Achter Abschnitt.

Ein erster Kampf mit dem Vater.

1778.

»Leidenschaft und Maß, wie selten vereinigt!«


In der Tat, nach dem, was wir zuletzt über unsern jungen Meister vernommen, wäre zu glauben, in dem lustigen Mannheim sei auch er von dem allgemeinen Getändel ergriffen und ganz in eitel »Liebesgeschichten« aufgegangen. Aber wenn er auch obendrein der Mlle. Gustl Wendling ein französisches Lied schrieb und der berühmten Dorothea Wendling, – jener Frau, von der Heinse fabelt: »Sie hat viel von dem in ihrem Gesichte, was ich bei den vortrefflichsten ihres Geschlechtes schon empfunden habe, das anschmiegende, feuchte, gluthstillende von Weibesliebe und dabei das schnelle, leicht bewegliche der Leidenschaft«, – für »ihrer Stimme Seelenklang« eine Arie und der fünfzehnjährigen Therese Pierron, »unserer Hausnymphe«, für den Unterricht eine Sonate mit Violinbegleitung, so waren dies nur Gefälligkeiten, mit denen seine sprühende Schaffenskraft gern jedem Begehrenden aufwartete, und ihm selbst kam jede Gelegenheit erwünscht, Musik zu schreiben, wie zu hören. Denn Musik war sein Ein und Alles, – es berührte wie schon in der Kindheit ihn nichts im eigentlichen Inneren, was nicht wenigstens eine leise Beziehung zu dieser Kunst hatte, und es ist fraglich, ob jemals im Leben etwas auf sein Wesen einen solchen Eindruck gemacht hat, daß es ihm bedeutsamer und werter geworden wäre als seine Kunst. Vielmehr ward ihm alles, was er erlebte, unter den Händen zur Musik, und so sehr sein Herz an den Dingen der Welt wie an den Menschen Anteil nahm, – wir werden ihn unter allen Umständen[149] fähig, ja geneigt finden zu komponieren, sei es um der Eindrücke, die auf seiner Seele lasteten, los zu werden, sei es um jenes hohe Spiel der Phantasie zu genießen, das jedes künstlerische Tun so unwiderstehlich schön macht.

So ist auch jetzt trotz all der Begebenheiten, die wir oben berichteten, sein Sinn im Grunde ganz auf die Kunst gerichtet. Wir sehen es aus den Briefen an den Vater, die fast nur Projekte in Mitteilungen enthalten, wie er zu einer tüchtigen Betätigung in seiner Kunst zu gelangen gedenke. Nicht bloß der scharf eingeprägte Zweck der Reise, daß es gelte, Brot und Stellung zu gewinnen, um die Salzburger zu äffen und den Vater von der dauernden drückenden Last der Erhaltung zu befreien, sondern ungleich mehr der Drang nach Gelegenheit zur künstlerischen Tätigkeit ist es, der Mozart stets wachsam erhält. Ja, es ist rührend, wie er, der so gern »speculirt und studirt«, sich fortwährend bemüht, bald Lektionen, bald Auftrag zu Kompositionen zu erhalten, und kein Laufen noch Zureden scheut, um in Mannheim zu einer festen Stellung zu gelangen. Denn hier gefiel es ihm. Er war zum erstenmal in einer Stadt, wo seine Kunst durchaus eine Hauptsache war, und wo sie allerdings eine Höhe erreicht hatte, die nicht leicht so wiedergefunden wurde.

Kurfürst Karl Theodor hatte in seinen Bestrebungen für Wissenschaften und Künste damals sowohl eine Akademie wie ein Theater geschaffen und war bemüht, neben dem deutschen Schauspiel, für das er die bedeutendsten Kräfte zu gewinnen wußte, auch eine deutsche Oper zu gründen. Schon dieser Gedanke allein mußte einen Mozart fesseln. Wie hatte er ihn schon in München in Feuer gebracht! Nun hörte er hier wirklich eine solche deutsche Oper: »Günther von Schwarzburg« von dem alten Ignaz Holzbauer, (1711–1783) und sie gefiel ihm überaus: »Die Musik ist sehr schön; die Poesie ist nicht werth einer solchen Musik. Am meisten wundert mich, daß ein so alter Mann wie Holzbauer noch so viel Geist hat, denn das ist nicht zu glauben,[150] was in der Musik für Feuer ist.« Es waren aber auch an dem Mannheimer Theater ausgezeichnete Kräfte: Raaff, der größte deutsche Tenorist seiner Zeit, zwar alt, aber noch immer vortrefflich und ein echter Künstler, jene Dorothea Wendling, ihre Schwägerin Elisabeth Wendling und andere mehr. Allein den Glanzpunkt bildete immer das Orchester, das unter Cannabichs Leitung damals das erste in Europa war und sowohl durch das ausgezeichnete Ensemble und durch eine damals unerhörte Nüancierung im Vortrag, wie besonders durch die vortreffliche Verwendung der Blasinstrumente, unter denen die Klarinette als Orchesterinstrument neu war, jeden Hörer entzückte. Es sind eine Menge gleichzeitiger Berichte darüber vorhanden, und auch Wolfgang beweist seine Anerkennung dadurch, daß er nichts sehnlicher wünscht, als für ein solches Orchester schreiben zu können. Im übrigen aber sehen wir ihn selbst diesen bedeutenden Leistungen gegenüber durchaus unbefangen, ja es imponiert ihm eigentlich nichts. Vielmehr übt er allen diesen Dingen gegenüber in den Briefen an seinen Vater auch jetzt eine durchaus rückhaltlose und vorurteilsfreie Kritik.

