Folgezeit bestätigte seine Voraussicht. Mit sicherem Blick hatte er in ihr seine zukünftige ›Elisabeth‹ erkannt. Schon am 2. Juni gab sie ihre erste Debüt-Vorstellung als Irma, eine Woche darauf (Sonntag den 9. Juni) die Donna Elvira in einer von Wagner geleiteten Aufführung des ›Don Juan‹. Um diese Zeit, gegen Ende Juni, waren auch, nach mannigfacher Beanspruchung des Meisters im Interesse der Sache, die Vorbereitungen zu dem Projekt der Heimführung von Webers Asche so weit vorgeschritten, daß das Komitee seinem Bankier ein genügendes Kapital aufweisen konnte, um die Übersiedelungskosten, sowie die Herstellung einer geeigneten Gruft mit entsprechendem Grabmal zu bestreiten und auch noch einen Grundstock für ein dereinst zu errichtendes Standbild übrig zu behalten. Der ältere der beiden Söhne, Max Maria von Weber, reiste selbst nach London, um den Sarg des Vaters abzuholen und in die Heimat zurückzugeleiten.

[97] Hatte sich der junge Meister im vorausgehenden Sommer im Genuß eines mehrwöchigen Urlaubes in Teplitz völlig von aller Amtstätigkeit ausspannen können, so ward es ihm in diesem Sommer nicht so wohl: es gab bis in den August hinein eine anspruchsvolle Saison, und erst spät durfte er sich auf einem der anmutigen Weinberge an der Elbe in der Nähe der Stadt eine Erholung von allen Anstrengungen vergönnen. Am 14. Juli gelangte Webers ›Oberon‹ mit der Schröder-Devrient als Rezia und Tichatschek als Hüon nach längerer Pause neu einstudiert, bei erhöhten Preisen und zahlreichem Publikum zur Vorstellung und im Laufe desselben Monats, nur durch eine ›Rienzi‹-Aufführung (26. Juli) unterbrochen, zu sechsmaliger Wiederholung. Noch ein anderes unscheinbares Ereignis bedarf der Erwähnung: die erste Vorführung der ›Faust-Ouvertüre‹ am 22. Juli 1844 in einem der regelmäßig alljährlich im Palais des großen Gartens zum Besten der Armen veranstalteten Konzerte.18 Wohl kann es wundernehmen, daß uns in Anknüpfung an diesen Vorgang durchaus nichts unmittelbar überzeugendes von einem etwaigen tiefgehenden Eindrucke des Werkes auf die damaligen Dresdener Zuhörer überliefert ist; nachträgliche Schilderungen kommen unter diesem Gesichtspunkt weniger in Betracht. Die mancherlei sonderbaren Mißverständnisse, zu denen dieses Tonstück wiederholt solchen Hörern Veranlassung gegeben hat, welche trotz seines ganz bestimmten Mottos, willkürlich Situationen aus Goethes ›Faust‹ in das Stimmungsbild hinein interpretierten, blieben auch diesmal nicht aus. Die geniale Tonschöpfung, in ihrer streng psychologischen Entwickelung ein wahres ›Drama in Tönen‹, in welchem, nach Bülows Ausspruch, jede Note mit Dichterblut geschrieben ist, wurde als ›Berliozsche Programm-Musik‹ abgetan. ›Der Hohn Mephistopheles‹, Gretchens versöhnende Erscheinung und ähnlicher Unsinn spukten schon damals verwirrend in den Köpfen der Rezensenten. Das gleiche Schicksal erfuhr die Ouvertüre bei ihrer Wiederholung am 19. August.19

Zu einer traulichen patriotischen Feier gab um diese Zeit die Rückkehr König Friedrich Augusts von seiner Reise nach England Veranlassung. Für diesen Zweck entstand des jungen Meisters schnell entworfener schwungvoller Begrüßungshymnus: ›Gruß seiner Treuen an Friedrich August den Geliebten‹, in dessen warm begeisterten, volkstümlichen Klängen:


3. Komposition des »Tannhäuser«

[98] sich die Melodie des Einzugs der Gäste auf Wartburg gleichsam rhythmisch präformiert. ›Unter Anführung Reißigers und Wagners fuhren in der Frühe des 12 August über 200 Sänger und 106 Instrumentalisten nach dem Lustschloß Pillnitz, um in den schönen Anlagen der königlichen Sommerresidenz dem heimgekehrten Monarchen die Strophen des von Wagner komponierten Vaterlandsliedes vorzutragen‹, so lesen wir in den gleichzeitigen Nachrichten mit der Hinzufügung, der König habe sich ›sehr anerkennend über das treffliche Musikstück ausgesprochen‹. Ausführlicher berichtet darüber Kietz in seinen liebenswürdigen Wagner-Erinnerungen auf Grund eingehender Mitteilungen des mit anwesenden Kammermusikers Hübler. Die Wirkung dieser Aufführung auf dem großen freien und doch geschlossenen Platze vor dem Palais sei eine außerordentliche gewesen. Sänger und Musiker stellten sich in dem großen, durch Bosketts geschlossenen Mittelraume des kgl. Lustschlosses auf, um unter Reißigers Leitung, da sich der junge Meister selbst, nachdem er die ganze Einstudierung geleitet, bescheiden unter die Tenoristen gestellt, in der begeisterten Huldigungsmusik Richard Wagners ihren Gruß darzubringen. Nach Schluß des Gesanges, während sich in des Königs Gesicht eine tiefe Rührung und Ergriffenheit malte, wurden beide Kapellmeister, der komponierende und der dirigierende, vor den König gefordert, der ihnen in herzlichster Weise für die dargebrachte Huldigung dankte und um die Wiederholung der drei letzten Verse bat. ›Hierauf ordnete nun Wagner in seiner feinsinnigen Weise, die bei jeder Gelegenheit hervortrat, schnell an, daß die Sänger und Musiker, während der Wiederholung des Hymnus den großen Raum umschreitend, an dem König vorüber, langsam den Ausgang gewinnen sollten, so daß die letzten Klänge, leise und immer leiser verhallend, sich in der Ferne verloren. Das war von einer wundervollen Wirkung.‹20

Nachdem gegen Ende des Monates endlich auch die zeitraubenden Korrekturen der Klavierauszüge des ›Rienzi‹ und des ›fliegenden Holländers‹ völlig [99] absolviert waren,21 gelang es dem Meister, sich in die ländliche Stille seines bereits erwähnten Weinberges am Elbufer zu flüchten. Hier endlich konnte sein großes neues Werk ungestört zu wachsender Vollendung gedeihen. Wie gutgelaunt er über diese endlich gewonnene Freiheit war, das beweist ein Briefchen an den Hamburger Direktor Cornet vom 29. August. ›Wertester Freund, soeben erfahre ich durch Tichatschek, daß Sie in seinen Vorschlag eingewilligt haben, schon die achte Vorstellung des »Rienzi« zu meinem Tantième-Benefiz zu geben. Erlauben Sie mir, lieber Cornet, daß ich Ihnen darüber eine Rede halte. Als Gott das Hamburger Theater schuf, sprach er: »es ist billig, daß die Autoren ein Honorar erhalten«. Als er sah, daß dies gut war, legte er sich nieder und schlief. Da fiel es eines Winterabends Ihnen ein, den lieben Gott noch zu übertreffen, und Sie sagten: »Die Autoren sollen auch von jeder zehnten Aufführung ihres Werkes das Drittel der Brutto-Einnahme als Tantième-Benefiz erhalten«22 Da sprach Gott: »Der Cornet ist ein Teufelskerl, – aber er hat's gut gemacht.« Als er sich davon überzeugt hatte, schlief er wieder ein. Herr Wurda, ein Tenorist, legte sich um diese Zeit auch aufs Schlafen und von einer Oper »Rienzi« konnten in einer gewissen Zeit nur 6 Vorstellungen herauskommen, anstatt daß es 8 hätten sein sollen – ja, von diesen sechs Vorstellungen soll eine, wie gelegentlich in Erfahrung gebracht worden ist, sogar sehr leer gewesen sein. Cornet wollte aber, daß der vielgeprüfte Autor des »Rienzi« die erste ihm zugute kommende Benefizvorstellung mit Tichatschek, einem gewissen prächtigen Kerl, haben sollte, und zwar aus dem schönen Grunde, daß die Einnahme so stark wie möglich ausfalle; die zehnte Vorstellung war aber nicht heranzubringen. Da sagte Cornet: »Der Autor habe die achte Vorstellung.« Da fielen im Himmel Trompeten, Pauken, Posaunen und große Trommel ein; Gott erwachte, sah und sprach: »Wahrlich, wahrlich, ich sage Euch! wenn ich nicht der liebe Gott wäre, so möchte ich Cornet sein.« Er hat mir aufgetragen, Ihnen das zu berichten und außerdem Ihnen meinen schönsten Dank dafür zu sagen. Er will Ihre schöne Handlung belohnen, Ihre Einnahmen mehren wie Sand am Meere, Ihnen gute Opern und Stücke wachsen lassen wie Gras auf der Aue, und mit nächster Gelegenheit Ihnen sogar einmal einen tüchtigen Heldentenor ins Engagement schicken. »Mehr kann ich nicht«, sagte er – legte sich auf die Seite und schlief wieder ein. Aber ich richte es Ihnen aus: der Herr ist mit Ihnen im Wachen und im Schnarchen. Freuen Sie sich. Amen!‹

[100] In sein immer gastlich offenes Haus auf ›Fischers Weinberg‹ an der Elbe hatten ihn, außer seiner Frau, auch für zeitweiligen Besuch die beiden Töchter seines Bruders Albert, Johanna und Franziska, begleitet und wurden Zeuginnen seiner tieferregten Beglückung durch die ihn beschäftigende Arbeit an der musikalischen Ausführung des ›Tannhäuser‹. Nach ihren mündlichen Berichten seien die frühesten Morgenstunden regelmäßig seiner Komposition bestimmt gewesen: wenn die Hausgenossen um acht Uhr sich von der Nachtruhe erhoben, habe er immer schon mehrere Frühstunden der Arbeit gewidmet gehabt und sei dann, auf den gemeinsamen Morgenspaziergängen durch Tal und Höhen der waldigen Umgebung, immer so heiter aufgelegt gewesen, daß ihnen die gemeinsam verbrachten Tage und Wochen dadurch für immer unvergeßlich geblieben wären. über die Art seines Schaffens am ›Tannhäuser‹ spricht sich Wagner in bezeichnender Weise eingehend aus. In Erinnerung an den ungemein starken Eindruck, den sein ›fliegender Holländer‹ in Berlin auf Einzelne gemacht, habe er von hier ab beim künstlerischen Schaffen immer mehr das eigentliche ›Publikum‹ aus den Augen verloren: ›die Gesinnung einzelner, bestimmter Menschen nahm für mich die Stelle der nie deutlich zu fassenden Meinung der Masse ein, die mir – in diesem Bezuge noch ganz Gedankenlosem – bis dahin in unbestimmtesten Umrissen als der Gegenstand vorgeschwebt hatte, an den ich mich als Dichter mitteilte. Das Verständnis meiner Absicht ward mir immer deutlicher zur Hauptsache, und um dies Verständnis mir zu versichern, wandte ich mich unwillkürlich nun eben nicht mehr an die mir fremde Masse, sondern an die individuellen Persönlichkeiten, die mir nach ihrer Stimmung und Gesinnung deutlich gegenwärtig waren. Diese bestimmtere Stellung zu denen, an die ich mich mitteilen wollte, übte von nun an einen sehr wichtigen Einfluß auf mein künstlerisches Gestaltungsvermögen. Ich empfand, den Erscheinungen der modernen Theaterkunst gegenüber, wohl den bedeutenderen Inhalt meiner bisherigen Schöpfungen, zugleich aber auch das Unbestimmte, oft Undeutliche der Gestaltung dieses Inhaltes, dem die notwendige, scharfe Individualität somit noch nicht zu eigen sein konnte. Richtete ich nun meinen Mitteilungstrieb unwillkürlich an die Empfänglichkeit mir vertrauter, gleichfühlender bestimmter Individuen, so gewann ich hierdurch die Fähigkeit eines sicheren, deutlicheren Gestaltens. Ich streifte, ohne hierbei mit reflektierter Absichtlichkeit zu Werke zu gehen, das gewohnte Verfahren des Gestaltens in das Massenhafte immer mehr von mir ab; ich trennte die Umgebung von dem Gegenstande, der früher oft gänzlich in ihr verschwamm, hob diesen desto deutlicher hervor und gewann so die Fähigkeit, die Umgebung selbst, aus opernhafter, weitgestreckter Ausdehnung, zu plastischen Gestalten zu verdichten.‹23

[101] Nur zeitweilig riefen ihn seine Pflichten in die städtische Umgebung ab, so zur zwanzigsten Aufführung des ›Rienzi‹, die mit dem kürzlich von seinen Hamburger ›Rienzi‹-Erfolgen zurückgekehrten Tichatschek am Freitag den 20. September 1844 bei gedrängt vollem Hause unter besonders feierlichen Umständen vor sich ging. Unter ihren Zuhörern befanden sich gleichzeitig Spontini, der soeben auf der Durchreise von Franzensbrunn nach Berlin Dresden passierte, Meyerbeer und der russische General Alexis Lwoff. Von letzterem hochgestellten Dilettanten, dem Komponisten der russischen Nationalhymne, dessen Bearbeitung des Pergoleseschen ›Stabat mater‹ er einst, während seines Pariser Frondienstes bei Schlesinger, für die Gazette musicale rezensiert hatte,24 war soeben eine Oper ›Bianca und Gualtiero‹, am Kgl. Hoftheater zur Aufführung angenommen worden.25 Die Vorstellung hatte einen glänzenden Verlauf, und es bereitete ihm eine eigene Genugtuung, seinen rätselhaften Pariser Protektor mit eigenen Augen und Ohren Zeuge davon werden zu sehen, wie sich der Enthusiasmus des Publikums für das Werk nach so zahlreichen Wiederholungen nicht im mindesten abgeschwächt habe. Nach jedem der fünf Akte wurden die Sänger, nach dem vierten auch der Autor unter rauschendem Beifall stürmisch hervorgerufen. Meyerbeer, den er nach längerer Zeit zum ersten Male wiedersah, und mit dem zuletzt auch die brieflichen Beziehungen völlig geruht hatten, verschwor sich diesmal hoch und teuer, die Aufführung des römischen Tribunen in der preußischen Residenz mit dem größten Eifer zu betreiben. Er versprach Hand und Kopf daran zu setzen, den Berlinern auf das eheste den ›Rienzi‹ vorzuführen. Von einer Wiederaufnahme des geopferten ›fliegenden Holländers‹ war nun schon gar nicht mehr die Rede. Schon längst hatte der junge Meister es bereut, nicht sogleich mit dem ›Rienzi‹ seinen Eintritt in Berlin gemacht zu haben, der im günstigen Fall auch den ›Holländer‹ nach sich ziehen konnte. Nun hatte er neuerdings Meyerbeers Wort dafür. ›Noch setze ich in die Redlichkeit seiner Gesinnungen gegen mich keinen Zweifel‹, äußert er sich bald darauf, ›der immer noch nicht beseitigte Grund für die Unmöglichkeit einer dortigen Aufführung meiner Oper, der Mangel eines Heldentenors, ist aber wohl imstande, mich im allgemeinen in Verzweiflung zu bringen.‹

Zu den mehrfachen Besuchen in seiner ländlichen Zurückgezogenheit gehörte auch sein sonderbarer Berliner Freund Gaillard, den er bei dieser Gelegenheit zum ersten Male persönlich kennen lernte, der sich dabei leider aber auch [102] als Dichter zweifelhafter Trauerspiele, unter andern eines ›Rienzi‹, zu erkennen gab, dessen Manuskript er Wagner zur Begutachtung hinterließ. Für ein ferneres Erzeugnis seiner poetischen Muse26 suchte er soeben einen Verleger und bat um eine Vermittelung bei Friedrich Brockhaus, als dem Schwager des Meisters, nicht minder um seine persönliche Verwendung für die Annahme und Aufführung des Stückes am Dresdener Theater. In einem Artikel seiner Musikzeitung27 schilderte er bald darauf seinen kurzen Besuch bei dem Dichterkomponisten des ›Rienzi‹: ›Dieser geniale Mann ist von kleiner und etwas schmächtiger Figur, hat ein wahres Napoleonsgesicht und ein angenehmes, gewinnendes Äußere. Er lebt jetzt auf einem Weinberge mit einer reizenden Aussicht über die Elbe nach dem Gebirge, an der Hand einer liebenswürdigen Gattin, und vollendet unter diesen Umgebungen seinen »Tannhäuser«. Auf mein Ersuchen teilte er mir sein neues Textbuch mit, und ich muß gestehen, ich kenne kein schöneres und dem wahrhaften Wesen der Oper, das durch die glücklichen Erfolge geistreicher Franzosen sehr verrückt worden, entsprechenderes Buch. Es ist reich an wahrhaft poetischen Momenten und gibt mir die feste Überzeugung, daß, wenn Wagner die Kräfte seiner reichbegabten Seele rein der Poesie zugewandt hätte, er auch in dieser Hinsicht Großes geleistet haben würde. Einzelne kleine Härten in der Form und im Ausdruck, die mir, wenn auch selten, doch hier und da in seinem Gedichte aufstießen, lassen sich sehr wohl noch ausmerzen.‹28 Gaillard wünschte an dem Abende des einen von ihm in Dresden verbrachten Tages noch eine Aufführung des Hoftheaters mit anzuhören29 und verabredete daher für den Nachmittag ein Zusammentreffen [103] in der Stadt; Wagner entschuldigt später brieflich sein Nichteinhalten des zugesagten Rendezvous; der Besuch eines Königsberger Bekannten habe ihn daran verhindert. ›Ich war am festgesetzten Tage nachmittags um 5 Uhr eben im Begriff meiner Frau Adieu zu sagen, um in die Stadt, direkt zu Ihnen auf die Brühlsche Terrasse zu gehen, als ein Besuch aus Königsberg ankam, dessen ich mich von Viertelstunde zu Viertelstunde entledigen zu können glaubte, der mich aber – ohne Zweifel aus alter Freundschaft – so konsequent in Beschlag nahm, nicht nur mich, sondern auch meine Weinberg-Wohnung und mein Gastbett, daß ich endlich nicht nur Sie, sondern auch eine Sitzung des Weber-Komitees, die mich um 8 Uhr erwartete, gänzlich aufgeben mußte. Daß Sie, wie Sie mir zu erkennen gaben, sogar Ihre Abreise von Dresden verschoben hatten, um mich zu der bestimmten Stunde noch einmal sprechen zu können, setzte mich wirklich in die lebhafteste Betrübnis.‹

