Neunter Abschnitt.

[440] »Così fan tutte.«

1789.

»Durch Schönheit zur Wahrheit!«


Von Leipzig ging die Reise nach Berlin. Wir erfahren nicht, welchen Eindruck diese Stadt, deren großartiger Ausbau allerdings erst später stattfand, auf ihn gemacht hat. Ihm freilich waren die Herrlichkeiten Europas bekannt, und zumal jetzt war sein Sinn ausschließlich auf Erreichung seiner Reisezwecke gerichtet, daß er in den Briefen an seine Frau nichts von solchen Dingen erwähnt. Spricht er doch nicht einmal über das reiche Musikleben, das damals in Leipzig aufzublühen begann und auch ihn mit wohltuender Belebung umspielte. Ebenso war in Berlin seit des großen Friedrich Tode die Alleinherrschaft des italienischen Geschmacks gebrochen worden; Friedrich Wilhelm II. gab jeder Richtung der Tonkunst Spielraum: denn er selbst war eine musikalische Natur. Er kannte bereits die »Entführung«, die damals in Berlin mit großem Entzücken gesehen wurde, und liebte Mozarts Quartette, in denen er selbst das Violoncell spielte.

Das hatte er von dem berühmten Jean Pierre Duport (1741–1818) gelernt, und dieser hatte in Kunstdingen Macht am Hofe. Mozart besuchte Duport, der übrigens als stolz und hochfahrend, ja als intrigant bekannt war, sogleich nach seiner Ankunft. Duport verlangte, daß er mit ihm französisch spreche. Mozart aber lehnte es ab, so sehr er dieser Sprache mächtig war. »So ein wälscher Fratz« sagte er nachher »der jahrelang in deutschen Landen ist und deutsches Brod ißt, muß auch deutsch reden oder radebrechen, so gut oder so schlecht als ihm das französische Maul dazu gewachsen ist.«[443]

Dies vergab ihm der Franzose nicht. Und obwohl ihm Mozart noch die Aufmerksamkeit erwies, über ein von ihm komponiertes Menuett Variationen zu setzen und sie vorzuspielen, so suchte ihn Duport doch beim König zu diskreditieren. Dies hatte freilich keinen Erfolg; denn Friedrich Wilhelm schätzte Mozart hoch, er zog ihn regelmäßig zu seinen Konzerten heran und ließ sich gern von ihm vorspielen. Bei einer solchen Gelegenheit war es denn auch, wo der König ihn fragte, was er von seiner Kapelle halte. Diese dirigierte damals der bekannte Johann Friedrich Reichardt (1752–1814). Mozarts freimütige Antwort war, sie vereinige die größten Virtuosen der Welt, aber wenn die Herren zusammen wären, könnten sie es besser machen. Das mag denn Reichardt nicht gefallen haben und trug nicht dazu bei, seine Urteile über Mozart, die schon bisher mißgestimmt und krittelnd genug gewesen waren, zu heben. Mußte doch überhaupt einem Manne, dessen einseitig reflektierender Verstand ein rein-künstlerisches Schaffen durchaus schwer, ja unmöglich machte, eine Natur wie die Mozarts, »die um alles andere unbekümmert nur künstlerischen Impulsen folgt, aus innerer Notwendigkeit das Höchste schafft und gar nichts dazu thut, ihm auch äußerlich Geltung zu verschaffen«, unbegreiflich und deshalb unbequem erscheinen.

Allein dem Könige hatte Mozarts Urteil gefallen, er machte ihm den Antrag, die Leitung der Kapelle selbst zu übernehmen, und zwar mit einem Gehalt von dreitausend Talern. Mozart war durch diese Liberalität betroffen, dies schien ihm zuviel, ein Anerbieten, das doch nur seinen Leistungen entsprach, und das man ihm in Wien hätte längst machen sollen. Allein in der einfachen Bescheidenheit, die ihn auch mit dem kleinen Gehalt, das ihm der Kaiser Joseph gab, zufrieden sein ließ, »weil kein Einziger in der Kammer soviel habe«, bedachte er sich und erwiderte! »Soll ich meinen Kaiser verlassen?« Der König hieß ihn den Vorschlag in nähere Ueberlegung ziehen und[444] versprach, auch wenn er erst nach Jahr und Tag kommen wolle, werde dies Anerbieten in voller Kraft bleiben.

Diese Aussicht erheiterte Mozart wesentlich, seine Briefe atmen jene Erfrischung, die eine neue Hoffnung gerade dann am meisten gewährt, wenn wir in der Bedrängnis keinen Ausgang sehen. Seine Tage waren wiederum sehr fröhlich. Er wohnte in Potsdam bei dem Hornisten Thürschmidt, den er in Paris kennen gelernt hatte, und verkehrte viel mit Sartory, einem Ornamentiker, der die Musik, diese flüssige Arabeske, besonders liebte und einen guten Flügel besaß. In dem gastfreien Hause dieses Mannes versammelte sich alles, was Interesse für Musik hatte, und Mozart war durch sein Spiel wie durch seine gute Laune bald der Mittelpunkt dieses heiteren Kreises. Auch verkehrte er, der in seiner natürlich vertraulichen Art rasch mit den Leuten bekannt wurde, weil es für ihn, dem jeder Mensch ein Freund schien, keine Fremden gab, viel bei der trefflichen Sängerin Sophie Niklas, deren Bruder der Kammermusikus Semler war. Dieser erzählt von Mozarts liebenswürdiger Art folgendes Beispiel: »Einstmals wurde er aufgefordert zu phantasieren. Bereitwillig, wie er immer war, setzte er sich ans Klavier, nachdem er sich von den anwesenden Musikverständigen zwei Themata hatte geben lassen. Die Sängerin trat neben seinen Stuhl, um ihn auch spielen zu sehen. Mozart, der gern mit ihr scherzte, sah zu ihr hinauf und sagte in seiner gemütlichen österreichischen Mundart: ›Nun? Haben's auch a Themerl auf'm G'wissen?‹ – Sie sang ihm eins. Er begann nun das reizendste Spiel, bald mit diesem bald mit jenem Thema, und zum Schluß brachte er sie alle drei zusammen, zum höchsten Genuß und Erstaunen der Anwesenden.«

