II.

[425] Liszt abermals in Paris. Berlioz-Liszt-Koncert. Feindseligkeit der Pariser und Liszt's Sieg. Liszt's Beethoven-Soiréen. Als Improvisator. Keine über ihn. Liszt's Kritik über Thalberg's Kompositionen und Polemik gegen Fétis.– Thalberg kommt und koncertirt. Liszt im Opernhaus. Beide koncertiren bei der Fürstin Belgiojoso. »Versöhnung.« – Komposition des »Hexameron«.


Als Liszt zum zweitenmal von Genf aus nach Paris kam (December 1836), war es keine Thalberg-Neugierde, die ihn dahin trieb. Berlioz hatte zum 18. December sein zweites großes Koncert dieser Saison angesetzt und Liszt hatte ihm seine Mitwirkung zu demselben zugesagt. Das war der Grund seines. Kommens.

Seit anderthalb Jahren, seit dem »großen éclat«, der ihn vervehmt hatte, trat Liszt nun zum erstenmal wieder öffentlich in Paris auf. Eine ungeheure Sensation herrschte hierüber. Der größte Theil der vornehmen Welt hatte ihm schon des guten Tones wegen noch nicht verziehen, und namentlich er hatte seine Gunst dem österreichischen Pianisten letzten Winter zugewandt. Er war noch voll Indignation gegen Liszt – aber besuchte das Koncert. Von seinem Wiederauftreten nicht weniger alarmirt als dieser Theil des Auditoriums waren Liszt's musikalische Gegner: die Konservativen; und endlich alle jene Feinde, die er sich durch seine Geißelung der Kunstparasiten in den Aussätzen »De la situation des artistes« zugezogen, – aber auch sie erschienen.

Als Liszt an diesem Abend das Podium betrat, begegnete er meist kalten und feindseligen Blicken und es ereignete sich, daß dasselbe Publikum, das seinen einstigen Liebling früher mit Liebkosungen nahezu erdrückt, keinen Gruß zu seinem Empfang hatte. Kopf an Kopf gedrängt blickte es wohl spannungsvoll nach dem[425] Virtuosen, doch regte sich keine Hand zum Willkommen. Eine peinliche Stille herrschte.

Er hatte zu seinem Vortrag seine Fantaisie symphonique mit Orchester nach Berlioz'schen Themen, sein Divertissement über eine Kavatine von Paccini (Niobéfantaisie) und Fragmente – Le bal und Marche au Suplice – seiner Klavierpartitur der Berlioz'schen Symphonie fantastique angesetzt. Sein Spiel schien anfangs kalt lassen zu wollen. Jedes Beifallszeichen mußte er dem Publikum förmlich abringen. Bei der zweiten Nummer aber war der Sieg auf seiner Seite. Er hatte sich jeden Fuß breit – so erzählen musikalische Zeitschriften jener Tage5 – durch sein unbändiges Talent erzwingen müssen, bis endlich ein dreifacher, nicht enden wollender Applaus ihm vollen Triumph zuerkannte. Das Publikum beugte sich seiner geistigen Macht – er blieb Sieger und Meister.

Bei diesem einen öffentlichen Auftreten jedoch blieb es nicht. Er wurde in den Koncertstrudel hineingezogen und blieb, während er nur beabsichtigt hatte im Berlioz-Koncert mitzuwirken, die ganze Saison hindurch. Er koncertirte während dieses Winters sehr viel. Insbesondere wurden vier Kammermusik-Soiréen, welche er am 18. Januar, am 4., 11. und 18. Februar 1837 mit seinem Freund, dem Beethovenverehrer Urhan und dem von seinen Zeitgenossen sehr geschätzten Violinspieler. Batta gab, bedeutungsvoll für das pariser Koncertleben. Sie hatten den Zweck Beethoven's Kammermusik hier einzuführen. Was die Konservatoriums-Koncerte unter Habenek's Leitung seiner Zeit für die Symphonien dieses Meisters waren, wurden diese Soiréen Liszt's für dessen Trios, Klavier- und Violinsonaten. Wie jene Koncerte, bilden sie in den Kunstannalen von Paris einen historischen Moment. –

