III.

Fr. Liszt's bahnbrechende und reformatorische Thätigkeit als Dirigent. (I.)

Richard Wagner.

Allegem. Überblick und Ausgangspunkte zu derselben –, musikalischer Verfall jener Zeit; die Kritik als zehnte Muse; »Die Lebenden zuerst!«; leitende Ideen und deutsch-nationale Princip. Des Kampfes Beginn. Erste Begegnungen mit Wagner. Aufführung der »Tannhäuser«-Ouvertüre. Die Fürstin und Wagner. Vorspiele zur Aufführung der Oper »Tannhäuser«. »Esel rechts, Esel links!« Erfolg. Der flüchtige Revolutionär. Die verhängnisvolle Baßklarinette. Asyl auf der Altenburg. Erster Gedanke zu einer Nat.-Opernbühne. Wagner vor Maria Paulowna. Das erste Studium der »Lohengrin«-Partitur auf der Altenburg. Weiters. Liszt's »Lohengrin«-Aufführung. Debatten. L.'s »Lohengrin«- und »Tannhäuser«-Aufsätze. (Zusammenstellung der Kl.-Üb.) Geistesverwandtschaft zwischen Liszt und Wagner Grundzüge des Fortschritts-Kampfes. Schlagwörter. Liszt's Gegner. – Aufführung des »Fl. Holländer«. Das »Rheingold« und K. Alexander. Unentschlossenheit des letzeren und ihre Folgen. »Briefwechsel zwischen W. und L.« Hanslick's Urtheil. Die psycholog. Seite des »Briefwechsels«.


Der Schwerpunkt von Liszt's Leben liegt von nun an in dem kräftigen Erfassen seines Genius als Komponist. Aber erst allmählich, um nicht zu sagen urplötzlich, traten mit der Veröffentlichung seiner symphonischen Dichtungen Nr. 1–9 und zugleich mit der um diese Zeit erfolgten ersten Aufführung seiner Graner Messe (1856), die breiten Dimensionen seines Schaffens in den Vordergrund, den sein Dirigentenpult bis da mehr und mehr verdeckt gehalten hatte.

Auf diesem letzteren lagen breit ausgeschlagen die großen Partituren und die musikalischen Reformideen der Zeit. Die um- und neugestaltenden Principien seiner bisherigen Thätigkeit fanden hier ihre Weiterentwickelung und trieben empor zu einem zweiten Kulminationspunkt; von hier erscholl der Erkennungsruf: »Richard Wagner!« und gab eine Losung, welche Musiker und Literaten Jahrzehnte hindurch in großem Kampf und kleinlichem Streit ohn' Ende[46] allerwärts gefangen hielt, während daneben die Sache selbst wie ein gewaltiges Naturgesetz im großen kulturhistorischen Schritt ihren Weg fortsetzte.

Liszt's Kapellmeisterthätigkeit in Weimar – außerhalb der Hofkoncerte – durchzog die Jahre 1848–1858. Sie knüpft an die Aufführung der »Tannhäuser«-Ouvertüre am 12. November 1848 und löst sich mit der Aufführung des »Barbier von Bagdad« von Peter Cornelius am 15. December 1858.

Wie bereits früher gesagt, war dieselbe eine freiwillige. Neben Liszt dirigirten der Hofkapellmeister Chelard und Musikdirektor Eberwein, später die Musikdirektoren Götze und Stör, und noch später an Götze's Stelle Ed. Lassen. Liszt selbst dirigirte, wenn es einem Werke galt, für das einzutreten er als seine Pflicht gegenüber der Zeit und der Kunst erachtete. Im übrigen enthielt er sich der officiellen Leitung der Oper und der Repertoirebestimmung und lehnte jede Einladung, sich an der Administration zu betheiligen, ab. Es lag nicht in seiner Natur, als dienstthuender Beamter sich nach dem Perpendikel der Vorschriften zu bewegen. Dabei erkannte sein scharfer Blick oder auch er fühlte instinktmäßig, daß in der Bewahrung seiner Bewegungsfreiheit und künstlerisch souveränen Haltung der Schlüssel zum Thore der Neuzeit liege. Bei jeder Saison aber machte er einige neue und hervorragende Werke namhaft, die einzustudiren und zu dirigiren in seinem Wunsche lag. Zugleich gab er sein Warum an. Somit flossen die Principien, die in ihm lebendig waren, mit hinüber in die Administration und den ausübenden Musikkörper und hoben dieselben, noch ehe sie es begriffen, auf reformatorische Höhe.

Unter den Bühnenbeamten stand ihm namentlich der kunstgebildete Intendant Freiherr v. Beau lien-Maconnay und der Kammerherr v. Ziegesar zur Seite. Mit Franz Dingelstedt's Eintreten in das Weimaraner Kunstleben als General-Intendant des Hof-Theaters (1857) trat ein Rückschlag auf die musikalische Betonung dieses Lebens ein. Er bewog Liszt, seine Zurückhaltung in Zurückziehung umzuwandeln.