Um die Mitte Oktober war auch der zweite Akt des ›Tannhäuser‹ mit dem ungeheueren Finale in der Komposition vollendet. In der zweiten Hälfte des Monates finden wir den Meister schon wieder in seiner städtischen Umgebung und Funktion, und bis zum 31. Oktober durch Webers ›Freischütz‹, ›Oberon‹ und ›Euryanthe‹, dazwischen durch zwei schnell aufeinander folgende Aufführungen des ›Rienzi‹, stark in Anspruch genommen. Inzwischen war, am 25. Oktober, das Schiff mit der Asche Webers in Hamburg gelandet. Ein früher Frost störte die Pläne zur Einholung des Sarges in Dresden, die von einem Empfange desselben im Schiffe ausgingen, – das Schiff fror bei Wittenberg ein. Während soeben in Hamburg für die Ankunft der irdischen Überreste des Tonmeisters ein feierlicher Empfang sich vorbereitete, traf ein neuer schwerer Schlag die gebeugte Witwe. Des Verewigten jüngster Sohn, Alexander von Weber, der als talentvoller Maler bereits lebhafte Teilnahme erregte, wurde als blühender Jüngling im kaum vollendeten 20. Lebensjahre plötzlich aus dem Leben abgerufen. Frau von Weber war durch diesen unerwarteten Todesfall so furchtbar erschüttert, daß sie in diesem neuen, so schrecklichen Verluste ein Urteil des Himmels zu erkennen geneigt schien, welcher hiermit den Wunsch der Übersiedelung der Asche des längst Dahingeschiedenen als einen Frevel der Eitelkeit bezeichne. ›Da das Publikum, in seiner besonderen Gemütlichkeit, ähnliche Vorstellungen ebenfalls unter sich aufkommen ließ, hielt ich mir‹, so erzählt Wagner, ›die Aufgabe zuerteilt, auch hiergegen unser Unternehmen in das rechte Licht zu stellen; und es gelang mir so, daß von allen Seiten mir bezeugt wurde, daß gegen meine gelungene Rechfertigung auch nicht das mindeste mehr aufkäme.‹ In einem Briefchen vom 3. November wendet er sich an den Vorsitzenden des Komitees, Direktor Schulz, der ihm für die bevorstehenden Einbringungs- und Bestattungsfestlichkeiten die nötigen Texte zur Komposition zugesagt hatte: ›ich [104] habe jetzt alle übrige Arbeit beiseite gelegt und harre mit Schmerzen darauf, die neue beginnen zu können‹. Es scheint aber, die Gedichte seien nach langem Zögern überhaupt nicht geliefert worden, oder hätten sich als unverwendbar erwiesen; denn zu den wirklich komponierten und am Grabe zum Vortrag gelangten Gesängen30 hat er sich den Text, wie die erhaltene Handschrift ausweist, am Ende (10. November) tatsächlich selbst gedichtet.

Einstweilen verzögerte sich der feierliche Vorgang durch den anhaltenden Frost und die Ungunst der Witterung so lange, daß vor dem völligen Abschluß der Angelegenheit sich noch eine andere eindrucksvolle Begebenheit dazwischen drängte.

Für den Herbst 1844 war eine sorgfältig vorzubereitende Wiederaufnahme der ›Vestalin‹ in das Repertoire des Kgl. Hoftheaters beschlossen, und man hatte bedauert, daß Spontini seinen kurzen Aufenthalt auf der Durchreise nicht bis zu dieser Aufführung verlängern konnte. Durch die dazwischentretende Inszenierung der Lwoffschen Oper, die mehr aus Courtoisie des Hofes gegen ihren anwesenden Autor, als wegen ihres – gänzlich nichtigen – inneren Wertes vonstatten ging, wurde die beabsichtigte Aufführung des Spontinischen Werkes mehr und mehr hinausgerückt. Da man sich jedoch unter Mitwirkung der Schröder-Devrient einer zum Teil vorzüglichen Wiedergabe der Oper versichert halten konnte, regte Wagner bei der Generaldirektion den Gedanken an, dem greisen Meister, der soeben in Berlin große Demütigungen erlitten und sich für immer von dort nach Paris wandte, die unter solchen Umständen wohlgesinnt demonstrative Aufmerksamkeit zu erweisen, ihn zur persönlichen Direktion seines mit Recht so berühmten Werkes einzuladen. Mit großem Enthusiasmus betrieb auch der redliche Chordirektor Fischer diese Berufung, und Wagner, mit der musikalischen Leitung der Oper betraut, erhielt den Auftrag, sich darüber mit dem Maestro ins Einvernehmen zu setzen. Das majestätische Antwortschreiben stellte jedoch so gewaltige Voraussetzungen für die würdige Ausstattung der Chöre und Ballette, wie für die Gediegenheit seiner Annahmen in betreff des Orchesters(›le tout garni de douze bonnes contrebasses‹), daß er nach Empfang desselben sofort zu Herrn von Lüttichau eilte, um ihn auf die aus dieser Einladung unvermutet sich ergebenden Schwierigkeiten vorzubereiten. Der Schrecken war groß, die Sache sollte rückgängig gemacht werden. Die Schröder-Devrient, die Spontini gut kannte, lachte wie ein Kobold über die begangene naive Unvorsichtigkeit und fand in einem leichten Unwohlsein, von dem sie befallen war, den erwünschten Vorwand zu einer neuen Verzögerung der Aufführung über den Zeitpunkt hinaus, zu welchem Spontini, nach seiner eigenen Angabe, auf das ungeduldigste in Paris erwartet wurde. Hieran anknüpfend mußte er das [105] unschuldige Truggewebe spinnen, mit welchem er den Maestro von der definitiven Annahme der an ihn gerichteten Einladung abbringen sollte. Alles atmete auf, die freiwillig heraufbeschworene Gefahr schien beseitigt. Die Proben nahmen ihren gemütlichen Fortgang, als am Tage vor der Generalprobe gegen Mittag ein Wagen vor seinem Hause in der Ostra-Allee hielt. Demselben entstieg, im langen blauen Flausrocke, der stolze, sonst nur mit spanischer Grandenwürde sich bewegende Meister und trat in leidenschaftlicher Bewegtheit in sein Zimmer. Auf ihre beiderseitige Korrespondenz gestützt, wies er nach, daß er die an ihn gerichtete Einladung keineswegs abgelehnt habe, sondern, richtig verstanden, sehr deutlich auf alle ihm geäußerten Wünsche eingegangen sei. über der wirklich herzlichen Freude, den wunderbaren alten Herrn bei sich zu sehen, unter seiner eigenen Leitung sein Werk zu hören, vergaß Wagner alle möglichen und für gewiß vorauszusehenden Verlegenheiten und nahm sich vor, alles nur Erdenkliche zu dessen Befriedigung zu bewerkstelligen.