Hingegen wirkt auch auf ihn die geistige Erregung, welche damals in litterarischen wie in künstlerischen Dingen ganz Mannheim ergriffen hatte, überaus belebend, und recht wie ein Fisch im Wasser tummelt er sich in dieser lebendigen Flut umher. Die Orchestermitglieder waren ihm bald befreundet. Seine Bereitwilligkeit, sowohl zu spielen als jedem, der es wünschte, etwas zu komponieren, gewann ihm die Herzen der meisten. »Die ersten und besten von der Musik hier«, schreibt er schon nach wenig Wochen, »haben mich sehr lieb und eine wahre Achtung, man nennt mich nie anders als Herr Kapellmeister.« Nur mit wenigen kam er nicht recht überein, aber da lag die Schuld gewiß nicht an ihm. So empörte sich seine Natur, die so ganz Harmonie war und rein und klar in künstlerischen wie in moralischen Dingen, gegen eine Erscheinung wie den Vizekapellmeister Abbé Vogler, den späteren[151] Lehrer C.M. v. Webers und Meyerbeers. Diesem Manne, so geistvoll und bedeutend er war, fehlte eben jenes innere Gleichgewicht, weil ihm die eigentliche künstlerische Schaffenskraft mangelte, und so suchte er durch raffinierte Technik und Künstelei zu ersetzen, was ihm an Erfindung abging. Besonders auf sein Klavierspiel ist Wolfgang schlecht zu sprechen, er nennt ihn geradezu einen Hanswurst und Charletan. Und da er gewiß mit diesen Urteilen, die hier nur vertraulich an den Vater geschehen, auch in Mannheim, wo Vogler durchaus unbeliebt war, nicht zurückhielt, so war natürlich auch Vogler, der Hofkaplan, nicht besonders auf Mozart zu sprechen, und dieser sollte in späteren Jahren noch seine Abneigung schmerzlich erfahren, indem besonders Voglers damaliger Herzensfreund Peter von Winter (1754–1828), dessen Name im »Unterbrochenen Opferfest« eine Weile fortlebte, es an Anfeindungen und Nachstellungen aller Art sowohl auf den künstlerischen Ruhm wie den moralischen Ruf Mozarts nicht hat fehlen lassen.

Von dieser Kapelle nun schlugen einige der Bläser, der Flötist Wendling, der Oboist Ramm, der Fagottist Ritter Wolfgang vor, in den Fasten mit ihnen nach Paris zu gehen, um dort Konzerte zu geben. Das war die erste bestimmtere Veranlassung, die ihn bewog, einstweilen noch in Mannheim zu verweilen: »Herr Wendling versichert mich, daß es mich nicht gereuen wird. Er war zweymal in Paris, er ist erst zurückgekommen, er sagt, das ist noch der einzige Ort, wo man Geld und sich Ehre machen kann. Sie sind ja ein Mann, der Alles im Stande ist, ich will Ihnen schon den rechten Weg zeigen; Sie müssenOpera seria, comique, Oratoire und Alles machen.« Das war genug, Wolfgang für den Plan zu gewinnen. Er berichtet also die Sache dem Vater. Auch die Mutter schreibt von diesem Projekt: »Monsieur Wendling ist ein ehrlicher Mann, den jedermann kennt, er ist viel gereist und schon über 13 Mal zu Paris gewesen, er kennt es in- und auswendig und unser Freund Herr von Grimm ist auch sein bester Freund, welcher[152] ihm viel gethan hat. Also kannst Du Dich entschließen, was Du willst ist mir recht. Der Herr Wendling hat mich versichert, er will gewiß Vater über ihn sein, er liebt ihn wie seinen Sohn, und sollte so gut bei ihm aufgehoben seyn, wie bey mir. Daß ich ihn selbst nicht gern von mir lasse das kannst Du Dir einbilden; und wenn ich allein nach Hause reisen müßte, so einen weiten Weg, das ist mir auch nicht lieb, allein was ist zu thun? Einen so weiten Weg nach Paris zu machen ist für mein Alter beschwerlich und zu theuer.« – »Der Ramm, Oboist«, sagt ferner Wolfgang, »ist ein recht braver, lustiger, ehrlicher Mann, etwa 35 Jahre, der schon viel gereist ist und folglich viel Erfahrung hat.«

Wolfgang hatte von vornhinein gestrebt, sich dem Kurfürsten zu empfehlen, um eine Anstellung in der Kapelle zu erhalten, und seine Freunde betrieben die Sache eifrig. Jetzt war doppelt Drängen nötig. Schon sogleich nach der Ankunft hatte er sich durch den Intendanten Grafen Savioli bei Hofe vorstellen lassen. »Der Kurfürst«, berichtet er, »sie und der ganze Hof ist sehr mit mir zufrieden«. In der Academie, alle zweymal wie ich spielte, so ging der Kurfürst und sie völlig neben meiner zum Klavier. Nach der Academie machte Cannabich, daß ich den Hof sprechen konnte. Ich küßte dem Kurfürsten die Hand. Er sagte: »Es ist jetzt, glaube ich, fünfzehn Jahre, daß Er nicht hier war? – Ja, Ew. Durchlaucht, fünfzehn Jahre, daß ich nicht die Gnade gehabt habe – – Er spielt unvergleichlich. Die Prinzessin, als ich ihr die Hand küßte, sagte zu mir: Monsieur, je vous assure, on ne peut pas jouer mieux.« Nach einigen Tagen erhielt er dann eine schöne goldene Uhr zum Präsent. »Nun habe ich«, schreibt er, »mit dero Erlaubniß 5 Uhren: ich habe auch kräftig im Sinne, mir an jeder Hosen noch ein Uhrtäschl machen zu lassen und, wenn ich zu einem großen Herrn komme, zwey Uhren zu tragen (wie es ohnehin jetzt Mode ist), damit nur keinem mehr einfällt, mir eine Uhr zu verehren.« Später sprach er den Kurfürsten wieder bei seinen natürlichen Kindern: »Er sagte zu mir: ›Ich habe gehört, Er hat zu München[153] eine Opera geschrieben?‹ – Ja, Ew. Durchlaucht! Ich empfehle mich Ew. Durchlaucht zur höchsten Gnad, mein größter Wunsch wäre, hier eine Opera zu schreiben. Ich bitte auf mich nicht ganz zu vergessen. Ich kann Gott Lob und Dank, auch deutsch! und schmutzte. – Das kann leicht geschehen. – Er hat einen Sohn und drey Töchter, die älteste und der junge Graf spielen Klavier. Der Kurfürst fragte mich ganz vertraut um Alles wegen seiner Kinder. Ich redete ganz aufrichtig, doch ohne den Meister zu verachten. Cannabich war auch meiner Meinung. Der Kurfürst als er ging, bedankte sich sehr höflich bei mir.«

