Parallelen zwischen Mozart und Anderen.

[48] Will man zwischen Mozart und seinem ZeitgenossenJos. Haydn eine Parallele ziehen, so ist wohl folgende thunlich. Wenn wir Haydn und Mozart zusammenstellen, so zeigt uns ein erfreulicher Blick die heilige Einheit in der individuellsten Mannigfaltigkeit; und die verschiedenen Verhältnisse Beyder stören das Fortschreiten ihrer Geister nicht, wenn wir schon in der Bestimmung des Schicksals Beyder auf merkliche Verschiedenheiten stossen. Musik der Väter weckte den Tonsinn der Söhne. Mozart war der Sohn eines musikalischen Vaters; Jos. Haydn weckten die Gesänge und Accorde der ländlichen Cither. Der Sohn des Musikers, dessen Genie früher gepflegt, sich früher entwickelte, hatte mit weniger Hindernissen zu kämpfen, als der Sohn des Radmachers Haydn. Mozart entwickelte sich früher,[48] vollendete aber auch früher. Mozarts Genius wurde früh unter den gefälligen Musen Wiens gepflegt; Haydn lebte auch in Wien; aber seine Jugend verwundeten die Dornen, während Mozart auf ihren Rosen gewiegt wurde. Haydn kam nie nach Italien, wie Mozart, wohl aber in das Land des tiefsinnigsten Ernstes, England, wohin Mozart nicht kam. Mozart zeigte in seinen früheren Compositionen einen düstern Ernst, strengen Contrapunct, und leicht wär' ein zweyter Seb. Bach aus ihm geworden, hätten ihn nicht Wiens gefällige Musen umgeben und Italiens Zauber-Melodieen mit ihren Blumenketten umwunden. Aber dabey wirkte seine Kraft wohlthätig auf die Anmuth seiner Umgebungen, theilte sich ihnen mit, und so ward Mozart Schöpfer jenes neuen Styls, der italienische Anmuth mit deutscher Kraft verbindet. – Haydn's frühere Compositionen sind melodisch, tändelnd; denn er hörte nichts als gefällige Musik, und Porpora war ein Italiener. Dieser heitere melodische Genius reis'te nach England, und dort ward er, wie Mozart im Süden, der Schöpfer eines neuen Styls im Norden, der die Anmuth des Südens mit der Kraft des Nordens vereinigte. – Beyde bekamen ihre eigene Popularität, die sich in dem Maximum des Idealen umarmte. Mozart gab der südlichen Popularität nordische Gelehrsamkeit; die Grazie seiner gefälligen Melodie umwand aber der düstere Ernst der englischen Musik tiefer in Haydn, denn er gab der nordischen Gelehrsamkeit südliche Popularität. – In Beyden war vereint, was sie einander zu geben schienen. Mozart suchte seine Melodie mit der Kraft der Harmonieen zu begleiten,[49] er gab der Anmuth des Südens die Kraft des Nordens; Haydn beschenkte die Kraft des Nordens mit südlicher Anmuth. Haydn versteckt seine tiefen Harmonieen unter Rosen und Myrtengewinde seiner Melodie; Mozart drängt unaufhaltsam durch Tonströme, kämpfend wie der jugendliche Held. – Haydn wandelt gemüthlich, wie der jugendliche Weise, auf Blumengefilden der erquickenden Ruhestätte zu; Mozart erscheint plötzlich, prächtig und gross, majestätisch wie der Blitz oder die Sonne. – Haydn bereitet vor, wie ein Frühlingstag aus sanftem Morgenlichte, und schafft sich erst rings herum den Himmel, in dem sich seine Erwählten freuen sollen; Mozart tritt wie ein Sohn des Lichts plötzlich und unerwartet unter die Sterblichen und reisst sie mit allmächtigem Arme im unaufhaltsamen Fluge hoch empor zum Olymp. – Haydn's Genius sucht die Breite; Mozart's Genie aber die Höhe und Tiefe. – Haydn führt uns aus uns heraus; Mozart versenkt uns tiefer in uns selbst, und hebt uns über uns. – Aber beyde Genien stehen kraftvoll, gleich anmuthig da, und wandeln so in den Schatten, wie sie von uns ausgegangen sind. – Mozart starb in seiner schönsten Blüthenzeit und sein Geist schuf im Verscheiden noch ein vollendetes Meisterwerk des höchsten Ernstes; Haydn ging als ein lebenssatter Greis von hier und schuf, als solcher, – ein Jüngling am Geiste – eine neue Schöpfung, und einen neuen Frühling und einen glühenden Sommer im Winter seines Erdenlebens. – Jeder von Beyden behauptet seine Originalität, aber Beyde sind die Schöpfer eines guten Geschmacks.[50]

Kindliche Einfalt, Naivetät, Unschuld, Bestreben des naturgemässen Ausdrucks der Empfindung ohne Ueberladung und Willkühr, Klarheit, Ordnung und Verständlichkeit machen die Lichtseite – Einförmigkeit, Steifheit, methodische Leere und Trockenheit aber die Schattenseite der Tonkunst vor Haydn aus. Er schliesst sich durch seine musikalische Ordnungsliebe, durch das Methodische und Planmässige seiner Werke, welche – die früheren vorzüglich – oft sogar den Anschein eines bestimmten Zuschnitts haben, und durch die kindliche Einfalt seiner Melodieen an die beschriebene Periode an. Aber durch den Reichthum seiner Gedanken, durch die unerschöpfliche Gewandtheit in der Ausführung derselben und in dem Gebrauche der Instrumente kann er als Stifter einer neuen musikalischen Epoche angesehen werden. Sein scherzendes, humoristisches Wesen verlor bey allen Spielen seines Geistes nie den entworfenen Plan aus den Augen. – Mozart nahm noch einen kühnern Flug; bey ihm schimmert nie oder nur höchst selten die Reflexion über seine Werke hervor, welche in Haydn's Werken von dem erfahrnen Kenner grösstentheils wahrgenommen werden kann; und doch bleibt auch Mozart darin höchst bewundernswürdig und im Ganzen unübertroffen, dass bey dem freyesten Gange seiner Tonweisen und bey der Ueppigkeit und Fülle seiner Harmonieen dennoch nie ein Mangel an Zusammenhang oder eine gesuchte willkührliche Verbindung, nie eine grelle Modulation, stets die tiefste seelenvollste Verkettung musikalischer Gedanken wahrgenommen wird. Seine Producte sind wahrhaft organisch[51] zu nennen, indem sich alles Einzelne in ihnen mit Nothwendigkeit aus dem Ganzen entwickelt; und doch zeigen sie die Freyheit jedes wahren Kunstwerkes. Sie sind die Erzeugnisse eines tiefsinnigen Geistes, und doch verräth Nichts ihr Entstehen; man lebt, denselben hingegeben, in einer eigenen unsichtbaren Welt, und nur das Wiedereintreffen der Gedanken in die Wirklichkeit nach dem Verschwinden seiner Töne erinnert an den Künstler und die Kunst.

Scheint uns in Haydn's Werken die Phantasie dem Verstande noch unterworfen, so stehen beyde in Mozart's Tonstücken in so unauflöslicher Verbindung, dass sie fast nirgends einzeln und getrennt erscheinen.

Haydn und Mozart haben auch das mit einander gemein, dass auch nicht das unbedeutendste Denkmal ihre Grabstätten anzeigt – in dem Wien, in dem sie, der Stolz der deutschen Musik durch die ganze gebildete Welt, gelebt, gesungen, gestorben, sie, ehemals das Eigenthum dieser Kaiserstadt, wodurch sie ihre grosse Celebrität in Ansehung auf Musik erreicht hat.

Beyde haben in mehren ihrer Quartetten zuerst die gewöhnliche und auf die Stufenfolge menschlicher Empfindung consequent und gut berechnete, mithin der Wirkung auf das Gemüth sehr vortheilhafte Reihe der Sätze in so fern abgeändert, dass sie das Scherzando oder die humoristiche sogenannte Menuett nicht nach dem Andante folgen, sondern ihm vorgehen liessen. Diess wird jetzt zuweilen[52] selbst bey Symphonieen (wo jene, wohl bedacht, es niemals thaten) keinesweges verständig nachgeahmt. Man thut es schon, an die Absichten jener Männer zu denken, ja nicht selten offenbar denselben entgegen. – Der psychologische Grundriss eines Quartetts im Ganzen seiner Sätze ist: Erstes Allegro, Andante oder Adagio, Scherzando etc. Nun schreiben aber jene Meister ihre Sätze nicht selten, ohne vom Hauptcharakter derselben abzuweichen, doch sehr ernst, in einfach edlen künstlerischen Verhältnissen, für ein sehr gemässigtes, wenigstens nicht rasches, nicht fliegendes Tempo und auch lang: da, fühlten sie nun, konnte das Andante, das sich jenem Satze, in der Empfindung wie in der Ausarbeitung, nun einigermaassen nähert, nicht vollgültig wirken. Es musste erst etwas lebhaft Reizendes, etwas Feuriges folgen, um dann durch Contrast das Andante zu heben und den Zuhörer fähig zu machen, es nach Wunsch aufzunehmen: und darum nahmen sie das Scherzando vor, wodurch sie ihren Zweck erreichten. Hingegen nach einem heitern, raschen und glänzenden, feurigen ersten Allegro macht das Andante in unmittelbarer Folge gerade den schönsten Effect, und das Scherzando darnach ebenfalls.

Jene grossen Männer wurden wahrscheinlich, wie alle genialen Erfinder, mehr durch ihren innern Sinn als durch Reflexion auf jenen Gedanken gebracht und in der Anwendung desselben dahin gebracht, fast ohne alle Ausnahme auch hier das Rechte zu treffen. Den Nachfolgern liegt es ob, sich über das Warum ins Klare zu setzen und nur in denselben Fällen ihren Abweichungen zu folgen.[53]

Gleich merkwürdig sind Mozart und Haydn wegen der Lauterkeit und Deutlichkeit ihres Styls und der auserlesenen Anordnung ihrer musikalischen Perioden. Der erste schien wegen seiner umfassenden Manier und Kenntniss des Effects, der andere in seiner edlen Empfindung und seinem ausgebildeten Ausdruck ausgezeichneter zu seyn.

Was Haydn und Mozart (später Beethoven und Romberg) in der Gattung der Symphonieen geleistet, und die Höhe, worauf diese Meister sie erhoben haben, macht es, man sollte fast glauben, (wenigstens in der Form) beynahe unmöglich, noch etwas durchaus Neues auf diesem Felde der Composition zu erzeugen. In der gegenwärtigen Form, welche die Symphonieen (als Gattung überhaupt) nach und nach durch jene Meister erhalten hat, scheinen diese Alles erschöpft zu haben, was erforderlich ist, um sie als die vollendetste darzustellen.

Haydn und Mozart wagten es zuerst, bey äusserst leidenschaftlichen Stellen den Orgelpunct in die Höhe zu verlegen. Haydn brachte in einer seiner neusten (1798) und schönsten Symphonie aus C in den Schlusssatz eine Fuge; auch Mozart that diess früher in seiner furchtbaren Symphonie aus C# mit der Schlussfuge, worin er es bekanntlich ein wenig arg macht. Aber wie thaten diese Meister das? – Nun kam der Schweif des Löwen. Warum setzen die meisten modernsten Componisten die Hörner, offenbar ihrer Natur und eigenthümlichen Schönheit zuwider, Trompetenmässig, die Trompeten nicht selten, ebenfalls ihrer Natur zuwider, Hornmässig? Auch hier sind dieDuces gregis, Mozart öfterer,[54] Haydn seltener, vorangegangen; aber muss man denn gerade Alles blind nachahmen, oder vielmehr plump nachmachen? Und dann – wo haben jene Männer es gethan? wo es besonders frappiren sollte und musste.

Zur Instrumentalmusik gehört viele Phantasie und Eigenheit. Nachdem Haydn und Mozart eine Kunst erschaffen und auch gleich auf den höchsten Gipfel geführt haben, wie sie weder das Alterthum noch irgend eine Zeit gekannt, reicht Studium und Talent zur Melodie nicht mehr hin, um etwas Bedeutendes und Grosses in der Instrumentalmusik zu liefern.

Wo anders lies't man sogar von einem Feinde Mozart's: Haydn erschuf das Quartett aus der hellen reinen Quelle seiner lieblichen originellen Natur. An Naivetät und heiterer Laune bleibt er daher auch immer der Einzige. Mozart's kräftigere Natur und reichere Phantasie griff weiter um sich und sprach in manchem Satze das Höchste und Tiefste seines innern Wesens aus: er war auch selbst mehr executirender Virtuose und muthete daher den Spielern weit mehr zu; setzte auch mehr Werth in künstlich durchgeführte Arbeit und bauete so auf Haydn's lieblich phantastisches Gartenhaus seinen Pallast.

Mozart und Beethoven – der Tag und die Nacht. Es hat mich lange beunruhigt, dass ich so oft einen Widerspruch in mir wahrzunehmen glaubte, wenn ich anerkennen müsste, dass so Vieles in Mozart so viel vollkommener sey als in Beethoven, und dass der letzte mich dennoch wunderbarer – und tiefer[55] ergriffe. Endlich fand ich im Verhältnisse des Tages zur Nacht eine ganz ähnliche geheimnissvolle Erscheinung; denn wir müssen Alle anerkennen, dass der Tag in seiner leuchtenden Klarheit, in der tausendfältigen Entwickelung aller Gegenstände der Natur, reicher und vollkommener ist, als die Nacht. Aber dennoch bleibt dem königlichen Herrscher ein gewisses Gebiet der Ahnung ganz verschlossen, und wir können es eben so gut begreifen, wie wir die Majestät des Tages anerkennen, dass der Dichter mit Recht unmuthig ausruft: »Dein allleuchtender Tag, Phöbos, ist mir verhasst,« oder dass sich ein Anderer über »die gemeine Deutlichkeit der Dinge« verächtlich äussert. Der Tag erreicht das höchste Ziel der Wonne, was in der Befriedigung liegen kann; die Nacht dagegen strebt nach dem, was nur im Wunsche und in der Ahnung empfunden wird, also nach einem Unendlichen. Und daraus entwickeln sich alle Erscheinungen, die durch Tag oder Nacht hervorgebracht werden. Der Tag gebiert die Ruhe, die Freude, die Lust, die Sicherheit seiner selbst, das Glück; denn er nährt sich von dem himmlischen Lichte der Sonne. Die Nacht dagegen erzeugt Bangigkeit, Wehmuth, Sehnsucht, verlangende heisse Liebe, Ahnung und Drang nach dem Höchsten, nach dem Unerreichbaren; denn kein Licht erhellt sie, aber jenseits der Finsterniss strahlen dem Hoffenden die ewigen Sterne, die mächtigeren Sonnen einer andern, aber fernen, unerreichbaren Welt. – Mozart, strahlender Sonnengott der Kunst, der Du uns mit Wärme, Leben und Wonne durchdringst, erfülle mich mit Deinem in göttlicher Freude schwelgenden[56] Geiste, wenn ich von Dir reden will! Wo wir hinblicken, entzückt uns der harmonische Geist der Ordnung des Beherrschers, der in allen Deinen Schöpfungen waltet. Alles dient dem Ganzen und ist darin gross, und doch hat es eigene herrliche Bedeutung. – Don Juan mit allen seinen Schauern und Schrecken ist in der That ein Werk, das mehr dem Tage, als der Nacht angehört. In die furchtbare, entsetzliche Geheimnisse bewahrende, Introduction fällt doch einiges Tageslicht. Sie gleicht einem durch Gewitterwolken schwarz und dräuend verhangenen Morgen, der aber mehr und mehr die feindlichen Gewalten besiegt. Plötzlich bricht der Feuerstrom der Sonne durch die zerreissenden Wolken und das Leben liegt vor uns in üppiger Herrlichkeit und Fülle und Kunst, schäumend und gewaltig, wie ein vollendeter Gebirgsstrom. Doch ist dieses Werk das mächtigste von allem, was Mozart je geschrieben. Der Schmerz der Anna geht in jene Welt hinüber und richtet sich aus der Nacht nach den Sternen hinauf. – Hier berühren sich beyde Meister. – Wie heilige Dämmerung noch das verglimmernde Sonnenlicht und zugleich schon die blinkenden bleichen Gestirne zeigt, so haben beyde ein gemeinschaftliches Element, darin schmelzen sich Wehmuth und Lust so wunderbar zusammen, dass das Ganze sich selbst nicht mehr kennt. Mit der einen Hand bieten wir der Nacht den Gruss des Willkommens, die andere drückt uns noch der schmerzlich Abschied nehmende Tag, und in diesem Momente, wo sie uns Beyde so nahe treten, erkennen wir sie als verwandte Geschwister. – Beethovens dämmernd hinaufsteigende Nacht ist Mozart's[57] wehmüthig sinkender Tag; seine Abendröthe ist Beethovens Morgenröthe, die aber nicht den Tag, sondern die Nacht verkündet. Beethoven steigt daher in seinen hellsten Momenten nur bis zu der Zeit hinan, wo der erste entzündende Morgenstrahl des Lichts am hohen Berggipfel glänzt, während Mozart in seiner düstersten Tiefe doch immer noch einen Strahl des versinkenden Tags in das bange Herz fallen lässt. So das ewige Requiem; denn auch in dieser Musik erbleicht ihm die Sonne unseres Tages, und durch die dämmernde Nacht leuchten ihm schon die Gestirne des Jenseit und durchdringen das Ganze mit göttlicher Ahnung. Darum fasst es die Seele so wunderbar und erhebt sie, ohnehin sie zu beruhigen, und tröstet sie, ohne ihr den Schmerz zu nehmen. Leben und Tod ringen noch; das Himmlische wird aber schon geahnet, empfunden; das Leben hält uns noch mit Liebe; es ist verklärender Todeskampf. – Ja der Sonnenaufgang, das Jenseit ist nahe. Die Nacht des tiefen, dunkeln Grabes wird durch rosige Lichtwolken dämmernd erleuchtet. Noch liegen die Todten in der Grufft; die Posaune des Gerichts donnert sie in dem erhabenen Tuba mirum auf; halb sind ihre Sinne noch irrdisch, schwer; aber in äusserster verschwebender Ferne vernehmen sie schon den süssen Laut der Engelstimmen; das Benedictus tönt herüber, wie wenn es die verklärte Cäcilie selbst seegnend hinhauchte. – Fürwahr, es bricht wirklich schon der Tag jener Welt herein, und hier geht der Meister weiter in der Ahnung, als Beethoven, dem nur die Sterne des Jenseit leuchten, da die Mozart'sche Nacht wenigstens durch eine Mondmorgenröthe[58] erhellt wird. – Der wunderbare Genius stand, als er diess Werk erschuf, schon in jener Welt; sie erschien ihm wie ein Traum, der aber schnell bey dem Entstehen verschwindet. Beethovens ganzes Leben hingegen bewegt sich in dieser göttlichen Ahnung; und eben darum muss er der irrdischen Wirklichkeit so ganz fremd seyn. Denn er hat Nichts von dieser Erde, als den Staub, der seinen Leib bildet. Sein erhabener Geist lässt ihn nie sich zur irrdischen Tiefe hinunterbeugen. – Die Gewalt des leuchtenden, siegenden, triumphirenden Tages, die in Mozart wohnt, ist in keinem Werke so allmächtig, als in der Symphonie C#. Schon der erste Satz, obschon vielleicht der schwächste, ist ein herrlicher Sonnentag mit blauem wolkenlosem Himmel. Im Adagio umfängt uns die geheimnissvolle Nacht des Waldes; Sonne und Himmel äugeln freundlich in die duftige Dämmerung hinein; die Waldwässer rauschen leise schauerlich neben uns. Plötzlich deckt eine Wolke Phöbus leichten Schild, düstere bange Nacht droht uns zu begraben – da bricht das seelig wonnevolle Thema wie Sonnenstrahl durch die Gewölke und der goldene belebende Strom des Lichts dringt mit erquickender Wärme ins Herz. Aber vollends der Schlusssatz! diess ist ein Feyertag der Welt, ein Sonnenaufgang über weiten Wassern, wo Himmel und Erde in zurück strahlender herrlicher Verdoppelung erscheinen. Mit leichter Anmuth entfalten sich die ungeheuersten Kräfte, die vier Elemente der Themate bauen eine Welt aus ihren einfachen Grundstoffen auf Himmel, Erde, Meer und Sonne, die erhabensten Gedanken des Weltall's, die[59] ungeheuersten Urmotive desselben, sind hier in solcher Uebereinstimmung und Harmonie gehalten, dass das Ganze leicht wie der Erguss des flüchtigen Augenblicks vor uns steht. Spielend stand dem Meister das Gewaltigste zu Gebote, wie ein Gott den Riesenschwung der Planeten um die Sonne zu einem lichten Tanz flammender Sterne macht. – Das ist aber die Tagesklarheit, die uns so vertraut mit dem Uebergrossen macht, indem sie es uns in seinem harmonischen Gleichgewichte darstellt, welches, indem es alle ungeheueren Kräfte gegen einander abwägt, immer in ruhiger Anmuth bleibt. – – Wie dagegen die Nacht geringe Gegenstände zu einer erhabenen schauerlichen Grösse erheben kann, so weiss der unendlich tief schaffende Genius Beethoven's aus einem Senfkorn einen Riesenbaum zu entwickeln. Man denke an die Symphonie Cb, wie die kleine schmerzlich hingehauchte Figur aus zwey Tönen unter der erzeugenden Kraft des Meisters zu ungeheurer Kraft emporschwillt und als donnernder Waldstrom zuletzt den Hörer auf unerbittlichen Wogen dahinreisst. Anfangs ist's ein leiser Luftzug, der durch die Wipfel der Bäume malerisch streift und sie im blossen Strahle des versinkenden Mondes leicht bewegt; aber die Schwingen wachsen ihm gewaltig und plötzlich brausst es als Orcan durch den Wald, dass die alten Stämme scheu und bebend die Häupter gegen einander drängen und die stolzen Kronen furchtsam beugen. Aber noch soll die Vernichtung des jüngsten Gerichts nicht hereinbrechen; wie eine zauberische Elfenkönigin tritt die melodische Grazie wieder ein und beruhigt schmeichelnd den empörten[60] Sturm; Leucothea, die selige, welche das wild gehobene Meer wieder zum heitern Spiegel des Himmels und der tröstenden Gestirne ebnet. Leicht, ätherisch schwebend wiegt sie sich im Glanze des Mondes dahin, und unser Herz folgt ihr mit unendlicher Sehnsucht und Wehmuth; sie ist uns eine Geliebte, von der uns die Klufft des Lebens weit unerreichbar scheidet. – Wahrlich, kein Meister vermag das Geheimniss der Liebe so ergreifend in Tönen auszudrücken, als Beethoven, wie je aber auch die Nacht die Sehnsucht eines liebenden Herzens in die heftigste Wallung bringt. Wo ist eine süssere, seligere Nacht der Liebe, die nur im Uebermaass ihrer Entzückung wieder ihren Schmerz erzeugt, geschildert, als in der Adelaide? Senkt sich nicht der ganze wunderbare Hauch einer südlichen Nacht auf uns nieder? Hören wir nicht die Klage der Nachtigall? Rauscht die Welle nicht melodisch unserm Ohr entgegen? Lächeln nicht aus dem dunkeln Blau des Himmels ewige Sterne liebevoll herab? Und durchschauen wir nicht den Garten der Geliebten, die wir in jenem fernschimmernden Marmorschlosse süss ruhend wissen, ja, die von uns träumt? – Wahrlich, dabey werden wir erst unseres eigenen Herzens bewusst; wer nie geliebt hat, erkennt daraus die Seligkeit der Liebe.

Vielfältig hat man auch Parallelen gezogen zwischen Tonkünstlern und Malern, und hierin hat man Mozart verschieden verglichen. In dieser Beziehung behaupten Manche, dass, gleich grossen Malern, in Mozart's Erfindung poetischer und artistischer Reichthum, unerschöpflicher Reichthum und Glück, und[61] er in seiner Ausführung bey weitem am glücklichsten in dem sey, was gross und prächtig, nicht so ganz auf dem Reinen in dem, was erhaben ist.

Carpani, der eine Vergleichung zwischen vielen Tonsetzern und vielen Malern angestellt hat, nennt unsern Mozart den Giulio Romano in der Musik.

Wo anders wird behauptet: Gleichwie Raphael Sanzio's einfache Grösse – Trockenheit, Kälte, störrige Reizlosigkeit eine Zeit lang in die romanische, Correggio's Farbenzauber leere Farbenspielerey, gezierte Licht- und Schattentändeley eine Zeit lang in die lombardische Schule brachte, so hat auch Mozart im Ganzen mehr Uebles als Gutes in seiner Schule veranlasst.

Der Vater Mozart's pflegte zu sagen: sein Sohn sey das in der Tonkunst, was Klopstock unter den Dichtern.

Man hat an Shakespeare gerühmt, und man kann es eben sowohl an Mozart, dass ihre Kunstschöpfungen auch auf das Volk Eindruck machen, dass sie auch den Ungebildeten Freude und Ergötzung gewähren. Von Mozart's grösseren Werken hat wohl nur die Zauberflöte wegen ihrer durch die meisten Parthieen verstreuten Anmuth, die die höchste Pracht gleichsam schonend verschweigt, allgemein gefallen. Den Don Juan ganz zu geniessen, ist schon mehr vonnöthen, aber man geniesst ihn wie den Hamlet, Macbeth, Romeo; man ahnet dunkel die lebendige Grösse, die göttliche Kraft, mit der hier die Geisterwelt in die irdische tritt, um sie zu zerstören. Idomeneo, Così fan tutte und Figaro haben dem Volke nie ganz behagen können, so wie Göthe's[62] Tasso, Iphigenie, Egmont und Claudine von Villabella.

Auch das Wunderbare wird in Shakespeare fast immer musikalisch vorbereitet, und dieses Dichters Geister sind gleichsam umgeben von seltsamen Tönen, durch die sie von der lebendigen Welt geschieden werden, und die selbst zu dem nüchternsten Gemüthe mit jenem süssen Schauder reden, den ausser ihm noch Niemand hervor zu rufen vermochte, als Mozart im Don Juan. Mozart ist denn auch der Einzige unter allen modernen Künstlern, der eine Vergleichung leidet mit Shakespeare. In ihnen Beyden erscheint uns das allseitige Leben in jenem warmen Glanze, der sich Niemanden beschreiben lässt, der ihn nicht selbst zu erblicken vermag; in ihnen Beyden ist kein Streit mehr zwischen dem Ideellen und Reellen, dem Intensiven und Extensiven, die hier in sicherster Vereinigung ruhen; in ihnen überhaupt ist von keinem Kampfe mehr die Rede, sondern wir erblicken nur die stille, ewig siegende Gewalt, die in sich selbst beschlossen ist, da sie das Uebersinnliche ergriffen hat. Sie ist bestimmt, begrenzt durch sich selbst, wodurch das Unendliche eine Erscheinung wird für die Phantasie. Das Vermögen dieser bestimmten sichern Begrenzung bey dieser Ansicht ist nur Mozart's und Shakespeare's Eigenthum.

Die Vorwürfe, die man dem grossen Britten gemacht hat, sind auch dem edlen deutschen Künstler zu Theil geworden. Das Komische und Tragische, sagt man von Shakespeare, liegt in seinen Werken auf eine seltsame Art durch einander geworfen, und[63] eben dieselbe Person, die uns durch die rührende Sprache der Natur Thränen in die Augen gelockt hat, macht uns in wenig Augenblicken darauf durch einen bizarren Einfall oder barocken Ausdruck ihrer Empfindungen zu lachen, oder kühlt uns doch dergestalt ab, dass es dem Dichter hernach sehr schwer wird, uns wieder in die Fassung zu setzen, in der er uns haben möchte. Göthe hat Shakespeare gerechtfertigt. Nur von Mozart, der doch so ganz einig ist mit dem ersten der modernen Dichter, weil er der erste Musiker ist, dauert das Urtheil fort: selbst geistvolle Verehrer seines Genie's sprechen ihn nicht frey von dieser Vermischung des Tragischen und Komischen. Allein hier ist's gerade, wo sie irren, denn es ist nicht das Tragische und Komische, welches er zusammenstellt, sondern das Romantische mit der Parodie desselben, so wie diess auch bey Shakespeare der Fall ist, der nicht eigentlich Tragödien und Komödien, sondern romantische Dramen schrieb. Kurz, Shakespeare wird im Mozart angetroffen.

Mozart und Shakespeare kommen auch darin überein, dass sie die einzigen Künstler sind, die dem Sinne des Zuschauers einen Geist erscheinen lassen können, an dessen Unbegreiflichkeit das Gemüth zu glauben gezwungen wird. Auch ist's gerade das Begreifen dieser Unbegreiflichkeit allein, das uns mit jenem süssen Schauer erfüllt, wenn die dunkle Gestalt des dänischen Königs über die Bühne schreitet. Wir fühlen bestimmt, dass keine einzelne Function hinreichend war, um diesen Geist hervor zu rufen, und auch der nüchternste Mensch nimmt hier den[64] einseitig klügelnden Verstand gefangen; damit er nicht die reine Receptivität des Gemüths störe. Doch fast noch allmächtiger wird der Geist des Gouverneurs im Don Juan wirken müssen, denn von ihm ist selbst die Sprache entfernt worden, durch welche Hamlets Geist uns näher befreundet wird. Jenen umgiebt eine Musik, für die die Sprache kein Wort zu sagen vermag, ausser dass sie keines für sie habe. Diese Töne des finstern Wesens sind durchaus grell geschieden von denen, die das klare Leben bezeichnen, auch wenn es, wie bey den meisten Personen dieser Oper, schon im Sinken ist. In der That, man dürfte den, der an dem Satze zweifelt, dass die Kunst die Darstellung des Unendlichen im Endlichen sey, nur in diese Oper führen, und er wird von der Wahrheit jenes Princips überzeugt werden müssen. Somit sind Shakespeare und Mozart die einzigen Künstler, die Geister auftreten zu lassen im Stande sind, welche sich wirklich als Geister geriren.

Tiefe, kühne, glückliche Griffe ins menschliche Herz und lebhafte Darstellung der Affecten sind ihnen Beyden gemeinschaftlich. Eben so der Hang und das Talent zum Grotesken, sowohl im Tragischen als im Komischen. Beyde trifft der Vorwurf einer gewissen Gleichgültigkeit gegen alte Kunstregeln: bey Shakespeare gegen die poetische Einheit, bey Mozart gegen den reinen Satz. Beyde hatten tiefes ästhetisches Gefühl, ohne ganz geläuterten Geschmack, aus Mangel wissenschaftlicher Bildung. Daher die öftere Verletzung des Schicklichen bey Shakespeare durch Anachronismen und Gräuelscenen, bey Mozart durch[65] die häufigen Contraste des Komischen mit dem Tragischen und durch bizarre Tongänge. Indessen war hieran ihr Publicum auch nicht wenig schuld. Dagegen unterdrückt Shakespeare wieder die Stimme der Kritik durch frappante Situationen, und Mozart durch frappante Modulationen.

Verstümmelungen und Ausscheidungen hat sich Shakespeare in Frankreich müssen gefallen lassen: und eben so ist auch die Zauberflöte daselbst verstümmelt und zerrissen worden. Bey der Zauberflöte war indess der innere Zusammenhang der einzelnen Theile so klar und in die Augen leuchtend, dass es in der That von jenem unberufenen Umarbeiter eine arge ästhetische Myopie voraussetzt, die, so lange sie noch nicht durch gute Hülfe von aussen her den organischen Zusammenhang und die technische Untheilbarkeit eines Kunstwerkes zu entdecken im Stande ist, es nicht wagen sollte, über bedeutende Compositionen deutscher Meister, viel weniger über die eines Mozart zu urtheilen.

Quelle:
Nissen, Georg Nikolaus von: Anhang zu Wolfgang Amadeus Mozart's Biographie. Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1828 [Nachdruck Hildesheim, Zürich, New York: Georg Olms, 1991], S. 48-66.
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