Er fand dazu reichliche Gelegenheit, – die Anforderungen des seltsamen Gastes erstreckten sich von dem Geringsten bis zum Bedeutendsten. Wie es ihm unmöglich war, anders zu dirigieren, als mit einem wuchtigen Kommandostab aus Ebenholz, an dessen beiden Enden je ein weißer Knopf aus Elfenbein sich befand, und den er als Marschallstab mit voller Faust in der Mitte ergriff, so stellte sich sogleich heraus, daß, an Stelle der beabsichtigten Generalprobe, das Studium der Oper unter seiner Leitung nun erst recht eigentlich beginnen sollte. Für die Exaktheit der szenischen Evolutionen mußte Eduard Devrient einstehen, der eine Reihe von Jahren in Berlin als Oberregisseur tätig gewesen, die Vorstellung der ›Vestalin‹ in Spontinis Geiste völlig inne hatte; für den musikalischen Teil übertrug er Wagner die nachträgliche Bereicherung seiner Partitur mit Posaunen, damit sie möglichst in der nächsten Probe schon ausgeführt werden könnten. Auch erinnerte er sich, in der von ihm angehörten ›Rienzi‹-Aufführung (S. 102) ein Instrument vernommen zu haben ›que vous appelez, »Basse-tuba«;‹ er erklärte nun, dieses Instrument keineswegs aus dem Orchester verbannen zu wollen und erbat sich demgemäß auch von diesem eine Partie für die ›Vestalin‹. Es machte Wagner Freude, mit Auswahl und Diskretion seinem Wunsche nachzukommen. Eine vollkommene Umstellung des Orchesters nach seinen speziellen Wünschen und Angaben war unerläßlich und hatte das Gute für sich, daß sie – einige leicht zu verbessernde Zufälligkeiten abgerechnet – nicht unzweckmäßig erschien und sich auch für die Folge zur Beibehaltung empfahl. Nach der auf allen deutschen Theatern angenommenen Kürzung schloß die Oper auch in Dresden mit dem feurigen, vom Chor accompagnierten Duettsatze des Licinius und der Julia nach der Rettung. Spontini bestand darauf, die der französischen Oper ureigentümliche Schlußszene mit heiterem Chor und Ballett noch angefügt [106] zu wissen. Es widerstand ihm durchaus, auf dem traurigen Begräbnisplatze sein glänzendes Werk elend ausgehen zu sehen. Die Dekoration mußte verwandelt werden, im heitersten Lichte der Rosenhain der Venus sich zeigen und am Altare der Göttin unter heiteren Tänzen das geprüfte Liebespaar von rosengeschmückten Priesterinnen anmutig getraut werden. Bei allen Sonderbarkeiten seiner Direktionsweise faszinierte der seltene Mann doch Sänger und Musiker in einem ganz ungewöhnlichen Grade. Daher ging denn auch – am Freitag, den 29. November – die Aufführung mit Präzision und Feuer vor sich. Die Erwartungen des Publikums, welches das Kuriosum, Spontini dirigieren zu sehen, mit doppelten Preisen zu bezahlen hatte, waren aber vielleicht zu hoch gespannt gewesen: das Ergebnis des Abends war nichts mehr als eine etwas matte Ehrenbezeigung für den weltberühmten Meister, welcher mit seiner ungeheueren Rüstung von Orden eine das Feingefühl Wagners peinlich berührende Erscheinung abgab, als er dem kurzatmigen Hervorruf des Publikums durch dankenden Hervortritt auf die Bühne entsprach. Nicht anders war der Erfolg einer Wiederholung der Aufführung am folgenden Sonntag, den 1. Dezember (dem dreißigsten Geburtstag August Röckels).

Um einen besseren Anschein zu ertrotzen, bestand Spontini auf einer nochmaligen Wiederholung der Vorstellung am nächstfolgenden Sonntage. Da dieser noch fern lag, gab die Verlängerung seines Aufenthaltes den Dresdener Künstlern Anlaß zu mehrfachem geselligen Zusammensein mit ihm. So auf einem Gastmahl bei der Schröder-Devrient, am Mittwoch, zu welchem er mit seiner Frau, einer Tochter Sebastian Erards, des berühmten Pianofortefabrikanten, die ihn auf seinen Reisen stets begleitete, erschienen war und nach dem Diner, als man näher zusammenrückte, in steigende Aufregung geriet. Er hatte Wagner seine besondere Zuneigung geschenkt und erklärte offen, daß er ihn lieb habe. Er wolle ihm dies dadurch beweisen, daß er ihn vor dem Unglück bewahre, in seiner eingeschlagenen Karriere als dramatischer Komponist fortzufahren, Quand j'ai entendu votre Rienzi, sagte er ›j'ai dit, c'est un homme de génie, mais déjà il a plus fait qu'il ne peut faire.‹ Da er selbst, Spontini, erklärte, über seine eigenen schon gelieferten Werke nicht hinausgehen zu können, wie sollte dies einem anderen möglich sein? ›Jeune homme, was wollen Sie denn noch komponieren? Wollen Sie Römer, da haben Sie meine Vestalin; wollen Sie Griechen, da haben Sie meine Olympia; wollen Sie Spanier, da haben Sie meinen Cortez; wollen Sie Indier, da haben Sie meine Nurmahal.‹ Er hoffe doch nicht, daß Wagner das sogenannte romantische Genre ›à la Freischütz‹ im Sinne habe? über seine Berliner Stellung ließ er sich vernehmen : ›Oh, croyez-moi, il y avait de l'espoir pour l'Allemagne lorsque j'étais empereur de la musique à Berlin; mais depuis que le roi de Prusse a livré sa musique au désordre occasionné par les deux juifs errants qu'il[107] a attirés, tout espoir est perdu.‹ Um den sehr aufgeregten Maestro zu zerstreuen, lud die liebenswürdige Wirtin ihn ein, sich von einem anwesenden Freunde nach dem wenige Schritte von ihrer Wohnung entfernten Theater geleiten zu lassen, um von einer gleichzeitig stattfindenden Aufführung der ›Antigone‹ sich etwas anzusehen, die ihn wegen des vorzüglichen Semperschen Bühnenarrangements gewiß interessieren würde. Es gelang, ihn dazu zu bewegen; doch kehrte er nach kürzester Zeit wieder zurück. Sein Begleiter erzählte, Spontini habe sich, kurz nachdem er mit ihm auf die fast ganz leere Tribüne des Amphitheaters getreten, beim Beginn des Bacchus-Chores zu ihm hingewendet : ›C'est de la Berliner Sing-Académie, allons-nous-en.‹ Durch die geöffnete Tür sei ein Streiflicht auf eine zuvor unbemerkte Gestalt hinter einer Säule gefallen; er habe Mendelssohn erkannt und sofort geschlossen, daß dieser Spontinis Äußerung vernommen habe.

Da sich Gründe für eine voraussichtlich längere Hinausschiebung der beabsichtigten Wiederholung einstellten, erhielt Wagner den schwierigen Auftrag, den Maestro davon in Kenntnis zu setzen. Zu diesem peinlichen Besuche ließ er sich von seinem Kollegen Röckel begleiten, welchen Spontini ebenfalls liebgewonnen hatte, und dem das Französische geläufiger war. Sie fürchteten, einen bösen Auftritt erleben zu müssen. Statt dessen nahm der Maestro ihre Mitteilung mit stolz verklärter Miene entgegen. Die vom heiligen Vater soeben erhaltene Nachricht seiner Ernennung zum ›Grafen von San Andrea‹ (durch Vereinigung seines im Kirchenstaate belegenen Grundbesitzes zur Grafschaft gleichen Namens) hatte ihn aus dem engen Kreise der Dresdener Vestalin-Operation wie durch Zauber befreit und erhoben Bekanntlich unterließ er es seitdem nie, mit seinem vollen gräflichen Titel zu unterzeichnen und seine Briefschaften mit dem ihm verliehenen gräflich Andreaschen Wappen zu siegeln. Mit Rührung schied Wagner von dem seltsamen Manne, von welchem er mindestens den Ein druck eines wahrhaften Glaubens an sich und seine Kunst gewonnen, wiewohl dieser Glaube, wie er es fast zu seinem Entsetzen erlebt hatte, in einen gespenstigen Aberglauben ausgeartet war. ›Was ihn dagegen‹, fügt er dem Bericht über diese Begegnung hinzu, ›zu so maßloser Selbstüberschätzung getrieben hatte, sein Vergleich mit denjenigen Kunstgrößen, welche jetzt ihn verdrängten, konnte, wenn ich ihn meinerseits ebenfalls anstellte, nur zu seiner Rechtfertigung dienen; denn in seiner Verachtung dieser Größen fühlte ich in meinem tiefsten Innern mich ihm verwandter, als ich damals noch laut gestehen mochte.‹