Als dieser Zeitpunkt eintrat, war auch Liszt's Aufgabe in ihrer doppelten Beziehung zu Weimar und zu den gesammten musikalischen Zuständen Deutschlands gewissermaßen erfüllt. Von Weimar aus erfolgte der Angriff auf diese. Sie befanden sich in einem Stadium, welches der Reform und einer Neugeburt aus[47] dem Fundament heraus ebenso bedurfte, wie die staatlichen und socialen Zustände. Die Beleuchtung, welche ihnen, zusammengefaßt mit der modernen Kunst, R. Wagner in seinem 1849 erschienenen Schriftchen »Kunst und Revolution« mit dem Ausspruch gab: »der moralische Zweck derselben ist der Gelderwerb, ihr ästhetisches Vorgeben die Unterhaltung der Gelangweilten«, konnte selbst in ihrer Schroffheit kaum gemildert werden; denn der Stagnation welche dem gesammten musikalischen Kunstdasein – letzteres als Inbegriff der schaffenden Principien, der leitenden Ideen der Kunstinstitute (Hof-, Stadtbühnen und Koncertwesen) und der Kunstkritik – den Lebensathem verschnürte und es parfümirte, hatten weder Mendelssohn noch Schumann ein das innerste Mark dieses Daseins regenerirendes Gegenmittel zu schaffen vermocht. Nur eine neue Lebensluft konnte reinigend und befruchtend wirken und hiemit andere, höhere Zustände erzeugen.

Montégut bemerkte bezüglich Göthe's: seine »zehnte Muse« sei die Kritik gewesen; und G. Brandes weist von hier ausgehend literar-historisch nach,1 wie von dem Augenblick an, da die Poesie sich dem Leben und den Anschauungen der Gegenwart öffnet, die moderne Kritik zum beseelenden Princip der schaffenden Dichter wird und der Menschheit neue Wege zeigt, indem sie Vorurtheile und Überlieferungen hinwegräumt. – Was der bedeutende Däne gegenüber der Dichtkunst erkannt, gilt gleichermaßen von der fortschreitenden Tonkunst unseres Säculums. Ohne die moderne Kritik ist unsere moderne Musik undenkbar, ebenso undenkbar wären ohne sie Liszt und Wagner – diese zwei großen musikalischen Begriffe, die zusammengefaßt die Idee des modernen Staates musikalischerseits repräsentiren.

Die »zehnte Muse« waltete auch jetzt ihres Amtes in Weimar. Sie beschreibt den Umkreis des Dirigentenstabes Liszt's und ward dem hohen Aufflug seiner dem öffentlichen Kunstleben zugewandten Bestrebungen zum reinigenden und neuschaffenden Princip. Ihr Ausdruck ist vor allem: die lebendige Negation der bestehenden musikalischen Zustände.

»Die Lebenden zuerst!« – verlangte Liszt wieder und wieder angesichts der verschlossenen Thüren, welche zeitgenössische Werke[48] bahnbrechenden Charakters seitens der Opern- und Koncertleitungen fanden, und brachte, also ausrufend, sie zur Aufführung. Das war der erste kühne Wurf gegen den Schlendrian, der als »zullendes Kind« an dem Herzen der Tradition sich wiegte. Der »gebräuchlichen Methode die Lebenden durch die Todten abzuthun«, die gegen Wagner, Berlioz und ihn selbst im vollem Zuge war, trat er in vollster Entschiedenheit mit der Macht seines Beispiels in der Doppelgestalt als Dirigent und Reformator entgegen.


»Weit davon entfernt« – sprach er in seiner Robert Franz bahnbrechenden Schrift2 – »für die Lebenden und Herrschenden die Verherrlichungen der Apotheose zu verlangen, fordern wir für sie nur ein ihrem Verdienst gemäßes, ungeschmälertes Bürgerthum auf dem Gebiete der Kunst – ein Bürgerrecht ohne unaufhörliche Verbannungsdekrete, ohne ewige Anathema, welche sie als geheime und offene Feinde der ihnen vorangegangenen Meister, als gefährliche Brandstifter, mit einem Wort als schuldig an dem Verfalle der Kunst der Volksrache überweisen, bloß darum überweisen, weil sie es anders machen als die früheren Meister und, auf anderen Wegen nach anderen Idealen strebend, auch Meister werden.«


Am schärfsten faßte Liszt die leitenden Ideen echter Kunstpflege in seinem Essay »Euryanthe« zusammen. In drei Hauptpunkten formulirte er ihre dreifache Verpflichtung für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft seitens der Opernleitung. Sie verlangt:


1) Eine intelligentere und wahrhaftere Pietät für die Meisterwerke früherer Zeiten, als sie die Erfahrung zeigt. In Folge dieser Pietät: Aufsuchen aller Varianten, aller neueren und besseren Übersetzungen, seltener Versionen, feiner und geschickter Verbesserungen; – Aufführung von Meisterwerken, welche durch unverdientes Mißgeschick der Vergessenheit preisgegeben sind; – kein planloses Durcheinander der Aufführungen von berühmten Opern früherer Meister; – bei ihrer Wiedergabe nicht jene Nachläßigkeit, als suche mau sich eine lästige Pflicht vom Halse zu schaffen, ein Verfahren, welches das Andenken bedeutender Meister eher verunglimpft als pflegt; – die Aufführung solcher Werke in einer solchen Reihenfolge, welche das eine durch das andere zur Geltung bringt, so daß das Publikum zu einem innigeren Verständnis, zu einer Einsicht in den Standpunkt des Kunstideals, welches jenen Komponisten vorschwebt, herangebildet wird und gelangen kann – hauptsächlich aber: keine Reproduktion jener Meisterwerke ohne die hinreichenden Kräfte, ohne eine durchaus befriedigende Besetzung der[49] Partien, kurz ohne die Möglichkeit, sie mit Ehren zu Stande zu bringen ... ohne des spöttischen Lächelns derer gewärtig sein zu müssen, welche befriedigenden Aufführungen derselben anderswo beigewohnt haben.

