I.

In Rom.

[433] Fehl geschlagene Hoffnungen. – Liszt's Eintritt als Weltgeistlicher in die Kirche.


Die Fürstin war inzwischen von Enttäuschungen nicht verschont geblieben. Sie war nach Rom, um sich Gerechtigkeit zu holen, die das russische Konsistorium endlich gewährt, und deren Konsequenzen zu ziehen der Bischof von Fulda verweigert hatte. Sie fand hier Freunde, ehrliche Freunde; des öftern auch sah sie Pius IX., der sich die Dinge auseinandersetzen ließ. Während in den Kanzleien gearbeitet wurde, machte und empfing sie Visiten, besah die Kunstschätze, besuchte Ateliers. Nach Außen war sie die ruhige Weltdame, die an Rom sich erfreut.

Ihrem beobachtenden Auge entging dabei nichts, was sich auf ihre Angelegenheit bezog. Sie merkte bald, daß russischerseits ihr beim Papst Opposition gemacht wurde, und die Kanzleiarbeiten stockten. Ihr Entschluß war schnell gefaßt. Ohne daß man in der Gesellschaft eine Ahnung davon hatte, war sie beim Papst. »Heiliger Vater«, rief sie, sich auf die Knie werfend – »Heiliger Vater, hier vor dem Vertreter der Gerechtigkeit Gottes suche ich Schutz und Recht! Sie stand nicht auf, selbst nicht auf des Papstes: »Stehen Sie auf, setzen Sie sich, Fürstin« – sie blieb auf ihren Knien und ergreifend schilderte sie ihm, was sie von Rußland gelitten, wie Rußland sie verfolgt, welches innere Elend, welche Ungerechtigkeit, welche Schmach sie ertragen. – Lange dauerte die Audienz. Endlich sagte Pius IX. tief ernst: »Gehen Sie, Fürstin, Ihr Recht soll Ihnen werden.« Mit diesen Worten schloß die Audienz. Unter seinem Segen verließ sie das Gemach.[433]

Der Papst war so ergriffen, daß die Audienzen unterbrochen werden mußten. »Diese Frau hat mich erschüttert!« rief er einüber das andermal aus. – Er befahl ihre Angelegenheit sogleich zu prüfen, damit es nicht heiße: Rußland sei allmächtig in Rom.

Nach kurzer Zeit erhielt die Fürstin mit des Papstes Unterschrift die Bestätigung des Dekrets des russischen Konsistoriums. Ganz Rom war überrascht ob dieser Nachricht. Nun wollte sie zurück nach Weimar. Im Gespräch mit einem ehrwürdigen und weltkundigen Würdenträger der Kirche bemerkte ihr dieser sein lächelnd: »Durchlaucht, bleiben Sie noch hier – warten Sie es ab.«

»Aber ich habe die Unterschrift des heiligen Vaters.« –

»Warten Sie ab!«

Eine innere Stimme ließ die Warnung sie befolgen. Sie reiste nicht. Als sie nun ihre römische Entscheidung dem Kardinal de Lucca vorlegte, erkannte er sie nicht an, insofern nicht als er dem Bischof von Fulda das Recht verweigerte, eine zweite Ehe der Fürstin zu schließen. Sie wurde in das römische Kabinet zurückgesandt. Pius IX. bestand nicht auf sein gesprochenes Recht. Vorsichtig meinte er: irgendwo müsse ein Irrthum liegen, man solle die Akten revidiren. Nun wurden selbst die Akten erster Instanz, die in Rußland lagen, von Rom aus verlangt und durchgesehen.

Nach Durchsicht der russischen Akten erster Instanz, äußerte Kardinal Catarini – ein Mann, der nicht für die Fürstin eingenommen war – gegen den Papst, daß, wenn er vordem Zweifel in ihr Recht gesetzt, diese Alten ihm alle Zweifel genommen hätten. – Die Sache der Fürstin verlangte zum zweiten Mal des Papstes Unterschrift.

Nun erwartete sie Liszt, mit dem sie strengstes Stillschweigen über das Bevorstehende verabredet. Wie es kam, ist nicht ermittelt: eine Oktobernummer der »Augsburger Allgemeinen« brachte die Notiz, »daß Liszt zu seiner Vermählung nach Rom reise.«

Am 20. Oktober traf Liszt in Rom ein. Am selben Tage waren im Vatikan zu einer Privataudienz ein russischer Verwandter der Fürstin: der Herr zu Calm-Podoska (der ehemalige Knabe, dessen ein früheres Kapitel gedacht hat), nebst einer Fürstin O. und Gräfin B., beide Polinnen und Verwandte von ihr.