Fast unmittelbar nach diesem Zwischenfall fand der endliche Abschluß der lange verzögerten Überführung von Webers Leiche nach Dresden statt und wirkte als ein feierlich schönes und ernstes Ereignis, die Zerstreuungen der letzten Wochen vorteilhaft neutralisierend, auf die Stimmung ein, deren er zur Vollendung der musikalischen Ausführung seines ›Tannhäuser‹ bedurfte. [108] Das Komitee hatte eine Überführung des Sarges durch die Eisenbahn beschlossen; die mit dem Leichenbegängnis verbundenen Feierlichkeiten waren ein Ereignis, welches die ganze Stadt mit lebhafter Teilnahme erfüllte. Der Empfang des Sarges fand am Abend des 14. Dezember statt, und Max von Weber schildert uns in seiner Biographie des Vaters das Feuermeer von Fackeln, den unabsehbar imposanten Trauerzug der Leidtragenden, Freunde und Sängerchöre, der sich unter dem Schalle eines von Richard Wagner nach Motiven aus ›Euryanthe‹ komponierten Trauermarsches von unbeschreiblich erschütternder Wirkung, geleitet von einer unzählbaren Zuschauermenge, nach der kleinen Totenkapelle des katholischen Kirchhofs der Friedrichsstadt bewegte, wo der Sarg von der Schröder-Devrient mit einem Kranze still und bescheiden bewillkommnet wurde, um tags darauf feierlich in die Heimaterde gebettet zu werden. Die Trauermusik für den Marsch hatte Wagner für achtzig ausgewählte Blasinstrumente orchestriert,31 sich aber namentlich auch für dessen möglichst exakte Ausführung die größte Mühe gegeben, indem er die Musiker in den Proben nach völliger Entleerung des Bühnenraumes während des Vortrages im Kreise um sich herumgehen ließ. Am folgenden Vormittag, Sonntag den 15. Dezember, ging die Einsenkung des Sarges in die heimatliche Gruft unter allgemeiner Beteiligung des Dresdener Publikums vor sich. Direktor Schulz, als Vorsitzender des Komitees, feierte Weber als Volks-Komponisten im edelsten Sinne des Wortes; nach ihm sprach Wagner jene Rede voll Innigkeit und Pietät, die ihres Eindruckes nirgend verfehlte. ›Nie hat ein deutscherer Musiker gelebt, als Du!‹ rief er dem Gefeierten in das offene Grab nach. ›Sieh', nun läßt der Brite Dir Gerechtigkeit widerfahren, es bewundert Dich der Franzose, aber lieben kann Dich nur der Deutsche: Du bist sein, ein schöner Tag aus seinem Leben, ein warmer Tropfen seines Blutes, ein Stück von seinem Herzen; wer will uns tadeln, wenn wir wollten, daß Deine Asche auch ein Teil seiner Erde, der lieben deutschen Erde sein sollte?‹ Die Feier fand ihren Abschluß durch den Vortrag eines von Wagner verfaßten und komponierten Gedichtes, welches, sehr schwierig für Männergesang, unter der Anführung der besten Theatersänger vortrefflich ausgeführt wurde. Herr von Lüttichau, welcher ihr beigewohnt hatte, erklärte sich nun gleichfalls überzeugt und für die Gerechtigkeit des Unternehmens gewonnen.32

[109] ›Es war‹, sagt Wagner ›ein schöner, meinem tiefsten Inneren wohltuender Erfolg, dessen ich mich zu erfreuen hatte; und hätte ihm noch etwas gefehlt, so trug nun Webers Witwe, welcher ich vom Kirchhof aus meinen Besuch machte, durch die innigsten Ergießungen dazu bei, mir jede Wolke zu verscheuchen. Für mich hatte es eine tiefe Bedeutung, daß ich durch Webers lebensvolle Erscheinung in meinen frühesten Knabenjahren so schwärmerisch für die Musik gewonnen, dereinst so schmerzlich von der Kunde seines Todes betroffen, nun im Mannesalter durch dieses letzte, zweite Begräbnis noch einmal mit ihm wie in unmittelbare persönliche Berührung getreten war Nach der Bedeutung meines sonstigen Verkehrs mit lebenden Meistern der Tonkunst und den Erfahrungen, die ich von ihnen machte, kann man ermessen, aus welchem Quell meine Sehnsucht nach innigem Meisterumgang sich zu stärken hatte. Es war nicht tröstlich, vom Grabe Webers nach seinen lebenden Nachfolgern auszusehen; doch sollte mir das Hoffnungslose dieses Ausblickes mit der Zeit erst noch zu recht klarem Bewußtsein kommen.‹

Ende des Jahres 1844 lief Tichatscheks erster siebenjähriger Kontrakt mit der Dresdener Oper ab. Es blieb Wagner noch lange in Erinnerung, wie Herr von Lüttichau hierbei Bedenken trug, einen neuen zehnjährigen Kontrakt mit dem Sänger einzugehen. Er erinnerte den Freund noch in späten Jahren an den damaligen Ausspruch Röckels: ›So lange Tichatschek lebt, behält er auch seine Stimme, das hat mit ihm nun einmal diese Bewandtnis.‹ Mit ihm und Anton Mitterwurzer, den beiden Darstellern der männlichen Hauptrollen, verkehrte der Meister um diese Zeit schon lebhaft über den ihnen zufallenden Teil in der bevorstehenden szenischen Verwirklichung seines neuen Werkes, dessen letzter Akt am 29. Dezember in der Komposition von ihm beendet wurde. Noch blieb ihm die instrumentale Ausführung aller drei Akte als sehr zeitraubende Arbeit übrig; doch trat er bereits mit der Intendanz wegen der Aufführung in Unterhandlung. Mit großen Hoffnungen ging diese auf seine Absichten ein und brachte der Erfüllung dieser Hoffnungen sehr namhafte und anerkennenswerte Opfer. Die dazu nötigen Dekorationen wurden bei keinen geringeren Künstlern in diesem Fache, als den Malern Desplechín & Co. in Paris bestellt und nichts für die sonstige szenische und musikalische Ausstattung des Werkes gespart,33 dessen orchestrale Vollendung seinen Schöpfer unter wechselnden äußeren Eindrücken noch bis zum weit vorgerückten Frühjahr in Anspruch nahm.

[110] In kurzem Überblick führen wir uns ein Bild dieser äußeren Tätigkeit vor. Unter ihren begleitenden Umständen möge die auf den 1. Januar entfallende Aufführung des Gutzkowschen Schauspieles ›das Urbild des Tartüffe‹ mit erwähnt sein, dessen beispielloser Erfolg die Dresdener in eine ungewöhnliche Aufregung versetzte. ›Gutzkow war plötzlich zu einer Autorität, zu einem Manne geworden, an dessen Erfolge man glaubte.‹34 Ohne Befriedigung studierte Wagner inzwischen Marschners mißglückten ›Adolf von Nassau‹35 ein. Die erste Vorstellung (5. Jan.) ging in Anwesenheit des Komponisten vor sich, der eigens aus diesem Anlaß Dresden besuchte und sich im dortigen Künstlerkreise feiern ließ. Der Anstoß zu dieser Aufführung war, wie bereits früher die Hervorziehung des vergessenen ›Hans Heiling‹, direkt von Wagner ausgegangen. Er hatte sogleich, nachdem er von der Vollendung eines neuen Werkes von Marschner gehört, darauf gedrungen, daß es in Dresden zuerst zur Aufführung gebracht würde und dadurch den Autor nicht wenig überrascht, der (bei der gewohnten Zurückhaltung der deutschen Bühnen) ›eher den Einsturz des Dresdener Theaters, als solch einen Entschluß desselben vermutet hätte‹. Nicht minder groß freilich war nach dem Eintreffen der Partitur die Enttäuschung des jungen Meisters gewesen, der sich von dem Komponisten des ›Templers‹ und des ›Hans Heiling‹ allerdings etwas anderes erwartet hatte, als er nun – zu seinem wahren Schrecken! – in der echt Donizettischen Faktur dieser ›andererseits recht grund-deutsch sein sollenden Oper‹36 wirklich antraf. Sie war für ihn, dem der warme Wunsch, als produktiver deutscher Musiker unter seinen Zeit- und Kunstgenossen nicht ganz einsam dazustehen (S. 110), den gern bewahrten Glauben an die Fähigkeit so manches dieser ›Kunstgenossen‹ über alle Enttäuschungen hinweg aufrecht erhielt, das erste Anzeichen des unrettbaren Versinkens einer einst vielversprechenden Erscheinung in die Seichtigkeit des ›ungebildeten Nicht-Hochbegabten‹. Von einer am 17. Januar durch Reißiger neu einstudierten Aufführung der Gluckschen ›Iphigenia in Tauris‹ unter Mitwirkung der Schröder-Devrient (wiederholt am 14. Febr., dann für immer fallen gelassen) blieb ihm der charakteristische Umstand in Erinnerung, daß es dem Dirigenten möglich war, diese Oper mit der gänzlich abliegenden Ouvertüre der – ›Iphigenia in Aulis‹ einzuführen! Dagegen leitete er im Laufe des Februar u.a. eine zweimalige Wiederholung [111] der ›Armida‹, im März Winters ›unterbrochenes Opferfest‹, das, sehr günstig aufgenommen, zahlreiche Wiederholungen erlebte,37 und im Palmsonntags-Konzert (im alten Opernhause) am 16. März Haydns ›Schöpfung‹. Auch ›Rienzi‹ ging im Laufe des Halbjahres zweimal38 unter altgewohnter reger Beteiligung des Publikums über die Szene; der ›fliegende Holländer‹ hingegen schien seit der ominösen Zurückstellung des Werkes in Berlin selbst für Dresden beseitigt. In der weiteren Verbreitung seiner Werke auf auswärtigen Bühnen war der bereits gekennzeichnete verhängnisvolle Stillstand eingetreten, den die zu Anfang März stattfindende, lang verzögerte Königsberger Inszenierung seines ›Rienzi‹ (S. 45) nicht wesentlich unterbrach. Von den bedeutendsten Direktionen wurden ihm die Partituren seiner Werke, oft sogar in uneröffneten Paketen, ohne Annahme zurückgeschickt. So hatte er noch zu Beginn des Jahres vom Koburger Hoftheater, auf dessen Bühne Tichatschek im bevorstehenden Sommer ein Gastspiel zu geben im Begriff stand, die Partitur des ›Rienzi‹ zurückerhalten, weil seine Kräfte zur Besetzung dieser ›monströsen Oper‹ nicht ausreichten.39 Die Beiseitstellung des ›fliegenden Holländers‹ war gewiß u.a. auch in dem Umstande mit begründet, daß der Meister, zunächst von dem Gedanken an den ›Tannhäuser‹ erfüllt, zu der Wiederaufnahme seines älteren Werkes von sich aus nicht besonders drängte. Und doch wäre es für die General-Direktion in jeder Hinsicht vorteilhafter gewesen, ihrerseits an eine Neubelebung des fast schon verschollenen Werkes zu denken, als den Versuch mit Ferdinand Hillers ›Traum in der Christnacht‹ zu machen! Dieses totgeborene Produkt, dessen ›maßlose Längen‹ gleicherweise vom Publikum als von der Kritik empfunden und vermerkt wurden, gelangte am Sonntag den 6. April unter persönlicher Leitung ihres betriebsamen Autors zur ersten Aufführung. Die zweite Vorstellung (9. April) fand bereits, trotz aller künstlich getroffenen Gegenmaßregeln, ein leeres Haus; und ein nochmaliger Versuch (10. Mai), die Oper durch Zusammenziehung der vier Akte in drei zu erhöhter Lebensfähigkeit zu bringen, scheiterte an der inneren Unmöglichkeit dieses Vorhabens.40