Wohl mochte es ein Genuß sein, seinen Händen zu zuschauen, die durch die Anmut der Bewegung schon dem Auge vorbildeten, was dem Ohr so entzückend klang. Denn er hatte kleine schöne Hände, und beim Klavierspiel wußte er sie so sanft und natürlich[445] auf der Klaviatur zu bewegen, daß sich daran das Auge nicht minder als das Ohr an den Tönen ergötzen mußte. Und nun gar, wenn die Muse jugendlicher Schönheit ihn begeisterte, wenn glänzende Augen ihm die Bewegung verrieten, die seine Töne erregten, wenn ein holder Mund ihm Beifall lächelte! Dann wurde seine Phantasie, die so durchaus für alles Schöne erregbar war und die süße Poesie der Jugend, die in ihm selbst so unvergänglich lebte, verstand wie wenige, in sprühende Begeisterung versetzt. Seine Finger verkündeten dann in anmutigem Spiel die frohe Bewegung des eigenen Inneren und tönten jenes unsägliche Gefühl des Glückes aus, das, so wie er, wenig Menschen je empfunden, je ausgesprochen haben. Auch die Briefe an seine Constanze beweisen, wie sehr die Freude in seiner Seele lebte, wie sie nur aus ihm sich gebar und herrlich in den stillen Augengblicken hervorblühte, wo er mit dem geliebten Bilde allein war. So freuen kann sich nur eine reine kindliche Seele, eine in sich selbst fest begründete Natur, so glücklich ist nur der gute Mensch. Er hatte den tiefsten Sinn für die Freude. Und er verbreitete sie um sich her, wie wenn ein Stern aufgeht und Licht bringt. Alle Menschen, die ihn gekannt, wissen davon zu erzählen. »Sie redeten von ihm, wie man von einer Geliebten spricht«, berichtet einer, der noch manchen von Mozarts Bekannten selbst hat erzählen hören, der Maler der deutschen Märchen, Moriz von Schwind, über dessen Bildern der Duft holder Poesie ausgegossen ist, dessen Linien in ihrer anmutigen Bewegung selbst wie Musik sind, weil sein Sinn sich vor allem an den Schöpfungen unseres Meisters genährt und sein Formensinn sich an ihnen geschult hat.

Inzwischen kehrte Mozart von Berlin aus noch einmal nach Leipzig zurück. Man hatte ihn dazu beredet und versprochen, unterdessen alle Vorbereitungen zu einem Konzert zu treffen, von dem man einen bedeutenden Erfolg hoffte. Besonders der Fürst Lichnowsky hatte ihn dazu bewogen. Mozart ließ sich[446] nun keine Mühe verdrießen, und probierte mit den Musikern, die er wie immer schnell für sich zu gewinnen verstand, auch eine seiner Symphonien. Dabei erfährt man nun recht, wie er die Menschen kannte. Kurz vorher noch hatte er sich über das zu rasche Tempo, mit dem die meisten Spieler und Dirigenten die Musik verhudeln, scharf geäußert. Jetzt in der Probe nahm er selbst das erste Allegro sehr rasch, so daß das Orchester, das an dergleichen nicht gewöhnt war, nach kurzer Zeit ins Schleppen geriet. Er klopfte ab, sagte, worin gefehlt sei, und fing von neuem und ebenso geschwind an. Dabei tat er nun alles, Mögliche, um das Orchester im Zuge zu erhalten und stampfte namentlich mit dem Fuße den Takt so heftig, daß die stählerne Schuhschnalle in Stücke sprang. Das brachte ihn selbst zum Lachen, und als trotz allem das Schleppen nicht nachließ, fing er zum drittenmal von vorn an. Nun wurden die Musiker, denen die Hudelei nicht behagte, unmutig, arbeiteten erbittert darauf los, und – es ging. »Wundern Sie sich nicht,« sagte er dann zu seinen Freunden, »es war nicht Caprice, ich sah aber, daß die meisten Musiker schon ziemlich bejahrte Leute waren; es wäre des Schleppens kein Ende gewesen, wenn ich sie nicht erst ins Feuer getrieben und böse gemacht hätte, vor lauter Aerger taten sie nun ihr Möglichstes.« Ebenso hat er es später in Mannheim gemacht, als man seinen »Don Juan« so sehr schleppte. Freilich, wo er persönlich einmal dirigiert hatte, blieb in der Kapelle eine Tradition, und die Leistungen behielten lange etwas von dem Leben dieses Feuergeistes. So in Mannheim und in Wien. Auch diesmal hatte seine stürmische Art einen solchen Eindruck gemacht, daß ein Bratschist auf seiner Stimme die Stelle bemerkt hatte, wo die Schuhschnalle absprang, ja, der alte Orchesterdiener hatte die Stücke davon aufbewahrt und zeigte sie als Wahrzeichen vor. Uebrigens nahm er alles Weitere in gemäßigtem Tempo, und nachdem die Arie probiert war, lobte er das Akkompagnement und meinte, es sei unnötig, nun auch[447] seine Konzerte zu probieren: »Die Stimmen sind richtig geschrieben, Sie spielen richtig und ich auch«, – und in der Tat, es ging gut.