2) Thätige, beständige und gewissenhafte Pflege des Studiums von Werken, welche die Gunst der Gegenwart genießen. Hieraus die Forderungen: planvolles, unparteiisches Alterniren mit den besten Werken italienischer, französischer und deutscher Meister, ohne Vorurtheil gegen ein oder das andere Genre, ohne Ausnahme der einen oder andern Schule; – eifriges Bestreben, solche Ausführungen, indem man den angestrengtesten Fleiß auf das Einstudiren verwendet, durch entschiedenes Hervortreten künstlerischer Schönheiten zu charakterisiren, ihnen ein edleres Gepräge zu geben, als es bei solchen Theatern geschieht, wo man derartige Werke nur montirt, weil sie gerade Mode sind, weil sie »Einnahme machen« und man sich nur zu leicht mit einem wohlbestellten Theaterzettel begnügt; – rüstiges Angreifen eines neuen Werkes, sobald es erschienen ist, um es nicht etwa, wenn es allenthalben seine Carrière schon geendet hat, als alte Neuigkeit aufzutischen; ein derartig banales Verfahren Mumien auszustaffiren, kann nur den Erfolg haben, daß es die Bühne, welche sich damit befaßt, nach außen diskreditirt.

3) Ausgedehnte, unbeengte Gastfreundschaft gegen unedirte Werke, denen man eine Zukunft zutraut, und die sich durch bemerkenswerthe Eigenschaften, selbst wenn diese nur theilweise vorhanden sind, auszuzeichnen, sei der Autor berühmt, oder noch unbekannt, sei er aus Süd- oder Nord-, aus Ost- oder West-Deutschland, gehöre er unserer oder der andern Hemisphäre an; also Aufrechthaltung der Initiative gegenüber neuen Werken, sympathisch verständniswillige Aufnahme junger Talente und zu ihrer kräftigen Ermunterung die Aufführung ihrer Werke unter günstigen Auspicien; – nächstdem nicht nur flüchtige persönliche Bekanntschaft, sondern vertrauter Umgang mit allen bedeutenden dramatischen Talenten, ehrenvolles Geltendmachen derselben auf unserer Bühne; – strenges Verpönen und Verbannen aller bloß auf Schaulust berechneten Erscheinungen, vor denen die Kunst erröthen muß; – beharrliches, grundsätzliches Ausschließen aller vulgären Produktionen, durch welche selbst wirklich begabte Künstler nicht verschmähen Beifall zu erpressen und Vortheile zu verfolgen, die unter ihrer Würde sind.«


Auch dem deutsch-nationalen Gedanken trug er Rechnung. Gegenüber der gleich einer Ehrensache kultivirten Gewohnheit bei Festgelegenheiten des Hofes vom Ausland die Opern zu holen, verlangte er von einer gediegenen vaterländischen Hofbühne noch speciell, daß sie jedes Jahr wenigstens eine neue Oper bringe, ohne nach Paris oder Italien zu schreiben – ein Grundsatz, den er in Weimar zur Geltung brachte.

Obwohl es den Anschein hatte – und wohl auch in der That so war –, als seien diese Forderungen in erster Linie an Weimars[50] Bühne gerichtet, deren Tradition ihr, nach Liszt's Auffassung, vor allen andern Hofbühnen Deutschlands die Ehrenaufgabe zuwies: der Zeit die Idealbühne zu geben, die sich frei macht und frei hält von jeder seligmachenden und zeitkonfessionellen Doktrin, und dem Kunstleben nach Individualität und nach der Zeiten Stand die ungehinderte Entwickelung gewährt –, als wolle er mit ihnen der Bühne Weimars ins Gedächtsnis zurückrufen, ja ihr einimpfen, was sie sich selbst schulde, als wolle er ihr zum Bewußtsein bringen, daß die Wiedergeburt ihrer Traditionen jetzt auf musikalischem Gebiet sich zu vollziehen habe: so trugen sie dennoch insgesammt eine Allgemeingültigkeit in sich, deren kritische Reflexe befruchtend, regenerirend auf die übrigen Bühnengruppen Deutschlands fallen mußten. Sie riefen die musikalischen Kunstanstalten und ihre Beflissenen zur Besinnung über ihre wahre Aufgabe, sie klopften an ihr Gewissen, indem sie ihnen eine Gesetzestafel hinhielten, deren Gebote – so weit es denkbar – alle Heilslehren echter Kunstpflege praktisch, ästhetisch und ethisch in sich begreifen.

Keine papierne Programme, bildeten sie den Inbegriff der eigenen Kunstvertretung seitens Liszt's. Jeder einzelne Punkt erhob sich hier zu einer stolzen Säule, berufen, das weite hohe Gewölbe echter Kunst zu stützen, – jeder derselben ward von ihm selbst mit einer ebenso beispiellosen Objektivität, wie Selbstverleugnung erfüllt. Bedingt von der Zeitlage, von den herrschenden Gewohnheiten als auch von dem stagnirenden Autoritätenkultus, mußte der Schwerpunkt als eine schneidige Negation des Bestehenden, auf die Initiative für die Werke fortschreitender Zeitgenossen fallen.

