Neunter Abschnitt.

Der Aufenthalt in Paris.

1778–1779.

»Und ich fühle dieser Schmerzen

Tief im Herzen

Heimlich bildende Gewalt.«


Es gibt unter Mozarts Klaviersonaten eine in A-moll, die von je dem Kenner Mozarts merkwürdig sein mußte durch die Aehnlichkeit des ersten Satzes mit der Art und Weise Händels und mehr noch durch die leidenschaftliche, ja verzweifelte Empfindung, die sich im Finale ausspricht. Man konnte sich besonders dieses Finale in seiner Art, die bei Mozart nur höchst selten vorkommt, nicht recht erklären, bis man denn durch Auffindung des Autographs erfuhr, daß die Sonate aus der Zeit dieses Pariser Aufenthalts stammt. Jetzt erklärten sich beide Eigentümlichkeiten, und in der That kann uns nichts so sehr eine sichere Kunde von der Seelenstimmung, in der Mozart damals lebte, geben wie diese Sonate. Das energische Ringen mit sich selbst, die männliche Festigkeit, die gegen das Wünschen des Herzens, gegen die Leidenschaft ankämpft, sowie es sich in den scharf rhythmischen Motiven des ersten Satzes ausspricht, ist das geistige Abbild jener Kämpfe zwischen Pflicht und Neigung, die Wolfgang damals durchführte, und es kann uns nicht wunder nehmen, daß der Ausdruck dieses Zustandes ein fremder, nicht echt Mozartischer ist, ja, daß er durchaus an Händels Weise erinnert. Denn dieser vertritt unter den Musikern sozusagen das pflichtmäßige Sollen gegenüber der freien Neigung in der allerbestimmtesten Eigentümlichkeit, – er hat in seiner Kunst jenes Moment des nordischen Wesens, so wie es sich im Protestantismus aufschloß, jenen »kategorischen Imperativ« der Pflicht ebenso durchgeführt, wie es ein[173] halbes Jahrhundert später der Königsberger Philosoph für Wissenschaft und Leben that. Und wenn auch in der Komposition Mozarts keine Spur einer unmittelbaren Entlehnung, ja nur eines Anlehnens zu bemerken ist, so lag es ihm doch diesmal nahe, den eigentümlichen Charakter einer fremden Ausdrucksweise für einen Zustand zu erfassen, der ihm selbst neu und fremd war und in dieser Weise sein Leben lang fremd blieb. Ein ähnliches Beispiel findet sich in der bekannten Arie Elviras im Don Juan, und auch dort bestimmten den Komponisten gleiche Gründe.

Mozart war keine einseitig pflichtmäßige Natur. Die freie Neigung war durchaus das Gesetz, nach dem er lebte und handelte, und nach dem er seiner Natur gemäß einzig zu leben vermochte. So finden wir auch jetzt, obwohl er seine Neigung überwunden und seinen Willen dem des Vaters gebeugt, bei ihm durchaus nicht jenen Frieden, jene Harmonie, die ein solcher Kampf zu erzeugen pflegt. Er hat seinen Wunsch, bei der Geliebten zu weilen und mit ihr gemeinsam die Krone des Lebens zu erringen, dem Drängen des Vaters geopfert. Er hat zu dem Ziele, das auch er wie der Vater erstrebt, zu einer Thätigkeit, in der er seine hohen Gaben in vollem Maße entwickeln und eine sichere Lebensstellung erringen kann, zu gelangen, einen andern weg eingeschlagen, als den er nach seiner innersten Ueberzeugung für den rechten hält. Er hoffte an der Seite seiner Aloysia und für sie Werke zu schaffen, die ihm mit Sicherheit Ruhm und Stellung einbringen sollten, – er vertraute auf die Wirkung dieser Liebe, die seine Kunst zu den höchsten Leistungen entzünden sollte. Er gedachte auf dem Wege und mit der Kraft der Neigung die Pflichten zu erfüllen, die er gegen sich und den Vater hatte. Dieser aber dachte anders und riß ihn mit Gewalt, ja mit einiger Härte von jener Bahn hinweg.

Es ist nicht zu verkennen, daß die scharfe und sogar spöttische Art, wie der Vater die Erregung des Sohnes erst für die kleine Sängerin in München, dann für das Bäsle, dann für die Mlle. Rose bespricht, – denn er hält ihm all diese kleinen Passionen gewissermaßen[174] strafend vor, – und von diesem ohne weiteres, als sei das eben nichts anderes, auf Aloysia Weber übergeht, das Herz des Sohnes tief verletzt hatte, und sie war auch nicht ganz recht und gewiß nicht klug, sie erregte eine Bitterkeit in dem Sohne, die erst getilgt wurde, als ein neuer herber Schmerz ihn wie den Vater traf und beide wieder innerlich zusammenführte. Allein sonst ist dem Vater kein Vorwurf zu machen. Er handelte damals, wie er den Umständen nach zu handeln berechtigt war. Er mußte sorgen, sowohl daß die Schulden getilgt wurden, wie daß zu Ehr und Ruhm der Familie Wolfgang eine seinem Talent entsprechende Stellung gewann, und dieses Ziel, das ihm für des Sohnes Zukunft wie für das Glück der Familie das einzig richtige schien, hielt er jetzt nur für erreichbar, wenn Wolfgang nach Paris ging. Zudem erschien ihm, wie wir auch aus späteren Aeußerungen sehen werden, des Sohnes Neigung nicht als so tiefgehend, wie sie wirklich war. Und doch ist nicht zu leugnen, daß hier eine schöne Blüte geknickt wurde, und daß Mozart selbst innerste Leiden davon gewann.

Aber sollen wir denn den Leiden ausweichen? – Und können wir wissen, ob Wolfgangs Plan zu den gleichen großen Dingen geführt hätte, die jetzt als das Resultat seines Lebens vor uns liegen? Gewiß ist Goethes Wort wahr: »Glücklich, wem gleich die erste Liebe die Hand reicht!« – Allein tiefere Quellen des Lebens eröffnet dem Genius der Schmerz. Selbst wenn er so herb, so verzweiflungsvoll sich ausspricht wie in dem Finale jener Sonate, er läßt doch Augenblicke der schönsten Versöhnung durchschimmern. Ja, die Sonne, wie sie in dem unvergleichlich schönen kleinen Mittelsatze in Dur scheint, dünkt uns reiner und heller, weil sie aus den Wolken des Moll hervor bricht. Es liegt ein Schleier über diesen innersten Vorgängen der Menschenbrust, den keine fremde Hand lüftet. Wir wollen es Schicksal nennen, was Mozart damals traf. Gewiß er litt aufs tiefste, allein es ließ ihn auch zu höheren Dingen reifen.[175]

