V.

[229] Noch vor dem Weihnachtsfeste, das Brahms, wenn er in Wien war, bei Fabers verlebte, mußte er wieder auf ein paar Tage nach Ungarn, um in den Budapester Philharmonischen Konzerten seine zweite Symphonie zu dirigieren und unter Alexander Erkel sein Klavierkonzert zu spielen. Dies geschah am 10. Dezember, nachdem er zwei Tage vorher, an einem der neu arrangierten Kammermusikabende des Geigers Krancsevics, sein c-moll-Quartett op. 60 aufgeführt hatte. In Budapest, wo damals noch das deutsche Element überwog, stand Brahms in hohem Ansehen, und er sorgte dafür, daß die guten Beziehungen, die ihn mit dem musikalischen Publikum der ungarischen Hauptstadt schon von den Sechzigerjahren her verbanden, nicht abrissen. Je öfter er kam, dest herzlicher wurde er empfangen. Das Verständnis für seine Kunst war durch Robert Volkmann noch gefördert worden. Als Professor der Harmonielehre und des Kontrapunkts übte dieser bedeutendste und selbständigste Nachfolger Schumanns segensreichen Einfluß auf die jüngere Generation aus und leuchtete ihr als Komponist vieler ausgezeichneter, überall mit warmer Anerkennung aufgenommener Orchester-, Gesangs- und Kammermusikwerke mit dem besten Beispiel voran. Seine beiden Symphonien, die Ouvertüre zu Shakespeares »Richard III.«, die Serenaden für Streichorchester, die Streichquartette, das b-moll-Trio und Chorkompositionen sind mit Unrecht aus den Konzertsälen verschwunden. Besondere Verehrung genoß Brahms im Hause Ladislaus Wagners, Professors an der Hochschule für Bodenkultur, eines leidenschaftlichen Musikliebhabers, der in seinem Hausquartett die erste Violine mit künstlerischer Verve strich. Seine junge Frau, eine gefeierte Schönheit, trug nicht wenig dazu bei, nie musikalischen Abende des Wagnerschen Hauses zu einem Brennpunkte der Budapester Gesellschaft zu machen. [229] Dort lernte Brahms auch den ihm treu ergebenen Schriftsteller Max Schütz, den langjährigen Musikreferenten des »Pester Lloyd«, kennen, dessen fachkundige und feinsinnige Feuilletons mit denen Hanslicks wetteiferten. Wagner und Schütz kamen in ihrer Schwärmerei für Brahms überein; ihnen reihten sich späterhin die David Popper, Viktor v. Herzfeld, Hans Koeßler u.a. an, so daß Brahms bis zu seinem Tode auf eine treue Gemeinde in Budapest zählen konnte.

Bald nach dem Feste ging Brahms nach Westdeutschland, wo er verschiedenen Verpflichtungen nachzukommen hatte. Er blieb bis Neujahr bei Klara Schumann. Die Schumann-Ausgabe stand wieder auf der Tagesordnung ihrer Debatten, und diese lösten sich bei Frau Klara manchmal in Tränen auf. Ihr Freund hatte nicht »Herz genug« für ihre oft recht kleinlichen Umstände und Bedenken, aus denen er immer andere Ratgeber herauszuhören glaubte. Einem so eigenwilligen, resoluten, ungeduldigen und kurz angebundenen Manne seiner Art bedeutete das ewige Für und Wider die schwerste Buße, die ihm für allerlei Verstöße gegen gesellschaftlichen Ton und Anstand hätte auferlegt werden können. Seine Liebe und Verehrung für die edle Frau überwand indessen alle Schwierigkeiten, und er trug immer den schönsten Sieg, den über die eigene Natur, davon.

Bald nach Beginn des neuen Jahres wurde Brahms in Hannover erwartet.

Seit dem 22. Januar 1859, an welchem er als sechsundzwanzigjähriger Jüngling sein Klavierkonzert unter Joachims Leitung in Hannover spielte, hatte er sich dort nur ausnahmsweise einmal hören und sehen lassen, im Jahre 1873 zur Direktion seines Requiems. Joachims Abschied von Hannover war eigentlich auch der seinige gewesen, und es bekümmerte ihn wenig, was an der Leine mit seinen Werken vorging. Selbst die ersten Aufführungen seiner Symphonien zogen ihn nicht hin, obwohl sie von – Bülow veranlaßt und veranstaltet worden waren. Hans von Bronsart, der Nachfolger des hannöverschen Theaterintendanten Grafen Platen, trotz neudeutscher Antezedentien ein eifriger Verehrer von Brahms, hatte nicht erst nötig gehabt, seinen Freund Bülow mit der Brahmsschen Musik zu versöhnen, wie manchmal [230] behauptet wird. Aus dem IX. Kapitel des vorigen Bandes haben wir erfahren, daß Bülows Konversion zu Brahms älteren Datums ist. Sie hängt auch nicht mit der c-moll-Symphonie zusammen, sondern die nähere Bekanntschaft mit diesem Werk bestärkte nur den bereits 1872 Bekehrten in der hohen Meinung, die er von Brahms gewonnen hatte. Er lernte die erste Symphonie im September 1877 in Baden-Baden kennen. Brahms spielte sie ihm auf dem Klavier vor. »Habe heute Konferenz mit Brahms,« schreibt Bülow am 20. September 1877 von Baden-Baden an Bronsart, »um mich über Aufführung seiner Sinfonie (in Glasgow zunächst) belehren zu lassen. Das Werk soll grandios sein ...« und fährt am 21. fort: »Das war höchst drollig: Sarasate kommt sehr unerwartet in die Konferenz mit Johannes hinein, eine Viertelstunde später klingelt Coßmann, zwei Minuten später ein Telegrammatikus, der mir Deine Drahtbotschaft bringt, welche ich stumm dem Kniegeiger zur Mitteilung an den Armgeiger in derjenigen Sprache, die Brahms schweigt, überreiche.«1

Ehe nämlich Bülow von Bronsart nach Hannover berufen wurde, wo rasch hinter einander die beiden Hofkapellmeister Fischer und Bott gestorben waren, hatte er ein Engagement als Konzertdirigent in Glasgow angenommen, das ihn von November 1877 bis Januar 1878 band, und in seinem Enthusiasmus, den die Brahmssche Symphonie bei einer zweiten ungestörten Konferenz in ihm erregte, bestürmte er den Meister, ihm das Werk, das noch nicht erschienen war, für Glasgow zu überlassen. Dann aber wollte er die Symphonie, die er »die Zehnte« nannte, noch vor seiner englischen Reise auch in Hannover aufführen, und Brahms schrieb ihm, er habe sich der englischen Konzerte wegen zwar schon an Simrock, der die Symphonie gerade vom Stecher zurückerhalten hatte, gewendet, und ihm eben jetzt (am 5. Oktober) wegen Hannover wieder geschrieben, doch könne er sich leider nichts Günstiges davon versprechen. Es müsse von Stimmen und Partitur noch eine Revision gelesen werden, auch fürchte er, daß namentlich Rücksichten auf ähnliche Wünsche Simrock abhalten könnten, ihnen (Bülow und Brahms) einen besonderen Gefallen zu tun. Was [231] artiges Wesen und Schreibelust angeht, so hätten Verleger und Komponist des Werkes den gleichen wohlverdienten Ruf, gar nichts davon zu besitzen [Simrock hatte ein Telegramm mit Réponse payée unbeantwortet gelassen]. Brahms fügte noch hinzu: »Mir tut leid, daß ich neulich am Klavier nicht weiter plauderte. Dessoff behauptet von einem weiteren ersten Satz, den ich ihm spielte, ich hätte noch nichts so – Hübsches geschrieben.« [Anspielung auf die Zweite Symphonie.] »Nun darf ich mich darauf freuen, wie alle Kritiker, denen die erste nicht gefiel, bei der neuen (und hoffentlich noch öfter) behaupten werden, ein so glücklicher Wurf wie Nr. 1 sei dem Komponisten nicht wieder gelungen. Indes sei Nr. so oder so doch eines der hervorragendsten Werke seiner Gattung, seit der dritten von Volkmann, der dreizehnten von Raff, der ersten von Kiel, und [es sei] in den letzten Dezennien wohl nicht so Bedeutendes am Wörther See geschrieben worden.« – »Massa Simrock«2 erwies sich gnädig, und die Symphonie prangte, ehe sie Bülow auf seiner schottischen Reise, nicht in Glasgow, sondern am 10. Dezember in Edinburgh, aufführte, als Novität auf dem Programm des dritten der Hannöverschen Abonnementskonzerte (20. Oktober 1877). Sie wurde »mit großem Respekt vor dem ersten der lebenden Kontrapunktisten« angehört. Am 26. April 1878 ließ Bülow die zweite Symphonie folgen; auch sie machte »zunächst keinen tiefen Eindruck auf das Publikum«3. Es könnte auffallen, daß Brahms, der doch sonst seine Orchesterwerke in ersten Aufführungen gern selbst vorführte, sich hier beide Male fernhielt. In diesem Falle mochte es ihm genügen, einem berühmten Künstler, der, wie er an Simrock schrieb, »so helle Freude« an seinen Kompositionen hatte, einen Dienst zu erweisen. Auch stand ihm Bülow noch nicht so nahe, um ihm zu sagen, daß er seine Symphonien lieber selbst dirigiere.

Desto bereitwilliger kam er nun der Einladung seines Freundes Ernst Frank nach, der 1879 Bülows Amtsnachfolger in Hannover geworden war, und fand im Hause Bronsarts die liebevollste Aufnahme. Wie günstig seine Anwesenheit auf das Publikum [232] wirkte, geht schon daraus hervor, daß aus dem einen proponierten Besuche drei wurden. Vorerst nur zu einer Wiederholung des Deutschen Requiems nach Hannover eingeladen, dirigierte Brahms sein Werk am 3. Januar 1880; die Soli wurden von Frau Julie Koch-Bossenberger und Herrn v. Milde gesungen. Schon in vierzehn Tagen sollte er wiederkommen, sein Klavierkonzert spielen und die c-moll-Symphonie dirigieren. Von Köln aus bittet er Frank um eine Änderung des Programmes: Neben dem Mollkonzert wäre die (zweite) Dur-Symphonie besser am Platze, am Ende des Konzerts die erste Symphonie unter allen Umständen »zu schwer, lang und düster«. Für eine Auslese der »Liebeslieder«, die er mit Frank begleiten will, schlägt er den Epilog der zweiten Serie (»Nun, ihr Musen, genug«) als Schlußnummer vor. Das Konzert wurde auf den 24. Januar verschoben und fand an diesem Tage in der von Brahms gewünschten Form statt. Am 17. April versprach er abermals nach Hannover zu kommen, aber nur, um Joachim zuzuhören, der außer dem Brahmsschen Violinkonzert seine Variationen für Violine und Orchester aufs Programm gesetzt hatte. Über den Konzerten in Hannover versäumte Brahms Besuche, die er bei Karl Reinthaler in Bremen und bei Julius Otto Grimm in Münster machen wollte. Am 13. Januar sollte er in Köln Requiem und Zweite Symphonie dirigieren, leitete dann aber das ganze Gürzenichkonzert, weil Hiller erkrankte. Dafür bekam er fünfhundert Mark; Hannover, Krefeld und Bonn zahlten die üblichen sechshundert, die »sein Preis« geworden waren.

