XXI.

Abschluß der Weimarperiode.

Rückblick. Die Verperhorrescirung der Werke Liszt's durch die Kritik. Sein Verhalten ihr gegenüber. Konsequenzen. – Nochmals die Tragödie auf der Altenburg. Die Fürstin reist nach Rom. Liszt's Testament. Sein Aufbruch von Weimar.


Die Weimarperiode naht sich ihrem Ende.

Die Genugthuung ward Liszt nicht zu Theil die neuen Bahnen, die sein kraftvolles Eingreifen in die verkommenen musikalischen Zustände, sowie seine schöpferische Thätigkeit speciell der symphonischen Kunst gezogen, verstanden und gewürdigt zu sehen. Wenn ein Künstler begriffen werden soll, müssen seine Werke gehört und immer wieder gehört werden. Daß dieses aber nicht geschah, dafür sorgte der blinde Parteihaß der gegnerischen Kritik, deren Verperhorrescirung eines jeden seiner Werke, nach einer jeden ihrer Aufführungen, dem allgemeinen Gefühl ihnen gegenüber eine Verdunkelung in der Freiheit und Fähigkeit seines Urtheils herangezogen hat, die vom Standpunkt eines lebendiggesunden und gerechten Gefühls geradezu erschreckend sich ansieht, besonders noch, da sie als traditionelle Mode weiter geblüht. Jene Kritik verfolgte in Liszt geistige Gewalten, welche die Gewalten der Zeit waren; sie unterdrückte nicht den Genius: sie unterdrückte den Fortschritt der Kunst selbst. Die heutige Generation hat begonnen, den Bann zu brechen, der Jahrzehnte hindurch Gefühl und Urtheil unterjocht hat.

Mit der Publikation der symphonischen Dichtungen begann der Kampf gegen Liszt den Komponisten, den in seinen Grundzügen darzustellen unser Wagner-Kapitel versucht hat. Einen Kampf an sich erachtete er als unumgänglichen Durchgangspunkt[421] zu besseren Musikzuständen, so nothwendig, wie die die Reinigung der Luft bewirkenden Gewitterstürme; der besonnenen Kritik gegen seine Werke redete er unter Freunden das Wort. Die Verlästerungen und Verunglimpfungen trug er mit der Gelassenheit und Vornehmheit seiner großen Natur. Alles band ihn nur fester an seinen Genius.

Zeugen seiner Objektivität sind uns in manchen seiner Worte erhalten. So schrieb er nach der Dresdner Aufführung der Dante-Symphonie an Felix Dräseke (Januar 1858):1


»Die Dresdner Aufführung war mir nothwendig, um darüber zur Objektivität zu kommen. So lange man nur mit dem todten Papier zu thun hat, verschreibt man sich leicht. »Musik« verlangt nach Klang und Widerklang! –«


Bezüglich der Besprechung seiner Kompositionen an Louis Köhler (1. September 1859):


– – – – »verfahren Sie in der Besprechung meiner Werke gänzlich frei, offenherzig und rücksichtslos. Glauben Sie ja nicht, daß mich irgend welche Eitelkeit anwandelt oder antreibt. Darüber bin ich längst weg und hinaus. Sobald Sie mir, wie ich es nach Ihrem Brief annehme, die gehörigen musikalischen Voraussetzungen, um künstlerisch frei zu gestalten, zuerkennen, kann ich Ihnen für Alles Übrige, sei es auch herber Tadel, nur dankbar sein.«


Denkwürdig aber aus seinem Munde klingen die damals ebenfalls gegen die Genannten gemachten Bemerkungen:


– – – – – »Auf durchgreifende Erfolge darf ich zunächst nicht prätendiren, weil ich zuviel auf Widerspruch stoßen muß. Die Hauptsache wäre, daß sich meine jetzigen Werke als eingreifend in die musikalische Sache erweisen und zur Beseitigung der Fäulnis etwas beitragen ...«


und:


– – – – – »Ich habe mich öfters meinen Freunden gegenüber dahin ausgesprochen, daß wenn selbst alle meine Kompositionen verfehlt wären (was ich weder bejahen noch verneinen darf), sie deßwegen doch nicht ganz unnütz verblieben. Durch die Anregung und den Anstoß, den sie zur Fortentwickelung der Kunst geben. Dieses Bewußtsein genügt mir vollkommen, um konsequent auszuharren und weiteres zu schaffen.«


Intim hatte er bereits einige Jahre vordem (März 1857) seinem Vetter Eduard sich mitgetheilt:


[422] »Dein letzter Brief hat mir wieder eine große Freude gebracht durch Dein liebevolles Verständnis meiner Werke. Daß ich bei dem Ausarbeiten derselben, so wie es mir meine Widersacher von so vielen Seiten zum Vorwurf machen, nicht ganz ins Blaue hineinschieße und im Finstern herumtappe, werden unter ihnen allmählich diejenigen erkennen, welche ehrlich genug sein dürften, um sich durch vorgefaßte Absichten die richtige Einsicht der Sache nicht durchaus versperren zu wollen. Meiner künstlerischen Aufgabe seit mehreren Jahren vollständig bewußt, soll es mir weder an konsequenter Ausdauer noch ruhiger Besonnenheit bei Erfüllung derselben fehlen. Gottes Segen, ohne welchen nichts gedeihen und fruchten kann, möge auf meinem Werke ruhen!« –


Das unwürdige Gebahren der Kritik jedoch konnte allmählich nicht ohne Rückwirkung auf den Meister bleiben. Kränkungen und Beleidigungen erfolgten in Weimar selbst (Dingelstedt's Besitzergreifung der Bühne und Zurückdrängen der Oper, hierzu das ruhige Zusehen seitens des Hofes):2 er zog sich von der Öffentlichkeit zurück. Mit wahrhaft staatsmännischer Überlegenheit hielt er in jener kritischen Zeit seine Freunde von einer verfrühten Aufführung seiner Werke zurück. Seine Briefe an Franz Brendel geben hierfür viele Belege. Auch andere. So schrieb er an Joh. Herbeck im November 1858, als dieser die »Prometheus«-Chöre in Wien zu Gehör zu bringen gedachte:


»Ich habe keineswegs Eile in das Publikum zu dringen und kann ganz ruhig das Gefasel über meine verfehlte Kompositionswuth sich weiter ergehen lassen. Nur insofern als ich Dauerndes zu leisten vermag, darf ich darauf einigen bescheidenen Werth legen. Dies kann und wird nur die Zeit entscheiden. Vorläufig möchte ich aber keinem meiner Freunde die Unannehmlichkeiten aufbürden, welche die Aufführung meiner Werke bei den allerwärts sich breit machenden Voraussetzungen und Vorurtheilen dagegen mit sich führen. In einigen Jahren, hoffe ich, steht es um die musikalische Sache etwas besser, verständiger und gerechter.«


Über die Kritik aber äußerte er sich (Februar 1858) gegen L. Köhler:


»Wie lange diese kuriose Recensenten-Komödie dauern wird, kann ich nicht bestimmen; jedenfalls bin ich gefaßt mich durch das Zetergeschrei, welches sich gegen mich erhoben, nicht beunruhigen zu lassen und auf meinem Weg unaufhaltsam vorzuschreiten. Ob ich den Skandal zu verantworten habe, oder meine Gegnerschaft sich im Skandal verwickelt, wird sich später erweisen.«[423]


Von seiner Direktionsthätigkeit zog sich Liszt ebenfalls – nicht nur in Weimar, sondern auch außerhalb – zurück. Die Angriffe auf sie, welche seine immensen Erfolge ignorirten, waren heftiger als je.3 Nur ironisch konnte er ihrer gedenken, wie gegen Joachim Raff (Februar 1857 – also anderthalb Jahre vor der Weimaraner Katastrophe):


