XXVIII.

Abschied von Italien.

(Ende der Reiseperiode mit der Gräfin d'Agoult.

1835–1840. II. Italien.)

Entschlüsse für die Zukunft bezüglich seiner künstlerischen und persönlichen Pflichten. Schwankt zwischen der Wahl der Virtuosen- und der Kapellmeisterthätigkeit. Wählt die erstere. – Seine Beziehungen zur Gräfin d'Agoult. Die zunächst durch seine Koncertreise bestimmte Trennung von ihr. Beide reisen von Rom nach Lucca. Liszt tritt für die Errichtung eines Beethoven-Monumentes in Bonn ein. San Rossore. Ruhe und innere Sammlung. Abschied von Italien.


Im Juni 1839 verließ Liszt mit der Gräfin d'Agoult Rom, – jedoch nicht, wie sich nach den vielen großartigen Eindrücken, welche er hier empfangen, erwarten ließe, mit schwerem Herzen.

Obwohl die Kunstschätze der auserwählten Stadt, seine eigenen künstlerischen Erfolge, sowie seine intimen und herzlichen Beziehungen zu Ingres ihm als Künstler unvergeßlich sein mußten, so waren sie ihm damals doch kaum mehr als das nothwendige Gegengewicht gegenüber den schweren Stunden und den inneren Aufregungen, welche sein Privatleben mit sich brachte. Liszt's in der Via della Purificatione gelegene Wohnung barg wenig angenehme Rückerinnerungen für ihn. Ja sie waren derartig, daß lange Zeit ein bitteres Gefühl bei Nennung Roms in ihm aufstieg. Und als er nach Lucca abreiste, reiste er nicht nur als Kavalier der Gräfin, die nach der Geburt eines Sohnes hier ihre vollständige Genesung abzuwarten gedachte, dahin; seine eigene Gesundheit verlangte eine Erfrischung.

In Rom aber waren mehrere Entschlüsse in ihm reif geworden. Er hatte bis jetzt seine Thätigkeit nicht mit Entschiedenheit auf einen künstlerischen Punkt gerichtet. Der Punkt, dem sie zustrebte, war er selbst: seine Selbstbildung. Und nun, da dieses Ziel[541] erreicht war, konnte sein Künstlerbewußtsein ein Leben ohne andere als persönliche Ziele nicht mehr ertragen. Es war immer seine Überzeugung gewesen, daß der Künstler höhere Aufgaben zu erfüllen habe als seinem Ich und der Pflege persönlicher Beziehungen zu leben, und nur die Macht der Verhältnisse hatte ihn so lange von der Erfüllung seines Kunstberufes zurück gehalten. Hatte dabei auch der Drang nach einer anderen geistigen Ausbildung als derjenigen, welche in einem exklusiven Künstlerberuf liegt, sehr stark mitgesprochen und auch der Reiz seiner romantischen Situation nicht verfehlt ihn beinahe fünf Jahre im Privatleben, aus dem er nur zeitweise wie ein Meteor hervorbrach, um ebensoschnell den Blicken der Welt wieder zu entschwinden, zurückzuhalten, so konnte dieser Zustand doch nur ein vorübergehender, kein bleibender sein. Er sehnte sich längst nach einer Thätigkeit, die den Mißmuth des Unbestimmten von seiner Seele nähme und ihn Ziele erreichen ließe, die seinem inneren künstlerischen Drängen sich näherten. Die Bande aber, die sich um ihn geschlungen, waren ihm Fesseln geworden, die ihn mehrfach gehemmt. Aber nun war die Zeit eingetreten, wo die Künstlerpflicht seinem Genius gegenüber zu mächtig sich in ihm regte, um sich länger ihr entziehen zu können, und andererseits erhoben menschliche Pflichten so entschieden ihre Stimmen, daß er nicht länger dem Zufall sich anvertrauen durfte – nur über die zu betretenden Wege war er längere Zeit unentschieden. Zwei standen ihm für die Praxis offen: der Weg des Virtuosen und der als Kapellmeister.

Liszt's Gefühle gegenüber der Virtuosenlaufbahn waren jedoch durchaus getheilte. Stand er auch unter dem stolzen geistigen Zauber, welcher hier dem Virtuosen von Gottes Gnaden erblüht, so hatte er ihn doch nie geblendet gegenüber der geistigen Misère, die ebenso wie jener aus dem Gottesgnadenthum – der Idealität des Künstlers – emporwächst. Das Bewußtsein, daß die Menge vom Künstler nur ein vorübergehendes Vergnügen und keine ernste Vermittelung der edlen Offenbarungen der Kunst verlange, hatte ihn als Jüngling über das, was man seinen »Erfolg« nannte, weinen machen und ihn mit Bitterkeit den Virtuosen, während er im eigenen Herzen das Hohepriesteramt der Kunst mit heiliger Inbrunst empfand, den Hund Munito nennen lassen. Waren auch mildere und gerechtere Geister über ihn gekommen und er »zahmer« geworden, so fühlte er doch nicht geringer – und besonders[542] vor einem Publikum, wie das mailänder bitter genug – jene Sklavenkette, welche ein seelisch-stumpfes, dem Höhenflug des Geistes zu folgen unfähiges aber zahlendes Publikum um das Herz des Virtuosen bindet. Konnte sie auch die Kraft der eingeborenen Ideale ihm nicht binden, so verwandelte doch der Schmerz jenes Bewußtseins dieselben in einen Traum, der die Schläfe der Wirklichkeit nur streift. »Ich leugne es nicht«, schrieb Liszt während seiner italienischen Periode nach Paris, »es liegt ein mir unerklärlicher mächtiger Zauber, eine stolze und doch – ich möchte sagen – sanfte Gewalt in dem Ausüben einer Geistesfähigkeit, die uns die Herzen anderer zuwendet, die in anderer Seelen Funken desselben heiligen Feuers wirft, das unsere eigene Seele verzehrt, Funken, die mit unwiderstehlich sympathischem Zug sie uns nach und in die Regionen des Schönen, des Idealen und Göttlichen emporziehen. Diese Wirkung, welche der Künstler auf Einzelne ausübt, überträgt seine Phantasie dazwischen auf die Masse – dann fühlt er sich als König über alle diese Geister, dann fühlt er den Funken göttlicher Schöpferkraft: denn seine Töne schaffen Erregungen, Gefühle, Gedanken! Es ist nur ein Traum – ja, aber ein Traum, welcher die Existenz des Virtuosen adelt.«1 – –

Das Leben des Virtuosen erpreßte ihm so bittere Stunden, daß der Wunsch sein Leben in unentweihter Einsamkeit verbringen zu können in heißer Sehnsucht in ihm aufwallte. Die Virtuosenlaufbahn war nicht durchaus die Wahl seines Herzens. Als Kapellmeister an der Spitze eines Orchesters zu stehen und die symphonischen Werke unserer Meister lebendig zu machen, so wie sie in seinem Geist sich spiegelten, – dieses Loos schien ihm begehrenswerther als jenes. Insbesondere erschien ihm eine Thätigkeit an den kleineren Höfen Deutschlands, deren kunstsinnige Fürsten, ähnlich den mediceischen Beschützern der bildenden Künste, Mäcene der Tonkunst waren, beneidenswerth. Diese Hofkapellen litten in ihrem künstlerischen Aufstreben nicht unter der ertödtenden Laune des Publikums mit seinem hundertköpfigen Wunsch und seinem trivialen und doch so herausfordernden Geschmack. Hier konnten künstlerische Intentionen zur reinen Kunstblüthe sich entfalten und der Kapellmeister konnte, unbekümmert um seine äußeren Existenzfragen, zum Komponisten nach der Vorschrift seines eigenen[543] Genies sich entwickeln. Die Erinnerung an die Kapelle in Eisenstadt, an Joseph Haydn und seinen edlen Beschützer, den Fürsten Nikolaus Esterhazy, lebte noch in ihm fort. Der musikalische Hof Eisenstadts war seinem Vater ein Ideal gewesen, das sich von diesem gleichsam auf ihn vererbt hatte. Die kleinen regierenden Fürstenhäuser Deutschlands mit ihrer stillen und doch so kräftigen Musikpflege däuchten ihm mehr und weniger musikalische Musenhöfe, ähnlich, wie sie die kleine ungarische Residenz durch einige Generationen hindurch gewesen, – nur daß ein Haydn ihnen gefehlt hatte. Und sonderbar! von allen den deutschen Fürstenhäusern schien ihm, dem Musiker, keines anziehender als die kleine Residenz an der Ilm, deren dichterische Glanzperiode durch Goethe und Schiller sie als Stätte der Kunst über alle Kaiser- und Königshöfe deutscher Lande gesetzt und die nach musikalischer Seite doch so gut wie nichts geleistet hatte! Und doch zog Liszt ein unbegreifliches Etwas dahin, als müsse er hier finden, was er suche. Als Hummel 1837 das Zeitliche gesegnet hatte und hiedurch die Hofkapellmeisterstelle in Weimar vakant war, lag es ihm stark im Sinn sich um sie zu bewerben; die ungesetzlichen Bande aber, welche er trug, hinderten ihn daran.

Und wenn jetzt eine Stellung sich ihm geboten hätte, die seinen Kunstbedürfnissen entgegen gekommen wäre, so würde er sie seiner persönlichen Pflichten wegen haben opfern müssen; denn er hatte nicht nur seinen Sohnespflichten für die ihm so liebe Mutter zu genügen: er hatte auch denen nachzukommen, welche die Konsequenzen der Verbindung mit der Frau waren, die so heftig in sein Leben eingegriffen hatte. Drei Kinder, zwei Mädchen und der in Rom geborene Knabe Daniel, trugen seinen Namen – zu seiner Sohnes- trat die Vaterpflicht. Daneben hatte er die Bedürfnisse der Gräfin zu befriedigen. Eine Kapellmeisterstelle mit ihrem selbst an Höfen mageren Gehalt hätte nimmer ausgereicht diesen vielverzweigten Verpflichtungen nachzukommen. Seine Kinder waren sogleich nach ihrer Geburt von ihm legitimirt worden? und, wie einst nach seines Vaters Tod das kräftige Empfinden der Bande der Natur ihn vor allem andern an seine Mutter denken ließ, so trat jetzt das Gefühl der Pflicht für sie an ihn heran und bestimmte ihn zur Laufbahn des Virtuosen. Keines derselben sollte unter den unglücklichen Verhältnissen leiden, unter welchen er zu bluten begann, niemand ihm je einen[544] Vorwurf versäumter Pflichterfüllung machen dürfen – das Gefühl der Natur, des Stolzes und der Ehre und mehr noch das Machtgebot der Liebe trieben ihn dorthin, wo er die Mittel erwerben konnte, welche ihm die Gewährleistung gaben seine Kinder zu gesunden und tauglichen Menschen erziehen lassen zu können.

Als Liszt von Wien nach Italien zurückreiste, war dieser Entschluß noch keineswegs in ihm gereift. Es war sogar die in der Schweiz geplante Orientreise noch nicht vollständig aus seinem Reiseplan gestrichen. Allein schon die nächste Zeit bestimmte seinen Entschluß aus dem Privatleben herauszutreten und eine Koncertreise durch Europa zu machen. Außer seinen künstlerischen Bedürfnissen und menschlichen Pflichten hat jedenfalls sein großer wiener Erfolg zu dessen Beschleunigung mitgeholfen, nicht minder seine immer weniger haltbar bleibenden Beziehungen zur Gräfin d'Agoult. Nur die Verhältnisse hatten ihn bis zum Herbst 1839 in Italien zurückhalten können.

Jetzt, als Liszt Rom verließ, stand es in ihm fest, daß er sich von der Gräfin trennen müsse. Was noch bezüglich ihrer von jugendlicher Selbsttäuschung an ihm haften mochte, als er den italienischen Boden betrat, war ihm inzwischen vollständig zum Bewußtsein gekommen und Schleier um Schleier von seinen Augen gefallen. Die Gräfin d'Agoult jedoch war dieselbe geblieben. Sie war höherer Erkenntnis nicht näher gerückt und das Durcheinander ihrer Seele hatte sich nicht entwirrt. Romantik und falscher Ehrgeiz hielten sie noch fest umstrickt, und die Zeit hatte nicht vermocht ihre Anschauung zu klären und ihre Empfindungsfähigkeit über ihr eigenes Ich hinaus zu heben. Sie lebte noch immer dem Wahn Liszt's Muse werden zu müssen und als solche vor der Welt zu glänzen. Sie wollte den gefeierten Künstler leiten und über seine Inspirationen gebieten – die Veranlassung zu häufigen heftigen Scenen zwischen beiden, bei welchen Liszt das eitle Begehren der Gräfin und ihr Bestreben sich in sein künstlerisches Denken und Thun einmischen zu wollen mit scharfer Ironie zurückwies.

Bei einem ähnlichen Vorfall war Louis de Ronchaud, der junge musenbedürftige Dichter, zugegen.

»Sie hat Recht!« rief er enthusiastisch, sich gegen Liszt wendend aus. »Sie hat Recht – wir sollen uns beugen, nur das Weib veredelt den Mann. Denke an Dante und Beatrix! denke[545] daran, wie der göttliche Dichter ihren Worten gleich Offenbarungen gelauscht! Du Dante – sie Beatrix.«

›Bah Dante! Bah Beatrix!‹ unterbrach Liszt ihn heftig. ›Die Dantes schaffen die Beatricen – die echten sterben, wenn sie achtzehn Jahre alt sind!‹2

Der richtige Weg that sich der Gräfin d'Agoult nicht auf. Es blieb ihr verschlossen, daß da, wo die Liebe lebt, der Egoismus todt ist. Egoistisches Beharren und Begehren kennt die echte Liebe nicht. Hier liegt der Prüfstein von Wahrheit und Wahn, der zum unerbittlichen Richter phantastischer Selbsttäuschung und selbstischen Wollens wird. Das Weib, vom Geschick erwählt sei es Muse sei es Schutzgeist dem Genie zu sein, wird nie vergessen dürfen, daß die geistige Organisation des letztern über das Persönliche, selbst über die Liebe, wenn sie hemmend in seinen Weg tritts, hinausgeht. Seine Sendung hat geistige, nicht persönliche Interessen zum Zweck, und das Persönliche kann nur dann von bleibendem und höherem Werth ihm werden, wenn es sich der Idee, dem Über-Sich, zu dem das Genie von seiner Natur gezwungen ist, ein- und unterordnet.

Das liebende Weib wird oft Thränen säen müssen, damit die Nationen Perlen ernten. Man hat gesagt, das schwerste Loos, das ein Weib treffen könne, sei die Dornenkrone des Genies zu tragen. Schwerer noch scheint das Loos, einem Genie in Liebe verbunden zu sein. Segen und Unsegen schwebt hier zugleich über des Weibes Haupt. Die Wagschale der Geschichte wiegt nicht mit den leichten Rosen, die das Herz im Moment gestreut, und der Nimbus, mit dem die Nachwelt so gern die Liebe der Dichter- und Künstlergenien umgiebt, ist nur denen sicher, deren Reinheit des Herzens und Intuition der Liebe das »Erkennen« wie ein himmlisches Geheimnis in sich birgt, deren edle Natur die dem Genie eingeborene Leidenschaft zur wahren Schönheit treibt, deren hoher Sinn ihn spornt zu edler Dichtung sei es in Wort, in Ton oder in Farbe. Nicht Spiel ist ihre Mission, sondern innere heilige Weihe: die sich weihende Liebe. Selbstlos ohne sich zu verlieren, frei von Begehren, doch stets zum Opfern bereit, gewissenhaft im[546] Erfassen ihrer Mission und kraftvoll genug sie zu tragen – so ist die Liebe des Weibes dem Künstlergenie ein Segen, der die Zeiten durchdauert. Denn die Geschichte fragt nicht nach Thränen und nicht nach Rosen, aber sie fragt: was die Liebe dem Dichter gebracht? ob sie ihn seinem Genius genähert? ob sie ihn von ihm entfernt habe? Hier liegt der Segen und Unsegen, der das Weib, das in die Kreise des Genies zu treten wagt, umschwebt, und hier erblühen die Blumen, die nimmer ersterbenden, mit welchen die Nachwelt von Generation zu Generation die Frauenbilder schmückt, die im Leben ihren Geisteslieblingen Berufene gewesen.

Eine solche Aufgabe war der Gräfin d'Agoult nicht beschieden und, als Liszt mit ihr Rom mit dem Entschluß verließ eine Koncerttour durch Europa zu machen, sah er, abgesehen von allem andern, die Nothwendigkeit ein sich von ihr zu trennen. Die Gräfin allerdings, deren Sinn dem Reisen zur Seite eines Mannes, dem jeder Verkehr mit geistvollen, eleganten und rangbesitzenden Männern offen stand, zugewandt war, wollte diese Nothwendigkeit nicht einsehen; Liszt's feines Taktgefühl jedoch ließ es nicht zu, daß sie ihn begleite. Er bestimmte sie wieder nach Paris zurückzureisen und, da ihre Familienbeziehungen gelöst, vorerst und bis er nach Paris kommen würde, bei seiner Mutter zu leben. Es lag nicht in seinem Sinn mit der Gräfin zu brechen oder auch sie zu verlassen. Sie war die Mutter seiner Kinder, was sie in seinen Augen auch ferner unter seine Sorge und unter seinen Schutz stellte. Obwohl manche Erfahrung ihn gelehrt, daß die Ideen über Treue der Liebe, wie sie von den Romantikern gepredigt wurden, unzertrennlich von ihr waren, so glaubte er sich ihr gegenüber doch noch als Mann gebunden. Einer nüchternen Anschauung mag diese Großmuth vielleicht einem Stück Romantik, nicht unähnlich einem meisterhaft durchgeführten Roman George Sand's, gleichen – und doch hatte sie nichts zu thun mit den krankhaften Erscheinungen der Großmuth, mit welchen die französische Schriftstellerin so gern ihre Helden geschmückt! Es war seine wirklich große Natur und sein stark ausgeprägtes Gefühl für Familie und Familienpflichten, was ihn so handeln ließ. Dabei sah sein Gerechtigkeitsgefühl in seiner Situation nur die Konsequenz eines früheren Irrthums, die er als Mann ohne Frage auf sich zu nehmen habe.[547]

Am nächsten jedoch lagen ihm seine Kinder am Herzen, und Liszt hatte sich bis jetzt der französischen Sitte, nach welcher diese gleich nach ihrer Geburt Pflegemüttern auf dem Land übergeben werden, nur aus Nothwendigkeit gefügt. Jetzt wollte er, daß sie vereinigt würden – im Hause seiner Mutter in Paris. Nirgends wußte er sie besser geborgen als hier.

Im Herbst, mit dem Beginn seiner Koncertreisen, sollte dieser Plan zur Ausführung kommen und die Gräfin mit den Kindern, unter dem sicheren Schutz eines erprobten Dienerpaares nach Paris zu Madame Liszt reisen.

Das waren alles Pläne und Entschlüsse, die ihm Bitternis auf Bitternis gehäuft. Als er nun mit der Gräfin nach Lucca reiste, war er froh Rom, wo er sie durchgekämpft, hinter sich und, wie er hoffte, Ruhe vor sich zu haben. Er sehnte sich nach ruhigen Stunden und Tagen. Lucca war jedoch ein zu besuchter und eleganter Badeort, als daß er sie hier hätte finden können; und außerdem war er zu berühmt und eine zu außergewöhnliche Erscheinung, als daß die Luccaer Badewelt nicht alles aufgeboten hätte, ihn in ihren gesellschaftlichen Kreis zu bannen. Eine tiefe Sehnsucht nach Einsamkeit überkam ihn und sobald die Nothwendigkeit in Lucca zu verweilen für ihn vorüber war, floh er an den Meeresstrand, um hier in einem kleinen Schifferdorf, sicher vor der großen Welt, zu athmen.

Doch ehe er Lucca verließ, um die elegante Villa Maximiliane mit einem Fischerhäuschen zu vertauschen, drang sein Name von Italien aus noch einmal hinaus in die Welt – nicht als Pianist, nicht als schaffender Künstler, sondern der Großherzigkeit seiner Natur einen Lorbeerkranz bindend, nicht weniger unverwelklich als die Ruhmeskränze, welche sein Genie ihm gebracht.

Liszt verfolgte nämlich schon seit geraumer Zeit mit besonderer Spannung Notizen der Presse, welche sich auf die Errichtung eines Monumentes für Beethoven in seiner Geburtsstadt Bonn bezogen. Es hatte sich in dieser Stadt ein Komité aus kunstliebenden und patriotisch gesinnten Männern gebildet, welches an Koncertinstitute, Kunstfreunde und Künstler des In- und Auslandes den Aufruf erließ, zu einem in seiner Geburtsstadt zu errichtenden Denkmal für den großen Tonmeister nach Kräften beisteuern zu wollen. Dasselbe sollte in einem großartigen, Beethoven's würdigen Stil ausgeführt werden. Dieser Aufruf fand weite[548] Verbreitung und allgemeine, ja unter seinen Verehrern enthusiastische Zustimmung. Doch war es ein Irrthum zu glauben, daß die Liebe für Beethoven's Musik allgemein so tief eingedrungen sei, um zu den Gaben zu nöthigen, welche von der Errichtung eines Monumentes erheischt wurden. Die Gelder flossen nicht so schnell, auch nicht so reichlich, als man das Recht hatte bei einem Denkmal für Beethoven zu erwarten. – Da las Liszt eines Tages, daß, obwohl die Sammlung schon seit einigen Jahren eröffnet war, das Kapital doch bei weitem nicht ausreichend sei, um die angeregte Idee verwirklichen zu können, daß Städte, von deren Kunstsinn und Verehrung für den großen Tondichter man viel gehofft, sich gering betheiligt, ja sogar gegen alle Erwartung zurückgeblieben seien, daß zum Beispiel Paris, wo durch Habeneck's unermüdliche Thätigkeit Beethoven's Symphonien in der musikalischen Welt als eingebürgert zu betrachten waren, die Einnahme der für das Beethoven-Monument gegebenen Koncerte aus nicht mehr als der Summe von 424 Francs 90 Cent. bestand!

Liszt wurde blaß, als er diese Notiz las. Seine Bewunderung für Beethoven fühlte in solcher Sparsamkeit die Beleidigung, welche dem großen Todten widerfuhr. Diese Beleidigung zu fühnen – das war der Gedanke, der plötzlich ihn durchzuckte! Aber sein Gedanke und Wille waren Eins, und so hinderte ihn nichts sich ohne Weiteres an Lorenzo Bartolini, den seit einer Reihe von Jahren erprobten italienischen Bildhauer, dessen Namen weit über die Grenzen seines Vaterlandes hinaus gekannt war,3 zu wenden und sich mit dem erfahrenen Künstler über ein Monument in Marmor zu besprechen, worauf er folgendes Schreiben an das ebenso überraschte wie erfreute Beethoven-Komité zu Bonn sandte:


Meine Herren!


Da die Subskription für Beethoven's Monument nur langsam vorwärts schreitet und daher die Ausführung dieses Unternehmens noch ziemlich ferne zu liegen scheint, so erlaube ich mir[549] Ihnen einen Vorschlag zu machen, dessen Genehmigung mich sehr glücklich machen würde.

Ich erbiete mich, die zur Errichtung des Denkmals noch erforderliche Summe aus meinen Mitteln zu vervollständigen und verlange dafür kein anderes Vorrecht als das, den Künstler bezeichnen zu dürfen, welchem die Ausführung der Arbeit übertragen wird. Dieser Künstler würde Bartolini in Florenz sein, der allgemein als erster Bildhauer Italiens geschätzt wird.

Ich habe vorläufig mit ihm von der Sache gesprochen und er versicherte mir, daß ein Denkmal in Marmor (ohngefähr im Preis von 50–60000 Francs) in zwei Jahren vollendet sein könne und er bereit sei die Arbeit sogleich zu beginnen.


Ich habe die Ehre etc.


Pisa, den 3. Oktober 1839.

Franz Liszt.


Diese große Summe, welche das Setzen des Monumentes erheischte, hoffte Liszt mit Sicherheit durch Koncerteinnahmen verbürgen zu können. An seinen Freund Berlioz in Paris aber schrieb4 er sein Thun gleichsam motivirend: »Welche Schmach für Alle! welcher Schmerz für uns! Dieser Zustand der Dinge muß ein Ende haben! Sicherlich stimmst Du mir bei: ein so mühsam zusammengetrommeltes, filziges Almosen darf unseres Beethoven's Gruft nicht bauen helfen!«

Nun reiste Liszt in Begleitung der Gräfin d'Agoult nach San Rossore, dem kleinen Schifferdorf, dessen Ruhe nur durch die brausenden Wogen des Meeres unterbrochen wurde, wo kaum eine andere Stimme an das menschliche Ohr drang als die der Einsamkeit der bewegten Natur. Hier wohnte er in einem kleinen, vielleicht nur zweihundert Schritt vom Ufer gelegenen Häuschen, das aus Holz gezimmert den châlets des berner Oberlandes glich. Hier verbrachte er die Tage bald im Schatten eines alten Eichenhaines, bald an den Ufern des Meeres, wo er hinüberblickte nach der Insel, die durch einen gefallenen Helden historische Berühmtheit erlangt; oder auch, wenn der Abend nahte, harrte er des Untergangs der Sonne, deren Strahlen über die dahinziehende[550] unendliche Wasserfläche einen märchenhaften, immer im Wechsel begriffenen Farbenglanz breiteten.

Die Insassen des Dorfes wunderten sich über den Fremdling, der so die Einsamkeit suchte. Auch anderen war dieser zeitweilige Hang ein Unbegreifliches. Und doch »hat die Einsamkeit eine Sprache, dem verständlich, der sie beachtet«. Hier in San Rossore fand Liszt die Ruhe und die innere Sammlung, nach der sein Geist sich gesehnt, hier »widmete er den Gauen Italiens den letzten Abschiedsgruß und genoß noch ein letztes Mal die unaussprechliche Schönheit dieser gottgeliebten Lande«.5

Gegen Mitte November verließ Liszt Italien. Sein Weg führte nach Wien, der Weg der Gräfin mit ihrer Begleitung nach Paris.

Fußnoten

1 Brief an Massard.


2 Einer der Briefe – No. 6. – des Bachélier an Louis de Ronchaud bezieht sich in einer Stelle, wo Liszt über die Frauen und ihre Aufgaben spricht, auf diese Scene.


3 Von Bartolini existirt auch eine Liszt-Büste in Marmor, aus dem Jahr 1838, als Liszt in Florenz war.


4 Liszt's »Gesammelte Schriften«, II. Band, Brief No. 12.


5 Liszt an Berlioz.

Quelle:
Ramann, Lina: Franz Liszt. Als Künstler und Mensch, Band 1, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1880.
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