In Krefeld erschien Brahms überhaupt zum ersten Male. Der herzlichen Beziehungen wegen, die sich zwischen ihm und der Intelligenz der reichen Fabrikstadt herstellten, verdient der 20. Januar 1880 als besonders wichtiges Datum hervorgehoben zu werden. Für diesen Tag hatte August Grüters, der Dirigent des Konzertvereins und der Liedertafel in Krefeld, in Gemeinschaft mit Rudolf von der Leyen, dem Neffen Rudolfs von Beckerath, ein Brahms-Konzert vorbereitet, dessen Programm durch geschmackvolle Abwechselung vorteilhaft von anderen seiner Art abstach. Es begann mit der Zweiten Symphonie und endete mit dem »Triumphliede«. Außerdem brachte es die Rhapsodie aus der »Harzreise im Winter« mit Adele Asmann nebst drei von derselben Künstlerin gesungenen [233] Liedern und überließ es Brahms, eine Nummer mit Klaviervorträgen auszufüllen. »Ich darf wohl eigentlich nicht sagen«, schrieb Brahms gut gelaunt an Beckerath, der den Vermittler und Fürsprecher abgegeben hatte, »daß ich das Programm – schauderhaft finde, denn die meisten anderen Sachen, die mir bei der Gelegenheit als dienlich und nötig für besagtes Programm einfallen, stehen leider nicht in meinem Katalog. Aber hoffentlich finden Sie das bis zu jener Zeit auch und beschränken sich nicht auf einen Katalog!« Natürlich blieb es dabei, trotz des ernsthaft gemeinten Protestes4, und der scheltende Meister verstand sich sogar dazu, mit seinen ungedruckten Rhapsodien op. 79 das Brahms-Konzert zu vervollständigen; sie hießen noch »Caprices« und standen als solche auf dem Programm.

In Rudolf von der Leyen hatte Brahms den verständnisvollsten Zuhörer, der sich zu seiner Überraschung später als Kunstbruder und ganz vortrefflicher Pianist entpuppte, und einen nicht minder aufmerksamen Wirt. Onkel Rudolf kam mit seinem Stradivarius von Rüdesheim zum Besuche, und die neue Violinsonate op. 78 wurde an einem Musikabende bei von der Leyen flott vom Blatte gespielt. In seinen Erinnerungen erzählt der beglückte Hausherr: »Brahms bewegte sich mit vielem Humor in dieser Gesellschaft in einem Paar ausgetretener Hausschuhe, da er vorher in seinen Stiefeln mit uns einen Spaziergang durch den tiefen Schnee gemacht und zum Wechseln kein zweites Paar zu verwenden hatte. So suchte er mit seiner wenig salonfähigen Fußbekleidung sorgfältig die vom Flügel oder andern größeren Möbeln geworfenen, tieferen Schatten auf. Nach dem Abendessen brachte ihm das Komitee durch das Krefelder Orchester ein Ständchen. Bei einem Marsche zogen wir, jeder mit einer Trophäe bewaffnet, Brahms mit einem Violinpult lustig voran, durch alle Räume. Mit Mühe konnten wir ihn nach dem Schluß davon zurückhalten, bei der eisigen Kälte draußen den Musikern eine Dankesrede zu halten, er bat mich dann, den Dank für ihn auszurichten. Als alle sich [234] verabschiedet hatten und unten in der Garderobe weilten, sagte mir Brahms: ›Soll ich sie mal alle zurückrufen?‹ Er setzte sich dann bei geöffneten Türen an den Flügel und spielte, so wie nur er es verstand, Wiener Walzer. Immer nickte er mir fröhlich zu, wenn die Freunde wieder leise eintraten, bis er schließlich die ganze Gesellschaft nach oben gezaubert hatte5

Brahms merkte, daß in Krefeld gut Seide spinnen war, und wäre am liebsten von Bonn, wo er am 22. Januar sein d-moll-Konzert spielte und dieD-dur-Symphonie aufführte, gleich wieder dorthin zurückgekehrt. Seine defekten Stiefel mögen ihn gewarnt haben, die im Herbst mit Joachim verabredete polnische Tournée vom Rhein aus anzutreten. Auf der Rückreise hielt sich Brahms einen Tag in Leipzig auf und spielte Frau von Herzogenberg die ihr gewidmeten Rhapsodien vor. Zum Glück hatte er sich noch rechtzeitig eines Freund Joachim gegebenen Versprechens erinnert, sein Violinkonzert in Wien nicht zum zweiten Male von Hellmesberger dirigieren zu lassen, sondern den Taktstock selbst in die Hand zu nehmen, wenn es Joachim wieder spiele. Dies geschah in einem am 3. Februar »auf Wunsch« veranstalteten »Abschiedskonzert«, in welchem Rosa Bernstein, die ehemalige Klavierschülerin Tausigs und Brahms', als Sängerin mitwirkte. Unmittelbar darauf traten Joachim und Brahms ihre Expedition nach Polen und Galizien an. Sie dauerte kaum zehn Tage, berührte Krakau und Lemberg als Hauptstationen und führte über Prag zurück nach Wien. In Prag fand der im vorigen Kapitel erwähnte Besuch bei Anton Dvořák statt. Die polnische Reise war zwar keineswegs die »Triumphfahrt«, welche Frau von Herzogenbergs prophetischer Geist aus ihr machen wollte6, aber sie brachte Brahms immerhin fünfzehnhundert Gulden ein.

»Ich kutschiere was herum, den Winter! Wundere mich ordentlich, daß ich diesen Sonntagmorgen zu Haus sitze! Schändliches Leben!« schreibt Brahms am 15. Februar an Simrock. Er blieb nicht lange sitzen, sondern spazierte fleißig durch den Prater, [235] dem erwachenden Frühling entgegen. Kaum guckte das erste Grün aus den Blattknospen, da begann es auch im frühlingsfrohen Herzen unseres Tondichters wieder zu treiben und zu sprießen. Die Zigeuner in Budapest hatten seiner Phantasie frisches Material zugeführt, und die noch im letzten Pörtschacher Sommer begonnene neue Serie Ungarischer Tänze erfuhr manche Bereicherung. Hlawacek, der Notenschreiber Billroths und Brahms', bekam Arbeit. Ihm schob Brahms in einem an den Verleger gerichteten Briefe ironisch die Verantwortung dafür zu: »Mein Kopist hatte gerade nichts Besseres zu tun, und da hat er ein Dutzend Ungarischer Tänze geschrieben.« »Wenn uns diese« – fährt er fort – »nun etwa gar gefallen sollten, schreibe ich dann ein paar grobe Worte Vorwort. Hier ist nämlich manches ganz meine Erfindung7 – nun könnte ich diesmal Schelte wegen Fälschung kriegen, wie bei den vorigen, daß ich nur das Versprochene gebe. Nur nicht loben, nicht eher und nicht anders reden, als was zu schelten ist!« Der Sinn dieser dunklen Worte ist wohl der: Ich mag es anstellen, wie ich will – gescholten werde ich doch. Wenn meine mißgünstigen Kritiker jetzt sagten, ich habe keine Erfindung, da ich mich nur mit dem Arrangieren von Volksmusik befasse (»gesetzt von J. Br.«), so würden sie zwar ebenso unrecht haben wie vordem, da sie mich des Plagiats bezichtigten, aber sie brauchten mich wieder nicht zu loben.

Vielleicht hat sich Brahms ohne sein Wollen und Wissen zum Schaden der Sache doch in der Freiheit seiner Gedankenbewegung beirren und hemmen lassen. Denn daß die letzten beiden Hefte an blühender Frische der Melodie die ersten beiden nicht erreichen, kann wohl niemand leugnen8. Dafür aber sind sie noch seiner in der Form zugeschliffen und kommen dem Geschmack des deutschen Musikers noch bereitwilliger entgegen. Brahms selbst hielt die neue Sammlung für viel besser als die erste; er sagte es Simrock rund heraus, meinte, die Tänze seien gut vierhändig gedacht und ließen sich deshalb schlecht zweihändig setzen – bei den vorigen sei das Umgekehrte der Fall gewesen – und gab auch [236] Herzogenbergs und Billroth zu verstehen, daß sie ihm besonders lieb wären. Aber gerade durch die vielen geistreichen Züge in den Mittelstimmen, welche von einem Paar Hände nur schwer bewältigt werden können, durch die rhythmischen Pikanterien und erfinderischen Abwechselungen der Figuration – lauter Zeugen einer hochentwickelten musikalischen Kultur – entfernen sich die Bearbeitungen so weit von ihren Originalen, daß diese kaum noch zu erkennen und vor steckbrieflicher Verfolgung sicher sind. Gewiß rechtfertigt die neue Serie das hohe Lob Elisabet v. Herzogenbergs, die sehr reizend an Brahms darüber geschrieben hat9. Wenn sie aber sagt, Brahms habe alles, was, mehr oder weniger, doch nur Elemente der Schönheit in sich berge, zum Kunstwerk und in die reinste Atmosphäre emporgehoben, ohne daß es im mindesten von seiner Wildheit, von seiner elementaren Gewalt einbüßte, so wollen wir nur die erste Hälfte ihres befangenen Urteils gelten lassen. Dagegen pflichten wir Billroth bei, der in der Behandlung der Motive, sowie auch in der Form eine Ähnlichkeit mit den Liebesliedern findet und meint, die ganze Feinheit der Stimmführung, die man anfangs nur wittere, werde wohl kaum in dem zweihändigen Arrangement anzubringen sein. Brahms feilte lange an den Stücken und wurde erst im Mai mit ihnen fertig.

Noch länger sollten ihn zwei andere Werke beschäftigen, deren erste Sätze im März 1880 als Zwillingspaar das Licht erblickten; die Klaviertrios in C-und Es-dur. Nur das erste ist, zwei Jahre später vollendet, als op. 87 auf die Nachwelt gekommen, während das zweite, wie viele andere Kinder der Brahmsschen Muse, denen der unbestechliche grausame Vater die Lebensfähigkeit absprach, dem Flammentode überantwortet wurde. Über die Allegrosätze scheinen beide im Frühling 1880 nicht hinausgewachsen zu sein; deren Existenz aber wird von Frau Klara Schumann und Theodor Billroth verbürgt. Das Beispiel bezeugt, wie unabhängig Brahms im Grunde von dem Urteil seiner Freunde war. Sobald er Ursache zu haben glaubte, an ihrer Objektivität oder Kompetenz zu zweifeln, vermochte weder ihr Lob noch ihr Tadel etwas über ihn. Frau [237] Klara schreibt am 13. September, ihrem Geburtstage, in ihrem Tagebuche, daß ihr Brahms in Berchtesgaden die ersten Sätze der beiden neuen Trios vorgespielt, und daß ihr der in Es-dur zumeist gefallen habe. Billroth sah die Stücke noch früher. Brahms hatte sie ihm geschickt, damit er sie von Hlawacek kopieren lasse, und Billroth schreibt darüber am 20. Juni an Brahms: »Wenn beide Sätze und vielleicht noch mehr jetzt in Ischl entstanden sind, so befindest Du Dich in glücklichster Stimmung. Wie das hinfließt und sich fortspinnt! Fast möchte ich sagen: wie ein Mozartsches Opernfinale! Ich habe selten von Deinen Manuskripten den Eindruck eines so mühelosen Schaffens gehabt, wie von diesen Sätzen: sie sind nach Form und Inhalt im besten Sinne des Wortes klassisch-populäre Kammermusik. Die Wege müssen in Ischl besonders eben und gut sein, da der Schritt nirgends gehemmt ist, auch vom Regen merkt man nichts, der sonst im Salzkammergut wohl auch verdrießlich machen kann. Laß es nur so flott und frisch fortgehen; ich meine, diese Anfänge vertragen keine schweren Mittelsätze. – Ob man mehr an Es-dur oder C-dur Behagen findet, hängt wohl von momentanen Stimmungen ab. Mir ist der erste Eindruck geblieben. Das Es-dur ist gar so frisch gleich im Anfang und geht auch so fort; es wird besonders gekrönt durch den Eindruck, welchen das zweite Motiv auch dadurch macht, daß es zuerst in den Saiteninstrumenten allein auftritt, durch die kontrapunktische Weiterführung gestaltet es sich immer schöner, ohne je schwerfällig zu werden. Das C-dur tritt etwas ernster auf, rhythmisch sehr charakteristisch. Das zweite Motiv ist mir fast etwas zu weich, melodisch und rhythmisch in sich selbst zusammengezogen; ich hätte hier mehr das Bedürfnis nach längeren Noten, wie sie Beethoven in seinen früheren Werken in solcher Verbindung so oft mit herrlicher Wirkung bringt. Doch das sind so erste Eindrücke. Du mußt es besser wissen. Daß Du auch empfunden hast, daß einige Ruhemomente in dem Satz nötig sind, sehe ich an den eingeschalteten zwei Takten am Ende des ersten Teiles. Ich bin nun sehr gespannt auf die folgenden Sätze ...«