Dies allein schon waren Aussichten genug, um Wolfgang an Mannheim zu fesseln, und als nun noch der Pariser Plan dazu kam, hörte es der junge Künstler sehr gern, wenn alles zu ihm sagte: »Wo wollen Sie denn den Winter hin? Bey dieser Jahreszeit ist es gar übel zu reisen; bleiben Sie hier.« Er fühlte sich behaglich in einem freien Verkehre mit geistreichen Männern und gebildeten Fachgenossen, und die Mutter ließ sich von ihm und seinen Freunden leiten. Er nahm also einstweilen 150 Gulden beim Banquier auf. Das war aber dem Vater begreiflich nicht recht. Denn so konnte es nicht fortgehen: »So eine Reise ist kein Spaß; das hast Du noch nicht erfahren. Man muß andere wichtige Gedanken im Kopfe haben als Narrenspossen; man muß hundertfach voraussehen, bemühet seyn, sonst sitzt man auf einmal im Dreck, ohne Geld – und wo kein Geld ist, ist auch kein Freund, und wenn Du hundert Lectionen umsonst gibst, Sonaten componirst und alle Nächte statt wichtigeren Dingen von 10–12 Uhr Kindereien machst. Begehre dann einen Geld-Credit! – da hört aller Spaß auf einmal auf, und im Augenblicke wird das lächerlichste Gesicht ganz gewiß ernsthaft.«

Wolfgang fühlte die Wahrheit dieses Vorwurfs und antwortet gereizt und kleinlaut zugleich: »Wenn Sie die Ursache meiner Nachlässigkeit, Sorglosigkeit und Faulheit zuschreiben, so kann ich nichts thun als mich für Ihre gute Meinung bedanken und von[154] Herzen bedauern, daß Sie mich, Ihren Sohn, nicht kennen. Ich bin nicht sorglos, ich bin nur auf Alles gefaßt und kann folglich Alles mit Geduld erwarten und ertragen, – wenn nur meine Ehre und mein guter Name Mozart nicht darunter leidet. Nun, weil es halt so seyn muß, so sey es. Ich bitte aber im Voraus sich nicht vor der Zeit zu freuen oder zu betrüben, denn es mag geschehen was da will, so ist es gut, wenn man nur gesund ist; denn die Glückseligkeit besteht blos in der Einbildung.« Eine Philosophie, die der Vater sehr gelassen so kritisiert: »Mein lieber Wolfgang, dieser Satz ist ein Moralsatz für Menschen, die mit nichts zufrieden sind!«

Das hatte nun den Erfolg, daß Wolfgang die Sache beim Kurfürsten sowohl selbst wie durch seine Freunde eifriger betrieb. Cannabich wollte mit Savioli darüber sprechen, daß der Kurfürst Mozart zum Kammer-Kompositeur mache. Sodann handelte es sich um den Unterricht bei den kurfürstlichen Kindern. Wolfgang ging wiederholt zu diesen, brachte ihnen Kompositionen mit, ließ sie in Gegenwart des Kurfürsten spielen, dem die Art, wie Mozart die Kinder anwies, ungemein gefiel. Dieser sprach seinen Wunsch aus, die Kinder ganz zu unterrichten. Der Kurfürst versprach, darüber zu denken. Die Sache zog sich hin, der Kurfürst besann sich längere Zeit. Endlich kommt an den Vater der Bericht, den dieser längst erwartet hatte: »Hier ist dermalen Nichts mit dem Kurfürsten.«

Diese Nachricht machte auf die Mannheimer Freunde einen ebenso unangenehmen Eindruck wie auf Wolfgang. Er ging zu Cannabich: »Als die Mlle. Rose, welche drei Zimmer weit entfernt war und just mit der Wäsche umging, fertig war, kam sie herein und sagte zu mir: Ist es Ihnen jetzt gefällig? Denn es war Zeit zur Lection. – Ich bin zu Befehl, sagte ich. – Aber, sagte sie, heut wollen wir recht gescheut lernen. – Das glaube ich, versetzte ich, denn es dauert nicht mehr lang. – Wie so? Warum? – Sie ging zu ihrer Mama und die sagte es ihr. Was? sagte sie, ist es gewiß? Ich glaube es nicht. – Ja, ja, gewiß! sagte ich. Sie spielte darauf[155] ganz serieuse meine Sonate; hören Sie, ich konnte mich des Weinens nicht enthalten; endlich kamen auch der Mutter, Tochter und dem Herrn Schatzmeister die Tränen in die Augen, denn sie spielte just die Sonate und das ist das Favorit vom ganzen Haus.«

Allein diesmal sollte es noch keinen Abschied geben. Einstweilen fesselten ihn die Freunde durch neue Pläne, und als der Abschied nach zwei Monaten dennoch geschehen mußte, sollte er mehr Tränen kosten. Denn über die schöne Rose ging weit die schöne Weber, und diese kannte Wolfgang damals noch nicht.

Wendling, der bei der Nachricht »völlig roth und hitzig« wurde, fand eine Auskunft. Ein reicher Holländer, »ein wahrer Menschenfreund«, wollte Mozart für drei kleine, leichte und kurze Konzerte und ein Paar Quattro auf die Flöte 200 Gulden geben. Für Skolaren sollte Cannabich sorgen. Ferner sollten Duetti auf das Klavier und eine Violine per souscription gestochen werden. Speisen konnte er bei Wendling, wohnen mitsamt der Mutter beim Hofkammerrat Serrarius, dessen Tochter, die Hausnymphe, er dafür unterrichtete. Die Mutter speiste im Hause des jungen Danner, den Wolfgang in der Komposition anwies. Mit dieser Einrichtung war denn auch der Vater zufrieden, auch ihm war eine Reise in der Winterkälte für seine Lieben nicht recht, und aus Wolfgangs Bericht konnte er sehen, daß die Zeit nicht übel angewendet ward. »Vor acht Uhr können wir nicht aufstehen«, schreibt dieser Ende des Jahres, »denn in unserem Zimmer (weil es zu ebener Erde ist) wird es erst um halb neun Uhr Tag. Dann ziehe ich mich geschwinde an; um zehn Uhr setze ich mich zum Componiren bis zwölf Uhr oder halb ein Uhr; dann gehe ich zum Wendling, dort schreibe ich noch ein wenig bis halb zwei Uhr, dann gehen wir zu Tisch. Unterdessen wird es drei Uhr, dann muß ich in den maynzischen Hof zu einem holländischen Offizier, um ihm in Galanterie und Generalbaß Lection zu geben. Um vier Uhr muß ich nach Haus, um die Tochter zu instruiren; da fangen wir vor halb fünf Uhr niemalen an, weil man auf die Lichter wartet.[156] Um sechs Uhr gehe ich zum Cannabich und lehre die Mlle. Rose.« Und die Mutter bestätigt, der Wolfgang habe soviel zu thun, daß er nicht wisse, wo ihm der Kopf stehe.