Von hier aus tritt musikgeschichtlich der große Wendepunkt ein, welcher – unser Jahrhundert in zwei Hälften getheilt – der Musik der zweiten Hälfte ein lebensfähiges und lebensmarkiges Fundament errang – ein Fundament, das die Erfüllung des Lebenszweckes der Kunst gewährleistete. Aber auch von hier aus spaltete sich die musikalische Welt in Parteiungen: in die Fortschrittspartei und in die Partei der Konservativen. Die erstere vertrat die musikalisch-dramatischen und symphonischen Principien R. Wagner's, Hector Berlioz', und Fr. Liszt's3 die zweite vertrat die antikisirenden Principien[51] des Klassicismus nebst den ihm zufallenden Traditionen. Das Haupt jener war der »zweite Jupiter« Weimars, das Haupt dieser – falls man gewillt ist diese Bezeichnung dem Urheber des Kampfes der Gegenpartei zugeben – war kein Musiker, aber der Literarhistoriker Julian Schmidt.

Die Aufführungen Franz Liszt's, welche die schrankenloseste Opposition hervorriefen, gipfelten in der Wiedergabe der Schöpfungen des »musikalischen Triumvirats«, mit welchem Wort seiten der Presse die drei bahnbrechenden Geister Wagner-Berlioz-Liszt häufig zusammengefaßt wurden. Obenan aber, alles überragend und in ihren Folgen über den ganzen musikalischen Erdkreis sich verbreitend, stand Liszt's kühne That der praktischen Einsetzung des Genius Richard Wagner's.

Liszt stand in dem Moment, da die »Tannhäuser«-Partitur vor ihm lag, in keiner andern Beziehung zu Wagner, wie zu unzähligen anderen Künstlern auch, denen er flüchtig begegnet und deren Namen und Person durch künstlerische Bestrebungen oder persönliche Begegnungen sich seinem Gedächtnis zurückriefen. Wagner hatte Liszt in Paris aufgesucht, zur Zeit, da er von innen und außen bedrängt, ein Namenloser, sich selbst noch Unbekannter, nach festem künstlerischen Boden herumirrte. Allein die Begegnung blieb fruchtlos. Verwundet durch den Glanz des andern, hielt Wagner sich zurück, behielt aber einen Stachel im Herzen, von dem jener nichts ahnte. Wagner hat das selbst erzählt und seinen damaligen Zustand geschildert.4 Jene Begegnung fand gegen Ende der 1840er Jahre statt,5 als Wagner in Paris Station genommen[52] und Liszt, ruhmumwogt, kurze Rast hier hielt. Alsdann begegneten sie sich in Berlin mit der Schröder-Devrient (1843?), – ein drittes Mal in Dresden, Februar 1844, als der Virtuose daselbst für das Naumann-Denkmal Koncerte gab.

Ein Abend bei Robert Schumann brachte beide Künstler zum ersten Mal in nähere Berührung. Allein der Abend verlief – wie Liszt der Verfasserin erzählte – im hohen Grade agitirt und hinterließ ihm, wenn auch keine böse aber auch keine angenehme Erinnerung. Meyerbeer war der Gegenstand einer heftigsten Debatte. Liszt ergriff die Partie des »Robert«-Komponisten und machte gegen dessen unversöhnlichste Antipoden geltend, daß trotz des Mangels höchster Kunstideale Meyerbeer eine Bühnengröße bleibe, die seine Zeitgenossen um Kopfeslänge überrage, daß er dem Fortschritt der Oper ersprießliche Dienste geleistet, auch Körner echter Musik gegeben habe –: die Gerechtigkeit verlange das anzuerkennen. Wagner und Schumann wollten diese Behauptung nicht gelten lassen, und so schied man in diesem Augenblick mehr verstimmt als geeint. Liszt hat mit seiner damaligen Behauptung recht behalten; im Laufe der Zeit erwies sie sich als ein objektives Urtheil.

Am 29. Februar wurde »Rienzi« aufgeführt. Liszt wohnte seiner Aufführung in einer Loge bei. Er war müde von einem Diner, und die Musik vermochte nicht, ihm weder über seine Müdigkeit, noch über jenen unangenehmen Abend hinüberzuhelfen. Und so verließ er das Opernhaus nicht zum Guten noch zum Schlimmen von Wagner als Komponist beeindruckt, aber mit der Ansicht, daß der »Rienzi« dem Einfluß Meyerbeer's nicht ganz widerstanden habe.

Der Virtuos zog seiner Straßen, mißtrauisch folgte ihm der Blick des dresdner Kapellmeisters. Der erregte Abend bei Schumann verwischte sich nicht bei letzterem, ja er fühlte sich verletzt in jenem instinktiven Gefühl seiner, obwohl noch nicht manifestirten, ihm aber fühlbaren Superiorität über den Opernbeherrscher, der, wie er sehr richtig urtheilte, seine Herrschaft nicht allein seinem Talent, sondern in gleichem Maße seinem Reichthum zu danken hatte. Von da datirt Wagner's heftige Verstimmung gegen[53] Liszt, der er Andern gegenüber ungenirt in gereizter Weise Ausdruck gab. In seinen Briefen6 allerdings, welche von ihm in Sachen des Weber-Denkmals (1845) und dann in eigenen Angelegenheiten (1846–48) an den einflußreichen Künstler gerichtet, dessen Intervention erstrebten, finden sich keine Spuren einer solchen vor. Aber sie existirte nach Wagner's eigenem Zeugnis. Auch kannte sie Liszt. Sie befremdete ihn, ohne seine Hülfsleistungen zu beeinträchtigen.

Da ließ sich im Jahre 1848 Liszt in Weimar nieder. Wenn auch in der Annahme, daß sein Aufenthalt ein vorübergehender sein werde, war es naturgemäß für ihn, sich am Musikleben daselbst zu betheiligen. Er that es mit dem Entschluß vorzugehen.