Als nun die Abreise bestimmt war, gab Wolfgang noch mehrere Akademien, um sowohl sich wie seine Schülerinnen zur vollen Geltung zu bringen. Dabei kam die Bedeutung seiner Leistungen den Mannheimern erst recht zum Bewußtsein, und er konnte dem Vater schreiben: »Ich muß sagen, daß alle Kavaliere, die mich kannten, Hofräte, Kammerräte, andere ehrliche Leute und die ganze Hofmusik sehr unwillig und betrübt über meine Abreise waren.« – Und Aloysia? – Wolfgang berichtet den Tag, nachdem er in Paris angekommen war: »Die Weberin hat aus gutem Herzen zwey Paar Täzeln von Filet gestrickt und mir zum Andenken und zu einer schwachen Erkenntlichkeit verehrt. Er hat mir, was ich gebraucht habe, umsonst abgeschrieben und Notenpapier gegeben, und hat mir die Komödien von Moliere (weil er gewußt hat, daß ich sie noch niemals gelesen), mit der Inschrift: Ricevi, amico, le Opere del Moliere in segno di gratitudine e qualche volta ricordati di me. Und wie er bey meiner Mama allein war, sagte er: Jetzt reist halt unser bester Freund weg, unser Wohlthäter. Ja, das ist gewiß, wenn Ihr Herr Sohn nicht gewesen wäre, der hat wohl meiner Tochter viel gethan und sich um sie angenommen, sie kann ihm auch nicht genug dankbar seyn. – Den Tag, ehe ich weggereiset bin, haben sie mich noch beim Abendessen haben wollen, weil ich aber zu Haus hab seyn müssen, so hat es nicht seyn können. Doch habe ich ihnen zwey Stunden bis zum Abendessen noch schenken müssen; da haben sie nicht aufgehört sich zu bedanken, sie wollten nur wünschen, sie wären im Stand, mir ihre Erkenntlichkeit zu zeigen. Wie ich wegging, so weinten sie alle. Ich bitt um Verzeihung, aber mir kommen die Thränen in die Augen, wenn ich daran denke. Er ging mit mir die Treppe herab, blieb unter der Hausthüre stehen, bis ich ums Eck herum war, und rief mir nach Adieu!«

Jetzt vor allem hätte es bedeutender Eindrücke und kräftiger Anregungen bedurft, um Wolfgang über diese schmerzlichen[176] Empfindungen hinwegzuheben. Allein sie fehlten, und wir sehen die Spannkraft, die sein Gemüt wie seine Phantasie sonst in allen Lebenslagen bewährt, in diesem Sommer etwas nachlassen. Es muß ein tiefes Gefühl der Unzufriedenheit in ihm gelegen sein: ihm war, als habe er nicht recht gethan. Zwar zweifelte er an der Treue des Mädchens so wenig wie an seiner eigenen Liebe. Auch verhehlt er dem Vater nicht, daß er mit Webers in fortwährendem Briefverkehre steht, und macht verständliche Andeutungen, wo das Ziel seiner wünsche und Hoffnungen liege. Dabei war es ihm nun ein großer Trost, daß Raaff, der ebenfalls nach Paris kam und sein wahrer Freund wurde, die Neigung zu der Weber billigte und versprach, ihr Unterricht zu geben, sowie überhaupt sich für diese Familie zu bemühen. »Ich befinde mich,« schreibt er nach einigen Wochen dem Vater, »Gott Lob und Dank so unerträglich; übrigens aber weiß ich oft nicht, ist es gehauen oder gestochen, mir ist weder kalt noch warm, finde an nichts viel Freude; was mich aber am meisten aufrichtet und guten Muts erhält, ist der Gedanke, daß Sie, liebster Papa, und meine liebe Schwester sich gut befinden, daß ich ein ehrlicher Teutscher bin und daß ich, wenn ich schon allezeit nicht reden darf, doch wenigstens denken darf, was ich will; – das ist aber auch das Einzige.«

Das war denn freilich wenig genug. Man erkennt das tiefe Unbehagen seines ganzens Wesens, dessen Pulse stets so frisch lebendig zu schlagen pflegten. Dazu kam, daß ihn die Musik der Franzosen in hohem Grade anwiderte: »Baron Grimm und ich« schreibt er, »lassen oft unsern musikalischen Zorn über die hiesige Musik aus, NB. unter uns; denn imPublico heißt es Bravo, Bravissimo, und da klatscht man, daß einem die Finger wehe thun.« Und ein andermal: »Was mich am meisten bey der Sache ärgert, ist, daß die Herren Franzosen ihren Goût nur in so weit verbessert haben, daß sie nun das Gute auch hören können. Daß sie aber einsähen, daß ihre Musik schlecht sey – ey bei Leibe! – Und das Singen!oime! – Wenn nur keine Französin italienische[177] Arien sänge, ich würde ihr ihre französische Plärrerey noch verzeihen aber gute Musik zu verderben, das ist nicht auszustehen.« »Wenn hier ein Ort wäre, wo die Leute Ohren hätten, Herz, zu empfinden, und nur ein wenig Etwas von der Musique verständen und Gusto hätten, so würde ich von Herzen gern zu all diesen Sachen lachen, aber so bin ich unter lauter Viecher und Bestien (was die Musique anbelangt). Wie kann es anders seyn? Sie sind ja in allen ihren Handlungen, Leidenschaften und Passionen auch nicht anders – es giebt ja kein Ort in der Welt, wie Paris. – Nun bin ich hier. Ich muß aushalten, und das Ihnen zu Liebe. Ich danke Gott dem Allmächtigen, wenn ich mit gesundem Gusto davon komme. Ich bitte alle Tage Gott, daß ich mir und der ganzen deutschen Nation Ehre mache und daß er zuläßt, daß ich mein Glück mache, brav Geld mache, damit ich im Stande bin, Ihnen dadurch aus Ihren dermaligen betrübten Umständen zu helfen, und daß wir bald zusammenkommen und glücklich und vergnügt miteinander leben können.« Er sehnte sich nach Italien, und der Vater mußte ihm eben versprechen, sobald es anginge, mit ihm wieder dorthin zu gehen.

Gleichwohl sollte auch dieser Aufenthalt in Paris, so wenig äußere Erfolge er für Mozart brachte, eine Lebensbedeutung für ihn gewinnen, größer fast als das, was er in Mannheim gesehen und gehört hatte. Es war die Zeit, wo der berühmte Kampf zwischen der italienischen Musik und der von Gluck reformierten französischen in heftigster Lohe brannte, wo Piccinisten und Gluckisten einander auf das erbitterste gegenüberstanden. Und wenn nun auch in diesem Streite, den übrigens hauptsächlich die Literaten führten, von einer Tätigkeit für Mozarts Genius nicht die Rede sein konnte, so wurde doch durch die Aufführungen der Opern der beiden Gegner und durch die außerordentliche Teilnahme des Publikums, die sich oft genug bis zum Skandal steigerte, seine Aufmerksamkeit in allerhöchstem Grade gespannt auf die Unterschiede dieser Bestrebungen wie auf die Fortschritte[178] der Richtung, die Gluck eingeschlagen hatte. Zwar war Gluck damals von Paris abwesend und Piccini, dessen Oper »Roland« gerade in dieser Zeit einen ungeheuren Erfolg erzielt hatte, galt als Held des Tages. Allein Mozarts Sinn wandte sich dennoch bereits damals mit Entschiedenheit der neuen Richtung zu, und es beruht diese Erkenntnis von deren Bedeutung wesentlich mit auf dem Umstande, daß er damals in Paris anwesend war.

Die italienische Musik kannte er, er war darin zu Hause wie nur irgendeiner der lebenden Meister. Daher interessierte ihn Piccini wenig. »Mit Piccini habe ich im Concert spirituel gesprochen«, meldet er dem Vater. »Er ist ganz höflich mit mir und ich mit ihm, wenn wir so ungefähr zusammenkommen; übrigens mache ich keine Bekanntschaft weder mit ihm noch mit anderen Componisten – ich verstehe meine Sache und sie auch – das ist genug.« Ebensowenig findet sich eine Spur von einer Bekanntschaft mit Grétry, dem Komponisten der anmutigen Oper »Richard Löwenherz«, dem Begründer der französischen Operette mit ihrer reizenden Unbefangenheit und ihrem frisch pulsierenden Leben. Er sucht den Meister nicht auf, aber seine Partituren studiert er. Dagegen ist er schon damals mit Leib und Seele für Gluck, und es mag wohl diese Hinneigung zu dem kraftvollen Pathos und dem hohen Ernst dieses Meisters zum großen Teile mit auf der Seelenstimmung beruhen, in welche die ersten schmerzlichen Lebenserfahrungen sein junges Gemüt versetzt hatten. Gluck war es gewesen, welcher der überwuchernden Gesangsvirtuosität, die damals die welsche Kunst trotz allem Reiz der melodiösen Linie zur vollen Unnatur verkehrt hatte, ein donnerndes Halt gebot und im Einverständnisse mit dem Drange der Zeit, der überall ein Zurückkehren zur Natur und Einfachheit verlangte, auch für die Musik geltend machte, daß sie vor allem die charakteristischen Eigentümlichkeiten der handelnden Personen und der Situationen einfach und wahr aussprechen müsse.[179] Er selbst hatte hiervon in seiner »Alceste« ein hohes Beispiel aufgestellt und bald war die »Iphigenia« gefolgt. Man empfand wohl, daß der Geist der Antike, der vor allem in edler Einfachheit besteht, hier in Tönen wiedergegeben war, daß die Leidenschaften, welche die Musik aussprach, echt und groß waren, und daß es ein tragisches Pathos war, was sich hier darstellte. Gleichwohl war dem Sinnenreiz der italienischen Weise, die auch abgesehen von allem Sinn und Bedeuten zunächst einfach schöne Tonreihen, »Melodien« geben will, wie sich von selbst versteht, ein großer Teil des Publikums zugeneigt, und die verschiedenen Richtungen feindeten sich auf das heftigste an, ahnungslos, daß sie einander nicht vollständig widersprechen, derweilen der Genius, der sie zuerst miteinander zu einer höheren Einheit verschmelzen sollte, ruhig dem Wüten der Parteien zuschaute. Denn Mozart brauchte sich um den Liebreiz und die Anmut der Melodie nicht zu bemühen, sie war ihm angeboren und angebildet. Ebenso fehlte ihm bei aller Hinneigung zu dieser Formschönheit von Natur nichts weniger als die einfache Wahrheit der Empfindung, die, wie aller Kunst, so zumeist der Musik zu Grunde liegen soll. Vielmehr atmeten alle seine Melodien, sei es der »Verstellten Gärtnerin« oder der kleinen Instrumentalsachen, diese natürliche Innigkeit der Empfindung. Allein hier trat nun diese Forderung in einem viel höheren Sinne auf, es waren eben größere Situationen, gewaltigere Leidenschaften, mit einem Worte, es war das Tragische, was in der Persönlichkeit Glucks erschien und in seiner Musik neue und durchaus bedeutende Mittel des Ausdrucks sich bildete. Diesem wandte sich Mozarts künstlerischer Instinkt, der überall mit dem Geiste der Zeit ging, schon damals mit aller Entschiedenheit zu, und wenn der Sieg Glucks über die Italiener, der einige Jahre später eintrat, ein bedeutsamer Beweis für die Richtigkeit seiner Ideen war, so ist wohl ein noch entscheidenderer, daß sich ein Genius wie Mozart, sobald er dieser Richtung nahe trat, derselben anschloß und sie sofort zu seiner eigenen[180] machte. Sein Herz war gerade damals zuerst von jener Leidenschaft ergriffen worden, die dem Menschen den ersten Aufschluß über sich selbst gibt. Mit heftigem Kampfe hatte er gegen einen harten Eingriff das Recht dieser Empfindung geltend machen müssen, und wo sonst eine schöne Heiterkeit der Seele und gar muntere Hanswurstlaune geherrscht, war jetzt ein Ernst eingetreten, der durchaus auf das Hohe und Pathetische gerichtet war und einige Jahre lang das jugendliche Gemüt einseitig beherrschen sollte, bis er zu einer höheren Freiheit und Harmonie der Seele sich auflöste.

Es war nämlich zu den übrigen Nöten, die Wolfgangs Herz damals in lebendiger Bewegung erhielten, gerade jetzt noch ein Ereignis hinzugetreten, das seine Seele wahrhaft erschütterte und den ahnungslosen Jüngling zum erstenmal an die Schrecken des Lebens gemahnte. Es war ganz unerwartet die gute Mutter, die den Sohn nach Paris begleitet hatte, gestorben. Sie wohnten miteinander, weil in Paris damals alles um die Hälfte teurer geworden war, in einem unfreundlichen und dunklen Zimmer, welches so klein war, daß nicht einmal ein Klavier darin stehen konnte. Diese Unbequemlichkeit und die stete Einsamkeit – denn Wolfgang mußte fast den ganzen Tag über in der Stadt sein, – hatten der etwas korpulenten Frau, die ohnehin viel mit Blutandrang zu thun hatte, ein Unwohlsein zugezogen, das sie drei Wochen lang ans Zimmer fesselte. Sie gedachten dann ein besseres Logis zu beziehen, wo sie selbst die Küche führen könne. Allein schon im Juni erkrankte sie aufs neue, sie ließ zur Ader, schrieb noch selbst an ihren Mann, wobei sie über viel Schmerzen klagt, und war nach vierzehn angstvollen Tagen, die Wolfgang an ihrem Bette zubrachte, eine Leiche (3. Juli 1778).

So war der Sohn in der großen Stadt ganz allein. Doch sehen wir ihn, dessen Herz von Natur so außerordentlich empfindlich ist, nicht in weichliche Trauer versinken, sondern mit klarem Geiste und männlicher Fassung erkennt er zunächst, daß dem Vater diese schreckliche Botschaft mit möglichster Schonung beizubringen[181] sei, und schreibt deshalb sogleich an den Freund Bullinger, daß er den Vater vorbereiten möge. Sodann wendet er sich selbst an diesen Mann, dem so manche Prüfung beschieden war, um ihn zuerst über seine eigene Lage zu beruhigen, und es ist rührend, mit welcher Sorgfalt er dies thut, und wie freudig bewegt sein Herz ist, als er vernimmt, daß der Vater gefaßt sei: »So traurig mich Ihr Brief machte, so war ich doch ganz außer mir vor Freude, als ich vernahm, daß Sie Alles so nehmen, wie es zu nehmen ist, und ich folglich wegen meinem besten Vater und liebsten Schwester außer Sorge seyn kann. Sobald ich Ihren Brief ausgelesen hatte, so war auch das erste, daß ich auf die Kniee niederfiel und meinem lieben Gott aus ganzem Herzen für diese Gnade dankte.«

Das war die erste Mahnung an das jugendliche Gemüt unseres Meisters, daß alle Dinge auf Erden vergänglich sind. Wohl mögen ihn die Tage und Nächte am Bette der Mutter zu ernstesten Betrachtungen angeregt haben, und ihr Tod traf ihn wirklich schmerzlich. Allein so überraschend er kam und so sehr Wolfgang ihn fürchtete, er sah das Leben der Mutter doch schwinden und es kam ihm wie eine Sache vor, die im natürlichen Verlauf der Dinge geschieht: wie er denn auch in den Briefen an den Vater und den Freund Bullinger immer besonders hervorhebt, er sei am meisten getröstet durch den Gedanken, daß es nicht anders kommen könne, als wie Gott es haben will. Aber nicht lange so sollte er die bittere Vergänglichkeit an etwas erfahren, wo er es nie gedacht hatte, und wo er es nicht natürlich fand, sondern wo er den Lauf der Dinge gestört fühlte und einen schmerzlichen Riß in sein Inneres gebracht sah. Auch jetzt freilich hatte er »bisweilen so melancholische Anfälle«. Allein da wirkte die Sehnsucht nach der Geliebten mit. Im übrigen war er »frisch und gesund«, und über die besagten Anfälle, sagt er, komme er am leichtesten davon durch Briefe, die er schreibe oder erhalte: »das muntert mich dann wieder auf.«[182]

Vor allem war er bestrebt dem Vater, dessen Sorge um den unerfahrenen Sohn in der großen Stadt jetzt steigen mußte, die genauesten Berichte über sein Tun und Lassen zu geben. Man erkennt die sorgfältige Aufmerksamkeit sogar aus der Schrift, die in den Briefen der letzten Monate aus begreiflicher Gereiztheit oder auch Gleichgültigkeit etwas nachlässig geworden war, so daß sich der Vater genötigt sah, ihm ein schön geschriebenes Alphabet nachzuschicken! Ueberhaupt kommt jetzt wieder eine etwas frischere Lebensregung in den jungen Mann, wie wenn durch dieses Gewitter die Atmosphäre gereinigt worden wäre. Und als sich ihm nun gar die Aussicht eröffnet, eine Opera zu schreiben, da beginnt das Blut des hochstrebenden Künstlers wieder seinen früheren lebendigen Lauf. Aber es ward nichts aus dieser Hoffnung, wie denn überhaupt der Pariser Aufenthalt nicht viel direkte Erfolge brachte. Zwar Grimm hatte sich seiner recht brav angenommen, ja nach dem Tode der Mutter ihn sogar zu sich ins Haus oder vielmehr zur Madame d'Epinay, mit der er zusammenwohnte, aufgenommen. Auch waren sogleich von Anfang an die Mannheimer Freunde, trotzdem Wolfgang sein Versprechen nicht gehalten, so daß sie nun ohne ihn ihre Konzerte geben mußten, bemüht gewesen, seinen künstlerischen Ruf in Paris zu verbreiten und ihm so Gelegenheit zur Komposition zu verschaffen. Und er hatte zum Danke ihnen eine Sinfonie concertante geschrieben, die der Direktor Le Gros in den Concerts spirituels aufzuführen versprach, jedoch ohne sein Versprechen zu halten. Sodann hatte er für eben diesen Le Gros in gewohnter Gutmütigkeit und im Drange nach Anerkennung eine Symphonie geschrieben und zwar so recht nach dem Pariser Geschmack, lebhaft und geistreich, mit überraschenden Effekten, besonders auch mit dem Crescendo, dessen Wirkung er im Mannheimer Orchester erfahren hatte. Er schreibt: »Gleich mitten im ersten Allegro war eine Passage, die ich wohl wußte, daß sie gefallen müßte: alle Zuhörer wurden davon hingerissen, und war ein großes Applaudissement. – Weil ich aber[183] wußte, wie ich sie schrieb, was das für einen Effect machen würde, so brachte ich sie zuletzt noch einmal an, – da gings nunda capo. Das Andante gefiel auch, besonders aber das letzte Allegro. Weil ich hörte, daß hier alle letzte Allegros, wie die ersten, mit allen Instrumenten zugleich und meistens unisono anfangen, so fing ichs mit den zwey Violinen allein piano nur acht Takte an, – darauf kam gleich ein Forte, mithin machten die Zuhörer (wie ich es erwartete) beim Piano sch! – dann kam gleich das Forte. – Sie das Forte hören und die Hände zu klatschen war Eins. Ich ging also gleich vor Freude nach der Sinfonie ins Palais royal, nahm ein gutes Gefrorenes, betete den Rosenkranz, den ich versprochen hatte, und ging nach Haus.«

Diese Stelle steht in dem Briefe, der den Vater auf den Tod der Mutter vorbereiten sollte. Mozart wußte wohl, daß der Vater durch solche Mitteilungen, die seinen Geist lebhaft beschäftigten, am ehesten von trüben Vorstellungen und verzehrendem Kummer abgezogen wurde. Das ist aber auch der einzig freudige Erfolg, der zu berichten war. Sonst sind auch hier, wie überall, wieder Neider und böse Feinde beschäftigt, den jungen Künstler in seinen Bestrebungen zu hemmen. Von der Handlungsweise des Le Gros, der die Sinfonie concertante nicht aufgeführt hatte, schreibt er: »Ich glaube aber, da ist der Cambi ni,1 ein wälscher Maestro hier, die Ursache; denn dem habe ich unschuldigerweise die Augen in der ersten Zusammenkunft beym Le Gros ausgelöscht. Er hat Quartette gemacht, wovon ich eines zu Mannheim gehört habe, die recht hübsch sind, und die lobte ich ihm dann und spielte ihm den Anfang; da waren aber der Ritter, Ramm und Punto, und ließen mir keinen Frieden, ich möchte fortfahren, und was ich nicht weiß, selbst dazu machen. Da machte ich es denn also so, und Cambini war ganz außer sich, und konnte sich nicht enthalten[184] zu sagen: Questa è una gran testa! Nun das wird ihm halt nicht geschmeckt haben.«

Gleichwohl bekam Mozart zunächst wenigstens einige Schüler und Aufträge. Zuerst durch Grimms Vermittlung beim Herzog de Guines, dessen Tochter er täglich zwei Stunden lang in der Komposition unterrichtete und dafür später mit drei Luisdor abgefunden werden sollte. Er wies das Geld zurück und schreibt dem Vater, die Franzosen dächten noch immer, daß er sieben Jahr alt sei, und behandelten ihn wie einen Anfänger. »Die Franzosen haben lange nicht mehr die Politesse als vor fünfzehn Jahren, sie gränzen jetzt stark an die Grobheit, und hoffärtig sind sie abscheulich«, sagt er ein andermal und erzählt seinem Vater ein Beispiel, das sowohl für die Nonchalance der damaligen Vornehmen gegen Künstler, wie für die völlige Wehrlosigkeit Mozarts gegen ein derartiges Benehmen zu bezeichnend ist, als daß es hier fehlen dürfte.

»Mr. Grimm,« schreibt er am 1. Mai 1778, »gab mir einen Brief an Madame la Duchesse de Chabot, und da fuhr ich hin. Der Inhalt dieses Briefes war hauptsächlich, mich bei der Duchesse de Bourbon zu recommandiren, und mich neuerdings bey ihr wieder bekannt zu machen und sich meiner erinnern zu machen. Da gingen acht Tage vorbey, ohne mindeste Nachricht. Sie hatte mich dort schon auf über acht Tag bestellt, und also hielt ich mein Wort und kam. Da mußte ich eine halbe Stunde in einem eiskalten, ungeheizten und ohne mit Kamin versehenen großen Zimmer warten. Endlich kam die D. Chabot mit der größten Höflichkeit, und bat mich mit dem Clavier vorlieb zu nehmen, indem keines von den ihrigen zugerichtet sei, ich möchte es versuchen. Ich sagte, ich wollte von Herzen gern Etwas spielen, aber jetzt sei es unmöglich, indem ich meine Finger nicht empfinde vor Kälte, und bat sie, sie möchte mich doch aufs wenigste in ein Zimmer, wo ein Kamin mit Feuer ist, führen lassen. O oui, monsieur, vous avez raison – das war die ganze Antwort. Dann setzte sie sich nieder und fing an, eine ganze Stunde zu zeichnen en Compagnie anderer[185] Herren, die alle in einem Zirkel um einen großen Tisch herumsaßen. Da hatte ich die Ehre, eine ganze Stunde zu warten. Fenster und Thüre waren offen; ich war nicht allein in Händen, sondern im ganzen Leib und Füßen kalt, und der Kopf fing mir auch gleich an wehe zu thun. Da war also altum Silentium (feierliche Stille) und ich wußte nicht, was ich so lange vor Kälte, Kopfwehe und Langeweile anfangen sollte. Oft dachte ich, wenn's nicht um Mr. Grimm wäre, so ging ich den Augenblick wieder weg. Endlich, um kurz zu seyn, spielte ich auf dem miserablen elenden Pianoforte. Was aber das Aergste war, daß die Madame und alle die Herren ihr Zeichnen keinen Augenblick unterließen, sondern immer fort machten und ich also für die Sesseln und Tisch und Mauern spielen mußte. Bey diesen so übel bewandten Umständen verging mir die Geduld, – ich fing also die Fischerschen Variationen an, spielte die Hälfte und stand auf. Da waren eine Menge Eloges. Ich aber sagte, was zu sagen ist, nämlich, daß ich mir mit diesem Claviere keine Ehre machen könne, und mir sehr lieb sey, einen andern Tag zu wählen, wo ein besseres Clavier da wäre. Sie gab aber nicht nach, ich mußte noch eine halbe Stunde warten, bis ihr Herr kam. Der aber setzte sich zu mir und hörte mit aller Aufmerksamkeit zu und ich – vergaß darüber alle Kälte, Kopfwehe, und spielte ohngeachtet dem elenden Claviere so – wie ich spiele, wenn ich guter Laune bin. Geben Sie mir das beste Clavier von Europa, und Leute zu Zuhörern, die nichts verstehen oder die nichts verstehen wollen und die mit mir nicht empfinden, was ich spiele, so werde ich alle Freude verlieren. Ich hab dem Mr. Grimm nach der Hand Alles erzählt.«

Welch kindliche Bescheidenheit! Welch liebenswürdiges Zuvorkommen! Welch künstlerisches Bewußtsein! – Allein mit all diesen schönen Eigenschaften macht man nicht sein Glück bei einem Publikum, das wie das damalige Pariser auf einer geringen Stufe der musikalischen Bildung steht. Dazu kam die Abneigung gegen den Unterricht. Er schreibt: »Lection zu geben ist hier kein Spaß. –[186] Sie dürfen nicht glauben, daß es Faulheit ist – nein! sondern weil es ganz wider mein Genie, wider meine Lebensart ist. Sie wissen, daß ich sozusagen in der Musique stecke, daß ich den ganzen Tag damit umgehe, daß ich gern speculire, studire, überlege. Nun bin ich hier durch diese Lebensart dessen verhindert; ich werde freilich einige Stunden frey haben, allein die wenigen Stunden werden mir mehr zum Ausrasten als zum Arbeiten notwendig sein.«

Mr. Grimm aber faßte die Eigentümlichkeit des jungen Künstlers anders auf. Er hielt sie für Gleichgültigkeit, für Bequemlichkeit und glaubte den unbeholfenen jungen Mann zurecht stoßen zu müssen. Er sagte ihm redlich seine Meinung und schrieb auch dem Vater: »Il est zu treuherzig, peu actif, trop aisé à attraper, trop peu occupé des moyens qui peuvent conduire à la fortune.« In Paris müsse man sich rühren, zumal jetzt, wo alles in Streit und Aufruhr wegen der Musik sei. Wolfgang empfand diese Weise, ihn zu behandeln – die gut sein mag, um Kindern zu helfen, aber nicht Erwachsenen – höchst unangenehm, zumal die Zurechtweisungen sicherlich in einem Tone der Ueberlegenheit geschahen, den der geistreiche und gefeierte Encyklopädist ebensogut gegen den noch unbekannten Künstler mit dem unscheinbaren Aeußeren annehmen zu dürfen glaubte, wie es jene treffliche »Duchesse« gethan hatte. Ueberhaupt gefiel es Wolfgang in dem Hause der Madame d'Epinay durchaus nicht. Man »rupfte ihm jede Gefälligkeit unter die Nase«, und doch hatte er außer dem Zimmerchen, dessen größter Vorzug eine hübsche Aussicht war, und außer einigen Kerzen nichts im Hause. Er fand, daß es dort dumm und einfältig zugehe, und während die geistreiche Herrschaft des Hauses mit unendlicher Zartheit besorgt war, über den damals am Tode liegenden Voltaire die schonendsten Bulletins auszugeben, berichtet Wolfgang einfach seinem Vater: »Nun gebe ich Ihnen eine Nachricht, die Sie vielleicht schon wissen werden, daß nemlich der gottlose und Erz-Spitzbub Voltaire sozusagen[187] wie ein Hund, wie ein Vieh crepirt ist – das ist der Lohn!«

Allein Grimm war trotzdem wirklich besorgt für seinen Schützling. Er lieh ihm sogar »bröcklweis« 15 Louisdor, mit deren Rückzahlung es keine Eile habe. Nur das ertrug Wolfgang auf die Dauer nicht, daß Grimm im Grunde sein Talent nicht für so bedeutend hielt, um sich in Paris Bahn brechen zu können, und ihn sogar an die Italiener verwies. »Er will, ich soll immer zum Piccini laufen, zum Garibaldi«, schreibt er, – »mit einem Wort, er ist von der wälschen Partei – ist falsch und sucht mich zu unterdrücken.« In diesem Argwohn hatte er nun freilich zum Teil Unrecht. Sicher verrät die Art Grimms kein besonders edles und feines Gefühl, und Wolfgang mochte wohl wünschen, eine Oper zu schreiben, nur um dem Grimm zu zeigen, daß er so viel könne wie sein Piccini, obwohl er »nur ein Teutscher« sei. So erfahren wir bestimmt, daß Mozart schon damals der italienischen Oper gegenüber seine Stellung genommen und die Fortschritte begriffen hatte, die Gluck und Grétry in der dramatischen Kunst anbahnten und durchführen wollten. Doch einstweilen vermochte er diesen großen Gewinn des Pariser Aufenthaltes nicht auszunutzen. Er fand nicht Gelegenheit eine Oper zu schreiben, und wer weiß, ob er schon damals, wo alles in parteiischer Aufregung war, mit seiner Versöhnung der Gegensätze durchgedrungen wäre? So mußte der Vater wohl wünschen, daß Wolfgang Paris verlasse, und auch Grimm drang nachgerade bestimmt darauf.

Wolfgangs Wunsch war nun, in München angestellt zu werden, damit er dort auch für Webers tätig zu sein vermöge. Dagegen hatte der Vater nichts einzuwenden und schrieb sogleich an den Padre Martini, damit dieser direkt und durch Raaff auf den neuen Kurfürsten wirke. Dies geschah denn auch, und zudem waren die Freunde, die Mozart in der kurfürstlichen Kapelle hatte, nach Kräften für ihn tätig. Es fehlte ein deutscher Komponist[188] in München, Holzbauer war zu alt, und so war Aussicht genug für Mozart vorhanden, dort eine Stellung zu gewinnen. Allein als nun die Uebersiedlung des Hofes wie der Kapelle von Mannheim entschieden war, begannen jene preußischen Kriegsdrohungen des Jahres 1778, und alles geriet ins Stocken. Jetzt konnte der Vater nur wünschen, daß Wolfgang so lange in Paris weile, bis diese Dinge vorüber seien, und es ist erklärlich, daß er jetzt auch bereitwilliger zu den Aussichten griff, die sich für eine Wiederanstellung des Sohnes in Salzburg darboten.

Schon nach Adlgassers Tode waren deutliche Anspielungen von seiten des Hofes gemacht worden. Jetzt war aber auch der Kapellmeister Lolli gestorben, und da ging man denn endlich mit der Sprache heraus. Man wandte sich zunächst an Bullinger, sodann an den Vater direkt. Dieser ging aber dabei sehr diplomatisch zu Werke, und nun gar Wolfgang, dem alle die Vorgänge auf das genaueste berichtet werden, kehrt sich zunächst gar nicht daran. Allein als die Mutter gestorben war, und der Vater, durch Mr. Grimm bestärkt, den Aufenthalt des Sohnes in Paris abgekürzt zu sehen wünschte, mußte Freund Bullinger die Feder ergreifen und dem Wolfgang auseinandersetzen, daß die Bedingungen der Anstellung jetzt sehr vorteilhaft seien, daß er es den Seinigen schuldig sei, darauf einzugehen, und daß sich doch in Salzburg auch wohl leben lasse. Und um ihn sicher zu kirren, erzählt er, dem Erzbischof genüge die Haydn nicht mehr, er wolle eine neue Sängerin engagieren und man könne ja seine Wahl auf Aloysia Weber richten. Wolfgang hatte nämlich geschrieben: »Nun die Hauptsache ist halt, daß, wenn der Krieg nicht schon ausgebrochen wäre, der Hof sich nach München gezogen hätte; Graf Seeau, der die Weber in absolument haben will, alles angewendet hätte, daß sie mitkommen kann, und folglich Hoffnung gewesen wäre, daß die ganze Familie in bessere Umstände gesetzt würde. Nun ist aber alles still wegen der Münchener Reise, und die armen Leute können wieder lange fort warten, und ihre Schulden[189] werden alle Tage beträchtlicher. Wenn ich ihnen nur helfen könnte! Liebster Vater! ich recommandire sie Ihnen von ganzem Herzen.« Und jetzt lautet seine Antwort an Freund Bullinger: »Sie wissen, wie mir Salzburg verhaßt ist! Nicht allein wegen der Ungerechtigkeit, die mein Vater und ich dort ausgestanden, welches schon genug wäre, um so ein Ort ganz zu vergessen und ganz aus den Gedanken zu vertilgen! Aber lassen wir nun Alles gut sein – es soll sich alles so schicken, daß wir gut leben können; gut leben und vergnügt leben ist zweierlei, und das letzte würde ich ohne Hexerey nicht können; – es müßte wahrhaftig nicht natürlich zugehen! und es ist nun nicht möglich, denn bey jetzigen Zeiten gibt es keine Hexen mehr. Mir wird es allezeit das größte Vergnügen seyn, meinen liebsten Vater und meine liebste Schwester zu umarmen und zwar je eher je lieber; aber das kann ich doch nicht leugnen, daß mein Vergnügen und meine Freude doppelt seyn würde, wenn es wo anders geschähe, weil ich überall mehr Hoffnung habe, glücklich und vergnügt zu leben.« Auf die Andeutungen wegen der Weber geht er gar nicht einmal ein.

Bald darauf berichtet nun der Vater, daß man von seiten des Hofes angefragt habe, ob sein Sohn wohl kommen werde, wenn man ihm den Adlgasserschen und dem Vater den Lollischen Gehalt gebe, welches zusammen jährlich 1000 fl. betrug, und führt dem Sohne zu Sinne, daß man sich schon mehr Unterhaltungen schaffen könne, wenn man aufs Geld nicht so genau schauen brauche. Allein diesem war's nicht um die Unterhaltung. Ihm war Salzburg zu eng, zu ungebildet, zu »inferior«. Doch bald darauf kam ein Brief, der alle diese Abneigung niederschlagen mußte. Der Vater schrieb: »Du bist nicht gern in Paris, und ich finde, daß Du eben nicht gar Unrecht hast. Bis jetzt war mein Herz und Gemüth für Dich beängstigt, und ich mußte trotz einem Minister eine sehr kitzliche Rolle spielen, da ich bey aller meiner Herzensangst mich lustig anstellen mußte, um Jedermann glauben zu machen als wärst Du in den besten Umständen und[190] hättest Geld im Ueberflusse, ob ich gleich das Gegenteil weiß. Ich verzweifelte fast so, wie ich wollte durchzudringen, weil, wie Du weißt, nach dem Schritte, den wir gethan, von dem Hochmuthe des Fürsten wenig zu hoffen und ihm Deine Abdankung zu sehr aufs Herz gefallen war. Allein durch mein tapferes Aushalten habe ich nicht nur allein durchgedrungen, der Erzbischof hat nicht nur alles accordirt, für mich und Dich, Du hast 500 fl.; sondern er hat noch entschuldigt, daß er Dich jetzt unmöglich zum Capellmeister machen könnte, Du solltest aber, wenn es mir zu mühsam werde oder wenn ich außer Stande wäre, in meine Stelle unterdessen einrücken u.s.w. Nun kommt es darauf an, ob Du glaubst, daß ich noch einen Kopf habe, und ob Du glaubst, daß ich Dein Bestes besorge, – und ob Du mich todt oder beim Leben erhalten willst. – Die Mlle. Weber sticht dem Fürsten und Allen erstaunlich in die Augen: sie werden sie absolut hören wollen, da sollen sie bei uns wohnen. Mir scheint, ihr Vater hat keinen Kopf; ich werde die Sache besser für sie einleiten, wenn sie mir folgen wollen. Du mußt ihr hier recht das Wort reden, denn zum Castraten will er auch eine andere Sängerin, um eine Opera aufzuführen. – – Mein nächster Brief wird Dir sagen, daß Du abreisen sollst.« Wohl überwand aufs neue der kindliche Sinn des Sohnes die tiefe Abneigung. Aber in rührender Weise spricht sich die Mischung von Freude und Schmerz aus, die in seinem Herzen vorging: »Als ich Ihren Brief durchlas, zitterte ich vor Freuden, denn ich sah mich schon in Ihren Armen. Es ist wahr, Sie werden es mir selbst zugestehen, es ist kein großes Glück, was ich da mache; aber wenn ich mir vorstelle, daß ich Sie, liebster Vater, und meine liebe Schwester ganz von Herzen küsse, so kenne ich kein anderes Glück.« Mehr aber stellt er sich jetzt die Möglichkeit vor, daß Aloysia nach Salzburg komme; denn natürlich, wenn der Erzbischof wirklich eine Sängerin haben wolle, eine bessere könne er gar nicht bekommen. Er schreibt: »Wenn ich zu Salzburg seyn werde, werde ich gewiß nicht ermangeln[191] mit allem Eifer für meine liebe Freundin zu reden, unterdessen bitte ich Sie, und ermangeln Sie auch nicht Ihr Möglichstes zu thun, Sie können Ihrem Sohne keine größere Freude machen.« Auch wünscht er zunächst über Mannheim reisen und Webers besuchen zu dürfen. Besonders aber tröstet ihn die Zusicherung des Erzbischofs, ihn Kunstreisen machen zu lassen: ohne diese Bedingung würde er sich nicht haben entschließen können. »Ein Mensch von mittelmäßigem Talent bleibt immer mittelmäßig, er mag reisen oder nicht«, schreibt er; »aber ein Mensch von superieurem Talent (welches ich mir selbst ohne gottlos zu seyn nicht absprechen kann) wird schlecht, wenn er immer in demselbigen Ort bleibt.«

Im übrigen verhehlt er auch jetzt die innere Abneigung gegen seine Vaterstadt durchaus nicht, und der Vater zeigt ihm noch allerhand Vorteile seiner dortigen Lebensart, die ihn auch an seinem Studieren und Spekulieren nicht hindern werde. Auch brauche er nicht Violine zu spielen bei Hofe, sondern habe beim Klavier alle Gewalt der Orchesterleitung. »Hier könnnen wir nun auf alle Bälle im Fasching auf das Rathhaus gehen,« schreibt er, »die Münchener Comedianten kommen Ende September und bleiben bis die Fasten den ganzen Winter hier mit Comedie und Operetten. Alle Sonntag ist unser Bölzlschießen« u.s.w. Die Hauptsache aber war die Mlle. Weber. Auch darüber redet nun der Vater ein offenes Wort: »was die Mlle. Weber betrifft, so darfst Du gar nicht glauben, als hätte ich etwas gegen diese Bekanntschaft. Alle jungen Leute müssen am Narrenseil laufen. Du kannst wie jetzt Deinen Briefwechsel fortsetzen, ich werde Dich gar nicht darum fragen, noch weniger etwas zu lesen verlangen. Noch mehr! ich will Dir selbst einen Rat geben. Du hast bekannte Leute genug hier. Du kannst die Weberischen Briefe an Jemand anders adressieren lassen und unter der Hand erhalten, wenn Du Dich vor meinem Vorwitz nicht gesichert glaubst.«

Kaum hatte nun Grimm die Anstellung in Salzburg erfahren,[192] so drängte er seinen Schützling zur Abreise. Es war nur natürlich, wenn er bei seiner Ueberzeugung, daß für diesen nichts mehr in Paris zu gewinnen sei, möglichst bald der Sorge um ihn enthoben zu sein wünschte, und gewiß handelte er damit auch nach dem Sinne des Vaters. Dieser erkannte es auch dankbar an, daß Grimm sich sogar erbot, das Geld für die Reise nach Straßburg vorzuschießen. Wolfgang aber wollte darin nichts als Mißgunst und Verrat erkennen, und es empörte ihn geradezu, daß Grimm verlangte, er solle in acht Tagen reisefertig sein, da er ja doch noch vom Herzog von Guines und von Le Gros das Honorar einfordern und seine Sonaten, die er zum Stich gegeben, korrigieren müsse. Allein wenn auch hier Grimm wohl wieder etwas barsch sein mochte, so beruhte doch Wolfgangs Aerger über die Abreise auf einem anderen Grunde. Wir erfahren das aus einem Briefe, den er nach seiner Ankunft in Straßburg schrieb. Aloysia war nämlich derweilen mit einem Gehalt von 1000 fl. als Hofopernsängerin in München angestellt worden. Er schreibt dem Vater: »Daß die Mlle. Weber oder vielmehr meine liebe Weberin Besoldung bekommen und man ihr also endlich Gerechtigkeit hat widerfahren lassen, hat mich so sehr erfreuet, wie man es von einem, der allen Anteil daran nimmt, erwarten kann. Ich empfehle sie Ihnen immer noch aufs beste; doch was ich so sehr gewünscht, darf ich leider nicht mehr hoffen, nämlich sie in salzburgische Dienste zu bringen, denn das was sie oben hat, gibt ihr der Erzbischof nicht. Alles was möglich ist etwa, daß sie auf einige Zeit nach Salzburg kommt, eine Opera zu singen.«

Nun war natürlich die Salzburger Anstellung mit einem Male wieder eine schreckliche Aussicht, und er empfindet die Unannehmlichkeiten des Pariser Aufenthaltes weniger, als ihm jetzt all die Erfolge bedeutend erscheinen, die er hier erringen könne. Er thue die größte Narrheit von der Welt, jetzt nach Salzburg zu gehen, schreibt er dem Vater, und nur die Liebe zu ihm habe er den gewichtigen Vorstellungen seiner Freunde entgegenzusetzen[193] gehabt. Das habe man zwar belobt, allein hinzugesetzt, daß, wenn sein Vater seine jetzigen guten Umstände und Aussichten wüßte (und nicht etwa durch einen guten Freund eines Andern und zwar falsch berichtet wäre), er ihm gewiß nicht auf solche Art schreiben würde, daß er nicht im stande sei, im geringsten zu widerstehen. »Und,« schreibt er, »ich dachte bei mir selbst: Ja, wenn ich nicht soviel Verdruß in dem Hause, wo ich logirte, hätte ausstehen müssen, und wenn das Ding nicht so wie ein Donnerwetter aufeinander gegangen wäre, folglich Zeit gehabt hätte, die Sache recht mit kaltem Blut zu überlegen, ich würde Sie gewiß recht gebeten haben, nur noch einige Zeit Geduld zu haben und mich noch zu Paris zu lassen. Ich versichere Sie, ich würde Ehre, Ruhm und Geld erlangt haben und Sie gewiß aus Ihren Schulden gerissen haben. Nun ist es aber schon so. Glauben Sie ja nur nicht, daß es mich reuet, denn nur Sie, liebster Vater, nur Sie können mir die Bitterkeiten von Salzburg versüßen, und werden es auch thun, ich bin dessen versichert; doch muß ich Ihnen frei gestehen, daß ich mit leichterem Herzen in Salzburg anlangen würde, wenn ich nicht wüßte, daß ich allda in Diensten bin, nur dieser Gedanke ist mir unerträglich.«

Das glauben wir und der Vater ihm gern. Ihm galt es, jetzt in München angestellt zu werden. Aloysia war dort, ja er hatte noch soeben einen Beweis von ihrer treuen Zuneigung bekommen: »Die armen Leute waren alle wegen meiner in der größten Angst, sie haben geglaubt, ich sey gestorben, indem sie einen ganzen Monat ohne Brief von mir waren, weil der vorletzte von mir verloren gegangen; und sie wurden in ihrer Meynung noch mehr bestärkt, weil man in Mannheim sagte, meine selige Mutter wäre an einer erblichen Krankheit gestorben. Sie haben schon alle für meine Seele gebetet, das arme Mädl ist alle Tage in die Capuziner-Kirche gegangen. Sie werden lachen? – ich nicht; mich rührt es, ich kann nicht dafür.« Von der Innigkeit dieser Empfindung scheint der Vater nichts geahnt zu haben,[194] sonst hätte er ihm nicht so erlaubt, »am Narrenseil zu laufen«. Und dies hielt die beiden vortrefflichen Menschen noch auseinander, obgleich Wolfgangs kindliche Pietät immerfort in einer wahrhaft rührenden Weise mit der Neigung des Henzens kämpft und unser Mitgefühl und unsere Achtung in gleichem Maße in Anspruch nimmt. Er fühlt ihr Recht und wagt sie doch dem Vater und seinen Forderungen gegenüber nur schüchtern geltend zu machen. Allein von der Kraft dieser echten Liebe beseelt, treibt er zunächst durch alle Unannehmlichkeiten hindurch auf sein Ziel los. Er verläßt Paris mißmutig, – er selbst ahnte nicht, daß es ihm so viel Bedeutendes gebracht, – innen aber lebt ihm die Hoffnung, seine Aloysia bald wiederzusehen und, wenn alles gut gehe, bald ganz mit ihr vereinigt zu sein. Das freilich sollte eine Täuschung sein. Derweilen aber hatten ihn die mancherlei Widerwärtigkeiten und Schmerzen der letzten Zeit gestärkt und gereift, und es bedurfte nur einiger tüchtigen Schläge des Geschicks, um ihn innerlich ganz selbständig zu machen. Diese blieben denn auch nicht aus, und wir werden sehen, daß die mißmutige Spannung, jene unbefriedigte Trotzigkeit, die den ersten Jugendjahren desto mehr eigen sind, jemehr sie von Natur mit Kraft begabt sind, jener oft gar reizende, mürrische Trotz, der aus dem Ueberschuß von Säften, aus einem Mangel an genügender Reizung und Beschäftigung entsteht, bei Mozart zuerst durch einen jähen Schmerz, der seinem Innern vollauf zu thun gab, und einige Jahre später durch eine außerordentliche Erregung des Selbstgefühls getilgt wurde, die sein Gemüt zur Anspannung aller Kräfte aufrief und ihn so nach kurzer Zeit zum Höchsten befähigte.

Fußnoten

1 Giovanni Giuseppe Cambini (1796–1825), Schüler des Padre Martini, schrieb 19 Opern, 60 Symphonien, 144 Streichquartette u.s.w. starb schließlich, ganz verkommen, im Armenhaus zu Bicêtre bei Paris.


Quelle:
Ludwig Nohl: Mozarts Leben. Berlin 4[um 1910], S. 195.
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