»Am 26ten d.M. sollen »Préludes« und »Mazeppa« im Gewandhaus (Orchester-Pensionsfond-Koncert) unter meiner Direktion aufgeführt werden. Vielleicht dient diese Aufführung als definitive Warnung für andere Koncert-Direktionen, die noch gesonnen wären meine so oft demonstrirte »Unfähigkeit als Komponist« (vide Probenummer der »Illustrirten Monatshefte« von Westermann, Braunschweig, »National-Zeitung« und die »tausend und drei« kompetenten Richter, welche längst darüber ganz im Klaren sind!) zu bezweifeln.«


Als im September 1859 Fr. Brendel Theater-Koncerte mit fortschrittlicher Tendenz projektirt hatte (die nebenbei gesagt, nicht zur Ausführung kamen) und dabei auf Liszt's Mitwirkung zählte, sagte ihm dieser nur zögernd die Direktion der »Prometheus«-Chöre zu mit dem Bemerken:


– – – – »Auf viel mehr möchte ich mich nicht einlassen, weil mir Direktionen überhaupt mit jedem Jahre lästiger werden, und mein Ansinnen gar nicht dahin geht, dem schlechten Ruf, der mir als Dirigent gemacht worden, weiterhin thatsächlichen Widerspruch zu leisten. Wahrlich weiß ich es meinem Freund Dingelstedt sehr Dank, daß er mir (ohne es vielleicht ganz so zu wünschen) die Möglichkeit gab, mich von dem hiesigen Operntaktieren zu befreien, und bin fest entschlossen, anderwärts nur in unabweislichen Fällen den Taktstock herumzudrehen.«


Liszt's Rückzug von der Öffentlichkeit jedoch war weit davon entfernt, ein Aufgeben der von ihm ergriffenen Initiative zu sein. Wie seine Briefe an Franz Brendel darlegen, hielt er mit fester Hand die künstlerische Leitung der musikalischen Fortschrittspartei, der er sich auch später zu keiner Zeit entzog. – –

Inzwischen waren über die Altenburg schwere Zeiten verhängt. Die Hoffnungen der Fürstin sollten sich nicht, oder nur theilweise erfüllen; dabei letzteres in einer Weise, die sie ihrem Ziel um keinen Schritt näher kommen ließ. Wollte es einen Moment scheinen, als lichte sich der Himmel, wie 1851, als die Fürstin ihrer schwer erkrankten Tochter wegen nahezu einen ganzen Winter in dem Schaumburg-Lippe'schen Badeort Eilsen verbrachte, und [424] Liszt daselbst die Hochzeitsmusik: die stolzen »Festklänge« schuf, so sollten sie bald gewahr werden, daß die Fanfaren zu Stolzes verkündet und der Kopf der Schlange nicht zertreten war. Im Jahre 1855 trat die Katastrophe ein, die wir glauben hier nur in dem speciell die Fürstin betreffenden Theil berühren zu dürfen; nur sei gesagt, daß ihre Standhaftigkeit gegenüber den ihre Tochter betreffenden Plänen des Fürsten Nikolaus, diese vereitelte. Die Rache ereilte sie. Im März starb Kaiser Nikolaus I. Sein Sohn Alexander II. fügte dem Vorgehen seines Vaters den schon früher erwähnten Schlußstein ein: der Fürstin, die ihre Rückkehr nach Rußland verweigert hatte, wurde der Paß nicht mehr erneuert, womit sie ihre bürgerlichen Rechte einbüßte und aufhörte russische Unterthanin zu sein. Sie wurde »civil-todt« erklärt.

Ihr Vermögen wurde unter Sequester gelegt, eine Vormundschaft für die noch nicht majorenne Tochter als Erbin eingesetzt, und dem Fürsten Nikolaus der siebente Theil desselben zuerkannt.

Während dieser Begebnisse war es, daß Liszt's 13. Psalm und seine »Seeligkeiten« die Gemüther aufrichtete, die so ungerecht wie grausam erschüttert waren.

Im Jahr 1859 vermählte sich die Prinzessin mit dem Fürsten Constantin v. Hohenlohe. Von da hörten die Revenüen auf, welche der Fürstin als »Erziehungsbeiträge« aus Rußland zuflossen. Nur auf die Zinsen ihres Heirathsgutes, das sie sich in Papieren nach Deutschland gerettet hatte, angewiesen, ward ihre finanzielle Lage peinlich.

Mit dem Moment ihrer russischen Achterklärung fiel die Fürstin auch am Weimaraner Hof in Ungnade. Warf dieselbe ihre Schatten nicht ganz auf Liszt, so trug sie doch dazu bei, als die Kritik Niederlage auf Niederlage seinen Schöpfungen bereitete, seiner Thätigkeit kühler zuzuschauen! Dingelstedt wurde berufen, die Malerschule kreirt, der »Barbier von Bagdad« ausgepfiffen und ausgezischt – Dinge, die weder Serenaden noch ein Ehrenbürger-Diplom4, noch ein Kammerherrnschlüssel5 auszugleichen vermochte. Dazu war Marie Paulowna, die Liszt eine treue Freundin[425] und Beschützerin geblieben, zu den Vätern gegangen. Auf der Altenburg ward es still und einsam. Liszt wollte Weimar den Rücken kehren – sein Stolz und das ihm angestammte Princip »Ausharren« stimmte dagegen.

Endlich, nach allem ein Lichtblick, hielt die civiltodte Fürstin die Papiere in der Hand, die Hindernisse zu beseitigen, welche, Liszt's Namen zu tragen, ihr bis jetzt entgegen gestanden hatten. Sie sandte dieselben an den Bischof von Fulda zum Zwecke der Trauung – schon nach wenigen Tagen erhielt sie die Papiere nebst der Verweigerung derselben zurück, angeblich: das Dekret könnte das Resultat einer Bestechung sein. Als seine Echtheit, ministeriell beglaubigt, in Fulda anerkannt werden mußte, war der Bischof dennoch nicht zu bestimmen, die Trauung zu vollziehen. Ein Brief aus Rußland verwies die tiefgebeugte Frau nach Rom. »Ja nach Rom – Sie müssen nach Rom!« bestätigte auch Liszt. So reiste die Fürstin, begleitet von ihrer Kammerfrau6, im Mai 1860 in die ewige Stadt. Die Schlüssel der Altenburg übergab sie ihrer getreuen Miß Anderson, der vormaligen Erzieherin ihrer Tochter. In sechs Wochen glaubte sie die Angelegenheit erledigt zu haben und zurück zu sein – sie kehrte niemals wieder.

Der Meister harrte ihrer. Immer wieder wurde der Termin ihrer Rückreise verändert. Gleichsam als ahne er, daß ein neuer Lebensabschnitt ihm bevorstehe, ordnete und revidirte er seine Manuskripte, edirte, und – – bestellte sein Haus. Todesgedanken überkamen ihn. Er schrieb ein Testament, das er in Weimar deponirte, und setzte die Fürstin zu seiner Universalerbin ein. In einem brieflich an sie gerichteten Nachtrag gab er den Gedanken Ausdruck, die ihn beherrschten. Ergreifend – ein Seitenstück zu dem Heiligenstadter Dokument – klingt es aus den Bruchstücken heraus, welche fünfundzwanzig Jahre später der Öffentlichkeit übergeben wurden.7 Wer den großen Mann persönlich gekannt, dem wird aus jedem Satz sein Antlitz wie lebend entgegenleuchten, und wer ihn nicht gekannt, wird mindestens einen erhebenden Einblick in eine menschliche und künstlerische Individualität empfangen, die mit Recht zu den phänomenalen Erscheinungen unseres Jahrhunderts gezählt wird. Die Bruchstücke lauten:


[426] Den 14. September 1860.

Weymar.


»Ich schreibe dieses nieder am 14. September, am Tage wo die Kirche das Fest der Kreuzerhöhung feiert. Die Benennung dieses Festes ist auch die des glühenden und geheimnisvollen Gefühls, welches mein ganzes Leben wie mit einem Wundenmahl durchbohrt hat.

Ja »Jesus Christus am Kreuz,« das sehnsuchtsvolle Verlangen nach dem Kreuze und die Erhöhung des Kreuzes: das war immer mein wahrer, innerer Beruf; ich habe ihn im tiefsten Herzen empfunden seit meinem siebzehnten Jahr, wo ich mit Thränen und demüthig bat, man sollte mir erlauben in das pariser Seminar einzutreten: damals hoffte ich, es sollte mir vergönnt sein das Leben der Heiligen zu leben und vielleicht selbst den Tod der Märtyrer zu sterben. – So ist es leider nicht gekommen – aber doch nie ist mir – ungeachtet der Vergehen und der Verirrungen, die ich begangen habe und wegen deren ich eine aufrichtige Reue und Zerknirschung empfinde, – das göttliche Licht des Kreuzes ganz entzogen worden. Manchmal sogar hat der Glanz dieses göttlichen Lichtes meine ganze Seele überfluthet. – Ich danke Gott dafür und werde sterben, die Seele an das Kreuz, unsere Erlösung, unsere höchste Seligkeit, geheftet und, um meinen Glauben zu bekennen, wünsche ich vor meinem Tode die heiligen Sakramente der katholischen, apostolischen und römischen Kirche zu empfangen und dadurch die Vergebung und die Erlassung aller meiner Sünden zu erlangen. Amen.

– – – – – – – – – – – – – – –

Ich danke mit Verehrung und zärtlicher Liebe meiner Mutter für ihre beständigen Beweise von Güte und Liebe. In meiner Jugend nannte man mich einen guten Sohn; es war gewiß kein besonderes Verdienst meinerseits, denn wie wäre es möglich gewesen kein guter Sohn mit einer so treu aufopfernden Mutter zu sein. – Sollte ich vor ihr sterben, so wird ihr Segen mir ins Grab folgen.

– – – – – – – – – – – – – – –

Mein Vetter Eduard Liszt (Dr. und k.k. Landgerichtsrath in Wien) hat ein Recht darauf, daß ich ihm hier meine lebhafte und dankbare Zuneigung betheure und ihm danke für seine Treue und standhafte Freundschaft. Durch seine Verdienste, seine Fähigkeiten und seinen Charakter macht er dem Namen, den ich trage, Ehre und ich bitte Gott um seinen Segen für ihn, für seine Frau und seine Kinder.

– – – – – – – – – – – – – – –

Es giebt in unserer zeitgenössischen Kunst einen Namen, der jetzt schon ruhmreich ist und der es immer mehr werden wird – Richard Wagner. Sein Genius ist mir eine Leuchte gewesen; ich bin ihr gefolgt – und meine Freundschaft für Wagner hat immer den Charakter einer edlen Leidenschaft beibehalten. Zu einem gewissen Zeitpunkt (vor ohngefähr zehn Jahren) hatte ich für Weimar eine neue Kunstperiode geträumt, ähnlich wie die von Karl August, wo Wagner und[427] ich die Koryphäen gewesen wären, wie früher Göthe und Schiller, – aber ungünstige Verhältnisse haben diesen Traum zu Nichte gemacht.

– – – – – – – – – – – – – – –

Meiner Tochter Cosima vermache ich die Zeichnung von Steinle, meinen Schutzpatron, den heiligen Franciscus von Paula darstellend; er schreitet auf den Wellen, seinen Mantel unter den Füßen ausgebreitet, in der einen Hand eine glühende Kohle haltend, die andere erhoben, entweder den Sturm zu beschwören oder um die bedrohten Schiffer zu segnen, den Blick gen Himmel, wo in einer Glorie das erlösende Wort: »Charitas« leuchtet, gerichtet. – Diese Zeichnung hat immer auf meinem Schreibtisch gestanden. Daneben befindet sich eine alte Sanduhr in geschnitztem Holz mit vier Gläsern, die auch für meine Tochter Cosima bestimmt ist. Zwei andere Gegenstände, die mir gehört haben, sollen als Andenken meinem Vetter Eduard Liszt und meinem sehr geliebten und tapfern Schwiegersohn Hans v. Bülow gegeben werden.

Ein Andenken an mich sollen auch einige Mitglieder unserer Verbindung der »Neudeutschen Schule« – denen ich herzlich ergeben bleibe – bekommen: Hans v. Bronsart, Peter Cornelius (in Wien), E. Lassen (in Weimar), Dr. Franz Brendel (in Leipzig), Richard Pohl (in Weimar), Alex. Ritter (in Dresden), Felix Dräseke (in Dresden), Prof. Weitzmann (in Berlin), Carl Tausig (aus Warschau) – entweder einen Ring mit einem Namenszug, Portrait oder Wappen. – Mögen sie das Werk fortsetzen, was wir begonnen haben. – Die Ehre der Kunst und der innere Werth der Künstler verpflichtet sie dazu. Unsere Sache kann nicht untergehen, sollte sie auch gegenwärtig nur wenige Vertheidiger haben. –

– – – – – – – – – – – – – – –

Eines meiner Kleinode als Ring gefaßt soll Frau Caroline d'Artigaux, geborene Gräfin von St. Crieg (in Pau, Frankreich) gesendet werden. – Der Fürstin Constantin Hohenlohe (geb. Prinzessin Marie Wittgenstein) vermache ich das elfenbeinerne Crucifix (cinque-cento), welches mir von meinem wohlwollenden Gönner den Fürsten von Hohenzollern-Hechingen geschenkt worden ist – auch ein paar Knöpfe mit fünf verschiedenen Steinen, die die fünf Buchstaben meines Namens bilden.

– – – – – – – – – – – – – – – –

Und nun kniee ich noch einmal nieder um zu beten: Zu uns komme Dein Reich; Dein Wille geschehe wie im Himmel also auch auf Erden; vergieb uns unsere Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigern, und erlöse uns vom Übel. Amen.


F. Liszt.


Geschrieben den 14. September 1860 – am Feste der Erhöhung des heiligen Kreuzes.


Nachtrag.


Herrn Große, Mitglied der großherz. Weim. Hofkapelle (Posaunist und Kontrabassist), der seit einer Reihe von Jahren das Abschreiben[428] meiner Werke und das Ordnen der Orchester- und Gesangsstimmen derselben in der Bibliothek der Altenburg besorgt hat, vermache ich ein Geschenk von 100 Thaler für die treuen, ergebenen Dienste, die er mir geleistet hat.

Den Namen meiner Freunde aus der Neudeutschen Schule ist noch Einer beizufügen, oder vielmehr hätte ich ihn zuerst nennen sollen; es ist der des Herrn Gaëtano Belloni (in Paris). – Er ist mein Sekretair während meiner Koncertreisen in Europa von 1841 bis 1847 gewesen, und war stets mein treuer Diener und Freund. Er darf nicht vergessen werden. Übrigens, gern oder ungern, gehört er zu der Neudeutschen Schule durch seine Anhänglichkeit an mich und auch durch seine spätere Betheiligung an den Berlioz- und Wagner-Koncerten.

