VIII.

Amtliche Konflikte.

[254] Direktionssitzungen des Hoftheaters. – Abonnementskonzerte. – Eingabe um Gehaltserhöhung; Lüttichaus Bericht an den König. – Vollendung der ›Lohengrin‹-Partitur. – Politische Vorgänge. – Entwurf zur Reorganisation des Dresdener Hoftheaters. – Vaterlandsverein; Röckel über Volksbewaffnung. – Ideen für eine politische Neugestaltung Deutschlands.


Freiheit – ist Wahrhaftigkeit. Wer, selbst unter dem Zwange, seine Wahrhaftigkeit sich wahrt, der wahrt sich im Grunde auch seine Freiheit.

Richard Wagner.


Drei Beziehungen charakterisieren in Wagners Leben das bewegte Jahr 1848: die immer aufregender sich gestaltenden politischen Vorgänge; die zunehmende Lockerung seiner amtlichen Verhältnisse; das allmählich immer entschiedenere Eingreifen eines großherzigen künstlerischen Freundes, Franz Liszts, in das absurde Schicksal seiner verkannten, unterdrückten, in ihrer Verbreitung methodisch gehemmten Werke.

Hatte ihm dieses Schicksal den letzten Versuch einer auswärtigen Unternehmung durch das Scheitern sämtlicher auf Berlin gerichteter Hoffnungen vereitelt, so fühlte er während der Arbeit am ›Lohengrin‹ um so entscheidender die drängende Notwendigkeit, an einem bestimmten Orte, unter bestimmten Umständen das Richtige und Unerläßliche für seine Kunst zustande zu bringen. Der Gewinn der Möglichkeit, seine künstlerischen Absichten durch die Mittel der theatralischen Darstellungskunst irgend wo vollkommen sinnlich verwirklicht zu sehen, erschien ihm von jetzt ab als das nächste Erstrebenswerte Irgendwo, also ›am besten gerade hier in Dresden, wo er war und wirkte‹. Nicht in Berlin oder Hamburg, nicht in der österreichischen Kaiserstadt (damals der unbestrittenen Domäne Flotows und seiner ›Martha‹!) galt es vereinzelte Versuche; – hier in Dresden selbst mußte er sich jene [255] konsequente Bildung des Publikums ›durch Tatsachen‹ zur Aufgabe machen, und sein Geist sann über die Möglichkeiten, die sich ihm für die Realisierung dieser Absicht darboten. ›In diesem Sinne wandte ich mich nun zu dem Kunstinstitute zurück, an dessen Leitung ich jetzt bereits sechs Jahre als Kapellmeister beteiligt gewesen war.‹

Diese weitreichenden, namentlich aber weit über den Horizont der damaligen Generaldirektion hinausgreifenden Pläne im Einverständnis mit dieser letzteren und auf Grund vorausgegangener Beratungen mit dem wunderlichen Direktionskörper zu verwirklichen, welcher zurzeit über die Kunstangelegenheiten des Dresdener Hoftheaters entschied, konnte ihm allerdings nicht in den Sinn kommen. Dafür hatten die Erfahrungen der letzten Amtsjahre hinlänglich gesorgt. Von den Konferenzen und Sitzungen der Generaldirektion, bei denen ein Gutzkow als intimer Vertrauensmann des Intendanten das große Wort führte und Engagements für Schauspiel und – Oper in Vorschlag brachte,1 hatte er sich seit länger in hoffnungsloser Gleichgültigkeit vollständig zurückgezogen und sich auf die Ausübung seiner ›strikten Pflicht‹ als Kapellmeister beschränkt. Zu diesen wöchentlichen Beratungen im Bureau des Kgl. Hoftheaters pflegten sich außer dem Intendanten Herrn von Lüttichau, der dabei ›seine schwarzen Augenbrauen zusammenzog‹, der längst überlebte, unverwüstlich zähe Theatersekretär Hofrat Winkler (Th. Hell), der phlegmatische Reißiger, der vorsichtige Ed. Devrient und der cholerisch süffisante Gutzkow zu vereinigen. Daß man sich den Inhalt der gegenseitigen Verhandlungen dieses Gremiums künstlerisch gar nicht bedeutungslos genug vorstellen kann, gibt uns der Letztgenannte in drastischer Schilderung zu verstehen. ›Der Intendant war in der Regel im Punkte der künstlerischen Beschäftigungen tabula rasa: was vor acht Tagen abgemacht war, war in acht Tagen vergessen. Dann nahm er seinen Kalender und orientierte sich. Er hatte sich ja notiert, daß hier Gluck, dort Shakespeare, dort Bauernfeld standen, und was ihm die Regisseure und Kapellmeister von Ostern auf Pfingsten, von Pfingsten auf Himmelfahrt, von Himmelfahrt bis zum ersten Advent als möglich und herauszubringen versprochen hatten, das fixierte er sorgfältig. Er nannte dies, »das Netzmachen« ... Wenn er alle die Resultate vorführte, die innerhalb dieser Vorzeichnungen standen, so schienen uns Opiumwolken zu umnebeln, süße Träume von Erfüllung senkten sich nieder, wobei auch regelmäßig der Sänger der »Lyratöne« und ehemalige Herausgeber der Abendzeitung, Theodor Hell, sanft zu entschlummern begann [256] und nie anders, als mit einem »Ja wohl, Exzellenz« wieder erwachte.‹ Man sage sich selbst, wie wenig ein feurig produktiver Künstlergeist auf die Dauer in diese Gesellschaft paßte, wie wenig er sich ihr nur im Alleräußerlichsten verständlich machen konnte! Wirklich hat uns ebenfalls Gutzkow die Schilderung einer solchen Sitzung geboten, an der nach längerer Unterbrechung auch Wagner wieder teilgenommen ›Richard Wagner lebte damals in der Vorstadt, wie ein Exilierter‹, so lautet seine darauf bezügliche Erinnerung. ›Er hatte mit dem Chef2 Differenzen gehabt; sein Wiedererscheinen bei den Beratungen im Bureau3 schien von beiden Seiten an Bedingungen geknüpft, die ich nicht kannte. Eines Tages kam der zürnende Achill von seinen Schiffen in der Friedrichstadt und nahm wieder an einer der Beratungssitzungen teil; was ihn zum Kommen bewogen hatte, weiß ich nicht ... Diesem ersten Wiedererscheinen folgte kein zweites.‹ In der Tat bestätigt es uns Gutzkows eigene nähere Ausmalung der Vorgänge dieser Sitzung nur zu deutlich, wie sehr die regelmäßige Teilnahme an diesen Direktionsberatungen für den Künstler nur ein Zeitverlust gewesen wäre. Weitergehende Pläne an diesem Ort zur Erörterung zu bringen, wäre schon aus dem Grunde nicht angezeigt gewesen, weil man ihn an dieser Stelle weder verstehen konnte noch wollte.4 Was ihn nach längerer Zurückhaltung zur ausnahmsweisen Beteiligung daran bewog, behauptet Gutzkow nicht mehr zu wissen; es kann aber wohl nur das Projekt der Abonnements-Konzerte gewesen sein, welche Wagner damals mit der Kgl. Kapelle zur Ausführung brachte, und über welche R. Schumann brieflich an Hiller berichtet: ›er wird auch Bachsche Motetten darin zu Gehör bringen‹. Von seinem ganzen, vor zwei Jahren ausgearbeiteten Entwurf zu wohlorganisierter Veranstaltung großer instrumentaler und vokaler Musikaufführungen war nichts weiter zu retten gewesen, als diese von ihm ins Auge gefaßte Folge dreier großer Konzerte: nicht aber als dauernde bedeutungsvolle Institution auf wohlgesicherter Grundlage, sondern als einmaliges, vorübergehendes, im Fall eines günstigen Gelingens etwa im nächsten Winter zu wiederholendes Unternehmen. ›Kapellmeister Wagner hat es endlich dahin gebracht, daß Dresden in diesem Winter noch drei Abonnements-Konzerte von der Kgl. Kapelle und zwar im Konzertsaale des neuen Opernhauses wird hören können‹, meldet[257] die Neue Zeitschrift für Musik. ›Die Genehmigung des Königs ist bereits erfolgt.‹5

