Don Giovanni.

[57] Von Raphael wird erzählt, er sei von Florenz, wo er für den Herzog zu malen gehabt, plötzlich heimlicher Weise entwichen und nach Rom geeilt zu seiner geliebten Fornarina, weil er vor Sehnsucht nach ihr außer Stande gewesen sei, weiter zu arbeiten; und erst als man ihm gestattet habe, das schöne Mädchen in sein Atelier zu nehmen, sei es mit der Arbeit wieder voran gegangen. Goethe läßt sich in den »Römischen Elegien« (XIII) von Amor selbst folgendermaßen anreden:


»Du verehrtest noch mehr die werthen Reste des Bildens

Einziger Künstler, die stets ich in der Werkstatt besucht.

Diese Gestalten, ich formte sie selbst! Verzeih mir, ich prahle

Diesmal nicht; du gestehst, was ich dir sage, sei wahr. –

Nun du mir lässiger dienst, wo sind die schönen Gestalten,

Wo die Farben, der Glanz deiner Erfindungen hin?

Stoff zum Liede, wo nimmst du ihn her? Ich muß dir ihn geben,

Und den höheren Styl lehret die Liebe dich nur.« –


Und wer anders hat Mozart gelehrt, drei Gestalten neben einander zu stellen, wie die drei Frauen in Don Giovanni, drei Typen, in denen der ganze Umfang des[57] weiblichen Geschlechtes erschöpft zu sein scheint? – Donna Anna, das ideale Weib, mit dem vollen Adel weiblicher Empfindung, weiblicher Sittlichkeit; Donna Elvira, mehr ein bloßes »Geschlechtswesen«, in der die Sinnlichkeit den geistigen Gehalt der Liebe überwiegt; und Zerline, ein Bauermädchen, reizend, doch nicht einmal sinnlich besonders erregt, etwas stumpf und dem Schwunge, den selbst sinnliche Leidenschaft zu geben vermag, völlig fremd.

Und wie sind, um nur Einen Punkt herauszunehmen, diese drei Figuren schon durch die Wahl der Tonart charakterisirt? Oder soll man es für Zufall halten, daß, wo Elvira erscheint, durchaus die weicheren dunkleren B-Tonarten vorherrschen? Sogleich ihr erstes Auftreten geschieht in Es, einer Tonart, die der Pracht, welche hier in Melodie, Rhythmus und Harmonie, sowie durch die Art der Instrumentation entfaltet ist, eine vorherrschende Sinnlichkeit verleiht: Elvira ist zwar ein adliges Fräulein wie Donna Anna, aber nicht wie sie auch von geistigem Adel. So verschmerzt es sich leichter, wenn »der Undankbare sie verläßt«. Mit diesen Worten beginnt sie ihre zweite Arie, wo das nochmals wiederkehrende Es-dur unverhohlen ausspricht, was es ist, das dem armen Mädchen fehlt: es ist weniger das Herz als die Sinne, die den Treulosen geliebt haben. Und denselben Character drückt die verlassene Schöne dem folgenden Quartett auf durch das noch immer sinnlich weiche B-dur; noch ist sie es, die mit ihrer Empfindung herrscht, denn Donna Anna hat hier noch keinen Grund, mit ihrer höhergearteten Leidenschaft hervorzutreten. Don Ottavio ist keiner Leidenschaft fähig, sondern die still duldende, sich hingebende Liebe selbst, und Don Giovanni, der Reichbegabte, kann in allen Tonarten singen. Aus B-dur geht auch die Scene im zweiten Finale, wo[58] Elvirens Liebe mit dringendem Mahnruf des Geliebten frohes Mahl unterbricht: es stimmen hier ihre Traurigkeit und seine Ausgelassenheit herrlich zusammen, sie kommen aus gleichen Regionen des Innern; aus Es-dur das berühmte Sextett des zweiten Actes, denn Elvira beginnt, die Arme, zum zweiten Mal Getäuschte, sucht mit sehnendem Verlangen im Düstern ihren vermeintlichen Gatten, bis mit hellen Klängen der Trompeten Donna Anna und ihr Verlobter auftreten in der Tonart, welche die Höhe und Reinheit der Empfindung dieses Weibes treffend characterisirt: D-dur. Diese Tonart herrscht überall, wo das edle Mädchen auf der Höhe ihrer Leidenschaft steht. Beim ersten Auftreten, im Ringen mit Don Giovanni(B-dur), geht die Erregung noch in den dunklern Regionen vor, ihr Abscheu, ihre Empörung ist von sinnlicher Aufregung begleitet. In dem großen Recitativ wühlt sich das furchtbar erregte Innere durch alle möglichen Tonarten hinauf bis D, aber noch wird es nicht Dur, noch hängt es zusammen mit der weichern Tonreihe auf F, bis endlich in der großen Arie »Zur Rache« (D-dur) die Leidenschaft dieses hohen Weibes, das in seinen innersten Tiefen verletzt ist, ihren Culminationspunkt erreicht und sich da für das ganze Stück feststellt: sie kennt nun den Gegenstand ihrer Rache und hat fortan nichts im Auge und in der Seele, als diesen zu vernichten. Daß in dem kleinen Terzett vor der bekannten Menuett noch einmal aus Dur Moll wird, spricht nicht dawider: Elvira ist dabei, und ihr mag etwas nachgegeben werden; auch das nun folgende Terzett in B-dur widerlegt hier nichts, es ist ein Gebet, und da wo jede Seele weicher gestimmt ist, sinkt auch Donna Anna von der Höhe ihrer eigenmächtigen Leidenschaft etwas herab. Ein ähnlicher Grund gibt auch der[59] großen Briefarie nicht die Tonart dieser Persönlichkeit, sondern das mildere F-dur: Donna Anna zeigt hier nicht die Seite ihres Wesens, die sie für die ganze Oper bestimmend macht, sondern sie erscheint gerührt von der Bitte des Geliebten, den sie im Drange ihrer Leidenschaft so ganz vergißt. Nirgend aber wird man sie, wo sie mit ihrer wahren Empfindung hervortritt, in der weichen Sinnlichkeit finden, die Elvirens Tonart ist.

Man nenne diese Characteristik nicht Spiel, oder sage, daß die Lage der Töne in der betreffenden Tonart vielleicht gerade der Stimme einer der Sängerinnen entsprochen, für die Mozart an der italienischen Oper in Prag seine Musik schrieb. Es wird im Innersten des Musikers mit der Melodie die Tonart geboren, »er ergreift nicht verschiedene Tonarten, um sich über ihren verschiedenen Gefühlsausdruck zu verwundern, sondern wählt zwischen ihnen, weil er für die eine Empfindungsweise jene, für die andere diese entsprechend findet«. Dies sagt Bischer von den Instrumenten, es gilt aber in weit höherem Grade dasselbe von den Tonarten. Und sonderlich wird ein so feinfühlendes Ohr wie Mozart's die Farben mit vollster Absicht wählen, und mag nachher den Umständen soviel Zugeständnisse machen, als er für nöthig findet. Er wird aber gewiß nicht Roth malen, wo er es Blau gedacht hat, nicht Des wo er in A-dur empfindet. Die Paralleltonarten und die »Verwandtschaft« bieten ihm Auswege genug.

Man wende auch nicht ein, das Finale des zweiten Actes, ein Gastmahl der heitersten Art, beginne auch in D-dur. Gerade was hier Heiterkeit bezeichnet, spricht sich in Donna Anna ebenfalls als Klarheit und Sicherheit, wenn auch bei einer ganz anderen Art von Empfindung,[60] aus. Und wie sehr diese Figur und ihre hohe Leidenschaft den Hauptinhalt der ganzen Oper ausmacht, ergibt sich auch daraus, daß sowohl Anfang als Ende derselben aus ihrer Tonart gehen.

Um die wunderbar seine Characteristik der Personen dieser Oper wenigstens nach dieser Seite hin vollständig zu verfolgen, merken wir noch an, daß Zerline ihre lieblichen Sachen durchaus in farblosen Tonarten liegen hat: C-dur und F-dur. Was in einem andern Falle die höchste Klarheit, die vollkommene Harmonie der Seele, das völlig Lichtartige bezeichnen könnte, bezeichnet hier einen gewissen Indifferentismus: es ist ja bei Zerlinchen von einem besonders ausgeprägten Character nicht die Rede, sie ist eben, wie alle Menschen sind, wie der gewöhnliche Mensch ist; nicht einmal einer tiefern Neigung ist sie fähig, sie liebt ihren Masetto nicht gerade glühend, sie will ihn nur heirathen; und den Don Giovanni, so gut er ihr gefällt, hat sie nicht recht Muth und Kraft zu lieben, sie läßt sich durch Elvira sofort irre machen in ihrer Empfindung. Und doch singt sie in Vedrai carino ein Liedchen von einer Schmeichelei und Zärtlichkeit, so süß, so rein, so schön, daß man hier Goethe's Wort ganz verstehen lernt, »daß es eigentlich das Wahre, das Schöne sei, was ihn, oft bis zu Thränen, rühren könne«. Von gleicher Höhe des Schönen ist vielleicht nur Weniges, und dieses Wenige gewiß von Mozart: wir nennen nur die Klaviersonate in A-dur, Thema mit Variationen (Andrè, Nr. 4) und erinnern bei der Menuett an die Zeit von Puder und Reifrock und an die seinen ironischen Gesichter, mit denen dieser vornehme Tanz einhergeschritten ward.

Über den Comthur ist an dieser Stelle wenig zu sagen, weil er im ganzen Stücke nicht eigentlich als Person[61] figurirt, sondern gewissermaßen als Schicksalsmacht, als das böse Gewissen, das dem Frevler Don Giovanni so entgegentritt, wie der Erdgeist, den sich Faust citirt. Die Sterbescene geht ausF-moll, der düstersten Tonart. Auf dem Kirchhof erklingen Accorde, in denen die Tonart als solche weniger wirkt; sie liegen zwar natürlich jedesmal innerhalb einer bestimmten Tonreihe, wie auch die ganze Scene des letzten Gerichts, das über Don Giovanni hereinbricht, aus D-moll geht, aber die eigentliche Stimmung wird in beiden Fällen nicht sowohl durch die Tonart gegeben, deren Hauptklänge selten gehört werden, als durch die Harmonie, durch die Accorde, die am wenigsten der Tonart ganz allein gehören, vor allem durch die verminderten Septimenaccorde, deren jeder je nach der enharmonischen Verwechslung zu vier verschiedenen Tonreihen führen kann, und zwar obendrein sowohl nach Moll wie nach Dur. Außerdem ist zu bemerken, daß in all diesen Stellen vorzugsweise die elementare Klangfarbe der Instrumente benützt ist, um die Wirkung des Schreckens zu erzielen. Melodie und Rhythmik treten ebenfalls durchaus zurück. Gerade diese unbestimmte Art der Harmonik macht den Eindruck des Geisterhaften, nicht Faßbaren.

In der Person des Don Giovanni selbst entfaltet sich das ganze Spiel der Tonarten im wunderbarsten Farbenwechsel. Die übermüthigste Lust sinnlicher Art hat das Champagnerlied (B-dur); so sang er schon, als ihm noch kaum der Flaum ums Kinn sproßte, als sich eben seine Sinne zu regen begannen und nur die edle Erscheinung der Gräfin die heimliche Gluth seiner Empfindung zu mildern vermochte: die beiden Romanzen des Pagen in Figaro's Hochzeit gehen aus diesen Tonarten (B-dur und Es-dur). Verlockenden Frohsinn spricht das Ständchen[62] aus an Elviren's Zofe(D-dur); Kammermädchen lieben Heiterkeit und Neckerei, man denke nur an Susanne. Und Don Giovanni ist gewandt genug, unter diesem Fenster seines Dieners Gemüthsart nicht zu weit zu verfehlen; denn es ist Leporello's Geliebte, die er lockt. Verführung, unwiderstehliche Liebenswürdigkeit hatte schon das A-moll, das bald zum Dur wird, in dem Duett des Grafen und der Susanne in Figaro's Hochzeit; Don Giovanni wendet es zweimal an (»Reich mir die Hand, mein Leben« und »O Herz, hör' auf zu schlagen«), und beide Male gelingt es ihm, mit unwandelbarer Gewißheit, mit solch himmelblauen Klängen das Herz der Schönen zu bezaubern; und doch ist es ihm das zweite Mal gar nicht einmal Ernst. Im Terzett des Anfangs sowie des letzten Finales (B-dur) singt er einmal mit Donna Anna's dumpfer Sinnenerregtheit, das andere Mal stimmt seine Champagnerlaune mit Elvirens Traurigkeit. Im ersten Finale ist er tonangebend, er gibt das Fest und wählt dazu C-dur, die heiterste Tonart, als wäre nichts Dunkles in seinem Leben, alles Licht und Lust. In andern Stücken ordnet er sich der Stimmung Anderer unter, er kann ja in allen Sprachen reden, er, der in Welschland, Frankreich, Deutschland und sogar im türkischen Reiche gelebt und geliebt hat. Aber immer wird man bemerken, daß er auch in der Maske noch er selber bleibt, so gut wie Mephistopheles in Faust's Doktorgewande oder im Schleier der Phorkyas. Nur ironisch stimmt er ein in das Leid Donna Anna's, in Elvirens verlangende Betrübniß, obwohl hier sein Singen fast wie Hohn klingt (man sehe das Terzett in Es). Auch die Tanzfreude der Bauern vermag er von Herzen zu theilen, der Schelm, der im Trüben fischen will. Es ist hier eine Mannichfaltigkeit und Feinheit der Characterzüge,[63] auf die nur hingewiesen zu werden braucht, damit sie Jeder verstehe. In Worten läßt sie sich schwer wieder geben, da sie, über den unterliegenden Text weit hinaus gehend, durch das Mittel gegeben ist, das die geheimsten Gründe des Innern offenbart und für das Handeln Motive enthüllt, für die das Wort nicht ausreichen würde; denn die feinsten Beweggründe unseres Thuns liegen in der Empfindung. Es ist hier nicht Raum anzugeben, wie dies bei Mozart namentlich durch geschickte Verwendung der verschiedenen Instrumente erreicht ist, wie in der zweiten Arie der Donna Elvira (Es-dur) die Klarinette das Leid ausplaudert, das die arme Betrogene nicht gerade gerne mittheilt, und in der Arie Leporello's, des characterlosesten aller Bedienten, bei der Stelle: Sua passion predominante, das Fagott in tiefen Tönen des B-dur-Accordes all das Elend andeutet, in das jener Arge so manches arme Mädchen gestürzt hat. Ulibischeff hat hier zuerst interessante Winke gegeben, und ein Wink genügt dem verstehenden Ohre.

Quelle:
Ludwig Nohl: W.A. Mozart. Ein Beitrag zur Ästhetik der Tonkunst, Heidelberg 1860, S. 57-64.
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