§. 6.

[17] Nun will ich mit meiner Untersuchung fortfahren, und inzwischen den Merkur vor den Erfinder der Seyteninstrumente angeben; bis gleichwohl ein anderer ein mehreres Recht dazu erweiset. Es kommen die alten und neuen Schriften völlig übereins, daß, nachdem einsmals der über seine Gränzen ausgetrettene Nilfluß ganz Egypten überschwemmet hatte, endlich aber in sein Lager wieder zurücke geflossen war, Merkur unter den ausgeschwemmten und auf den Wiesen und Feldern zurück gebliebenen Thieren eine Schildkrote gefunden habe, in deren Schale nichts mehr, als die ausgetrockneten Nerven oder Spannadern noch übrig waren. Diese, da sie bey deren Berührung, nach der Verschiedenheit ihrer Länge und Dicke, auch verschiedene Töne von sich gaben, sollen den Merkur zur Erfindung eines dergleichen Instruments veranlasset haben. [17] 35Und dieß war die so berufene Leyer der Alten, und das erste Seyteninstrument,36 aus welchem nach der Hand durch Vermehrung der Seyten, deren anfänglich nur 3. bis 4. waren, und durch die Abänderung der Gestalt viele andere Instrumente entstanden sind. Zu dessen mehrerem Beweise dienet uns das Wort Chelys, durch welches man im lateinischen eine Geige und oft durch Chelysta einen Geiger ausdrücket. Da es nun aber im Grunde griechisch ist, und χέλυς eine Schildkrote heißt,37 nicht weniger vor die Leyer des Merkur genommen wird:38 was läßt uns zweifeln, daß unsere heutige Geiginstrumente von dem Merkur, von der gefundenen Schildkrote, und endlich von der so oft benennten Leyer abstamme?

Quelle:
Leopold Mozart: Versuch einer gründlichen Violinschule. Wien (1922), S. 17-18.
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