Die drei Konzerte, denen sich als viertes noch die alljährliche Palmsonntag-Aufführung im ›alten Opernhaus‹ anreihte, folgten in den ersten vier Monaten des Jahres 1848 in ca. dreiwöchentlichen Terminen aufeinander, und zwar im Theater selbst, an Stelle einer Repertoirevorstellung. Das erste (am Sonnabend, den 22. Januar) begann mit Mozarts D dur-Symphonie, und schloß mit der ›Eroica‹; zwischen diesen beiden großen symphonischen Eckpfeilern brachte es die Bachsche Motette: ›Singet dem Herrn ein neues Lied‹ und eine Szene aus Cherubinis ›Medea‹. Die achtstimmige Motette, in welcher ›der lyrische Strom der rhythmischen Melodie wie durch ein Meer von harmonischen Wogen braust‹, hatte der alte Fischer auf Wunsch des Meisters seinem wohlgeschulten Theaterchor auf eine Weise einstudiert, daß sich Wagner durch die virtuose und sichere Leistung der Sänger zu einem ganz besonderen Wagestück veranlaßt sehen konnte. Er nahm das seiner haarsträubenden Schwierigkeit halber sonst nur im vorsichtigsten Moderato aufgefaßte erste Allegro derselben in wirklich feurigem Tempo und erschreckte dadurch die Dresdener ›Kritik‹ wieder einmal fast zu Tode. Das zweite dieser Konzerte (am Sonnabend, den 12. Februar) war in seiner Anordnung dem ersten völlig parallel: es brachte die Haydnsche D dur-Symphonie und die siebente Symphonie Beethovens (in A dur); dazwischen ein Glucksches ›de profundis‹ und Mendelssohns 42. Psalm. Das dritte Konzert (am Mittwoch, den 8. März) ward, in dem Sinne einer dem kürzlich dahingegangenen Meister dargebrachten Huldigung, mit Mendelssohns A moll-Symphonie eröffnet und schloß mit BeethovensC moll-Symphonie; zwischen beiden ward – in Wagners pietätvoll sorgfältiger Bearbeitung und Vortragsbezeichung – Palestrinas erhabenes ›Stabat mater‹ zu Gehör gebracht. Mit Beziehung auf dieses letztere, bereits mitten in der Revolutionszeit gegebene Konzert, war Wagner die Erinnerung an eine eigenartige Erfahrung verblieben, die [258] wir an dieser Stelle auf Grund seiner mündlichen Erzählung reproduzieren.6 ›König und Hof waren trübe gestimmt; auf dem ganzen Publikum lastete der düstere Druck einer Ahnung von nahen Gefahren und Umwälzungen. Dazu gab es ein höchst melancholisches Programm: obenan Mendelssohns schottische Symphonie, dann ein Gesang de profundis,7 und so ging's fort – nur am Schlusse stand Beethovens C moll-Symphonie. Wie die Stimmung im Saale immer drückender ward, frug ich endlich ganz entsetzt vom Dirigentenpult herab meine zunächst sitzenden Musiker: »Mein Himmel, was sollen wir tun? was sollen wir tun mit diesem entsetzlichen Moll-Programm?« Da raunte mir der Geiger Lipinski zu: »Warten Sie nur – beim ersten Strich der C moll ist alles fort!« Und richtig: die Symphonie beginnt, welches Aufjauchzen, welche Begeisterung! Aller Druck gehoben, Lebehochs auf den König, – wie erlöst verließ die jubelnde Menge das Haus. Das‹ – schloß er – ›das ist das Unsägliche dieser Kunst!‹

Das Palmsonntag-Konzert am 16. April 1848 brachte diesmal nicht die neunte, sondern unter Wagners Leitung die achte Beethovensche Symphonie in F dur, während Reißiger zuvor durch die Vorführung des ›Elias‹ in seiner Weise das Andenken Mendelssohns ehrte. Noch war es Wagner in frischer Erinnerung, wie es ihm vor fünf Jahren (S. 24 f.) unmöglich gewesen war, dem nun Dahingeschiedenen sein Gefühl von dem allgemein so widerwärtig entstellten Zeitmaße des dritten Satzes dieser Beethovenschen Tonschöpfung beizubringen. Durch die von Reißiger und anderen Dirigenten8 beliebte, zu allgemeiner Gültigkeit erhobene entstellende Umkehrung[259] des wirklichen Verhältnisses beider mittlerer Sätze, welche dem Allegretto scherzando den Charakter des gewöhnlichen Andante, dem Tempo di Menuetto hingegen denjenigen des ebenso gewohnten Scherzo aufdrängte, war ›dieganze wunderbare Symphonie, mit deren Mittelsätzen man zu keinem der gewohnten Effekte gelangte, in das Ansehen einer gewissen Art von beiläufigen Nebenwerken der Beethovenschen Muse gelangt, die es sich nach der Anstrengung mit der A dur-Symphonie einmal etwas leicht habe machen wollen‹. Bei dem völlig neu von ihm geleiteten Studium der Symphonie entsann sich hingegen der Meister eines wahren Aufatmens aller Musiker, als er sie dieses Stück in dem richtigen mäßigen Tempo spielen ließ ›wobei nun auch das humoristische Sforzando der Bässe und Fagotte:


8. Amtliche Konflikte

sofort seine verständliche Wirkung machte, die kurzen Crescendi deutlich wurden und der zarte Ausgang im pp zur Wirkung kam, und namentlich auch der Hauptteil des Satzes zum rechten Ausdrucke seiner gemächlichen Gravität gelangte‹.9 Von dieser Aufführung begnügte sich die Dresdener Kritik zu konstatieren, daß die Menuett zu langsam (!) genommen wurde; es sei dies jedenfalls ›aus Rücksicht auf die Hörner geschehen, denen das Trio sehr bedeutende Schwierigkeiten biete‹.10 – Von dem bloß durch dieses, in seine Rechte wieder eingesetzte Zeitmaß ermöglichten, zarten Gesange der Hörner und der Klarinette, der für jedes feinere musikalische Gefühl durch den veränderten Vortrag nun erst zur Geltung kam, hatte das durch die üblen Gewohnheiten der hergebrachten Ausführungsweise abgestumpfte Wahrnehmungsvermögen[260] des gewerbsmäßigen Rezensenten ersichtlich keinen Eindruck erhalten!

Dies sind die Erfahrungen, auf welche hin der Künstler in seinem bald darauf ausgearbeiteten Reorganisations-Entwurfe für das Dresdener Hoftheater das ›Gewerbe der Theater- (und Musik-) Rezensenten‹ schlechtweg als ein ›unmoralisches‹ bezeichnet: die Kritik, welche bisher außerhalb des Theaterinstitutes, ihm daher gegenübergestellt war, sollte vielmehr innerhalb und im mitbeteiligten Interesse desselben ausgeübt werden.

Bereits zu Beginn des Jahres 1848 hatte er, in seinem ganzen Sinnen, Schaffen und Sorgen stets auf überpersönliche Ziele gerichtet, ausnahmsweise auch einen auf die Besserung seiner eigenen persönlichen Lage abzielenden wichtigen Schritt getan, indem er, da dies nicht von selbst geschah, seinerseits durch ein Gesuch an den König um eine Gleichstellung mit seinem Kollegen Reißiger hinsichtlich seines Kapellmeistergehaltes einkam. Fünf Jahre seiner unablässigen Tätigkeit im Interesse des Kgl. Institutes waren im Februar 1848 abgelaufen, und wohl wäre es angemessen gewesen, daß man ihm nach Ablauf dieser seiner ersten Dienstepoche aus eigenem Antriebe dekretiert hätte, was er sich bei dieser Gelegenheit erst durch eine Eingabe als besondere Gunst zu erbitten hatte. Selbst dem verstocktesten Gegner konnte es nicht entgehen, daß, was in diesen fünf Jahren die Kgl. Sächsische Oper an höherem geistigen Aufschwung erreicht hatte, nicht Reißigers, sondern Wagners Verdienst war. Dennoch war das Verhältnis beider Dirigenten nach der materiellen Seite hin auf derselben Stufe stehen geblieben, wie bei Wagners erstem Eintritt ins Amt. Immer noch hatte sich der ›jüngere‹ Kapellmeister mit einer Jahresgage von 1500 Talern zu begnügen, während sich Reißiger im behaglichen Genusse eines Gehaltes von 2000 Talern befand.11 So angemessen die endliche Aufhebung dieses Mißverhältnisses gewesen wäre, so sehr dafür außerdem noch der Umstand ins Gewicht fiel, daß [261] die schwierige pekuniäre Situation des Künstlers Herrn v. Lüttichau von früheren Anlässen her zu wohl bekannt war, so sehr hatte Wagner bei dieser Gelegenheit zu erfahren, was es bedeute, seinen ›Vorgesetzten‹, dem in solchem Falle die Vermittelung eines ähnlichen Gesuches an seine höhere Adresse ordnungsmäßig zufiel, zum persönlichen Gegner zu haben. Die in dieser Angelegenheit gewechselten, von R. Prölß zuerst ihrer schützenden Verborgenheit entzogenen Schriftstücke geben leider den allzu handgreiflichen Beweis, daß es sich dabei um keine edle und vornehme Gegnerschaft von seiten des Mannes mit den schwarzen Augenbrauen handelte. Man kann ein Gesuch wie das von Wagner unmittelbar an den König gerichtete, nicht perfider und verdächtigender ›unterstützen‹, als es in dem vom 8. Februar 1848 datierten begleitenden Vortrag Sr. Exzellenz an den Monarchen geschah. In Wagners Lebensgeschichte bildet dieses Begleitschreiben Lüttichaus zu seiner Eingabe ein nicht zu beseitigendes Dokument. Es geht daraus hervor, welchen Dank er sich durch seine bisherigen Leistungen im königlichen Dienste bei seinem nächsten Vorgesetzten erworben. So ist es nach der anderen Seite hin für das Andenken Lüttichaus ein Flecken, dessen Häßlichkeit durch keinerlei ›mildernde Umstände‹ der Beschränktheit oder Voreingenommnenheit beschönigt oder weggewaschen werden kann. Wir lassen es in dieser seiner Doppeleigenschaft wörtlich hier folgen:


›Über die devotest angebogene Supplik des Kapellmeisters Wagner habe ich in folgen dem mein ohnmaßgebliches Gutachten alleruntertänigst zu erstatten Wagner hat sich leider durch seinen früheren Aufenthalt in Paris eine so leichte Ansicht der Lebensverhältnisse angeeignet, daß er wohl nur durch so ernste Erfahrungen, wie er sie jetzt in seiner bedrängten Lage macht, davon geheilt werden kann, wenn er überhaupt noch aus derselben sich zu retten vermag. Das Glück, welches ihm hier durch die Anstellung als Kapellmeister mit 1500 Taler Gehalt zuteil wurde, verstand er nicht zu würdigen (!) und die von vielen Seiten ihm gewordenen, zum Teil übertriebenen Lobpreisungen über sein Talent und Kompositionen bestärkten ihn nur noch mehr in seinen überspannten Ideen, so daß er sich ebenso große Erfolge und Gewinne von seinen Opern vorspiegelt, wie dem Meyerbeer und andern Komponisten in Paris und London allerdings zuteil ward, was aber auf die Verhältnisse in Deutschland nicht anzuwenden ist Durch eine kostspieligere Einrichtung, als er sie wohl nötig gehabt, geriet er gleich anfangs hier in Schulden, und der Wahn, den Gewinn bei dem Verlegen seiner Kompositionen nicht dem Buchhändler zu überlassen, sondern sich selbst zuzuwenden, verleitete ihn, deren Verlag auf eigene Gefahr und Kosten zu unternehmen, wodurch er, da der Absatz nicht vonstatten ging und die Anlagen bar bestritten werden mußten, schon damals in die größte Verlegenheit geriet. Noch hoffte er großen Gewinn von der Aufführung seines Rienzi vorigen Herbst in Berlin; seitdem dies auch mißglückte, sieht er sich in der bedrängtesten Lage, die ihm den Mut gegeben, sich unmittelbar an E. K. Majestät zu wenden und um eine Gehaltserhöhung von 500 Tlr. zu bitten.

Auf die Frage nun, ob seine Erhaltung hier von so großem Wert, ihm so außerordentlichen Zuschuß zufließen zu lassen, muß ich allerdings gestehen, daß dies mit dem, was er bisher im allgemeinen geleistet hat, wohl nicht im Verhältnis [262] zu stehen scheint; jedoch ist ihm nicht abzusprechen, daß in besonderen Fällen, wo es gilt, wie z.B. im vorigen Jahre die Aufführung der Oper »Iphigenie in Aulis«, sowie in den jetzigen Abonnementskonzerten, er alle seine Kräfte anstrengt und einen Eifer an den Tag legt, der ihm nur zum Lobe gereichen kann, und seinen Verlust beklagen ließe. E. K. Majestät allerhöchster Gnade allein kann es daher nun anheimgestellt werden, ob und inwiefern sein alleruntertänigstes Gesuch ihm gewährt werden könne, in welchem Falle ich es wage, allerunvorgreiflichst in Antrag zu bringen,

dem Kapellmeister Wagner zu Erfüllung der von ihm erbetenen Summe 300 Tlr., jedoch nicht als Gehaltszulage, die ihn außerdem dem Kapellmeister Reißiger, der viel längere Zeit dient, (!) im Gehalt gleichstellen (!) würde, sondern nur als Gratifikation zu Regulierung seiner Schulden aus dem Fond der außerordentlichen Kapellausgaben, und 200 Tlr. als Unterstützung von dem Gesamtertrage der jährlichen Abonnementskonzerte, wovon ein Teil, wie ich in meinem, hinsichtlich dieser Konzerte alleruntertänigst erstatteten Vor trage gebeten, ohnedies für die bedürftigen Kapellmitglieder, wozu Wagner ja zu rechnen, Allergnädigst bestimmt werden dürfte, wenn es mit diesem Jahre an bis zu weiterer Allerhöchster Anordnung und nur unter der Bedingung gewährt wurde, daß – (hier folgen die näheren Modalitäten) ihm überhaupt aber sofortige gänzliche Entlassung anzudrohen sein dürfte, wenn er sich dann von neuem (!) in Geldverlegenheiten stürzt oder die jetzigen nicht zu regulieren sein sollten, in welchem schlimmsten Falle allerdings nichts übrig bleiben würde, als seine Stelle einzuziehen.‹


Gewiß liegt die tiefere Ursache der Spannung zwischen Lüttichau und seinem angestellten ›Kapellmeister‹ allendlich in dem Mißverhältnis seines beschränkten Gesichtskreises und der ihm zuerteilten Aufgabe der Leitung eines Kunstinstitutes begründet, an welchem eine geniale Künstlernatur mit ihrem ganzen Wesen weit über die Grenzen der traditionellen Theaterroutine hinausstrebte. Mit dem bequemen Philister Reißiger gab es keine Spannungen und Gegensätze; er brachte nichts vor sich, stellte aber auch keine Anforderungen und unterwarf sich blindlings den Entscheidungen der ›Exzellenz‹ Jeder ernstliche Schritt in Wagners Wirksamkeit hingegen schien den ganzen Boden ihres beiderseitigen Verhältnisses ins Schwanken zu bringen: gegen die unabweisliche Empfindung seines geistigen Übergewichts bediente sich Herr von Lüttichau seit lange der einzigen Maßregel des Hinhaltens, Verzögerns, Erschwerens des von ihm für gut und nötig Befundenen. Es war nicht edel von ihm, daß er diese Maßregel auch auf den Fall anwendete, in welchem das, in so bescheidenen Grenzen gehaltene Verlangen des Künstlers sich ausnahmsweise einmal auf eine unerläßlich gewordene Erleichterung seiner äußeren Existenz bezog Keine beschreibende Ausführung könnte aber das unheilbare Mißverhältnis der Stellung Wagners in Dresden in ein grelleres Licht rücken als das mitgeteilte Schriftstück mit seiner Mischung von borniertem Bureaukratisnms (mit seiner Vorliebe für Rangabstufungen!) und kenntnisloser Voreingenommenheit, die sogar seine schweren Pariser Leidensjahre ihm noch träglich zum Vorwurfe macht, und daran ihre [263] verdächtigenden Auslassungen knüpft.12 Gewiß dürfen wir König Friedrich August eine würdigere Auffassung der Sachlage zutrauen. In seinem Reskript vom 24. Februar 1848 freilich, soweit dessen Text derzeitig bekannt ist, tritt sie nicht zutage. Es geht nicht weiter als Lüttichaus Vorschläge und spricht Wagner die erbetene Summe, ganz im Sinne der Intendanz, zunächst lediglich als einmalige Gratifikation zu. Worauf es dann allerdings weiter heißt: ›sind auch nicht abgeneigt, ihm für den Fall, daß ein gründliches Arrangement seines Schuldenwesens zustande kommt und er sich nicht wieder in neue Schulden verwickelt, auch seine Stelle fortwährend mit Fleiß und Tätigkeit zur Zufriedenheit der Generaldirektion (!) verwaltet, eine jährliche dergleichen Gratifikation zu gewähren, wogegen wir uns für den entgegengesetzten Fall wegen der sodann nötig werdenden Dienstentlassung weitere Entschließung vorbehalten!

Solcher, über seinen Kopf hinweg und hinter seinem Rücken gepflogenen, schmachvollen Unterhandlungen über seine Wirksamkeit und sein Privatleben, und des in ihnen angeschlagenen unwürdigen Tones, hatte sich freilich nicht der Künstler zu schämen, den sie betrafen und der von ihnen wohl keine direkte Kenntnis erhielt. Zur dauernden Unehre gereichen sie einzig den daran Beteiligten und dem ohnmächtigen Bestreben Lüttichaus, im bewußten Widerstreit gegen den freien Aufschwung des Genius sich des ihm angehängten niederziehenden Zentnergewichtes materieller Sorgen gleichsam als Bundesgenossen bedienen zu wollen. Wie viele Gewichte ähnlicher Art wurden nicht von allen Seiten her durch Neid und Bosheit zu schmieden versucht, um sie ihm zu gleichem Zwecke aufzubürden und anzuhängen! Und wahrlich, der[264] Künstler hätte weniger Mensch sein müssen, um unter so mannigfach ihm nahetretenden Zeugnissen des Übelwollens nicht doch schmerzlich zu leiden. Um so mehr, wenn er endlich gar die Person seines eigenen, von früh an aufrichtig verehrten Landesherrn in diese Machinationen mit hineingezogen fand! Daß er aber selbst von Lüttichau, der sich hierbei so schmählich gegen ihn benahm, eine bessere Meinung hegte, als dieser in Wahrheit verdiente, daß der geringste Anschein menschlichen Edelsinnes seinerseits von ihm mit einer Wärme aufgenommen wurde, der gegenüber sich dieser gegen ihn doch recht schuldbewußt fühlen mußte, werden wir bald an einem evidenten Beispiele ersehen. Auch hätte auf der anderen Seite der leidende Mensch in ihm wiederum weniger Künstler sein müssen, um nicht aus der rastlos quellenden Tiefe seines Inneren, aus der unbesiegbaren Elastizität seines Temperaments, aus dem ab und zu doch wahrnehmbaren Widerhall seines eigenen Wesens durch so manche von außen an ihn gelangende Kundgebung eine Widerstandskraft zu gewinnen, an deren unsichtbarem stählernen Panzer die Pfeile seiner Gegner ihre verletzende Kraft verloren.

Ende März des verhängnisvollen Revolutionsjahres 1848 war die Partitur des ›Lohengrin‹ vollendet. Fühlte er sich inmitten aller, gegen seine künstlerische Persönlichkeit gerichteten Zweifel und Anfechtungen der tragischen Vereinsamung seines scheidenden Helden innig verwandt, so stand er doch andererseits in einem wesentlichen Punkte noch hinter ihm zurück. Lohengrin konnte von sich sagen: ›Nicht darf sie Zweifels Last beschweren, sie sahen meine gute Tat.‹ Als solche ersichtliche ›gute Tat‹ durfte er sich zwar sein gesamtes künstlerisches Wirken und Schaffen während der verflossenen fünfjährigen Epoche anrechnen; doch drängte es ihn gerade in dieser Richtung mit aller Macht zur vollkommenen sinnlichen Verwirklichung seiner künstlerischen Absichten durch die theatralische Darstellungskunst. Nach der erfahrenen Fruchtlosigkeit aller bisherigen vereinzelten Versuche konnte jeder Wunsch, sich hierfür des ihm nächstliegenden Dresdener Kunstinstitutes zu bemächtigen, hinfort nur noch in dem Sinne einer grundsätzlichen gänzlichen Umgestaltung desselben von ihm genährt werden. Er wandte sich daher alsbald nach der Vollendung seiner Partitur der Ausarbeitung eines umfassenden Reorganisations-Planes zu, dessen Vorläufer, jenes Memorandum über eine vernünftige und zweckentsprechende Reform der Kapelle und ihre künstlerischen Leistungen, von seinem Generaldirektor mit so indolenter Gleichgültigkeit behandelt worden war. Es ist im höchsten Maße charakteristisch und bei allen neuerlichen Untersuchungen über die Beteiligung Wagners an den damals weltbewegenden Vorgängen nie genügend in Betracht gezogen, daß es im wesentlichen das Schicksal dieses Reorganisations-Entwurfes für das Dresdener Hoftheater war, was den Künstler in die damaligen öffentlichen Bewegungen drängte. Von der ihm zunächst stehenden [265] Behörde mit hochmütigem Selbstgenügen abgewiesen, mußte er sich für die Verwirklichung nach einer anderen Instanz dafür umsehen. Es geschah dies von seiner Seite in der Voraussetzung einer friedlichen Lösung der obschwebenden mehr reformatorischen als revolutionären Fragen, und des ernstlichen Willens von oben herab, die nötige Reform selbst zu bewerkstelligen. ›Der Gang der politischen Ereignisse‹, sagt er selbst ›sollte mich bald eines Anderen belehren.‹

Auch im Königreich Sachsen machten sich um jene Zeit die Bewegungen immer fühlbarer, welche Frankreich soeben durch die Februar-Revolution zur Republik umgewandelt, an verschiedenen Punkten Deutschlands politische Erhebungen hervorgerufen und auch hier, schon während seiner letzten Arbeit am ›Lohengrin‹, wichtige Veränderungen bewirkt hatten. Auf jedem Gebiete drängte es nach Reform Wenige Tage nach den Pariser Vorgängen hatte bereits in Mannheim eine Volksversammlung die Forderung eines deutschen Parlaments, von Preßfreiheit, Schwurgerichten usw. auf ihre Fahne geschrieben; es gährte in München, Wien und Berlin. Von Leipzig aus war eine Deputation der Stadtverordneten mit dem gleichen Ansuchen an den König von Sachsen gelangt, andere sächsische Städte schickten ihre Abgesandten und Deputationen; die Aufregung des ganzen Landes stieg von Tag zu Tage. In Dresden selbst kam es zu lauten Kundgebungen, die nur durch die Bemühungen des hochgeachteten Professors Wigard in den gehörigen Schranken gehalten wurden.13 Der Sturz des Ministeriums Könneritz und die Einsetzung eines neuen, aus Mitgliedern der bisherigen Opposition, Dr. Braun, Georgi, Oberländer, v. d. Pfordten, bestehenden Ministeriums, waren die ersten Erfolge dieser Bewegung, zugleich ward in einer Proklamation dem Volke die volle Gewährung seiner vorgebrachten Wünsche zugesichert. ›Das geschah‹, berichtet Röckel, ›am 13. März, und während ganz Dresden zur Feier des unblutig errungenen Sieges in einem Lichtmeer schwamm, und der König, wo er sich zeigte, mit lautem Jubel begrüßt wurde, tobte in Wien (13. bis 15. März) der furchtbare Kampf, der sechs Tage später auch in Berlin den ersten Aufzug der deutschen Revolution abschließen sollte.‹ Noch mitten in den Jubel über die endlich erlangte Zusage traf die Kunde von der siegreichen Erhebung Wiens in der sächsischen Hauptstadt ein. Metternich war verjagt, Bürgerwehr und Studenten beherrschten die Stadt. Von Berlin her kamen gleich aufregende Nach richten: die unbesiegten, aber ermatteten Truppen hatten nach heftigem Straßenkampf auf Befehl des Königs die Stadt geräumt. In München dankte König Ludwig zugunsten seines Sohnes Maximilian ab, und bereits am 31. März, kurz nach dem letzten Federzuge an der Partitur des vollendeten ›Lohengrin‹, hatte ein schnell gebildetes [266] Vorparlament in Frankfurt a. M. den Beschluß der Berufung einer ›deutschen konstituierenden Nationalversammlung‹ gefaßt, welche die deutsche Reichsverfassung endgültig feststellen sollte.

Wir machen uns heute nur noch schwer einen Begriff davon, welche tiefgehende begeisternde Wirkung diese schnell nacheinander eingetretenen Wendungen damals in ganz Deutschland hervorriefen. Ein Frühling schien über die Lande gekommen zu sein, und die lang gehegte und oft getäuschte Hoffnung, Deutschlands Freiheit und Herrlichkeit wiederhergestellt zu sehen, berauschte jung und alt. ›Man hat gut lächeln über das »tolle Jahr«, wie man es genannt hat: man dürfte die damals Lebenden wohl beneiden um den hoffnungsvollen Idealismus, die lodernde Begeisterung, welche gerade die Edelsten und Besten mit sich fortriß.‹14 ›So schien denn verwirklicht, was bis zu diesen denkwürdigen Tagen ein kaum über die Lippen sich wagender Traum der Kühnsten gewesen war; ein rasch dahinbrausender Sturm hatte alle Fesseln zerbrochen: ein Wonnerausch erfüllte das ganze Vaterland bis in die entlegensten Hütten‹ Mit diesen Worten schildert August Röckel, seinen Überzeugungen gemäß von Hause aus lebhaft an der politischen Bewegung beteiligt, die allgemeine Stimmung, mit welcher man in Sachsen aus den aufgeregten Märztagen in eine hoffnungsvolle Zukunft hineinzusteuern vermeinte Zunächst zwar beschränkten sich die tatsächlichen Wirkungen auf den Wegfall der Zensur und einen Ministerwechsel. Aber während das Ministerium v. d. Pfordten und Oberländer eine Reihe liberaler Reformen beschloß und durchführte, fand die Bewegung im Volke ihre Stützen in neuentstandenen Preßorganen und politischen Vereinen. Nicht anders als hoffnungsvoll meinte Wagner diesen Drang betrachten zu dürfen. Dem frischen Geiste, der durch die Zeit zu wehen begann und mit so manchem morschen, abgelebten Dogma zu brechen sich entschloß, schien es ihm günstig, zum Heile deutscher Kunst die Hand zu bieten. Mußte ihm nicht schon das kräftige Verlangen nach politischer Einheit zugleich eine Bürgschaft für die Hebung des nationalen Selbstgefühls sein, auf dessen Grundlage sich auch für eine originale, deutscher Art und deutschem Geiste angemessene Kunstentwickelung das einzige Gedeihen erwarten ließ?