Ich wünsche einfach begraben zu werden, ohne Pomp, und womöglich Nachts. – Möge das ewige Licht meiner Seele leuchten.«


Die Nachrichten, welche aus Rom eintrafen, waren einmal gut, einmal schlecht. Der Winter 1860/61 verlief unter Revisionen und Korrekturen. Man wollte in Weimar bemerken, daß das geordnete Leben der Altenburg Liszt abging. Ja – es fehlte ihm die starke Geistesgenossin, das eigentliche Heim! Seinen Namenstag, den 2. April, verbrachte Liszt zum ersten Mal ohne die Fürstin auf der Altenburg. An Peter Cornelius schrieb er bald darauf (18. April 1861):8


– – »Obschon an dem Tag die Abwesenheit der Fürstin am empfindlichsten und die Altenburg für mich gleichsam verstört war, berührte mich doch die liebevolle Anhänglichkeit einiger Freunde tröstlich und milde. Verbleibt mir, wie ich Euch verbleibe – herz- und standhaft, auf Gott vertrauend.

– – – – – – – – – – – – – – –

Was mit mir im späteren Laufe des Sommers geschehen soll, läßt sich nicht bestimmen. Halten wir aber fest an unserm Wiedersehen hier Anfangs August.

Bien à vous de coeur

F. Liszt.«


Im Monat August (vom 5.–7.) sollte eine Tonkünstler-Versammlung zu Weimar unter Protektion des Gr.-H. Karl Alexander abgehalten werden, mit dem Hauptzweck: den »A.D. Musik-Verein«, dessen Organisation und Statuten Franz Brendel entworfen und ausgearbeitet hatte, zu konstituiren. – Die Tage verliefen glänzend. Viele Gäste sah die Altenburg: obenan Richard Wagner – seit seinem Exil zum ersten Male in[429] Künstlerkreis auf deutschem Boden –, dann Franz Brendel, H.v. Bülow, P. Cornelius, Dräseke, Tausig, Graf Laurencin, sein Vetter Eduard Liszt, seine Tochter Blandine und ihr Gemahl Emil Ollivier n.A.

Aus Rom aber war die Weisung ihm geworden, sich im Stillen zur Reise dahin zu rüsten und zum 21. Oktober dort einzutreffen.

Am. 17. August 1861 verließ der Meister Weimar. An diesem Tage schrieb er an Edmund Singer in Stuttgart:9


»Seit vorigen Sonntag ist die Altenburg geschlossen und versiegelt – und in wenigen Stunden verlasse ich Weimar auf längere Zeit. Zunächst werde ich einige Wochen bei meinem Gönner, dem Fürsten Hohenzollern (der musikalisch sehr wohlgesinnt!) in Löwenberg verweilen. Ich beabsichtige dort meine zu lange unterbrochenen Arbeiten wieder aufzunehmen und ruhig weiter zu bringen.«


Nach mehrwöchentlichem Aufenthalt in Löwenberg, verbrachte Liszt einige Zeit in Berlin, und dann –: nach Rom!

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Fußnoten

1 Die hier aufgenommenen Bruchstücke sind »Frz. Liszt's Briefe« 2 Bde. Herausgegeben von La Mara (Breitkopf & Härtel, 1893) entnommen.


2 Siehe Seite 98.


3 Siehe Seite 96.


4 »Am 22. Febr. 1861 wurde dem Hof-Kapellmeister Franz Liszt in Weimar von einer Deputation der städt. Behörden das Diplom über das ihm von der Stadt Weimar verliehene Ehrenbürgerrecht überreicht.«

(»N.Z.f.M.« 1861/I Nr. 11.)


5 »Ritter Franz von Liszt ist zum großherzogl. Weimar. Kammerherrn ernannt worden.«

(N.Z.f.M. 1861/II Nr. 9.)


6 Die später verehelichte, noch jetzt in Oldesleben in Thüringen lebende Frau Auguste Pickel.


7 Veröffentlicht durch die »N.Z.f.M.« 1887 Nr. 18.


8 »Fr. Liszt's Briefe«, I. Bd. Nr. 254.


9 »Liszt's Briefe«, Bd. I Nr. 258.

Quelle:
Ramann, Lina: Franz Liszt. Als Künstler und Mensch, Band 2.2, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1892.
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