Am Abend des 21. Oktober, dem Vorabend seines 50. Geburtstages, empfing Liszt nebst der Fürstin die Kommunion in[434] Santo Carlo. Der Altar daselbst war geschmückt, die Kerzen vorbereitet – andern Tags, an seinem Geburtstage, früh um 6 Uhr, sollte in aller Stille die Trauung vollzogen werden. Des Abends aber um 11 Uhr traf vom Pfarrer zu Santo Carlo die Nachricht ein,


»daß auf Befehl des Papstes die Trauung nicht stattfinden könne!«


Dieser Erlaß war die Folge der genannten Audienz. Die Gegner der Fürstin hatten gesiegt und ihre Verwandten erreicht, den Papst umzustimmen, indem sie gegen den Zwang der Eheschließung, worauf die Scheidung der Fürstin basirt war, zeugten und die ersten Jahre ihrer Ehe als normal hinstellten. Nach ihrem Zeugnis wäre eine zweite Eheschließung »Meineid« gewesen, welchen Pius IX. verhindern wollte. Wohl forderte er der Fürstin zum dritten Male die Akten zur Prüfung ab. Nach allen Erfahrungen aber war vorauszusehen, daß dem Rechtsspruch der dritten Prüfung ein Widerruf folgen werde, und so behielt sie dieselben zurück.

So war der Schrei nach Gerechtigkeit erfolglos erklungen, erfolglos gehört.

Das Geschick Beider war für das übrige Leben entschieden. Gegenüber allen Vorkommnissen war für sie eine gemeinsame Heimstätte vernichtet. Und gerade eine solche bedurfte der Meister. Bis zu seiner letzten Stunde litt er unter dieser »Heimathlosigkeit,« und manches, was man im Verlaufe seines Lebens beklagt, fällt diesem Umstand anheim. Wohl nahte noch einmal ein Moment, wo das Schicksal selbst die Hand zu bieten schien, der von ihm geschaffenen Tragödie den Schluß der Verföhnung für den Lebensabend zu gewähren. Im Frühjahr 1865 starb Fürst Nicolas v. Wittgenstein. Gegenüber der Wittwe erloschen die kirchlichen Gesetze, die so hart sie betroffen hatten. Der spätere Kardinal v. Hohenlohe, und, nebenbei bemerkt, der Schwager ihrer Tochter, erbot sich die Trauung zu vollziehen. Allein die Fürstin hatte seit jenem vernichtenden Schlag sich mehr und mehr dem Gedanken hingegeben, »daß alle gewordenen Hindernisse Gottes Fügung seien, und sie sich seinem Willen zu ergeben habe.« Sie hatte Resignation gelernt und konnte sich ihr nicht mehr entreißen – –: sie wies die Trauung zurück.

Welches auch die Motive sein mochten, die im Hintergrund ihres Herzens in diesen Entschluß hineingespielt haben, sicher ist:[435] daß er unparteiischem Urtheil angesichts des von ihr um dieses Ziel geführten Kampfes als eine Inkonsequenz erscheint, die um so bedauerlicher berührt, als sie dadurch dem Auge der Welt und der socialen Ordnung die Hauptbeglaubigung der Unantastbarkeit ihres Rechtes entzogen hat.

Die Inkonsequenz selbst aber dürfte nicht allzuschwer als eine Konsequenz der letzten sechs Jahre zu erkennen sein. Schon die ein- und einhalbjährige Trennung Beider – Liszt in Weimar, die Fürstin in Rom – zog eine Art Zwischenlinie in ihr Einheitsleben. Eine solche ist unausbleiblich, wenn der engste persönliche Austausch in einen schriftlichen umgewandelt wird und Jedes für sich die Tagesfragen, -Sorgen und Vorkommnisse durchzumachen hat. Ohne zu entfremden, entstehen Gewohnheiten, die das gemeinschaftliche Verfolgen der Interessen nicht mehr so ganz mit dem Stempel unumgänglicher Nothwendigkeit belegen. Nach dem päpstlichen Entscheid lag zunächst die Frage vor: wohin? was nun? zurück nach Weimar? Das Leben und Wirken auf der Altenburg war durch die neueren Kunstzustände in Weimar gestört; auch abgesehen hiervon ließ sich das Leben in alter Weise nicht wieder aufnehmen. So blieben sie »vorläufig« – wie Beide wähnten – in Rom. Die Fürstin bewohnte auf der Piazza di Spagna, alsdann in der Via del Babuino im Winter den zweiten, im Sommer den dritten Stock des Hauses No. 89, Liszt bezog einige Zimmer in der Via Felice 113, alsdann auf dem Monte Maria, Madonna del Rosaria u.a.

Die finanziellen Mittel der Fürstin, wie des Meisters, geboten beiden Einschränkungen in viel größerem Maße als in Weimar. Liszt's Einnahmen wurzelten in den bei den Esterhazy'schen Kassen angelegten Ersparnissen aus seiner Knabenzeit, die ihm sein Vetter, der inzwischen zum K.K. österreichischen Generalprokurator emporgestiegene Eduard Liszt auf das sorgfältigste verwaltete, und den Einkünften aus seinen Kompositionen. »Ich habe blos einen Luxus beibehalten« – schrieb er in jener Zeit an den legendarischen Kantor –, »nämlich meinen kleinen Diener – und auch dieses nur der Zeitersparnis wegen. Doch bin ich keineswegs gestimmt, je reicher zu werden, obschon es mir manchmal sehr wehe thut, Andern nicht helfen zu können.« Und doch fand er tausendfach Mittel zu rathen, zu helfen, zu fördern. Und wie auf der Altenburg, blieb ihm hierin die Fürstin zur Seite. Bitter empfand sie[436] in der Folge den an ihr begangenen Raub an irdischem Gut. Doch keine Klage trat nach Außen. Bei Beiden hielt die innere Größe dem äußeren Geschick die Wage.

Als Pius' IX. Verbot so plötzlich und unerwartet den letzten Anker der Schiffbrüchigen vernichtete, bedurfte es seitens Liszt's1 mehr als je zuerst einer geraumen Zeit, um sich zu fassen, zu sammeln und gehörig aufzurichten, bevor er sich seinem Kompositionsberuf wieder hingeben konnte. Ebenso verlangte die Fürstin nach innerer Beruhigung. Ihr Aufenthalt in Rom hatte sie den Kreisen der hohen Würdenträger der Kirche nahe gebracht. Ihr reger Geist, von dem Kunstleben Deutschlands abgeschnitten, fand hier eine Nahrung, die ihrer Glaubensrichtung entgegen kam und ihr jenes ersetzte. Sie wandte sich der Theologie im ernstesten Studium zu und machte zwei dreijährige Kurse mit dem Dominikaner Prälat de Ferrari durch, in welcher Zeit sie nebenbei die ganze Summe der Schriften des Tomasius d'Aquinus mit ihm in lateinischer Sprache durcharbeitete.2 Daß dieses Studium dazu beitrug, sie in der oben ausgesprochenen Idee zu bestärken, liegt der Annahme nahe. Nichts desto weniger bleibt ihr Rücktritt, obwohl ihn Liszt verstand, und zu groß dachte, um ihn nicht vollkommen zu billigen, ein bedauernswerthes Faktum. Die geistige Gemeinschaft Beider blieb nach wie vor.

Der Aufenthalt in Rom dehnte sich vom Winter auf das ganze Jahr, auf Jahre – bei der Fürstin für immer aus. Das Große, Breite, Geistige Roms, in dem sich die Interessen dazumalen noch kirchlich und weltlich centralisirten, war Beiden nach den zwölf Jahren künstlerischen und persönlichen Kampfes in Weimar erhebende Friedensluft. Der künstlerische Verkehr allerdings lag für den Meister brach, doch konnte' er, obwohl ihn auch hier seine ausgebreiteten persönlichen Beziehungen und seine gesellschaftliche Stellung oft ermüdeten, zeitweise zurückgezogener leben als früher.