Am Geburtstage seiner Beschützerin Marie Paulowna wurde alljährlich eine neue Oper aufgeführt. Er selbst hatte am letzten 16. Februar Flotow's »Martha« dirigirt. Jetzt suchten seine. Blicke nach einem Werke, das zur Festfeier sich eigne, das deutsch und noch unbekannt sei. Er dachte an den »Tannhäuser«, der – Dresden ausgenommen – noch nirgends eine Aufführung gefunden hatte. Allein sein Vertrauen zu Wagner war schwankend. Bei einer Oper von Meyerbeer würde er sich nicht besonnen haben; von diesem aber gab es zur Zeit kein neues Werk. – Nun ereignete es sich, daß gerade die Fürstin in Paßangelegenheiten nach Dresden reisen mußte. Da sagte ihr Liszt: »Lassen Sie sich von Lüttichau7 den ›Tannhäuser‹ geben. Wenn er Ihnen gefällt, und zur Geburtstagsfeier der Großherzogin passend erscheinen sollte, bringen Sie mir von Wagner die Partitur mit.«

Und die Fürstin erreichte, wenn auch mit Widerstreben und unter Spötteln des Intendanten, der im »Tannhäuser« nur verworrenes Zeug sah, das man einem gebildeten Publikum nicht vorsetzen dürfe, eine Aufführung. Von Weber, meinte er, hätte Wagner lernen können, der habe befriedigend geschlossen – Wagner höre ja mit der Trauer auf! – Das Finale war noch nicht erreicht, als sich die geniale Frau auch schon für den getadelten Hofkapellmeister entschieden hatte. »So ganz talentlos«, wandte sie sich lächelnd zu Lüttichau, »scheint mir Wagner doch nicht zu sein.« –

Andern Morgens richtete sie an Wagner einige Zeilen und[54] bat um seinen Besuch. Zur bestimmten Stunde erschien er. Nach der Beschreibung der Fürstin war sein Kopf noch nicht so stolz gehoben, seine Haltung, sein Gang nicht so fest, wie zwanzig Jahre später. Bescheiden und linkisch, wagte er kaum sich zu setzen. Sie brachte ihm die Grüße Liszt's, sprach davon, daß sie gestern den »Tannhäuser« gehört und er ihr sehr gefallen habe.

»Wirklich, wirklich?« – entgegnete Wagner.

Sie bezeichnete ihm einige Stellen, die besonders ihre Sympathie erweckt hatten, und wieder sagte er, aber funkelnden Auges:

»Wirklich, wirklich!« –

»Und« – schloß die Fürstin, auf das Ziel ihrer Unterredung kommend – »würden Sie etwas dagegen haben, wenn Liszt die Oper in Weimar aufführen würde?«

Das fuhr in Wagner wie ein elektrischer Schlag. Nach wenigen Stunden war die Partitur in den Händen der Fürstin.

Als Liszt die Partitur durchflogen, schwanden seine musikalischen Bedenken, aber freundschaftliche Rücksichten erschwerten ihm seinen Entschluß. Denn aus ihr blitzte ihm der Todesstoß entgegen, der die Meyerbeer'sche Alleinherrschaft beenden mußte. Und dann: Hector Berlioz, dessen »Benvenuto Cellini« das älteste Anrecht auf seine Hülfe hatte! Aber »Cellini«, anstatt »Tannhäuser«, konnte er nicht als Festoper wählen, weil solche Wahl im Widerspruch mit seinem Grundsatz: eine deutsche Hofbühne dürfe nur eine deutsche Oper bei derartigen Festlichkeiten bringen, gestanden wäre. Und was Meyerbeer anbetraf – er sah es deutlich: was beide, Meyerbeer und Scribe mit allen ihren Werken an blendendem Pomp und Schimmer auch gegeben: dieser eine Mann, Musiker und Dichter zugleich, übertraf sie mit diesem einen Werk. Nicht allein ein Todesstoß, auch ein neues Ideal blinkte ihm aus dieser Oper entgegen. Zugleich konnte er sich nicht verhehlen, daß ein Eintreten für den »Tannhäuser« ihm zwei Freunde kosten werde. Der heftige Kampf, der in ihm zwischen dem Menschen und dem Künstler entbrannte, erscheint insbesondere bei seiner persönlichen Liebe für Berlioz nur zu gerechtfertigt. Wahrend er geneigt war, dieser den Sieg einzuräumen, stellte sich die Fürstin auf die andere Seite. In dem kleinen Oratorium entschied er sich. Mit feierlichem Ernst, todtbleich, trat er aus demselben zurück: die ihm als Künstler heilige Sache der Kunst hatte die menschliche Rücksicht bezwungen. –[55]

Schon nach einige Tagen erhielt Liszt die großherzogliche Genehmigung zur Erwerbung der Oper, und Eduard Genast, damals Regisseur der Hofbühne, reiste nach Dresden, um alles Nöthige zu beschaffen, und die Weisungen des Komponisten einzuholen.

Gleichsam als Vorstudie und Vorboten führte Liszt im ersten Hoftheater-Koncert8 am 12. November 1848 die »Tannhäuser«-Ouverture auf. Dieselbe hatte außerhalb Dresdens nur eine Aufführung gefunden: in Leipzig unter Mendelssohn im Februar 1846.9 Mit einem vollständigen Fiasko belegt, schien sie für immer beseitigt, noch ehe sie wirklich gelebt. Man kopfschüttelte und lachte jetzt ob des Wagnisses seitens des dirigirenden Ex-Virtuosen, man rumorte, als die Aufführung vollständig gelungen, Liszt die Ouverture als eine der bedeutsamsten der Zeit pries.