Seine Neugierde wurde nicht befriedigt, und es ahnte ihm nichts Gutes, als die erhoffte Fortsetzung ausblieb. »Kränkelt Dich [238] des Gedankens Blässe zu sehr an, wirst Du zu auto-hyperkritisch?« fragt er im August. Daß Billroth dem Es-dur-Trio bereits den Nekrolog geschrieben hatte, wird er schwerlich gedacht haben. Vielleicht wäre es dem Werke besser ergangen, wenn Brahms es gleich im ersten Feuer der Inspiration hätte fertig machen können. Bevor er sein Sommerquartier bezog, mußte er leider noch einmal auf Reisen gehen, weil er Alois Schmitt in Schwerin und Max Staegemann in Königsberg seine Mitwirkung zugesagt hatte. Er sollte dort am 10. und hier am 13. April konzertieren. In beiden Städten gab es junge Brahms-Gemeinden, die nach der persönlichen Anwesenheit ihres Erwählten verlangten, um sich im Glauben zu befestigen. Alois Schmitt war von seiner Schülerin Emma Engelmann-Brandes für die neue Lehre gewonnen worden. Obwohl sieben Jahre älter als Brahms, lernte er, der sich in der ersten Hälfte seines Lebens hauptsächlich für Oper und Schauspiel interessierte, dessen Musik erst durch Frau Engelmann und die reizende Sängerin Cornelia Csányi, die seine Gattin wurde, näher kennen und holte dann mit Eifer früher Versäumtes nach. Die zweite Symphonie, welche Schmitt im Oktober 1878 aufführte, hatte so großen Beifall gefunden, daß er sie im November desselben Jahres wiederholen konnte. Sie war auch das Hauptstück des am 10. April 1880 im Saale des Großherzoglichen Schauspielhauses veranstalteten Konzerts, das, mit einziger Ausnahme der den Abend eröffnenden Anakreon-Ouvertüre von Cherubini, nur Brahmssche Kompositionen brachte. Brahms dirigierte die Symphonie und das »Schicksalslied« und spielte sein d-moll-Konzert, eine der beiden Rhapsodien (»Capriccio«) und mehrere Ungarische Tänze; Kammersänger Hill sang »Von ewiger Liebe« und »Wie bist du, meine Königin«10. Eine besondere Freude für [239] Brahms war es, in Schwerin mit Engelmanns zusammenzutreffen.

Das Königsberger Konzert sah dem Schweriner, von Schmitt entworfenen, sehr ähnlich und war ebenfalls ein verschämter Brahms-Abend. Statt Cherubini erschienen die beiden andern »großen B«, Bach und Beethoven, ziemlich unbedeutend vertreten und von Kapellmeister Rakemann dirigiert, auf dem Programm, und dieses deckte sich im übrigen mit dem Schweriner, nur daß hier Max Staegemann die Stelle Hills einnahm und das Lied vom Herrn von Falckenstein, das »Minnelied« und die fünfte Magelonen-Romanze sang. Um jene Zeit führte Henschel das »Deutsche Requiem« in London auf. Er hatte sich an Brahms gewendet mit der Frage, ob die angegebenen Tempi auf das genaueste eingehalten werden sollten? Darauf gab Brahms die charakteristische und außerordentlich wichtige Antwort: »Ja – so gut wie bei aller andern Musik. – Ich denke, auch bei aller andern Musik gilt das Metronom nicht! So weit wenigstens meine Erfahrung reicht, hat noch Jeder die angegebenen Zahlen später widerrufen. Die, welche sich bei meinen Sachen finden, sind von guten Freunden mir aufgeschwätzt, denn ich selbst habe nie geglaubt, daß mein Blut und ein Instrument sich so gut vertragen. Das sogenannte ›elastische Tempo‹ ist ja keine neue Erfindung. ›Con discrezione‹ dürfte man dazu und zu wieviel Anderem setzen. – Ist das eine Antwort? Ich weiß nicht mehr, weiß nur, daß ich gern bescheiden, aber möglichst genau und deutlich bezeichne.«

Nach der Zusammenkunft mit Joachim in Hannover (17. April) hielt sich Brahms bei Reinthaler in Bremen und bei den Seinigen in Hamburg auf. Ende April war er wieder am Rhein. Dorthin rief ihn das für den 2. und 3. Mai anberaumte Fest, welches anläßlich der Enthüllung des Schumanndenkmals in Bonn gefeiert wurde. Es war schon für den Oktober 1879 geplant gewesen, aber der Bildhauer Adolf Donndorf blieb mit seiner Arbeit im Rückstande. Die Veranstalter des Festes hätten also Zeit gehabt, [240] ihre Vorkehrungen mit aller Umsicht zu treffen. Wer da etwa meinte, die winkelzügigen Präliminarien zur Schumann-Gedächtnisfeier vom Jahre 1873 wären den Hauptbeteiligten noch so weit im Gedächtnis geblieben, um ihnen ein abermaliges Zerwürfnis zu ersparen, hätte sich geirrt. Ohne Ärger ging es auch diesmal nicht ab

Wasielewski und Joachim hätten sich, auf Wunsch des Komitees, in die Direktion der Konzertaufführungen teilen, Brahms die kleine musikalische Feier am Grabe Schumanns leiten sollen. Der Schumann-Biograph, den Frau Schumann, eben seiner Biographie wegen, nicht leiden mochte, würde ihr die Stimmung gänzlich verdorben haben, wenn er nicht von seinem Posten wieder entfernt worden wäre. Eine rechtzeitig eintretende Grippe beugte dem drohenden Konflikt vor, und Brahms sprang für den Verschnupften ein. Er setzte, als er es tat, jede Empfindlichkeit beiseite. Denn er hatte mehr Ursache sich verletzt zu fühlen, als Wasielewski. Die ihm vom Komitee bewiesene Nichtachtung nahm er schweigend hin, der guten Sache wegen. Nur an Joachim schreibt er am 5. April, es gehe in Bonn alles seinen Wünschen und Vorschlägen, so gut und gescheidt sie seien, entgegen. Da er seine Teilnahme aber davon nicht abhängig gemacht habe, so müsse er alles gehen lassen, wie es eben geht. In einem jedoch könne Joachim helfen. Er (Brahms) finde es weder hübsch noch schicklich, daß sein Violinkonzert als einzige Nummer, die nicht von Schumann ist, auf dem Programm stehe. Entweder müsse Joachim die Schumannsche Phantasie spielen, oder man müsse irgend eine feierliche Ouvertüre »von irgend einem« machen und dann Joachim bitten, noch eine andere Solonummer, etwa die Chaconne von Bach, einzulegen. Darauf wieder ging Joachim nicht ein; im Gegenteil wollte er sogar Brahms, der die Es-dur-Symphonie und das »Requiem für Mignon« dirigierte, auch noch den »Manfred« überlassen, »damit kein Wechsel am Pult nötig sei«. An den Ernst dieser Begründung, deren Hinfälligkeit auf der Hand lag, konnte er selbst unmöglich glauben; sie sah einer schmollenden Ausrede viel zu ähnlich, um nicht von Brahms energisch abgelehnt zu werden. Von sämtlichen, am Konzertabend und in der Kammermusikmatinée des nächsten Tages [241] zur Aufführung gebrachten Werken standen denn auch, streng genommen, nur das Brahmssche, von Joachim vorgetragene Violinkonzert und das von Joachim, Königslöw, Heckmann und Bellmann gespielte Schumannsche a-moll-Quartett auf jener künstlerischen Höhe des Vortrages, welche der Bedeutung des Festes angemessen gewesen wäre. Brahms, dem die ungenügend vorbereitete musikalische Veranstaltung wenig gefiel, obwohl er die Es-dur-Symphonie und das »Requiem für Mignon« kraft seiner Geistesgegenwart als Dirigent vor störenden Zwischenfällen bewahrte, konnte doch seinen Unmut nicht meistern, und so hatte auch der ihm anvertraute Klavierpart in Schumanns Es-dur-Quartett unter der Depression seines Gemütes zu leiden.

Die Nüchternheit der musikalischen Produktionen stach merklich ab von der erhebenden Szene, die sich bei der Enthüllung des Grabdenkmals auf dem romantischen alten Bonner Friedhof ereignet hatte. Stadt und Umgegend nahmen in ihrer Weise teil an der sonntäglichen Feier. Überall, selbst vom letzten Bürgerhäuschen, wehten Fahnen, als ob es sich um den Empfang eines Monarchen handelte. Auf die Straße aber, welche zum Friedhof führt, hing ein schwarzes Banner herab, mit der Inschrift: »Was du ewig liebst, ist ewig dein!« Lange vor der festgesetzten Stunde drängten sich die Leute um einen Platz, und sowohl die Friedhofsmauer wie die Fenster und Dächer der benachbarten Häuser waren dicht von Neugierigen besetzt. Das in der Nähe der alten romanischen Kapelle des deutschen Ritterordens gelegene Grab Robert Schumanns wurde durch ein weitgezogenes Spalier geschützt, innerhalb dessen Sitze für die Angehörigen und persönlichen Freunde Schumanns wie auch für die Ehrengäste reserviert waren. Neben Frau Schumann, ihrem Sohne Ferdinand und ihren Töchtern Marie und Eugenie standen die drei Freunde, welche vor vierundzwanzig Jahren (am 31. Juli 1856) dem Sarge Schumanns nachfolgten: Johannes Brahms, Josef Joachim und Albert Dietrich. An sie reihten sich Woldemar Bargiel, Julius Otto Grimm, Ferdinand Hiller, Julius Stockhausen, Otto v. Königslöw, Alfred Volkland, Ferdinand Kufferath mit seiner Tochter Antonie, der Bildhauer Donndorf, Bürgermeister und Magistrat der Stadt Bonn und [242] Professor Schaaffhausen, der die von warmer Empfindung beseelte Ansprache an die Versammelten hielt, nachdem ein hinter hohen Lorbeerbüschen, Lebensbäumen und Stechpalmen verborgener Chor von Sängern und Bläsern den Bachschen Choral angestimmt hatte: »Was Gott tut, das ist wohlgetan.« Als die Hülle vom Denkmal fiel, intonierten die Bläser das Schlummerlied aus »Paradies und Peri«: »Schlaf nun und ruhe in Träumen voll Duft«. Brahms hatte den Chor für Instrumente arrangieren müssen, weil der Geistlichkeit der Text nicht »christlich« genug zu sein schien!

