25.

Indem wir uns der Betrachtung von Mozarts Thätigkeit als Instrumentalcomponist zuwenden, können wir den Uebergang mit denjenigen Instrumentalwerken machen, welche zum Gebrauch für die Kirche bestimmt waren. Es war hauptsächlich in Italien – aber nicht dort allein – Sitte geworden auch der Instrumentalmusik Zugang in der Kirche zu gestatten. Man beschränkte sich nicht auf lange, ausgeführte Ritornelle, wie wir deren auch in einigen der Mozartschen Kirchenmusiken fanden, sondern es wurden zur Einleitung oder als Zwischensätze selbständige Instrumentalstücke aufgeführt1. Theils waren diese in der damals üblichen Form der Symphonie geschrieben, wobei man auch die lebhaften und munteren Sätze für die Kirche nicht unangemessen fand2, und [538] durch starke Besetzung, doppelte Orchester3 und ähnliche Mittel glänzende Instrumentaleffecte hervorzubringen bestrebt war, theils waren sie Concerte für einzelne Virtuosen4; und ebenso wie man Gesangsvirtuosen in der Kirche hören ließ, suchte man auch durch die Solovorträge ausgezeichneter Instrumentalisten dem musikalischen Theil des Gottesdienstes einen Reiz zu geben, der nun einmal für ein Publicum unerläßlich geworden war, das beim Anhören der Musik nur Genuß suchte und diesen allein in virtuosenhaften Leistungen fand.

In Salzburg war es, wie auch in Mozarts Brief an Padre Martini angedeutet ist (S. 446) Sitte, zwischen der Epistel und dem Evangelium eine Sonate vorzutragen, bis Erzbischof Hieronymus dieselbe im Jahr 1783 abschaffte und an ihre Stelle ein Graduale treten ließ5. Eine Reihe von Mozart [539] für diesen Zweck geschriebener Compositionen hat sich erhalten6; sie sind Sonata7 überschrieben und bestehen alle aus einem nicht langen lebhaften Satz, der in zwei Theile geschieden und in der damals schon üblichen regelmäßigen Sonatenform behandelt ist. Ihr Stil hat durchaus nichts was an die Bestimmung für kirchliche Aufführung erinnerte, sie sind weder der Stimmung nach ernst, feierlich oder andächtig, noch ist die Schreibart streng contrapunktisch gearbeitet. Sie [540] erinnern vielmehr im Umfang, Ton und Behandlung an die ersten Sätze kleinerer Sonaten und Quartetts; die Motive sind klein, zum Theil recht hübsch, die Behandlung frei und geschickt und in den späteren nicht leicht ohne eigenthümliche Mozartsche Züge. Gewöhnlich sind sie für zwei Violinen und Baß geschrieben, zu denen regelmäßig die Orgel tritt, mitunter kommen auch noch Blasinstrumente hinzu8; es versteht sich von selbst, daß da wo mehrere Mittel angewandt sind, auch die Anlage und Behandlung etwas größer und bedeutender wird, doch halten auch solche Sätze sich in verhältnißmäßig engen Grenzen. Die Orgel ist in diesen Sonaten nie eigentlich obligat oder gar virtuosenhaft behandelt. In vielen hat sie nur die gewöhnliche Obliegenheit den Baß harmonisch zu begleiten, weshalb denn auch nur eine bezifferte Baßstimme geschrieben ist. Aber auch wo die Orgelpartie selbständig ausgeführt ist9, beschränkt sie sich zum großen Theil auf das, was ein geschickter Orgelspieler aus dem Continuo machen würde, und nur in sehr bescheidener Weise greift sie selbständig ein, nirgends als eigentliches Solospiel oder gar mit Passagenwerk10.

[541] So wie diese, verhältnißmäßig nicht bedeutenden, Compositionen für eine bestimmte Veranlassung geschrieben sind, welche ihre Form bedingte, so ist überhaupt die gesammte Instrumentalmusik jener Zeit in diesem Sinn Gelegenheitsmusik. Orchestercompositionen wurden mit sehr seltenen Ausnahmen nur für bestimmte Zwecke geschrieben, wobei dann auch die maßgebenden Verhältnisse und Bedingungen sich ergaben. An Gelegenheiten fehlte es nicht, denn bei den damaligen socialen Zuständen waren für vornehme und reiche Leute musikalische Aufführungen die regelmäßige Abendunterhaltung, wenn keine bessere z.B. Theater vorhanden war, und größere gesellige Zusammenkünfte fanden nicht leicht ohne Musik Statt. Wer seine eigene Kapelle hielt – und das war damals nicht in der Weise ein Prärogativ der regierenden Fürsten, wie es jetzt geworden ist, sondern ein gewöhnlicher Luxus reicher Edelleute11 – verlangte auch, daß sie täglich mit ihren Leistungen zu Diensten stand und ihm, mochte er allein sein oder Gesellschaft bei steh sehen, Abends ein wohlbesetztes Concert aufführte. Auch war es damals nicht selten, daß vornehme Herren sich praktisch mit der Musik abgaben und es auf irgend einem Instrument so weit brachten, daß es ihnen Vergnügen machte sich auf demselben hören zu lassen und sich an ihren Concerten selbst zu betheiligen. Um der berühmten Beispiele Friedrichs des Großen und Kaiser Josephs zu geschweigen, so war Churfürst Maximilian III. von Bayern ein Virtuose auf der Gambe und ließ sich auf derselben, wie seine Schwester die Churfürstin Maria Antonia von Sachsen als Sängerin, in Hofconcerten[542] hören12, Churfürst Karl Theodor spielte Flöte und Violoncell13, Fürst Nicolaus Esterhazy Bariton14, Prinz Joseph Friedrich von Hildburghausen die Flöte15. So hatte Erzbischof Hieronymus die Violine erwählt16, mit welcher er sich nach der Mittagstafel gern allein unterhielt17; am Abend [543] betheiligte er sich ebenfalls, wie jene erlauchten Herren18, an den Concertaufführungen seiner Kapelle19.

In diesen Concerten pflegten Virtuosen sowohl im Gesang als auf verschiedenen Instrumenten eine Hauptrolle zu spielen; bei der Zusammensetzung der Kapelle wurde hierauf Bedacht genommen, fremde Künstler zugezogen, und in großen Städten diente die Theilnahme an Akademien, deren es täglich gab, für manche Virtuosen zum Lebensunterhalt20; außerdem wurde viel Musik für Orchester aufgeführt. Gewöhnlich wurde lange und viel musicirt. Wir hören, daß [544] die musikalischen Akademien beim Grafen Firmian von fünf Uhr Abends bis elf Uhr dauerten21, und werden uns dann nicht allzusehr wundern, wenn in einer Akademie einige Symphonien von J.C. Bach und vier Symphonien von Martini gespielt wurden22, oder wenn Dittersdorf an einem Abend zwölf neue Violinconcerte von Benda vortragen mußte23 – außerdem nahmen die sonst gewöhnlichen Productionen ihren ungestörten Verlauf24. Dabei darf man aber sich daran erinnern, daß in der Regel auch für andere Unterhaltung durch Kartenspiel und Gespräch gesorgt war. Erzbischof Hieronymus hatte übrigens die Zeit der Abendmusik beschränkt; Leopold Mozart schreibt seinem Sohne zu dessen Beruhigung (17. Sept. 1778), sie dauere gewöhnlich nur von 7 Uhr bis 81/4 und es pflegten nur vier Stücke gemacht zu werden, eine Symphonie, eine Arie, wieder eine Symphonie oder ein Concert, noch eine Arie – »und damit Addio«25.

[545] Die Direction dieser Hofmusik theilten die Hofcompositeurs mit dem Kapellmeister, indem sie Woche um Woche abwechselten, und dem jedesmaligen Dirigenten stand die Auswahl und Anordnung der aufzuführenden Musikstücke zu26, sofern nicht etwa ein höherer Wille unmittelbar bestimmte. Mozart hatte also durch die Stellung seines Vaters, ehe er selbst eine ähnliche einnahm, fortwährend Gelegenheit sich in Instrumentalcompositionen aller Art zu üben und seine Versuche zur Aufführung zu bringen. Denn auch hier galt es wie in der Kirche für einen Ehrenpunkt, nicht nur durch neue und frische Waare die Aufmerksamkeit und Theilnahme des Publicums rege zu halten, sondern soviel als immer möglich war durch eigene Arbeiten für den Ruhm der Kapelle zu sorgen, und bei festlichen Gelegenheiten galt es unerläßlich Compositionen aufzuführen, welche für die bestimmte Veranlassung verfaßt waren27. In dieser Stellung beim Fürsten Esterhazy bat J. Haydn während einer langen Reihe von Jahren in stetiger Thätigkeit die unglaubliche Menge von Instrumentalcompositionen geschaffen; Mozarts Fruchtbarkeit während der Zeit, da wir ihn in selbständiger Thätigkeit in Salzburg zu denken haben, etwa von 1770 an bis zu seiner Abreise im Herbst 1777, ist kaum geringer anzuschlagen – obgleich beide großen Meister das Lob des Fleißes und der Fruchtbarkeit mit vielen gleichzeitigen kleineren theilen.

Dem Beispiel des Fürsten suchten Vornehme und Reiche [546] zu folgen; wenigstens bei festlichen Gelegenheiten gehörten Akademien, bei welchen eigens dafür componirte Musikstücke aufgeführt wurden, nothwendig dazu. Wir besitzen noch eine große Instrumentalmusik von Mozart zur Verlobung des Herrn Spath mit Elisabeth Hafner28 im Jahr 1775 und einen Matsch zur Vermählung derselben im Juli 1776 componirt, und mit der in den Briefen erwähnten Andretterie-Musik (25. Sept. 1777), den Lodronschen Nachtmusiken (11. Decemb. 1777), hat es gewiß dieselbe Bewandtniß wie mit der Hafnermusik (11. Dec. 1777. 27. Juli 1782).