Man würde die Klage Wagners über die ›Bedeutung seines Verkehrs mit lebenden Tonmeistern und der Erfahrungen, die er an ihnen machte‹, unrichtig verstehen, wollte man sie etwa nur auf die eigentümliche Haltung der beiden Berliner Generalmusikdirektoren, und nicht auf solche Erfahrungen mit beziehen, als er sie kurz nacheinander an Marschnerschen und Hillerschen Kunstproduktionen gemacht hatte. Seine ›Sehnsucht nach innigem Meisterumgang‹ [112] fand um diese Zeit eine Befriedigung einzig in dem nie ganz abgebrochenen brieflichen Verkehr mit dem greisen Ludwig Spohr, wozu sich immer wieder ein äußerer Anlaß fand; der innere war in der ausgesprochenen Sympathie des Altmeisters für den jüngeren Künstler und in des Letzteren dankbarer Verehrung ein für allemal gegeben. Nun hatte Spohr damals die eben vollendete Partitur seiner ›Kreuzfahrer‹ dem Dresdener Hoftheater eingesandt und Wagner es dabei einzig zu beklagen, daß diese Zusendung der bereits durch ihn angeregten Einladung seitens der General-Direktion zuvorgekommen war, da er diese Aufforderung im gegebenen Falle für eine Ehrensache des Dresdener Theaters hielt. Daß das Einstudieren des neuen Werkes aus äußeren Gründen nicht ihm, sondern Reißiger übertragen war, erfahren wir aus einem an Spohr gerichteten Briefe vom 4. März. Die überraschende Tatsache, daß es nach längerem Hinhalten schließlich überhaupt nicht zur Aufführung gelangte, wird uns im weiteren Verlauf der Ereignisse noch entgegentreten. Einstweilen finden wir in dem angeführten Briefe Wagners lebhaftes Bedauern ausgesprochen, daß er die Partitur noch nicht kennen gelernt ›da bei der Verteilung unserer Funktionen es sich gerade jetzt so trifft, daß ich unausgesetzt und zwar auf das Anstrengendste beschäftigt bin, zu einer Zeit, wo ich so gern gänzlich frei wäre, um die Instrumentation meiner neuen Oper beendigen zu können. Ich muß mir daher‹, fährt er fort ›dies große Vergnügen – wenn dies Wort nicht zu trivial ist! – bis nach der Osterwoche aufsparen, wo ich ungestört einige Abende dazu verwenden will.‹

Dies waren die wesentlichen äußeren Umstände, unter denen er die Instrumentation seines ›Tannhäuser‹ mit leidenschaftlicher Hingabe und Ergriffenheit, aber zugleich mit dem Wohlgefühl wachsender innerer Genugtuung und lebhaften Hoffnungen auf das neue Werk zur Ausführung brachte. Die letzte Seite der Partitur trägt seine Namensunterschrift und das Datum: ›Dresden, 13. April 1845‹. ›Mit meinem ganzen Wesen war ich in so verzehrender Weise dabei tätig gewesen‹, sagt Wagner von dieser Arbeit ›daß ich, je mehr ich mich ihrer Beendigung näherte, von der Vorstellung beherrscht wurde, ein schneller Tod würde mich an dieser Beendigung verhindern, so daß ich bei der Aufzeichnung der letzten Note mich völlig froh fühlte, wie als ob ich einer Lebensgefahr entgangen wäre.‹ Die wenigen ihm täglich übrig bleibenden Stunden verwandte er zu ›einsamen Spaziergängen und Beratungen über sich selbst‹. Und wohl gab ihm seine ganze gegenwärtige, durch die geschilderten Verhältnisse mannigfach komplizierte und zugespitzte Situation zu solchen Erwägungen reichlichen Anlaß. Bekanntlich war die Niederschrift des Werkes in der Weise von ihm ausgeführt, daß unmittelbar von seiner Originalhandschrift eine größere Anzahl (hundert) Partituren auf dem Wege autographischer Vervielfältigung hergestellt werden [113] konnten.41 Zwar wurde durch dieses Verfahren die ohnehin schon bedrückende Last der durch die Selbstherausgabe seiner Werke auf ihm ruhenden materiellen Verpflichtungen um ein Erhebliches vermehrt; indes stand ihm weit und breit ein anderer Weg nicht offen.42 Und – sollte er sich der Hoffnung verschließen, gerade von diesem Werke eine entscheidende Wendung zugunsten seiner mannigfach bedrängten und unbefriedigenden Lage ausgehen zu sehen? Nach einem einzigen glücklichen Schlage, der ihm schnell einen Ruf und eine bedeutsame Stellung verschafft, hatte ›sein Glücksengel plötzlich die Flügel sinken lassen‹:43 es war ihm seit seinem ersten Auftreten nicht wieder möglich gewesen, einen entschiedenen Schritt vorwärts zu tun. Hierzu fehlte ihm, wie erwähnt, eine maßgebende Bekräftigung seiner Dresdener Erfolge von außen her, von irgend einem Zentralpunkt deutscher Bildung und Kunstübung. Faßte er hierfür, trotz aller traurigen Entartung der dortigen Verhältnisse, immer noch vorwiegend Berlin in das Auge, so durfte es ihm nicht bedeutungslos erscheinen, daß noch soeben (Ende Mai 1845) König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen der fünfundzwanzigsten, vor vollem Hause stattgefundenen Aufführung seines ›Rienzi‹ mit einem auffallend bezeigten Interesse beigewohnt hatte. Alsbald nach vollendeter Herstellung der ersten Exemplare der ›Tannhäuser‹-Partitur zögerte er keinen Augenblick, eines davon an die Berliner Intendanz zu übersenden. Demnächst lag es ihm am Herzen, das aus tiefster Seelenglut erzeugte Werk vorläufig an die wenigen Personen zu versenden, denen er ein wärmeres Interesse dafür zutrauen durfte. Es ist zurzeit noch nicht genau zu bestimmen, wem diese – in Wahrheit so tief ehrenvolle – Auszeichnung damals zuteil geworden ist. Man darf zunächst an Spohr denken. Auch Schumann erhielt ein Exemplar mit der handschriftlichen Widmung: ›An Robert Schumann zum Andenken von Richard Wagner.‹ Aber es ist kein Datum hinzugefügt. Wie wenig Dieser das ihm damit bewiesene freundschaftliche Vertrauen Wagners verdiente, wie unrettbarer – trotz seiner räumlichen Entfernung von Leipzig in dem Bannkreise Mendelssohnscher ›reiner und verklärter Harmonien‹ – den Sinn für das bloße künstlerische Gefühlsverständnis der Schöpfung seines früheren Freundes verloren, und durch jenes, für ihn selber leidenvolle Abhängigkeitsverhältnis jeder eigentlich wärmeren Sympathie verlustig gegangen war, die ihm ein [114] solches Verständnis ermöglicht hätte, – das blieb im persönlichen Umgang mit Wagner in dem ihm zu eigen gewordenen gewohnheitsmäßigen Schweigen begraben. Mit Bedauern erkennen wir es heute aus seinem gleichzeitigen Briefwechsel.44 Des weiteren empfing der treu ausdauernde Berliner Freund Gaillard die für ihn bestimmte kostbare Gabe gleich in erster Reihe. ›Ich schicke Ihnen hier meinen »Tannhäuser«, wie er leibt und lebt, ein Deutscher vom Kopf bis zur Zehe; nehmen Sie ihn als ein Geschenk freundschaftlich an. Diese Arbeit muß gut sein, oder ich kann nie etwas Gutes leisten. Möge er imstande sein, mir die Herzen meiner deutschen Landsleute in größerer Ausbreitung zu gewinnen, als dies bis jetzt meine früheren Arbeiten vermochten!!‹