Sämmtliche Ensembles wurden mit größter Sorgfalt vorbereitet und namentlich erregte die Genauigkeit und unermüdliche Liebe, mit welcher Liszt dem Geist derselben gerecht zu werden suchte, in den Musikerkreisen eine Art Sensation. Man war so sehr gewohnt bei allen Vorträgen den Accent auf technische und[426] formelle Glätte zu legen, daß der Gedanke an ein geistiges Studium neu erschien. »Wir hatten – schrieb ein derzeitiger Berichterstatter der pariser Musikzeitung6 –, wir hatten das Glück beinahe allen Proben dieser Koncerte beizuwohnen, welche ein ebenso interessantes als merkwürdiges Schauspiel darboten. Was für gewissenhafte und geduldige Studien! Mit welcher Hingabe vertiefte sich jeder Einzelne in das Werk! Sich gegenseitig berathend und belehrend unterbrach und korrigirte einer den andern. Ohne Eitelkeit, ohne Sucht sich geltend zu machen unterordnete sich jeder dem Kunstwerk. Wir hörten Liszt fünfmal ein und dieselbe Passage, welche keine technische Schwierigkeit darbot, ihn aber nicht im Ausdruck befriedigte, wiederholen und wir haben hier gelernt, wie der Schattirungsgrad, der mehr und weniger hervortretende Accent eines Tones neue geistige Streiflichter auf ganze Partien eines Tonstückes zu werfen vermag.«

In diesen Soiréen trat Liszt auch als Solist auf. Er spielte Kompositionen von Weber, Chopin, Moscheles und einige von sich, die Gemüther, wie Heine sagte, »beängstigend und beseligend zugleich«.

Ebenso, wie als Interpret anderer Meister, wirkte er als Improvisator. Die »wunderseltsamen Harmonien«, die »überraschenden Modulationen«, die »unerwarteten Übergänge«, welche bei ihm als Knaben gerühmt wurden, waren jetzt nicht nur Merkmale der Eigenartigkeit: sie waren der volle Ausdruck eines in seinen schöpferischen Tiefen erregten eigenartigen Geistes, der nach allen Seiten hin ausgedehnt sich jetzt seinen glühenden Phantasien und Inspirationen hingab.

Wie als Klavierspieler stand er als Improvisator über seinen improvisirenden Kunstgenossen, und der letzteren waren nicht wenige; denn so ziemlich jeder, der als Virtuos gelten wollte, improvisirte. Das war ein noch allgemeiner Brauch, der von der Virtuosenepoche in die neue Zeit herübergekommen war. Unter diesen Improvisatoren dürfen wir uns freilich keine griechischen Rhapsoden am Klavier denken. Sie glichen allem, nur nicht den Urbildern aller Improvisatoren. Im modernen Frack anstatt im faltenreichen antiken Gewand, nicht mit der Lyra in der Hand, sondern am Klaviere sitzend, ohne[427] Vorbereitung in stiller Einsamkeit, wie sie dem Griechen unerläßlich war, erscheint der musikalische Rhapsode des neunzehnten Jahrhunderts als ein sehr modernes Produkt im Vergleich mit jenem. Hier handelte es sich auch nicht darum, wie einst in Attika, begeisterte Schilderungen und Lobpreisungen der nationalen Heroen zu hören, um sich daran zu begeistern zu großen Thaten; das moderne Publikum im Koncertsaal wollte bei seinen Improvisatoren – die Schnelligkeit des Hervorbringens bewundern. Hier bedurfte es darum nicht wie dort der echten künstlerischen Inspiration: es herrschte der mechanische Apparat, der technische Handwerkskniff. Das Publikum gab ein Thema, einen chanson, eine beliebte Opernmelodie – und der Virtuos behängte das Thema mit billig zu konstruirenden Läufen, Trillern und dergleichen Putz mehr, transponirte es in eine verwandte Tonart, wagte vielleicht einen modulatorischen Ausfall in das Mollgebiet und schloß endlich, dem Ganzen eine gewisse Abrundung gebend, durch feststehende Kadenzformen. Das nannte man dann eine »freie Phantasie«. An ihr glaubte man damals die Genialität des Virtuosen bemessen zu können und so ward sie gewissermaßen zu seinem Zunftbrief und Reißpaß.

Nur die augenblickliche Unterhaltung im Auge habend sah man ganz davon ab, daß die »freie Phantasie« eine Genialität, eine Beherrschung der technischen Mittel und Formen, eine Besonnenheit bei entzündbarster Inspiration voraussetzt, wie sie nur die künstlerische Vollnatur besitzen kann, nicht aber ein Virtuosenheer. Man gedachte dabei nicht jener Einzelnen, denen das Wort Inspiration kein leerer Schall war, die außer Beherrschung aller Mittel die wunderbarste Sammlung besaßen und deren Wesen gleichsam gesättigt und gefüllt von jenem undefinirbaren Etwas, aus welchem die Kunst sich webt, nur des kleinsten Anstoßes bedurfte, um den inneren Zündstoff in künstlerischer Gestalt nach Außen zu entladen, eines Sebastian Bach an seiner Orgel, eines Beethoven an seinem Klavier. – Der ehemalige improvisirende Virtuos der Koncertsäle nimmt sich neben Solchen aus, wie der unglückliche damals berühmte Improvisator Himmel, dem es in Wien einfiel mit Beethoven rivalisiren zu wollen und der, um diesem zu imponiren, siegessicher einen großen Vorrath von melodiösen Redensarten, flinken Läufen und spiegelblanken Arpeggien vor ihm ausbreitete, bis endlich Beethoven im guten Glauben, das[428] alles sei nur ein Präludium ihm ungeduldig zurief: »Nun so fangen Sie doch einmal an!« Himmel jedoch war schon fertig.

Wie Himmel neben Beethoven, wie handwerksmäßige Mache neben Inspiration, so ohngefähr nahmen sich neben Liszt seine improvisirenden Zeitgenossen aus. Seine Begabung hatte sich zu einer Macht und Gewalt der Inspiration entwickelt, die ergreifend und elektrisirend auf den Einzelnen wie auf die Masse wirkte. Ihm war die »freie Phantasie« kein Akt ruhiger und kühler Besonnenheit, ihm war sie meistens ein Moment tief innersten Ergriffenseins, bei welchem er trotz des Ergriffenseins die Besonnenheit sich bewahrte. – freilich auch oft auf Kosten der physischen Kraft. Nicht selten, daß solchen Momenten schaffender und höchster Begeisterung die tiefste Erschöpfung folgte.

Heinrich Heine entwirft uns ein Bild von dem improvisirenden Liszt in einem 1837 an August Lewald gerichteten Brief7. Wie George Sand schildert er zugleich die von Liszt's Phantasie empfangenen Eindrücke, deren mystisch-religiöse Richtung denen der Dichterin verwandt sind, die aber sich bis zu Visionen steigerten. Er schreibt:


»Wenn er am Fortepiano sitzt und sich mehrmals das Haar über die Stirn gestrichen hat und zu improvisiren beginnt, dann stürmt er nicht selten allzutoll über die elfenbeinernen Tasten und es erklingt eine Wildnis von himmlischen Gedanken, wozwischen hie und da die süßesten Blumen ihren Duft verbreiten, daß man zugleich beängstigt und beseligt wird.«

»Ich gestehe es Ihnen: wie sehr ich auch Liszt liebe, so wirkt doch seine Musik nicht angenehm auf mein Gemüth, um so mehr, da ich ein Sonntagskind bin und die Gespenste auch sehe, welche andere Leute nur hören, da, wie Sie wissen, bei jedem Ton, den die Hand auf dem Klavier anschlägt, auch die entsprechende Klangfigur in meinem Geiste aufsteigt, kurz, da die Musik meinem inneren Auge sichtbar wird. Noch zittert mir der Verstand im Kopfe bei der Erinnerung des Koncertes, worin ich Liszt zuletzt spielen hörte, ich weiß nicht mehr was, aber ich möchte darauf schwören; er variirte einige Themata aus der Apokalypse. An fangs konnte ich sie nicht ganz deutlich sehen – die vier mystischen Thiere:[429] ich hörte nur ihre Stimmen, besonders das Gebrüll des Löwen und das Krächzen des Adlers. Den Ochsen mit dem Buch in der Hand sah ich ganz genau. Am besten spielte er das Thal Josaphat. Es waren Schranken wie bei einem Tournier und als Zuschauer um den ungeheuren Raum drängten sich die auferstandenen Völker, grabesbleich und zitternd. Zuerst gallopirte Satan in die Schranken, schwarz geharnischt auf einem milchweißen Schimmel. Langsam ritt hinter ihm her der Tod, auf seinem fahlen Pferde. Endlich erschien Christus in goldener Rüstung, auf einem schwarzen Roß und mit seiner heiligen Lanze stach er erst Satan zu Boden, hernach den Tod, und die Zuschauer jauchzten.« –


Mit den Berlioz-Liszt-Koncerten und seinen Beethoven-Soiréen hatte Liszt den Parisern von neuem sein Genie dokumentirt. Nichtsdestoweniger aber zog sich ein Gewitter über seinem Haupt zusammen, zu dessen Entladung er selbst unglücklicherweise die Hand geboten und das, als es sich entladen, in einem ungünstigen sich über die musikalische Welt verbreitenden Urtheil über ihn noch Jahre hindurch nachzuckte.