Der außerordentliche Vortheil, welchen eine solche Stellung für die künstlerische Ausbildung darbot, ist auch hier unverkennbar. Die geschickte Behandlung des Orchesters beruht wesentlich darauf daß der Componist mit jedem einzelnen Instrument nicht bloß im Allgemeinen bekannt sondern mit seiner eigenthümlichen Natur vertraut ist und auch in den Mikrokosmus des Orchesters sich so eingelebt hat, daß er die einzelnen Instrumente als Glieder des Ganzen, wodurch die Stellung und Wirksamkeit eines jeden bedingt wird, erkennt und zu gebrauchen weiß. Diese Sicherheit, ohne welche auch ein erfinderisches Talent entweder in ein berechnendes Combiniren einzelner Effecte verfällt, oder bloß zufällig das Rechte trifft, ist allein durch anhaltende praktische Studien zu gewinnen; selbst prüfendes Hören reicht nicht aus, sondern nur Versuchen. Wie glücklich war der, welchem fortwährend sich Aufgaben der mannigfaltigsten Art darboten, die dadurch daß sie einen Zweck, eine Bestimmung zu erfüllen hatten, bestimmtere [547] Anforderungen an den Componisten machten als den einer abstracten Uebung, während sie doch bei den unausgesetzten Ansprüchen der Gegenwart an seine Thätigkeit ihm hauptsächlich als Studien dienten. Heutzutage würden bei der vorherrschenden Richtung auf die Ausprägung des Individuellen, Charakteristischen vielleicht durch ähnliche Verhältnisse Erscheinungen hervorgerufen werden, die sich in Bizarrerie überböten; in jener Zeit, wo der Einfluß der Schule die Macht der überlieferten Form überwog, war die Gefahr vorhanden, einer handwerksmäßigen Routine zu verfallen, und es war die Probe einer schöpferischen, genialen Natur, wenn sie in dem ununterbrochenen Streben sich der Technik und der Form von allen Seiten sicher zu bemeistern, die lebendige Kraft bewahrte dieses Besitzthum in jedem Augenblick geistig zu durchdringen, und von innen heraus zu erweitern und zu erneuern29.

Wir finden für Instrumentalcompositionen in jener Zeit mehrere und freier behandelte Formen in Gebrauch als es heutzutage der Fall ist, wo man sich auf die seit geraumer Zeit festgestellten Formen der Symphonie und Ouverture zu beschränken pflegt. Indeß ist es kaum möglich die verschiedenen damals üblichen Namen streng zu scheiden und auf bestimmte, scharf begrenzte Gattungen anzuwenden; der Gebrauch selbst war weder für den Ausdruck noch die musikalische Behandlung festgestellt.

Am einfachsten erscheint die Sache bei der Symphonie. [548] Wir sahen bereits (S. 260f.) daß seit Lully dem Instrumentalsatz, welcher die Oper einzuleiten pflegte, die Form gegeben wurde, einen kurzen langsamen Satz einem längeren, bewegten vorauszuschicken, an dessen Schluß der erste wiederholt wurde. Bei weiterer Ausbildung fiel das Hauptgewicht auf das Allegro, das ausgeführt, oft fugirt wurde, mitunter in zwei Theile zerlegt, die dann auch wiederholt wurden; endlich wechselten auch wohl das Grave mit dem Allegro in mehrfacher Wiederholung mit einander ab30. Dieser Form der Symphonie, welche als die französische lange Geltung hatte, stellte sich durch die Schule Scarlattis die italiänische entgegen, welche regelmäßig aus drei Sätzen bestand. Sie beginnt mit einem längeren Allegro und schließt mit einem solchen; beide werden durch einen langsamen Satz getrennt, der in der Regel weniger ausgeführt ist und mehr nur dazu dienen soll, gegen die beiden gleichartigen Sätze einen wirklichen Contrast zu bilden; aber auch die lebhaften Sätze werden in einem verschiedenen Charakter gehalten, die Lebhaftigkeit der Bewegung und die Heiterkeit der Stimmung ist meistens im letzten Satz gesteigert. Da man diese Symphonie nur in einem sehr lockern Zusammenhang mit der Oper betrachtete und nicht als eine den Geist und Charakter derselben ausdrückende Einleitung in dieselbe ansah, so war es leicht sie von der Oper abzulösen, und eben so gut wie man eine selbständig componirte Symphonie vorsetzte ließ man auch die für eine bestimmte Oper geschriebene Symphonie allein aufführen31.

[549] Da die vorher geschilderten zahlreichen musikalischen Abendunterhaltungen ein fortwährendes lebhaftes Bedürfniß nach Symphonien rege hielten und die Anforderungen an ihre Leistungen steigerten, entwickelte sich dieselbe innerhalb der gegebenen Form zu größerer Bedeutung und Selbständigkeit mit der steigenden Tüchtigkeit der Instrumentalisten und der immer reicheren Besetzung der Orchester. In Italien war Sammartini es, welcher die Symphonie selbständig entwickelte32, in Deutschland bildeten die Componisten der Manheimer Kapelle, welche den ersten Rang einnahm, diese Gattung der Instrumentalmusik mit Erfolg aus33; Jos. Haydn, der sie alle übertraf durch die unerschöpfliche Fülle einer ursprünglichen Productionskraft und gründliches Wissen hat sie in Vergessenheit gebracht und gilt deshalb mit Recht für den Schöpfer der Symphonie.

Es war, wenn gleich nicht Regel, so doch gewöhnlich gewesen, [550] die drei Sätze der Symphonie unmittelbar mit einander zu verbinden, um sie dadurch als ein zusammenhängendes Ganze darzustellen. Dies geschah zwar auch noch in der selbständigen Symphonie34, allein hier wurde es Regel sie zu trennen, jeden Satz als ein für sich abgeschlossenes Ganze zu betrachten, ihm einen bestimmt ausgeprägten Charakter zu verleihen und damit dieser sich aussprechen könne ihm einen weiteren, freieren Spielraum zu geben. Für die Behandlung der einzelnen Sätze in bestimmten Formen ist die Klaviersonate von großer Bedeutung, auf deren Ausbildung Phil. Eman. Bach – den Haydn selbst als sein Vorbild anerkannte35 – bestimmenden Einfluß gehabt hat, und deren Formen im Wesentlichen auf die Symphonie übertragen wurden.

Das erste Allegro36 wurde regelmäßig in zwei Theile geschieden, deren jeder eine bestimmte Gliederung erhielt. Dem ersten Motiv, welches den Charakter des Satzes ausdrückt, tritt ein zweites, dem Ausdruck und der Structur nach scharf contrastirendes gegenüber, in der Regel wird um den Satz zu schließen noch ein drittes eingeführt. Wesentlich ist daß an die Stelle eines aus verschiedenen Phrasen nur äußerlich fortgesponnenen [551] Fadens eine feste Gliederung selbständiger Motive tritt, die im ersten Theil ohne weitere Verarbeitung, – insofern nicht das Thema in seiner Anlage schon ein künstlich gegliedertes z.B. imitatorisches ist – nur hingestellt zu werden pflegen; die Verbindung geschieht durch freie Mittelglieder. Dabei gilt es lange als feste Regel, daß das erste Thema in der Subdominante abschließt, worauf das zweite Thema in der Tonart der Dominante einsetzt, in welcher auch der erste Theil schließt. Im zweiten Theil beginnt die Verarbeitung der Motive, wobei es dem Componisten frei steht, welches von den angeschlagenen Motiven, ob mehrere, ob im Verein mit neu eingeführten er durchführen will; auch über die Weise der Verarbeitung hatte sich keine durchgreifende Norm gebildet. Die Durchführung leitet wieder in die Haupttonart zurück, mit dieser tritt das erste Thema wieder ein, das nun zum Abschluß in der Dominante geführt wird, worauf das zweite Thema in der Haupttonart folgt; man konnte entweder den ersten Theil in dieser Modification einfach wiederholen oder auch hier den Wechsel der Tonart ausführlicher behandeln. Der ganze zweite Theil wird mitunter wiederholt; dann erfolgt der völlige Abschluß durch eine Coda, welche auf eins oder mehrere der Hauptmotive zurückgreift; indessen wird diese oft auch da angebracht, wo der zweite Theil nicht wiederholt ist. Die Elemente dieser Form waren bereits in der Arie dadurch gegeben, daß man mehrere Melodien, welche zwar miteinander contrastirten, aber aus einer Grundstimmung hervorgegangen waren, zusammenstellte; und wir haben gesehen, wie die Entwickelung dieser Form dahin drängte, sowohl den einzelnen Melodien mehr Selbständigkeit und Bedeutung und dadurch den Charakter von Motiven, welche weiterer Ausführung fähig und bedürftig wären, zu geben, als auch die durch phrasenhafte Passagen bewirkte bloß äußerliche [552] Verbindung derselben in eine aus dem thematischen Charakter der einzelnen Elemente hergeleitete organische Gliederung umzuwandeln. Die Instrumentalmusik löste diese Aufgabe vollständiger als es dort geschah. Da man auch hier der streng contrapunktischen Bearbeitung und der Passage gegenüber das Recht der Melodie anerkannte und vor allem darauf ausging sangbar zu componiren37, waren die in der Oper ausgebildeten Formen des Gesanges das naturgemäße Vorbild für die Instrumentalmusik und der Ausgangspunkt für die künstlerische Ausbildung derselben. Diese erforderte außer den durch den verschiedenen Charakter der Instrumente bedingten Modificationen – dies war die geringste Schwierigkeit, da die Componisten aus dem Orchester selbst hervorgingen – Einheit des Ganzen, richtig abgemessenes Verhältniß und inneren Zusammenhang der einzelnen Theile, und fruchtbare Verwerthung ihres musikalischen Gehaltes durch thematische Verarbeitung. Der wesentliche Punkt, von welchem dieser Fortschritt ausging, war, daß man an die Stelle des langsamen Mittelsatzes in der Arie, der dort nur des Contrastes wegen, um die Wiederholung des Haupttheils durch ein anderes Element zu unterbrechen eingeschoben wurde, einen Mittelsatz brachte, in welchem eins oder mehrere Motive des ersten Theils verarbeitet wurden, allein oder mit neuen Motiven [553] verknüpft, welche aus der Durchführung selbst hervorgehen mußten. Indem man auf diesem Wege die Wiederholung des ersten Theils vermittelte, war nicht allein ein Gegensatz sondern eine Steigerung gewonnen durch die künstlerische Ausbildung des musikalischen Inhalts der einzelnen Elemente, die nun erst ihrer wahren Bedeutung nach in Wirksamkeit gesetzt erschienen; die Einheit wurde gesichert, da nichts der Form oder dem Gehalt nach Fremdes sich eindrängte, die Wiederholung des ersten Theils gewährte, wie nach einer dialektischen Auseinandersetzung, einen beruhigenden, abklärenden Abschluß. Wie es in dem natürlichen Gange jeder Entwickelung liegt, so finden wir den durchführenden Theil nicht sogleich in seiner ganzen Wichtigkeit erkannt und gewürdigt; anfangs meistentheils und auch später noch manchmal ist er nur als eine Form der harmonischen Ueberleitung behandelt, aber mehr und mehr tritt er als der eigentliche Kernpunkt des ganzen Satzes hervor. Er wirkt nun auch bedeutsam auf die Gestaltung und Gliederung des ersten Theils zurück, der nicht mehr für sich allein steht, sondern auf die Durchführung hinweist, sie vorbereitet; sowie man auch sagen kann – denn selten vermag man den ersten treibenden Keim eines Musikwerks aufzuzeigen, am wenigsten aus der Stellung der Motive im vollendeten Kunstwerk – daß in der Durchführung die eigentlich belebenden Elemente des Ganzen erscheinen. Sowie man sich aber nicht immer mit der einfachen Wiederholung des ersten Theils begnügte, sondern um der Abwechslung und Steigerung willen im Einzelnen manche Modificationen anbrachte, – bei denen meistens das Princip, welches der Durchführung zu Grunde liegt, wiederum maßgebend wird –, so rief ein richtiges Bedürfniß, zum Schluß die Kräfte zu einer neuen Steigerung zu concentriren, die Coda hervor, die häufig allerdings nur auf eine verlängerte Ausführung [554] der Schlußformel hinausläuft, aber in consequenter Ausführung des Hauptprincips so ausgebildet wurde, daß sie in prägnanter Kürze die wesentlichen Elemente des Ganzen auf einem Punkte zusammenfaßte38.