Das Wesentliche war für ihn, daß er seiner kirchenmusikalischen Bestimmung sich näher fühlte.[437]

Das drücken auch folgende an Fr. Brendel gerichtete Worte aus, indem er sagt (8. Nov. 1862):


»Ich bin fest entschlossen längere Zeit hier ungestört, unaufhaltsam und konsequent fortzuarbeiten. Nachdem ich die mir gestellte symphonische Aufgabe in Deutschland, so gut ich es vermochte, zum größeren Theil gelöst habe, will ich nunmehr die oratorische (nebst einigen zu derselben in Bezug stehenden Werken) erfüllen. Die Legende der heilgen Elisabeth, welche seit ein paar Monaten gänzlich beendet ist, darf nicht isolirt bleiben, und ich muß dafür sorgen, daß die gehörige Gesellschaft für dieselbe heranwächst.«


Im Hinblick auf diese sich gestellte Aufgabe, wies Liszt alle Einladungen und Aufforderungen zur Theilnahme und Betheiligung an Musikfesten in London, Petersburg n.a. Städten, desgleichen nach Weimar zurückzukehren, während der ersten Jahre zurück. An Dr. Gille in Jena schrieb er (10. Sept. 1863):


»Der römische Aufenthalt ist für mich kein beiläufiger; er bezeichnet sozusagen den dritten Abschnit – (wahrscheinlich den Abschuß) meines oft getrübten, doch immerhin arbeitsamen und sich aufrichtenden Lebens. Ich bedarf also eine geraume Zeit, um mit mehreren langwierigen Arbeiten und mit mir selbst ein gutes Ende zu machen. Dazu verhilft mir günstig meine hiesige Zurückgezogenheit, die fernerhin noch etwas accentuirter sein wird, und meine jetzige klösterliche Mohnung,3 welche mir nicht nur die herrlichste Aussicht über ganz Rom, die Campagna und die Gebirge gewährt, sondern auch, was ich ersehnte: Ruhe von außen und Friedsamkeit. –«


Im Jahr 1864 entschloß endlich der Meister sich aus speciellen Wunsch des Großherzogs von Weimar, auf kurze Zeit Deutschland zu besuchen und der Karlsruher Tonkünstler-Versammlung (21.–26. August) beizuwohnen. Bezeichnend für seine, diese Reise betreffende Stimmung dürfte folgender Passus eines an Brendel gerichteten Briefes sein, aus dem unverkennbar, trotz Stolz und Ironie, die klaffende Wunde seines beleidigten Geistes hindurchschimmert:


»Pohl scheint falsche Brillen aufgesetzt zu haben, wenn er in meinen Brief gelesen, daß ich nichts Eiligeres zu thuen wünsche, als nach dem alleinigen Deutschland zurückzukehren! Man mag darüber denken, was beliebig; positiv aber bleibt, daß ich mich weder um deutsche, noch französische, englische, russische oder italienische Laffen weiter kümmere und mich gänzlich in meiner stillen Arbeitsamkeit abschließe.

[438] »Laßt mich ruhen, laßt mich träumen,« zwar nicht unter »blühenden Mandelbäumen,« wie Hoffmann singt, doch getrost und geborgen unter dem Schutz der Madonna del Rosario, die mir diese Zelle gewährt. Meine deutschen Freunde thäten wahrlich viel vernünftiger, mich hier zu besuchen, als mich nach ihren Gauen zu verlocken. Jedenfalls können Sie die übrigen Bekannten versichern, daß ich sie durch keine längere Anwesenheit mehr inkommodiren werde, und meine Dazwischenkunft bei dem Carlsruher Musikfest nur eine vorübergehende, durchaus harmlose ist.«4


Nach der Tonkünstler-Versammlung verbrachte Liszt mehrere Tage in Weimar. Die Altenburg war nominell noch in den Händen der Fürstin. In Wirklichkeit jedoch hatte sie dieselbe auf Wunsch des Hof-Marschalls von Beust geräumt.5 Nur Liszt's Arbeitszimmer im Seitengebäude waren noch unberührt. Sie bewohnte jetzt der Meister. Als er seine Zimmer, das »blaue Zimmer« betrat, dem nach seinen Worten »für und für ein, Doppelgänger' Gesicht eingemauert,« bedeckte er bitterlich weinend sein Gesicht mit beiden Händen und rief ein über das andere mal: »das hätte man mir ersparen können!« – – –

Im darauf folgenden Jahre, im Frühjahr 1865, er eignete sich, was Liszt's Freunde in tiefste Bestürzung versetzte: er nahm die Weihen. Dieser Schritt war eine Konsequenz des Entsagungsaktes der Fürstin. Mag es auch scheinen, als habe er sich von seiner Jugend an als von seiner Natur vorgezeichnet, vorbereitet, so bleibt diese Thatsache dennoch feststehen. Die Beleuchtung, welche derselbe seitens der gegnerischen Presse erfuhr, bedarf hier keiner weiteren Auslassung, als daß sie den Kern der Sache nicht einmal streifte. Denn weder Mönchthum noch Effektliebe lagen ihm zu Grunde, vielmehr ein anderes Motiv, ein Gedanke von immenser Tragweite, der, hätte das Geschick ihn erfüllt, kirchenmusikalisch von größter Bedeutung hätte werden müssen. Es ging in den höheren klerikalen Kreisen schon seit geraumer Zeit die Rede, daß bei der außerordentlichen Theilnahme, die Pius IX. für den Meister hegte, die Ernennung des letzteren zum päpstlichen[439] Kapellmeister voraussichtlich sei. Eine solche Ernennung wäre bei dem Charakter seines Genius gleichbedeutend gewesen mit einer Reform der Kirchenmusik der gesammten römisch-katholischen Christenheit. Seit einem Besuch, mit dem der heilige Vater, begleitet von den Monsign. Merode und Hohenlohe, nebst einigen andern Herrn seiner Umgebung den Meister auf dem Monte Mario am 11. Juli 1863 geehrt6 – eine Auszeichnung, die keinem Tonmeister je widerfuhr – schien eine solche Annahme berechtigt. Jetzt, da die Fürstin die gesellschaftlich-häusliche Stellung gleichsam abgebrochen, mochte jene Aussicht noch an Leuchtkraft gewinnen, als ein kirchlicher Würdenträger ihm den Gedanken eingab: des Pabstes Kleid zu wählen als ersten Schritt jenem Ziel entgegen.

So nahm er am St. Markus-Tag den 25. April 1865 die untersten kirchlichen Weihen, die ihn der Klasse der Weltgeistlichen einreihten und von dem nunmehrigen Kardinal von Hohenlohe ihm ertheilt wurden. Dieser lud ihn zugleich ein, eine Wohnung bei ihm im Vatican zu beziehen. In demselben Stockwerk, den Rafael's Stanzen schmücken, domicilirte Liszt neben den Gemächern des Kardinals, bis dieser diese Wohnung aufgab und seine Besitzung Villa d'Este in Tivoli bezog, wo er dem Meister ebenfalls ein Asyl eröffnete, das ihm für alle künftigen Jahre zu jeder Zeit offen stand. Hier weilte er alljährlich bald längere, bald kürzere Zeit. Die Wasserfälle und Cypressen der Villa d'Este, die erhabene Ruhe und der Friede, die er hier stets fand, entsprachen seinem persönlichen, wie dem Bedürfnis seines Genius, dem in dem Ernst und der Weltferne dieses Ortes die Stimmung entgegentrat, die ihn vorwiegend in dieser Periode beherrschte.

Die Aussicht auf eine päpstliche. Berufung erwies sich als trügerisch,7 was auf des Meisters kirchen- musikalische Richtung keine Einwirkung üben konnte.

Nur von einigen Reisen unterbrochen,8 erstreckte sich Liszt's[440] ausschließliche Rom-Periode bis zu Beginn des Jahres 1869. Von da dehnt sie sich über Weimar und 1876 über Budapest aus, wo er alljährlich mit wenigen Auslassungen mehrere Winter- und Sommermonate im Dienste der Kunst und seines Vaterlandes verbrachte.

Über seinen Wechsel des weltlichen Rocks mit der Soutane äußerte er sich brieflich gegen den Fürsten Constantin von Hohenzollern-Hechingen:


»Convaincu que cet acte m'affermissait dans la bonne voie, je l'ai accompli sans effort, en toute simplicite et droiture d'intention. Il correspond d'ailleurs aux antécédents de ma jeunesse, come aussi au développement qu'a pris durant ces quatre dernières années mon travail de Composition musicale, que je ne propose de poursuivre avec une nouvelle vigeur, le considérant comme la forme la moins défectueuse de ma nature. –