Der Augenblick der Enthüllung war von unbeschreiblicher Feierlichkeit, und die Ergriffenheit aller Anwesenden sprach sich in der tiefen Stille aus, welche die plötzliche kurze Bewegung der Menge ablöste. Was man zu sehen bekam, war ein in Marmor gekleidetes Gedicht, der versteinerte Traum eines echten Poeten. Auf der hohen Wand einer antikisierenden Stele erscheint das in Hautrelief gemeißelte Medaillon-Porträt Schumanns, emporgetragen von den weitausgebreiteten Schwingen eines dem Himmel zufliegenden Singschwans – das »non usitata nec tenui ferar« des Horaz. Zu beiden Seiten auf vorspringenden Sockeln des Grabsteines sitzen zwei Kinder-Genien: ein schalkhaft lächelnder Amor zur Linken, der die Geige spielt, und eine verträumte, in ihr Notenbuch hineinsingende Psyche. Heilige Schmerzen führten dem Künstler die Hand, als er diese lieblichen Geschöpfe bildete, es sind die Porträts seiner, schnell nacheinander hinweggestorbenen Kinder. Zu Füßen des Denkmals aber ruht, auf die Lyra gelehnt, eine herrliche Frauengestalt im reichgefalteten Renaissance-Gewande, das bedeutende, mit Rosen geschmückte Haupt zum Bildnis des Tondichters hinaufgewendet, den Kranz in der Rechten, lebensvoll und lebenswahr, wie nur eine der Zeit entrückte Gestalt der Kunst sein kann. Ihre Ähnlichkeit mit der Frau, die leibhaftig vor dem Grabmal ihres Gatten stand, gealtert und gebeugt und doch von unvergänglicher Jugend überglänzt, war so auffallend, daß sie jedem in die Augen sprang und zu Vergleichen zwischen ihr und dem Marmor herausforderte. So selig mag Klara ausgesehen haben, als sie ihrem Robert die Hand zum Bunde fürs Leben reichte, dem so viele unsterbliche Kinder des Geistes entsprossen, und so verklärt wird sie wieder einmal aussehen, nachdem sie aus der [243] sterblichen, den irdischen Resten Schumanns beigesetzten Hülle im Andenken der Nachwelt auferstanden sein wird von den Toten!11

Solche Gedanken regte die vom Quell der Ewigkeit unmittelbar abgeschöpfte Stunde in den mit ihr begnadeten Festgenossen auf, und die Natur sorgte für die Vervollständigung ihrer Illusionen. Ein heller Blick der Maiensonne fiel durch die im Frühlingswinde schwankenden Wipfel der Lebensbäume, löste die blendenden Figuren von der dunkeln Steinfläche ab, sie schienen zu leben und sich zu bewegen. Der braunlockige Knabe begleitete seine blonde Gespielin zum Gesange, der Schwan rauschte mit den silbernen Schwingen, die Muse erhob sich und drückte den Lorbeer auf das Haupt des Verewigten. Aus den in roten Flammen lodernden Fliederbüschen tönte das schluchzende Lied der Nachtigall, und ein weißer Schmetterling umschwärmte die Rhododendron-, Narzissen- und Violenblüten, die das geweihte Grab in ein duftiges Gartenbeet verwandelten.

Ein Festessen versammelte die Künstler und Gäste am 3. Mai um Frau Schumann, welche der Tafel anmutig präsidierte, und am Abend desselben Tages spielte sie in Gesellschaft bei Deichmanns die neuen Ungarischen Tänze mit Brahms vierhändig. Brahms begleitete Deichmanns, die, wie gewöhnlich nach den Rheinischen Musikfesten, in Mehlem privatim ihre Nachfeier hatten, und kam an seinem Geburtstage nach Frankfurt a. M. zu Frau Schumann. Wenn er »in guter Laune« gewesen sein sollte, wie ihr Tagebuch verzeichnet, so blieb er es nicht lange, und die voreilige Hausfrau, die für den Abend des 7. Mai eine große Gesellschaft eingeladen hatte, mußte sie, weil Brahms die auf die Liste gesetzten Personen nicht gefielen, schnell wieder absagen und eine kleine zusammenbitten12. Gemütlich wurde er erst bei den Liedern, die er Stockhausen am Klavier begleitete, und fuhr am Tage darauf nach Wien ab13.

[244] Mit seiner Sommerreise zögerte er bis zum 23. Mai. Ihr Ziel haben wir bereits oben aus dem Briefe Billroths erfahren, in welchem von den neuen Trios gesprochen wird. Der Aufenthalt in Pörtschach war Brahms durch die Zudringlichkeit der Menschen verleidet worden. Auch im Krainerhause fühlte er sich nicht mehr sicher vor allzu liebenswürdigen Verehrerinnen, die ihn mit Albums überfielen, ihm den Weg verlegten oder vom Boot im See aus applaudierten, wenn er in seinem Gartenzimmer Klavier spielte. Ins Salzkammergut, das er auf der Gebirgstour mit dem Vater (1867) zwar nur flüchtig berührt, bei seinem vorjährigen Besuche in Salzburg und Aigen aber mit Vergnügen wiedergesehen hatte, zog ihn die gewisse Nähe manches guten Freundes, und er erfüllte ein halb gegebenes, halb ihm abgenommenes Versprechen, als er sich in der Wohnung einmietete, die Ignaz Brüll in Ischl für ihn ausgekundschaftet hatte. Brülls Eltern waren seit vielen Jahren Stammgäste in dem berühmten Kurorte Oberösterreichs, und ihr geräumiges Sommerheim in der Kaltenbachgasse stand den in Ischl und Umgebung einquartierten oder durchreisenden Künstlern gastlich offen. Wenn »Onkel Eduard«, der leichtblütige, frohlebige und immer zu allerhand geselligen Späßen aufgelegte Bruder des Familienoberhauptes, aus der Fusch oder Karl Goldmark aus Gmunden herüberkam, gab es häusliche, durch die Kunst veredelte Feste; die Zeiten der Familie Mendelssohn wurden von der Erinnerung heraufbeschworen, als [245] sollten sie sich in der Gegenwart wieder erneuern. Und diese Gegenwart war erst recht nicht zu verachten, seit Brahms im Mai 1880 Ischl zum ersten Male zu seinem Sommeraufenthalt erwählt hatte.

»Ischl muß ich sehr loben,« schreibt Brahms an Billroth, »und da nur mit einem gedroht wird, daß halb Wien sich hier zusammenfindet, so kann ich ruhig sein – mir ist das ganze nicht zuwider14. Ich wohne höchst behaglich Salzburgerstraße 51.«

Jenes von Brüll entdeckte Haus gehörte einem Eisenbahnbediensteten (Engelbert Gruber) und liegt heute noch an dem hohen Wiesenabhang der über St. Wolfgang und Mondsee nach Salzburg führenden Straße. Ischl kann, was seine bevorzugte Lage und die Qualität seiner Besucher anbetrifft, das Baden-Baden Österreichs genannt werden. Auch das Haus in der Salzburger Straße traf mit der Lichtentaler Villa in vielem überein. Beide standen abseits von der städtisch reformierten Ortschaft, zu der sie nur dem Namen nach gehörten, völlig isoliert in der freien Natur auf einer mäßigen Anhöhe, und beide gestatten ihrem Mieter, die Stille seines Buenretiro binnen wenigen Minuten entweder mit der noch tieferen Einsamkeit in Wald und Gebirge zu vertauschen oder auch sich kopfüber in das geräuschvolle Menschengewühl des eleganten Weltbades zu stürzen. Und gleich der Villa auf der Luisenhöhe hatte das Grubersche Haus ein zweifaches Niveau, einen doppelten Boden, der sich zu Vexierscherzen eignete. Außen an der Breitseite des Hauses führte eine vielstufige Holztreppe in den kleinen Obst- und Gemüsegarten, von dem aus der Eingeweihte gleich die Vordiele der Brahmsschen Beletage erreichte, während die nach der Straße zu offene Haustür im Parterre den unkundigen Fremden zum Eintritt diente. Brahms konnte dann, falls ihm der Besuch nicht zusagte, den er durch sein Eckfenster schon von weitem her kommen sah, immer noch zur rechten Zeit auf und davon gehen. Seine Vorderfenster blickten zum jenseitigen Ufer der das Tal durchschneidenden [246] Ischl hinüber, mit der reizenden Aussicht auf den bergansteigenden Park der kaiserlichen Villa und die Häuschen des »Kaiserdorfes«15. Hinter dem Park, wo die muntere Ischl sich mit dem wasserreichen, von Aufsee und Hallstatt jäh herabeilenden wilden Traunflusse vereinigt, begann das Revier der Brahmsschen Morgengänge. Dort zog er auf die Jagd nach dem Edelwilde musikalischer Gedanken aus, lange bevor die Schläfer des Kurortes sich vom Lager erhoben. In die Schmalnau am Jainzen, dann über den Fluß nach Rettenbach und durch die romantische »Wildnis« bis zum Forsthause führte einer seiner Lieblingswege. Aber er wanderte auch die abwechselungsreichen Fahrstraßen und Fußsteige bis nach Strobl am Wolfgangsee oder traunaufwärts nach Laufen und Goisern. Am liebsten schweifte er scheinbar plan- und ziellos querfeldein, in Wahrheit mit den allerbestimmtesten Zielen und Plänen beschäftigt, die freilich keinem der vielen Vergnügungsausflügler bekannt und ihm allein erreichbar waren.

In Ischl hatte ich später ein paarmal unverhoffte Gelegenheit, Brahms bei der Arbeit zu belauschen. Frühaufsteher und Naturfreund wie er, war ich an einem warmen Julimorgen sehr zeitig ins Freie hinausgegangen. Da sah ich plötzlich vom Walde her einen Mann über die Wiese auf mich zugelaufen kommen, den ich für einen Bauer hielt. Ich fürchtete, verbotene Wege betreten zu haben, und rechnete schon mit allerlei unangenehmen Eventualitäten, als ich in dem vermeintlichen Bauer zu meiner Freude Brahms erkannte. Aber in welchem Zustande befand er sich, und wie sah er aus! Barhäuptig und in Hemdärmeln, ohne Weste und Halskragen, schwenkte er den Hut in der einen Hand, schleppte mit der andern den ausgezogenen Rock im Grase nach und rannte so schnell vorwärts, als würde er von einem unsichtbaren Verfolger [247] gejagt. Schon von weitem hörte ich ihn schnaufen und ächzen. Beim Näherkommen sah ich, wie ihm von den Haaren, die ihm ins Gesicht hingen, der Schweiß stromweise über die erhitzten Wangen herunterfloß. Seine Augen starrten geradeaus ins Leere und leuchteten wie die eines Raubtieres, – er machte den Eindruck eines Besessenen. Ehe ich mich von meinem Schrecken erholte, war er an mir vorbeigeschossen, so dicht, daß wir einander beinahe streiften; ich begriff sofort, daß es ungeschickt von mir wäre, ihn anzurufen: er glühte vom Feuer des Schaffens. Nie werde ich den beängstigenden Eindruck der elementaren Gewalt vergessen, den der Anblick der Erscheinung in mir zurückließ. Und ebenso unvergeßlich bleibt mir die einzige Stunde, in der ich als heimlicher Ohrenzeuge seinen Eingebungen lauschen durfte, die er, aller Wahrscheinlichkeit nach vor der ersten Niederschrift, seinen verschwiegenen Wänden anvertraute. Auch da berührte sich das Dämonische mit dem Künstlerischen in eigentümlicher Weise. Bei einem Vormittagsbesuche in der Salzburgerstraße über die bewußte Außentreppe in den Garten hinaufgestiegen, wollte ich eben durch die weit geöffnete Hintertür eintreten, als ich sah, daß auch die Tür des Musikzimmers offen stand. Zugleich ertönte ein bezauberndes Klavierspiel, das mich auf der Schwelle festgebannt hielt. Es klang wie freies Phantasieren, aber an den öfter sich verändernden Wiederholungen gewisser Stellen erkannte ich, daß Brahms die bereits fertige Kopfarbeit einer neuen Komposition durchnahm, um sie zu verbessern und auszufeilen. Er wiederholte das Stück mehrere Male in einzelnen Partien und spielte es zuletzt ohne Unterbrechung durch. Der Genuß wäre einzig gewesen und hätte das Interesse an den Fortschritten seiner Arbeit noch überboten, wenn das Solo nicht in das seltsamste Duo verwandelt worden wäre. Je reicher sich das Werk gestaltete, und je leidenschaftlicher sich der Vortrag steigerte, desto stärker erhob sich ein befremdliches Knurren, Winseln und Stöhnen, das auf dem Gipfel der musikalischen Steigerung in lautes Geheul ausartete. Sollte sich Brahms, ganz gegen seine Neigung, einen Hund angeschafft haben? Daß er die verwünschte Bestie im Zimmer duldete, erschien mir völlig unbegreiflich. Nach etwa einer halben Stunde hörte mit dem Spiel auch das Geheul auf, der Klavierfessel [248] wurde gerückt, und ich trat ins Zimmer. Von einem Hunde keine Spur. Brahms zeigte sich ein wenig verlegen, wischte wie ein schämiges Kind mit der verkehrten Hand über die Augen – er mußte heftig geweint haben, denn die hellen Tropfen hingen ihm noch am Bart, und seine Stimme klang weich und unsicher. Ich tat, als ob ich eben gekommen wäre und nichts merkte. Bald war er wieder seelenvergnügt und zum Scherzen aufgelegt und spielte mir eine Fuge von Bach vor. – Ein drittes Mal überraschte ich ihn beim Partiturschreiben und wollte mich sofort entfernen. Er schrieb aber ruhig weiter und sagte: »Bleiben Sie nur, Sie stören mich nicht im geringsten. Im Gegenteil: wenn gute Reden sie begleiten usw .... Erzählen Sie mir, was es in Reitterndorf [ein Vorort Ischls, in dem ich wohnte] Neues gibt. Ich bringe nur noch das Blatt zu Ende, und wir gehen dann zusammen zur Elisabet.«

Im Hotel »Zur Kaiserin Elisabet«, einem am Beginn der Esplanade gelegenen Gasthof ersten Ranges, nahm Brahms gewöhnlich seine Mahlzeiten ein, wenn er nicht im Gasthofe zur »Post« speiste. Herr Koch, der aufmerksame Besitzer des Hotels und als Bürgermeister von Ischl eine angesehene Persönlichkeit, wußte die Ehre, die seinem Hause widerfuhr, zu schätzen. Wieviel würde er darum gegeben haben, wenn der berühmte Tischgast die Tafel seines vornehmen Speisesaales geziert hätte! Dazu ließ sich Brahms aber nur ausnahmsweise einmal herbei, wenn der Besuch distinguierter Freunde, die ihn zum Diner einluden, die gewohnte Ordnung des Tages unterbrach. Es war ihm dann nichts recht, und er versäumte selten zu versichern, daß es »unten« viel schöner sei. Unten, d.h. im Souterrain, befand sich neben der Fiaker-Schwemme das »Beisel«, wo man ebensogut, aber billiger und in minder anspruchsvoller Gesellschaft aß. Hier war für ihn am besten Platz unterm Fenster ein großer Tisch reserviert, und hier saß er mit näheren Freunden und guten Bekannten, Wendt, Wüllner, Hans Koeßler, Billroth u.a., mittags und abends gemütlich plaudernd, trinkend und rauchend. Nach Tische schlürfte er regelmäßig im Café Walter an der Esplanade seinen »Schwarzen«, las Zeitungen, musterte durch das Pincenez die vorüberpromenierende elegante Welt, ließ sich die neuesten Witze und pikanten [249] Histörchen erzählen, zog einen und den andern jungen Musiker ins Gespräch und fand kein Arg darin, daß seine unscheinbare, zuweilen etwas mangelhafte Kleidung sehr auffallend von den gewählten Toiletten der Modeherren und -damen ringsum abstach. Sein ins Graue schimmernder kurzer schwarzer Lüsterrock und sein grobes Wollhemd wurden von schönen Augen lächelnd toleriert, und der Vollbart, den er sich seit seinem fünfzigsten Geburtstage nicht mehr abscheren ließ, deckte würdig das Defizit seiner zu Hause vergessenen Kravatte16. Wenn der »Herr Doktor« zwischen den Kastanien der Esplanade auftauchte, stürzten ihm die Kellner des Cafés entgegen, komplimentierten ihn bis an sein Marmortischchen, schleppten alle möglichen Journale herzu, brachten ohne Bestellung, was er wünschte, und behandelten ihn mit jener Zuvorkommenheit, welche in Österreich auch das Volk gegen den Mann von Verdienst an den Tag legt. Bald gehörte der Herr Doktor zu den populärsten Persönlichkeiten von Ischl, und er war naiv genug, sich seiner Beliebtheit zu freuen, die ihn zu nichts verpflichtete.

Seit dem 11. März 1879 durfte Brahms den ihm von Cambridge vorenthaltenen Titel mit Recht führen. An jenem Tage hatte ihn die philosophische Fakultät der Breslauer Universität zum Doctor honoris causa ernannt. Der Fakultätsbeschluß erfolgte auf Antrag von Dilthey und Dove, und bald darauf erhielt Brahms das usuelle, in lateinischer Sprache ausgefertigte Diplom, mit welchem ihm Name, Titel und Vorrechte eines Doktors der Philosophie verliehen wurden17.

[250] Für die Auszeichnung hatte sich Brahms »einstweilen« auf einer Korrespondenzkarte bedankt, die er an Scholz richtete mit der Bitte, bei der zuständigen Behörde der Dolmetsch seiner Gefühle zu sein. Scholz legte ihm nahe, eine Doktor-Symphonie für Breslau zu schreiben, und setzte hinzu: »Einen feierlichen Gesang erwarten wir mindestens.« Ein Jahr lang ließ Brahms nichts von sich hören, und erst in dem Kondolenzschreiben vom 31. März 1880, in welchem er Frau Luise Scholz sein Beileid zum Tode ihres Schwiegervaters ausspricht, macht er eine Andeutung, daß er im nächsten Jahr nach Breslau kommen wolle »zum Doktorschmaus mit Kegelschieben«, bei welchem Frau Luise nicht fehlen dürfe18. Sicherlich würde er diesen Scherz unterlassen haben, wenn er nicht schon die Absicht gehabt hätte, den Doktorschmaus in einen Ohrenschmaus umzuwandeln, mit welchem er die Fakultät und das Publikum der Breslauer Orchestervereinskonzerte regalieren wollte. Der Plan zur »Akademischen Festouvertüre« war ihm bereits eingefallen und kam in Ischl zur Ausführung. Im August schreibt er an Scholz, der ihn für den 4. Januar 1881 nach Breslau eingeladen hatte, damit er sich nicht allzusehr mit seinem Gaste blamiere, habe er für jenen Tag eine »Akademische Festouvertüre« geschrieben. Der Name gefalle ihm nicht, vielleicht wisse Scholz einen besseren. Scholz fand ihn »verflucht akademisch und langweilig« und schlug ihm »Viadrina« vor. Wie die [251] ehemalige Wittenberger Universität »Albina« genannt wurde, nach der Elbe, an der Wittenberg liegt, so heißt die Breslauer Alma mater, deren Fenster auf die Oder hinunterblicken, »Viadrina«. Dieser Name, nach dem Brahms, wie er sagt, erst lange umherfragen mußte, ehe er etwas von »der schönen blauen Oder« erfuhr, gefiel ihm noch weniger, und er ließ es bei der »Akademischen« bewenden. Unter einer akademischen Ouvertüre stellt man sich alles andere eher vor als das flotte Orchesterstück, dessen Themata Studentenlieder sind, zunächst wohl die musikalische Einleitung zu einem vom Rector magnificus und Senat der Universität veranstalteten feierlichen Aktus, dann wohl allenfalls auch das Vorspiel zu einer idealen Promotion, bei welcher der »nunc princeps artis musicae severioris« seine strengen musikalischen Grundsätze gegen einen Vertreter des galanten Stils als Opponenten zu verteidigen hätte. Äußerlich betrachtet, könnte die Ouvertüre, welche die Studenten näher angeht als die Professoren, für eine Eulenspiegelei des allem Formelkram und Perückenwesen gründlich abholden Meisters betrachtet werden. Keinesfalls ist der Gedanke ausgeschlossen, daß der endlich gewaltsam unter den Doktorhut gebrachte Brahms sich nicht nebenbei ein Späßchen mit den hochwohlweisen, im Ornat aufmarschierenden Herren Professoren erlauben wollte, und der Gedanke, sie in den Konzertsaal zu zitieren, um sie dort zum Fuchsritt antreten zu lassen und mit dem »Gaudeamus« heimzuschicken, wäre seinem Schelmensinn wohl zuzutrauen gewesen19. Ob sie sobald dahinter kamen, daß der musikalische Dank ihres Ehrendoktors mehr bedeutet als einen launigen Ulk, daß er eine hohe Idee in sich schließt, welche um Lehrer und [252] Schüler, Professoren und Studenten, Vorkämpfer und Nacheiferer ihr gemeinsames Band schlingt?

Im Anfangsmotiv der Ouvertüre:


5. Kapitel

begegnet sich der Rákóczi-Marsch, die »ungarische Marseillaise« von 1848, mit dem Pariser Einzugsmarsch von 1813. Beides sind bis in die Kindheit zurückreichende Erinnerungen an musikalisch-politische Jugendeindrücke des Komponisten20, dann aber auch Symbole für die unklare Freiheits- und Vaterlandsliebe des Göttinger Studenten von 185321, der sich mit den lustigen Brüdern an der aufrührerischen Musik der Märsche berauschte. Zu einem zarten Tonbilde verschwommen, klingen sie geheimnisvoll beklommen in düsterm c-moll wie aus der Ferne einer zur Sage gewordenen Vorzeit heraus. Verminderte Septimenharmonien, die in gebrochenen Akkorden der Klarinetten über leisen Paukenwirbeln hinlaufen, erhöhen die traumhafte Stimmung, eine choralartige Litanei der Streicher – die Melodie liegt in den Bratschen – tönt dazwischen:


5. Kapitel

Alles pp. Im kräftigen Forte sprengt ein neues ritterliches Marschthema an, das künftige Siege verheißt;


5. Kapitel

ein dreifaches Piano bereitet spannend auf die Melodie vor, in welcher sich die leitende Idee der Tondichtung ausspricht. Auch [253] sie erscheint wie eine Ankündigung aus der Ferne, und ihr C-dur steht unter der Herrschaft der Dominant. Erst bei der letzten, von Moll endgültig nach Dur übergehenden Durchführung tritt sie im Fortissimoglanze des vollen Orchesters hervor, um dann, thematisch verbunden mit den Weisen des Landesvaters und des Fuchsrittes, in das majestätisch abschließende »Gaudeamus« zu münden, das gleichsam als ein wogender Ozean der Freude sämtliche Zuflüsse in sich aufnimmt. Wie das Anfangsmotiv in verschiedener Gestalt bis zu dem erwähnten Höhepunkte durch das ganze Stück fortgeht, so verrät auch jene Hauptmelodie ihre schöpferische Teilnahme am Aufbau des Satzes, mag sie immerhin von den andern Liedern abgelöst werden. Dadurch wird die Einheit des Musikstückes gewährleistet. Weicht es auch von der herkömmlichen Form der Ouvertüre ab, so ist es doch ganz gewiß kein Potpourri, eher eine symphonische Dichtung, deren volles Verständnis sich nur dem erschließt, der die Bedeutung der Zutaten, insbesondere die der leitenden Melodie kennt. Und diese ist eine doppelte. Am bekanntesten ist die einem Thüringischen Volksliede entnommene Melodie in Verbindung mit dem ihr 1820 von H. F. Maßmann untergelegten Texte: »Ich hab' mich ergeben mit Herz und mit Hand«, wie sie als »Gelübde« in alle Sammlungen vaterländischer Lieder übergegangen ist. Zwei Jahre vorher schon hatte August Binzer derselben Melodie mit dem schönen Gedicht »Wir hatten gebauet ein stattliches Haus« einen noch tieferen und gewichtigeren Sinn verliehen, der sie zum Klage- und Anklageliede der Burschenschaft erhob. Deutschlands akademische Jugend, die Trägerin und Verfechterin des deutschen Einheitsgedankens, hatte ihr Blut in den Befreiungskriegen umsonst vergossen. Den Karlsbader Beschlüssen zufolge, denen sich die sechsunddreißig deutschen Vaterländer unterwerfen mußten, wurden die Universitäten Deutschlands unter Polizeiaufsicht gestellt. Jahrzehnte hindurch erklang das Lied in allen Versammlungen der freiheitlich gesinnten akademischen Jugend, zum Andenken an den schwarzen 26. November 1819, an welchem die aufgelöste Burschenschaft in Jena auseinander gegangen war, erklang zum Trost und zur Erhebung der am hoffnungsvollen Glauben der Väter festhaltenden Söhne und zur Befestigung ihrer bundesbrüderlichen Treue: ein [254] geweihter, ein heiliger Hymnus des Geistes, der sich nicht in Fesseln schlagen noch unterdrücken läßt. Und als die große Zeit der Erfüllung kam, als die gemeinsame Not Fürsten und Völker endlich einigte, als der Pariser Einzugsmarsch von 1813 wieder getrommelt und gepfiffen wurde, als die deutsche Idee ihren Siegeszug vollendete, da fragte niemand mehr, wie Napoleon in Erfurt, »was denn alle diese Ideologen und Radoteurs wollten?« – sie hatten ihren Willen kundgetan und durchgesetzt. Bismarck konnte den Willkommentrunk von den Jenenser Arminen mit Freuden entgegennehmen. Indem er auf das Wohl der Burschenschaft trank, tadelte er sie nicht mehr wegen ihrer verfrühten Vorahnung, sondern sagte: »Schließlich haben Sie doch recht bekommen!« Nun erst war es den Jünglingen, die im Jahre 1870 ebenso mutig und noch freudiger als anno 1813 für das Vaterland kämpften, erlaubt, ihr Bundeslied, frei von Zorn und Schmerz, aus voller Brust zu singen, und alles stimmte jubelnd mit ein.

So stürmisch und hinreißend würde das Gaudeamus bei Brahms nicht erschallen, wenn es nicht die aus dem Politischen ins Musikalische übertragenen Verwirrungen und Entwickelungen der Ouvertüre zur Voraussetzung hätte. »Freiheit, Ehre und Vaterland!«, die Parole der deutschen Burschenschaft, ist auch die Devise der »Akademischen Festouvertüre«, welche ein Bild des Studentenlebens in gesammelter Würde und ausgelassener Heiterkeit entrollt. Der Übergang vom Ernst zum Scherz, von den Feierklängen des »Landesvaters«, bei welchem der Hut durchbohrt und der Schläger neu geweiht wird, zu dem übermütigen Randal des Fuchsrittes bildet bei Brahms eine Triolengruppe der Holzbläser, und diese wieder ist die Fortsetzung einer süß werbenden, der C- Klarinette zugeteilten Zwischenmelodie:


5. Kapitel

an die sich der Komponist des »Ständchens« (op. 106 Nr. 1) wieder erinnert. Da lautet sie:


5. Kapitel

[255] und leitet als Ritornell zur Repetition hinüber – die Gruppe der musizierenden Studenten stand ihm schon damals, acht Jahre bevor das Lied komponiert wurde, vor Augen. »Was kommt dort von der Höh'?« wird von zwei Fagotten eingeführt, und die derb humoristische Wirkung des Gassenhauers durch geistreiche rhythmische Einfälle veredelt.

Gleichzeitig mit der »Akademischen« erblickte die »Tragische Ouvertüre« das Licht der Welt. Die ernstere und gewaltigere Zwillingsschwester verdankt, aller Wahrscheinlichkeit nach, ihr Entstehen ebenfalls einer äußeren Anregung, welche der Komponist erst zu einer Angelegenheit des Herzens machen mußte. Den vollkommenen Ausgleich zwischen Neigung und Pflicht herzustellen, ist ihm hier weniger gelungen als dort, so daß die Tragische Ouvertüre eigentlich die »akademische« zu heißen verdiente. Ungeachtet ihrer großartigen Anlage, ihres tiefsinnigen, oft rücksichtslosen Ernstes, der niederzwingenden Wucht ihrer Gedankenarbeit und der erhebenden Schönheit ihrer Form fehlt ihr doch zum Teil die unmittelbare Triebkraft des schöpferischen Genius, der erste leidenschaftliche Impuls des nach Selbstbefreiung verlangenden, bewegten Gemütes. Ihr Pathos erinnert an das der Cherubinischen »Medea«, die Brahms mit Recht sehr hoch hielt, als praktisches Bühnenwerk aber doch überschätzte. Ein bestimmtes, zweckdienliches Ziel hat auch die »Tragische Ouvertüre« im Auge, und sie könnte es heute noch erreichen, wenn unserer Bühnenmusik mehr Beachtung geschenkt, größere Sorgfalt zugewendet würde. Nicht für den Konzertsaal, für das Theater und sein Orchester ist sie berechnet. Die Musik bietet dem Dichter ihre Dienste an, ohne seine Kreise zu stören. Sie möchte den schroffen Abgrund überbrücken, der das Sein vom Schein, die Prosa von der Poesie, die Geschäftsstunden des Werkeltages von den Feierstunden künstlerischer Erbauung trennt, möchte den zerstreuten Geist des Zuschauers sammeln, ihn aufmerksam, fähig und geneigt ma chen, erhabene Gegenstände der tragischen Poesie in sich aufzunehmen. Und wenn die Bescheidene, die um des Großen willen sich mit Kleinem begnügt, die als Gleichstehende sich unterordnet, wo sie herrschen könnte, ihren Zweck erfüllt sieht, verschwindet sie mit ihrem letzten Akkord, ohne weiter beachtet zu[256] werden. Auch ein hitzigerer Liebhaber des Theaters als Brahms versteht sich zu einem derartigen Akt der Selbstverleugnung schwerlich ohne hinreichende Garantie. Welches Schauspielorchester hätte sie ihm bieten können? Eine »Tragische Ouvertüre« ins Blaue hineinzukomponieren, wäre dem Brahms von 1880 gewiß nicht mehr eingefallen. Es mußte sich um einen außerordentlichen Fall handeln. Ein solcher war eingetreten, als Dingelstedt, der es liebte, mit dem Personal des Burgtheaters in der Hofoper zu gastieren, dort beide Teile des Goetheschen »Faust«, ausgestattet mit allem Zauber der modernen Kulisse, zur Aufführung bringen wollte. Schon 1876 hatte er in seiner dramaturgischen Studie »Eine Faust-Trilogie« für den ganzen Faust im Theater plädiert und dazu das Bayreuther Festspielhaus ausersehen, das, wie er schreibt, nachdem die großartige Aufgabe seines Schöpfers, der Nibelungen-Ring, gelöst wurde, nicht unbenützt und leer stehen sollte. Als sich dort nichts rührte, und andere Theater ihm mit Aufführungen beider Teile zuvorkamen, gab er den Gedanken an das »neutrale freie Terrain des deutschen Olympia« auf und zog sich auf das von ihm geleitete Hoftheater zurück22. Er wollte, ganz im Sinne Goethes, der Tonkunst einen bedeutenden Anteil an der Verwirklichung des dichterischen Planes zuweisen und fand, daß die Musik im zweiten Teil noch selbständiger als im ersten eingreifen müsse. Zum musikalischen Mitarbeiter an dem großen Werke wurde, da von Bayreuth kein günstiger Wind wehte, Brahms ausersehen. Brahms erklärte, als eine Mittelsperson bei ihm anfragte, er wäre mit Freuden bereit, sich der ehrenvollen Aufgabe zu unterziehen. Aber Dingelstedt, der übelgelaunt manchmal den Herrn Baron zur Unzeit herauskehrte, behandelte die Angelegenheit dann so cavalièrement, daß Brahms sich verletzt zurückzog. Über den guten Willen und die ersten Präliminarien ist der Plan Dingelstedts nicht hinausgekommen. Er kränkelte bereits, als er hoffte, mit der [257] Faust-Trilogie seine dramaturgischen Taten zu krönen, und starb am 15. Mai 1881.

Die Vermutung, daß die »Tragische Ouvertüre« einmal eine Faust-Ouvertüre war oder werden sollte, liegt zu nahe, um sich ohne weiteres von der Hand weisen zu lassen. Sicher ist, daß Brahms gerade im Winter von 1880 auf 1881 infolge jener indirekten Anfrage Dingelstedts viel über Goethes »Faust« nachdachte23. Und die Ouvertüre widerspricht ihrem musikalischen Gehalt nach durchaus nicht unserer Hypothese. Gerade ihr allgemeiner tiefernster, »tragischer« Charakter wäre bezeichnend für die Art, wie Brahms sich seiner künstlerischen Anlage gemäß zu einem derartigen Problem gestellt hätte. Neben Goethe, der den Musiker mit einer einzigen Zeile schlägt und in seine Schranken zurückweist, als symphonischer Dichter stolzieren zu wollen, liegt nicht in der Natur eines Vollblutmusikers. Eine symphonische Einleitung, welche die weiteren und engeren Gedanken- und Gefühlskreise im Glauben, Wissen und Handeln der Menschheitstragödie auch nur andeutend berühren wollte, wäre ein Ding der Unmöglichkeit. Selbst der Meister der Leonoren-, Coriolan- und Egmont-Ouvertüre hätte die Aufgabe nicht gelöst. Sehr wohl aber kann der Musiker mit Themen und Motiven als Symbolen des strebenden Menschengeistes operieren, die sich durch ihren äußeren, im Theater hergestellten Zusammenhang mit dem Drama als Varianten des Faustgedankens erklären lassen. In gegensätzlicher Gemeinschaft mit andern ihresgleichen zu einem Kunstwerk von absoluter und relativer Bedeutung verbunden, stehen sie für das stimmungsvolle Vorspiel ein, dessen das Drama bedarf. Abgetrennt [258] von ihm, erweitert sich die Faust-Ouvertüre zur dramatischen oder tragischen Ouvertüre schlechthin.

Ein großartiger Einfall, wie das Hauptthema der »Tragischen Ouvertüre«:


5. Kapitel

das auf Adlerflügeln zwischen Himmel und Erde dahinschwebt, kann ebensogut für den Faustgedanken gelten wie als Hamlet-Problem oder irgend eine andere Schicksalsidee angesprochen werden. Für Hamlet entschied sich Hanslick, »falls er sich durchaus entscheiden müßte«, obwohl Brahms, wie er sagt, kein bestimmtes Trauerspiel als Sujet im Sinne gehabt habe. Seine Entscheidung wird mit der Bemerkung eingeleitet, das Pathos der Ouvertüre sei »von einer schwülen, niederdrückenden Schwere wie durchfeuchtet von nordischem Nebel«. Eine holde Mädchengestalt und schmetternde Schlachtfanfaren, »die in keiner Shakespeareschen Tragödie fehlen«, vervollständigen dann das Inventar des Trauerspieles. Wir brauchen uns nicht mit der Umdeutung von Ophelia und Fortinbras (Seitenmelodie in F und Episode in B-dur) zu beschweren, für welche sich im »Faust« ein Dutzend Parallelen anbieten, da den wenig prägnanten Nebengedanken besondere Merkmale fehlen. Eben diese mögen daran schuld sein, daß die Tragische Ouvertüre ohne Tragödie beim großen Publikum nicht den Anwert findet, den sie als Musikstück verdiente.

Wie für die »Akademische« konnte Brahms auch für die »Tragische« Ouvertüre lange keinen Titel finden, der ihm zugesagt hätte. »Früher«, schreibt er an Billroth, »gefiel mir bloß meine Musik nicht, jetzt auch die Titel nicht, das ist am Ende Eitelkeit – –?« Noch im Oktober verhandelte er darüber brieflich mit Scholz, Reinecke und Deiters. Deiters, der Gymnasialdirektor in Posen geworden war, hatte Brahms ersucht, ihm biographisches Material zu der Charakterstudie zu geben, welche er noch in demselben Jahre in der Walderseeschen »Sammlung musikalischer Vorträge« [259] über Brahms veröffentlichte24. Mit welcher Motivierung er die Bitte des Freundes ablehnte, obwohl er ihn, wie wir wissen, besonders hochschätzte, ist zu charakteristisch für ihn, als daß es hier mit Stillschweigen übergangen werden dürfte. »Ich weiß«, schreibt er am 8. August 1880 in Ischl, »wirklich durchaus keine Daten und Jahreszahlen, die mich angehen; hier aber kann ich natürlich auch nicht versuchen, in alten Briefen usw. nachzusehen. Danach brauche ich freilich nicht noch zu sagen, daß ich ungern von mir spreche, auch ungern mich persönlich Angehendes lese. Vortrefflich fände ich es, wenn jeder Künstler, groß oder klein, ernstlich vertrauliche Mitteilungen machen möchte – ich komme nicht dazu, aber es ist schade! Was nun aber La Mara usw. von mir zu erzählen wissen25 – das weiß ich nicht zu schätzen und sehe nicht ein, wozu es öfter erzählt wird .... Ich weiß ja auch, daß es für Ihren Zweck nötig ist, nur kann ich mit dem besten Willen auch Ihre einzelnen Fragen nicht beantworten. Außer: J. B., geb. 1834 zu Altona am 7. März (nicht, wie öfter angegeben, 7. Mai 33 zu Hamburg), so lese ich oft zu meinem Pläsier, und das Eingeklammerte ist richtig. – Mein Vater ist leider gestorben (nach 1870, als Beweis meiner Unfähigkeit zu antworten)! Dr. bin ich in Breslau geworden (vor zwei oder drei Jahren!)26. Vorher (mehrere Jahre) wurde mir der Titel in Cambridge verliehen. Von Parlaments wegen muß man in solchem Fall sich dort persönlich einige Feierlichkeit antun lassen – ich war lieber unhöflich, und so unterblieb's. – Die Geschichten mit der c- und a-moll-Sonate können meinethalb beide wahr sein. Dazu gehört nicht viel jugendlicher Übermut, [260] und habe ich oft Stärkeres verübt27. – Der hübsche Garten in Bonn heißt aber wohl Ermenkeil? Könnt's nicht auch Kley gewesen sei? Aber Ermenkeil oder Kley, Detmold oder Bückeburg – wenn ich Ihnen nicht was sehr Schönes und Ernsthaftes erzähle, kommen mir meine Noten doch immer noch etwas interessanter vor« ...28.