Der ursprüngliche Mittelsatz hat in seiner selbständigen Ausbildung das langsamere Tempo und die gemäßigte Stimmung als charakteristische Eigenschaften bewahrt, auch ist die Anlage und Ausführung im Ganzen einfach geblieben. Der Ausgangspunkt ist das Lied oder die entsprechende Gestaltung in der Oper, die Cavatine39. Eine künstlichere Gliederung mehrerer Motive pflegt hier nicht Statt zu finden, noch viel weniger eine Verarbeitung; eine Hauptmelodie beherrscht das Ganze, was neben derselben erscheint ist meistens als ein schmückendes Beiwerk, das rankenartig aus derselben Wurzel aufwächst, leicht zu erkennen. Ost, aber nicht nothwendig zerfällt dieser Satz in zwei gesonderte Theile, von [555] denen einer oder beide wiederholt werden, mitunter mit hinzugefügter Coda. Allein auch im zweiten Theil findet sich dann keine eigentliche Durchführung, sondern meistens nur eine andere Wendung des Hauptthemas, wobei namentlich der Gegensatz der Dur- und Molltonart benutzt wird. Scharf ausgeprägt wurde derselbe, indem man das Thema bald in der Dur bald in der Molltonart ganz ausgeführt abwechseln ließ: Maggiore und Minore. Die öftere Wiederholung des einfachen Themas, wie sie im Wesen des Liedes und in der Cavatine begründet ist, führte dazu, daß, um diesem Satze eine größere Ausdehnung zu geben, vielfach die Form der Variation angewendet wurde40. Nach einer alten Tradition war es nicht bloß das Recht sondern die Pflicht des Virtuosen wie des Sängers (S. 252), eine Melodie so oft sie wiederkehrte mit neuen Verzierungen auszuschmücken, die Variation war nur die kunstgemäße Ausbildung dessen, was ehemals dem ausübenden Künstler überlassen war, durch den Componisten. Daß diese Form bald strict bald frei angewendet werden konnte, ist einleuchtend, ebenso daß dieselbe in ihrem Grundwesen an Tiefe und Tüchtigkeit der thematischen Verarbeitung nachsteht. Es ist daher wohl begreiflich, daß dieser Satz verhältnißmäßig längere Zeit sowohl der Ausdehnung und Form als dem Gehalt nach weniger bedeutend blieb. Es war eine vollkommene Beherrschung des gesammten Materials aller Art welches die musikalische Technik darbietet, es war sozusagen eine Durchdringung, eine Sättigung des künstlerischen Individuums erforderlich, ehe das innerste Gemüthsleben, in seiner ganzen Tiefe, in seinem vollen Reichthum sich frei und rein in der einfachsten Form aussprechen [556] konnte, wie im lyrischen Gedicht des Dichters. Das Adagio der Instrumentalmusik in seiner schönsten Vollendung ist eine echt deutsche Schöpfung, sie ist das was sie ist unabhängig von dem Einfluß der neu erwachten deutschen Poesie geworden; daß ein und derselbe belebende Frühlingshauch beide im Wesentlichen zur gleichen Zeit erweckte mag uns ein Zeugniß sein, daß der echte Geist des deutschen Volks in beiden die Schwingen regte41. Mit dem gesteigerten Gehalt dehnte sich auch die Form, wurde voller und reicher, allein sie änderte sich nicht wesentlich; wir finden in den großartigsten Sätzen dieses Charakters die oben angedeuteten Grundzüge wieder, nur im Einzelnen wird die Ausführung freier, lebensvoller und bedeutender.

Der Schlußsatz hat in seiner raschen Bewegung, meistens im 3/4, 6/8 oder 2/4 Tact, und der lustigen Stimmung immer eine gewisse Aehnlichkeit mit dem Tanz gehabt ohne doch die bestimmten charakteristischen Formen desselben anzunehmen. Obgleich in der formellen Behandlung desselben stets eine größere Freiheit gewaltet hat, so ist doch die Form des Rondo sehr vorherrschend geworden. Auch diese ist ursprünglich vom Tanz entlehnt, in der Symphonie aber gewahren wir auch mehr den Einfluß der in der Oper entwickelten Form des Rondo. Das Eindringliche, welches in der öfteren Wiederholung derselben Melodie lag, die Freiheit und Lässigkeit, welche in der Behandlung der Mittelglieder geboten war, die lange Zeit hindurch als ebensoviel vollständig abgeschlossene kleine Sätze auftreten und erst allmählich unter einander [557] wahrhaft verschmolzen werden, die Gelegenheit, Geist und Geschicklichkeit durch stets neue und überraschende Einführung des Themas zu bewähren, machte diese an sich leichtere Form sehr geeignet für einen Schlußsatz nach der damals geltenden Auffassung. Denn wie man in der Instrumentalmusik überhaupt einen angenehmen Genuß und Zeitvertreib suchte, der vielmehr abspannen als anspannen sollte, so wollte man namentlich zum Schluß zu fröhlichen Empfindungen angeregt sein. Durch eine eigene Laune ist aber der letzte Satz auch mitunter zum Tummelplatz contrapunktischer Arbeit ausersehen worden; die Meister der Kunst haben bewähren wollen, daß auch in dieser strengsten Form der echte Künstler Heiterkeit und Laune, Geist und Witz in voller Freiheit entfalten könne. So ist es ja auch bis in die neueste Zeit üblich geblieben, im Scherzo, dem eigentlichen Feld des musikalischen Witzes und Humors, contrapunktische Arbeit als eigenthümliche Würze anzubringen. Hier wie dort verdanken wir dieser Richtung einige der ausgezeichnetsten Leistungen der deutschen Instrumentalmusik.

Diesen drei ursprünglichen Sätzen der Symphonie wurde der Menuett als vierter hinzugefügt; vielleicht hatte die Suite42 Veranlassung gegeben von ihrer langen Reihe verschiedener [558] Tänze den damals beliebtesten zu entlehnen, um die Symphonie damit zu zieren. Ich kann nicht angeben, ob Joseph Haydn der erste gewesen ist, welcher den Menuett in die Symphonie eingeführt hat, gewiß ist er derjenige, welcher ihm einen eigenthümlichen, typisch gewordenen Charakter gegeben. Der Menuett war der Tanz der vornehmen Welt43, er bot ihr die Gelegenheit Würde, Anstand und Grazie zu entfalten. Diejenigen Menuetts, welche unbefangen diesen Charakter des Tanzes wiedergeben, kann man jetzt nicht hören ohne an Puder und Reifrock erinnert zu werden, und wie die zierlichen Porzellanfigürchen und Kupferstiche jener Zeit erregen sie bei aller Anerkennung ihrer graziösen Würde ein heiteres Lächeln; in einer Zeit, welcher diese Art des Anstandes fremd geworden ist, kann sie nur humoristisch reproducirt werden44. Haydn parodirte den Menuett seiner Zeit nicht, aber er entkleidete ihn seiner vornehmen Würde; er [559] nahm ihn, wie ihn die Bürgersleute tanzten und wußte eine volksthümliche Heiterkeit und Laune hineinzulegen, welche diesem Tanz ursprünglich fremd war. Die gemüthliche Fröhlichkeit und Jovialität, die muntern Späße und Scherze, die in den Salons der Noblesse als nicht standesgemäß keinen Zutritt fanden, wußte er zur Geltung zu bringen; er war unerschöpflich an Einfällen, Ueberraschungen, Witzen jeder Art, ohne ausgelassen oder ordinär zu werden, und er verstand es den Ton der behaglichen Laune zu behaupten, obgleich die künstlerische Behandlung der Form, die er nach allen Seiten erweiterte und ausdehnte, in hohem Maaße sein berechnet und geistreich war. Es ist begreiflich, daß diese Weise populär wurde; sie ging von einer beliebten Form aus, der Sinn, der sich darin aussprach, war echt volksmäßig, und die Gestaltung wahrhaft künstlerisch: so hatte der Menuett seinen Platz in der Symphonie gewonnen und wußte ihn zu behaupten45.

Mozarts erste Symphonien haben nur drei Sätze, und es ist wohl nicht zufällig daß zuerst in den in Wien im Jahr 1767 und 1768 componirten Symphonien der Menuett aufgenommen ist. Aber noch in späterer Zeit fehlt er mitunter, sowie auch die unmittelbare Verbindung aller drei Sätze zu einem zusammenhängenden Ganzen in späteren Symphonien festgehalten ist. Daß bei reiferer Bildung sich ein künstlerischer Sinn auch in solchem Bewahren einer älteren Weise verräth, kann die Symphonie 31 zeigen, wo das sein ausgearbeitete Andante, in welchem eine zarte Empfindung sich in eigenthümlicher Weise ausspricht, nicht allein den Mittelsondern [560] auch den Höhepunkt bildet. Mit richtigem Gefühl ist deshalb das lebhafte und rauschende Allegro, das demselben als Einleitung vorhergeht, zum Schluß abgedämpft, um auf jenen Satz vorzubereiten. Eben so wohl motivirt ist es durch den Charakter des Andante, in welchem eine sehnsüchtig schmerzliche Stimmung ihren Ausdruck findet, ohne zu einer vollkommen abschließenden Befriedigung zu gelangen, daß auch hier ein Uebergang zu dem letzten lebhaft bewegten Satz gemacht wird.