Nun sollte aber auch ein musikalisches Ereigniß eintreten, das dem jungen Künstler bedeutende neue Anregung gab: Wielands »Rosamunde«, eine deutsche Oper mit Musik von Anton Schweitzer (1737–1787), wurde zur Aufführung vorbereitet. Alle Welt in Mannheim war auf dieses Ereignis gespannt. Der Dichter selbst sollte hinkommen. »Herr Wieland, der die Poesie gemacht hat«, schrieb Wolfgang schon Anfang Dezember, »wird noch den Winter hierher kommen; den möchte ich wohl kennen – wer weiß es!« Am 21. Dezember kam Wieland und wurde überschüttet mit Aufmerksamkeiten des Hofes wie des Publikums: »Nun bin ich mit Herrn Wieland bekannt; er kennt mich aber noch nicht, so wie ich ihn, denn er hat noch nichts von mir gehört. Ich hätte mir ihn nicht so vorgestellt, wie ich ihn gefunden. Er kommt mir im Reden ein wenig gezwungen vor; eine ziemlich kindische Stimme, ein beständiges Gläselgucken, eine gewisse gelehrte Grobheit und doch zuweilen eine dumme Herablassung. Mich wundert aber nicht, daß er (wenn auch zu Weimar oder sonst nicht) sich hier so zu tragen geruhet, denn die Leute sehen ihn hier an, als wenn er vom Himmel herabgefahren wäre. Man genirt sich ordentlich wegen ihm, man redet nichts, man ist still, man gibt auf jedes Wort Acht, das er spricht; – nur Schade, daß die Leute oft so lang in der Erwartung seyn müssen, denn er hat einen Defekt in der Zunge, vermöge er ganz sachte redet und nicht sechs Worte sagen kann ohne einzuhalten. Sonst ist er, wie wir ihn alle kennen, ein vortrefflicher Kopf. Das Gesicht ist von Herzen häßlich, mit Blattern angefüllt, und eine ziemlich lange Nase; die Statur wird seyn beyläufig etwas größer als der Papa.« – Die allgemeine Begeisterung also bestach Wolfgangs Urteil nicht. Nach vierzehn Tagen aber schreibt er: »Der Herr Wieland ist, nachdem er mich nur zweymal gehört hat, ganz bezaubert. Er sagte das[157] letztemal nach allen möglichen Lobsprüchen zu mir: Es ist ein rechtes Glück für mich, daß ich Sie hier angetroffen habe! und drückte mich bey der Hand.« Wie mag dieser Mann, der zuerst in unser »geliebtes Deutsch« jene heitere Anmut einführte, ohne welche alle Dichtung ein dürres Ding bleibt, erst seinen Freunden in Weimar von dem jungen Genius berichtet haben, dessen Grazie ihn lebhaft an seinen geliebten Götterjüngling, den andern großen Wolfgang erinnern mußte.

Die Aufführung der Oper selbst ward freilich durch den Tod des Kurfürsten von Bayern verhindert, Karl Theodor reiste sogleich nach München ab. Allein Wolfgang kannte die Musik aus den Proben, und wenn er auch nicht gar gut auf dieselbe zu sprechen war, so blieb doch die Erinnerung an die begeisterte Teilnahme, die das Publikum für diese heimische Weise der dramatischen Musik gezeigt hatte, eine treibende Kraft in seinem Innern, und er schrieb schon in diesen Tagen an den Vater: »Ich weiß ganz gewiß, daß der Kaiser im Sinne hat, in Wien ein teutscheOpera aufzurichten und daß er einen jungen Kapellmeister, der die deutsche Sprache und Genie hat und im Stande ist etwas Neues auf die Welt zu bringen, mit allem Ernste sucht; Benda in Gotha sucht und Schweitzer aber will durchdringen. Ich glaube, das wäre so eine Sache für mich.« Er drängt den Vater, sogleich an alle erdenklichen Freunde in Wien zu schreiben, und dieser war nicht der Mann, so etwas liegen zu lassen. Allein diesmal ward nichts aus der Sache. »Mir scheint«, schreibt der Vater, »der Kaiser machts wie unser Erzbischof; es soll etwas Gutes sein und nicht viel kosten.« Ein Herr Heufeld hatte nähere Auskunft gegeben, und diese Nachricht traf Wolfgang um so schmerzlicher, als gerade in dieser Zeit die Liebe zu seiner Aloysia ihn mehr als je eine feste Stellung wünschen ließ. Zudem verletzte ihn der Ton des Herrn. »Den Brief von Heufeld«, schreibt er, »hätten Sie mir nicht schicken dürfen; er hat mir mehr Verdruß als Freude gemacht. Der Narr meint, ich werde eine komische Oper schreiben, und so grad[158] auf ungewiß, auf Glück und Dreck! Ich glaub auch, daß er seiner Edlerey keine Schande angethan hätte, wenn er ›der Herr Sohn‹ und nicht ›Ihr Sohn‹ geschrieben hätte. Nun er ist halt a Wiener Lümmel; oder er glaubt, die Menschen bleiben immer zwölf Jahr alt.« Man fühlt aus diesen Worten die seltsame Aufregung, in der sich Wolfgang in diesen Monaten befand. Sonst ist er nicht so hitzig und vor allem nicht so empfindlich. Aber eben stand er im Begriff sich neu zu gebären, – nach allen Seiten hin wurde sein Inneres aufgewühlt, und eine kurze Zeit jähen und schmerzvollen Kämpfens brachte ihn rasch zum vollen Besitze dessen, was ihm die Natur gegeben.

Auch an den Padre Martini schrieb der umsichtige Vater, daß er auf den Kurfürsten wirken möge, dem Wolfgang in Mannheim eine Anstellung zu geben, und selbst in Salzburg bot sich wieder eine gute Aussicht. Denn als der Organist Adlgasser beim Orgelspiel plötzlich vom Schlag getroffen und am selbigen Abend gestorben war (21. Dezember), fragte man offiziell bei Michael Haydn und besonders bei dem alten Mozart an, ob sie nicht wüßten, wo ein guter Organist zu haben sei, der auch zugleich Klavier spiele, ob nicht vielleicht derzeit in Mannheim einer sei? Der Vater berichtet dies dem Sohne, jedoch ohne irgend einen Plan daran zu knüpfen. Ihm lag zunächst die Pariser Reise im Sinne. Und nun gar der Sohn! Er war auf diesem Ohre ganz taub. Soeben hatte er die Freiheit wiedererlangt und ihre Herrlichkeit geschmeckt, und hätte jetzt wieder in den alten Käfig zurückkehren sollen? Er antwortet gar nicht einmal auf diese Stelle im Briefe des Vaters. Ihm lagen wichtigere Dinge am Herzen. Ihm schwellte jetzt der Hauch einer innigen Liebe die Segel, und im Gefühle seiner Kraft, das durch die Anerkennung ausgezeichneter Männer und mehr noch durch den Vergleich mit den Leistungen anderer Künstler gehoben war, deren Können ungleich geringer war, und die dennoch mit ihrem Ruhme das Vaterland erfüllten, in diesem ersten Erwachen seiner ganzen Natur, die in der wogenden Begeisterung[159] alles leisten zu können meinte und in der Tat auch alles leistete, dachte er jetzt daran, in kühnem Fluge die Welt zu erobern, Ruhm und sichere Stellung mit einem Schlage zu gewinnen.

Der Vater derweilen war, wie sich von selbst versteht, mit dem Pariser Projekte beschäftigt, und da jetzt die Abreise vor der Türe stand, so gibt er dem Sohne allerhand guten Rat, wie er die Mutter in bequemer und sicherer Weise zu rechter Zeit nach Augsburg zu befördern habe, wie er in Mannheim alles ordnen und nichts zurücklassen dürfe, wie er dann in Paris fein vorsichtig und zurückhaltend, besonders bei Künstlern sein müsse, – wie besonders Vertraulichkeit mit den Komponisten, deren Rivalität man zu fürchten habe, mit Gluck, Piccini, wenn sie dort seien, auch mit Grétry zu vermeiden sei, – wie vor allem aber im Verkehre mit den Frauenzimmern Vorsicht zu beobachten sei; denn die pflegten dort jungen Leuten von großem Talent erstaunlich nachzustellen, um sie ums Geld zu bringen oder gar in ihre Falle und zum Manne zu bekommen: »das würde wohl mein Tod sein.« Um das letztere freilich durfte er jetzt wenig sorgen: des Sohnes Herz war so ganz von dem Bilde der Einen eingenommen, daß er sonst kein Frauenbild anschauen mochte. Ja er wollte jetzt gar nicht einmal nach Paris, er sann auf ganz andere Dinge, und der Vater war höchlich verwundert, als es plötzlich hieß, man gehe nicht nach Paris: »Meine Mama und ich haben uns unterredet und sind übereingekommen, daß uns das Wendlingische Leben gar nicht gefällt. Der Wendling ist ein grundehrlicher und sehr guter Mann, aber leider ohne alle Religion und so das ganze Haus; es ist ja genug gesagt, daß seine Tochter Geliebte war. Der Ramm ist ein braver Mensch, aber ein Libertin. Ich kenne mich, ich weiß es, daß ich soviel Religion habe, daß ich gewiß niemalen etwas thun werde, was ich nicht im Stande war, vor der ganzen Welt zu thun; aber nur der Gedanke, nur auf der Reise mit Leuten in Gesellschaft zu sein, deren Denkungsart so sehr von der meinigen (und allen ehrlichen Leuten ihrer) unterschieden ist, schreckt mich.« Die Mutter bestätigt dies[160] in den nächsten Briefen: »Das ist wahr, der Herr Wendling ist der beste Mann von der Welt, aber von der Reglion weiß das ganze Haus nichts und haltet nichts darvon; die Mutter und Dochter gehen das ganze Jahr in keine Kirche, gehen niemals beichten und hören keine Messe, aber in die Comedi gehen sie allezeit; sie sagen, die Kirche sey nicht gesund.«

Der Vater aber antwortet darauf: »Daß Du mit der bewußten Gesellschaft nicht reisest, ist recht gethan, allein Du sahest das Böse dieser Menschen längst ein und hattest kein Vertrauen in so langer Zeit, als Du diese Bekanntschaft hast, auf Deinen für Dich so sorgfältigen Vater, ihm solches zu schreiben und seinen Rath zu hören, und (erschrecklich!) Deine Mutter that es auch nicht.« Sie hatten sich eben durch das allgemeine Lob und durch die wirklich guten Eigenschaften Wendlings täuschen lassen. Allein so scharf betont hätte Wolfgang und unter seinem Einflusse die Mutter diesen Umstand dennoch nicht, wenn nicht zu seinem redlichen kirchlichen Bewußtsein noch andere Beweggründe gekommen wären, die wir nun kennen lernen werden. Es lag ihm zunächst alles daran, die Pariser Reise zu umgehen: »Die Hauptursach, warum ich nicht nach Paris gehe, habe ich schon im vorigen Briefe geschrieben. Die zweite ist, weil ich recht nachgedacht habe, was ich in Paris zu thun habe. Ich könnte mich mit nichts recht fortbringen als mit Scolaren, und zu der Arbeit bin ich nicht geboren. Ich habe hier ein lebendiges Beyspiel. Ich hätte zwey Scolaren haben können; ich bin zu jedem dreimal gegangen, dann habe ich einen nicht angetroffen, mithin bin ich ausgeblieben. Aus Gefälligkeit will ich gern Lection geben, besonders wenn ich sehe, daß eins Genie, Freude und Lust zum Lernen hat. Aber zu einer gewissen Stund in ein Haus gehen müssen oder zu Haus auf einen warten müssen, das kann ich nicht und sollte es mir auch viel eintragen. Das ist mir unmöglich, das lasse ich Leuten über, die sonst nichts können als Clavier spielen. Ich bin ein Componist und bin zu einem Capellmeister geboren; ich darf mein Talent im Componiren,[161] welches mir der gütige Gott so reichlich gegeben hat (ich darf ohne Hochmuth so sagen, denn ich fühle es nun mehr als jemals) nicht so vergraben, und das würde ich durch die vielen Scolaren.«