Dieses Gewitter war seine sogenannte Rivalschaft mit Thalberg. Ihre Einleitung hatte sie in seinem Parisbesuch im Frühling vorigen Jahres gefunden. Als sich jetzt der Triumph an Liszt's Fersen zu heften schien, wurden seine Gegner nur noch mehr gegen ihn erbittert, und heftiger und lauter wurden ihre Lobpreisungen des »unübertroffenen« Pianisten und Komponisten Thalberg. Liszt, als er immer wieder die wunderbarsten Dinge über diesen hörte, suchte nun durch ein Studium seiner Kompositionen, welche eine neue Ära in der Pianofortemusik der Zukunft begründen sollten, zur richtigen Würdigung dieses Künstlers zu gelangen. Er studirte und durchforschte sie nach allen Richtungen, konnte aber die Wahrheit jener Behauptungen nicht finden, was er auch offen seinen Freunden aussprach. Vieles der Thalberg'schen Kompositionen deutete auf einen außergewöhnlichen Klavierspieler hin, aber nichts konnte er in ihnen entdecken, was dazu berechtigt hätte in Thalberg einen geschichtlichen Bahnbrecher der Klaviermusik zu begrüßen. Erregt von dem Widerspruch, in dem sich Liszt gegenüber seinen Gegnern befand, gereizt und aufgestachelt durch die blinden Behauptungen der Thalbergianer,[430] wohl auch verletzt in seinen eigenen Idealen griff er zu dem verkehrten Mittel eine Kritik über Thalberg's Kompositionen zu schreiben und ihren mangelnden Kunstwerth nachzuweisen. Er dachte nicht daran, daß er hierdurch gewissermaßen Partei für sich selbst ergriff und den Schein auf sich lud einen Künstler, den das Urtheil der Menge ihm zur Seite gestellt hatte, verkleinern zu wollen. Was bei ihm nur sachlich war, wirkte beim Publikum persönlich. Kaum war sein Aufsatz: »Revue critique M. Thalberg. Grande Fantaisie oeuvre 1er et 2er Caprices, oeuvres 15 et 19«, in der zweiten Januarnummer 1837 der Gazette musicale erschienen, als die öffentliche Meinung auch schon den Stab über ihn brach. Seine Betheuerungen gegen seine Freunde, daß keine persönlichen Motive sein Urtheil geleitet, halfen ihm nichts, man sprach in Paris nur von seinem Künstlerneid und – von seiner geheimen Furcht vor Thalberg.

Den Aufsatz Liszt's selbst hatte Schlesinger nur mit Widerstreben gebracht und glaubte sich wegen seiner Aufnahme in der Musikzeitung bei seinen Lesern entschuldigen zu müssen – so groß war damals die Strömung gegen Liszt und die allgemeine Verblendung in der Beurtheilung beider! Schlesinger's Begleitnote lautete: »Nous inserons textuellement l'article de M. Liszt' en gardant toutefois nos réserves dans cette discussion, où l'opinion de notre collaborateur diffère si notablement de celle que la »Gazette musicale« a émise jusqu'ici sur le compte de M. Thalberg.«

Der Kampf der Parteien begann nun von allen Seiten und erreichte seinen Höhepunkt einestheils durch Thalberg's Erscheinen in Paris – im Februar –, anderentheils durch einen Aufsatz contra Liszt aus der Feder des brüsseler Musikgelehrten Fétis, welcher durch Liszt's Kritik über Thalberg's Kompositionen sein in der pariser Musikzeitung niedergelegtes Urtheil vom vorigen Jahr angegriffen sah.

Dieser Aufsatz ist die Krone des »Liszt-Thalberg-Kampfes«. Nach einer Beleuchtung der historischen Phasen des Klavierspiels wendet sich Fétis zur Besprechung Liszt's, dann Thalberg's, und nachdem er ebensoviel Nebensächliches wie Persönliches berührt hatte, schließt er endlich seine Kritik beider mit folgenden an Liszt indirekt gerichteten Worten, von denen Fétis wünscht, daß ein Freund des jungen Mannes sie gesprochen hätte:


[431] »Du hast geglaubt etwas Neues, Starkes, Bestimmtes gegen einen Künstler vorzubringen, der Deinen Schlummer stört: aber Du bist im tiefen Irrthum. Was Du thust, das hat man eben zu allen Zeiten gegen die Männer gethan, welche Natur und Fleiß zu einer Umbildung ihrer Kunst bestimmt. So hat man Monteverde, Gluck, Rossini angegriffen. Was ist hievon geblieben? was anderes als der Ruhm der Künstler und die Lächerlichkeit der Polemik? Du behandelst Thalberg's Musik mit Verachtung und doch hat sie von ihm ausgeführt entzückt – nicht etwa Unwissende und Gimpel, wie Du glauben zu machen suchst, sondern eine Versammlung aufgeklärter und parteiloser Künstler. Solltest Du nicht daraus schließen, daß Dir der Sinn diese Musik zu begreifen, das Verständnis für den neuen Gedanken, der auf dem Papier nicht hat völlig ausgedrückt werden können, fehlt? So ist es wirklich! und hier legt mir die Freundschaft die Pflicht auf mit Dir aufrichtig zu reden: Du bist ein großer Künstler, Dein Talent ist ungeheuer, die Geschicklichkeit in Überwindung von Schwierigkeiten unvergleichlich; Du hast es in dem Systeme, welches Du von Andern vorfandest, in der Ausführung so weit gebracht, als nur möglich: aber hierin bist Du stehen geblieben und hast es nur in Einzelheiten modificirt; kein neuer Gedanke hat den Wundern Deines Spiels einen schöpferischen und eigenthümlichen Charakter gegeben! Wir wollen nicht sagen, daß nicht dereinst eine glückliche Idee deinen Geist erleuchten und Deine seltenen Gaben auf einen neuen Gedanken bringen wird; aber bis jetzt ist es noch nicht so. Du bist der Abkömmling einer Schule, welche endet und nichts mehr zu thun hat, aber Du bist nicht der Mann einer neuen Schule. Thalberg ist dieser Mann! Das ist der ganze Unterschied zwischen Euch beiden.« – –


»Du bist der Abkömmling einer Schule, welche endet und nichts mehr zu thun hat« – das war die Replik auf Berlioz's früheren Ausruf: »Liszt ist der Pianist der Zukunft!« Fétis war der Ritter, welcher den von Berlioz geworfenen Handschuh aufnahm! Dabei aber hatte er keine Ahnung, daß sein Weisheitsspruch ihn selbst in die Klasse derer verweisen würde, welche gegen die Männer sündigen, »die Natur und Fleiß zu einer Umbildung ihrer Kunst bestimmt«

[432] Fétis Spruch ist ein historisches Seitenstück geworden zu dem einst von dem stuttgarter Hofmusikus und Salieri-Apostel Schaul an die Mozartverehrer gerichteten Zuruf: »Sagen Sie mir, meine Herren, hat Ihr angebeteter Mozart eine ›Grotte des Trophonius‹ geschrieben, einen ›Azur‹, eine ›Palmira‹ wie Salieri, dieser musikalische Weise, sie geschaffen? O welch' ein Unterschied zwischen meinem Salieri und Eurem Mozart!«

Mit Fétis großem Richterspruch war der Federkrieg jedoch noch nicht beendet. Liszt auf das tiefste verletzt, insbesondere durch die kleinlichen Motive, die Fétis seiner Handlungsweise zu Grunde legte, indem er unverblümt aussprach, daß Künstlerneid ihn beherrsche, schritt zu einer Entgegnung, zu welcher ihm der Artikel seines Gegners viele Blößen gab. Ganze Sentenzen desselben wußte er zu einer Geißel zu flechten, die namentlich den »Musikgelehrten« empfindlich traf. Dazwischen durchblitzte alle seine Entgegnungen die Entrüstung über Fétis' Art Kritik zu üben, über die Art und Weise, wie so mancher Gelehrte sich in künstlerische Angelegenheiten mengt, ohne die Specialkenntnisse hiezu zu besitzen. Dieser Punkt bildet den Schluß seines: »An Herrn Professor Fétis«. Mit Energie spricht er von der Nothwendigkeit einer seitens der Künstler selbst zu übenden Kritik.


»Im Grunde genommen, schließt Liszt seine Entgegnung an Fétis, gleicht dieses alles dem Titel der Shakespeare'schen Komödie: »Much ado about nothing«. Die eigentliche Frage, die einzige, auf die es hier bei dieser Angelegenheit ankommt, ist nichts als ein Beitrag zu der Frage der Kritik durch die Künstler. Mit anderen Worten: das Eintreten der Künstler für die Fragen ihres eigenen Faches. Die ausführliche Behandlung dieses Themas verspare ich aber auf einen günstigeren Moment, jetzt könnte eine solche zu weit führen und Veranlassung zu einer abermaligen Polemik werden; denn zweifellos, wenn Künstler einerseits die Kritik inkompetenter, außerhalb der Theorie und Praxis stehender Männer für ohnmächtig erklären, so hat andererseits in den Augen gewisser Leute die Kritik der Kompetenten nie einen anderen Hebel als den des Neides! Aber ich wiederhole es: qu'importe!

Was man auch sagen, was man auch thun möge: die Ideen streben unaufhaltsam ihrem richtigen Standpunkt zu. Die Dinge gestalten und berichtigen sich ohne Unterlaß, und die Wahrheit[433] wird diejenigen nicht im Stiche lassen, die an sie geglaubt und für sie Niederlagen erlitten haben!«


Schon acht Tage nach dieser Replik Liszt's brachte die pariser Gazette musicale einen offenen an ihren Redakteur Schlesinger gerichteten Brief des Professors Fétis, mit dem er die Absicht seines Aufsatzes zu erörtern und die von Liszt gezogenen und den »Gelehrten« betreffenden Konsequenzen desselben durch allgemeine Redensarten und namentlich dadurch zu entkräften suchte, daß er Liszt »unmotivirte Ausfälle« gegen ihn mit dessen heftigem und nervösem Temperament entschuldigte und so gleichermaßen die eigene Niederlage unter den Mantel des Weisen versteckte. Auch meinte er, daß er seinen Gegner viel zu hoch als Künstler stelle, um die begonnene Polemik fortsetzen zu dürfen; die Zeit würde ja ohnedies lehren, wer von ihnen im Unrecht und wer im Recht gewesen.

Indem er also einlenkte, war dieser unerquicklichen, aber interessanten Debatte zugleich eine Art Finale gegeben. Von Liszt kam keine Erwiderung mehr, aber der folgende an George Sand gerichtete Brief erwähnte diese Debatte nochmals, wobei er ihr seine Beleuchtung gab, aber auch zeigte, wie empfindlich sie ihn berührt hatte. Die Zeit hat inzwischen belegt, welches Urtheil bezüglich Thalberg's und seiner Kompositionen das richtige gewesen.

Inzwischen aber war, Mitte Februar, kurz nachdem Liszt's Recension über Thalberg's Kompositionen erschienen, Thalberg selbst in Paris angekommen – zum großen Jubel der Gegner Liszt's. Von diesem Momtent an gab es für diese pariser Musiksaison nur noch ein Losungswort: »Liszt!-Thalberg!«

Sei es, daß Thalberg's Freunde ihm von Liszt's »Neid und Eifersucht« erzählt hatten und er gleich ihnen in seiner Kritik eine künstlerische Herausforderung erblickte, die anzunehmen seine Künstlerehre erheische, oder war es zufällig: Thalberg zeigte sein erstes Koncert, eine Matinée, zum zwölften März an – demselben Tag, zu welchem Liszt schon früher eine Soirée angesetzt und angezeigt hatte. Er wurde hiemit nach allgemeiner Ansicht zum Angreifenden. Liszt jedoch, der sich weder als Rivale noch als Gegner des bedeutenden Pianisten fühlte, wich dieser anscheinenden Herausforderung aus, indem er sein Koncert zurückzog und auf acht Tage später verlegte.

[434] Thalberg gab sein Koncert im Konservatoriums-Saal, dessen Raum beengt keine vielhundertköpfige Zuhörerschaft aufnehmen konnte. Er spielte eine Fantasie über »God save the King«, sein Opus 22 und seine »Moses-Fantasie«.

Liszt gab Sonntags darauf in stolzer Verwegenheit sein Koncert im Opernhaus, dessen Raum so groß ist, daß die mächtigsten Accente der menschlichen Stimme ihn kaum zu füllen vermögen. Er spielte nur zweimal: seine »Niobe-Fantasie« und Weber's »Koncertstück«.

»Als der Vorhang sich hob – erzählt ein Berichterstatter von diesem Koncert8 – und wir diesen schlanken jungen Mann erscheinen sahen, so blaß und so schmal, blässer und schmäler noch durch die Entfernung und die Lichter, allein mit seinem Piano auf dieser großen Scene ... kam eine Art von Furcht über uns. Unsere ganze Sympathie war mit dieser Thorheit; – – denn nur Thoren vollbringen große Dinge. – Das ganze Auditorium theilte diese dramatische Unruhe und jeder lauschte bangen Ohrs des ersten Tones. Nach dem fünften Takt war die Schlacht zur Hälfte gewonnen, unter Liszt's Fingern vibrirte das Klavier, wie die Stimme des Lablache.«

