VI.
(1818 und 1824.)

[132] Gleichwie Mozart und Beethoven eine entschiedene Abneigung gegen methodisches Unterrichtertheilen hegten, so auch Schubert. Und doch waren alle drei – Beethoven allerdings nur in seiner Jugendzeit1 – durch äußere Verhältnisse darauf angewiesen. Mozart plagte sich ein gut Theil seines Lebens hindurch mit Lectionengeben, und Schubert, wollte er seine materielle Lage verbessern, hätte sich ebenfalls – wenigstens in den ersten Jahren nach seinem Austritt aus dem väterlichen Hause – dazu bequemen müssen. Der Grund der Abneigung war bei diesen dreien derselbe, und bedarf keiner weiteren Erklärung. Schubert gewann es zwar über sich, mehrere Jahre hindurch den Schülern der untersten Classe die Geheimnisse des »Namenbüchleins« beizubringen, wobei ihn freilich nicht selten die Geduld verließ; – Unterricht in der Musik zu geben erschien aber dem rastlos Producirenden als eine geradezu unerträgliche Beschäftigung. Thatsache ist, daß er sich von[133] allen Verpflichtungen dieser Art, wo solche etwa bestehen mochten, losmachte, um vollkommen Herr seiner Zeit und Neigungen zu sein.

Nur auf Ein Anerbieten, welches ihm in mehrfacher Beziehung von Vortheil war, und seinen Drang nach Unabhängigkeit in keiner Weise bedrohte, ging er ohne Bedenken ein. Der Wirthschaftsrath des Baron Hakelberg – Unger2 (Vater der nachmals berühmt gewordenen Opernsängerin Caroline Unger-Sabatier) empfahl ihn nämlich um diese Zeit dem Grafen Johann Esterhazy als Musiklehrer, und dieser machte Franz den Vorschlag, daß er im Winter in der Stadt, und den Sommer über auf seinem Landgut Zelész3 als Musikmeister seiner Familie fungiren möge.

Da mit dieser Stellung ein Honorar (nach einer Mittheilung des Herrn Doppler zwei Gulden für die Stunde) und die Aussicht auf so manche Annehmlichkeiten verbunden war, an welchen in wohlhabenden, begüterten Familien auch deren nächste Umgebung theilzuhaben pflegt, so nahm Schubert den Vorschlag gerne an, und begab sich im Sommer 1818 zum ersten Mal nach Zelész.

Graf Johann Carl Esterhazy war vermählt mit Gräfin Rosine Festetics aus Tolna, und hatte aus dieser Ehe drei Kinder: Marie, Caroline und Albert Johann.[134]

Die ganze Familie war musikalisch. Der Graf befand sich im Besitz einer Baßstimme; die Gräfin und ihre Tochter Caroline sangen Alt, und die ältere Comtesse Marie erfreute sich eines »wunderschönen« hohen Soprans. Da nun auch Freiherr Carl von Schönstein4, ein trefflicher Tenorbariton, das Esterhazysche Haus oft zu besuchen pflegte, so stand das Vocal-Quartett fertig da, jenes Quartett, welches mit einer der schönsten Schubert'schen Compositionen: »Gebet vor der Schlacht« (von de la Motte Fouqué) in unauflöslicher Verbindung steht. Die beiden Töchter spielten auch Clavier, und während die, von den besten italienischen Meistern gebildete Marie sich hauptsächlich an den Gesang hielt, befaßte sich Caroline, deren Stimme zwar lieblich, aber schwach war, bei mehrstimmigen Gesängen ausschließlich mit der Begleitung am Flügel, worin sie excellirte.

Als Schubert in diese Familie eingeführt wurde, hatte er sein 21. Lebensjahr vollendet. Der Graf stand im rüstigen Mannesalter. Die Gräfin Rosine zählte achtundzwanzig Jahre, ihre ältere Tochter (Marie) deren dreizehn, die jüngere (Caroline) eilf Jahre; der Sohn war damals ein fünfjähriges Kind.

Es versteht sich von selbst, daß Schubert's musikalisch-schöpferisches Talent diesem Kreis nicht lange verborgen[135] bleiben konnte. Er wurde ein Liebling der Familie, blieb der Verabredung gemäß auch den Winter über als Musikmeister in ihren Diensten, und ging mit derselben zu wiederholten Malen auf das erwähnte Landgut in Ungarn. Er verweilte überhaupt, und zwar bis an sein Lebensende, und auch außer den Musikstunden, viel im Hause des Grafen. In den ersten Jahren seiner Bekanntschaft wurde fleißig musicirt, wobei hauptsächlich Haydn's »Schöpfung« und »Jahreszeiten«, desselben vierstimmige Gesänge und Mozart's »Requiem« herhalten mußten. Auch Anselm Hüttenbrenner's Vocal-Quartett: »Der Abend«5, welches Schubert wohl gefiel, wurde da öfters gesungen. Freiherr von Schönstein, der bis zu seinem Zusammentreffen mit Schubert ausschließlich der italienischen Gesangsmusik gehuldigt hatte, erfaßte nun das deutsche Lied, wie ihm dieses in seiner vollen Schöne von Schubert dargebracht wurde, mit Enthusiasmus, und widmete sich von da an vorzugsweise dem Vortrag der Schubert'schen Gesänge, in welchem er nebst Vogl alsbald unerreicht dastand, ja den letzteren an Schönheit der Stimme übertraf. Der Tondichter trat zu ihm in ein näheres Verhältniß und musicirte gerne und viel in seiner Gesellschaft. Schönstein trug die Schubert'schen Lieder zumeist in dem ihm sehr befreundeten Eßterhazy'schen Hause vor, von welchem jedes Familienglied für den Componisten begeistert war; seine sociale Stellung gab ihm aber auch Gelegenheit, im Verlauf der Zeit noch andere »hohe« und »höchste Kreise« mit diesen Compositionen bekannt zu machen.[136]

Es versteht sich von selbst, daß der Landaufenthalt (in den Jahren 1818 und 1824) in musikalischer Beziehung nicht ungenützt vorüberging.

Zweihändige und vierhändige Clavierstücke, besonders Märsche, Sonaten und Variationen, dann Lieder und mehrstimmige Gesänge, entstanden in jener Zeit und zeugen von Schubert's unermüdlicher Thätigkeit. In Zelész hörte er auch ungarische und slavische Nationalweisen, die er sich, wie sie eben von Zigeunern gespielt oder von den Mägden im Schloß gesungen wurden, sogleich aufzeichnete, um sie in künstlerischer Weise auf das reizendste zu verarbeiten.

Das Divertissement à la Hongroise (op. 54) besteht ausschließlich aus derlei aneinandergereihten meist schwermüthigen Melodien; das Thema dazu holte sich Schubert in der Eßterhazy'schen Küche, wo es eine Magd, am Herd stehend, sang, und er, mit Schönstein eben von einem Spaziergang zurückkehrend, die Melodie im Vorübergehen hörte. Er brummte das Lied im Weitergehen vor sich hin, und im nächsten Winter erschien es als Thema in dem Divertissement. Auch in einigen der Impromptus, Moments musicals, Sonaten, und selbst in sinfonischen Sätzen finden sich ungarisch-nationale Anklänge vor.

Bei seinem ersten Besuch in Zelész ist Schubert mindestens bis in den Spätherbst daselbst geblieben, denn das »Abendlied«, »Du heilig glühend Abendroth« (von Schreiber), dessen Manuscript sich in den Händen der Frau Gräfin Rosa v. Almasy, geb. Gräfin Festetics und Muhme der Gräfin Caroline Eßterhazy, in Wien befindet, trägt das Datum: Zelész, November 1818. Auch das Lied: »Blondel zu Marien« (in Lief. 34 enthalten), componirt im September,[137] und Singübungen, im Manuscript fünf Seiten ausfüllend, mit dem Datum Juli 1818, fallen bereits in die Zeit jenes Landaufenthaltes, und wurden letztere, da sich die Handschrift6 davon im Nachlaß der Gräfin Caroline vorfand, wahrscheinlich für deren Schwester Marie geschrieben.

Im Jahr 1824, also sechs Jahre später, treffen wir Schubert zum zweiten Male in Zelész. Auch Baron Schönstein hatte sich daselbst eingefunden, und es fallen in diese Zeit: das große Duo für Clavier op. 140, vierhändige Variationen (op. 35) und das erwähnte Gesangsquartett: »Gebet vor der Schlacht«. Die Entstehungsweise des letztgenannten Musikstückes charakterisirt abermals Schubert's erstaunliches Schaffensvermögen.

Eines Morgens in den ersten Tagen des September 1824 forderte die Frau des Hauses während des gemeinschaftlichen Frühstückes den Meister auf, ein Gedicht von de la Motte Fouqué (es war das oben genannte) für das Hausquartett in Musik zu setzen. Schubert nahm das Buch und entfernte sich damit, um in Tönen zu dichten. Noch am Abend desselben Tages wurde die umfangreiche[138] Composition aus dem Manuscript heraus am Clavier durchgesungen. Die Freude über das vortreffliche Musikstück steigerte sich am folgenden Abend, wo dasselbe aus den, von Schubert selbst mittlerweile herausgeschriebenen Stimmpartien mit größerer Sicherheit vorgetragen werden konnte, und das Ganze an Klarheit und Schönheit des Ausdrucks wesentlich gewann. Das Quartett war innerhalb zehn Stunden componirt und fehlerlos niedergeschrieben worden.

Die Composition wurde damals nicht veröffentlicht, da sie für die Familie Eßterhazy geschrieben, das Manuscript unter der Bedingung der Nichtherausgabe erstanden war, und die Gräfin Rosine einen besonderen Werth darauf legte, eine Schubert'sche Composition allein zu besitzen. Erst einige Jahre nach Schubert's Tod übergab Frh. v. Schönstein mit Einwilligung jener Dame das Manuscript einer Wiener Verlagshandlung zur Veröffentlichung7.

Schubert machte sich über das Verliebtsein der Freunde zu wiederholten Malen lustig, war aber gegen diese Leidenschaft nichts weniger als gefeit. Auch er hatte – gewiß nicht zu seinem Schaden – Herzenskämpfe zu bestehen. Von einer dauernden Liebschaft ist zwar nichts bekannt geworden, und an das Heirathen scheint er überhaupt niemals gedacht zu haben; aber an Liebeständeleien, und wohl auch an ernsterer, tieferer Neigung hat es bei ihm nicht gefehlt. Bald nach seinem Eintritt in das Eßterhazy'sche Haus knüpfte er ein Verhältniß mit einer Dienerin daselbst an, welches aber sofort einer poetischeren Flamme weichen mußte, die für die[139] jüngere Tochter Gräfin Caroline in seinem Herzen emporschlug. Und diese loderte fort bis an sein Lebensende. Caroline schätzte ihn und sein Genie, erwiederte aber seine Liebe nicht, und ahnte vielleicht nicht einmal den Grad, in welchem diese thatsächlich vorhanden war. Denn daß die Neigung für sie bestand, mußte ihr durch eine Aeußerung Schubert's klar geworden sein. Als sie ihm nämlich einmal im Scherz vorwarf, daß er ihr noch gar kein Musikstück dedicirt habe, erwiederte er: »Wozu denn, Ihnen ist ja ohnehin alles gewidmet.«

Und er hielt auch an seinem Vorsatz fest; denn die Dedication auf der vierhändigen Clavierfantasie inF-Moll8 (op. 103) rührt (nach einer mir gemachten bestimmten Mittheilung) ungeachtet der Worte: »Dediée par Fr. Schubert«, nicht von diesem, sondern von den Verlegern her, und erfolgte erst nach Schubert's Tod9. Uebrigens dürfte jene Stelle eines noch zu erwähnenden Briefes (datirt aus Zelész im J. 1824), in welcher von der misère der Wirklichkeit, stattgehabten Täuschungen u.s.w. die Rede ist, nicht außer allem Zusammenhang mit der eben berührten Herzensangelegenheit gestanden haben10.[140]

Nach dem Jahre 1824 ist Schubert nicht mehr nach Zelész gekommen; auch trat ein Paar Jahre später in der gräflichen Familie eine Veränderung ein, in Folge welcher der musikalische Kreis einer seiner hauptsächlichen Zierden verlustig ging. Am 1. December 1827 vermählte sich nämlich die ältere Tochter Marie mit dem Grafen August von Breuner11. Ein Jahr darauf schied Schubert aus dem Leben.

Im Jahre 1844 (am 8. Mai), also 16 Jahre nach Schubert's Tod, vermählte sich Gräfin Caroline mit dem Grafen Folliot von Crenneville, k.k. Kämmerer und Major in der Armee.

Graf Johann Carl ist am 21. August 1834, die Gräfin Marie von Breuner am 30. Sept. 1837 in einem Alter von 32 Jahren, Gräfin Caroline v. Crenneville im März 1851 in einem Alter von 45 Jahren12, der Sohn Johann[141] Albert13 im Jahre 1845, und die Gräfin Rosine, welche alle ihre Kinder überlebte, im Jahre 1854 in einem Alter von 64 Jahren gestorben.

Von dem musikalischen Kreis, der sich in dem Eßterhazy'schen Hause mit Schubert vereinigt zusammengefunden hatte, lebt derzeit nur noch der einstens gefeierte Schubertsänger Carl Freiherr v. Schönstein14.[142]

Unter den Gesangscompositionen aus dem Jahre 1818 ist das schon erwähnte Lied: »Die Forelle«, dann mehrere von den »geistlichen Liedern« und drei Sonette von Petrarca15 (übersetzt von A.W. Schlegel) aufzuführen. Die letztgenannten, ebenso erhabenen als der musikalischen Behandlung widerstrebenden Gedichte hat Schubert in eigenthümlich bedeutsamer Weise mit Tönen umkleidet. Auch schrieb er in diesem Jahr die als op. 9 im Stich erschienenen ersten Walzer, unter welchen sich der sogenannte Trauer- oder Sehnsuchtswalzer16 befindet, ein Tanzstück,[143] welches bald nach seinem Bekanntwerden (im J. 1822) sich großer Beliebtheit erfreute und jenen populären Tonweisen beizählt, an welchen sich die Kunst des Transcribirens und Variirens sattsam erprobte17. Ferner fallen in diese[144] Zeit: Die vierhändigen Variationen (op. 10), welche Schubert im Jahre 1822 Beethoven dedicirte, Märsche für das Clavier, eine (unveröffentlichte) Fantasie in C18, ein heiteres Vocalquartett19 (für zwei Soprane, Tenor und Baß) und die sechste Sinfonie (in C), welche 1828 und 1829 an Stelle der siebenten in einem Spirituel-Concert in Wien mit Beifall aufgeführt, und von welcher das Scherzo in einem Gesellschafts-Concert im J. 1860 abermals zu Gehör gebracht wurde20.

Diese C-Sinfonie ist die vorletzte der von Schubert componirten Sinfonien und bildet den Uebergang zu jener großen siebenten in C, in welcher Schubert's Eigenthümlichkeit frei von allen fremden Einflüssen sich darstellt, während in den ihr vorausgegangenen hie und da das Einwirken der älteren Meister, oder wie in dem an Stelle des Menuett's getretenen Scherzo dieser sechsten Sinfonie das Einstürmen Beethoven's auch auf Schubert nicht zu verkennen ist. Uebrigens ist gerade dieser Satz mit einer Freiheit[145] und Meisterschaft in Form und Inhalt gearbeitet, daß seine Aufführung zu lautem Beifall hinriß.

Als Abschluß dieses Jahres möge hier noch ein von Ignaz Schubert an den in Zélész weilenden Franz gerichteter Brief (datirt 12. Oct. 1818) seine Stelle finden, in welchem der Unmuth des mit seiner Stellung unzufriedenen, gegen Schulknechtung und Gewissenszwang revoltirenden Rossauer Schullehrers, zugleich aber auch das Gefühl der Liebe und Verehrung, die er – gleich den übrigen Geschwistern – dem Bruder Franz entgegenbrachte, zu vollem Durchbruch gelangt. Das Schreiben21 lautet:


»Lieber Bruder!


Endlich, endlich einmal, wirst Du Dir denken, bekommt man doch ein Paar Zeilen zu sehen. Ja, ja, ich glaube, Du würdest noch nichts zu sehen bekommen haben, wenn nicht endlich einmal zu meinem Trost die lieben Vacanzen angerückt wären, wo ich Muße genug habe, in ungestörter Ruhe und ohne verdrießliche Gedanken einen ordentlichen Brief zu schreiben.

Du glücklicher Mensch! wie sehr ist Dein Loos zu beneiden; Du lebst in einer süßen goldenen Freiheit, kannst Deinem musikalischen Genie vollen Zügel schießen lassen, kannst Deine Gedanken wie Du willst hinwerfen, wirst geliebt, bewundert und vergöttert, indessen unser einer als ein elendes Schullastthier allen Rohheiten einer wilden Jugend preisgegeben, einer Schaar von Mißbräuchen ausgesetzt ist, und noch überdies einem undankbaren Publicum und dummköpfigen Bonzen in aller Unterthänigkeit unterworfen sein muß.[146] Du wirst Dich wundern, wenn ich Dir sage, daß es in unserm Hause schon so weit gekommen ist, daß man sich nicht einmal mehr zu lachen getraut, wenn ich vom Religionsunterricht eine abergläubisch lächerliche Schnurre erzähle. Du kannst Dir also leicht denken, daß ich unter solchen Umständen gar oft von innerlichem Aerger ergriffen werde, und die Freiheit nur dem Namen nach kenne. Siehst Du, von allen diesen Dingen bist Du nun frei, bist erlöst, Du siehst und hörst von allem diesen Unwesen und besonders von unseren Bonzen nichts mehr, von welchen letzteren man Dir gewiß nicht erst den trostreichen Vers des Bürger zurufen muß:


Beneide nicht das Bonzenheer

Um seine dicken Köpfe,

Die meisten sind ja hohl und leer

Wie ihre Kirchthurmknöpfe.


Nun zu etwas anderem. Das Namensfest unseres Herrn Papa wurde feierlich begangen. Das ganze Rossauer Schulpersonal sammt Frauen, der Bruder Ferdinand sammt Frau, nebst unserm Mühmchen und Lenchen und der ganzen Gumpendorfer Sippschaft wurden zu einem Abendzirkel eingeladen, wo wacker geschmauset und getrunken wurde und es überhaupt sehr lustig herging. Bei dieser Gelegenheit setzte ich auch einmal meinen sparsamen Dichterwitz in Bewegung, und brachte unserm alten Herrn folgende Gesundheit aus:


Es lebe Vater Franz noch lang in unsrer Mitte;

Doch vergönn' er wohl uns heut' auch eine Bitte:

Er stell' auf's Jahr sich wieder ein

Mit Hendel, Strudel, Confect und Wein.
[147]

Vor der Schmauserei spielten wir Quartetten, wo wir aber herzlich bedauerten, unsern Meister Franz nicht in unserer Mitte zu haben; wir machten auch bald ein Ende.

Tags darauf wurde das Fest unseres h. Schutzpatrons Franciscus Seraphicus feierlichst abgehalten. Sämmtliche Schüler mußten zur Beichte geführt wer den, und die größeren sich Nachmittags um 3 Uhr in der Schule vor dem Bildniß des Heiligen versammeln; ein Altar war aufgerichtet, wo zwei Schulfahnen paradirten rechts und links; eine kleine Predigt wurde abgehalten, wo es unter andern ein paar Mal hieß, daß man das Gute vom Bösen wohl entscheiden lernen müsse, und daß man dem mühsamen Lehrer viel Dank schuldig sei; eine Litanei auf den Heiligen wurde auch gebetet, eine Litanei, über deren Sonderbarkeit ich nicht wenig erstaunte; zuletzt wurde gesungen und sämmtlichen Anwesenden eine Reliquie des Heiligen zu küssen gegeben, wobei ich bemerkte, daß mehrere Erwachsene zur Thür hinausschlichen, die vielleicht nicht Luft haben mochten, dieser Gnade theilhaftig zu werden.

Nun auch ein paar Worte von den Hollpeinschen22. Sowohl Mann als Frau lassen Dich herzlich grüßen und fragen, ob Du denn auch bisweilen auf sie denkest? Sie wünschten Dich bald wieder zu sehen, wiewohl sie meinen, Du werdest bei Deiner Rückkehr nach Wien nicht so häufig mit Deinen Besuchen sein wie sonst, da Dich Deine ganz[148] neuen Verhältnisse wohl davon abhalten möchten. Dieses bedauern sie gar oft; denn sie lieben Dich, so wie uns alle mit dem aufrichtigsten Herzen und äußern oft über Deine glückliche Lage die innigste Theilnahme.

Daß ich zu Deinem Namensfeste nicht ein Wort sage, wirst Du aus unseren Gesinnungen zu enträthseln wissen. Ich liebe Dich und werde Dich ewig lieben, und hiermit punctum; Du kennst mich.

Lebe nun wohl und komme bald; denn ich hätte Dir noch vieles zu sagen, was ich mir aber verspare bis auf eine mündliche Unterredung.


Dein Bruder Ignaz.


Wenn Du an den Papa und mich zugleich schreiben möchtest, so berühre nichts von religiösen Gegenständen. Das Mühmchen sammt Lenchen lassen Dich ebenfalls herzlich grüßen.«

1

Auch in späteren Jahren ging Beethoven, – wie früher in Bonn – als »übellauniges Eselein« an das Geschäft, welches er sich, namentlich beim Erzherzog Rudolf, möglichst zu erleichtern suchte.

2

Von demselben Unger ist das Gedicht zu Schubert's bekanntem Vocal-Quartett: »Die Nachtigall«.

3

Zelész (Zselics) eine am Waagfluß gelegene, zum Barscher und Honther Comitat gehörige Herrschaft mit Dorf, diesseits der Donau gelegen, von Wien 14 Poststationen entfernt. – Die Wintermonate brachte die Familie Eßterhazy gewöhnlich in der Residenz zu, wo sie in der »Herrengasse« wohnte.

4

Freiherr Carl von Schönstein, geboren am 27. Juni 1796 in Ofen, begann seine Beamten-Laufbahn im J. 1813 bei der königl. ungarischen Statthalterei, wurde 1831 Hofsecretär der allgemeinen Hofkammer, 1845 Hofrath daselbst, und trat 1856 in Pension. Seiner Zuvorkommenheit verdanke ich die, auf Schubert's Verhältniß zu der Familie Eßterhazy bezüglichen Mittheilungen.

5

Es ist im Stich erschienen und wurde im J. 1862 in einem musikalischen »Kränzchen« in Wien gesungen.

6

Die in dem musikalischen Nachlaß der Gräfin Caroline noch vorgefundenen Schubert'schen Autografe sind folgende: Das Trio in Es (1827), zwei vierhändige Ouverturen in C und D (Dec. 1817), Walzer (Jän. 1824), Deutsche (Oct. 1824); die Lieder: »Abendlied« und »Blondel zu Marien« und Singübungen. Diese Manuscripte finden sich in Aufbewahrung der Gräfin Rosa von Almasy; die Müllerlieder: »Ungeduld«, »Morgengruß« und »des Müllers Blumen« hat diese Dame Herrn Julius Stockhausen übergeben. – Die französische Romanze in E-Moll, welche Schubert als Thema zu op. 10 wählte, besitzt ebenfalls die Familie Almasy.

7

»Gebet vor der Schlacht« erschien bei Diabelli und Comp. als op. 139.

8

Dr. Leopold von Sonleithner arrangirte die Fantasie für Orchester, in welcher Form sie der Wiener Musikverein in seinem Archiv besitzt. Im März 1864 kam sie in dieser Gestalt in einem Concert des Orchestervereins in Wien zur Aufführung.

9

Dem Grafen Carl E. dedicirte Schubert die Lieder: »Erlafsee«, »Sehnsucht«, »Am Strom« und »Der Jüngling auf dem Hügel«.

10

Bauernfeld weist auf diese Leidenschaft mit folgenden Versen à la Heine hin, deren Inhalt übrigens wenig zu den Mittheilungen des Frh. von Schönstein stimmt:

Verliebt war Schubert; der Schülerin

Galt's, einer der jungen Comtessen,

Doch gab er sich einer ganz andern hin,

Um – die andere zu vergessen.

Die »andere« soll Therese Grob gewesen sein, jene Sängerin vom Lichtenthaler Chor, welche im Jahr 1814 in der F-Messe den Sopran-Part übernommen hatte.

11

Graf August v. Brenner, k.k. Kämmerer und Hofrath im Finanzministerium, geb. am 6. Juni 1796, Mitglied des Herrenhauses.

12

In dem genealogischen Taschenbuch ist das Jahr 1811 als Geburtsjahr der jüngeren Tochter angegeben. Dies scheint ein Irrthum zu sein. Abgesehen davon, daß sich die Herzensneigung Schubert's zu einem siebenjährigen oder auch (im J. 1824) zu einem dreizehnjährigen Mädchen schwer erklären ließe, hat ein naher Verwandter der Familie Eßterhazy das Jahr 1806 als das Geburtsjahr der Gräfin Caroline bezeichnet.

13

Er war k.k. Kämmerer und seit 1843 mit Marie Gräfin von Apponyi vermählt. – Mit Ausnahme der Gräfin Marie, welche in Grafenegg, dem Gut des Grafen Brenner, begraben liegt, ruhen alle übrigen Mitglieder der Familie in Zelész.

14

Herr v. Schönstein war nächst Vogl unstreitig der ausgezeichnetste Sänger Schubert'scher Lieder, und hatte, wie dieser, einen bestimmten Kreis von Gesängen, die seiner Stimme besonders zusagten, wie z.B. die (ihm gewidmeten) »Müllerlieder«, »Ständchen«, »Der zürnenden Diana« u.s.w., wogegen Vogl sich mit Vorliebe den dramatisch ausdrucksvollen »Winterreise«, »Zwerg« u.s.w., zuwendete. Schönstein's Stellung in der Wiener Gesellschaft ermöglichte ihm, wie bereits erwähnt, die Einführung der Schubert'schen Muse in die »höheren Kreise«. Im Jahr 1838 hörte ihn Franz Lißt in Wien, und schrieb darüber an Lambert Massart in die »Gazette musicale«: »Dans les salons j'entends avec un plaisir très-vif et souvent une emotion qui allait jusqu'aux larmes, un amateur le Baron Schönstein dire les Lieder de Schubert. La traduction française ne nous donne qu'une idée bien imparfaite de ce qu'est l'union de ces poésies presque toutes extrêmement belles avec la musique de Schubert, le musicien le plus poète, qui fut jamais. La langue allemande est admirable dans l'ordre du sentiment, peut-être aussi n'y-a-t-il qu' un Allemand, qui sache bien comprendre la naïveté et la fantaisie de plusieurs de ses compositions, leur charme capricieux, leur abandon mélancolique. Le baron Sch. les declame avec la science d'un grand'artiste et les chante avec la sensibilité simple d'un amateur, qui se laisse aller à ses emotions, sans se préoccuper du public.« – Nebst Vogl und Schönstein sind noch August Ritter von Gymnich und Sofie Linhart zu erwähnen, die bei Schubert's Lebzeiten in dem Vortrag seiner Lieder in öffentlichen Concerten excellirten.

15

Nicht von Dante, wie dieser irriger Weise auf den Abschriften als Autor angegeben ist.

Es sind die Sonette:

1. Nunmehr der Himmel, Erde schweigt und Winde –

Gefiederwild des Schlummers Bande tragen u.s.w.

2. Allein, nachdenklich, wie gelähmt vom Kampfe

Durchmess' ich öde Felder, schleichend träge u.s.w.

3. (Recitativ.) Apollo lebet noch dein hold' Verlangen

Das an thessalscher Fluth die blonden Haare

In Dir entflammt u.s.w.

Das erste ist in B-Dur 12/8, das zweite in F-Moll 4/4 (langsam schleichend), das dritte in As-Dur 4/4 componirt. Die Compositionen sind, namentlich die letzte, umfangreich. Der Gesang ist declamatorisch und schließt sich enge an die Worte an. Die Sonnette sind unveröffentlicht und gar nicht bekannt.

16

Den »Trauerwalzer« schrieb Schubert laut einer Aufzeichnung des Herrn Josef Hüttenbrenner am 14. März 1818 ebenfalls im »Neubad« bei Anselm H. Der Walzer, dessen Original letzterer besitzen soll, ist »seinem Sauf- und Punschbrüderl« Anselm H. gewidmet. Die Frage über die Autorschaft dieses populären Tanzstückes gab, so wie C.M. Weber's »letzter Gedanke«, zu lebhaften Discussionen Veranlassung, und wurde mit den Namen Beethoven, Hoffmann und Henneberg in Verbindung gebracht. In der »Allgemeinen Musik-Zeitung« vom Juli 1829 fragte eine Anonymus, wie es komme, daß Beethoven's Sehnsuchtswalzer ein und derselbe mit Schubert's Trauerwalzer sei – nur ohne Trio, von dem es wieder hieß, daß es Herr Hoffmann in Breslau dazu componirt habe. Als bei Haslinger Variationen über den Trauerwalzer erschienen, wies ein Recensent im »Wiener Musik. – Anzeiger« auf eine Ariette in dem, von dem Schauspieler Perinet zur Oper umgestalteten Lustspiel: »Der Jurist und der Bauer« hin, die der im J. 1822 verstorbene Hoforganist Johann Henneberg vor 30 Jahren componirt habe, und die jenem Sehnsuchtswalzer wie ein Ei dem andern gleiche. – Die Frage über den »Letzten Gedanken« von C.M. Weber wurde schließlich zu Gunsten des Capellmeisters Reissiger in Dresden gelöst, jene über den »Trauerwalzer« kam zu keiner weiteren Discussion – Bernhard Kothe will das Motiv des »Trauerwalzer« in einem Graduale Haydn's, in Beethoven's op. 7 (erster Satz), in desselben Romanze (op. 40) und in Adelaide, sodann in der D-Moll-Messe von Schnabel, in der Ouverture zur »Vestalin«, in Mendelssohn's Quartett op. 12, in Strub's Orgelpräludien und in unzähligen Liedern der Küken- und Prochzeit wiedergefunden haben. (S. lit. Centralblatt 1863.) In der That ein fruchtbarer Gedanke, besonders wenn bei seinem Herausfinden die Fantasie nachhilft!

17

So erschien zu Ende 1831 in Berlin »Die Sprache der Blumen«, Lied mit Begleitung des Sehnsuchtswalzers von Beethoven für das Pianoforte übertragen von C. Schütz, späterer Arrangements nicht zu gedenken.

18

Im Besitz des Frhr. v. Spaun in Wien.

19

Auf die Worte:

Wer Lebenslust fühlet,

Der bleibt nicht allein;

Allein sein ist öde,

Wer kann sich da freu'n? u.s.w. (nicht veröffentlicht.)

20

Die Sinfonie besteht aus vier Sätzen: Einem Adagio C-Dur 3/4 als Einleitung zu dem Allegro C-Dur 4/4, einem Andante F-Dur 2/4, einem Scherzo Presto C-Dur 3/4 mit Trio E-Dur 3/4 und dem Finale Allegro moderato C-Dur 2/4.

21

Das Original ist in meinem Besitz.

22

Hollpein war Graveur im kais. Münzamt in Wien. Franz Sch. stand zu dieser Familie in sehr vertrautem Verhältnisse, und brachte seine freie Zeit fast ausschließlich bei derselben zu, worüber sich Franz in einem Brief (1825) lustig macht.

Quelle:
Kreissle von Hellborn, Heinrich: Franz Schubert. Wien: Carl Gerold's Sohn, 1865, S. 132-149.
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