Welch wohlthuenden Eindruck macht dieses lebhafte Gefühl für seine hohe Bestimmung und diese Empörung des jugendlichen Geistes gegen den Zwang eines »Metiers«! Aber was wollte er dann? – Es ward noch viel hin und her geschrieben, wobei wir denn auch erfahren, daß die Flötenquartette für den Holländer noch nicht einmal fertig geworden, – er muß also viel, viel Zeit bei seiner lieben Mlle. Weber zugebracht haben –, und am Ende hören wir auch seinen Plan: er wollte mit Webers Kunstreisen machen!

Dieser Plan, wie er ihn dem Vater ausführlich darlegt, gibt wohl von seiner Unerfahrenheit, aber auch von der leidenschaftlichen Liebe zu seiner Aloysia wie von der natürlichen Güte seines Herzens einen glänzenden Beweis. Der Gedanke, einer armen Familie, ohne sich Schaden zu thun, aufzuhelfen, vergnügt ihn in der Seele. Ebenso erfüllt ihn der Wunsch, wenigstens so lange in der Nähe seiner Geliebten zu weilen, bis er sie ganz sein nennen könne, – denn daß darauf sein volles Streben gerichtet war, erfahren wir aus einem Briefe, den er schon viele Wochen vorher schrieb, als sein Jugendfreund von Schiedenhofen eine reiche Heirat getan hatte: »Das ist halt wiederum eine Geldheyrath, sonst weiter nichts. So möchte ich nicht heyrathen; ich will meine Frau glücklich machen und nicht mein Glück durch sie machen.« Dazu der unwiderstehliche Trieb, Opern zu schreiben!

Er wollte also vorderhand in Mannheim bleiben, um die bestellten Kompositionen zu vollenden: »Unter dieser Zeit wird sich Herr Weber bemühen, sich wo auf Concerts mit mir zu engagieren; da wollen wir miteinander reisen. Wenn ich mit ihm reise, so ist es just soviel, als wenn ich mit Ihnen reisete. Deswegen habe ich ihn so gar lieb, weil er, das Aeußerliche ausgenommen, ganz Ihnen gleicht und ganz Ihrencaractère und Denkungsart hat. Meine Mutter, wenn sie nicht, wie Sie wissen, zum Schreiben zu[162] commod wäre, so würde sie Ihnen das Nämliche schreiben. Ich muß bekennen, daß ich recht gern mit ihnen gereist bin. Wir waren vergnügt und lustig; ich hörte einen Mann sprechen wie Sie. Ich durfte mich um nichts bekümmern; was zerrissen war, fand ich geflickt; mit einem Wort, ich war bedient wie ein Fürst. Ich habe diese bedrückte Familie so lieb, daß ich nichts mehr wünsche, als wie ich sie glücklich machen könnte, und vielleicht kann ich es.«

»Mein Rath ist, daß sie nach Italien gehen sollten. Da wollte ich Sie also bitten, daß Sie je ehender je lieber an unsern guten Freund Lugiati schreiben möchten und sich erkundigen, wieviel und was das Meiste ist, was man einer Primadonna in Verona gibt; – je mehr je besser, herab kann man allezeit, – vielleicht könnte man auch die Ascensa1 in Venedig bekommen. Für ihr Singen stehe ich mit meinem Leben, daß sie mir gewiß Ehre macht. Sie hat schon die kurze Zeit viel von mir profitirt, und was wird sie erst bis dahin profitiren? Wegen der Action ist mir auch nicht bang.«

»Wenn das geschieht, so werden wir, Mr. Weber, seine zwey Töchter und ich die Ehre haben, meinen lieben Papa und meine liebe Schwester im Durchreisen auf 14 Tage zu besuchen, meine Schwester wird an der Mlle. Weber eine Freundin und Kameradin finden; denn sie steht hier im Ruf wie meine Schwester in Salzburg wegen ihrer guten Aufführung, der Vater wie meiner, und die ganze Familie wie die Mozartsche. – Ich bitte Sie, machen Sie Ihr Möglichstes, daß wir nach Italien kommen: Sie wissen mein größtes Anliegen – Opern zu schreiben. – Ich bin einem jeden vor Verdruß neidig, der eine schreibt; ich möchte ordentlich weinen, wenn ich eine Aria höre oder sehe. Aber italienisch, nicht deutsch: eine seria nichtbuffa! – Nun habe ich alles geschrieben wie es mir um's Herz ist. Meine Mutter ist mit meiner Denkungsart ganz zufrieden. – Ich küsse Ihnen tausendmal die Hände und bin bis in den Tod dero gehorsamster Sohn.«[163]

Allein die Mutter fügt eine Nachschrift zu: »Mein lieber Mann! Aus diesem Brief wirst Du ersehen haben, daß wann der Wolfgang eine neue Bekanntschaft machet, er gleich Gut und Blut für solche Leute geben wollte. Es ist wahr, sie singt unvergleichlich; allein da muß man sein eigenes Interesse niemals auf die Seite setzen. Es ist mir die Gesellschaft mit dem Wendling nie recht gewesen, allein ich hätte keine Erinnerung machen dürfen, und mir ist niemals geglaubt worden. Sobald er aber mit den Weberischen ist bekannt worden, so hat er gleich seinen Sinn geändert. Mit einem Wort: bey anderen Leuten ist er lieber als bey mir, ich mache ihm in einem und anderm was mir nicht gefällt Einwendungen, und das ist ihm nicht recht. Du wirst es also bei Dir selbst überlegen, was zu thun ist. – Ich schreibe dieses in der größten Geheim, weil er beim Essen ist, und ich will damit nicht überfallen werden. Addio, ich verbleibe Dein getreues Weib, Marianna Mozartin.«

Wolfgang wiederholt in späteren Briefen seine eindringliche Bitte und ist so ausführlich, wie es ihm sein liebendes Herz eingiebt. Allein währenddessen hatte der Vater schon einen langen, langen Brief begonnen, in dem er dem Sohne die Lage der Sache in einer Weise auseinandersetzt, gegen die keine Einwendungen möglich waren. Hatte ihn schon Wolfgangs Unbesonnenheit, Geld beim Bankier aufzunehmen, während er, der Vater, sich zu Hause kaum durch die Schulden durchschlagen könne, und mehr noch die Lässigkeit empört, mit der die Komposition der Stücke für den Holländer betrieben schien, so daß statt 200 fl. nur 94 fl. einkamen, da doch gerade von dieser Einnahme der Mannheimer Aufenthalt gedeckt werden sollte: so war dieser neue Plan des Sohnes geeignet, ihn ganz und gar zu erzürnen, ja er brachte ihn fast von Sinnen. Aber es beweist den tüchtigen Charakter und den klaren Geist dieses Mannes, daß aller Eifer, in den er gerät, weil er sieht, daß der Sohn so gar keine Ahnung davon hat, worum es sich vorerst handelt, ihn durchaus zu keiner törichten und übertriebenen Anklage[164] verführt, sondern daß bei aller Schärfe des Tadels und der Kritik, die dem Handeln des Jünglings allerdings zu teil werden, immer die väterliche Liebe oder vielmehr die Einsicht in die Grundeigentümlichkeit seines Sohnes ihn bestimmt. Sie gibt ihm denn auch die richtigen Mittel an die Hand, auf diesen so zu wirken, daß er das Rechte tue, das heißt dasjenige, was ihn unter den jetzigen Umständen nicht allein zu momentanem Erwerb führe und den Vater aus den Schulden ziehe, sondern was ihm zu einer entsprechenden Verwendung seines Talentes und damit zu einer sicheren Zukunft verhelfe. Man weiß wirklich nicht, soll man mehr die Weisheit des lebenskundigen Vaters bewundern, die den genialen Sohn selbst in den schwersten Prüfungen auf dem rechten Wege zu erhalten weiß, oder die echt kindliche Bescheidung des Sohnes, der seine edelste Leidenschaft unter den Willen eines andern bändigt, weil er ihn für den Höheren hält. Denn es kam alles wieder ins Gleiche zwischen Vater und Sohn, und wir erkennen gerade aus diesem Kampfe die Tüchtigkeit, die in der Natur beider lag, und die allein es möglich gemacht hat, daß die ungemessene Begabung des Sohnes auch wirklich das Höchste in seiner Sphäre erreicht hat. Ja, selbst am Ende seines Lebens, und gerade da am meisten, werden wir erfahren, wie Wolfgang diesen besten aller Väter geliebt, wie er die Güte seines Herzens erkannt und seine Weisheit verehrt hat.

Zunächst freilich geht es zwischen beiden sehr real zu. Wolfgang muß tüchtige Wahrheiten hören, vor allem, wie wenig er bis jetzt noch den eigentlichen Zweck der Reise, sich eine Stellung zu verschaffen, erreicht, ja nur denselben fest im Auge behalten, wie er sich jedem augenblicklichen Eindrucke sogleich mit Leib und Seele hinzugeben und jetzt nahe daran sei, die Pflichten gegen sich und die Seinigen ganz und gar zu versäumen. »Dieser Brief, an dem ich meinen Sohn an nichts anderem mehr erkenne als an dem Fehler, daß er allen Leuten auf das erste Wort glaubt, sein zu gutes Herz durch Schmeicheleyen und gute schöne Worte Jedermann[165] blosstellt, sich von jedem auf alle ihm gemachten Vorstellungen nach Belieben hin- und herlenken läßt und durch Einfälle und grundlose nicht genug überlegte, in der Einbildung thunliche Einfälle sich dahin bringen läßt, dem Nutzen fremder Leute seinen eigenen Ruhm und Nutzen und sogar den Nutzen und die seinen alten ehrlichen Eltern schuldige Hilfe aufzuopfern, – dieser Brief hat mich umsomehr niedergeschlagen, als ich mir vernünftige Hoffnung machte, daß Dich einige Dir schon begegnete Umstände und meine hier mündlich und Dir schriftlich gemachten Erinnerungen hätten überzeugen sollen, daß man um sein Glück zu erreichen, sein gutes Herz mit der größten Zurückhaltung verwahren, nichts ohne die größte Ueberlegung unternehmen und sich von enthusiastischen Einbildungen und ohngefähren blinden Einfällen niemals hinreißen lassen müsse. Ich bitte Dich, mein lieber Sohn, lese diesen Brief mit Bedacht, nehme Dir die Zeit solchen mit Ueberlegung zu lesen. – Großer gütiger Gott, die für mich vergnügten Augenblicke sind vorbei! – – Es kommt jetzt nur ganz allein auf Dich an, in eins der größten Ansehen, die jemals ein Tonkünstler erreicht hat, Dich nach und nach zu erheben. Das bist Du Deinem von dem gütigsten Gott erhaltenen außerordentlichen Talente schuldig, und es kommt nur auf Deine Vernunft und Lebensart an, ob Du als ein gemeiner Tonkünstler, auf den die Welt vergißt, oder als ein berühmter Kapellmeister, von dem die Nachwelt auch noch in Büchern lieset, – ob Du von einem Weibsbild etwa eingeschläfert mit einer Stube voll nothleidender Kinder auf einem Strohsack oder nach einem christlich hingebrachten Leben mit Vergnügen, Ehre und Reichthum, mit Allem für Deine Familie wohl versehen bei aller Welt in Ansehen sterben willst?«

Sodann beweist er ihm schlagend, wie schwer, wie unmöglich es sei, ein junges Mädchen, das keinen Namen habe, auf die Bühne und nun gar in Italien zu bringen, und: »der Vorschlag mit Herrn Weber undNB. 2 Töchtern herumzureisen, hätte mich beinahe um meine Vernunft gebracht!« So seinen und der Eltern[166] guten Namen leichtsinnig auf das Spiel zu setzen und sich dem Gelächter, dem Spott, der Verachtung preiszugeben! Zudem drohe jetzt überall Krieg auszubrechen. Solche Pläne seien aber überhaupt nur für kleine Lichter, für Halbkomponisten, für Schmierer: »Fort mit Dir nach Paris, und das bald! Setze Dich großen Leuten an die Seite! Aut Caesar aut nihil! Der einzige Gedanke Paris zu sehen, hätte Dich vor allen fliegenden Einfällen bewahren sollen.«

So faßte er den Sohn, den er kannte, an allen Seiten, wo er zu fassen war: er erregte seine kindliche Liebe, sein Pflichtgefühl, sein Ehrgefühl und seinen Ehrgeiz, – nur den einen Punkt berührt er nicht, seine Liebesleidenschaft. Diese hatte Wolfgang nicht offen ausgesprochen, und es war wohl Klugheit, wenn der Vater sie ignorierte, da der Sohn hier wie jeder tiefere Mensch gegen alle Gründe unzugänglich gewesen sein würde. Vielmehr zeigt er, daß es auch ihm an Teilnahme für die Fähigkeiten des Mädchens wie für die Not der Familie nicht fehle, indem er rät, den Sänger Raaff für das Mädchen zu interessieren; der vermöge zu helfen, wenn er wolle.

Wolfgang wand sich in Schmerzen, als er diesen Brief gelesen. Er wurde unwohl und mußte einige Tage das Zimmer hüten. Endlich siegte die Vernunft über die Leidenschaft. Er sah ein, daß er Unrecht gewollt, er begriff auch, daß er die Neigung seines Herzens nicht aufzugeben brauche, wenn er diesen Plan aufgab, daß er vielmehr so, wie es der Vater wolle, erst recht zu seinem Ziele gelangen werde. Denn das verhehlte er weder sich noch seinem Vater, daß er den Besitz dieses Mädchens erstrebe und nur von Mannheim fortging, um sich eine feste Stellung zu erwerben. Er beugt sich in kindlicher Ergebung unter den Willen des Vaters: »Ich habe mir nie etwas Anderes vorgestellt, als daß Sie diese Reise mit den Weberischen mißbilligen werden; denn ich habe es niemal – bei unsern dermaligen Umständen versteht sich – im Sinn gehabt; aber ich habe mein Ehrenwort gegeben,[167] Ihnen das zu schreiben.« Wir können uns ungefähr vorstellen, wie die Sache gegangen war. Gewiß hatte Wolfgang, der Italien kannte und liebte, den ersten Gedanken an die Reise ausgesprochen, der dann von Webers mit Lebhaftigkeit aufgegriffen und mehr, als Mozart selbst wünschte, ausgeführt worden war: »Die guten Leute sind müde hier zu seyn, wie – Sie wissen schon wer und wo, mithin glauben sie, es sey Alles thunlich. Ich habe ihnen versprochen, Alles an meinen Vater zu schreiben; unterdessen als der Brief nach Salzburg lief, sagte ich schon immer, sie soll doch noch ein wenig Geduld haben, sie sey noch ein bischen zu jung u.s.w. Von mir nehmen sie auch Alles an, denn sie halten viel auf mich.« Anfangs zwar weist er die Vorwürfe des Vaters etwas bitter zurück. Allein mehr noch ist es ihm schmerzlich, kein volles Vertrauen zu finden, und er vermochte nicht, sich ganz freimütig auszusprechen: »Ich bitte, Alles von mir zu glauben, was Sie wollen, nur nichts Schlechtes. Es gibt Leute, die glauben, es sey unmöglich ein armes Mädl zu lieben, ohne schlechte Absichten dabey zu haben; – ich bin kein Brunetti und kein Wisliweczek! ich bin ein Mozart, aber ein junger und gut denkender Mozart.« Und bald drang wieder die volle Sonne der vertrauenden Liebe durch die dunklen Regungen des Schmerzes und der Kränkung: »nach Gott kommt gleich der Papa; das war als ein Kind mein Wahlspruch oder axioma und bei dem bleibe ich auch noch.«

Sogleich machten sie Vorbereitungen zur Abreise, zu der der Vater seinen geliebten Sohn nun auch mit dem besten Segen begleitete: »Wie schwer es mir fällt, daß ich nun weiß, daß Du Dich noch weiter von mir entfernest, kannst Du zwar Dir in etwas vorstellen, aber mit derjenigen Empfindlichkeit nicht fühlen, mit der es mir auf dem Herzen liegt. – Ich habe nun in Dich, mein lieber Wolfgang, nicht nur allein kein, auch nur das geringste Mißtrauen, sondern ich setze in Deine kindliche Liebe alles Vertrauen und alle Hoffnung. – Ich weiß, daß Du mich nicht allein als Deinen Vater, sondern als Deinen gewissesten und sichersten[168] Freund liebst, daß Du weißt und einsiehst, daß dieses Glück und Unglück, ja mein längeres Leben oder auch mein baldiger Tod, nächst Gott, sozusagen in Deinen Händen ist. wenn ich Dich kenne, so habe ich nichts als Vergnügen zu hoffen, welches mich in Deiner Abwesenheit, da ich der väterlichen Freude, Dich zu hören, Dich zu sehen und zu umarmen, beraubt bin, allein noch trösten muß. Ich gebe Dir von Herzen den väterlichen Segen, und bin bis in den Tod Dein getreuer Vater und sicherster Freund L. Mozart.«

Wolfgang reiste ab, und wir brechen hier mit Freude die Erzählung für einen Augenblick ab, damit auch dieses Bild der Liebe und des Vertrauens zwischen Vater und Sohn ebenso seinen vollen Widerschein erzeuge wie das Bild des Glücks jener Liebenden es gethan. Denn man wird nicht viel Beispiele finden, wo sich dieses sittliche Band der Herzen, das die Grundlage alles höheren Menschendaseins ist, in einer so reinen Weise darstellt. Hier fühlen wir die Mächte, die das Leben bilden und erhalten, hier fühlen wir den warmen Boden, aus dem alles Gute und Echte emporsprießt, Liebe und Vertrauen und Gefühl der Pflicht. In dem Jüngling beginnen sich die Eigenschaften des Mannes zu entwickeln, und mit diesen leistete auch ein Mozart erst das Große.

Fußnoten

1 Saisonoper.


Quelle:
Ludwig Nohl: Mozarts Leben. Berlin 4[um 1910], S. 169.
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