1

[133] Original: in Privatbesitz

Erstdruck: in der Beilage des Staatsanzeigers für Württemberg, Stuttgart 1. April 1919.


Aus einem Briefe von Friedrich V. Hauber1 an seine Braut


Salzburg, den ... 1833.


[........] Wir erfuhren gestern, daß Mozarts Witwe hier [in Salzburg] noch lebe, und erkundigten uns durch unsere Wirtin nach ihrer Wohnung. Als wir nun abends von einem Ausflug zurückkamen, trafen wir eine Visitenkarte: »Constanza Etatsräthin von Nissen, gewesene Witwe Mozart« und hinten: »bei Kaufmann Fend auf dem Marktplatz Nr. 6 über 3 Stiegen«, von ihrer eigenen Hand geschrieben. Die Frau sei selber dagewesen, habe sich angelegentlich nach uns erkundigt und uns eingeladen, heute fein gewiß zu ihr zu kommen. Wir2 sahen einander an, verdutzt und erstaunt über die hohe Gnade, zerbrachen uns die Köpfe, wie das wohl zugehen möge, und erkannten endlich einstimmig darauf, daß besagte Frau sich geirrt und verirrt haben müsse. Doch erforderte es die Artigkeit, ihr diesen Irrtum zu benehmen, und ich nahm es über mich, den Gang zu wagen, um in wohlgesetzter Rede den Irrtum zu beklagen und zu preisen, der mir das Glück und die Ehre verschaffe, die Witwe des Mannes zu sehen, den ich so sehr bewundere und hochhalte. Schick wartete unten, um, sofern wir beide doch gemeint seien, ebenfalls seine Aufwartung zu machen. Ich ging die Treppen[133] hinauf, mit klopfendem Herzen, räusperte mich dreimal vor der Tür und einmal vor der Rede, die nicht nur glücklich ablief, sondern auch nach einigen Auseinandersetzungen damit beantwortet wurde, daß wir allerdings gemeint seien; daß die Frau Etatsräthin gehört, wir wünschten sie zu sehen, und unserm Besuche habe zuvorkommen wollen. Und Schick möge nur heraufkommen; es freue sie immer, Fremde bei sich zu sehen, welche ihren seligen Mann verehren. Er kam, und das Gespräch drehte sich anfangs um den Genius des Mannes. Ich war sehr gefühlvoll, verglich seine Schöpfungen mit der Gegend, in der er geboren: friedlich, sanft und reich, und im Hintergrunde die riesigen Felsen, während Beethoven nach Art der Gebirge und Schluchten gedichtet, durch welche wir hergereist. Sie beantwortete mit einem Vers des Inhalts: Mozart sei die einzige Philomele Salzburgs; – es gibt nämlich hier keine Nachtigallen. Bald lenkte sie das Gespräch auf seine Schicksale, seine Neider, ging immer mehr ins Detail, sprach von seiner jüngst [1829] verstorbenen Schwester, der zwei Engländer durch ein Geschenk von 900 Pfund aus bitterem Mangel3 geholfen, dann von ihrer eigenen geringen Pension (260 Gulden), und wie ihr zweiter Mann sie von demselben Los befreit. Anfangs schien es, durch die Heirat, bald aber deutete sie auf eine Lebensbeschreibung, wozu sie in Wien keinen, in Berlin 500 Subskribenten bekommen und deren Preis sie nun von 15 auf 5 Gulden habe herabsetzen müssen. Da gingen uns allmählich die Augen auf. Schick mahnte mich mit dem Fuß. Ich überschlug mein übriges Vermögen, das unmöglich mehr so starken Zuspruch erleiden konnte. Ich saß wie auf Kohlen; wußte nicht, ob ein freiwilliges Almosen von zwei Zwanzigern – soviel hatte ich Münze bei mir – angehe. Unterdessen brachte sie ein Buch, worin alle sie besuchenden Fremden ihre Namen eintrugen. »Mit ihrer gütigen Erlaubnis, gnädige Frau!« sprach ich, schrieb mit Bleistift »Dr. Friedrich Hauber aus Stuttgart« in das – Ausgabenbuch der Frau Etatsräthin knapp unter »vor Milch 3 kr.«. Ich wünschte, ich wäre im Stand, Dir nur ein Achtel des Gefühls mitzuteilen, das über mich, den so mit kaltem Wasser Übergossenen,[134] kam, damit du umsomehr Mitleid mit meiner peinlichen Lage hättest, in der ich nicht wußte, sollte ich lachen oder weinen, mich ärgern oder schämen. Beim Aufbruch zeigte sie uns noch einige Gemälde, erzählte eine Anekdote, und führte uns zum Klavier, an dem Mozart komponiert. Wir dankten mit verlegenen Bücklingen, und seither vermieden wir die Straße und das Haus, das wir so mit ganz andern Empfindungen verlassen als betreten hatten.

Fußnoten

1 Friedrich v. Hauber (1806–1883), Prälat in Ulm, später in Ludwigsburg, damals (1833) Student der Theologie in Tübingen.


2 Hauber war in Begleitung eines Freundes namens G. Schick.


3 Ein Irrtum! Marianne hat auch als Witwe in bescheidenen, aber gesicherten Verhältnissen gelebt. Sie hatte eine Jahresrente von 300 Gulden und hat ihrem Sohne ein Vermögen von über 7000 Gulden hinterlassen. Die Geschichte mit dem Engländer ist wohl ein Märchen, das Konstanze in die Welt gesetzt hat.


Quelle:
Mozart, Constanze: Briefe, Aufzeichnungen, Dokumente 1782 bis 1842. Dresden 1922, S. 135.
Lizenz:
Kategorien: