91. Mozarteum.

[122] Mannheim 2. Febr. 1778.

Ich hätte unmöglich den gewöhnlichen Samstag erwarten können, weil ich schon gar zu lange das Vergnügen nicht gehabt habe, mich mit Ihnen schriftlich zu unterreden. Das erste ist, daß ich Ihnen schreibe, wie es mir und meinen werthen Freunden in Kirchheim-Boland ergangen ist. Es war eine Vacanzreise und weiter nichts. Freitags morgens um 8 Uhr fuhren wir von hier ab, nachdem ich bey Hr. Weber das Frühstück eingenommen hatte. Wir hatten eine galante gedeckte viersitzige Kutsche; um 4 Uhr kamen wir schon in Kirchheim-Boland an. Wir mußten gleich ins Schloß einen Zettel mit unseren Namen schicken. Den andern Tag frühe kam schon der Hr. Concertmeister Rothfischer zu uns, welcher mir schon zu Mannheim als ein grundehrlicher Mann beschrieben wurde, und ich fand ihn auch so. Abends gingen[122] wir nach Hof, das war Samstag; da sang die Mademoiselle Weber 3 Arien. Ich übergehe ihr Singen – mit einem Wort vortrefflich! – Ich habe ja im neulichen Brief von ihren Verdiensten geschrieben; doch werde ich diesen Brief nicht schließen können, ohne noch mehr von ihr zu schreiben, da ich sie erst recht kennen gelernt und folglich ihre ganze Stärke einsehe. Wir mußten hernach bei der Officiertafel speisen. Den andern Tag gingen wir ein ziemlich Stück Weg in die Kirche, denn die katholische ist ein bischen entfernt. Das war Sonntag. Zu Mittag waren wir wieder an der Tafel. Abends war keine Musik, weil Sonntag war. Darum haben sie auch nur 300 Musiquen das Jahr. Abends hätten wir doch bei Hofe speisen können; wir haben aber nicht gewollt, sondern sind lieber unter uns zu Hause geblieben. Wir hätten unanimiter von Herzen gern das Essen bei Hofe hergeschenkt; denn wir waren niemals so vergnügt als da wir allein beisammen waren. Allein wir haben ein wenig öconomisch gedacht, wir haben so genug zahlen müssen.

Den andern Tag Montag war wieder Musik, Dienstag wieder und Mittwoch wieder. Die Mademoiselle Weber sang in Allem 13 Mal und spielte 2 Mal Clavier, denn sie spielt gar nicht schlecht. Was mich am meisten wundert, ist daß sie so gut Noten liest. Stellen Sie sich vor, sie hat meine schweren Sonaten, langsam aber ohne eine Note zu fehlen prima vista gespielt. Ich will bei meiner Ehre meine Sonaten lieber von ihr als von Vogler spielen hören. Ich hab in allen 12 Mal gespielt und ein Mal auf Begehren in der lutherischen Kirche auf der Orgel, und habe der Fürstin mit 4 Sinfonien aufgewartet, und nicht mehr als sieben Louisdor in Silbergeld bekommen und meine liebe arme Weberin fünf. Das hätte ich mir wahrhaft nicht vorgestellt. Auf viel habe ich mir niemals Hoffnung gemacht, aber auf das wenigste ein jedes acht. Basta! Wir haben nichts dabei verloren, ich hab noch 42 Fl. Prosit und das unaussprechliche Vergnügen mit grundehrlichen, gut katholischen und christlichen Leuten in Bekanntschaft gekommen zu seyn. Mir ist leid genug, daß ich sie nicht schon lange kenne.

Den 4. Nun kommt etwas Nothwendiges, wo ich mir gleich[123] eine Antwort darauf bitte. Meine Mama und ich haben uns unterredet, und sind überein kommen, daß uns das Wendlingische Leben gar nicht gefällt. Der Wendling ist ein grundehrlicher und sehr guter Mann, aber leider ohne alle Religion und so das ganze Haus. Es ist ja genug gesagt daß seine Tochter Maitresse war. Der Ramm ist ein braver Mensch, aber ein Libertin. Ich kenne mich, ich weiß daß ich so viel Religion habe, daß ich gewiß niemals etwas thun werde, was ich nicht im Stande wäre vor der ganzen Welt zu thun; aber nur der Gedanke allein nur auf der Reise mit Leuten in Gesellschaft zu sein, deren Denkungsart sehr von der meinigen (und aller ehrlichen Leute ihrer) unterschieden ist, schreckt mich; übrigens können sie thun was sie wollen. Ich habe das Herz nicht mit ihnen zu reisen, ich hätte keine vergnügte Stunde, ich wüßte nicht was ich reden sollte; denn, mit einem Wort, ich habe kein rechtes Vertrauen auf sie. Freunde die keine Religion haben, sind von keiner Dauer. Ich hab ihnen schon so einen kleinen Prägusto gegeben. Ich habe gesagt, daß seit meiner Abwesenheit 3 Briefe gekommen sind, daraus ich ihnen weiter nichts sagen kann, als daß ich schwerlich mit ihnen nach Paris reisen werde. Vielleicht werde ich nachkommen. Vielleicht gehe ich aber wo anders hin, sie sollen sich auf mich nicht verlassen. Mein Gedanke ist dieser. Ich mache hier ganz commode vollends die Musik für den De Jean. Da bekomme ich meine 200 Fl. Hier kann ich bleiben so lange ich nur will. Weder Kost weder Logis kostet mir etwas. Unter dieser Zeit wird sich Herr Weber bemühen sich wo auf Concerte mit mir zu engagiren. Da wollen wir miteinander reisen. Wenn ich mit ihm reise, so ist es just so viel als wenn ich mit Ihnen reiste. Deßwegen habe ich ihn gar so lieb, weil er, das Äußerliche ausgenommen, ganz Ihnen gleicht und ganz Ihren Charakter und Denkungsart hat. Meine Mutter, wenn sie nicht, wie Sie wissen zum Schreiben zu faul commode wäre, so würde sie Ihnen das nämliche schreiben. Ich muß bekennen, daß ich recht gern mit ihnen gereist bin. Wir waren vergnügt und lustig. Ich hörte einen Mann sprechen wie Sie, ich durfte mich um nichts kümmern; was zerrissen war[124] fand ich geflickt, mit einem Wort, ich war bedient wie ein Fürst.

Ich habe diese bedrückte Familie so lieb, daß ich nichts mehr wünsche, als daß ich sie glücklich machen könnte, und vielleicht kann ich es auch. Mein Rath ist, daß sie nach Italien gehen sollten. Da wollte ich Sie also bitten, daß Sie, je eher je lieber, an unsern guten Freund Lugiati [Impresario] schreiben möchten und sich erkundigen, wie viel und was das meiste ist was man einer Primadonna in Verona gibt? – Je mehr, je besser, herab kann man allzeit. – Vielleicht könnte man auch die Ascensa in Venedig bekommen. Für ihr Singen stehe ich mit meinem Leben, daß sie mir gewiß Ehre macht. Sie hat schon die kurze Zeit von mir viel profitirt und was wird sie erst bis dahin profitiren? Wegen der Action ist mir auch nicht bange. Wenn das geschieht, so werden wir, Mr. Weber, seine 2 Töchter und ich die Ehre haben meinen lieben Papa und meine liebe Schwester im Durchreisen auf 14 Tage zu besuchen. Meine Schwester wird an der Mademoiselle Weber eine Freundin und Cammeradin finden, denn sie steht hier im Ruf, wie meine Schwester in Salzburg wegen ihrer guten Aufführung, der Vater wie meiner, und die ganze Familie wie die Mozartische. Es gibt freilich Neider, wie bei uns; aber wenn es dazu kommt, so müssen sie halt doch die Wahrheit sagen. Redlich währt am längsten. Ich kann sagen, daß ich mich völlig freue, wenn ich mit ihnen nach Salzburg kommen sollte, nur damit Sie sie hören. Meine Arien von der de Amicis, sowohl die bravura aria, als Parto m'affretto und, dalla sponda tenebrosa singt sie superb. Ich bitte Sie machen Sie Ihr Mögliches daß wir nach Italien kommen. Sie wissen mein größtes Anliegen – Opern zu schreiben.

Zu Verona36 will ich gern die Oper um 30 Zechinen schreiben, nur damit sie sich Ruhm macht; denn wenn ich sie[125] nicht schreibe, so wird sie, fürchte ich, sacrificirt. Bis dahin werde ich schon durch andere Reisen, die wir mit einander machen wollen, soviel Geld machen daß es mir nicht zu wehe thut. Ich glaube wir werden in die Schweiz gehen, vielleicht auch nach Holland, schreiben Sie mir nur bald darüber. – Wenn wir uns wo lange aufhalten, so taugt uns die älteste Tochter, welche die älteste ist [Josepha, später Mad. Hofer, für welche die Partie der »Königin der Nacht« geschrieben wurde], gar zu gut; denn wir können eigene Hauswirthschaft führen, weil sie auch kocht.

Geben Sie mir bald Antwort, das bitte ich Sie. Vergessen Sie meinen Wunsch nicht Oper zu schreiben! Ich bin einem jeden neidig, der eine schreibt; ich möchte ordentlich vor Verdruß weinen, wenn ich eine Arie höre oder sehe. Aber italiänisch, nicht deutsch, eine seria, nicht buffa! – Nun habe ich Alles geschrieben wie mir ums Herz ist, meine Mutter ist mit meiner Denkungsart zufrieden.

Die Mutter fügte aber folgende Nachschrift bei: »Aus diesem Brief wirst Du ersehen haben, daß wann der Wolfgang eine neue Bekanntschaft machet, er gleich Gut und Blut für solche Leute geben wollte. Es ist wahr, sie singt unvergleichlich; allein da muß man sein eigenes Interesse niemals aus die Seite setzen. Es ist mir die Gesellschaft mit dem Wendling und dem Ramm nie recht gewesen, allein ich hätte keine Einwendung machen dürfen und mir ist niemals geglaubt worden. Sobald er aber mit den Weberischen ist bekannt[126] worden, so hat er gleich seinen Sinn geändert. Mit einem Wort: bei anderen Leuten ist er lieber als bei mir, ich mache ihm in einem oder anderm Einwendungen und das ist ihm nicht recht. – Ich schreibe dies in der größten Geheim, weil er beim Essen ist, und ich will damit nicht überfallen werden.« Wolfgang aber dringt nach einigen Tagen noch stärker in den Vater.

36

Von hier bis zum Schluß nach Jahn II, 176, da sich im Mozarteum das 3. Blatt dieses Briefes nicht vorfindet und mir auch sonst nicht zu Gesicht gekommen ist. Ferner gehören noch folgende Stellen dazu: »Ich kann unmöglich mit Leuten reisen, mit einem Manne der ein Leben führt, dessen sich der jüngste Mensch schämen müßte; und der Gedanke einer armen Familie ohne sich Schaden zu thun, aufzuhelfen vergnügt mich in der Seele.« Ferner in Beziehung auf Nr. 89 a.E.: »Den Brief von Heufeld [an den der Vater wegen der Absicht des Kaisers, eine deutsche Oper aufzurichten, geschrieben hatte] hätten Sie mir nicht schicken dürfen, er hat mir mehr Verdruß als Freude gemacht. Der Narr meint ich werde eine komische Oper schreiben und so grab auf ungewiß, auf Glück und Dreck! Ich glaub auch, daß er seiner Edlerey keine Schande angethan hätte, wenn er ›der Herr Sohn‹ und nicht ›Ihr Sohn‹ geschrieben hätte. Nu, er ist halt a Wiener Lümmel; oder er glaubt, die Menschen bleiben immer 12 Jahr alt.« Vgl. Jahn II, 173, 149, 527.

Quelle:
Mozarts Briefe. Nach den Originalen herausgegeben von Ludwig Nohl. Salzburg 1865, S. 122-127.
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