Es ist interessant zu verfolgen, wie Mozart in seinen Jugendarbeiten dieser Gattung in allmählichem Fortschritt sich der Technik und des Materials immer mehr versichert. Die erste Symphonie vom Jahr 1764 zeigt von melodiöser Erfindung sehr wenig, die Motive haben keinen bestimmten Charakter und von Durchführung kann noch keine Rede sein; merkwürdig aber ist der Sinn, mit welchem der Zuschnitt im Ganzen, die Formen im Allgemeinen aufgefaßt und beobachtet sind, so daß gar nichts Ungehöriges sich findet und die Symphonie, wenn gleich nicht bedeutend, doch fix und fertig ist; im Andante finden sich sogar einige harmonische Wendungen, welche von einem mehr als knabenhaft seinen und sicheren Gefühl zeugen. Merkwürdig ist auch der Fortschritt, welcher gleich in den nächsten Versuchen sich offenbart. An Kindern und Erwachsenen läßt es sich leicht beobachten, daß bei einigem Talent viel versprechende Einfälle, Ansätze und Versuche genug zum Vorschein kommen, daß es aber sehr schwer fällt ein Ganzes, auch nur von mäßigem Umfang und Gehalt abzuschließen und zu Stande zu bringen; es ist aber gerade der Beweis eines außerordentlichen, wahrhaft künstlerischen Genies, wenn von Anfang an, wie bei Mozart, die Kraft sich zeigt ein Ganzes zur Vollendung zu bringen. Man sieht nun auch, wie ihm, nachdem der erste Versuch gelungen [561] ist, nachdem er erfahren hat, wie er die Sache angreifen müsse, rasch die Kräfte wachsen; die nächsten Symphonien zeigen, wie knabenhaft sie uns auch vorkommen mögen, schon ungleich mehr Körper, mehr Bestimmtheit und Charakter in den einzelnen Elementen. Von verschiedenen Seiten her gewinnt er allmählich die Herrschaft über das Orchester. Das erste Bestreben ist darauf gerichtet, die einzelnen Stimmen frei und selbständig zu machen. Zunächst wird der zweiten Violine eine eigenthümliche Bewegung gegeben theils durch charakteristische Figuren, welche allerdings im Wesentlichen noch als begleitende erscheinen, theils durch contrapunktische Behandlung, namentlich in imitatorischer Weise; sodann wird der Baß zu einer lebendigen Selbständigkeit herangebildet. Hier scheint der Weg hauptsächlich der gewesen zu sein, daß, indem er zuerst in imitatorischen Sätzen selbständig der Hauptstimme gegenüber gestellt wurde, dies die Veranlassung wurde, ihn überhaupt frei und unabhängig zu behandeln46. Es war durch die fortschreitende Entwickelung der selbständigen Stimmführung gegeben, daß auch die Motive bedeutender, intensiver werden mußten und das Ganze mehr Haltung und Gehalt bekam; eine eigentliche fruchtbare Durchführung und Verarbeitung war dadurch freilich noch nicht bedingt. Nicht minder mußte die Ausbildung des Seitenquartetts auch dahin führen, daß der eigenthümliche Charakter dieser Instrumente mehr und mehr zur Geltung kam und auch von dieser Seite her Charakter und Färbung der Motive schärfer entwickelt wurden. Die Saiteninstrumente bildeten lange Zeit den eigentlichen Kern des Ganzen; die Blasinstrumente werden [562] anfangs hauptsächlich angewendet um die Harmonie zu verstärken, dann auch die Melodie hervorzuheben, ihr Eintreten oder Wegbleiben dient dam Licht und Schatten zu geben, aber erst allmählich bildet sich auch in der Behandlung der Blasinstrumente die Freiheit heran, sie ihrer individuellen Beschaffenheit nach selbständig am Ganzen mitwirken zu lassen. Oboen und Hörner, mitunter auch Trompeten47, sind regelmäßig combinirt und geben durch die Art, wie sie angewendet werden, dem Orchester durchgehend einen scharfen, hellen Ton, wie er damals beliebt gewesen sein muß; im Contrast dazu wurden Flöten verwandt bei Sätzen von sanfterem Charakter, bei welchen häufig noch die Saiteninstrumente gedämpft werden. Erst später treten die Fagotts, welche früher nur die Bässe verstärkten, selbständig hervor, aber hauptsächlich werden sie auch dann noch wie die Bratschen zu füllenden Mittelstimmen verwandt. Wir begegnen lange Zeit einzelnen bescheidenen Versuchen neue Instrumentalkräfte in eigenthümlicher Weise zu verwenden, bis es gelingt sie zu einem in allen Theilen selbständig belebten Ganzen heranzubilden.

Nach welchen Mustern und unter welchem Einfluß sich Mozart hauptsächlich in seinen Instrumentalcompositionen bildete ist leider nicht näher bekannt. Daß Jos. Haydns Symphonien auch ihm bekannt waren und nicht ohne Einwirkung blieben läßt steh annehmen, obgleich geringe Spuren bestimmt darauf hinführen. Im Menuett, wo man das Vorbild Haydns am ersten erwarten sollte und am leichtesten erkennen würde, zeigt sich im Allgemeinen eine verschiedene Auffassung, die auch später Mozart eigenthümlich bleibt. Das echt Haydnsche Element der jovialen Launen, das Vergnügen [563] an Ueberraschungen und Neckereien ist bei Mozart nicht vorherrschend; das volksthümlich Gemüthliche hat er beibehalten, übrigens sucht er ihn der Form nach zu verschönern und zu veredeln und ihm dadurch sein eigenthümliches Interesse zu geben. Diese Richtung – denn es ist der unbewußte Zug der Mozartschen Natur, nicht eine bewußte Tendenz – ist schon in den jugendlichen Arbeiten unverkennbar, wenn auch das Ziel nicht immer erreicht ist. Um so eher mag man denn da, wo sich ähnliche Aeußerungen einer humoristischen Neckerei wie bei Haydn finden (z.B. 13. 17), einen bestimmten Einfluß erkennen. Die letztere Symphonie (17), bei der es offenbar auf eine große Symphonie angelegt war, scheint überhaupt eine äußere Einwirkung zu verrathen. Nicht allein der Menuett, sondern namentlich das lang ausgeführte Schlußrondo verräth einen bestimmt Haydnschen Charakter. Abweichend von Mozarts gewöhnlicher Weise ist auch das Andante; statt des freien Flusses, der ihn sonst überall kenntlich macht, nimmt man hier ein etwas gezwungenes, angenommenes Wesen wahr, als suche er etwas vorzustellen, das er eigentlich nicht ist. Dies muß auch wohl ihm oder Anderen nachher aufgefallen sein, denn es findet sich am Schluß der Symphonie ein zweites Andante, das viel einfacher ist, nachcomponirt.

Es erscheint dem Entwickelungsgange Mozarts, wie wir ihn bisher beobachtet haben, ganz gemäß, daß seine Instrumentalcompositionen bis etwa zum Jahre 1772 wesentlich nur interessant sind, insofern sie uns zeigen, wie naturgemäß und sicher sich Mozart auch hier allmählich in den Besitz aller künstlerischen Mittel zu setzen verstand. Von dieser Zeit an fangen auch sie an ein selbständiges künstlerisches Interesse zu gewinnen. Auffallend ist es daß wir aus den Jahren 1775 bis 1777 gar keine Symphonien von Mozart besitzen. Allerdings [564] kann der Zufall es so gefügt haben, daß grade diese alle verloren gegangen sind; allein wahrscheinlich ist dies eben nicht, wenn man bedenkt, wie sorgfältig die Compositionen dieser Zeit aufbewahrt und wie vollständig sie im Ganzen erhalten sind. Auch läßt sich ein Grund dafür, daß Mozart während dieser Jahre die Symphonie vernachlässigt habe, darin finden, daß er in anderen Gattungen der Instrumentalmusik sehr thätig war – die großen Serenaten und Concerte für Violine und Klavier fallen in diese Jahre; vielleicht mochte auch die immer zunehmende Unzufriedenheit mit seiner Stellung in Salzburg, möglicherweise auch das Mißfallen des Erzbischofs ihn veranlassen keine Symphonien mehr zu schreiben, die zunächst doch bestimmt waren bei Hofe aufgeführt zu werden48. Indessen muß dies freilich dahin gestellt bleiben: der Fund eines bisher unbekannt gebliebenen blauen Büchleins könnte dieser Combination eine erwünschte Widerlegung bringen.

Auch die bedeutenderen unter diesen späteren Symphonien sind knapp in den Formen und sparsam in den Mitteln, wie man es damals verlangte, wo wie wir sahen an einem Abend mehrere Symphonien aufgeführt wurden49. Der Fortschritt [565] zeigt sich theils in der größeren Freiheit in der Behandlung der Motive wie der Instrumente – so sind z.B. der erste Satz der Symphonie 35, der letzte Satz der Symphonien 32. 33 durch die freie Stimmführung voll Bewegung und Leben –, theils darin, daß die einzelnen Elemente und Motive mehr Individualität und Charakter erhalten, daß die Zwischenglieder zur Selbständigkeit entwickelt werden und die bloß verbindenden Passagen der Geigen, die nur einem Harmoniewechsel dienenden Baßfiguren dagegen verschwinden. Dabei treten außer einzelnen öfter wiederkehrenden Lieblingswendungen, die mehr der Zeit angehören, auch schon manche Eigenthümlichkeiten Mozarts hervor, welche später schärfer ausgeprägt erscheinen, z.B. daß das zweite Thema mitunter schwächer ist und gegen das erste abfällt, während er dagegen in dem Motiv, welches er zum Schluß des Theils anzubringen pflegt, sowohl durch die Art, wie er es einführt, als durch die glückliche Conception, meistens einen neuen Aufschwung hervorzubringen und eine eigenthümliche heitere Helle zu verbreiten weiß. Als Muster seiner Leistungen jener Zeit nach sehr verschiedenen Richtungen können die Symphonie in G-moll (30) und in A-dur (34) dienen. Jene hat einen ernsten großen Charakter, der sich gleich in dem ersten bedeutenden Thema ausspricht, und durch die ganze Symphonie fest gehalten wird, was namentlich im Menuett und Finale hervortritt, welche ganz gegen die Gewohnheit jener Zeit, den ernsten, fast düstern Charakter bewahren, der auch im Andante wohl gemildert, aber nicht in seinem Wesen verändert erscheint. Dagegen ist die zweite von Anfang bis zu Ende ein Spiel der heitersten Laune und der anmuthigsten Grazie, voll Leben und Frische und stets edel [566] gehalten. Sie kann zum Beweise dienen, mit wie geringen Mitteln ein Kunstwerk nicht allein angelegt, sondern sauber ausgeführt und sein schattirt werden kann. Und wenn man nur die beiden Menuetts dieser Symphonien mit einander vergleicht, so wird man gestehen, daß ein Künstler, der innerhalb dieser beschränkten Form die lächelnde Würde des seinen Anstands und den düstern Unmuth eines erregten Gemüths mit gleicher Wahrheit und Sicherheit auszudrücken wußte, über die Mittel der Instrumentalmusik mit der Herrschaft des Geistes verfügte. Allerdings zeichnen sich diese beiden Symphonien auch dadurch aus, daß sie eine erhöhte Stimmung charakteristisch und in consequenter Stetigkeit ausdrücken; denn von einzelnen Sätzen gilt dies, allerdings in verschiedenem Maaße, auch von anderen Symphonien. Im Allgemeinen aber ist der individuell charakteristische Ausdruck einer scharf bestimmten, namentlich leidenschaftlichen Stimmung nicht die eigentliche Aufgabe der Symphonie der damaligen Zeit. Daß sie zunächst für die gesellige Unterhaltung bestimmt war, also hauptsächlich einen heiteren Genuß verschaffen und vielmehr angenehm anregen als ernsthaft beschäftigen sollte, verläugnet sich nur ausnahmsweise; Lebhaftigkeit, Glanz, oder ruhige Beschaulichkeit machen ihren wesentlichen Charakter aus. Der Ernst, mit welchem der Künstler seine Aufgaben erfaßt, richtet sich daher vor Allem auf die Ausbildung der Form und Technik; die innersten Gefühle, die geheimen Erlebnisse seiner Seele in der Kunst rückhaltslos auszudrücken wagte und vermochte das Individuum noch so wenig als es in der geistigen Richtung der Musik jener Zeit überhaupt lag. Damit ist natürlich nicht gesagt, daß ein Componist damals nicht menschlich tief und leidenschaftlich empfunden, und daß von seiner Empfindung nichts in seine Musik übergegangen sei, die ihm nicht etwa ein bloß äußerliches Spiel mit Formen und Formeln war.[567] Allein man unterschied damals allerdings theoretisch und praktisch zwischen menschlichem und künstlerischem Empfinden, der Anstand war auch in der Kunst mächtig, und in künstlerischer wie socialer Beziehung war das Subject sehr bedingt zulässig. Im Jahr 1774 erschien der Werther; an dem inneren Kämpfen und Ringen, welches ihn hervorgebracht hatte, war auch die Musik nicht unbetheiligt geblieben, allein um die künstlerische Freiheit zu ähnlichen Leistungen zu gewinnen, mußte sie noch länger arbeiten und streben. Durch das allseitige Durcharbeiten des Technischen und Formalen erwarb sie sich die Mittel dazu und es ist schon wiederholt bemerkt, wie mit der zunehmenden Freiheit nach dieser Richtung, auch durch die wachsende Intensivität des Gehalts die Formen bedeutender und lebensvoller werden. So ist es denn auch ein Zeichen der inneren Entwickelung des Künstlers, wenn wir sehen, wie der Jüngling, wenn auch noch erst in vereinzelten Erscheinungen, sich selbst und sein Gemüthsleben musikalisch auszusprechen bestrebt ist. Dabei darf man nicht vergessen, daß wir einen Jüngling vor uns haben, den das Leben noch nicht durch tief erregte Leidenschaften und schwere Schicksale in die Schule genommen hat, und wir haben es als ein Zeichen von Gesundheit und Tüchtigkeit auch der künstlerischen Natur anzusehen, daß er sich nichts vorredete, sich nichts einbildete, nichts vorstellen wollte, sondern stets sich einfach so gab wie er war.

Die Symphonie – wenn das Wort als Bezeichnung für die bisher besprochene Art der Instrumentalmusik gefaßt wird – war übrigens damals nicht wie heute die größte und umfassendste Form der Orchestermusik. Man gebrauchte deren noch andere, für welche man früher den Namen Cassation50, [568] zuletzt wie es scheint vorherrschend Serenate51 angewendet findet; so wie diese von äußerlichen Zufälligkeiten entlehnt sind, haben sie wohl kaum je eine bestimmt ausgeprägte Form [569] bezeichnet und wechseln untereinander, je nachdem Zeit und Mode entscheiden. Was sie von der Symphonie im engern Sinn unterscheidet ist größerer Reichthum und Mannichfaltigkeit nach verschiedenen Richtungen hin. Oft sind mehrere Instrumente dabei beschäftigt und diese werden in verschiedener Weise, mit sichtlichem Bestreben nach Abwechslung gruppirt, besonders aber finden sich Soloinstrumente auf mannichfache Art dabei angewandt. Ferner ist die Zahl der einzelnen Sätze meistens bedeutend erweitert und steigert sich nicht selten bis auf acht. Faßt man die Anordnung und Gliederung derselben etwas näher ins Auge, so ergiebt sich hauptsächlich daß die in der Symphonie ausgebildeten Formen auch hier angewendet, aber in verschiedenen Modificationen vervielfältigt zusammengestellt sind.

Eigenthümlich ist diesen Compositionen, daß sie gewöhnlich durch einen Marsch eingeleitet und mitunter auch beschlossen wurden (37). Ursprünglich mochte derselbe wirklich bestimmt sein das Auftreten und Abziehen des Orchesters bei einer festlichen Gelegenheit zu begleiten; später, wo die Saiteninstrumente dabei in gleicher Weise beschäftigt werden wie bei allen anderen Sätzen, ist dies wohl nicht anzunehmen: der Matsch war nun die Form der Einleitung geworden, welche auf den ursprünglichen Charakter nur noch mehr hinwies. Uebrigens finden wir ihn als eigentlichen Matsch behandelt, die Formen nicht ausgedehnt, oder zu einer eigenthümlichen Kunstform erweitert und ausgebauet, sehr häufig hat er nicht einmal ein Trio; der Ausdruck ist meistens lebhaft und heiter52.

[570] Unter den übrigen Sätzen, welche in ähnlicher Weise wie in der Symphonie abwechseln, nimmt der Menuett eine Hauptstelle ein, indem er fast regelmäßig zwischen jedes Andante und Allegro als vermittelndes Glied eingeschoben wird und also zwei- oder dreimal in einem Stück sich findet53. Man sucht nun nicht allein demselben einen verschiedenen Charakter zu geben, sondern besonders durch mannichfache Abwechslung in der Instrumentation einen eigenthümlichen Reiz hervorzubringen, namentlich im Trio, wobei es gar nicht selten ist, daß einem Menuett mehrere Trios mit anderer Instrumentation beigegeben sind. Nicht selten werden im Trio obligate Instrumente, Violine (40. 41. 42. 43), Flöte (42), Trompete (43), oder auch die Saiteninstrumente allein (38. 43) angewendet.

Was die Gliederung der übrigen Sätze anlangt, so sind ein großes zweitheiliges Allegro zu Anfang und ein Allegro oder Presto zum Schluß, mitunter durch ein kurzes Adagio eingeleitet, wie bei der Symphonie die Eckpfeiler und diese Sätze wurden auch ähnlich wie in der Symphonie behandelt. Bei einfacherer Ausführung wird der zwischen ihnen stehende langsame Satz durch zwei Menuetts eingefaßt (36), dann finden sich zwei langsame Sätze jeder mit zugehörigem Menuett [571] (37) welche durch verschiedene Instrumentation charakterisirt sind. Bei fortschreitender Erweiterung tritt zwischen die beiden langsamen Sätze noch ein Allegro ein, das aber seinem Charakter wie der Instrumentation nach von den beiden Hauptsätzen im schnellen Tempo, meistens durch leichtere Haltung und Färbung unterschieden wird. Bei dieser reicheren Gliederung werden nun auch die Instrumente mit mehr Abwechselung gruppirt. So sind z.B. (40) im ersten Andante und dem folgenden Allegro Oboe und Horn obligat, im zweiten Andante treten Flöten zu den Saiteninstrumenten hinzu.

In eigenthümlicher Weise ausgebildet erscheint die Form in den Serenaten, in welchen eine obligate Violine beschäftigt ist (40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47). Hier tritt nämlich nach dem ersten Allegro die Solovioline mit drei in wechselnder Reihe aufeinander folgenden Sätzen Andante, Menuett, Allegro (Rondo 43) ein, die gewissermaßen ein abgeschloßnes Ganze für sich bilden sodaß, wenn man sie herausnimmt, eine vollständige Symphonie bleibt54. Die Concertantsymphonie ist in den letzten beiden Serenaten vom Jahr 1774 und 1775 (42. 43) auch noch durch eine besondere Instrumentation hervorgehoben. In den übrigen Sätzen sind die allgemein üblichen Blasinstrumente Oboen, Hörner und Trompeten angewendet, während zur Begleitung der obligaten Geige Flöten,[572] Hörner und Fagotts gebraucht sind und namentlich in der letzten (43) sind diese – wie es auch in der Es-dur Litanei schon bemerkbar war – in der Weise der später durch Mozart vollkommen entwickelten Instrumentation zusammengestellt und behandelt. Ueberhaupt zeigt sich in diesen beiden Serenaten (42. 43) ein auffallender Fortschritt gegen die beiden früheren, die, abgesehen von den breiteren Formen und der größeren Gewandtheit im Einzelnen, sich von den übrigen Symphonien nicht wesentlich unterscheiden. In diesen beiden aber gewahrt man nicht allein große Sicherheit in der Behandlung des Orchesters, sowohl dem Klange nach als in der Polyphonie, wie sie instrumentalen Compositionen angemessen ist, sondern es ist eine Fülle von schönen Motiven ausgestreut und ihre Verarbeitung ist fließend und frei. Auch begegnen sich eine heitere Laune und Freude an der Ausführung aufs glücklichste. Namentlich die letzte Serenate (43) ist trotz der vielen Sätze, mit denen sie ausgestattet ist, jeder einzelne mit einer Liebe und Behaglichkeit ausgearbeitet, als sei er der einzige, und auch in der Erfindung zeigt sich soviel Innigkeit und wieder soviel joviale Laune, daß man wohl sieht, er hat mit rechter Luft seine besten Kräfte aufgeboten. Sie war geschrieben um die Verlobung der Tochter des allgemein geehrten und beliebten Bürgermeisters Haffner zu feiern; gewiß war Mozart mit vollem Herzen dabei, und vergegenwärtigt man sich die glänzende und heitere Stimmung eines solchen Festes, so fällt noch ein helleres Licht auf die Composition, die derselben ihren schönsten Ausdruck zu geben bestimmt war55.

[573] In anderer Weise ist eine kleine Serenate (47) von mäßigem Umfang und in knappen Formen aus dem Januar 1776 behandelt. Sie ist nur für Saiteninstrumente und Pauken geschrieben, und zwar treten zwei Sologeigen mit Bratsche und Baß, die als begleitende Stimmen behandelt sind, gewissermaßen als ein Chor einem zweiten gegenüber, welchen zwei Geigen, Bratsche und Violoncello, sämmtlich als Ripienstimmen behandelt und in mehrfacher Besetzung gedacht, mit den Pauken bilden. Die Abwechslung, in der die beiden Chöre theils einander gegenübergestellt sind, theils zusammen wirken; das Einfallen der Tuttistellen, mancherlei Klangeffecte z.B. durch das Pizzicato, selbst die Paukenschläge sind so geschickt und geistreich benutzt, daß das kleine Werk ein ganz eigenthümliches Colorit erhalten hat; auch ist darin ein richtiger Tact bewiesen daß die einzelnen Sätze kurz behandelt sind um nicht durch Ermüdung des Ohrs den fremdartigen Reiz des Stückes zu zerstören56.

Dieses Lob kann man auch einem Notturno ertheilen, das für vier Orchester, jedes aus dem Saitenquartett und zwei Hörnern bestehend so geschrieben ist, daß ein dreifaches Echo vorgestellt ist. Wenn das erste Orchester eine zusammenhängende Phrase gespielt hat, fällt das zweite Orchester in den letzten Tact mit derselben oder den letzten vier Tacten desselben ein, das dritte löst das zweite im letzten Tact mit den drei, das vierte ebenso das dritte mit den beiden letzten Tacten ab; [574] dann fährt das erste Orchester fort. In dieser Art ist das aus drei Sätzen – Andante, Allegro und Menuett – bestehende Stück mit ganz geringen Modificationen durchgeführt; nur das Trio des Menuetts wird von einem Orchester allein oder allen zugleich gespielt. Es versteht sich daß die Composition so eingerichtet ist, daß auch wenn man die Echos wegläßt, der Zusammenhang hergestellt ist. Das Verdienst einer solchen Spielerei besteht natürlich hauptsächlich darin daß man den Zwang nicht mehr als billig merkt; eine besondere Wirkung macht es mitunter, wenn bei der Wiederholung dieselbe Phrase rhythmisch verschoben wird, namentlich im Menuett, wo kurze Schläge hinter einander auf verschiedene Tacttheile fallen, und wahrhaft komisch ist es, wenn im ersten Theil desselben die Hörner allein eine Phrase abschließen


25.

und als gönnten sie sich das Wort nicht hinter einander herjagen. Indessen ist, wie gesagt, auch hier anzuerkennen daß der Spaß nicht zu lange dauert.

Fußnoten

1 Burney führt in seinen Reisen verschiedene Beispiele dieser Sitte aus Mailand (I S. 66), Bologna (I S. 167), Brüssel (II S. 43), Wien (II S. 239) an.


2 Burney sagt von Sammartinis (S. 191) Kirchensymphonien (Reise I S. 67): »Die Symphonien waren sehr sinnreich und voll von dem Geist und Feuer, welches dem Verfasser eigen ist. Die Instrumentstimmen in seinen Kompositionen sind gut ausgearbeitet, er läßt keinen von den Spielern lange müssig gehen und vornemlich haben die Violinen keine Ruhe. – Seine Musik würde mehr gefallen, wenn sie weniger Noten und weniger Allegros enthielte, allein die Heftigkeit seines Geistes treibt ihn an in einer Folge von schnellen Sätzen fortzulaufen, welche zuletzt den Ausführer sowohl als den Zuhörer ermüden.« Bon einer in Rom aufgeführten Kirchensymphonie sagt er (II S. 276): »Die beiden ersten Sätze der Anfangssymphonie gefielen mir ungemein, der letzte aber durchaus nicht. Es war nach itziger Mode ein Menuet, die in die gemeinste Gique ausartete. Diese Geschwindigkeit, womit die Menuetten aller neuern Symphonien vorgetragen werden, macht sie in einer Oper schon unangenehm; allein in der Kirche sind sie völlig unschicklich.«


3 Burney schreibt von einer Kirchenmusik Galuppis, die er in Venedig hörte (I S. 108f.): »Die Einleitungssymphonie sowohl als das Ganze des Gesanges war für zwei Orchester gesetzt. In der Symphonie, welche voller artigen Passagen war, machten die Orchester eins um das andere das Echo. Es waren dabei zwei Orgeln und zwei Paar Waldhörner«; und von einer ähnlichen Furlanettos (I S. 126): »Die Anfangssymphonie war geistreich und das erste Chor gut, im Contrapunkt; dann folgte eine lange Symphonie, gesprächsweise zwischen beiden Orchestern abwechselnd, und eine Arie mit guter Begleitung.«


4 Burney erwähnt öfter der Concerte, welche er bei der Kirchenmusik hörte (I S. 116. 177. II S. 85). Aus Dittersdorfs Erzählung von seinem Wettkampf mit Spagnoletti bei dem Kirchenfest von S. Paolo in Bologna und dem Erfolg desselben (Selbstbiographie S. 110ff.) sieht man, daß Virtuosenleistungen in der Kirche wie im Theater und Concert galten. Die Concerte wurden gewöhnlich zum Schluß gespielt, ohne alle Rücksicht auf kirchlichen Charakter. (Dies Jos. Haydn S. 104.)


5 Biogr. Skizze von Mich. Haydn S. 18f.: »Bei dem schnellen Fortrücken kirchlicher Reformationen zu Salzburg unter dem weisen und unvergeßlichen Fürsten, Erzbischof Hieronymus von Colloredo, erhielt Haydn den Auftrag zur Verbannung der Symphonien, welche unter dem Hochamte zwischen der Epistel und dem Evangelium zum Aergerniß andächtiger Seelen und musikalischer Ohren herabgeleiert wurden, etwas Anderes nach beliebigem Worttext zu schreiben. Haydn gehorchte, nahm den Text aus dem römischen Missal, Graduale genannt, bearbeitete ihn für die gewöhnlichen vier Singstimmen, 2 Violinen (hie und da auch mit Blasinstrumenten) und die Orgel; so entstand das erste Graduale am 24. December 1783, welchem eine Menge anderer in ununterbrochener Reihe nachfolgten, so daß sich in seiner Verlassenschaft nicht weniger als 114 Originalsparten auf alle Sonn- und Festtage vorfanden.«


6 André Verz. 191. 241–252. Die frühesten sind aus dem Jahr 1775 (241–243), ferner von 1776 (244. 245 auf dem seinen Papier geschrieben, das er damals gern gebrauchte. 246. 247) und 1777 (248. 249). Auch während seiner Abwesenheit führte man seine Kirchensonaten auf, wie der Vater berichtet (25. Sept. 1777); nach seiner Rückkehr componirte er 250. 251 (auf Manheimer Papier geschrieben) und 252 »nel Marzo1780.«


7 Sonata, ursprünglich der allgemeinste Ausdruck für einen Instrumentalsatz, wurde später, da sich verschiedene Formen der Instrumentalmusik ausbildeten, in mehr als einem Sinn angewandt. Als bezeichnend führte man gewöhnlich den Wechsel des Tempos an, aus welchem eine Reihe selbständiger Sätze wurde. Diese waren in der Kammersonate (sonata di cameral munter und lebhaft, meist Tänze, in der Kirchensonate (sonata di chiesa) sollten sie ernster, würdiger, auch wohl fugirt, contrapunktisch gearbeitet sein. Man nannte aber Sonata auch einen einleitenden Satz, entweder zu einer Gesangscomposition, oder zu einer Reihe kleinerer Instrumentalstücke – der erste Satz der späteren Sonate.


8 Trompeten sind benutzt 245; 2 Oboen, 2 Trompeten und Pauken 249 (mit der Ueberschrift pro festis pallii); 2 Oboen, 2 Hörner, 2 Trompeten und Pauken 251. Dies ist der längste am meisten ausgeführte Satz, aber ohne eigentliche thematische Verarbeitung.


9 So 246. 247 (mit dem Beisatz »Copl allein«). 250. 251.


10 Wenn man die einer Klavierstimme sehr ähnliche Orgelstimme mit der Klavierpartie ähnlicher für dies Instrument bestimmter Sätze vergleicht, wird man auch an Kleinigkeiten gewahr, wie wohl der verschiedene Charakter dieser Instrumente gewahrt ist. Es ist nicht gleichgültig zu beachten, wie der Sinn und Tact für das Rechte und Naturgemäße sich an jedem Punkt, im Großen und Kleinen, stets gleichmäßig offenbart.


11 Wir sind besonders aus Haydns und Dittersdorfs Lebensnachrichten etwas näher über diese Verhältnisse unterrichtet, welche für die Entwickelung der Musik keineswegs unbedeutend sind.


12 S. 236. Schubart Aesthetik S. 123: »Der Churfürst war selbst ein trefflicher Tonkünstler. Er spielte die Viol de Gamb als Meister, strich in seinen meisten Concerten immer die Violine mit«, neben dem Concertmeister Kröner, der kein guter Dirigent war, wie es S. 125 heißt.


13 Burney Reise II S. 75: »Der Churfürst, welcher selbst sehr gut die Flöte blast und auch seine Stimme auf dem Violoncell spielt, hat jeden Abend Concert in seinem Pallaste, wenn auf seinem Theater nicht gespielt wird.« In dem »unvollständigen Verzeichniß nur der uns bekannten musikalischen Erdengötter« im musikalischen Almanach auf das Jahr 1782 (Alethinopel) heißt es von ihm, er spiele Klavier und Flöte, aber mit außerordentlicher Schüchternheit.


14 Der Fürst war bekanntlich mäßig zufrieden, als Haydn sich heimlich lange geübt hatte um ihn durch eigene Productionen auf dem Bariton zu überraschen; Dies biograph. Nachr. S. 55f. Griesinger biograph. Not. S. 29.


15 Dittersdorf erzählt (Selbstbiogr. S. 13), wie er zum erstenmal an der Probe der Hauskapelle Theil genommen habe, sei der Prinz erschienen. »Darauf ließ er sich seine Flöte und ein Concert bringen, setzte sich bin und spielte. Ich muß freilich offenherzig sagen, daß er kein großer Hexenmeister war; unterdeß spielte er doch weit besser als ich vermuthet hatte. Er hielt sein Tempo richtig und hatte eine vorzüglich schöne Embouchure. Mit seinem Concert endigte sich das Exercitium und der Prinz ging zur Tafel«.


16 Er ist in dem Anm. 13 angeführten Verzeichniß als Violinspieler genannt; auch Burney (Reise III S. 260) bezeichnet ihn als Dilettanten und sehr guten Violinspieler.


17 [Koch-Sternfeld] Die letzten dreißig Jahre des Erzstiftes Salzburg S. 314: »In den Abendgesellschaften bei Hofe wechselten fast täglich Musik und Kartenspiel, nach der Mittagstafel unterhielt sich Hieronymus gewöhnlich allein mit der Violine.«


18 Churfürst Friedrich August von Sachsen machte eine Ausnahme; er war, obgleich er auf dem Klavier fertig und meisterhaft vom Blatt accompagnirte, so furchtsam vor anderen zu spielen, daß ihn kaum seine Gemahlin einmal hörte (Burney Reise III S. 18).


19 Leop. Mozart schreibt seinem Sohn, als es sich um die Wiederanstellung handelte, wobei diesem das Violinspielen in den Hofmusiken sehr unangenehm war: »Das Violinspielen bei der ersten Sinfonie wirst Du wohl auch als Liebhaber, so wie der Erzbischof selbst und itzt alle Cavaliers die mitspielen, Dir nicht zur Schande rechnen. Hr. Haydn ist doch ein Mann, dem Du seine Verdienste in der Musik nicht absprechen wirst; ist er deswegen als Concertmeister ein Hofbratschgeiger, weil er bei den kleinen Musiken die Viola spielt?« Die vornehmen Dilettanten verbesserten das Orchester nicht immer. Haydn machte einmal der Kaiserin Maria Theresia, die halblaut äußerte was wohl aus der Musik werden würde, wenn vier vornehme Liebhaber, die bei der ersten Geige mitspielten, sich selbst überlassen würden, den Spaß sich mit seinem Nebenmann unter einem schicklichen Vorwand zu entfernen und jene Herren umwerfen zu lassen (Dies biogr. Nachr. S. 64). Mozart hatte überhaupt von der musikalischen Bildung des Erzbischofs nicht die günstigste Vorstellung. So schreibt er seinem Vater (Wien 26. Sept. 1781) von dem berühmten Bassisten Fischer, »welcher gewiß eine vortreffliche Baßstimme hat, obwohl der Erzbischof zu mir gesagt, er singe zu tief für einen Bassisten, und ich ihm aber betheuert, er würde nächstens höher singen.«


20 Dittersdorfs Schilderung von dem musikalischen Haushalt des Prinzen von Hildburghausen giebt man che charakteristische Züge (Selbstbiogr. S. 43ff.).


21 L. Mozart Brief 26. Dec. 1772.


22 Burney Reisen I S. 69.


23 Dittersdorf Selbstbiogr. S. 50ff.


24 In dem Privatconcert des Churfürsten von Bayern hörte Burney (Reise II S. 102ff.) zu Anfang zwei Symphonien von Schwindl, eine Arie von Panzacchi, eine Scene von der Churfürstin von Sachsen, ein Trio für die Gambe vom Churfürsten, eine Arie von Rauizzini, eine Arie von Guadagni, ein Gambensolo vom Churfürsten vorgetragen; in einem Privatconcert in Dresden in jedem der beiden Theile eine Symphonie, ein Violinconcert, ein Flötenconcert und ein Oboenconcert.


25 Freih. von Böcklin, der in den achtziger Jahren Salzburg besuchte, meinte obgleich die Kirchenmusik gut, auch einige seine Blaser zu hören seien, »so ist hingegen das Concert-Orchester gar nicht im übrigen glänzend; wiewohl dennoch einige fürtreffliche bekannte Tonkünstler vorfindlich, welche bei Sonaten und Concerten jene Schatten durch ihre reitzende Spielart mildern, ja über ihre schwachen Begleiter ein Licht verbreiten, das einem Fremden öfters über das Ganze die vortheilhafteste Idee verursacht« (Beiträge zur Geschichte der Musik 1790 S. 28f.).


26 So berichtet die oft erwähnte Nachricht in Marpurgs Beitr. III S. 186.


27 Dittersdorf erzählt, wie er zum Namensfest des Bischofs von Großwardein nicht allein eine große Cantate mit Chören und eine Solocantate, sondern auch zwei große Symphonien zum Anfang und zum Schluß, eine Mittelsymphonie mit obligaten Blasinstrumenten, und ein Violinconcert componirte (Selbstbiogr. S. 141ff.).


28 Sie war die Tochter des reichen Großhändlers und Bürgermeisters Sigmund Hafner, eines trefflichen und patriotischen Mannes, der sich durch umfassende Vermächtnisse um Salzburg verdient machte; [Koch-Sternfeld] Die letzten dreißig Jahre S. 30. 187.


29 Auch in den meisten Erzeugnissen der heutigen Musik, so excentrisch sie sich auch geberden, herrschen Handwerk und Routine geistlos und unlebendig; eine nicht ferne Zukunft wird klar erkennen, was die befangene Gegenwart nicht zu merken scheint, daß beide sich nur auf andere, und weniger wesentliche Seiten des Technischen und Formellen geworfen haben, als in früherer Zeit.


30 Manche Ouverturen Händels werden von dieser Form ein anschauliches Beispiel geben.


31 So setzte Mozart der Finta semplice eine fertige Symphonie mit geringen Abänderungen vor (S. 110f.), und ähnlich verhält es sich mit Il sogno di Scipione (Beil. X, 20). Dagegen findet sich auf dem alten Lager von Breitkopf und Härtel unter anderen Symphonien auch die zu Lucio Silla, ohne weitere Andeutung daß sie dorthin gehöre. Wenn gegenwärtig eine Opernouverture für sich aufgeführt wird, versäumt man nicht anzugeben welcher Oper sie angehöre, in der Voraussetzung daß der Zuhörer die Kenntniß derselben zum Verständniß der Ouverture mitbringe, oder sich mit dem Bewußtsein seiner Unkenntniß über das bescheide was er nicht versteht. In dieses Dilemma gerieth man ehemals nicht, weil man eine individuelle Charakteristik von der Opernmusik nicht verlangte.


32 Carpani (le Haydine p. 56ff.), welcher Sammartinis Andenken erneuert hat (vgl. S. 191f.), berichtet, er habe anfangs Oboe, dann Violine gespielt und sich um die Technik verdient gemacht; wie denn Gluck, sein Schüler, ihm in der Instrumentation nicht wenig verdanke. Vom Gouverneur Pallavicini beauftragt habe er zuerst Symphonien für volles Orchester geschrieben. Er habe zuerst die Bratsche vom Baß getrennt, der zweiten Violine eine selbständige Bewegung gegeben; es habe ihm keineswegs an Erfindung und Feuer gefehlt, wohl aber an Maaß und Ordnung.


33 Von der Manheimer Kapelle werde ich im dritten Buche zu reden haben; hier genügt es an Burneys Worte zu erinnern, der von den Hofconcerten Karl Theodors sagt (Reise II S. 73): »Hier wars wo Stamitz zuerst über die Grenzen der gewöhnlichen Opernouvertüren hinwegschritt, die bis dahin bei dem Theater gleichsam nur als Rufer im Dienste gestanden, um durch ein Aufgeschaut! für die auftretenden Sänger Stille und Aufmerksamkeit zu erhalten.«


34 Bei Mozart findet sich dies mitunter z.B. 9. 20. 31, und zwar zu verschiedener Zeit.


35 Griesinger biogr. Not. S. 15. Dies biogr. Nachr. S. 37f.


36 Einen kurzen langsamen Satz voranzuschicken, was Haydn oft, Mozart sehr selten that, war wohl eine Reminiscenz der französischen Symphonie; wie denn der erste Satz durch seine thematische Behandlung derselben wieder naher kam.


37 Ph. Em. Bach sagt bei Burney (Reisen III S. 209): »Mein Hauptstudium ist besonders in den letzten Jahren darauf gerichtet gewesen, auf dem Clavier, ohngeachtet des Mangels an Aushaltung, soviel möglich sangbar zu spielen und dafür zu setzen. Es ist diese Sache nicht so gar leicht, wenn man das Ohr nicht zu leer lassen und die edle Einfalt des Gesanges durch zu vieles Geräusch nicht verderben will. Mich deucht, die Musik müsse vornehmlich das Herz rühren, und dahin bringt es ein Clavierspieler nie durch bloßes Poltern, Trommeln und Harveggiren, wenigstens bei mir nicht.« Aehnliche Aeußerungen von Leop. Mozart s. S. 16.


38 Es ist bekannt daß Beethoven diesem Schlußtheil in der Symphonie erst seine volle Ausbildung gegeben hat; in anderen Zweigen der Instrumentalmusik war dies schon vor ihm in ähnlicher Weise geschehen. Auch hierfür gab die Arie das Vorbild in der Cadenz. In welcher Weise die großen Gesangskünstler ihre Cadenzen machten, wissen wir leider nicht, da diese nicht aufgeschrieben und überliefert wurden; allein von den Instrumentalisten wissen wir daß sie nicht allein Passagen machten, sondern in neuer und eigenthümlicher Weise Hauptmotive des Satzes wieder vorführten, wie es in der ausgebildeten Coda geschieht. Beethoven hat in seinem Es dur Concert, das er nicht mehr selbst öffentlich gespielt hat, die Cadenzen ausgearbeitet, welche er bei den früheren jedesmal zum Behuf der Aufführung machte; die Cadenz des ersten Theils ist vollständig der Coda einer seiner großen Symphonien entsprechend ausgeführt.


39 In den Suiten sind einfache Sätze ähnlicher Art mit Air bezeichnet. Wenn in der Symphonie der Mittelsatz als Romanze bezeichnet wird, so geschieht dies auch, um auf jene ursprüngliche Form hinzuweisen, namentlich in einer Zeit, wo der Mittelsatz gewöhnlich schon freier in der Form behandelt wurde.


40 Es ist hierfür nicht ohne Interesse, wenn man sieht, wie ein und derselbe Satz in einem Duett der OperApollo et Hyacinthus (S. 79) und als Andante einer Symphonie (4) verwendet worden ist.


41 Daß es in neuester Zeit so selten gelingt in dieser Richtung zu befriedigen, mag auch charakteristisch sein. Schumann, der wiederholt auf diese Erscheinung hingewiesen hat, meinte, es scheine dies eine abgeschlossene Musik und man würde auf neue Mittelsatze anderen Charakters sinnen müssen (gesammelte Schriften I S. 283. 289).


42 Die Suite für Orchester oder für Klavier, welche im siebzehnten Jahrhundert ausgebildet wurde, bestand ihrem Wesen nach aus einer Reihe in Tempo, Rhythmus und Ausdruck verschiedener, meist sehr charakteristischer Tänze in derselben Tonart. Mattheson (vollk. Capellmeister S. 223ff.) zählt deren auf: Menuett, Gavotte, Bourrée, Rigaudon, Gique, Polonaise, Anglaise (Countres-Dances, Ballads, Hornpipes), Passepied, Sarabande, Courante, Allemande und giebt auf seine Weise ihre nähere Charakteristik. »Die Allemanda,« sagt er S. 232 »als eine aufrichtige teutsche Erfindung geht vor der Courante, so wie diese vor der Sarabanda und Gique her, welche Folge der Melodien man mit einem Nahmen Suite nennet.« Aber weder diese Folge, noch diese Auswahl und Anzahl der Tänze ist maßgebend für die Suite; andere geben Allemande, Courante, Gique, Passecaille, Gavotte, Menuett, Chaconne an, und später z.B. bei Bach herrscht hier große Freiheit. Man setzte den Tänzen aber noch eine Einleitung vor, ein Präludium, Phantasie oder eine förmliche Ouverture, welche nach französischer Art aus einem langsamen und einem lebhaften, meistentheils gearbeiteten Satz besteht, der wiederum durch einen langsamen abgeschlossen wird. Daß die Suite nicht unserer modernen Symphonie-und Sonatenform zu Grunde liegt, sondern die Symphonie der italiänischen Oper scheint mir einleuchtend; dies schließt aber eine theilweise Benutzung jener nicht aus. Es fragt sich freilich dabei auch, wie es mit der localen Verbreitung dieser verschiedenen Formen stehe.


43 So hat ihn Mozart, wie wir genauer sehen werden, im Don Giovanni höchst charakteristisch angewendet.


44 In Beethovens achter Symphonie ist der Menuett das Stuck, welches das langsamste Tempo hat, und die feierlich graziöse Würde desselben macht gegen die lebhafte Beweglichkeit der übrigen Sätze eine überaus humoristische Wirkung. Auch in Mendelssohns A-dur Symphonie wird man den zierlichen Menuett nicht ohne Lächeln hören können.


45 Die Stellung desselben vor oder nach dem langsamen Satz wechselt schon frühzeitig, auch bei Mozart, in der Regel folgt er auf das Andante.


46 Interessant ist in dieser Beziehung Symphonie 10, in welcher der Baß zumeist in Imitationen sich in einer Weise frei bewegt, wie dies früher nicht vorkommt.


47 Bemerkenswerth ist, daß auch da wo Trompeten angewandt sind, selten Pauken gebraucht werden.


48 Es ist nicht ohne Bedeutung daß Leop. Mozart, der nicht zufrieden war, daß Wolfgang auf seine Reise mehr Symphonien als Kirchenmusik mitgenommen hatte, diesem schreibt (24. Sept. 1778): »Was Dir keine Ehre macht ist besser, wenns nicht bekannt wird; deßwegen habe von Deinen Sinfonien nichts hergegeben, weil ich voraus wuste, daß Du mit reiferen Jahren, wo die Einsicht wächst, frohe seyn wirst daß sie niemand hat, wenn Du gleich damals, als Du sie schriebst, damit zufrieden warst; man wird immer heickler.« Auch hieraus möchte man schließen daß er in den letzten Jahren vorher keine Symphonien mehr geschrieben bat, denn die in diesen Jahren componirten Serenaten stellte auch Leopold Mozart hoch.


49 Und doch schreibt Mozart seinem Vater von Paris aus (11. Sept. 1778) daß er seine Symphonien dort nicht aufführen könne, weil die meisten nicht nach dem Pariser Geschmack seien; »bei uns in Teutschland ist der lange Geschmack, in der That aber ist es besser kurz und gut.«


50 Cassatio, Cassazione wurde in ähnlicher Weise wie Serenata von Instrumentalmusik gebraucht, welche Abends im Freien aufgeführt wurde; es war dann aber eine Zeitlang der geläufige Ausdruck für Instrumentalmusik überhaupt, sowohl Symphonien als Quartetten, und ein bestimmter Unterschied ist kaum anzugeben. Mozart erwähnt in einem Briefe an seine Schwester (Beil. V, 23) unterschiedliche seiner Cassationen, in einem anderen (München 2. Oct. 1777) »die zwei Cassationen für die Gräfin«, welche nicht mehr nachzuweisen sind, und schreibt noch später seinem Vater (Wien 4. Juli 1781): »Die 3 Cassationen brauche ich gar nothwendig. Wenn ich nur unterdessen die ex F und B habe – die ex D können Sie mir mit Gelegenheit schicken.« In einem früheren Briefe heißt es (München 6. Oct. 1777): »Zu guter Letzt spielte ich die letzte Cassation aus dem B von mir; da schauete alles groß darein, ich spielte als wenn ich der größte Geiger in ganz Europa wäre.« Hier war also eine obligate Violine dabei, und ebenso erwähnt der Vater (12. April 1778) eine Cassation Wolfgangs für Saiteninstrumente und 2 Hörner, welche der Geiger Kolb mit erstaunlichem Beifall gespielt habe. Höchst wahrscheinlich sind also mit diesen Cassationen die drei Divertimenti in F- B- und D-dur (53. 55. 56) gemeint; da nun auch die beiden Sachen, welche ausdrücklich mit dem Titel der Cassationen überliefert sind, aus mehreren Sätzen bestehen, so scheint es als wenn man damals die Cassationen von der Symphonie im engeren Sinne unterschied.


51 Serenata ist ursprünglich eine Nachtmusik im Freien, welche entweder vor den Fenstern des oder der zu Feiernden, oder auf öffentlichen Plätzen aufgeführt wurden, nach einer in früherer Zeit sehr allgemeinen Sitte. So componirte Sammartini, wie Carpani erzählt (le Haydine p. 58) seine ersten Symphonien für die Aufführungen im Freien, welche der Gouverneur Pallavicini veranstaltete; si sonavano esse in piena aria sulla mezzaluna della citadella a divertimento dei cittadini che a diporto trovavansi nella sottoposta spianata le sere d' estate. Mozart schreibt seinem Vater, daß Martin, mit welchem er sich vereinigte, die Erlaubniß erhalten habe zwölf Concerte im Augarten zu geben und vier große Nachtmusiken auf den schönsten Platzen in der Stadt (Wien 8. Mai 1782). Dann wurden derartige Compositionen auch bei Concerten im Saal aufgeführt.


52 Die einzelnen Märsche, welche von Mozart erhalten sind, waren wohl meistens zur Einleitung von Serenaten bestimmt; man wechselte damit und wir finden sie deshalb auch für sich geschrieben. Daß der Marsch 44 zu einer Serenate gehörte, die nicht erhalten zu sein scheint, ist gewiß, daß ein anderer (44) für eine noch erhaltene Serenate (48) bestimmt war, ist der Instrumentation wegen nicht unwahrscheinlich.


53 Daß man hier nur den einmal eingebürgerten Menuett anwandte und den in der Suite dargebotenen Reichthum charakteristischer Tänze ganz unbenutzt ließ ist wohl ein Beweis, daß diese Form der Instrumentalmusik damals wenigstens in diesen Gegenden gar keine praktische Geltung hatte. Zu bedauern ist es gewiß, daß so viele Keime, die einer Entwickelung zu eigenthümlichen Formen der Instrumentalmusik fähig waren, unausgebildet blieben.


54 Mozart berichtet seinem Vater (Wien 29. März 1783) daß eine Nummer in seinem Concert »die kleine Concertant-Symphonie aus der letzten Finalmusik« gewesen sei, also eben dieser in sich abgeschlossene Abschnitt. Der Ausdruck Finalmusik, der auch sonst mitunter vorkommt – in einem Briefe aus München (2. Oct. 1777) erwähnt er »die Finalmusik mit dem Rondo«, was auf 43 passen würde – scheint dar auf hinzuweisen daß diese längeren mit concertirenden Soloinstrumenten ausgestatteten Compositionen am Schluß der Concerte aufgeführt wurden, wie dies auch von den Cassationen berichtet wird.


55 In der Serenate 42 ist das zweite Andante durch obligate Flöte, Oboe und Fagott hervorgehoben; auch ist im Trio des letzten Menuetts noch eine Soloflöte angebracht. Im Finale wechselt ein kleines Andante von sehnsüchtigem Ausdruck dreimal mit einem lebhaften heiteren Allegro ab, und noch in der Coda drängt sich ein Ansatz des Andante ein. Das Ganze bekommt dadurch einen neckischen Charakter, daß man fast an Papageno erinnert werden kann.


56 Es besteht aus einem Marsch, Menuett und Rondo, das von einem kurzen Adagio unterbrochen wird. Noch kürzer und knapper ist ein Ständchen (38) in vier Sätzen, das wohl, wie die erste Ueberschrift anzeigt, ursprünglich ein Contretanz war.


Quelle:
Jahn, Otto: W.A. Mozart. Band 1, Leipzig: Breitkopf und Härtel, 1856, S. 1.
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