Pour parler familièrement: si »l'habit ne fait pas le moine« il ne l'empêche pas non plus; et dans certains cas, quand le moine est tout fait au dédans, pourquoi ne pas y approprier à l'extérieur l'habit? –

Mais j'oublie que je n'entends nullement devenir moine, dans le sens rigoureux du mot. La vocation me manque à cet effet, et il me suffit d'appartenir à la hièrarchie de l'Eglise au degré que les ordres mineurs m'assignent. Ce n'est donc pas le froc, mais la soutane que j'ai revêtue. Et à ce sujet, Votre Altesse me passera cette légère vanité de lui raconter qu'on me fait le compliment de dire que je porte ma soutane comme si je l'avais toujours portée.«9


An Franz Brendel aber schrieb er das beruhigende Wort, daß sein Anschluß an die Kirche » kein Abbruch mit dem wesentlichen Theil seines Lebens sei.«

Fußnoten

1 Siehe: Fr. Liszt's Briefe, II. Bd. Nr. 11.


2 Die Fürstin betheiligte sich in der Folge schriftlich an kirchlichen Fragen und hatte die Genugthuung, daß insbesondere ihre dogmatischen Arbeiten (mit Ausnahme einer ihrer letzten) die kirchliche Imprimatur erlangten.


3 Im Januar 1863 bezog Liszt das ihm vom Pater Theimer überlassene Logis im wenig bewohnten Hause der Oratorier der »Madonna del Rosario« aus dem Monte Mario, ohngefähr eine Stunde von Rom.


4 »Franz Liszt's Briefe« II. Bd. Nr. 26.


5 Seit 1862 wohnte die Kammerfrau der Fürstin, Frau Pickel, als Kastellanin auf der Altenburg. Mit Bewilligung der Fürstin, die sich gefällig zeigen wollte, räumte sie Herrn v. Beust, der eine Stage als Wohnung für einen höheren Officier überlassen zu haben wünschte, eine solche. Hierauf wünschte er noch einige Zimmer, und noch einige bis alles, das Hauptgebäude, die Dependance und der Seitenflügel, der Fürstin entrissen war. –


6 Bei dieser Gelegenheit spielte Liszt dem Pabst die auf dem Monte Mario – Madonna del Rosario – komponirte, soeben beendete und den dort hausenden Sperlingsheeren zum Theil abgelauschte »Vogelpredigt« vor.


7 »Zum Glück« –, sagten mir später Freunde von ihm in Rom; »denn sicher hätte ihn schon anderntags ein itatienisches Stilet gefunden.«


8 –: 1864 nach Karlsruhe (Tonkünstle-Versammlung), Weimar –, 1865 Budapest (erste Aufführung der »H. Elisabeth« und das »Inferno« der Dante-Symphonie) –, 1866 Paris und Amsterdam (Auff. der Graner Fest-Messe) –, 1867 Budapest (Auff. der Ungar. Krönungs-Messe) –, Weimar (Auff. der, »H. Elisabeth« aus der Wartburg, Meininger Tonkünstler-Vers.).


9 »Frz. Liszt's Briefe«, II. Bd. Nr. 39.

Quelle:
Ramann, Lina: Franz Liszt. Als Künstler und Mensch, Band 2.2, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1892.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Reigen

Reigen

Die 1897 entstandene Komödie ließ Arthur Schnitzler 1900 in einer auf 200 Exemplare begrenzten Privatauflage drucken, das öffentliche Erscheinen hielt er für vorläufig ausgeschlossen. Und in der Tat verursachte die Uraufführung, die 1920 auf Drängen von Max Reinhardt im Berliner Kleinen Schauspielhaus stattfand, den größten Theaterskandal des 20. Jahrhunderts. Es kam zu öffentlichen Krawallen und zum Prozess gegen die Schauspieler. Schnitzler untersagte weitere Aufführungen und erst nach dem Tode seines Sohnes und Erben Heinrich kam das Stück 1982 wieder auf die Bühne. Der Reigen besteht aus zehn aneinander gereihten Dialogen zwischen einer Frau und einem Mann, die jeweils mit ihrer sexuellen Vereinigung schließen. Für den nächsten Dialog wird ein Partner ausgetauscht indem die verbleibende Figur der neuen die Hand reicht. So entsteht ein Reigen durch die gesamte Gesellschaft, der sich schließt als die letzte Figur mit der ersten in Kontakt tritt.

62 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon