Mozart und die Eigenthümlichkeit seiner Werke.

[23] Nach dem vorhin angegebenen Verzeichnisse der Werke Mozart's bedenke man, wie ausserordentlich Viel er in einem kurzen Leben in allen Gattungen und Arten der Musik, vom kleinsten bis zum grössten, vom Einfachsten bis zum Zusammengesetztesten und Verwickeltsten in so mannichfaltigen Werken geliefert hat. Hätte man unter diesen zahlreichen Schöpfungen seiner genialen Einbildungskraft und seines durch Studium und Erfahrung gebildeten Kunstsinnes, womit sich die vertrauteste Kenntniss aller Kunstmittel verband, hätte man unter diesen Producten nur in jeder Gattung, ja nur in einer, eines der vorzüglichsten; kennte man z.B. nur eine seiner herrlichen Symphonieen, wie die hinreissend grosse, feurige, kunstreiche und pathetisch erhabene in C#; nur eines seiner schönen Clavierconcerte; nur eines seiner ausgezeichneten Quartetten, Quintetten, Trio's; nur Eine seiner im Ernsten wie im Heitern und Romantischen[23] gleich bewundernswerthen Opern, seine Entführung aus dem Serail, oder seinen Don Juan, das anerkannte Meisterstück der theatralischen Musik; unter so manchen würdigen Compositionen für die Kirche sein erstaunenswerthes Requiem – so würde man ihn schon für eines der ersten Genie's der neuern Zeit erkennen müssen. Und nun hat er sich in allen diesen verschiedenen Fächern mit so hoher Originalität der Erfindung, mit so viel Geschmack, Einsicht und meisterhafter Gewandtheit zugleich hervorgethan! Dazu kommt noch, dass Wenige, wie er, die Gründlichkeit, den Ernst und tiefen Gehalt der Musik mit den Reizen und der Anmuth der modernen und antiken Musik so glücklich vereinigten. Der Anbeter eines Seb. Bach war selbst der gewandteste Contrapunctist und zugleich ein anderer Gluck in der pathetischen dramatischen Musik. Er verband den Gehalt und die Würde der deutschen mit dem Zauber und der Lieblichkeit der italienischen Meister, ohne desswegen minder originell zu bleiben. Rechnet man hiezu seine glänzende Virtuosität auf dem Pianoforte und von Seiten seiner Denkungsart seine, bey allem richtigen Selbstgefühl, für Seb. und K. Ph. E. Bach, Händel, Gluck, Jos. und Mich. Haydn u.a. bewiesene Hochachtung; seine Gefälligkeit, die Wünsche der Kunstfreunde zu erfüllen, und überhaupt das Sanfte und Menschenfreundliche seines Charakters; so wird man mit Bewundrung und Rührung das Andenken eines Künstlers feyern, welcher der Stolz Deutschlands und des ganzen gebildeten Europa bleiben wird, so lange der Sinn für geistvolle Ausübung der Tonkunst in ihrem ganzen Umfange, frey von[24] aller tadelsüchtigen Einseitigkeit und Beschränktheit, die Gemüther der Gebildeten belebt und erwärmt. (Gerber.)

Nachdem Busby von Haydn gehandelt hat, geht er auf Mozart über und sagt: Von der Betrachtung solcher Talente und Kenntnisse, wie Jos. Haydn besaas, zur Würdigung der natürlichen und erworbenen Fähigkeiten eines Tonsetzers, wie Mozart, übergehen, heisst das Vergnügen jenes Uebergangs zu empfinden, welcher den entzückten Naturfreund von einer blühenden Flur auf die andere oder in einen Garten bringt, worin die Blumen, zwar nicht von derselben Gattung wie die ersten und nicht so geordnet sind, um dem geblendeten Auge dieselben irdischen Constellationen darzubieten, aber doch gleichfalls mit dem Glanze der Gestirne wetteifern, und nur die Schönheit einer andern Hemisphäre zu entfalten scheinen. Allein Mozarts schöne Erzeugnisse waren, wo nicht glänzender, doch weniger einförmig, als die gleichmässig dauerhaften immer blühenden Werke Haydn's, und erforderten bloss einen länger von dem vereitelnden Ueberfalle der Sterblichkeit freien Boden, um nicht weniger zahlreich zu seyn.

Nachdem man allmählig mehr auf das Leichte, Populäre, Sentimentale hinarbeitend, mit Ausnahme weniger Meister, sich immer weiter von der alten Seb. Bach'schen Gründlichkeit entfernt hatte, trat Mozart auf, der, mit tiefer Verehrung für Bach erfüllt, in seinen eigenen Compositionen italienische Anmuth mit deutscher Kraft, und merklich mit Bach'scher Kunst (in dem Reichthume der Harmonie und in den melodischen figurirten Bässen, in contrapunctitischer[25] Behandlung überhaupt) verknüpfte, und nebst Jos. Haydn eine neue Epoche der Tonkunst begründete, mit welcher derjenige moderne Styl begann, dessen Reichthum, Fülle und Glanz sich auf der Bühne, im Concert und in der Kirche zu verbreiten anfingen. So viel aber die vielseitige Ausbildung der Instrumentalmusik hierdurch gewann, so ging doch zum Theil dadurch oft die grössere Einfalt und Würde des Kirchenstyls verloren.

Indessen erschienen Mozarts geniale Werke mit ihrem Reichthume an neuen Ideen, ihrem romantischen und humoristischen oder pathetischen Geiste, ihrer epischen Grösse und Pracht, und mit all' ihren Reizen und Schönheiten der Melodie und der harmonischen Ausführung. Dieser Genius, dessen Lob nie genügend ausgesprochen, dessen Name vom Kunstjünger nie zu sehr verehrt werden kann, dessen Ruhm ewig leben wird, war ganz Liebe und Harmonie, ein Nachhall des Schwanengesangs, der, mit Engelsharfen vermischt, die Seligen in den Gefilden der Ewigkeit einst empfängt. Bey ihm waltet nicht dieser innere Kampf, der die menschlichen Naturen zerwühlt, bey ihm werden Mühe und Anstrengung nie sichtbar, jeder Satz scheint sich an den vorhergehenden reihen zu müssen, Alles ist so leicht, so natürlich, so rein und eben so tief, als das unermessliche Blau des Himmels an einem schönen Frühlingstage. Daher erregen seine Werke, obenhin leicht betrachtet, jetzt nicht weniger Bewunderung als andere Meisterwerke, deren reine Verhältnisse und vollkommene Symmetrie fallen nicht so sehr in's Auge, als eine etwas fehlerhafte Anordnung, und[26] man erkennt bey dem ersten Blicke die gigantischen, aber herrlich gestellten Massen nicht1. Dringt man aber tiefer, so erscheint die wahre Schöne, die colossalische Tiefe und Grossheit der mit höchster Kunstvollendung verknüpften Elemente, man knieet nieder und betet an.

Mozart gehört in die Zahl derjenigen, die möglichst unabhängig vom Modegeschmacke der Zeit, nach dem Ideale ihres Geistes arbeiteten, und Gründlichkeit mit Feinheit und Schönheit der Behandlung in ihren Producten zu verbinden wussten.

Frühzeitigen Talenten drohen aber auch gewöhnlich grosse Gefahren; denn indem man sie zu Anstrengungen reizt, gehen sie gegen die Kindesnatur. So nur bey unserm Mozart. Er spielte schon in seinem 6ten Jahre brav, im 7ten und 8ten schrieb er Sonaten, im 12ten oder 14ten ein Te Deum, was wir noch jetzt nicht ungern hören! – So glaubt ihr wirklich, mit eurem Kinde dieselbe Ausnahme zu erfahren, die die Natur in fast einem vollen Jahrhunderte (seit Händel) nur ein Mal machte? glaubt, weil ihr ein Loos in der Lotterie habt, den grössten Gewinn zu erhaschen (dieser Vergleich sagt noch viel zu wenig), und macht in dieser Zuversicht den ganzen Zuschnitt des Lebens darnach?!

Ich frage auch nicht: war denn Mozart glücklich? – Ich habe ihn gekannt, er war es nie. Ich erinnre euch auch nicht daran, wie kurz sein Leben war. Ihr würdet wohl nur sagen: so brachte er Glück und Leben der Kunst zum Opfer! so steht er darum vor[27] aller Welt um so höher da! – Ihr habt Recht. Aber das ist gewiss, Mozart wurde in früher Kindheit weniger gereizt, weniger in der Kunst angestrengt, nicht einmal wissentlich zu ihr geleitet, sondern nur sich selbst überlassen, ja sogar zurückgehalten, bis seine ganz eigenthümliche Natur von selbst unaufhaltsam hindurch brach und unverkennbar ankündigte: Dieser soll einmal unter Millionen allein ganz gegen die Regel gerathen. Nun so wartet's nur still ab, ob sie über euer Kind dasselbe unwiderstehliche Machtwort zu sprechen, und ihnen diess grosse, nur Anderen wohlthätige Opfer aufzulegen vorhabe.

Mozart schrieb seine Noten in seiner Kindheit für sich auf Papier, wie es ihm eben zur Hand war; kleine Notenköpfe, aber verhältnissmässig grosse Schwänze. Die Noten sind einander sehr gleich, recht deutlich und ohne alle Abkürzungen; selbst das Forte und Piano etc. schrieb er durch alle Stimmen der breiten Partituren ganz genau bey; in späteren Jahren hingegen schrieb er sehr nett, nicht selten mit Verbesserungen, wo er denn das eben Geschriebene mit den Fingern auswischte, oder das schon getrocknete mit einem einzigen dicken Kreuz verdammte. Radirt hat er wohl nie, und eben so hat er selten was nachgetragen und eingehängt.

Mozart's Körper kränkelte in seiner letzten Lebenszeit und litt besonders an äusserst leichter Reizbarkeit der Nerven, und wurde, wie sich wohl psychologisch erklären lässt – überhaupt sehr furchtsam, was er auch schon früher war, besonders viel von Todesgedanken beunruhigt. Nun arbeitete er so viel und schnell, – freylich desshalb zuweilen auch[28] flüchtig, – dass es scheint, er habe sich vor dem Aengstenden der wirklichen Welt in die Schöpfungen seines Geistes flüchten wollen. Seine Anstrengung ging dabey oft so weit, dass er nicht nur die ganze Welt um sich her vergaass, sondern ganz entkräftet zurücksank und zur Ruhe gebracht werden musste. Jedermann sah, dass er sich auf diese Weise bald aufreiben müsse. Die Zuredungen seiner Gattin und seiner Freunde halfen nichts, die Versuche, ihn zu zerstreuen, eben so wenig. Er that Etwas seinen Lieben zu Gefallen, fuhr mit ihnen aus; nahm aber an Nichts mehr wahren Antheil, sondern lebte immer fort in seinen Phantasieen, aus denen ihn nur zuweilen ein Schauder vor dem Tode, der sich schon um sein Gebein zu winden anfing, erweckte. Seine Gattin bestellte oft heimlich Personen, die er liebte: sie mussten ihn zu überraschen scheinen, wenn er sich wieder zu tief und anhaltend in seine Arbeit versenkte: er freute sich zwar, blieb aber dennoch beym Arbeiten. Sie mussten nun viel schwatzen: er hörte Nichts: man richtete das Gespräch an ihn: er ward nicht unwillig, gab einige Worte dazu, schrieb aber fort.

In dieser Zeit und traurigen Gemüthsstimmung schrieb er bekanntlich die Zauberflöte, La Clemenza di Tito und sein Requiem. Schon über der Zauberflöte versank er, dem Tag und Nacht gleich war, wenn ihn der Genius ergriff, in öftere Ermattung und minutenlange halb ohnmächtige Bewusstlosigkeit. Die Musik dieser Oper hatte er recht lieb, obschon er über manche Sätze, die gerade den allgemeinsten Beyfall erhielten, lachte. Man hat zwar das Seltsame[29] des Gesanges der geharnischten Männer, während der fromme Tamino die Pamina durch Feuer und Wasser führt, und die wunderleisen grillenhaften Uebergänge und besonders Ausgänge der Melodie in mehren Kritiken bemerkt, aber die eigentliche Pointe, von welcher jene Sonderbarkeiten abhangen, nicht angemerkt. Die schwarzen Männer singen nämlich unter dem düstern melancholischen Accompagnement die uralte Kirchenmelodie etc.

(Rochlitz.)


Mozart konnte seine Zauberflöte wegen Kränklichkeit einmal nicht selbst dirigiren, desshalb legte er zu Hause die Uhr neben sich und hörte im Geiste die Musik. »Jetzt ist der erste Act aus – jetzt ist die Stelle: Die grosse Königin der Nacht etc.« sagte er, und dann ergriff ihn wieder der Gedanke, dass das Alles für ihn bald ganz vorbey seyn werde, und er schauderte zusammen.

Busby sagt: Die Ouverture der Zauberflöte und die der Clemenza di Tito und das Requiem durch Flights und Robsons erstaunenswürdige cylindrische Orgel zu hören, heisst die Wunder der Musik und der Mechanik in kunstreicher Composition und im Instrumentenbaue kennen lernen.


So sehr auch Mozart als ausgezeichneter Künstler anerkannt wurde, so blieb er doch auch nicht frey von Tadel. Hier einige Beyspiele:

Gerade desshalb, weil Mozart Genie war, hatte er weit mehr Fehler, als andere Componisten.2[30] Das Genie will Alles umfassen, kümmert sich nicht um Regeln oder ältere Vorbilder: die Meisterbahn, die so viele Andere vor ihm betraten, verschmähend, will er selbst Original seyn und alle Uebrigen, die mit ihm in die Schranken treten könnten, übertreffen.

Ueber Mozart's eigenhändigen Katalog seiner Werke heisst es ferner: Diese Ueberschwemmung von Arbeiten beurkundet zwar die Fruchtbarkeit seines Talents, aber zugleich ihre Aehnlichkeit einer Ueberschwemmung, welche Alles verheert und Erde und Pflanzen, Steine, Holz und Wasser unter einander wirft. Seine Werke enthalten Gutes, Mittelmässiges und Schlechtes, ganz Schlechtes, wesshalb sie keines solchen Aufhebens werth sind, als seine Verehrer davon machen. Ich behaupte, dass die Melodie in den Singstimmen nicht selten gezwungen und schleppend ist, und den natürlichen Fluss entbehrt, welcher den italienischen Gesang auszeichnet. Seine Harmonie ist rauh, hart und gesucht: die Quartetten, Quintetten, Septetten und Finalen seiner Opern sind allzu überladen: ja, wie oft sogar hat er sich gegen den gesunden Menschenverstand versündigt! Ist wohl das letzte Finale der Zauberflöte mit der gesunden Vernunft zu vereinbaren, da er die drey Knaben in so schweren Tönen singen lässt, welche selbst einem erfahrnen Sänger auszuführen Mühe kosten würden! – Im Tito singt Sextus, von Gewissensbissen gequält, zu Titus ein Rondo! Ist das Sextett aus Es# im zweyten Acte des Don Juan, in welchem die Spitzbüberey des Leporello entdeckt wird, nicht in einem höchst tragischen Style geschrieben, anstatt dass es nur theilweise einen tragischen[31] Anstrich haben sollte? (mezzo carattere.) – Im letzten Duette des Don Juan mit Leporello aus E# sind die Flöten ganz gegen ihre Natur gesetzt, dergestalt, dass auch der geübteste Spieler nicht im Stande ist, die so schweren Stellen mit Deutlichkeit und Reinheit auszuführen. Noch ist eine Arie der Donna Anna aus D#, welche, man mag das Zeitmaass noch so geschwind nehmen, immer für die Singstimme zu schleppend bleibt, hingegen für die Begleitung stets zu schnell ist, so dass ein Mischmasch daraus entsteht. In den Arien überhaupt ist er, wenige ausgenommen, niemals glücklich gewesen, weil die Begleitung meistentheils nur aus Nachahmungen besteht, nämlich: wenn die erste Violine eine Idee beginnt, so wird diese von der zweyten, von der Viole oder dem Basse, oder von Blas-Instrumenten wiederholt, so dass die Instrumente eine von der Singstimme ganz verschiedene und eigene Sprache reden. Und wie oft offenbart es sich, dass sein Haupt-Instrument das Clavier war und er wenig von der Natur der Instrumente verstand, indem er für sie setzte, was ihm eben beliebte, ohne sich um die leichte oder schwere Ausführung zu kümmern.

Die Begleitung muss einfach, natürlich und fasslich seyn; dann gewinnt sie an Ausdruck, Energie und Effect. Aber man soll für ein Orchester keine Concerte setzen und mit Gewalt die Saiten-Instrumente mit einer übertriebenen Anzahl von lärmenden Blas-In strumenten übertönen, wie Mozart gethan hat, als Posaunen, Hörner, Flöten, Oboen, Clarinetten, Fagotten, Trompeten und Pauken, welche sich alle vereinigen, den armen Violinen sowohl als[32] den Singstimmen den Krieg zu erklären. Ich verdamme in dieser Rücksicht daher jeden Tonsetzer, er sey Deutscher oder Italiener; doch in den italienischen Opern sind die Instrumente weit weniger gemissbraucht, als in den deutschen. Wo man aber solche Fehler findet, sind sie tadelnswerth und abscheulich, weil ein solcher üppiger Luxus zur Barbarey führt, und alle philosophischen Musiker sollten sich der Verbreitung eines solchen ausgearteten und verdorbenen Geschmackes widersetzen. Wo ist der Sänger, dessen Stimme durch das Geräusch der Harmonie, durch die aufgehäuften Accorde und die Millionen von Noten durchzudringen vermag? Man könnte mit Recht sagen, dass die Instrumente singen, und nicht der Sänger. Von allen Opern Mozart's, obgleich viel Triviales darin ist, halte ich die Zauberflöte für die melodieenreichste. Es herrscht Einfachheit und Sparsamkeit darin. – Die Arie: Diess Bildniss ist bezaubernd schön etc. nennt er einen Gassenhauer! – Einige Stücke ausgenommen, ist Tito so trocken und langweilig, dass diese Arbeit weit eher für die ersten Früchte eines aufkeimenden Talents, als für die eines ausgebildeten gelten kann. Es leuchten nur einige Genieblitze hervor, welche zeigen, was Mozart bey besserer Leitung hätte werden können. Das Wenige, was mir die Italiener geben, macht mir mehr Vergnügen, als alle Reichthümer der Deutschen, weil das Wenige zu Herzen geht, hingegen jener Reichthum Nichts.

Dieser Schaul lässt nicht einmal das Urtheil gelten, was Jos. Haydn 1785 zu Mozart's Vater über Mozart äusserte, der damals 29 Jahre alt war, »weil[33] das Urtheil ein Doctor der Musik fällte, und die Gelehrten oft das Wissen und das Ungewöhnliche eines Talents nur desswegen beloben, um ihre persönlichen Eigenheiten zu rechtfertigen.« – Schaul behauptet, die Ouverturen Mozart's sind nie im Stande, die Wirkungen hervorzubringen, als die Jomelli's, die man eigentlich nur Ouverturen nennen kann.3

Nachdem nun dieser Schaul den Jomelli, den er den Gott der Harmonie nennt, Salieri und Andere, deren Ruhm Niemand schmälern wird, bis in die Wolken erhebt, sagt er noch: Wenn Mozart seine Unzulänglichkeit gefühlt hätte und den wahren Trieb zur Kunstausbildung, so würde er barfuss nach Bologna gewandert seyn, um Martini, den Nestor der Musik, zu Rathe zu ziehen. (Man weiss übrigens, dass Mozart den Martini schon kannte und ihn im Jahre 1770 besucht hat.)

Anderswo4 heisst es, Mozart habe kaum den Beruf zu einem Clavierspieler, und die Kritik schliesst so:Si puo far di più per far stonare à professori? womit besonders der Anfang des Quartetts gemeint ist.

Rochlitz selbst sagt, dass Mozart in den Feldern seiner Kunst als Fürst herrschte und glänzte, dass es aber doch einige giebt, worin er sich als unbedachtsamer Wanderer verirrte.