Gleichwohl war das Konzert nur schwach besucht und brachte ihm so wenig ein, daß er die Reise fast umsonst gemacht hatte. Freilich war daran zum Teil auch wieder seine Generosität schuld. Denn er hatte wieder an alle, die er nur kannte, Freibilletts ausgeteilt, und so war fast die Hälfte der Anwesenden unentgeltlich im Konzert. Auch die Chorsänger, die, weil Mozart keinen Chor gebrauchte, der Sitte nach diesmal vom freien Eintritt ausgeschlossen waren, hatten sich in ziemlich zahlreicher Menge eingefunden. Einige erkundigten sich beim Billeteur, ob sie nicht hineindürften. Auf seine Anfrage hieß ihn Mozart sogleich alle diese »braven Leute«, die ihm ja die Motetten gesungen hatten, einzulassen: »wer wird es mit so etwas so genau nehmen!« sagte er. Anders liebte es der Abbè Vogler. Er hatte sich einmal in Leipzig ungebeten und unangemeldet bei einem angesehenen Musikalienhändler einquartiert, zu dem er in keinerlei persönlichen Verhältnissen stand. Als er nun ein Konzert gab, erbat er sich die Ehre die Frau vom Hause hinführen zu dürfen und führte sie auch wirklich – an die Kasse, wo er ihr überließ, sich ein Billet zu kaufen.

Der schwache Besuch des Konzertes tat freilich Mozarts musikalischer Laune durchaus keinen Eintrag. Obgleich er den ganzen Abend äußerst angespannt gewesen war, zeigte er sich doch sogleich bereit, als man ihn zu phantasieren bat. Es heißt darüber: »Er setzte sich nochmals hin und spielte um allen alles zu werden. Er begann einfach, frei, feierlich in C-moll, – doch es ist eine Albernheit, so etwas beschreiben zu wollen. Da er hier mehr auf Kenner Rücksicht genommen hatte, senkte er sich im Fluge seiner Phantasie nach und nach herab und beschloß mit den gedruckten Variationen über Je suis Lindor!« Dann ging er zu dem alten vortrefflichen Violinspieler Berger, mit dem[448] er oftmals Quartett gespielt hatte und der noch als Greis, wenn solch ein Stück zum Vorschein kam, mit gerührter Freundlichkeit einem Freunde zuzuflüstern pflegte: »Ach, das habe ich ehemals dem großen Mozart selbst zu accompagniren die Ehre gehabt«, und sagte zu ihm: »Nun bin ich erst warm geworden. Kommen Sie mit zu mir, ich will Ihnen noch was spielen, wie sich's für Kunstverständige gehört.« Und nach kurzer Mahlzeit strömte er seine Ideen und Gefühle auf dem Instrumente aus bis gegen Mitternacht. Dann plötzlich nach seiner Weise aufspringend rief er: »Na war's so recht? Nun, Papa, haben Sie den Mozart nach seiner Weise gehört, das Uebrige können Andere auch.« So erzählt Rochlitz. Ebenso liebenswürdig zeigte er sich mit seinem Schaffen. Am 17. Mai komponierte er, ohne Zweifel durch Bachs hohe Kunst angeregt, für den Hoforganisten Engel an der Schloßkapelle die prächtige kleine Gigue, ein Zauberstück kontrapunktischen Lebens.

In Berlin, wohin er andern Tages zurückkehrte, wurde am 19. Mai »auf lautes Begehren« die »Entführung« gegeben Dabei geschah wieder etwas echt Mozartisches. Er war soeben erst angekommen und ging in Reisekleidern ins Theater. Er stellte sich nahe ans Orchester und erregte schon durch häufige Bemerkungen, die er vor sich hin sagte, die Aufmerksamkeit seiner Umgebung. Als nun in der Arie des Pedrillo »Nur ein feiger Tropf verzagt« die zweite Violine dis spielte und er laut rief: »Verflucht, wollt ihr d greifen!« sah sich alles erstaunt um. Man erkannte ihn im Orchester und wie ein Lauffeuer verbreitete sich im Theater die Nachricht, Mozart sei da. Darauf wollte nun Madame Baranius, welche das Blondchen sang, nicht wieder auf die Bühne gehen. Der Musikdirektor in aller Verlegenheit wandte sich an Mozart und dieser sagte zu der Sängerin: »Madame, was treiben Sie für Zeug? Sie haben herrlich gesungen, und damit Sie es ein andermal noch besser machen, will ich selbst die Rolle mit Ihnen einstudiren.«[449]

Madame Baranius war sehr schön. Die bekannte Rahel Varnhagen ist entzückt von ihrer Erscheinung. Sie schreibt 1793 an einen Freund: »Ihr Billet bekam ich heute Morgen, wie die Baranius bei meiner Schwägerin war, aber Sie kamen nicht und hätten tausendmal mehr Vergnügen gehabt als das Billet. Nein, wie sie schön war! noch hab' ich Kopfschmerzen davon, so paradox das klingt; es war das kleine Zimmer, und unser ganzes Haus und Mad. Liman und Scholz und ich und meine Mutter drängten sich ihr nach, ich am nächsten und achtete Hitze und gelinde Kopfschmerzen nicht, aber das Plaisir zu sehr, und das vermehrte sie bis halb zwei Uhr, da sie ging. Und da reden die dummen Menschen noch lange schlecht davon, als wenn dies Drängen nicht eben so natürlich als das Luftschöpfen wäre, und anders tut sie doch nichts, als sie läßt sich drängen. Sie verstehen's nur gar nicht, Ehre verdient so etwas, opfern müßten sie; und bei dem Reden drängen sie, und bei dem Drängen reden sie. Die Schiefgezauberten, uns zur Last Verkehrten! Mich sollen sie nicht wegkriegen. Sie war so schön! und erzählte so was Schönes, wozu man nicht dumm sein kann, und wohl Gefühl haben muß; und die hübsche Art! Wenn ich Sie sehe, will ich's Ihnen wieder ezählen.«

Sie war jung und liebte zu gefallen. Ja, sie strebte, die Anmut ihrer Erscheinung mehr, als für die Rollen nötig war, durch eine geschmackvolle und glänzende Toilette zu erhöhen, und man sagte ihr nach, daß sie auch außerhalb der Bühne ihre Reize geltend zu machen nicht verschmähe. Auch Mozart blieb gegen dieselben nicht unempfindlich, zumal ihr Talent als Sängerin und Schauspielerin ihn bewog, von seinem Wesen mehr zu zeigen, als er gewöhnlich tat. Man erzählt von einem bedenklichen Abenteuer, in das sich unser Meister damals verwickelt habe, und daß es seinen Freunden schwer geworden sei, ihn aus den Banden der schönen Sirene zu lösen. Doch das alles ging den Künstler an, Phantasie und Sinne, die dessen bedürfen[450] mögen. Sein Herz, sein tiefstes Innere, so wie es sich im vertrautesten Verkehre mit den Menschen erschließt, gehörte doch stets seinem geliebten Weibe. Er konnte ihr, die freilich auch bisher durchaus nicht ohne Nachricht geblieben war, am Ende seines Berliner Aufenthaltes in Wahrheit ein unverändert anhängliches Herz zeigen.

»Liebstes, bestes, theuerstes Weibchen!« beginnt der Brief diesmal. »Mit außerordentlichem Vergnügen habe ich Dein liebes Schreiben vom 13. hier erhalten; diesen Augenblick aber erst Dein vorhergehendes vom 9., weil es von Leipzig retour nach Berlin machen mußte. – Das erste ist, daß ich Dir alle Briefe, so ich Dir geschrieben, herzähle, und dann die Deinigen, so ich erhalten. – Zwischen dem 13. und 24. April ist wie Du siehst eine Lücke. Da muß nun ein Brief von Dir verlohren gegangen seyn. Durch dies mußte ich 17 Tage ohne Briefe seyn. Wenn Du also auch 17 Tage in diesen Umständen leben mußtest, so muß auch einer von meinen Briefen verloren gegangen seyn. Gottlob wir haben diese Fatalitäten nun bald überstanden; an Deinem Halse hängend werde ich es Dir dann erst recht erzählen, wie es mir damals war! Doch – Du kennst meine Liebe zu Dir! – Wo glaubst Du daß ich dieses schreibe? im Gasthause auf meinem Zimmer? – nein! – im Thiergarten in einem Wirthshause (in einem Garten mit schöner Aussicht), allwo ich heute ganz allein speise, um mich nur ganz allein mit Dir beschäftigen zu können. – Die Königin will mich Dienstag hören; da ist aber nicht viel zu machen. Ich ließ mich nur melden, weil es hier gebräuchlich ist, und sie es sonst übel nehmen würde. – Mein liebstes Weibchen, Du mußt Dich bey meiner Rückkunft schon mehr auf mich freuen, als auf das Geld. 100 Friedrichsd'or sind nicht gegen 900 fl. sondern 700 fl., wenigstens hat man mir es hier so gesagt; – 2ts hat Lichnowsky mich weil er eilen mußte früh verlassen, und ich folglich (in dem theuren Orte Potsdam)[451] selbst zehren müssen; 3ts habe ich *** 100 fl. lehnen müssen, weil sein Beutel abnahm – ich konnte es nicht gerade abschlagen. Du weißt warum –; 4ts ist die Academie in Leipzig, sowie ich es immer sagte, schlecht ausgefallen, habe also mit Rückwege 32 Meilen fast umsonst gemacht. Daran ist Lichnowsky ganz allein schuld, denn er ließ mir keine Ruhe, ich mußte wieder nach Leipzig, doch davon das mehrere mündlich. Hier ist erstens mit einer Academie nicht viel zu machen und 2ts siehts der König nicht gern. Du mußt schon mit mir, mit diesem zufrieden seyn, daß ich so glücklich bin beym Könige in Gnaden zu stehen; – was ich Dir da geschrieben habe bleibt unter uns. Donnerstag den 28. gehe ich nach Dresden ab, allwo ich übernachten werde; den 1. Juni werde ich in Prag schlafen, und den 4.? den 4.? bey meinem liebsten Weiberl. (Hier sind mehrere Zeilen unleserlich gemacht.) Ich hoffe doch, Du wirst mir auf die erste Post entgegenfahren, ich werde den 4. zu Mittag eintreffen; – Hofer (den ich 1000 Mal umarme) wird wohl hoffe ich auch dabey seyn; wenn Hr. und Fr. v. Puchberg auch mitfahren, dann wäre alles beysammen was ich wünschte. Vergesse auch den Karl nicht. Nun aber das Nothwendigste ist: Du mußt einen vertrauten Menschen, Salzmann oder sonst jemand mitnehmen, welcher dann in meinem Wagen mit meiner Bagage auf die Mauth fährt, damit ich nicht diese unnöthigen Seccaturen (Plagen) habe; sondern mit euch lieben Leute nach Hause fahren kann. – aber gewiß! – nun adieu – ich küsse Dich Millionenmahl und bin ewig


Dein getreuester Gatte W.A. Mozart.«


Also 100 Friedrichs'dor, die der König gesandt hatte, waren der ganze Ertrag dieser Kunstreise, auf die Mozart so viel Hoffnungen gesetzt hatte. Am 4. Juni kam er in Wien an, nachdem er noch von Prag aus geschrieben hatte: »Liebstes, bestes Weibchen! Den Augenblick komme ich an. – Ich hoffe, Du wirst[452] meinen letzten vom 23. erhalten haben. Es bleibt also dabey; – ich treffe Donnerstag zwischen 11 und 12 Uhr richtig auf der ersten oder letzten Poststation ein, wo ich Euch anzutreffen hoffe. Adieu! – Gott, wie freue ich mich Dich wieder zu sehen!« – Das Nächste war, an die Quartette zu gehen, die der König von Preußen bestellt hatte, und bereits in demselben Monat war eins derselben fertig, das in D-dur. Es ist von dem ganzen Zauber jener koketten Anmut, die der Menuettschritt des vorigen Jahrhunderts hatte. Es war eben durchaus berechnet auf den Geschmack des hohen Bestellers, der dafür eine kostbare goldene Dose mit 100 Friedrichsd'or und einem gnädigen Begleitschreiben sandte. Gleichwohl war Mozarts Lage gerade damals äußerst traurig. Constanze war wieder schwer erkrankt, er schwebte beständig zwischen Angst und Hoffnung und konnte die Kosten der ärztlichen Behandlung kaum aufbringen. In dieser Lage wendet er sich am 17. Juli wieder an Puchberg:


»Liebster, bester Freund und verehrungswürdiger Bruder!


Sie sind gewiß böse auf mich, weil Sie mir gar keine Antwort geben! – Wenn ich Ihre Freundschaftsbezeugungen und mein dermaliges Begehren zusammenhalte, so finde ich, daß Sie vollkommen recht haben. Wenn ich aber meine Unglücksfälle (und zwar ohne mein Verschulden) und wieder Ihre freundschaftlichen Gesinnungen gegen mich zusammenhalte, so finde ich doch auch, daß ich – Entschuldigung verdiene. Da ich Ihnen, mein Bester, alles was ich nur auf dem Herzen hatte in meinem letzten Brief mit aller Aufrichtigkeit hinschrieb, so würden mir für heute nichts als Wiederholungen übrig bleiben, nur muß ich noch hinzusetzen, erstens daß ich keiner so ansehnlichen Summe benöthigt sein würde, wenn mir nicht entsetzliche Kosten wegen der Kur meiner Frau bevorständen, besonders wenn sie nach Baden muß; zweitens da ich in kurzer Zeit versichert bin in bessere Umstände zu kommen, so ist mir die zurückzuzahlende Summe sehr[453] gleichgültig, für die gegenwärtige Zeit aber lieber und sicherer, wenn sie groß ist; drittens muß ich Sie beschwören, daß wenn es Ihnen ganz unmöglich wäre, mir diesmal mit dieser Summe zu helfen, Sie die Freundschaft und brüderliche Liebe für mich haben möchten, mich nur in diesem Augenblick mit was Sie nur immer entbehren können zu unterstützen, denn ich stehe wirklich darauf an. Zweifeln können Sie an meiner Rechtschaffenheit gewiß nicht, dazu kennen Sie mich zu gut. Mißtrauen in meine Worte, Aufführung und Lebenswandel können Sie doch auch nicht setzen, weil Sie meine Lebensart und mein Betragen kennen, folglich – verzeihen Sie mein Vertrauen zu Ihnen. Von Ihnen bin ich ganz überzeugt, daß nur Unmöglichkeit Sie hindern könnte, Ihrem Freund behülflich zu seyn; können oder wollen Sie mich ganz trösten, so werde ich Ihnen als meinem Erretter noch jenseits des Grabes danken, denn Sie verhelfen mir dadurch zu meinem ferneren Glück in der Folge, – wo nicht – in Gottesnamen, so bitte und beschwöre ich Sie, um eine augenblickliche Unterstützung nach Ihrem Belieben aber auch um Rath und Trost.


Ewig Ihr verbundenster Diener Mozart.


P.S. Meine Frau war gestern wieder elend. Heute auf die Igel befindet sie sich Gott Lob wieder besser; ich bin doch sehr unglücklich! – immer zwischen Angst und Hoffnung – und dann!«


Welch trostlose Zustände! – Und doch, wie lassen diese Worte wieder so ganz seinen ehrenhaften Sinn erkennen! – Die besseren Umstände, auf die er seine Hoffnung und mit ihr seine Bitte gründet, bestehen wohl in den Anerbietungen, die ihm von dem Könige von Preußen gemacht waren. Freilich nach seiner gewohnten Art hatte er derselben in Wien gar nicht einmal Erwähnung getan. Auch mochte es ihm, dem Sohn des freien, lebensfrohen Süddeutschland, eben kein angenehmer Gedanke sein,[454] in dem grauen, kälteren Norden, zumal in dem nüchtern kritischen Berlin seine Tage hinzubringen, da ihn in Wien ein Leben umblühte, das seine Phantasie zum steten Schaffen anregte und so selbst über die häusliche Not hinaushob. Allein jetzt drängten ihn eben diese materiellen Verhältnisse wie das Zureden seiner Freunde, unter denen der Abt Stadler der treueste war, dazu, dem Kaiser wenigstens den Stand seiner Sachen vorzutragen, damit dieser wisse, daß nichts anderes übrig bleibe, als den Antrag des Königs (3000 Thaler) anzunehmen. Mozart entschloß sich auch wirklich zu diesem Schritte. Allein als der Kaiser nach der bescheidenen Auseinandersetzung Mozarts fragte: »Wie? Sie wollen mich verlassen?«, da war sein Mut dahin und er antwortete gerührt: »Ew. Majestät, ich empfehle mich zu Gnaden, ich bleibe.« So wenig hing dieser Mann an den Gütern dieser Welt und war in seinem Innersten treu zugetan jedem, von dem er nur wähnte, daß er es gut mit ihm meine. Als nun hernach ein Freund, dem er die Unterredung erzählte, ihn examinierte, ob er nicht wenigstens die Gelegenheit benutzt habe, sich eine entsprechende Entschädigung, eine Erhöhung des Gehaltes auszubitten, rief er ganz unwillig aus: »Der Teufel denke in solcher Stunde daran!«

Nur die Beziehungen der Gemüter galten ihm als Dinge, die wert sind, sie zu bedenken, nur, was sich von Herz zu Herzen bewegt, schien ihm würdig festgehalten zu werden, und dieser schöne Zug lohnte sich ihm mit den reichsten Schätzen, – freilich nur jener reinen Empfindung, mit der er die Gebilde seiner Phantasie beseelte, nicht mit irdischen. Denn der Kaiser fand sich auch jetzt nicht gemüßigt, das Gehalt seines Kammerkompositeurs nur um weniges zu erhöhen, und Mozart war nicht der Mann, die günstige Stimmung, die jetzt bei Hofe für ihn herrschte, zu seinem Vorteile auszubeuten. Ueber der Menge der Staatsgeschäfte, die damals mehr als je Joseph II. in unangenehmer Weise banden, vergaß dieser alles Weitere: nur mag es auf seine Anordnung[455] geschehen sein, daß im August dieses Jahres der »Figaro« wieder auf die Bühne gebracht und in diesem Jahre noch elfmal gegeben ward. Denn Salieri war noch immer nicht in der Lage, den Ruhm, den Mozarts Musik jetzt von neuem gewann, ertragen zu können, und so ist es auch zweifelhaft, ob Mozart, der oben drein für die Ferraresi, die erste Sängerin Wiens in jenen Tagen, die große Arie der Gräfin in F-dur und eine Ariette für Susanne geschrieben hatte, dieses Mal irgend etwas aus der Theaterkasse erhielt. Jedenfalls aber war die außerordentliche Teilnahme, die das Wiener Publikum von neuem für seinen großen Mitbürger gewann, für den Kaiser mitbestimmend, ihm sein liebstes Begehren zu erfüllen: er befahl ihm die Komposition eines neuen Operntextes, zu dessen Inhalt eine damals vorgefallene Wette zweier Offziere den Anlaß geboten hatte.

Es war in dieser Zeit, im September 1789, wo Mozart für Anton Stadler – nicht den Abt – das berühmte Klarinettenquintett schrieb, das Werk, in dem uns der ganze Himmel jugendlicher Liebespoesie aufzugehen scheint, so daß unser Geist wie gefangen in dem Zauber lieblichsten Genießens sich selbst vergißt und sich wie aufgelöst fühlt in die fließende Bewegung aller Dinge. Es ist nicht zu sagen, welch einen Zauber des Klanges dieses Werk bietet, in dem Mozart sein Lieblingsinstrument in einer Weise sich austönen ließ, daß die mitspielenden Geigen nur all ihre schönsten Töne zusammenzusuchen haben, um hier den Wettstreit aufzunehmen.

Doch dieses Quintett war nur ein Anfang, ein Anlauf zu größeren Dingen. Als bald darauf das neue Textbuch anlangte, da erst fand unser Meister die volle Gelegenheit, den »holden Leichtsinn«, mit dem er jetzt über alle Schwere des Lebens hinaus geraden Weges das Glück wie die Schönheit zu erfassen strebte, in seiner ganzen Heiterkeit zu offenbaren. Sein künstlerisches Spiel mit allen Dingen, die sonst wohl dem Menschen verehrungswürdig und fast geheiligt erscheinen, gewann eine solche Höhe des Zaubers,[456] daß selbst der mangelhafte Text mit in den Tanz der Grazien hineingerissen wurde und sich der Kritik des ruhigen Verstandes entzog. Jetzt erst erreicht seine Musik den Grad zaubervoller Anmut in der Bewegung und süßester Wonne des Klanges, den seine eigene Seele ersehnte. Ja, es ist, als habe er, dem das Leben so viel entzog, sich hier einmal so recht ersättigen wollen an dem, was es ihm doch nie zu entziehen vermochte, an Liebe und Schönheit. Gerade weil ihm durch den wachsenden Druck des Lebens und wohl auch durch die würdige Erscheinung des alten Sebastian Bach, an dessen Grabe er, wie eine Tradition sagt, auf die Kniee gesunken war, die Ahnung von der Wahrheit gekommen war, daß das Leben, mit dessen Drängen er niemals ganz fertig werden konnte, nur durch Selbstüberwindung zu überwinden sei, – gerade weil er jetzt zum erstenmal eine tiefe Vorstellung von der Gewalt der erhabenen Mächte gewann, die das Leben bilden und erhalten, neigte er sich, nach der rätselhaften Art der menschlichen Natur, nun erst recht hinüber zu dem Zauber, den die Freude bietet, zu dem einzigen Genusse, der schon in den Mitteln seiner Kunst liegt, und schuf mit wahrhaft schwelgerischer Wonne des Klanges und dem anmutigsten Reiz der Bewegung jenes Bild einer Lebenslust, die alle Bande des Daseins abweisend sich rein dem holden Genusse ergiebt, den Liebe und Schönheit gewähren, die Oper »Così fan tutte«.

»So machen's alle« oder »Die Schule der Liebenden« ist eine Erfindung da Pontes, und der wenig bekannte Inhalt dieses Stückes ist zu bezeichnend für die Anschauungsweise der ganzen damaligen Zeit, als daß wir ihn nicht in Kürze mitteilen sollten. Auch ist nur daraus ein Anhalt für den Charakter der Mozartschen Musik zu gewinnen.

Zwei Offiziere werden in einem heiteren Gespräch von einem Hagestolzen mit ihrem Glauben an die Treue ihrer Bräute geneckt. Bereit zu jedem fröhlichen Spiele wetten sie, daß diese[457] jede Probe der Versuchung bestehen werden. Unter dem Vorwande, ihr Regiment sei plötzlich abberufen worden, verabschieden sie sich von den Mädchen, die in ihrem Garten am Meere von Lust und Verlangen glühend eine solche Ueberraschung nicht erwartet hatten und jetzt vor Leid gar vergehen wollen. Verkleidet kehren dann die Männer zurück, finden durch die Bestechung des Kammermädchens Eingang zu ihren Schönen und ma chen sofort ihre Liebeserklärung, aber übers Kreuz, jeder der Geliebten des andern. Allein sie werden mit sittlicher Entrüstung abgewiesen, die Mädchen ziehen sich zurück und überlassen sich dem schmerzlichen Andenken an die entfernten Freunde. Diese aber unbekümmert, ja erfreut über die erste Niederlage, dringen alsbald von neuem in den Garten, nehmen vor den Augen der grausamen Schönen Gift und erregen durch ihre Klagen und Zuckungen so sehr den Schrecken der armen Betrogenen, daß sie rasch ihre Zofe zum Arzte schicken. Despina kommt dann selbst als Eisenbart verkleidet zurück, verordnet daß die Mädchen den Kopf der Kranken halten, magnetisiert diese und ruft sie so zum Leben zurück, dessen erste Aeußerung eine schwärmerische Liebeserklärung ist. Das halten nun die Mädchen natürlich für eine bloße Folge des Giftes, es berührt sie aber doch ein wenig, und als nun bei einer neuen Begegnung, die der Hagestolze zu veranstalten weiß, die Genesenen ebenso bescheiden wie sanft ihren Retterinnen nahen, erwacht in diesen allgemach ein Gefühl der Zuneigung, dem Dorabella zwar kräftiglich widersteht, Fiordiligi aber um so tiefer verfällt. Denn Despina hat ihnen derweilen nach Zofenart vorgestellt, wie die Männer durchaus nicht verdienen, daß man ihnen treu bleibe. Nun wird noch ein Sturm auf die Treugebliebene gemacht, indem ihr neuer Verehrer, als sie eben heroischen Sinnes dem Bräutigam nacheilen will, herbeistürzt und schwört, nur über seinen Leichnam gehe der Weg ins Feld. Das ist zuviel, auch Dorabella ist besiegt und – sogleich am Abend soll die Trauung sein. Despina[458] erscheint als Notar verkleidet, der Heiratskontrakt wird unterschrieben, da ertönt der Marsch des abgegangenen Regimentes, es ist plötzlich zurückgekehrt, die Offiziere stürzen herein, finden die Gäste, den Notar, die Kontrakte und setzen der Beschämung der Mädchen die Krone auf, indem sie trällernd an die Weisen erinnern, mit denen sie das Herz der Schönen verführten. Am Ende versöhnt sich doch alles miteinander. Die Offiziere haben zwar die Wette verloren, aber sie wissen sich mit der Weisheit zu trösten, daß es andere Mädchen nicht anders machen, und sind deshalb mit den ihrigen zufrieden.

Von tollerer Leichtfertigkeit in der Auffassung zärtlicher Verhältnisse läßt sich nicht leicht etwas denken. Da Pontes Poem ist freilich gering genug. Allein dadurch, daß hier alle persönlichen Beziehungen einzig und allein auf die momentane, ja bloß äußerliche Regung gestellt sind, ist eine Freiheit der Bewegung und eine Unbefangenheit gewonnen, die für die Musik von größtem Werte ist. Alles Stabile, das naturgemäß Verhältnissen eigen ist, die über die nächsten Begierden hinaus den Gesetzen der Sittlichkeit und Treue zu gehorchen haben und so allerdings die freie Lebensregung hemmen, ist hier einfach hinweggeschoben, und Mozart wußte diesen Vorteil zu nützen. Seine Seele stimmte zu solcher unbedingten Freiheit der Bewegung. Nach all den Kämpfen des Lebens, die ihn in die verschiedensten geistigen Anschauungen geführt hatten, erkannte er, daß es dennoch ein höheres Gesetz gebe als was »Priester oder Weise« lehren, – die allbezwingende Macht der Natur. Eine Ahnung von diesem Gesetze alles Seins hatte ja bereits »Figaro« wie »Don Juan« gegeben. Jetzt bricht diese Erkenntnis hell durch das Dunkel der Menschensatzung hindurch: unbekümmert um den herrschenden Bestand der Dinge, kehrt der Genius zur Natur und Unwillkür zurück. Er hat erkannt, daß ihrem Gebote keiner ungestraft sich entzieht, und verehrt es schweigend. In stiller Bescheidung giebt er ihrem geheimen Walten, ihrem leisen Zuge nach. Mag ihn nun dieser[459] Zug zunächst mehr von den Bahnen ablenken, auf denen der Mensch als ein seiner selbst bewußtes Wesen auch das höhere Vorrecht des eigenen Willens sucht, – mag er ihn dem reizenden Spiel von Phantasie und Sinnen näher führen, als unser Jahrhundert gutheißen will, – es fließt doch gerade hier die hohe Künstlerschaft und zaubervolle Schönheit aus der schönen Menschlichkeit seines Wesens, das nie vergißt, wie der Mensch bei allem geistigen Bestreben doch stets ein Sinnenwesen bleibt. Ja, er findet auf diesen Bahnen wohl gar ein Höheres als alles sittliche Bemühen, und wir sehen, daß er auch hier wieder viel echter, viel reiner ist als gewöhnliche Naturen. Fern blieb seinem Wesen jener Taumel der Sinne, der so viele Tausende aus den freien Regionen des Menschlichen herabzieht zu der Gebundenheit des bloßen, dumpfen Begehrens. Er mied diese Gebiete nicht, er wollte nicht mehr sein als Mensch; aber weil er die freie Regung der Natur, die Neigung mit dem Willen zu verbinden wußte, weil er nicht dort Abhängigkeit und hier Zwang erlitt, so schwang er sich auch in diesen Dingen zu der Menschheit Höhen auf und schuf ein Werk, das eine mächtige Seite der menschlichen Natur in zaubervoller Weise darstellt.

Waren es also bisher scharf ausgeprägte Gestalten des Lebens gewesen, die sein Griffel zeichnete, so ist es hier eben mehr jenes Erfassen des allgemeinen Zuges, der in den menschlichen Dingen lebt, was ihn fesselt. Nicht mehr die Charakteristik der einzelnen Personen ist es, die an »Così fan tutte« bedeutend erscheint, sondern die Gesamtstimmung der Freude und der holden Regung der Natur. Das, was den Mann so rätselhaft wonnig in all seinen Regungen ergreift, wenn er das sanfte Auge des Weibes, die holde Gestalt der Jungfrau sieht, – dieses unendlich süße Weben und Beben aller Lebensorgane, das ihn mit unwiderstehlicher Gewalt erfaßt und für diesen einen Augenblick alle Dinge dieser Welt vergessen läßt, – diese süßeste und allumfassende Regung der unwillkürlichen Natur ist es, die[460] Mozart in der Tiefe und Allgewalt ihres Wesens erfaßt und zur Grundlage einer Darstellung macht, die im einzelnen töricht genug, ja verwerflich sein mag, in ihrer ganzen Stimmung aber ebenfalls durchaus an ein höheres Erfassen der Dinge, an ein Allumfassendes und daher Ideales gemahnt.

Das ist »Così fan tutte«, die Oper der entzückendsten und wahrhaft dithyrambischen Schönheit, wie nur die Antike sie ähnlich bietet, und durch sie gelang es unserem Meister, einen Schritt weiter zu seiner eigenen Vollendung zu tun. Eine Grundlage des Lebens hatte er hier gefunden und mit ihr die eigene Wiederversöhnung. Aber es war nicht die rechte, die volle. Erst eine noch tiefere Erfassung des Lebens sollte mit einem höheren Werke auch die höhere Versöhnung bringen. In »Così fan tutte« sehen wir die sittlichen Mächte, die das Dasein erhalten, zurückgestellt gegen die sinnlichen, die es schaffen. Erst sein nun folgendes Werk bringt die Vereinigung beider, indem das Regen der Natur zur Sittlichkeit, die bloße Neigung zum Willen erhöht ist. Es ist das höchste Produkt seiner Kunst, das an vollendeter Schönheit nur »Così fan tutte« neben sich duldet, an Tiefe des Gehalts aber diese Oper hundertfach überragt, die »Zauberflöte«.

Quelle:
Ludwig Nohl: Mozarts Leben. Berlin 4[um 1910], S. 440-461.
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