Während Brahms in Ischl mit den beiden Ouvertüren beschäftigt war, glaubte er plötzlich zu seinem größten Schrecken das Gehör zu verlieren. Es wurde ihm vor seiner Beethoven-Ähnlichkeit bange, und er eilte ohne Verzug nach Wien. Billroth, der telegraphisch von seiner Ankunft avisiert worden war, nahm ihn auf dem Bahnhof in Empfang, begleitete ihn zu einem Spezialisten für Ohrenleiden und hatte Mühe, den hochgradig Erregten zu beruhigen. Zum Glück stellte es sich heraus, daß Brahms nur an einem leichten Ohrenkatarrh laborierte, den ihm die feuchte Witterung eingetragen hatte. Der Sommer von 1880 war besonders regnerisch, Ischl hatte eine seiner vielen Überschwemmungen, und selbst das hochgelegene Haus in der Salzburgerstraße bot keinen hinreichenden Schutz vor der alles durchdringenden und erweichenden Nässe. So heimlich Brahms (Ende Juni) seine Reise betrieb und so kurz sie war, sie wurde doch bemerkt und besprochen, und die Nachricht, der Meister sei an einem schweren Ohrenleiden erkrankt, durchlief die Zeitungen29. Billroth wurde noch einmal alarmiert, und nun mußte Brahms ihn beruhigen: sein Leiden hätte nur ein schönes Diminuendo von pp abwärts zu machen. »So eine Zeitungsnotiz«, schreibt Brahms an Grimm, der sich auch besorgt erkundigte, »hat doch gewaltige Wirkung, daß sie Dich sogar zu Papier bringen kann.« In dem gewitterreichen Juli wurde natürlich in Ischl noch mehr musiziert als sonst. Es gab Hauskonzerte bei Brüll, in denen die Sängerin Frau Dr. Sémon-Radecke aus London, die Geiger Leopold Auer aus Petersburg [261] und Hermann Csillag aus Rotterdam mitwirkten. Brüll und Brahms wechselten am Klavier ab, und Max Schütz referierte darüber im Pester Lloyd. Auch Billroth, der sich im August am Wolfgangsee niedergelassen hatte – dort baute er sich vier Jahre später auf dem »Hödelgut« in St. Gilgen an – kam öfters nach Ischl herüber. Als die Wasser sich verlaufen hatten, fuhr Brahms seiner vom Ampezzotale und Pörtschach kommenden Freundin Klara Schumann nach Aufsee entgegen und traf dort Professor Wagner aus Budapest, der sich ihm als künftiger Villenbesitzer vorstellte. Am 6. September hatte Brahms das Vergnügen, Frau Schumann die Herrlichkeiten Ischls zu zeigen. Sie logierte in der »Post« und reiste zwei Tage darauf mit Brahms nach Berchtesgaden weiter. Unterwegs blieben sie über Mittag bei Billroth in St. Wolfgang und waren am 9. September in Berchtesgaden. An ihrem Geburtstage (13. September) gaben Joachim und Brahms ihr ein Konzert auf Vordereck; Herzogenbergs und Engelmanns, die dort in der Nähe wohnten, hörten zu. Brahms spielte ihr die oben erwähnten Triosätze vor30, und sie mit ihm die neuen »prachtvollen« Ouvertüren, deren vierhändiges Arrangement ihr Brahms zur Überraschung mitgebracht hatte. Am 23. September war er wieder in Wien.

Beide Ouvertüren erschienen zusammen als op. 80 und 81 – Simrock honorierte das Stück mit 1500 Talern31 – nachdem sie bereits ihre Tauglichkeit hinlänglich erwiesen hatten. Eine erste Orchesterprobe hielt Joachim privatim mit seinem Hochschulorchester ab. Brahms hatte dem Freunde in Salzburg versprechen müssen, ihn bald in Berlin zu besuchen, und eine Aufführung des »Deutschen Requiems«, die Joachim am 4. Dezember [262] im Schulkonzert veranstaltete, half den Termin seines Besuches bestimmen. Schon im Sommer sagte Joachim, daß ihm unendlich viel daran läge, mit Brahms gewisse intime Angelegenheiten eingehend zu besprechen, die jenem längst nichts Neues mehr waren, da Joachim aus seinen häuslichen Zwistigkeiten auch gegen Fernerstehende kein Geheimnis zu machen pflegte. So lange Brahms noch hoffte, daß die immer trüber werdenden Mißverständnisse zwischen Mann und Frau aufgehellt und zerstreut werden könnten, ließ er es nicht an herzlichen Ermahnungen und Vernunftpredigten fehlen. Sein Einfluß hätte möglicherweise das Äußerste abgewendet, wenn er ihn schon früher ausüben und andauernd hätte geltend machen können. Aber gerade in Berlin mußte er sich zu seinem größten Leidwesen überzeugen, daß das Übel, welches in den ersten Jahren nach der Verheiratung des Freundes zu keimen begann, nicht mehr auszurotten war. Fast wäre es auf dem Wege zur Probe schon damals zum Bruche zwischen den Freunden gekommen, der später unvermeidlich wurde, als Brahms mit voller Überzeugung für die in ihrer Ehre gekränkte Frau Partei ergriff. »Es hing an einem Haar«, schreibt Brahms an Simrock, »und wir wären links und rechts auseinander, aber nicht in die Probe gegangen! Ihnen war ich hernach sehr dankbar. Ich habe nicht viel Hoffen, aber haben und behalten Sie doch guten Willen, und sehen Sie ihn (Joachim) für einen Kranken an, der vorsichtige und nachsichtige Behandlung gebraucht, aber auch verdient. Ziehen Sie sich soweit wie möglich zurück und hoffen, es möge noch eine erträgliche Wendung nehmen. Ich weiß freilich nicht, wie er aus dem Lügennetz herauskommen soll.« ... Auch in der Folge, wo alles die unglückliche Frau verurteilte und beschimpfte, blieb Brahms unerschütterlich bei seiner Überzeugung.

Die »Tragische Ouvertüre« kam zuerst in Wien an die Reihe. Hans Richter führte sie am 20. Dezember 1880 im Philharmonischen Konzert auf, und das Publikum verhielt sich ziemlich kühl. Bei der »Akademischen« blieb das Recht der ersten Aufführung dem Breslauer Orchesterverein reserviert. Beide Ouvertüren standen dort als Novitäten auf dem Programm vom 4. Januar 1881. Für Deiters, der zu dem Konzert nach Breslau kam, wurde ein Platz bestellt. Auch schärfte Brahms seinem Freunde Scholz ein, [263] die Professoren ja nicht zu vergessen. (Er raffte sich sogar später noch zu der außerordentlichen Höflichkeit auf, ein Prachtexemplar der »Akademischen« durch Arthur Faber »an die Universität Breslau zu Händen S. Magnifizenz des Herrn Rektor Prof. Dr. Schwanert« befördern zu lassen.) Das klassische Programm des Breslauer Orchestervereins beschränkte sich im übrigen auf Bach, Händel, Beethoven und kündigte außer den Ouvertüren noch drei Lieder von Brahms an, die von Jenny Hahn, einer ausgezeichneten Schülerin Stockhausens, gesungen wurden. Ein Kammermusikabend folgte zwei Tage später nach mit dem Horntrio und den beiden Rhapsodien op. 79. Dazwischen fielen einige Schmäuse mit und ohne Kegelschieben, und Dr. Brahms reiste gutgelaunt über Leipzig, Münster und Krefeld nach Holland weiter, wo er in Amsterdam, im Haag und in Haarlem wie in den zuvor genannten deutschen Städten »Die eine weint – die andre lacht« (einer seiner auf die Ouvertüren gemünzten Witze) erklingen ließ. Richard Barth machte die Reise von Münster aus mit und spielte überall das Brahmssche Violinkonzert nebst einigen der von Joachim arrangierten Neuen Ungarischen Tänze. Ein »Groot Buitengewoon Concert« der »Haarlemschen Bachvereeniging« stand unter Brahms' eigener Leitung und vereinigte Kammermusikabend und Konzertsoiree mit einander. In Haarlem sah Brahms in Leander Schlegel einen seiner glühendsten Verehrer wieder, den er schon auf seiner ersten holländischen Reise oberflächlich kennen gelernt hatte. Schlegel war nach Amsterdam geeilt, um den gefeierten Gast für das Konzert des Haarlemer Bachvereins zu gewinnen, und Brahms, dem Schlegel sein zweites Werk, eine Ballade für Klavier, gewidmet hatte, ließ sich nicht lange bitten32.

[264] Nach Wien zurückgekehrt, schrieb Brahms an Frau v. Herzogenberg, wenn er Zeit hätte, würde er gern von manchem Hübschen und Erfreulichen erzählen, was ihm auf seiner Reise begegnete. So aber sage er nur, daß er in Leipzig sehr schöne Tage verlebt habe, und daß er sich dort alles gern und oft gefallen lassen werde – »solange Sie dort sind«. Zugleich schickte er ihr für eine Autographen sammelnde englische Freundin (Miß Mackenzie) den vierstimmigen Kanon »Mir lächelt kein Frühling« im Manuskript. »Sollten Sie in Versuchung sein«, fügte er hinzu, »ihn Fritzsch zu geben, so bäte ich ihn, nur J.B. zu zeichnen und dazu zu setzen: ›Aus einem Leipziger Album‹!!!« Das kleine enharmonisch pikante Musikstück erschien, genau nach der Weisung seines Komponisten in Nr. 18 des »Musikalischen Wochenblattes« vom 28. April 1881. In seine Werke hat Brahms es nicht aufgenommen und vor der Veröffentlichung des Briefwechsels mit Herzogenbergs wußte kaum jemand, wer der Verfasser des Kanons ist.

Im März kam der Kunsthistoriker und Ästhetiker Wilhelm Lübke aus Stuttgart nach Wien, und Billroth gab ihm zu Ehren am 14. d. M. einen »Gemütlichen Brahms-Abend« unter Leitung von Brahms und unter Mitwirkung der Fräulein Pauline Kner und Detzelt und der Herren Josef Hellmesberger, Prof. Maas und Schulter. Zur Aufführung gelangten sämtliche Soloquartette aus op. 31, 64, 52 und 65 (beide Serien der »Liebeslieder«), also im ganzen dreiunddreißig Stücke. Außerdem spielte Brahms seine Klavierstücke und Rhapsodien op. 76 und 79 und mit Hellmesberger die »Regenliedsonate« op. 78 – eine ausgiebige Musiksoirée. Unter den Gästen befanden sich Hanslick, Wilhelm Jahn, der neue Direktor der Wiener Hofoper, Hans Richter, Goldmark und Brüll. Auf dem (gedruckten) Programm stand die Bemerkung: »Die Auswahl und Reihenfolge der Programmnummern wird vom Komponisten bestimmt.«

Lübke hätte schon am 6. März in Wien sein sollen, um das [265] Philharmonische Sonntagskonzert mitzumachen. Die »Akademische Festouvertüre« sollte an diesem Tage als Novität herauskommen. Da aber die Studentenschaft augenblicklich etwas aufgeregt war, und einige der deutsch-vaterländischen Lieder noch immer auf dem polizeilichen Index standen, so daß Demonstrationen befürchtet wurden, wie Billroth an Lübke schreibt, wartete man noch vierzehn Tage, Diesmal hätte die Polizei also eine feinere Nase für die Tendenz der »Akademischen« gehabt als die Musikkritik.