Anderwärts ist er auch ein Sänger des Waldes ohne Idealität genannt worden.[34]

In Italien heisst es: Wir bewundern tief Mozart's Opern, aber nicht als Gesangmusik. (Dieses erklärt sich nun aus dem Sinne und Geiste der Nation, aus dem Stand und Gange ihrer musikalischen Cultur und aus ihrer Sprache.) Sie sagen: »seine Melodieen sind uns noch nicht fliessend genug: er lässt den Sängern zu wenig freyen Ausdruck, und wir haben Sänger, die sich darauf sattsam verstehen: er verstand die italienische Sprache nicht genug, oder ging zu willkührlich mit ihr um: er hat bey weitem zu viel und nicht leicht genug zu übersehendes Accompagnement, die Soloparthieen sind zu überladen: Alles ist nur nach reifer Ueberlegung vom Herzen zu geniessen. (Hier darf wohl zugesetzt werden: Mozart's Musik gut zu executiren, ist für Italiener zu schwer, denn in ganz Italien ist bis 1801 kein Orchester, das z.B. den Don Juan gut aufzuführen im Stande wäre.)

In Frankreich führt man nicht gern Mozart's Symphonieen auf, man kann sich ihren Geist noch immer nicht recht aneignen. Man sagt: Mozart ist allerdings als Instrumental-Componist Haydn's Nebenbuhler, aber weniger weiser Nebenbuhler: er beweis't weit mehr Genie, als Geschmack.

Der Italiener verlangt, der Gesang in der Oper solle deutlich und klar, nicht der künstliche Gesang der Kirche und frey von jenen kühnen gesuchten Modulationen seyn, die man in der Instrumental-Musik mit Vergnügen hört. Er giebt nicht zu, dass das Orchester den Sänger bedecke, um nur Künste des Tonsetzers und der Instrumente hören zu lassen, geht aber hier in seinen Forderungen zu weit, und[35] will Alles gar zu plan und kahl. Daher machen die Opern, auf die Deutschland stolz ist, in Italien kein Glück. Die Zauberflöte und La Clemenza di Tito gefielen in Mailand nur wenig, und Così fan tutte fiel in Neapel gänzlich durch.

In Paris war 1823 ein Streit zwischen Mozart's und Rossini's Anhängern, wie einst über Gluck's und Piccini's. Alles nahm an dem Kampfe Theil. Die Musiker waren auf Mozart's Seite und die Dilettanten, die Literatoren und die meisten Journalisten auf Rossini's. Die letzte Parthey hatte dabey den Vortheil, Alles, was sie für ihre Meinung zu sagen wusste, leichter durch den Druck zur allgemeinen Kenntniss zu bringen. Die Musiker wurden damit abgefertigt: der Neid spreche aus ihnen.

Man sagt,5 die Rossini'sche Musik lasse keine solche tiefen Eindrücke im Gemüthe zurück, wie die Mo zart'sche. Allein die Musik ist eine Monarchie, der Gesang der absolute Monarch derselben und die begleitenden Instrumente seine getreuen Unterthanen: Rossini'sche Opern werden daher dem Publicum immer besser als die Mozart'schen gefallen. Rossini's Musik wird allenthalben nachgesungen: wo sind die singbaren Arien in den Mozart'schen Opern, welche den Dilettanten gefallen? Ausser dem Duett: Laci darem la mano, welches übrigens so trivial ist, dass weder ein Liebhaber noch ein Kenner sich dessen erinnert, welch anderes Stück macht im Don Juan auf die Seele einen Eindruck? Die allgemeine Tinte[36] sowohl dieser als aller anderen Opern Mozart's scheint mir ohne Haltung (non sostenuta); viel weniger jene der verschiedenen Empfindungen und Charaktere. Der Bauer singt oft wie der Held, und die ernsthafteste Person singt in einem trivialen Style. Die Scene des Geistes im Don Juan ist schrecklich und majestätisch; allein auf dem Theater del Corso fand man in ihr einQuantus tremor und ein Tuba mirum der kältesten Puristen des verwichenen Jahrhunderts. Man behauptet, dass die Mozart'sche Musik einen hohen Grad Aufmerksamkeit und ein sehr empfängliches Gefühl erfordere, um in alle ihre Tiefen einzudringen; allein die Aufmerksamkeit findet nur da statt, wo Etwas wahres Interesse erregt; der Eindruck der Musik ist schnell und kann weder tief noch permanent seyn: der Mechanismus in der Musik erregt Langeweile und Gähnen.

In Mailand hat's geheissen: die Zauberflöte hat gar keinen Gesang. Auch: sie hat Nichts, als Gesang, und das Orchester zu wenig zu thun. Auch: diese Oper hat eine Musica scellerata. Letzteres sagten diejenigen, die nur einer Musica di piazza huldigen.

Von Clemenza di Tito sagten einige Mailänder, dass sie in der Scala keinen Effect machen könne, weil sie eine Miniatur-Musik habe, denn die Oper hat kleine und kurze Stücke. (Duette, Terzette.) Andere erklären den Ausdruck so: die Harmonie ist bis ins kleinste Detail ausgearbeitet. (Ueber dem Einzelnen ist aber wohl das Ganze zurückgesetzt? –) – Noch ein Vorwurf, der dort Mozart gemacht wird, hilft ebenfalls Ort und Zeit, Urtheil und Geschmack[37] bezeichnen. »Viele Stücke Mozart's endigen leise, das ist, wo nicht überhaupt unrecht, doch gegen den Effect.« Und doch sagt man in Italien von jener lärmenden Cadenz, mit welcher fast alle Stücke der italienischen Oper endigen, sie sey eine Bettel-Cadenz, weil nämlich der Componist oder Sänger sich durch dieselbe den Beyfall des Publicums erbettele.

Es ist wohl nichts leichter, als jedem Stücke diess ewige Einerley anzufügen: allein ob dergleichen lärmende Schlusscadenzen überall am rechten Orte stehen, ist eine Frage, und Mozart wusste gewiss am besten, wo sie hingehörten. Will man letzteres nicht eingestehen, was sagt man zu der Erfahrung, dass sogar ein Finale, wie das erste im Titus, leise endigt und doch in Italien auf dem Theater den grössten Beyfall erregte? Und hat nicht das Terzett Quello di Tito è il volto bey jeder Vorstellung sehr grossen Beyfall erhalten, wiewohl es leise endigt?

»Musik, wie die Mozart'sche, bedarf keiner vorzüglichen Sänger.« Was wird nicht hiermit ausgesprochen?

Einige in der Musik nicht unbedeutend seyn wollende Zuhörer von Mozart's Opern in Italien meinten, er hätte doch auch Vieles von anderen Meistern entlehnt, und citirten Opern zur Behauptung ihres Satzes. Als man ihnen aber sagte, diese Opern wären erst wenige Jahre alt, und Mozart sey seit 25 Jahre unter der Erde – war freylich die Sache anders.

Vala-Bregues sagte, dass Mozart im Grunde nicht für den Gesang habe gut schreiben können, weil er mit keinem guten Sänger zu thun gehabt hätte. »Er[38] habe leben sollen, um die Bekanntschaft seiner Frau (der Catalani) zu machen.«

Die Opernarien Mozart's sind den Italienern auch desshalb zuwider, weil daraus Nichts anders gemacht werden kann oder muss, als was es schon selbst ist; und um eine Arie voll tiefer Seele, Empfindung und Ausdruck zu begreifen, dazu gehört gerade wieder tiefes Gefühl und Seele.

Die Bässe sämmtlicher Mozart'scher Opern liegen ausser dem Reiche der italienischen und französischen Kehlen: ihre Besetzung bietet unbesiegbare Schwierigkeiten.

Ueber Mozart's Modulations-Manier sagten die Italiener: Dieses plan- und zwecklose Herumschweifen ist nur Folge der Unbeholfenheit, sich glücklich auf dem Platze zu helfen, wo man eben ist. In den herrlichsten Werken der grössten Meister aller Zeiten betrachtet man die Einfachheit, Ruhe, Ordnung und Klarheit als die nicht geringsten Eigenschaften. – Aber auch darin, wie fast in Allem, ist Mozart Meister und wird es bleiben, wenn auch neuere Scribenten, die Niemand kennt, obgleich sie, sich zu nennen, den Muth haben, ihm Geist und Urtheilskraft absprechen und nur Kunstinstinct zugestehen. (Risum teneatis –)

Nägeli6 weis't der Instrumentalmusik zu: das Gefühlleben, die Bewirkung einer freyen Stimmung durch ein freyes Tonspiel; die Vocalmusik, das Gebiet der Affecte, der Situationen. Diese wendet sich[39] an die Einbildungskraft und dringt selbst in den Geist und das Reich der Ideen. Er tadelt die falsche Cantabililät in der Instrumentalmusik, eine solche, die unvermittelt zwischen Instrumentalsätzen steht, um durch Gegensatz Effect zu machen. Er beschuldigt Mozart dieses Fehlers und misst ihm bey das Umsichgreifen eines musikalischen Unheils, das Anwenden eben dieser falschen Cantabilität und das Erregen von Affecten, durch Contrastirungen, da wo blos freyes Tonspiel zu Herbeyführung einer freyen Gemüthsstimmung herrschen sollte. Es kam so, weil, was bey ihm, besonders in den Symphonieen, aus Uebermaass des Reichthums geschehen, von wenigen begabten, als ächte Kunst nachgeahmt worden. Kaum vermochten seine unbedingten Verehrer unter den Zuhörern durch das Lob, das z.B. seinen Clavierconcerten und durch die Huldigung, die ihm als Schöpfer unsterblicher Opern gezollt wurde, mit jener frechen Kritik ausgesöhnt zu werden.

Einige halten den Don Juan, wiewohl für gross und harmonisch, doch aber mehr für schwer und kunstvoll, als gefällig und populär.