Der Beifall, welchen Liszt erntete, war stürmisch und enthusiastisch. Auch Thalberg hatte bei seinem Koncerte einen gleichen gefunden, aber der Liszt's erstreckte sich auf größere Kreise und war darum weittragender. Thalberg hatte zu seiner Zuhörerschaft das klassisch-gebildete Publikum der Konservatoriums-Koncerte, Liszt das gemischte Sonntags-Publikum der großen Oper. Nach den Berichten jener Tage und nach dem Aufsehen, das sein Benutzen der großartigen Räume des Opernhauses zu seinem Koncerte gemacht, war es daß erstemal, daß ein Pianist die kühne Idee gefaßt hatte mit dem damals noch keineswegs stark entwickelten Ton des Pianoforte durchdringen zu wollen. Und das Wagnis hatte sich erwiesen nicht als eine jugendliche Überschätzung der eigenen Kraft, sondern als Ausdruck eines siegesgewissen Bewußtseins! Unter Listz's Händen schwoll der Ton und drang machtvoll durch die Räume. Mit einer Gewalt, welche nur der Dämon der Inspiration verleihen kann, wußte er die Gemüther ihrer angstvollen Spannung zu entreißen und in den[435] Wirbel seiner eigenen Begeisterung hineinzuziehen. Der Beifallsturm, der ihm ward, zeugte von seiner Befähigung die Massen zu entzünden.

Durch diese Koncerte der beiden großen Pianisten war die allgemeine Aufregung und die Parteileidenschaft nur noch heftiger geworden. Die außerordentlichen Erfolge, welche die Koncerte beider begleiteten, ließen das Publikum nicht einig darüber werden, wer denn eigentlich der »Sieger« sei? Fétis' Artikel war noch nicht erschienen. Die Entscheidung aber über jene Frage wurde – darüber waren alle einig – ganz besonders dadurch erschwert, daß man sie nicht an einem Abend, in einem Koncert hören konnte – wie sollte man da zum Vergleichen kommen können? Da plötzlich wurden die Gemüther auf das angenehmste durch die Nachricht überrascht, daß die italienische Fürstin Belgiojoso zum Besten der italienischen Flüchtlinge ein Koncert in ihren Salons veranstalten werde, an welchem Liszt und Thalberg sich betheiligen und nacheinander, der eine seine »Niobe-«, der andere seine »Moses-Fantasie« vortragen würde.

Ein ihren Zwecken günstigeres Arrangement als dieses hätte die Fürstin nie treffen können. Wer nur durch Rang und Vermögen sich zum Besuch dieses Koncertes berechtigt glaubte, eilte, um seine vierzig Francs – so viel kostete ein Billet – aus den Altar der Wohlthätigkeit niederzulegen. Eine glänzende Gesellschaft war am 31. März in den Salons der Fürstin versammelt aber auch die Elite der pariser Virtuosen hatte sich zur Mitbetheiligung an der Aufführung des Programms eingefunden. Außer Liszt und Thalberg wirkten Massart, Urhan, Lee, Dorus, Brod, Pierret, Matthieux, Géraldy, sowie die Damen Taccani und Louise Puget mit.9 So anerkannt diese Künstler alle waren, in den Augen der Anwesenden waren sie in diesem Moment nur die Statisten der Bühne, Thalberg und Liszt ihre alleinigen Helden.

Endlich kamen die Nummern dieser beiden an die Reihe! Liszt spielte zuerst, dann Thalberg.[436]

Jeder wurde mit Jubel begrüßt, jeder mit Beifall überschüttet.

Welchem gebührte der Vorzug? Auch jetzt konnte man sich nicht hierüber einigen. Machte auch das Wort einer geistvollen Dame der großen Welt, welche nach diesem Koncert die Bemerkung hinwarf: »Thalberg est le premier pianiste du monde!« und als man frappirt ihr entgegnete: »Et Liszt?« enthusiasmirt ausrief: »Liszt! Liszt – c'est le seul!« die Runde, so waren die Leistungen beider so außerordentlich, daß auch jetzt die Meinungen getheilt blieben. Die allgemeine Stimmung aber wurde eine ruhigere, wozu nicht wenig die aufrichtige Hochachtung, mit der sich beide Künstler im Salon der Fürstin begegneten, beitrug. Keine Spur von Neid und Eifersucht war bei ihnen zu bemerken; beide – das erkannten die Anwesenden – waren für solche Kleinlichkeit doch zu bedeutend.

Das Publikum sprach nun viel von einer stattgefundenen Versöhnung. »Aber« äußerte sich Liszt hierüber, »sind sie denn Feinde, wenn ein Künstler dem andern einen Werth, den die Menge ihm übertrieben zuerkennt, abspricht? Sind sie denn versöhnt, wenn sie sich außerhalb der Kunstfragen schätzen und achten?«

So war das Koncert der Fürstin Belgiojoso, von welchem der Alltagscharakter sich wohl manche pikante Nachblüthe versprochen, ohne éclat ruhig und würdig vorübergegangen. Als daher der von Brüssel aus gegen Liszt gerichtete Artikel von Fétis kam, mußte er den bereits beruhigten Pariser sehr unangenehm berühren. Liszt war in seinen Augen rehabilitirt. Für einen Theil der Recensenten jedoch, welcher wegen des Freimuths und der Satire, mit denen er unberufene Federn traktirte, ihm übel wollte, war er eine willkommene Gelegenheit, ihn beim Publikum des In- und Auslandes zu verkleinern. Die entstellendsten Bemerkungen über die Thalberg-Affaire fanden ihren Weg in die Presse Frankreichs, Deutschlands, auch über den Kanal hinüber in die Englands. Als Thalberg sein zweites und letztes Koncert zum zweiten April angesetzt hatte, um dann nach England zu reisen, konnte man in vielen Journalen Deutschlands, lesen: »Er geht nach England. Liszt ihm nach!«

Aber Liszt ging ihm nicht nach – weder jetzt noch später. Der Liszt-Thalberg-Kampf war nun wohl durch das Koncert der[437] italienischen Fürstin geschlossen, nichtsdestoweniger aber dauerte die Unentschiedenheit des Urtheils über die Frage: wer ist der größere von Beiden? noch Jahre hindurch fort. In Paris kam letztere erst in den vierziger Jahren zum Schweigen. –

Liszt blieb noch bis Anfang Mai in Paris. Während dieser Zeit wirkte er noch in mehreren Koncerten mit und gab am neunten April noch ein eigenes. Auch komponirte er auf Wunsch der Fürstin Belgiojoso eine Einleitung, eine Variation und das Finale zu dem unter dem Titel:


Hexameron


herausgegebenen Variationenwerk mehrerer Komponisten.

Die Fürstin nämlich hatte wieder zu Gunsten der heimatlosen italienischen Patrioten eine Geldspekulation in Scene gesetzt, wobei, wie bei ihrem Thalberg-Liszt-Koncert, die allgemeine Neugierde als Hauptfaktor in die Berechnung gezogen wurde. Wie einige Jahrzehnte vorher der wiener Musikverleger Diabelli die spekulative Idee gefaßt hatte über ein Walzerthema von den berühmtesten Komponisten der Zeit je eine Variation setzen zu lassen, so suchte sie ein musikalisches Werk, ebenfalls Variationen, aber über ein beliebtes Opernthema (Puritanermarsch von Bellini) auf den musikalischen Markt zu bringen, zu welchem sechs berühmte Pianisten – darum der Titel Hexameron – jeder auf ihre Veranlassung eine Variation geschrieben. Diese Komponisten waren Liszt, Thalberg, Pixis, Herz, Czerny und Chopin. »Leider – wie damals Liszt humoristisch bemerkte –, daß unter diesen Komponisten kein grimmiger Beethoven war, welcher die Marktschreierei wüthend zurückwies, um dafür einige Tage später dem Verleger unter dem Zuruf: »Hier sind drei und dreißig für eine, aber um Gotteswillen, nun laßt mich in Ruh!« ein kostbares Manuskript in die Thüre zu werfen.«

Die Variationen »Hexameron«, welche als Widmung den Namen der Fürstin Belgiojoso trugen, wurden zu jener Zeit in Pariß verlegt. Liszt spielte sie oft in seinen späteren Koncerten, zu welchem Zweck er sie auch mit Orchesterbegleitung eingerichtet hatte. Doch kam diese Bearbeitung nicht zum Druck, obwohl die Haslinger-Ausgabe (Wien 1839) sie andeutet. Später 1870 erschien[438] noch (Schuberth & Co. in Leipzig) eine Liszt'sche Bearbeitung des Hexameron für zwei Klaviere.

Als die Koncertsaison sich ihrem Ende neigte, rüstete sich auch Liszt zu seiner Abreise, schrieb jedoch vorher für die Gazette musicale noch einen Brief an George Sand, welcher seinem Empfindungsleben Ausdruck gab und die pariser Vorgänge berührend zu letzteren gleichsam den Epilog sprach.

Dieser Brief lautet:

Quelle:
Ramann, Lina: Franz Liszt. Als Künstler und Mensch, Band 1, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1880, S. 425-439.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Müllner, Adolph

Die Schuld. Trauerspiel in vier Akten

Die Schuld. Trauerspiel in vier Akten

Ein lange zurückliegender Jagdunfall, zwei Brüder und eine verheiratete Frau irgendwo an der skandinavischen Nordseeküste. Aus diesen Zutaten entwirft Adolf Müllner einen Enthüllungsprozess, der ein Verbrechen aufklärt und am selben Tag sühnt. "Die Schuld", 1813 am Wiener Burgtheater uraufgeführt, war der große Durchbruch des Autors und verhalf schließlich dem ganzen Genre der Schicksalstragödie zu ungeheurer Popularität.

98 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon