Fidelio.

[52] Wer nun unserm Meister zu den Gestalten seiner dramatischen Werke gesessen, wer kann es wissen? Von der »Entführung aus dem Serail« ist bekannt, daß sie zu[52] der Zeit geschrieben wurde, als Mozart um seine Constanze freite, und die erquickende Wärme, ja die tiefe Gluth der Empfindung, die den meisten Gesängen der beiden Liebenden in dieser Oper eigen ist, ward von je dem Umstande zugeschrieben, daß Mozart selbst damals gerade in seiner Liebe von allen Seiten und besonders von seinem Vater hart bedrängt, sie nur um so tiefer in sein Herz hineindrückte. Wer ihm später zur Gräfin, zur Susanne, wer zur großen Donna Anna als Modell gedient, ist nicht bekannt, verschlägt auch nichts. Aber Ulibischeff wird von einem richtigen Instinct geleitet, wenn er unserm Meister in Prag, wo der berühmte Don Giovanni geschrieben wurde, eine Umgebung zudichtet, die dem Treiben dieser Oper einigermaßen entsprach. Eine unendliche Fülle eigenster Erlebnisse gehörte dazu, diese Gestalten bis zum wirklichen Leben zu beseelen, die Textbücher hatten kaum die nöthigen Umrisse dazu gegeben, und selbst diese nicht einmal immer psychologisch richtig. Und welche Psychologie, welche Feinheit der Seelenkenntniß entwickelt unser Meister in seiner Musik. Am Besten begreift sich das, wenn man wiederum Beethoven's einzige Schöpfung auf diesem Gebiete, den schönen Fidelio, gegen die Mozart'schen Opern hält.

Gerade was diese auszeichnet, die bis zum höchsten Grade gebrachte individuelle Belebung, fehlt den Figuren des Fidelio meistens. Die Schönheiten, die uns hier entzücken, liegen nicht eigentlich im Dramatischen. Bis zur vollen Persönlichkeit, die frei einherwandelt, auf eigenen Füßen, ohne Anhalt, hat Beethoven selbst Leonore, »die edelste der Frauen«, nicht zu bringen vermocht; selbst diese in manchem Punkte so schön gezeichnete Figur lehnt sich noch so an das Orchester an, wie etwa die Figuren des haut-relief an die Marmorwand: sie möchten hervortreten[53] und frei handelnd dastehen, aber sie können nicht, ihre Existenz, ihre Bewegungen sind an etwas Fremdes gebunden; es ist eine Art Pflanzenleben. Bei Mozart dagegen ist das Orchester in der That nur Piedestal, nur der Boden, nicht an dem die Gestalten festgewachsen sind, sondern auf dem sie sich frei bewegen; die Instrumente fesseln nicht die Person an sich, sie dienen vielmehr obendrein dazu, dieselbe nur noch mehr frei zu machen, indem sie ihr manches zu sagen abnehmen, wozu die Person im Momente nicht Muth hat oder nicht Zeit findet. Wir werden darauf zurückkommen. Im Fidelio aber liegt der Schwerpunkt so sehr im Orchester, daß man den größten Theil dieser Oper durchaus mit geschlossenen Augen zu hören vermag, ohne ein Bedürfniß zu bekommen auf die Bühne zu schauen, denn überall, wo die Musik wirklich schön ist, ist sie ein bloßer lyrischer Erguß, der nicht unbedingt gerade zu der Situation gehört, die auf der Bühne vor sich geht. Und wo die Musik mit der Handlung geht, hat sie einen Holzton, etwas Hohles, und sitzt niemals so dem Worte und der That auf dem Leibe fest gegossen, wie die Mozart'sche. Selbst in den Stücken, die am meisten dramatisches Leben haben, kommen leere Stellen vor, dunkle Punkte, wo Licht und Klang nachläßt oder gar ganz aufhört; es reißt ihm gar oft die Schnur, an die Mozart mit solcher Sicherheit von Anfang bis zu Ende Alles anreiht, und selbst die schönsten Einzelnheiten, das unendlich frohe Aufjauchzen der Seele, das eine Beethoven'sche Melodie in jedem Zuhörer hervorruft, vermögen nicht für diesen Mangel zu entschädigen. Sogar das Duett: »O namen- namenlose Freude«, das im Schwunge seiner Empfindung kaum seines Gleichen hat, hat etwas von jenem ἰφωρ, wenn man als Beispiel dagegen hält, wie Belmonte[54] und Constanze ihre Wiedervereinigung heraussingen. Und doch ist dies bei weitem keine der besten Compositionen Mozart's; sie hat zu viel Bravour, wie dieB-dur Arie der Constanze; aber einzelne Stellen sind von einer Wahrheit, ja von einer Gluth der Empfindung, daß Fidelio und Florestan dagegen höchstens Fischblut in den Adern zu haben scheinen.

Wie kommt das? Konnte sich der Meister, dem es eigenthümlich ist, die Empfindung bis zu dem Punkte zu verfolgen, wo sie in jedem Augenblicke zur Rede, zur That überzugehen droht, konnte er sich an das von einem Andern geredete Wort nicht binden? Fühlte er sich gebunden, wo seiner Empfindung von fremder Hand das Object entgegengebracht wurde? Er, der in seinen Instrumentalwerken frei waltet wie Keiner, erscheint in dieser Oper selten in seiner ganzen Persönlichkeit und Macht; es ist, als sei dem Heroen eine kleine Mütze aufgesetzt, die ihn beengt und entstellt und nach der er sich dennoch in seinen Bewegungen richten muß. Er selbst kommt die ganze Oper hindurch nicht eigentlich zur Freiheit, zum ungehemmten Erguß seiner Seele, und dadurch der Zuhörer auch nicht. Er soll in seinen Figuren die Wirklichkeit darstellen und kennt sie nicht. Hier rächt es sich, daß er sich zeitlebens vom Leben zurückzog, anstatt fortwährend zu hören und zu schauen, was im wirklichen Treiben der Menschen vor sich geht, mit ihnen zu leiden, mit ihnen sich zu freuen, wie Mozart that. Er selbst schreibt einmal von zwei seiner Bekannten:

»Ich betrachte ihn und ..... als bloße Instrumente, worauf ich, wenn's mir gefällt, spiele, aber nie können sie Zeugen meiner innern und äußern Thätigkeit, ebensowenig als wahre Theilnehmer von mir werden; ich taxire sie nur nach dem, was sie mir leisten.« Und dies schrieb er, den[55] man in Wien schon kurz nach seinem ersten Auftreten den Großmogul nannte, an »einen derjenigen, die sein Herz auserwählt hatte«, und zwar wie Marx (Biographie II, 40) meint, wahrscheinlich schon im Jahre 1801, also in einem Alter von 31 Jahren, wo der Mensch im vollen Drange seines Herzens dem Menschen noch so nahe steht. Halten wir daneben, was Gottfried von Jacquin seinem Freunde Mozart (am 11. April 1787, also als auch dieser 31 Jahre alt war) ins Stammbuch schrieb: »Wahres Genie ohne Herz ist Unding – denn nicht hoher Verstand, nicht Imagination, nicht beide zusammen machen Genie – Liebe! Liebe! Liebe! ist die Seele des Genies«, – so kommt man unwillkührlich auf den Gedanken, als sei selbst jene Freundschaft Beethoven's für Amenda, »den sein Herz auserwählt hatte«, sowie jede Empfindung dieses Großen für einen einzelnen Menschen mehr Schwärmerei gewesen als Empfindung, mehr der Phantasie zuzuschreiben als dem Herzen. Und so war es in der That; wir könnten die Beispiele reichlich vermehren, dürften nur an Bettina von Arnim erinnern und an die Gräfin Giulietta, das einzige weibliche Wesen, das Beethoven mit der ganzen Kraft seines Innern liebte und bei dem sich die Empfindung bis zu einer Leidenschaft steigerte, die sein Herz zu sprengen drohte. Und doch belehrt uns hier eines Andern die Phantasiesonate in Cis-moll, die jener Gräfin gewidmet und wie ein Brief ist, den er ihr schreibt, sie zu trösten durch ruhiges Zureden im Adagio, sie zu erquicken durch die Zärtlichkeit des Allegretto, – selbst die Leidenschaftlichkeit des letzten Satzes, die tiefe Erregung und Wahrheit der Empfindung, die der ganzen Sonate nicht abzusprechen ist, alles ist nicht so höchst persönlich, so individuell, wie die Liebe sein muß, es fühlt sich nicht so warm, so lebend an,[56] wie wenn Mozart eine gleiche Empfindung ausspricht; es redet auch hier noch mehr die Phantasie als das Herz. Und doch ist es allein dieses, das der Phantasie des Künstlers selbst in dem Augenblicke, wo er mit kühlster Überlegung schafft, seine Wärme in die Gebilde oft unwillkührlich herabfließen läßt. Treffen wir Mozart irgendwo in solcher Erregung, so ist sein Werk gewiß, als habe es die Liebe selbst dictirt, so sehr beseelte diesen ewig jugendlichen Meister das, was man Liebesgefühl nennt.

Quelle:
Ludwig Nohl: W.A. Mozart. Ein Beitrag zur Ästhetik der Tonkunst, Heidelberg 1860, S. 52-57.
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