Rochlitz sagt, man könne wie Sterne die Reisenden, so die Musikhörenden und Beurtheilenden ebenfalls in vier Classen zerwerfen. In die zweyte setzt er die, welche nur mit dem Verstande hören und den Namen der Kunstkenner führen. – Die Einen lieben nur alte Musik und hören das Neue nicht gern. – Die Zweyten suchen ihre Freude bey dem Anhören der neuen berühmten Meister, falsche Quinten, verbotene Octaven zu finden.[40]

Den ersten war Mozart zuwider sein ganzes Leben lang, und nur nach seinem Tode wurden sie mit ihm versöhnt durch sein Requiem, in welchem er sich dem ältern Kirchenstyle nähert. Den letzteren war er durch frühere Arbeiten interessant, weil sie in seinen damals nicht seltenen Vernachlässigungen der grammaticalischen Regeln Stoff zum Tadel des Meisters fanden und in seinem Beyfalle bey dem Publicum Stoff zu klagen über die Geschmacklosigkeit der Zeitgenossen.

In der Zauberflöte, die weniger wahren innern Werth hat als Don Juan, Così fan tutte etc. sind bey vielen einzelnen meisterhaften Scenen auch verschiedene Arien und dergl. in einem gar zu kleinlichen, beynahe niedrigen oder gemeinen Style geschrieben. Das Ganze hat daher nicht die gehörige Haltung, so wie man auch nicht selten Wahrheit oder richtige Darstellung des Charakters vermisst, z.B. wenn eine königl. Prinzessin und ein Vogelsteller sich auf ein und dieselbe Art ausdrücken. Auch beweisst es, dass Mozart's Stärke nicht in richtiger Declamation bestand. (Aus der allgem. deutschen Biblioth. so wie auch das folgende.)

Ueber den Schauspieldirector. Einzelne sehr schöne Züge machen, dass diese Operette, von einem minder als vorzüglich bekannten Tonsetzer componirt, allenfalls für ein Meisterstück gelten könnte; allein gegen M.'s übrige theatralische Arbeiten ist sie unbedeutend. Man findet darin nicht die ihm sonst eigene Originalität, ja sogar ganz gewöhnliche, zum Theil bekannte Gedanken. Ja, man möchte hier und da den Text für untergeschoben halten, wenn man[41] nicht schon wüsste, dass es dem Verfasser in Absicht auf die Declamation zuweilen nicht glücken wollte. Auch die Modulation ist hin und wieder sehr gemein, und von kleinen Nachlässigkeiten gegen den reinen Satz ist diese Musik nicht durchgängig frey. (Uebrigens sehr hübsch.)

Siebigke sagt gegen zwey Aufsätze wider Mozart im Journal von und für Deutschland 1799, die wahrscheinlich von J.F. Reichard herrühren: eigentlich ist es freylich nicht zu entschuldigen; aber Mozart opferte oft lieber die Worte auf, als eine schöne Melodie, wofern diese nur auf die herrschende Hauptempfindung passt. Man verdankt bey ihm diesem Fehler die lieblichsten Melodieen. Die Hauptempfindung hält er vortrefflich.

Nägeli tritt, in der ganzen Welt allein, gegen die ganze Welt allein, gegen Mozart's Quartette auf, als gegen das Vollkommenste, was man irgend in dieser Gattung besitzt – weil er nun einmal aus eigener Machtvollkommenheit und wieder gegen die ganze Welt behauptet hat, die Instrumentalmusik solle blos durch freyes Tonspiel eine freye Stimmung herbeyführen: jene Quartette aber thäten mehr, drückten Affecte aus etc., und das gebühre ihnen nicht, sondern der Gesangsmusik: sie sängen zugleich und spielten nicht bloss: das aber wäre falsch und verwerflich. – (Wenn er nun einmal gegen diese Werke sich aufmachen will und Nichts gegen sie einzuwenden hat, als dass sie des an sich Guten, ja Vortrefflichen zu viel und auch aus anderen Gattungen musikalischer Werke enthalten – wie kann man den Meister besser preissen, als dadurch? –)

[42] Mozart, ce génie de la douce mélancolie, cet homme plein de tant d'idées et d'un goût si grandiose, cet auteur de l'air: Non so più cosa son, cosa facciò, a quelquefois un peu abusé des modulations. Il lui est arrivé de gâter les beaux chants, dont les premières mésures sont exactement les soupirs d'une ame tendre. En les tourmentant un peu vers la fin, souvent il les rend obscurs pour l'oreille, quoique dans la partition ils soyent clairs pour le lecteur. Quelquefois, dans ses accompagnemens, il met des chants trop différens de celui de l'acteur en scène: mais que ne pardonneroit – on pas en faveur du chant de l'orchestre, vers le milieu de l'air: Vedrò, mentr' io sospiro, felice un servo mio! (Figaro) –chant divin, et que tout homme qui souffre d'amour se rappella involontairement.

Dissonances) Les gens du métier Vous diront, que Mozart abuse surtout des intervalles de diminuée et de superflue.

Clementi, l'émule de Mozart, dans ses compositions pour le Piano, a publié à Londres, cette patrie des caricatures, un recueil de caricatures harmoniques, dans lesquelles il contrefait les plus celèbres compositeurs de Piano: quiconque a la connoissance la plus legère de manières de Mozart, Haydn etc., et entend ces petites Sonates, composées d'un prélude et d'une cadence, devine sur le champ le maître du quel on se moque; on y reconnoit son style, et surtout les petites affectations et erreurs dans lesquelles il est sujet à tomber.

Bey anderen Gelegenheiten heisst es: Mozart hat ungeachtet seines sonst bewunderungswürdigen Geschmacks[43] sich in seiner Bearbeitung des Messias, wobey doch die höchste Vorsicht nöthig gewesen wäre, Ueberladungen und Einschaltungen zu Schulden kommen lassen, welche der erhabene Schöpfer jenes Meisterstücks gewiss als störend verwerfen würde. Die herrliche Bassarie: das Volk, das im Dunkeln wandelt, ist tief melancholisch, und es gehört dazu eine ernste Ruhe in der Begleitung. Händel hat hier daher auch nur Violinen und Bässe (aber ohne Zweifel so viele tüchtige, als der Sänger erschreyen kann). Mozart dagegen hat unbedenklich die Flöten, Clarinetten und Fagotts zu Hülfe genommen. Gleich im vierten Tacte fallen sie ein, als ob jemand aufzuwecken wäre, brechen dann gleich ab, stellen sich aber der betrübten Malerey wegen wieder ein, wo die Worte: »ein grosses Licht« kommen, schweigen nochmals, kommen bald wieder etc. Man kann sagen dass auch dabey wieder Mozart's Genie erkennbar ist; aber Händeln hat er hier zu Grabe getragen und den ganzen Charakter des Stücks aufgehoben.

Der Verfasser von: Ueber Reinheit der Tonkunst schreibt: Mozart's Kirchensachen, in ein rein verliebtes leidenschaftliches Wehen ausartend, tragen ganz und gar das Gepräge der weltlichen, der gesuchtesten und also der recht gemeinen Oper. (Er will wohl nicht vom Ave verum corpus, oder vom Requiem etc. sondern von seinen Jugendarbeiten diess gemeint haben.

Von einigen Mozart'schen Claviervariationen mit Violine sagt man: Schwierigkeiten folgen auf Schwierigkeiten und schnell beflügelte Sätze der rechten Hand wechseln mit solchen für die linke. Das giebt[44] denn diesen Producten eine solche Einförmigkeit, dass wenn man eins gehört hat, man beynahe alle gehört hat. Zwar wird man diese Variationen immer gern hören und sie als Muster und Uebungsstücke schätzen; allein man vermisst doch in ihnen die sinnreichen Inversionen und Nachahmungen und die in der gebundenen Schreibart variirten Sätze, wodurch solche Compositionen allein einen wahren Werth erhalten können. Vergleiche ähnliche Arbeiten Bachs.

An anderen Orten heisst es, Mozart's Misericordias Domini sey nach einer gewissen Regel sehr melodisch gesetzt. Der Text besteht, wenn man so sagen will, aus zwey kurzen Sätzen: Misericordias Domini und Cantabo in aeternum; im Grunde aber nur aus Einem Satze. Man nimmt entweder das Eine oder das Andere als den Grundgedanken. Ist's ersteres, so muss auch das Cantabo sich mit beugen; ist's Cantabo, so muss der Begeisterte auch die Barmherzigkeit mit in den Jubel aufnehmen. Der beliebten Malerey wegen, der auch Händel manches Opfer brachte, hat es Mozart so gemacht, dass das Misericordias Domini alsGrave leise, das Cantabo in aeternum aber stark und in einem frischen Fugensatze gesungen werden soll. Ist die letzte Spindel abgewickelt, so kömmt wieder das Grave, und dann wieder die Fuge.

Was immer gegen Mozart's frühere Kirchenstücke gesagt werden mag, so sind am 15ten October 1825 zu Wien im St. Stephan und in der Hofkapelle zwey grosse Vespern von ihm aufgeführt worden, erstere durch Gänsbacher, welcher bezeugt, dass sie ganz das Gepräge von Mozart's Genius tragen. Beyde sind[45] ausC für vier concertirende Singstimmen, zwey Violinen, Trompeten, Pauken, Orgel und Violon.

Auf eine Clavier-Sonate mit Violine von Mozart lautet das Urtheil dahin: Es wäre nur zu wünschen gewesen, dass er sich weniger vom Modegeschmack unsers Zeitalters fesseln liess. Er kann uns stärkere Speise vorsetzen. Der zweyte Theil ist in Vergleichung zum ersten viel zu lang. Zwar giebt es keine bestimmte Vorschrift, aber ein Unterschied von 3 1/2 Seiten ist kein Verhältniss. Das Adagio ist voll sanfter Empfindung, wahrer Ausdruck schmachtender Liebe, und die Verwechselung der Klanggeschlechter, die Mozart sich in diesem Satze zweymal erlaubt, ist nicht nur ohne Härte, sondern auch von guter Wirkung.

Quelle:
Nissen, Georg Nikolaus von: Anhang zu Wolfgang Amadeus Mozart's Biographie. Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1828 [Nachdruck Hildesheim, Zürich, New York: Georg Olms, 1991], S. 23-46.
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