Die Entführung aus dem Serail, oder: Belmont und Constanze

[77] Deutsches Singspiel in drey Acten.


Dieses componirte Mozart auf Befehl des Kaisers Joseph II. für das deutsche Nationaltheater in Wien 1782 nach Bretzners Texte. Es giebt dieses Stück zugleich einen schönen Zug Josephs, der den Geschmack an italienischen Opern durch deutsche Singspiele zu verdrängen suchte und mehr für das Vaterländische stimmte, wesshalb er die Composition dieses Stückes aufgab.

Dieses Kunstwerk schuf Mozart in seinem Bräutigamsstande, daher fühlt man auch den Einfluss, den diese Seelenstimmung auf diese Composition hat. Sie ist voll süsser Gefühle schmachtender Liebe, und hierin spricht sich auch Mozart's musikalisches Leben und Weben und seine Originalität aus. Im Ganzen hat dieses Stück noch den gewöhnlichen Zuschnitt[77] deutscher Singspiele. Die Ouverture hat gegen Mozart's sonstige Gewohnheit noch ihre drey Sätze, Allo, Andante und Allo, und keine Finalen. Daher schadet die Ouverture durch die schleppende Verzögerung der Ueberraschung; und statt sonstigen Finalen schliesst der erste Act mit einem Terzette, der zweyte mit einem Quartett und der dritte nach Hillers und Standfuss hergebrachter Weise mit einem Rundgesange, wo jede Person zu guter letzt ihr Verschen singt.

Im Ganzen, abgerechnet die Fehler seines Zeitalters, ist der Plan dieses Singspiels vortrefflich und die Fabel vielleicht das vernünftigste aller übrigen Opernsujets. Die Charaktere sind, wie sich von Bretzner erwarten lässt, vortrefflich gezeichnet und von Mozart noch vortrefflicher colorirt.

Constanze ist ganz das leidende und treu liebende Mädchen; in ihrer Partie zeigt sie bange Sehnsucht und ist von Muth beseelt, wenn es darauf ankommt, ihrem Geliebten treu zu bleiben oder mit ihm zu sterben. Ihre Arie: Ach, ich liebte! war so glücklich! lebt ganz in der Phantasie der hellsten Erinnerung. Und welche Schwermuth, welcher nagende Kummer scheint die Musik in der zweyten Arie: Traurigkeit ward mir zum Loose etc. selbst zu verzehren in den Worten: Gleich der Wurm-zernagten Rose, gleich dem Gras im Wintermoose, welkt mein banges Leben hin. Welche Malerey in der letzten Zeile, welches lebendige Bild des Hinsterbens in der Instrumental-Begleitung, wo das Horn decrescendo fortsingt, der Fagott in ziehenden Noten schmelzt, und die Geigen wie die übrigen Instrumente[78] sterbend abwärts sinken! – Wie wahr sind Musik und Worte: Selbst der Luft darf ich nicht klagen meiner Seele bittern Schmerz; denn unwillig sie zu tragen, haucht sie alle meine Klagen wieder in mein armes Herz!

Der Heroismus in der Arie: Martern aller Arten etc. ist ausserordentlich und charakterisirt die treue und standhafte Liebe. Und wessen Thränen flossen nicht beym letzten Duette, wo Belmont und Constanze sich, wechselnd tröstend, zum Tode bereiten?

Belmont ist ein schönes Ideal eines treuen Liebhabers. Wie malt sich sein Muth, für sein Mädchen Alles zu wagen, und die Angst, sie vielleicht für sich verloren zu sehen! Die malerische Arie: Ach wie ängstlich, ach wie feurig klopft mein liebevolles Herz etc. ist sie nicht die reinste Sprache des liebesehnenden Herzens! Wie schön malen die Violinen das Pulsiren des ängstlichen Herzens; und bey der Stelle: War das ihr Lispeln? war das ihr Seufzen? Wie passend steht das Flötensolo da! Die Declamation des kurzen Recitativs mit nachahmender Oboe ist so redend, als durch die Instrumentation eigenthümlich charakterisirt. – Die Melodie der zweyten Arie: Wenn der Freude Thränen fliessen etc. ist schwärmerische Liebe, der Abdruck der zärtlichsten Empfindung. – Die dritte Arie: Ich baue ganz auf deine Stärke, vertrau, o Liebe, deiner Macht! etc. wird durch Zuversicht, durch starken Glauben der Liebe mit allmächtigem Odem beseelt, und bietet einen festen Glanz in der Melodie dar. Wie sicher tritt der Bass auf! welche Wärme und frohe,[79] sich mit diesem Glauben verschwisternde Hoffnung malen die kurzen und heiteren Zwischenräume der Hörner und Clarinetten in die zuversichtliche Declamation? Sie bilden einen glänzenden Pallast werdender Seligkeiten, die gewisse Aussicht auf den süssen Lohn der Liebe, auf den festen, unwandelbaren Grund der Treue.

Blonde, die freie, auch in der Sclaverey das Gefühl ihrer Würde nicht verlierende Engländerin, entzückt durch Naivetät und erheitert durch ihre Launen. Solche naive Mädchencharaktere waren überhaupt Mozart's Lieblingsarbeit. – Die Arie: Welche Wonne, welche Lust! ist voller Feuer und athmet muntern Geist, daher bewegt sich die Melodie rasch und die Flöten charakterisiren das frohe Mädchen. Bey der Stelle in dem Duette mit Osmin: Ich gehe, doch rathe ich dir etc. kann man sich kaum des Lachens enthalten: wie drollig parodirt sie ihren alten grämlichen Osmin! Die Wirkung der meisterhaften Stellen Blondchens: Nicht so viel, du armer Geselle etc. und Osmins: Wahrhaftig nicht eh' von der Stelle etc. ist ganz der Natur abgeschrieben.

In Blondchens erster Arie: Durch Zärtlichkeit und Schmeicheln etc. beweisst Mozart seine Meisterschaft im Gebrauche der Instrumente, wo er die blasenden weglässt, und Alles mit Geigen, Viola und Violoncello accompagnirt.

Pedrillo's lustigen, gewandten und feigen Charakter bezeichnet seine Arie: Frisch zum Kampfe etc., worin er sich Muth einsprechen will und doch seinen eigenen Worten nicht traut. Die Tonart der Entschlossenheit D# will sich zwar geltend machen,[80] aber das Accompagnement, und besonders die originell angebrachten Trompeten, die immer da schweigen, wo sie laut werden sollten, widerspricht dem Texte beständig, wie Pedrillo's inneres Gefühl seinen Worten. Wie zitternd accompagniren die Geigen bey den Worten: Sollt' ich zittern, sollt' ich zagen? – Sogar der Declamation merkt man den bloss geborgten Muth an, hingegen die Stelle: Nur ein feiger Tropf verzagt etc. singt er aus völliger Ueberzeugung. Diese Arie ist überhaupt eine der durchdachtesten, die Mozart je componirte. – Der unerwartete Trompetenstoss bey Pedrillo's Stelle in der Fermate: Frisch zum Streite! etc. ist mehr ein Angstgeschrey, als wirkliche Aufforderung. Und die Angst in der Romanze: Im Mohrenland etc. ist unverkennbar, da sie sich in die entferntesten Töne verliert. Mit diesem sonderbaren Tonstücke wollte Mozart wohl nicht allein die Romanze und die Mitternachtszeit charakterisiren, sondern auch zugleich Rücksicht nehmen auf den Sänger und die Umstände, unter denen sie gesungen wird.

Osmin ist ganz, was er seyn soll, ein grober, niederträchtiger Türke. Sclavensinn und die ihm so nahe verwandte sinnlose Grausamkeit und läppische Brutalität charakterisiren diese orientalische Nichtswürdigkeit in scharfen Umrissen. Wie grell hallt seine Grausamkeit durch den wilden Eisenton der Janitscharenmusik in dem, die Musik der Morgenländer charakterisirenden, wilden Ab: Erst geköpft und dann gehangen etc. wieder! Und wie ist der Ausdruck der wilden, barbarischen Grausamkeit mit schreyenden Farben aufgetragen bey der Stelle: Dann[81] gespiesst auf heissen Stangen etc., was durch den Triangel unwillkürlich gemalt wird; man hört die Eisen klappern. Welche Wuth schwellt die wild in einander heulenden und winselnden Blasinstrumente bey der Stelle: Dann getaucht, dann gebunden etc. hier spricht schon die Musik allein. Die wilde rohe Schadenfreude in der Arie: Ha! wie will ich triumphiren! etc. ist empörend. Man wendet sich mit Abscheu von dem Ungeheuer und scheint selbst Mozart zu verkennen. Wie hart und unbeugsam ist der Gang der Melodie, und wie viel Wahres liegt in dem ersten Unisonosatze bis zu der Stelle: Und die Hälse schnüren zu etc. Der Accent, der auf das »und« gelegt ist, so wie die schnelle Wiederholung des »schnüren zu« ist voller Wahrheit und zeugt von tiefem Studium. – Die dritte Arie: Solche hergelauf'ne Laffen etc. giebt das einzelne Bild seiner rohen Schlauheit und abgeschmackten Brutalität. Er bemüht sich, dem listigen Pedrillo begreiflich zu machen, dass er gewaltig klug wäre, und betet ihm wiederholt vor: Ich hab auch Verstand! das Gewöhnliche jener Leute, die keinen haben, dass sie desto öfter damit prahlen. Die Wiederholung, und immer einen Ton höher, bis auf die Letzt das nachdrückliche »Ich« unter dem Ruhepuncte, und hinterher – »hab' auch Verstand« ist voller Wahrheit. Dann im schnellern Zeitmaase, mit eilends nach einander folgenden Sylben: Drum beym Barte des Propheten etc. ist ganz die Sprache solcher kleinen elenden Tyrannen, die bey jeder Gelegenheit ihren Untergebenen ihre Gewalt fühlen lassen. Alsdann die in schnell aufsteigenden Noten wiederholte Drohung:[82] Nimm dich in Acht etc. – Sogar in seinen Liedern der Liebe ist der Kerl fatal, wie in seinem schleppenden Vortrage des Liedchens: Wer sein Liebchen hat gefunden etc. wie ganz in seinem Charakter in Gb, und wie träge schreitet Melodie und Zeitmaass! Alles deutet darauf hin, dass der Kerl gar nicht fühlt, was er singt, und dass er gedankenlos trällert. Auch sein »Trallera« ist höchst erbaulich und reizt mehr zum Einschlafen, als zur Freude. In diesem Liedchen erscheint Mozart allein schon als grosses Genie. Selbst das Ritornell ist ein Kunstgriff, indem er die Melodie des Schlusses angiebt. Hierdurch will er uns überreden, Osmin habe schon lange im Hause gesungen, eh' er herauskam, und was wir hören, sey bloss die Fortsetzung des Liedchens, das er inwendig anstimmte.

Dieser Osmin, so schläfrig bey Liebe und Freundschaft – was gar nicht in seinem Charakter liegt – wie ganz anders erscheint er, wenn vom Hängen und Spiessen die Rede ist, wie geräth er da in Feuer und Flammen! Man fühlt die grausamen Arien: Erst geköpft und dann gehangen etc. und: Ha! wie will ich triumphiren etc. wo der Charakter in grellen Zügen am Tage liegt.

Da das Stück irgend an einem Orte der Türkey spielt, so hatte Mozart Gelegenheit, Janitscharenmusik anzubringen: und wie vortheilhaft er diess that, beweisst die Ouverture, so wie die Partieen Osmins und der Türkenchöre, die ganz im asiatischen Style geschrieben sind und ausserordentlich wirken. Die Türkenchöre bey der Ankunft des Lustschiffes und am Schlusse athmen einen starken, kühnen Geist,[83] zumal das erstere: Singt dem grossen Bassa Lieder etc. Auch beym Trinkliede: Vivat Bacchus etc. ist die Janitscharenmusik sehr gut angebracht; sie tritt ein, sobald Osmin den ihm vorgesungenen Vers nachsingt.

Und nun das unnachahmlich schöne Quartett zum Schlusse des zweyten Actes. Welche Haltung der Charaktere! Welche Beleuchtung der Empfindungen, wie richtig gedacht und wie meisterhaft durchgeführt! Man müsste es vielmals hören und die Partitur auswendig lernen, um alle die namen- und zahllosen Schönheiten ganz zu verstehen, wie namentlich die feine Nuance in dem canonischen Satze: Ich verzeihe deiner Reue etc.

Blondchen ist ein edles Mädchen, Constanze ist aber in Hinsicht auf ihre Bildung und Empfindungen weit über sie erhaben; denn Constanze vergiebt eher als Blondchen, und diese scheint blos dem schönen Beyspiele ihrer Gebieterin zu folgen, indem sie ihr den angefangenen Canon abnimmt und ihrem Pedrillo die Hand zur Versöhnung reicht. Im Tutti bey: Nichts fache das Feuer der Eifersucht an etc. spielt die Trompete eine sehr vortheilhafte Rolle, denn indem sie diapasonisch mit der Singstimme geht, hebt sie den Ausdruck der Stelle gewaltig.

Die Scene vor dem Schlusschore zwischen Belmont und Constanze, wo sie sich wechselnd zärtliche Vorwürfe machen, dann wieder trösten und auf ihr Schicksal vorbereiten, ist der Triumph der ganzen Oper, das correcteste Gemälde liebender Leiden und erhabenen Duldens, von der traurigen Hoffnung überdämmert, dass ein gleiches Schicksal Beyde treffen werde.[84]

Welcher Odem himmlischer Ahnung weht aus der Melodie und Begleitung der Stelle: Mit dem Geliebten sterben, ist seliges Entzücken. Mit wonnevollen Blicken verlässt man da die Welt.

Und nun eine Uebersicht der mannigfaltigsten Charaktere, der verschiedenen Situationen in dieser Oper; eine Parallele zwischen Constanze und Belmont, mit dem rauhen Osmin: welcher Unterschied! Dort die sanften Töne der zärtlichsten Liebe; hier der Ausbruch wilder und geistloser Brutalität! Und wie schön paaren sich alle diese Widersprüche zum vollendeten Ganzen!

In diesem Stücke schäumte gewissermaassen der junge Geist Mozart's auf, er fühlte zum ersten Male seine Kräfte, die plötzlich hervorgetriebenen Blüthen des jungen Kernstammes nach der wohlthätigen Erschütterung des ersten Frühlingsgewitters. Im Idomeneo versuchte er seine Schwingen; hier fliegt er kühn zum Olymp. In der Folge zieht sich die emporstrebende Kraft, nachdem sie einmal ihren Flug versucht hat, in die bescheidenen Schranken der Regelmässigkeit zurück.

Der orientalische Styl dieser Oper, der in späteren Opern Mozart's nicht wieder anzutreffen ist, darf hier nicht unberücksichtigt gelassen werden. Nirgends finden sich in anderen Werken Mozart's Reminiscenzen dieser Schreibart.

Quelle:
Nissen, Georg Nikolaus von: Anhang zu Wolfgang Amadeus Mozart's Biographie. Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1828 [Nachdruck Hildesheim, Zürich, New York: Georg Olms, 1991], S. 77-85.
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