Als es laut wurde, daß er die ganze Oper zur Festfeier aufführen werde, wurden die Weimaraner über die Verrücktheit des Hof-Kapellmeisters sehr ungehalten. Hätte man im Jahre 1848 Dynamit und Sprengstoffe, wie vier Jahrzehnte später, mit so virtuoser Leichtigkeit zu behandeln gewußt – wer weiß, welche Ereignisse sich auf dem klassischen Boden Ilm-Athens abgespielt hätten. So aber schwirrten nur Urtheile Dresdener Referenten als Brandkugeln durch die Luft: »Nur Lokalmusik!« – »Pfui, der Schlüpfrigkeit!«10 – »Zu verworren, um ausführbar zu sein!« Mit ihnen fand man es unbegreiflich, daß Tannhäuser, um sich der Venus zu entziehen, ausruft: »Mein Heil ruht in Maria«! Mit ihnen wiederholte man: »Unwillkürlich sieht man auf den Theaterzettel, zu erfahren, wer diese Maria ist.«11 Referate, welche dem Werk Gerechtigkeit hatten widerfahren lassen und über dem kritischen Durchschnittsmaß standen,12 blieben – es war[56] damals, wie heute – so gut, wie nicht geschrieben. Der Anfang der Proben wurde zu einem Anfang allgemeiner Ärgernisse.

»Warum«, rief eines Abends bei einem solchen Streit am Weintische des »Erbprinzen« ein Kammerherr v. Mangold aus, »warum kann man nicht eine Oper aufführen, die von Paris kommt? So eine deutsche zu nehmen, das ist ja eselhaft!«

»Was? – eselhaft?!« flammte Liszt im höchsten Zorn auf. »Esel rechts, Esel links! Ich gehe meinen Weg! und die Oper wird gegeben!«

Esel rechts, Esel links – das war ein böses Wort. Der Künstler wurde von dem Kammerherrn verklagt und, wegen ungebührlicher Ausdrücke über das Publikum, zu einer Strafe von 20 Thalern verurtheilt. »Ah« lachte Liszt, »da haben sie sich das Diplom der Eselei gegeben« und appellirte an den Großherzog. Auf dessen Befürwortung sprach ihn der Gerichtshof zu Jena frei.

Welche Schwierigkeiten Liszt bei dieser Aufführung zu überwinden hatte, ist jetzt, da der »Tannhäuser« eine Popularität erlangt hat, welche die des »Freischütz« weit hinter sich läßt und nur mit der universellen des »Don Juan« vergleichbar, ist jetzt, da Wagner nächst Bismarck der populärste Name unserer Zeit geworden, kaum vorstellbar, und wir müssen uns nahezu besinnen, daß es Jahre gegeben – und daß wir sie selbst mit erlebt –, während welchen der »Tannhäuser« verhöhnt und vervehmt war und, wer es wagte, ihm das Wort zu reden, als Lästerer der beiligen Gesetze der Kunst, sowie als illoyaler Unterthan und Staatsbürger gebrandmarkt wurde. Liszt hatte, abgesehen von vielen technischen, die Aufführung erschwerenden Dingen, die öffentliche Meinung, hinter ihr die gesammte deutsche Presse, die Weimaraner Staatsbürger und seine Kapellmusiker gegen sich. Sein Muth, seine Energie und Begeisterung, die überzeugende Macht, mit welcher er alle Einwürfe der letzteren widerlegte, führte ihn zum Sieg, der auch zugleich bewies – was bezüglich einer Aufführung dieser Oper seitens anderer Städte von Wichtigkeit war –, daß das Werk auch mit einem weniger glänzend besetzten Sänger- und Orchesterpersonal, als das der dresdener Hofbühne, zur künstlerischen Geltung kommen konnte, mit einem Wort: daß es lebensfähig sei. Für Weimar aber hätte keine passendere Festoper aufgeführt werden können als der »Tannhäuser« mit seinem den Thüringer Landen entnommenen und ihrem Fürstenhaus so eng verbundenen[57] Sagenkreis. Am Abend der Festvorstellung waren alle Gemüthsspreizen des Publikums wie hinweggespült, so daß es, aller Etiquette und des anwesenden Hofes vergessend, in stürmischen Beifall ausbrach. Der »Tannhäuser« war buchstäblich über Nacht in Thüringen volksthümlich geworden.

Diese Aufführung des »Tannhäuser« am 16. Februar 1849 nebst ihrer Wiederholung am 18. Februar,13 war die erste große Antithese, welche Liszt den stumpfen, bequemer Gewohnheit ergebenen musikalischen Zuständen entgegenstellte. Das in jenem Moment noch unerschlossene Geheimnis des »Tannhäuser«: der musikalisch-dramatische Reformgedanke, war für ihn keines. Wie ein von ihm selbst geschaffenes Werk lag jeder Gedanke, jeder Ton, jede Geste seiner Seele, offen vor ihm. Und so groß die Aufführung selbst als eine Künstlerthat preisenswerth ist, so tritt sie zurück vor dem psychologischen Phänomen dieser geistigen Übereinstimmung, welche Liszt prädestinirte jenen Gedanken auszusprechen, aber auch der deutschen Nation den Genius Wagner's zu retten. Was er nach dieser Seite hin für Wagner geworden, trat nie heller zu Tage als durch die Veröffentlichung des Briefwechsels (1841–1861) der beiden Meister. Der Brief, welchen Wagner nach der Aufführung des »Tannhäuser« an Liszt richtete,14 bildet den Anfang zu diesen Erschlüssen. Dabei wirst er grell flackernde Lichter auf die damalige Lage des dresdener Hofkapellmeisters, der aus Liszt's That wieder »Muth zum Ertragen!« zu gewinnen vermeinte. Auf diesen Brief sei verwiesen.

Er ist vom 20. Februar – bei keiner der beiden für ihn so bedeutsamen Aufführungen hatte der Komponist zugegen sein können. »In der verflossenen Woche« – schloß er denselben – »war es[58] mir unmöglich, meinen Peiniger um einen kleinen Urlaub anzugehen; gern wäre ich sonst gekommen, wenn auch nur, um ein paar Stunden heiter und aufgeweckt mit Ihnen zu verbringen und Ihnen meine hohe Freude über Sie zu bezeugen. – Nehmen Sie für heute so vorlieb! Es kommt alles aus vollstem Herzen und Thränen habe ich dabei auch im Auge.«

Das Wiedersehen ließ nicht allzulange auf sich warten. Wagner kam. Liszt wohnte noch im »Erbprinzen«, als der Dresdner Hof-Kapellmeister an einem regentrüben Maitag – es war am 13. Mai 1849 –, ein Reisetäschchen in der Hand, unerwartet bei ihm eintrat – ein flüchtiger Revolutionair, der mit dem Paß des Schriftstellers Dr. Adolf Widemann sich deckte. Niemand aber war weiter davon entfernt ein Politiker zu sein, als Richard Wagner, und selbst die von ihm gespielte Barrikadenrolle ist nicht im Stande ihn in Wirklichkeit zu einem politischen Revolutionair zu stempeln. Sie war nur die Gastrolle eines verzweifelten Komponisten, der noch unter den Schaffensschauern eines soeben beendeten Werkes – des »Lohengrin« – stand, und das unglückselige Bedürfnis gefühlt hatte, seiner Partitur eine Baßklarinette einzuverleiben, während die Dresdener Hofkapelle keine besaß, der Intendant keine anschaffen, und der Hof-Kapellmeister sie nicht streichen wollte. Es war der alte Kampf ums Dasein, der, im Hintergrund eine langjährige Unterdrückung berechtigter Bestrebungen, dem ersten Luftzug sich hingiebt, den Knebel vom Munde reißt und den Schrei ausstößt, der die Brust zu ersticken droht. Ja – Wagner war Revolutionair, aber aus und mit musikalischen Motiven.

Als es dunkelte, führte Liszt den aufgeregten, mit Gott und der Welt grollenden Mann zur Altenburg, wo die Fürstin ihn gastfrei aufnahm. Aber die kluge Frau bewog ersteren im Stillen zur Großherzogin zu gehen, ihr die Sachlage zu vertrauen und ihren Schutz und Rath einzuholen. Dieser lief dahin aus: den Flüchtling ruhig in der Altenburg zu belassen bis der Dresdener Steckbrief einlaufe; ein Wink werde ihn noch immer rechtzeitig seine Reise fortsetzen lassen.15[59]

So genoß Wagner 8–10 Tage, ohne polizeilich beunruhigt zu werden, die Gastfreundschaft der Fürstin Wittgenstein. Auf der Altenburg aber gab es stürmische, aufgeregte Stunden. In Wagner's Gehirn wühlte sein noch nicht geschriebenes Schriftchen »Revolution und Kunst«, auch die Phylosophemen des »Kunstwerks der Zukunft« ergoßen sich wie Lavaströme über seine Lippen; von der scharf und christlich denkenden Fürstin vielfach angegriffen, bestritten, auch widerlegt. Auf diese Dispute bezieht sich die Stelle in Wagner's Briefen,16 wo es heißt: »Ob du ihr mein Manuskript zeigen sollst, weiß ich nicht recht: ich bin darin so stark Grieche, daß ich mich nicht recht zum Christenthum bekehren konnte.« – Bei diesem Aufenthalt ermöglichte Liszt, daß Wagner, ohne bemerkt zu werden, einer Probe seines »Tannhäuser« beiwohnen konnte. Über sie äußerte Wagner jene auf die tiefliegenden Geistesbeziehungen der beiden Meister denkwürdigen Worte: »Was ich fühlte, als ich diese Musik erfand, das fühlte er, als er sie aufführte; was ich sagen wollte, als ich sie niederschrieb, sagte er, als er sie ertönen ließ.«

Nach der Probe begaben sich Beide, Liszt und Wagner, begleitet von Eduard Genast und F. v. Milde, die mit ins Geheimnis von der Gegenwart des Flüchtlings gezogen waren, in den »Russischen Hof.« In einem Privatzimmer besprachen sie seine Angelegenheiten, und Wagner, Geniusberauscht, sprach ihnen von seinen Kunstideen, wobei ihm das erste Wort über ein von der Nation zu errichtendes neues Opernhaus,17 das seine Freunde wie ein schönes Traumgesicht berührte, entfiel.