Charakteristisch ist die hinzugefügte, dem Journalisten geltende Bemerkung, zur Vermeidung jedes erdenklichen Mißverständnisses: ›Ich übersende Ihnen die Partitur zu keinem anderen Zwecke, als zu einem freundlichen Bekanntwerden mit meiner Arbeit, und ersuche Sie, für jetzt sie nur dem allernächsten Kreise Ihrer Freunde mitzuteilen. Bei dieser Gelegenheit bitte ich Sie auch, in dem Inhalte dieser Zeilen um Gottes Willen ja keine Veranlassung zu journalistischer Besprechung ersehen zu wollen; des Gemachten gibt es heutzutage so ausschließlich viel, und ich selbst bin so vollkommen überzeugt, daß meist alle Journal-Artikel zugunsten eines persönlichen Interesses von den Beteiligten veranlaßt seien, – daß ich eine empfindliche Scheu gegen Alles trage, was mit diesem Anstrich mir zu meinen Gunsten aufstößt. Die Oper selbst habe ich wirklich der Berliner Intendanz übergeben, und zwar mit der Bitte, – wenn bis Ende dieses Jahres die Aufführung des »Rienzi« wegen Mangel eines Heldentenors immer noch unmöglich geblieben sei, – zu dieser Zeit dann diese neue Oper in Szene gehen zu lassen. Gott weiß, was der große Küstner tun wird!‹

Fußnoten

1 1894, im Autographenhandel.


2 Band I des vorliegenden Werkes, S. 445/46.


3 S. 39 des gegenwärtigen Bandes.


4 30. Jan. 1844.


5 Briefe an Röckel, S. 66.


6 S. 72 dieses vorliegenden Bandes.


7 Ges. Schr. IV, S. 342–44.


8 Ebendaselbst IX, S. 113.


9 Die dem herrlichen ersten Finale vorausgehende große Szene des Rezitativs (Nr. 11): ›Wehe mir, mächtig bestürmen Furcht und Schrecken mein Herz‹, worin die Gewissensangst des schwachen Sextus, der um der rachsüchtigen Vitellia willen seinen Freund und Kaiser verrät, so lebendig geschildert wird, soll die Künstlerin besonders ergreifend dargestellt haben (A. v. Wolzogen, Wilh. Sckröder-Devrient S. 314). Hingegen bezeichnet sie der oben genannte Schladebachsche Artikel mit Beziehung auf dieselbe Leistung in derselben Aufführung als ›schöne Ruine, bei deren Anblick man mit Wehmut der entschwundenen Herrlichkeit gedenkt!


10 ›Als ob wir die Normen für die rhythmische Bewegung Mozartscher Musik erst von Paris holen müßten! Für Glucks Opern mag sich dort die Tradition vorfinden, welcher wir zu folgen bestrebt sein müssen; für Mozart findet sie sich doch wohl nur bei den größeren Bühnen Deutschlands, wenn es bei ihnen überhaupt nur einer solchen bedarf, und gebildeter Geschmack, fleißiges Studium seiner Werke und Eindringen in ihren Geist, tiefes Gefühl für seine klare, seelenvolle Musik nicht ausreicht‹ (N. Z. f. M. 1844, I, Nr. 40, S. 159). Im Unterschiede von Wagners frühgewonnener Überzeugung (vgl. Band I, S. 143, 163) bekennt sich demnach der Kritiker zu der Ansicht, daß es an deutschen Bühnen keiner besonderen Bemühung um die Ermittelung der Mozartschen Vortragstraditionen bedürfe, sondern für den Vortrag dieser Musik die – etwa durch Reißiger – eingebürgerte Gewohnheit vollkommen ausreiche! (Vgl. dagegen Wagner selbst, Ges. Schr. IX, S. 317–18, 336.) – Bezeichnend ist es jedenfalls, daß die von dieser Partei, durch mißbräuchliche Ausnutzung einer entstellten Äußerung des jungen Meisters ausgegebene törichte Parole über die ›französische‹ Herkunft seiner Tempi in Dresden zu so allgemeiner Verbreitung gelangt war, daß selbst der wohlgesinnte und geistvolle, aber nicht spezifisch musikalisch gebildete Maler und Kunstschriftsteller J. P. Lyser bei einer versuchten Würdigung Wagners als Dirigent (i. J. 1844) es gar nicht erst unternimmt, deren fadenscheinige Abgeschmacktheit zu widerlegen, sondern sich mit der Versicherung begnügt, es sei nicht mehr so: ›Als Dirigent im Anfange sich zur neufranzösischen (!) Direktionsweise hinneigend, ließ ihn sein gesunder Sinn doch bald erkennen, daß diese Art zu dirigieren eben nur für Opern der neufranzösischen Schule sich eignet, nicht aber für deutsche klassische Musik. Und so hörten denn die Dresdener Mozarts, Webers, Spohrs und Marschners Opern unter Wagners Leitung mit Feuer und Geist, aber ohne jenes frühere Hetzen und Dehnen (!). Mit einem Wort: Wagner dirigiert die deutsche Musik im Sinne der Meister, von denen sie komponiert wurde, und sein Verständnis der deutschen klassischen Musik bewährt sich bei jeder neuen Aufführung mehr und mehr‹ (›Zeitschrift für Deutschlands Musikvereine‹, 1844, herausgegeben von Dr. F. S. Gaßner).


11 J. Dotzauer, geb. 1783, schon seit 1811 Mitglied der Dresdener Kapelle, † 6. März 1860.


12 Ges. Schr. VIII, S. 366–67. Vgl. S. 30 des gegenwärtigen Bandes.


13 J. G. Kotte, Klarinettist, † 1857.


14 Am Sonntag d. 17. März, während Wagners Aufenthalt in Hamburg, war die ›Entführung aus dem Serail‹ unter Reißigers Leitung neu einstudiert zum ersten Male in Szene gegangen. Zuerst hatte sie Weber (17. Juni 1818) in Dresden eingeführt, dann war sie verschollen; noch 1842 klagte J. P. Lyser: ›Sollen Mozarts Weibertreu, Entführung, Idomeneo noch länger unerhobene Schätze für uns bleiben?‹ Drei Wiederholungen, unter Reißigers Leitung, fanden statt am 22. März, 9. und 23. April; die 5. und 6. Aufführung, am 9. Mai und 14. Juni, hat Wagner dirigiert.


15 Aus den ›Denkwürdigkeiten eines verstorbenen Dresdener Musikers‹, Allg. D. Musikzeitung 1884, S. 371. Gegen die Glaubwürdigkeit dieser Anekdote legte seinerzeit Prof. Fürstenau in Dresden im Interesse Reißigers einen wohlgemeinten Protest ein, der aber wohl Niemand überzeugt hat. Er veranlaßte dadurch vielmehr nur die Redaktion des genannten Blattes zu der wiederholten bekräftigenden Erklärung, daß die ihr bekannte durchaus ehrenhafte Persönlichkeit des Erzählers den Verdacht der Erfindung oder überlegten und frivolen Entstellung der Wahrheit absolut ausschließe. (Ebendaselbst S. 387 und 397.)


16 Am 1. Juni 1844, gleichzeitig mit demjenigen Eduard Devrients als Schauspieler und Oberregisseur. Das Engagement Johanna Wagners lautete zunächst nur auf neun Monate, bis zum 1. März 1845, und wurde dann erst definitiv auf längere Zeit abgeschlossen. Für das Engagement von Eduard Devrient gibt R. Prölß in seiner ›Geschichte des Dresdener Hoftheaters‹ S. 504 irrtümlich den Beginn des Jahres (1. Januar 1844) als Termin an.


17 Brieflich an Spohr, am 4. März 1845.


18 Wir erinnern uns, daß sie zuerst zu einer Dresdener Vorführung im Dezember 1843, an einem Abend mit Schumanns: ›Paradies und Peri‹ bestimmt gewesen war, vgl. S. 55 dieses Bandes.


19 Als bloßes Kuriosum diene hier der Hinweis auf eine gleichzeitige Notiz des Berliner ›Figaro‹, wonach Jemand nach Anhörung der ›Faust-Ouvertüre‹ den Komponisten auffordert, nun zu dieser Ouvertüre auch eine Oper zu schreiben, die ›weder auf den Goetheschen, noch auf den Klingemannschen Faust, sondern auf die alte, düstere, gotische (!?) Volkssage mit allen ihren Auswüchsen (!) gegründet werden soll, in der Behandlungsart des Freischütz‹. Vgl. Berl. Mus. Zeitung Nr. 34 (14. Sept. 1844).


20 Erinnerungen an Richard Wagner, von Gustav Adolf Kietz, aufgezeichnet durch Marie Kietz (Dresden, Reißner 1905), S. 39/40.


21 ›Rienzi‹ erschien zu Anfang September, der ›fliegende Holländer‹ im Oktober im Verlage der Kgl. Sächsischen Hofmusikalienhandlung von C. F. Meser in Dresden, von beiden Werken auch die Ouvertüren und einzelnen Gesangsstücke, gleichzeitig auch der ›Gruß seiner Treuen‹.


22 Vgl. S. 85 des vorliegenden Bandes, Anm. 1.


23 Ges. Schr. IV, S. 347–48.


24 Band I des vorliegenden Werkes S. 384.


25 Sie gelangte auch wirklich, unter Reißigers Leitung und unter Mitwirkung der Schröder-Devrient in der Titelrolle, noch in demselben Herbst (13. Oktober 1844) zur Produktion und erlebte einige Wiederholungen (am 15. Okt. und 8. Nov.), um dann für immer beiseite gelegt zu werden.


26 ›Ottavio Galfagna, oder: die Rose von Santa Croce. Trauerspiel von Carl Gaillard‹ (später bei Challier in Berlin erschienen).


27 ›Bericht eines Reisenden, der sich nur einen Tag in Dresden aufhielt‹ usw. (Berliner Musikalische Zeitung Nr. 37 vom 5. Oktober 1844).


28 Wie wenig unfehlbar sich Wagner dünkte, wie bescheiden er, dem es ausschließlich um die Sache zu tun war, teilnehmenden Verbesserungsvorschlägen Gehör gab, beweist seine bald darauf an Gaillard gerichtete Bemerkung: ›An dem Buche habe ich nach Ihrem Rat noch etwas gefeilt, u.a. ist das »schwärzliche Gefieder« in Wolframs Gesange S. 40 verschwunden. Den Schlußreim »Gott« und »Spott« habe ich aber gelassen, weil ich in diesem »Spott« nicht den Zwangreim, sondern das bezeichnendste poetische Wort für die Entstellung des göttlichen Erbarmens von seiten eines hartherzigen Priestertumes ersehe‹ (5. Juni 1845).


29 Er traf auf eine von Reißiger dirigierte Aufführung des ›Don Juan‹ mit dem Bassisten Günther aus Riga (Bd. I, S. 293) als Gast. Günther soll in Riga als ›fliegender Holländer‹ Vorzügliches geleistet haben, als ›Don Juan‹ befriedigte er nicht; Schladebach nannte ihn einen Gecken ohne Noblesse, und sprach von ›Kulissenreißerei‹. Mit Beziehung auf den Dresdener Kritiker, einen alten persönlichen Bekannten Gaillards, findet sich in seinem ›Bericht eines Reisenden‹ der Passus: ›Dresden hat nur zwei nennenswerte Zeitschriften, die tüchtig redigierten »Vaterlandsblätter«, die sich aber nur mit innerer Politik befassen, und die »Abendzeitung«, die sich mit Kunst beschäftigt. Die Musikrezensionen in letzterer Zeitung hat der ... Musikdirektor Schladebach übernommen, und zeichnen sich seine Artikel durch Sachkenntnis (!), aber auch öfter durch Animosität aus.‹


30 Siehe auch R. Wagner, Gedichte (Berlin, Grote 1905), S. 6/9.


31 Die ein halbes Jahrhundert hindurch völlig verschollen gewesene Originalpartitur dieser ›Trauermusik‹ ist erst i. J. 1894 durch den Dresdener Komponisten und Kapellmeister Kurt Hösel wieder entdeckt und befindet sich durch das Verdienst des Herrn Kurt Mey gegenwärtig im Besitz des Hauses Wahnfried (Vgl. den Artikel Meys ›Richard Wagners Weber-Trauermarsch‹ in der Zeitschrift ›Die Musik‹ 1906/07, Nr. 12).


32 Über dessen weiteren Fortgang berichtet M. M. v. Weber: ›Am 16. Dezember erschien ein Aufruf, das Weber zu errichtende Monument betreffend. Dennoch dauerte es sehr lange, bis das Denkmal zustande kam. Die Sturmjahre kamen dazwischen; eines der feurigsten Komiteemitglieder, Richard Wagner, mußte aus Deutschland flüchten. An seine Stelle trat G. Reißiger, weit weniger beeifert, zu Webers Ehre zu wirken; mit Mühe gewann Ferd. Heine Meyerbeer‹ (als Studiengenossen Webers beim Abte Vogler) ›für die Mitgliedschaft. Dann trat das Komitee mit Ernst Rietschel für die Herstellung des Monumentes in Verbindung; am 11. Oktober 1860 ward es enthüllt.‹


33 Die Kosten der Ausstattung des ›Tannhäuser‹ bei seiner ersten Dresdener Aufführung beliefen sich auf 7–8000 Taler.


34 R. Prölß, Gesch. des Dresdener Hoftheaters, S. 512.


35 Vgl. S. 73 Anm. des vorliegenden Bandes.


36 Ges. Schr. IX, 59: ›Mit der deutschen Oper ging es auf einmal ganz und gar nicht mehr. Vor allem geriet Marschner in zunehmende Konfusion: keine Oper wollte ihm mehr zuschlagen, bis er endlich doch auf den Gedanken geriet, es einmal ganz heimlich mit solch einer gehörigen Stretta »à l'Italiana« zu versuchen, was ich zu seiner Zeit in einer, andererseits recht grund-deutsch sein sollenden Oper »Adolf von Nassau«, mit erlebte.‹ (Vgl. auch den Artikel ›Marschner‹ in der ›Wagner-Encyklopädie‹ II, S. 4–7, 309–10.)


37 5. 9. März, 4. 8. Juni, 15. Juli, 7. Sept., 2. Okt., 29. Nov. usw.


38 16. April und 25. Mai.


39 Vgl. S. 86/87 dieses Bandes.


40 ›Hillers Oper‹, schreibt der junge Bülow (30. Mai 1845) an seine Mutter ›ist in Dresden wieder einige Male gegeben worden, soll aber nicht sehr besucht gewesen sein‹ (Bülow, Briefe, I, S. 44).


41 Briefe an Uhlig, S. 98.


42 ›Die durch die Herausgabe seiner Opern auf eigene Kosten veranlaßten Ausgaben hatten eine große Unsicherheit in seinen finanziellen Etat gebracht, der sonst mit dem Gehalt von 1500 Talern wohl hätte ins Balancement kommen können. Wenn Wagner trotz dieser Rückschläge fortfuhr, die neu entstehenden Opern der Dresdener Zeit (d.h. eben den »Tannhäuser«) auf eigenes Risiko herauszugeben, so spricht sich darin eine felsenfeste Überzeugung von der Sieghaftigkeit seines Strebens aus; zugleich aber leider damit auch die Notwendigkeit, daß seine pekuniäre Situation nicht gesunden konnte‹ (Riemann, Musikgeschichte seit Beethoven, S. 467/68).


43 An Gaillard, 5. Juni 1845.


44 Schumann an Mendelssohn (Okt. 1845): ›Die Musik ist um kein Haar breit besser, als Rienzi, eher matter, forcierter! Sagt man aber so etwas, so heißt es: »Ach, der Neid!«‹ (Vgl. S. 138.) ›Daß Schumann, mit Mendelssohn in seltener Einigkeit, im, Tannhäuser, die Zeichen der Begabung nicht hatte finden können, daß er in seinem sonst so achtungswerten Bemühen um Förderung der neudeutschen Musik gerade dem einen Wagner gegenüber durchaus kühl, zurückhaltend, ja in manchem scharfen Ausdrucke seiner Kritik entschieden ungerecht gewesen war, das trug ihm der größere Mensch und Künstler nicht nach – er war es von seinen Zeit- und Kunstgenossen gewohnt geworden!‹ (Wolzogen, Erinnerungen an Richard Wagner, S. 34.)

Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 2, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 87-115.
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