Fußnoten

1 Bülow, Briefe V 443.


2 Ein Witz von Bülow.


3 G. Fischer: »Hans von Bülow in Hannover«.


4 Brahms hat immer gegen Programme geeifert, die bloß Einen Komponisten enthielten, weil er die Wirkung des einen Meisters durch den andern erhöht wünschte.


5 »Johannes Brahms als Mensch und Freund«. Nach persönlichen Erinnerungen von Rudolf von der Leyen.


6 Vgl. Briefwechsel I, 110.


7 Nr. 11, 14 und 16, wie I 66 nachgewiesen worden ist.


8 Vgl. II 297.


9 Briefwechsel I, 125 f.


10 »Ich hatte das Glück«, schrieb Alois Schmitt († 1902) am 27. Mai 1897 dem Verfasser, »Brahms seit Dezennien meinen Freund nennen zu dürfen. Der Beginn unserer Freundschaft zählt zu meinen schönsten Erinnerungen. Ich hatte ihn eingeladen, eine seiner Symphonien zu dirigieren und sein Konzert zu spielen. Er kam, und bei der ersten Probe sprach ich die Bitte aus, ihm die Symphonie zuvörderst vorspielen zu dürfen, nachher möge er den Taktstock ergreifen, korrigieren und bessern, soviel er wolle. Nachdem die Symphonie gespielt war, kommt er auf mich zu, schüttelt mir die Hand und redet mich mit ›Du‹ an. Das war unsere erste persönliche Begegnung. Seine Besuche in Schwerin wiederholten sich, und öfters war ich so glücklich, ihn wochenlang in meinem Hause zu beherbergen.«


11 »Ein Gedanke verließ mich nicht«, schreibt Klara Schumann in ihrem Tagebuche, »der, wie bald wohl meine Kinder denselben Gang gehen mögen mit meiner Leiche ...« (Litzmann III, 408).


12 Vgl. S. 203, Anm.


13 An diese Reise knüpft sich eine heitere Geschichte. Brahms wünschte, daß ich mit ihm führe. Ich sollte ihm eine große Quantität türkischen Tabaks, den er von Frau Schumann und anderen in vielen Paketen zum Geschenk erhalten hatte, durchschmuggeln helfen. Nun war ich aber glücklicherweise schon von Stockhausen eingeladen worden, den 8. Mai bei ihm zuzubringen; er wollte die Liebenswürdigkeit haben, mir alles vorzusingen, was ich von ihm zu hören wünschte. Ich ließ also Brahms mit seinem Tabak allein die Grenze passieren. In Wien berichtete er mir dann von dem tragi-komischen Unfall, der ihm zugestoßen war, und überhäufte mich mit Vorwürfen, als ob ich schuld daran gewesen wäre, daß die Finanzbeamten bei der Gepäcksrevision aus seines Koffers Tiefen ein Ding hervorzogen, das aussah wie ein amputiertes Bein. Der erfindungsreiche Meister hatte einen langen Strumpf mit Tabak vollgestopft, in der irrigen Meinung, in dieser seltsamen Attrape werde das kostbare Schleichgut den Späheraugen der Zollwächter entgehen. Der Spaß kostete ihn das Bein und eine Zubuße von siebzig Gulden.


14 Elisabet von Herzogenberg hatte ihn gefragt, was nur ihn nach Ischl treibe, und ob nicht halb Wien dort hocke. Brahms schrieb ihr darauf dasselbe wie Billroth, fast mit denselben Worten, und fügte noch hinzu: »Ja, vor dem halben Berlin oder Leipzig würde ich wohl laufen. Das halbe Wien aber ist ganz hübsch und kann sich sehen lassen.«


15 Die Ischler Wohnung, in der Brahms nicht nur 1880 und 1882, sondern auch die letzten acht Jahre seines Lebens als Sommergast logierte, ist in ihren wesentlichen Bestandteilen erhalten geblieben. Nach dem Tode des Meisters kaufte Viktor v. Miller zu Aichholz die gesamte Einrichtung nebst Öfen, Tür-und Fensterstöcken dem Hauseigentümer ab und übertrug das Wohn- und Schlafzimmer in das von ihm gegründete Gmundener Brahms-Museum, wo die bescheidenen, genau nach dem Ischler Muster wiederhergestellten Räume seit 1901 dem öffentlichen Besuche zugänglich sind.


16 Julius Bauer, der witzige Wiener Theaterkritiker und Librettist, gehörte zum Stammpublikum Ischls und stand mit Brahms in einem besonderen, auf gegenseitige Frozzelei ausgehenden Verhältnis. Brahms mochte den immer à quatre épingles gekleideten lustigen Schalk gern leiden, reizte ihn zu boshaften Angriffen und lachte herzlich, wenn Bauer ihn einmal »den größten Schimpfoniker der Welt« nannte oder ihm ein andermal, mit einem Hinweis auf seine unordentliche Garderobe, sagte: »Danken Sie Gott, daß ich nicht Karl Reinecke bin. Denn ich würde Ihre Sachen in keinem Gewandhause aufführen!«


17 Der Tenor dieses Schriftstückes begründet die Zuerkennung der akademischen Würde mit einem Passus, der vielfachen Mißverständnissen begegnete. »Artis musicae severioris in Germania nunc princeps« wird der neue Doktor genannt: »der erste jetzt lebende Meister deutscher Tonkunst strengeren Stiles«. Darin eine gegen den Schöpfer des Musikdramas gerichtete Spitze erkennen zu wollen, wie Richard Wagner und sein Anhang sich bemühten, heißt der philosophischen Fakultät in Breslau Bosheiten unterschieben, von denen ihr ehrliches Latein nichts weiß. Nur Unkundige oder Händelsüchtige konnten severior (strenger) mit »ernster« übersetzen und daraus folgern, Oper und Drama, von denen gar keine Rede sein konnte, seien nicht ernst zu nehmen. Hier handelte es sich nicht einmal um den alten Unterschied von stilo rappresentativo und stilo osservato (Theater- und Kirchenstil), sondern einzig und allein um den strengen, gebundenen Stil, d.h. um die polyphone Kunst der Schreibart mit reellen Stimmen, in welcher Brahms nach Sebastian Bach für den ersten Meister gilt.


18 Bernhard und Luise Scholz kamen wöchentlich einmal mit den ihnen befreundeten Professoren und deren Frauen auf einer Winterkegelbahn zusammen; auch Brahms erschien als Gast in der lustigen Gesellschaft und schob tapfer mit.


19 Als mir Brahms sagte, in welcher Weise (mittelst Korrespondenzkarte) er sich in Breslau bedankt habe, fand ich diese Nonchalance schon etwas stark. Noch stärker erschien mir, was er mit dem tönenden Sinnbilde seines Dankes der Universität zumutete. Denn Brahms charakterisierte die »Akademische Festouvertüre«, als er mir im Herbst 1880 davon erzählte, in der Art, daß er sie »ein sehr lustiges Potpourri von Studentenliedern à la Suppé« nannte. Auf meine ironische Frage, ob etwa auch das Fuchslied darin vorkomme, sagte er vergnügt: »Jawoll«, und als ich ihm ganz erschrocken bemerkte, eine solche akademische Huldigung des »ledernen Herrn Rektors« könnte ich mir nicht gut denken, erwiderte er trocken: »Das ist auch gar nicht nötig.«


20 I, 58.


21 I, 95f.


22 In Bayreuth neben den Wagnerschen Werken auch andere aufzuführen, erwies sich als untunlich, auch die Einrichtung einer Stilbildungsschule daselbst ließ sich zunächst nicht realisieren. Wagner erklärte später, alljährliche Wiederholungen des »Parsifal« seien vorzüglich geeignet, als Schule für den von ihm begründeten Stil zu dienen.


23 In einer öffentlichen Besprechung der Brahmsschen F-dur-Symphonie vom Jahre 1883 führte ich gewisse Partien des Werkes auf Anregungen zurück, die, wie ich glaubte, der Komponist vom zweiten Teile des »Faust« im Burgtheater empfangen hatte. Dort war inzwischen das Erbe Dingelstedts von Wilbrandt cum beneficio inventarii angetreten worden. Ohne von dem früheren Hergang etwas zu wissen, sprach ich mein Bedauern aus, daß der Dramaturg nicht einen Brahms zur schöpferischen Mitarbeiterschaft herangezogen habe. Darauf erzählte mir Brahms von Dingelstedt und seinem Verfahren, ohne, wie es seine Art war, sich auf nähere Details einzulassen.


24 Sie führt die Doppelnummer 23/24. Nach Brahms' Tode ließ Deiters unter Nr. 63 einen Nachtrag dazu erscheinen. Die spärlichen biographischen Details, welche beide Arbeiten des Gelehrten enthalten, zeigen, wie wenig noch im Jahre 1898 vom Leben des Tondichters bekannt war.


25 »Johannes Brahms« von La Mara. In Westermanns »Illustrierten deutschen Monatsheften«, Dezember 1874.


26 Wie man sieht, lebte Brahms fast in völliger Zeitlosigkeit, d.h. ohne irgend ein Maß der Zeit zu haben, und ohne sich um den Kalender zu bekümmern; den Doktortitel hatte er doch erst im vorigen Jahre bekommen! Daher sind auch die meisten seiner Briefe gar nicht, viele ungenau und manche falsch datiert.


27 Gemeint sind Beethovens Violinsonaten in c- unda-moll (Kreutzersonate), die Brahms, Reményi und der Zigeunerstimmung seiner Geige zu Gefallen im Konzert um einen halben Ton höher spielte. Vgl. I, 72.


28 In Ermekeils Garten war Brahms mit Deiters bekannt geworden. Vgl. Briefwechsel III, 123 Anm.


29 Vgl. Briefwechsel I, 122.


30 Litzmann a.a.O. 413.


31 »Wie denken Sie sonst über Ouvertüren? Sind diese (wie Sie denken können, ausgezeichnete) vielleicht das Stück 1500 oder 1000 Taler wert (inkl. 4 hdg.)? Sie werden mit Recht sagen, man braucht keine, so lange Weber, Cherubini und Mendelssohn nicht ausverkauft sind. Die Akademische empfehle ich Ihnen aber für Militärmusik setzen zu lassen. Das lockt mich selbst, wenn ich nur genauer damit Bescheid wüßte.« Simrock verstand den ironischen Hieb und parierte ihn, nobel, wie er war, damit, daß er den höheren Preis zahlte.


32 Leander Schlegel berichtet dem Verfasser darüber: Am 31. Januar 1876 spielte Brahms mit den Florentinern, die mir von früher her befreundet waren, seinop. 25. Nach der Probe im Hotel jagte ich meine Ballade herunter. Brahms kam auf mich zu, reichte mir die Hand, tupfte mit einem Finger auf die Tasten und sagte: »Sie spielen aber schön Klavier, das Instrument klingt ja sehr schön!!« 1881 erzählte ich dem Linksgeiger Barth die Hotelszene. Er lachte und sagte: »Seien Sie froh! Als der berühmte N. dem Meister ein ganzes Oratorium seiner Komposition am Klavier aus dem Manuskript mitteilte, rief Brahms am Ende aus: ›Donnerwetter, wo haben Sie das famose Notenpapier her? Das muß ich auch haben.‹« Schlegel hat sich durch eine Reihe eigentümlich anziehender Kompositionen weit über seine holländische Heimat hinaus einen Namen gemacht.

Quelle:
Kalbeck, Max: Johannes Brahms. Band 3, 2. Auflage, Berlin: Deutsche Brahms-Gesellschaft, 1913, S. 229-266.
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