Von den Gliedern des neuen Ministeriums war allerdings v. d. Pfordten, wiewohl an der Spitze des Ganzen stehend, dennoch vom ersten Tage an durch seine ganze Haltung nach jeder Richtung hin von allgemeinem Mißtrauen verfolgt, Braun und Georgi hingegen, nach Röckels Schilderung, ›Liberale alten Schlages‹, die in der Tat bis auf ferne Zeiten hinaus die Königliche Gunst nicht verscherzten. Zur eigentlichen Deckung diente diesem [267] Ministerium nur der im ganzen Lande hochgefeierte Name Martin Oberländers: ›rein und ohne Arg bis ins Innerste der Seele, durchdrungen von der heiligen Wahrheit dessen, was er bisher so standhaft vertreten und jetzt endlich durchführen sollte, kannte er kein Mißtrauen und baute felsenfest auf des Königs Aufrichtigkeit.15 Dennoch vermochte er sich die Zuneigung des Monarchen nicht zu gewinnen: war das ganze Ministerium, weil der Regierung aufgedrungen, nach oben hin mißliebig, so traf doch Oberländer, sowohl seiner politischen Richtung und Unbestechlichkeit wegen, als auch weil er die ungeteilte Liebe und das Vertrauen des Volkes besaß, der besondere Haß des Hofes, – war es doch die Revolution selbst, die man in ihm anerkennen sollte.‹16 Mit letzterem Manne hatte es nun Wagner zunächst für die ferneren Schicksale seines vollständigen Reorganisations-Entwurfes für das Dresdener Hoftheater, im Sinne eines ›Deutschen Nationaltheaters für das Königreich Sachsen‹, zu tun. Zur Ausarbeitung dieses, in all seinen Zügen seit lange ihm vorschwebenden Entwurfes sah er sich aber ganz besonders veranlaßt, als er durch seinen Verkehr mit Röckel und dessen Parteigenossen wahrnahm, in welchem Sinne die damals neu gewählte Abgeordnetenkammer die Kgl. Zivilliste zu examinieren gesonnen war. ›Mir wurde hinterbracht, daß unter anderem die Subvention für das Hoftheater, als eine luxuriöse Unterhaltungs-Anstalt, gestrichen werden sollte. Ich faßte daher den Entschluß, den Herrn Minister des Innern, dessen Verwaltung die Kunstanstalten des Landes anvertraut waren, durch Mitteilung meines Entwurfes in den Stand zu setzen, dem Vorhaben der Landesabgeordneten im richtigen Sinne entgegentreten zu können, indem er ihnen zwar in betreff der Beurteilung der gegenwärtigen Wirksamkeit des Theaters recht gab, sie aber darüber belehrte, wie ein Theater sehr wohl einer vorzüglichen Unterstützung durch den Staat würdig zu machen sei. Somit galt es mir nicht nur, das Theater zu retten, sondern zugleich unter dem Schutze und der Beaufsichtigung des Staates es einer edlen Bestimmung und Wirksamkeit erst zuzuführen.‹17 Das[268] vom 16. Mai 1848 datierte Schreiben, in welchem sich Wagner die bezügliche Audienz bei dem Minister erbittet, ist erhalten und in seinem Wortlaute interessant genug, um es dem Leser an dieser Stelle nicht vorzuenthalten: ›Im Interesse eines Instituts, über dessen Schicksal jetzt zu entscheiden ist, ob es ein dem Lande Ehre und Nutzen bringendes sein soll, erlaube ich mir die gehorsamste Bitte um ein ausführliches Gehör. Mein Vortrag wird eine Stunde einnehmen, und es fragt sich daher, ob es Ihnen möglich sein wird, diese Stunde mir morgen (Mittwoch) Abend, oder spätestens im Laufe des Donnerstags zu gewähren? Für diesen Fall müßte ich Sie zugleich ganz ergebenst ersuchen, den Staatsminister Herrn Dr. von der Pfordten bewegen zu wollen, daß er dem mir verstatteten Gehör mit beiwohne, da ich in der Tat nicht ganz sicher bin, in welches Departement des Staatsministeriums die von mir zu erörternde Angelegenheit gehören wird, weshalb ich den Entscheid hierüber den Herren Ministern des Innern, sowie des Kultus, zu eigenem Ermessen anheimzustellen wünschte. Jedenfalls ist die Sache aus besonderen Umständen so dringlich, daß ich um die Ehre eines schnellen Bescheides angelegentlichst zu ersuchen für meine Pflicht halte.‹ Die Konferenz kam zustande, ob im Beisein des Herrn von der Pfordten oder ohne denselben, läßt sich nicht ermitteln. Doch fand er sich dabei bald in eine, seinen ursprünglichen Wünschen ganz entgegengesetzte Richtung gedrängt. Immer in der Annahme eines ernstlichen Willens von oben her, war seine Absicht dahin gegangen, seinen Entwurf in dem von ihm angenommenen Falle als Antrag der Kgl. Regierung an die Abgeordneten gebracht, und ihn demgemäß zunächst (mit Umgehung einer zweifelhaften Förderung seiner Idee durch Vermittelung der Generaldirektion) dem Könige selbst direkt durch das Ministerium vorgelegt zu sehen. Hiergegen sprach sich nun der Minister nach seinen bisher gemachten Erfahrungen aus. ›Der Minister, der biedere Herr Martin [269] Oberländer, wollte meinen Gedanken begreifen; nur versprach er mir wenig Erfolg, wenn ich auf meinem (eben gekennzeichneten) Verlangen bestünde.‹ Er fürchtete vielmehr von seiten des Hofes für die ganze Sache keine gute Aufnahme zu finden: man würde dort immer nur eine zugedachte Schmälerung von Vorrechten, wie z.B. die Intendantenstelle nicht mehr durch einen Hofmann besetzen zu dürfen, erkennen, und nimmermehr die Initiative zu solchen Maßregeln ergreifen wollen. Dagegen riet er Wagner, den Antrag auf Übertragung des Theaters von der Kgl. Zivilliste auf das Staats-Budget einem der Abgeordneten anzuvertrauen.18 Zunächst erhielt der Künstler, nachdem er wieder einmal auf dem nächsten, geraden Wege die erhoffte Erreichung seines Zweckes sich abgeschnitten sah, durch den wohlgemeinten Wink des Ministers Veranlassung, mit jenen radikalen Abgeordneten der sächsischen Kammer in eine seinen Plänen ersprießliche Verbindung und Fühlung zu treten, und indem er in den ihnen eigenen Zirkeln ihre persönliche Bekanntschaft suchte, zugleich mit ihren politischen Ansichten vertraut zu werden.

Auch eine erneuerte Beziehung zu Robert Schumann, mit dem er den Verkehr nie abgebrochen, und mit dem er es immer wieder versuchte, in freundschaftlichem Verhältnis zu bleiben, fällt in diese erregten Maitage des Jahres 1848. Am 13. Mai nämlich, mithin noch vor Absendung seines Gesuches an den Minister, wandte er sich an Schumann, unter gleichzeitiger Übersendung seines kürzlich vollendeten ›Lohengrin‹. ›Wenn Sie mir ein paar Tage schenken können, so bitte ich Sie, die hierbei Ihnen übersandte Partitur meiner neuen Oper durchzusehen; wenn Sie in der Hauptsache mit mir einverstanden wären, sollte mir das ein rechter Lohn sein. Warum kommen Sie nicht einmal zu mir? Ein Nachmittag, in meinem herrlichen Garten verbracht, ist etwas Anbietungswürdiges. Ich möchte nur wissen, wie es mit Ihrer Dichtung (»Genovefa«) steht.‹19 Es ist uns nicht bekannt geworden, ob Schumann in seiner damaligen Menschenscheu dieser an ihn gerichteten Einladung Folge geleistet, und wie er sich nach der ersten Durchsicht über den ›Lohengrin‹ geäußert habe. In betreff seiner ›Genovefa‹ haben wir bereits hervorgehoben, wie wenig es dem Meister glückte, ihm durch seine wohlmeinenden Ratschläge förderlich zu sein, weil Schumann starr gerade an demjenigen festhielt, was sein Werk am meisten entstellte. Ein Vierteljahrhundert später hörte er in Leipzig eine sehr sorgsam zutage geförderte Aufführung der Schumannschen Oper und mußte finden, daß ›die bereits so widerwärtige und beleidigende Szene, mit welcher der auf ähnliche Motive begründete dritte Akt des Auberschen »Maskenballes« endigt, wie ein witziges Bonmot[270] gegen diese wahrhaft herzzerdreschende Brutalität des keuschen deutschen Effekt-Komponisten und Textdichters erschien.‹ ›Und – wunderbar!‹ fügt er diesem Urteil hinzu, ›nie habe ich hierüber von irgend Jemand eine Klage vernommen. Mit solcher Energie beherrscht der Deutsche seine angeborene reine Empfindung, wenn er einem anderen – z.B. mir – einen anderen – z.B. Schumann, entgegensetzen will. Ich für meinen Teil ersah, daß ich Schumann von keinem Nutzen hatte werden können!‹20

Es ist bezeichnend, daß er sich für seinen Reorganisations-Entwurf gerade durch die obersten Verwaltungsbehörden des sächsischen Staates an die radikalen Abgeordneten der sächsischen Kammer verwiesen sah und damit in die Tagespolitik recht eigentlich gedrängt wurde. ›Nie hatte ich mich (bis zu diesem Zeitpunkt) eigentlich mit Politik beschäftigt‹, bekennt er von sich selbst. Wohl glaubte er, mit den besten unter den Zeitgenossen der vierziger Jahre, an die Kraft der Revolution, ja an ihre unvermeidliche Notwendigkeit. Die politisch formelle Richtung jedoch, in die sich damals der Strom der Bewegung ergoß, hielt ihn anfangs noch fern von irgendwelcher Beteiligung an ihr. Vereinsbildungen mit ausgeprägten politischen Glaubensbekenntnissen standen sich mit großer Rührigkeit gegenüber, das ganze Land war von ihnen bedeckt und die Vereine unter sich zu einem Ganzen organisiert. Die entschieden demokratische Partei hatte sich in dem Vaterlandsvereine zusammengefunden. Sein Programm war der Wahlspruch: ›Des Volkes Wille ist Gesetz‹. Er neigte von der Monarchie zur Republik und zählte in ganz Sachsen gegen fünfzigtausend Mitglieder.21 Zu seinen Forderungen gehörte in erster Linie die Einführung eines allgemeinen Wahl- und Stimmrechts, das Ein-Kammersystem, Aufhebung des Adels und sämtlicher Standesvorrechte und Ersetzung des von der Revolutionspartei mit sicherem Instinkte gehaßten Militärs durch eine ›allgemeine große Volkswehr‹. Ihm gegenüber stand der sog. ›Deutsche Verein‹, das liberale Bürgertum und sämtliche Geschäftsleute umfassend, die von einem Vorherrschen der alles überflutenden revolutionären Elemente eine Stockung des Handelsverkehrs und einen allgemeinen Bankerott befürchteten und dadurch ihre Interessen bedroht sahen. Ihr Wahlspruch lautete: ›Monarchie auf breitester demokratischer Grundlage‹. Sie hatten es aber in ihrer vorsichtigen Halbheit auf kaum zwanzigtausend Mitglieder gebracht und waren in den späteren, auf Grund des allgemeinen Wahlrechts [271] berufenen Kammern durch eine verschwindende Minorität vertreten. In den Kreisen des Dresdener Vaterlandsvereins, denen er ohnehin durch seine Freundschaft mit Röckel, wie durch eigene Gesinnung näher stand, hatte Wagner auch die Vertreter seiner künstlerischen Reformgedanken zu suchen. Für Röckel selbst hatte seine aktive Beteiligung an den Zeitvorgängen sehr bald die Wirkung einer unvermittelten Entlassung aus dem Königlichen Dienst. Wie dies geschah, berichtet er selbst, und seine damaligen Erlebnisse hängen mit denen Wagners durch das beiderseitige Freundschaftsverhältnis zu eng zusammen, als daß wir sie stillschweigend übergehen könnten.

Es war die damals vielerörterte Frage der Volksbewaffnung, die ihn zu dieser ersten öffentlichen Betätigung führte. In einer wohlorganisierten großen Volkswehr suchte die revolutionäre Partei den einzig möglichen Schutz gegen die der Reaktion verbliebene Militärmacht Gegen den Gedanken selbst war von seiten der Regierung eine Opposition nicht erfolgt, er war sogar laut belobt worden; hinwieder stemmten sich seiner Ausführung anscheinend unüberwindliche Hindernisse entgegen. Die Zeughäuser sollten nicht ausreichend mit Waffen versehen sein; einen Organisationsplan zu entwerfen, schien ein Ding der Unmöglichkeit; Offiziere und Unteroffiziere zum Exerzieren waren schlechterdings nicht zu entbehren. So verstrichen unersetzliche Wochen und Monate, ohne daß die Sache einen Schritt weiterrückte. ›Hatte ich bis dahin‹, so berichtet Röckel von sich selbst,22 ›den Verlauf der Dinge mit der größten Spannung verfolgt, so war mir doch nirgends eine Veranlassung geworden, aus der Rolle eines bloßen Zuschauers herauszutreten. Da bemerkte ich eines Tages gegen einen Freund‹, – es ist natürlich Wagner gemeint, der sich lebhaft für das Problem der Volksbewaffnung interessierte23 und dessen Namensnennung Röckel (i. J. 1865) aus begreiflicher Diskretion unterläßt – ›wie sehr es die militärische Ausbildung der Bürger beschleunigen würde, wenn sie, untermischt mit geübten Soldaten, die Exerzitien vornehmen könnten. Er hielt den Gedanken für praktisch und forderte mich auf, ein paar Zeilen darüber in den »Dresdener Anzeiger« einzurücken, der damals vielfach zu politischen Besprechungen benutzt wurde. Als ich mich jedoch hingesetzt hatte, wurde aus der beabsichtigten kurzen Notiz eine ganze Broschüre, in der ich mit Wärme die sittliche und politische Bedeutung der allgemeinen Volksbewaffnung darlegte und in kurzen Zügen den Plan einer Organisation derselben nach Art des Schweizer Miliz-Systems andeutete.‹24 Eine Besprechung [272] über diesen Gegenstand, zu welcher auch mehrere aktive Offiziere als Fachleute durch Röckel aufgefordert waren, soll im Mai 1848 in Wagners schönem Garten hinter dem Marcolinischen Palais stattgefunden haben.25 ›Ich legte‹, fährt Röckel fort, ›dies Schriftchen dem Ausschuß des Vaterlands-Vereines vor, der es in mehreren Tausenden von Exemplaren drucken und sowohl an die sächsischen Abgeordneten als an die Mitglieder der Nationalversammlung in Frankfurt usw. verteilen ließ.‹ (Es wurde auch dem Sächsischen Ministerium eingereicht.) ›Wie gemäßigt auch die ganze Haltung dieser Schrift war, so verleugnete sie doch nirgends die demokratische Richtung ihres ungenannten Verfassers, und diese reichte hin, mir, dessen Name bald bekannt wurde,26 die Entlassung aus dem Königlichen Dienst zuzuziehen, wodurch zugleich die Aufrichtigkeit der gemachten Verheißungen eine weitere Beleuchtung erhielt.‹ Die eifrige Betätigung des ihm zunächst befreundeten Kollegen an den öffentlichen Vorgängen, die eigene tiefe Überzeugung von der Verrottung der politischen und sozialen Bedingungen, die auch in der Kunst keine anderen als die von ihm in seiner Reformschrift bekämpften, nichtswürdigen Zustände erzeugen konnten, das Gefühl der Verpflichtung endlich, einer das ganze Vaterland heftig erregenden, hoffnungsvollen Bewegung seine persönliche, intellektuelle und moralische Mitwirkung nicht zu entziehen, bewogen Wagner eines Tages, sich auch für seine Person in die Listen der Vereinsmitglieder eintragen zu lassen. ›Ich schloß mich demjenigen Vereine an, in dem die Fortschrittspartei am entschiedensten sich ausspricht‹, bemerkte er kurz darauf brieflich gegen Lüttichau, ›einesteils, weil ich erkenne, daß die Fortschrittspartei die der Zukunft ist, anderenteils aber auch aus der Rücksicht, daß es gerade dieser Partei am nötigsten ist, durch Geist und Milde der Gesinnung von rohen Ausschweifungen zurückgehalten zu werden.‹ Zwar besuchte er ihre Versammlungen nur selten, mischte sich nie in ihre Debatten, sondern überließ sich mehr der Beobachtung der Personen und Vorgänge. Andererseits kannte er zu keiner Zeit jene Scheu, die aus irgendwelcher selbstsüchtigen oder ängstlichen Vorsicht mit Namen und Persönlichkeit zurückhält, – wo eine gemeinsame Sache in ihrer ganzen Entwickelung durch die Beteiligung geistig überlegener Elemente alles gewinnen konnte, durch ihre Zurückhaltung hingegen ebenso notwendig alles verlieren mußte!

Am 18. Mai war das vielersehnte deutsche ›Parlament‹, die Deutsche National-Versammlung, in der Paulskirche zu Frankfurt a. M. feierlich zusammengetreten, um ihre Beratungen behufs Vereinbarung einer deutschen [273] Reichsverfassung mit den Regierungen der einzelnen Staaten aufzunehmen. Kurz zuvor (15. Mai) hatte in Wien ein zweiter Aufstand die Einberufung eines konstituierenden Reichstages erzwungen; der Kaiser hatte Wien verlassen und war nach Innsbruck gegangen. Die beabsichtigte Auflösung der Studentenlegion rief am 26. Mai einen dritten Aufstand hervor: das Militär verließ die Stadt, und ein aus Bürgern und Studierenden zusammengesetzter Sicherheits-Ausschuß erhielt das Regiment Beide Vorgänge weckten in Wagners Geiste einen lebhaften Widerhall. Mit dem sächsischen Abgeordneten zur Frankfurter Versammlung, Professor Wigard, dem es in den Dresdener Märztagen gelungen war, durch seine ruhige Beherrschung die erregten Volksmassen zu beschwichtigen, hatte er in Röckels Gesellschaft vielfach politische Themata erörtert. Ein Nachhall jener Unterredungen klingt uns aus dem, am Tage nach der Eröffnung des Frankfurter Parlamentes (19. Mai) ihm dorthin nachgesandten Schreiben Wagners entgegen, das offenbar eine – aus patriotischer Sorge hervorgegangene – Rekapitulation der gemeinschaftlich gepflogenen Unterredungen enthält. ›Ich besorge viel Unheil‹, heißt es darin, ›wenn das deutsche Parlament zunächst nicht folgender Weise beschließt: 1) Der bisherige deutsche Bundestag ist aufgehoben; das Parlament schließt somit die einzige konstituierende Gewalt in sich, sowie die Befugnis, die exekutive Gewalt provisorisch aus ihrer Mitte als Ausschuß zu ernennen. 2) Sofortige Einführung der Volksbewaffnung nach dem uns bekannten Modus. 3) Schutz- und Trutzbündnis mit Frankreich. – Diese drei Maßregeln werden hinreichend sein, dem unausweichlich nötigen Kampf eine bestimmte Richtung zu geben; in jeder Stadt werden sich die zwei bestimmten Parteien herausstellen: die Frankfurter (deutsche) und die Spezial-Regierungspartei. So kommt die Sache zum Ausschlag. Der vierte Schritt sei nun: die Territorialfrage der deutschen Staaten. Hat die Frankfurter Versammlung die Aufgabe, eine Deutschland einigende Verfassung zustande zu bringen, so muß sie zunächst die Hand an die Ungleichheit der deutschen Binnenstaaten legen; sie muß eine Kommission niedersetzen, welche nach dem Grundsatz, Staaten unter 3 und über 6 Millionen nicht mehr zuzulassen, eine vernünftige und naturgemäße Herstellung des deutschen Staatenbestandes in Vorschlag bringen soll. Da ist endlich der entscheidende Moment, ohne dessen Herbeiführung all unser Werk Flickwerk sein würde. Nun hängt es von dem Benehmen der Fürsten ab, welches Los sie sich bereiten wollen. Beginnen sie feindselig, protestieren sie, so sind sie samt und sonders in Anklagezustand zu versetzen; und die Anklage gegen sie ist auf völlig historischer Basis zu begründen. Erst wenn diese Fragen entschieden, wenn diese Kämpfe durchgefochten sind, möge die Versammlung an die Verfassungsarbeit gehen; denn diese kann nicht eher vorgenommen werden, als bis wir reinen Boden haben. Wie nutzlos würde eine Verfassung dem jetzigen Zustande Deutschlands gegenüber sein! Das [274] Parlament muß die einzelnen Staaten erst noch vollkommen revolutionieren, und das wird es durch seine ersten Dekrete tun; denn durch diese Dekrete erhalten die Parteien den nötigen Anhalt, der ihnen jetzt fehlt. Könnten Sie meiner Ansicht sein, und demgemäß alle Kräfte aufbieten, in diesem Sinne die Versammlung zu leiten, so wäre Ihr Verdienst unsterblich. Nichts Sanfteres führt zum Ziele! Alles Heil wünscht Ihr ergebener Richard Wagner.‹ Aber auch die stürmischen Wiener Vorgänge rufen in seinem Innern ein lebendiges Echo wach. Es gelangte in einem Gedichte zum Ausdruck, das unter der Aufschrift: ›Gruß aus Sachsen an die Wiener‹ mit voller Namensunterzeichnung des Autors als Beilage zur ›Allgemeinen Österreichischen Zeitung‹ vom 1. Juni 1848 erschien.27

Wie in jener früheren Jugendepoche des Jahres 1830,28 treffen wir den Meister in seinem nunmehrigen Entwickelungsgange zum zweiten Male im vollen Strom der politischen Ereignisse. ›Ich war‹, berichtet er selbst über seine Stellung zu diesen Fragen, ›von meinem künstlerischen Standpunkte aus, namentlich auch auf dem bezeichneten Wege des Sinnens über die Umgestaltung des Theaters, bis dahin gelangt, daß ich die Notwendigkeit der hereinbrechenden Revolution von 1848 vollkommen zu erkennen imstande war.‹ Aber sämtliche Dokumente seiner Auffassung dieser Revolution bekunden deutlich, wie hoch sein Begriff davon über die unklare, engbegrenzte Bewegung jener Tage hinaus ging. Nicht seine Schuld war es, daß die allseitig mit Emphase angekündigte ›nationale Erhebung‹ durch den Mangel an großen Gesichtspunkten und einheitlicher Durchführung einen verfrühten und überstürzten Ausgang nahm!

Fußnoten

1 Nach anderen Quellen übrigens wäre den berechtigten Forderungen Wagners (in seinem Schreiben an Lüttichau, S. 226 dieses Bandes) in bezug auf Gutzkows Einmischung in die Leitung der Oper damals bereits nachgegeben und diesem letzteren selbst dadurch ›jedenfalls eine reichliche Beschämung erspart‹ worden.


2 Gutzkow schreibt: ›mit dem Chef, vielleicht auch mit dem Hofe‹. Da letzteres eine durchaus haltlose, aus der Luft gegriffene Supposition ist, haben wir die gesperrten Worte oben ausgelassen.


3 Gutzkow schreibt irrtümlich: ›am Kapellmeistersitz und bei den Beratungen im Bureau‹.


4 Nach Gutzkows malitiöser Darstellung habe Lüttichau einen näher motivierenden Vortrag Wagners mit dem Ausruf unterbrochen: ›Aber, Herr Jesus, wir wollen ja nur bloß wissen, ob die Kriete die Partie singen kann oder nicht!‹ Man vergleiche dazu seinen Vorwurf ›überspannter Ideen‹, den er in einem an den König gerichteten Schreiben (S. 262) gegen den Künstler erhebt!


5 N. Zeitschr. f. Musik 1847, Nr. 52. Mit altgewohnter Mißgunst und Selbstüberhebung des Referenten lassen sich die Leipziger ›Signale‹ darüber vernehmen: ›Jetzt beabsichtigt man in dem alten großen Opernhause Konzerte der Kgl. Kapelle einzurichten; eine alte längst gehegte und längst gebotene Idee, welche jetzt auf einmal vom Kapellmeister Wagner ergriffen scheint, um für jeden Preis ausgeführt zu werden, sei es auch unter den ungünstigsten Verhältnissen und praktisch verfehltesten Einrichtungen. Es wird dazu nämlich im alten Opernhause der vordere kleine Saal, der kalt und zugig ist, eingerichtet. Dies Lokal macht gegen 1000 Tlr. vorläufige Unkosten, und gibt doch nur einen schlechten Konzertsaal, außerdem werden noch 2–300 Tlr. Unkosten für jedes einzelne Konzert nötig. Werden nun auch die Konzerte zum Besten der Kapelle gehalten, was soll da übrig bleiben? Wer hat Luft in diesem Lokal zu frieren? Zuvörderst sollen nur drei Konzerte in diesem Winter gegeben werden. Besser wäre es, wenn kein anderes Lokal gewählt werden kann, zuvörderst die Oper in einen erträglichen Zustand zu setzen, welche gegen das Schauspiel jetzt unsäglich zurücksteht‹ (Sign 1848, Nr. 2, 5. Jan.)


6 Am 18. Juli 1879 im Anschluß an die Vorführung einer Mendelssohnschen und einer Beethovenschen symphonischen Komposition am Klavier, im Gespräch mit H. v. Wolzogen, der sie in seinen ›Erinne rungen an Richard Wagner‹ (Leipzig, Reclam) S. 35–36 mitteilt.


7 Daß es sich bei dieser Angabe um eine Verwechselung mit dem am 12. Februar gegebenen zweiten Konzert handelt, ist aus dem Vorhergehenden ersichtlich; offenbar bedurfte es nach der Mendelssohnschen Symphonie keiner weiteren Verstärkung des melancholischen Eindruckes; ist doch Mendelssohns musikalische Landschaftsmalerei – auch in der schottischen Symphonie – nach Wagners Worten ›immer wie mit einem elegischen Trauerton überzogen, wobei er an Bendemanns, trauernde Juden, habe denken müssen‹ (a. a. O.).


8 Ganz wie damals Reißiger, trotz seiner vorausgegangenen Verständigung mit Wagner, in das alte Ländler-Tempo des dritten Satzes unversehens zurückgefallen war, war es wenige Jahre später (im Winter von 1846 zu 47) Ferdinand Hiller im Betreff des gleichen dritten Satzes der F dur-Symphonie ergangen. ›Auch dieser hatte meinen Ansichten über das Tempo di Menuetto dieses Satzes beigepflichtet, und für ein von ihm geleitetes Konzert, zu welchem er mich einlud, mir das wichtige langsame Tempo zu nehmen zugesagt. Wunderlich lautete seine Entschuldigung dafür, daß er sein Versprechen nicht gehalten. Lachend gestand er mir nämlich, daß er, durch die Besorgung von allerlei Direktions-Angelegenheiten zerstreut, erst nach dem Beginn des Stückes sich der mir gegebenen Zusage wieder erinnert habe. Nun habe er natürlich das einmal wieder angegebene altgewöhnte Zeitmaß nicht plötzlich ändern können, und so sei es denn für diesmal notgedrungen beim Alten verblieben. So peinlich mich diese Erklärung berührte, war ich diesmal doch zufrieden damit, wenigstens jemand gefunden zu haben, welcher den von mir verstandenen Unterschied bestätigt ließ, und nicht vermeinte, mit diesem oder jenem Tempo käme es auf das Gleiche heraus.‹ (Gesammelte Schriften VIII, S. 349.)


9 Gesammelte Schriften VIII, S. 348.


10 Leipziger ›Signale‹ 1848, Nr. 48 (29. April). Wie sehr in dieser und den sonstigen gleichzeitigen Auslassungen jede Wendung von persönlicher Mißgunst diktiert war, beweist die Fortsetzung: ›Auch ist die Koketterie (!) zu rügen, mit welcher Herr Kapellmeister Wagner stereotyp die Beethovenschen Meisterwerke auswendig dirigiert, ohne einen Blick in die Partitur zu tun. Das soll etwas Besonderes sein, heißt aber nichts, als daß Herr Wagner sehr von sich eingenommen ist. Übrigens ist der Zuschauer im Zweifel, ob Herr Wagner nicht den Konzertmeister Lipinski als seine lebendige Partitur betrachtet, da er eigentlich (!) nur das Tempo nachschlägt, welches jener vorgeigt, und da Herr Wagner, wie in der Generalprobe, es durchaus nicht für unter seiner Würde hielt, sich aus seinem vergriffenen Tempo im letzten Satze durch das Orchester heraus-, und in ein gemäßigteres hinüberführen zu lassen.‹ Der anonyme Federheld – Schladebach? – dem diese ebenso leichtfertige als gehässige Auslassung angehört, vermeinte gewiß besonders geistreich zu sein, indem er seinen Bericht mit dem Namen ›Richard‹ unterzeichnete.


11 Charakteristisch für die damals gebräuchliche Abschätzung des Wertes der Tätigkeit eines musikalischen Dirigenten im Vergleich zu derjenigen des beliebten Darstellers oder Oberregisseurs ist das Verhältnis der damaligen Gagierung Wagners zu derjenigen seiner mitangestellten Zeitgenossen. Von diesen war z.B. ein Eduard Devrient sogleich bei seiner Berufung mit einem jährlichen Gehalt von 2600 Talern bedacht, und sein (nach Prölß sogleich im ersten Jahre seines Engagements gestelltes) Gesuch um ›Abrundung‹ dieses Gehaltes auf die Summe von 3000 Talern ihm sogar ›mit Zuvorkommenheit bewilligt‹ (Prölß, Gesch. des Dresd. Hofth. S. 504 und 564). Vollends klaffend stellt sich der Unterschied heraus, wenn die jährliche Besoldung des Meisters in seiner Dresdener Stellung mit derjenigen des Sängers, oder der Sängerin (etwa Tichatscheks oder der Schröder-Devrient) verglichen wird. Letztere erhielt um jene Zeit, ihre zahlreichen jährlichen Gastspiele ungerechnet, 4000 Taler regelmäßigen Gehalt nebst gleichzeitigem Pensionsanspruch von jährlich 1000 Talern, außerdem jährlich 200 Taler Garderobegeld und für jedes einzelne Auftreten 20 Taler Spielhonorar usw. (vgl. Seite 175 dieses Bandes, Anm.).


12 Einmal auf die schiefe Bahn eines überhebungsvollen Aburteilens über die Privatverhältnisse des ihm unterstellten Künstlers gelangt, kann es uns dann auch nicht wundernehmen, Lüttichau in seinem offiziellen Bericht in so auffallend würdeloser Weise in den niederen Ton mißgünstigen Klatsches verfallen zu sehen. In der Auffassung, daß die endliche Gewinnung eines angemessenen Tätigkeitsgebietes für den heimatlosen jungen Meister, nach allen überstandenen Drangsalen ein besonderes, wohl gar seine Verdienste übersteigendes ›Glück‹ (!) gewesen sei, finden wir ihn in voller Übereinstimmung mit dem gemeinen Chorus neidischer Widersacher Wagners. Die Herausgabe seiner Werke auf eigne Kosten wird in gleich entstellender Weise, und mit völliger Umkehrung der Wahrheit – da doch kein Verleger damals für den Druck dieser Werke sich bereit fand! – als ein Akt habgieriger Spekulation hingestellt, und das Vertrauen des Monarchen zugleich (immer in einem offiziellen Bericht!) mit einer so unwahren Verdächtigung getäuscht, wie dem Hinweis auf eine ›kostspielige Einrichtung‹ Wagners. Die letztere Behauptung fällt um so schwerer ins Gewicht, als vielmehr die Zeitgenossen der Dresdener Periode übereinstimmend von der anspruchslosen häuslichen Niederlassung des Meisters berichten, ein A. Meißner sogar mit unverkennbar hämischer Geringschätzung (indem er dabei wohl an die Prachtsäle seines Oheims Quandt denkt) von der ›bescheidenen Wohnung‹ Wagners in der Ostra-Allee spricht! Hatte wohl Herr von Lüttichau seinen angestellten Kapellmeister jemals in dessen Häuslichkeit aufgesucht, um sich von deren Einrichtung durch eigenen Augenschein zu überzeugen?


13 Aug. Röckel, Sachsens Erhebung (2. Aufl. 1865), S. 8.


14 Vgl. Hans Blum, die deutsche Revolution 1848/49. Eine Jubiläumsgabe für das deutsche Volk (Leipzig, Diederichs 1898); A. Ruge, Briefwechsel u. Tagebuchblätter usw.


15 Röckel, Sachsens Erhebung (2. Aufl. 1865), S. 13.


16 Ebendaselbst S. 14: ›Wie Oberländer von seiten des Hofes nur den zähesten Widerstand zu erwarten hatte, so auch nach unten, von seiten des gesamten Beamtentums. Die ganze faktische Gewalt hatte unter den letzten Fürsten in den Händen der Bureaukratie gelegen, und diese war nichts weniger als geneigt, zu Neuerungen mitzuwirken, die sie der liebgewonnenen Macht berauben mußten, selbst wenn die Absicht des Hofes, durch Versprechungen und Hinhalten nur Zeit zu gewinnen, nicht so offen zutage gelegen wäre. Diese von allen Seiten ihn umringenden Schwierigkeiten zu überwinden, hätte Oberländer ein Mann von rücksichtsloser Energie sein müssen, mit Festigkeit die Gewalt ergreifend und durch die Entschiedenheit seines Vorgehens jede Hoffnung eines Widerstandes niedertretend. Das war diesem weichen Gefühlsmenschen nicht gegeben; zart und schonend überließ er die ganze Macht den Gegnern, stets hoffend, durch Geduld und Nachgiebigkeit morgen zu erringen, was ihm heute vorenthalten blieb, und so bei lauterster Absicht der Reaktion die Wege bereitend.‹


17 Ges. Schr. II, S. 309–310. In genauester Übereinstimmung mit dieser eigenen Erzählung Wagners a. d. J. 1871 heißt es bereits in der zwei Jahrzehnte älteren biographischen ›Mitteilung an meine Freunde‹ v. J. 1851: ›Ich vermochte es, einen umfassenden Plan zur Reorganisation des Theaters auszuarbeiten, um mit ihm, sobald die revolutionäre Frage an dieses Institut gelangen würde, gut gerüstet hervorzutreten. Es entging mir nicht, daß bei einer vorauszusehenden neuen Ordnung des Staatshaushaltes, der Zweck der Unterstützungsgelder für das Theater einer peinlichen Kritik ausgesetzt sein würde: sobald es hierzu käme und, wie vorauszusehen war, ein öffentlicher Nutzen aus der Verwendung jener Gelder nicht begriffen werden würde, sollte mein vorgelegter Plan zunächst das Geständnis dieser Nutz- und Zwecklosigkeit nicht nur vom staatsökonomischen, sondern namentlich eben auch vom Standpunkte des rein künstlerischen Interesses aus, enthalten; zugleich aber den wahren Zweck der theatralischen Kunst vor der bürgerlichen Gesellschaft, und die Notwendigkeit, einem solchen Zwecke alle nötigen Mittel der Erreichung zur Verfügung zu stellen, denjenigen vorführen, die mit gerechter Entrüstung im bisherigen Theater ein nutzloses, oder gar schädliches, öffentliches Institut ersahen‹ (Gesammelte Schriften IV, S. 378–379. Vgl. Briefe an Uhlig, S. 53 f.)


18 Gesammelte Schriften, Band II, S. 310.


19 Altmann, Richard Wagners Briefe, S. 49. Das Original befindet sich in der Landschriften-Abteilung der Kgl. Bibliothek zu Berlin (Schumanns Briefnachlaß).


20 Ges. Schr. X, S. 223.


21 Das Manifest des ›Vaterlandsvereines‹ vom 9. Juli 1818 ist von 57 Männern aus allen Berufskreisen unterzeichnet, darunter ein Regierungsrat, 1 aktiver Offizier, 1 Geistlicher, 8 Bürgermeister, 2 Professoren usw. Von den einzelnen Namen sind hervorzuheben: August Röckel, von Trützschler (nachmals infolge seiner Beteiligung am badischen Aufstande erschossen), Tzschirner und der Geheimrat Todt (die beiden nachmaligen Mitglieder der ›provisorischen Regierung‹). Vgl. Dinger, Wagners geistige Entwickelung, S. 137–139.


22 August Röckel, ›Sachsens Erhebung‹, 2. Aufl., S. 19.


23 Vgl. Ges. Schr. VIII, S. 54, 69, 70 in der Abhandlung Wagners über ›Deutsche Kunst und Deutsche Politik‹ 1867.


24 ›Die Organisation der Volksbewaffnung in Deutschland, mit besonderem Bezuge auf Sachsen. Eine Denkschrift an die deutsche Nationalversammlung zu Frankfurt und an die deutschen Regierungen. Auf Grund der Beratungen einer vom deutschen Vaterlandsvereine zu Dresden berufenen Kommission bearbeitet.‹ Dresden, Adler u. Dietze. gr. 8 (28 Seiten).


25 Dinger, a.a.O., S. 180.


26 Dafür sorgte schon das allezeit sensationsbegierige Klatschbedürfnis der Dresdener musikalischen Rezensenten und Notizenverfasser, vgl. z.B. die darauf bezüglichen Erwähnungen der N. Z. f. M. 1848 II, Nr. 6 Feuill., Signale 1848, Nr. 41, S. 327 u.a. m, wobei jedesmal Röckels Name voll genannt ist.


27 Neu abgedruckt findet es sich in dem Sammelwerk des Freiherrn von Helfert: ›Der Wiener Parnaß i. J. 1848‹ (Wien 1882). Vgl. auch ›Gedichte‹ von Richard Wagner (Berlin, Grotesche Buchhandlung 1905) S. 12/15.


28 Vgl. Band I des vorliegenden Werkes, S. 127/31.

Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 2, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 254-275.
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