Die Nachricht: der Steckbrief sei unterwegs, ließ Wagner am folgenden Morgen weiter eilen. Liszt gab ihm das Geleite bis Eisenach. Er bestimmte den Flüchtling, seinem Reiseplan eine kleine Wanderung zum Schauplatz des Minnesängerkampfes einzuschieben. Auf diesem Weg zur Wartburg hinan war es, daß Liszt – nach Angabe der Fürstin – seinen (Kap. I.) erwähnten musik-dioramischen Gedanken Wagner mittheilte. Auf der Burg aber domilicirte bereits seit mehreren Tagen Liszt's hohe Beschützerin, die Großherzogin. Neugierig, den genialen »Tannhäuser«-Komponisten und sonderbaren Revolutionair von Angesicht[60] zu Angesicht zu sehen, – was in Weimar zu bewerkstelligen unmöglich gewesen wäre – hatte sie vor ihrer Abreise den Wartburg-Besuch mit ihm besprochen. Nun stand Wagner vor ihr. Niemand ihres Gefolges ahnte in dem Gefährten des großherzoglichen Hof-Kapellmeisters den »Hochverräther.« Sie unterhielt sich geraume Zeit ebenso geistreich, wie huldvoll, mit ihm. Wagner aber, erst betroffen, vergaß ihr gegenüber seinen Fürstengroll und ergoß sich, als beide Künstler wieder zur Wartburg hinabeilten, über dieses Begegnis in enthusiastischester Weise, welche noch in seinem Brief an Liszt, datirt Reuil 19. Juni, nachhallte.18

Noch während seines Obdachs auf der Altenburg hatte der Flüchtling die Idee seines »Lohengrin« Liszt und der Fürstin mitgetheilt, und zugleich zu seiner näheren Erörterung brieflich seine Frau beauftragt die Partitur, die er noch keinem Künstler vorgelegt hatte,19 nach Weimar zu senden. Erst nach seiner Abreise traf dieselbe ein. Während Wagner auf dem Weg nach Paris, saß Liszt am Klavier im Arbeitszimmer der Fürstin, die »Lohengrin«-Partitur vor sich, aus ihr spielend und singend, neben ihm spannungsvoll seine große Freundin. Drei Tage von früh bis Abend saßen so die Beiden, kein Besuch wurde angenommen, die Speisen brachte bald ein Diener, bald die Prinzessin, und wurden auf ein kleines Tischchen, das seinen Platz neben dem Instrument hatte, gestellt. Als diese Tage anstrengendster und genußvollster Arbeit vorüber waren, hatte Liszt den Genius Wagner's in seiner ganzen Flugkraft erkannt. Von einer Aufführung des »Lohengrin« aber sah er noch ab. Vorläufig auch hatte ihm Wagner die Partitur nur zur Prüfung eingehändigt und dieselbe erfolgte erst später an ihn zurück. Die formellen und technischen Schwierigkeiten dieses Werkes schienen ihm unüberwindbar.[61]

Das Sujet erweckte ihm ebenfalls Bedenken: »Die wundervolle Partitur des Lohengrin« – schrieb er an den Komponisten – »hat mich tief eingenommen, ich würde jedoch für die Aufführung die hochideale Färbung fürchten, welche Du beständig beibehalten hast. Du wirst mich für einen Krämer halten, theurer Freund, aber ich kann nichts dazu, und meine wahrhafte Freundschaft für Dich berechtigt mich zu sagen ...20

Als Wagner unterm 21. April 1850 an Liszt schrieb:21 »Lieber, soeben las ich in der Partitur meines Lohengrin – ich lese sonst nie in meinen Arbeiten. Eine ungeheure Sehnsucht ist in mir entflammt, dies Werk aufgeführt zu wissen. Ich lege Dir hiermit meine Bitte an das Herz, führe meinen Lohengrin auf! Du bist der Einzige, an den ich diese Bitte richten möchte: Niemand als Dir vertraue ich die Creation dieser Oper an: aber Dir übergebe ich sie mit vollster freudigster Ruhe.» ... »Führe den Lohengrin aus und laß sein Inslebentreten Dein Werk sein« –, war das leichter gesagt, als gethan. Es gab Scharmützeln zwischen Liszt und der Fürstin. Seine vieljährigen Beziehungen zu Meyerbeer, die manche Freundlichkeit, die dieser ihm erwiesen, erweckten seine früheren Skrupel. Die Fürstin aber stand wieder auf Wagner's Seite und betonte, daß für Wagner die Bahn gebrochen werden müsse. Ihre Entschiedenheit gab den Ausschlag: Liszt holte beim Großherzog die Genehmigung zur Aufführung des Werkes ein.

Aber Schwierigkeiten über Schwierigkeiten! Eine Oper, wie der »Lohengrin« war bis dahin ein unentdecktes Land, zu dem kein gebahnter Weg führte, er mußte erst geschaffen werden. Liszt schuf ihn. Mit unermüdlicher Sorgfalt bildete er das Orchester in unzähligen Einzelproben allmählich zu der technischen und geistigen Höhe, welche die Ermächtigung zur »Creation« beantworten konnte. Die verhängnisvolle Blaßklarinette fehlte nicht; sie war in Walbrül's Händen. Eine unbeschreibliche Begeisterung erfaßte, vom Dirigenten ausgehend, alle Mitwirkenden. »Wir schwimmen ganz im Äther Deines Lohengrin,« schrieb er dem Exilirten,[62] indem er ihm einen kurz gefaßten, aber mit jedem Wort bedeutungsvollen. Bericht erstattete.22

Am 28. August 1850 war in Weimar die Inaugurationsfeier des Heider-Denkmals, zugleich eine Feier des Geburtstags Göthe's. Auf dem Fest-Pro gramm prangte »Lohengrin«.

Die öffentliche Creirung des »Lohengrin« fand durch Liszt am 28. August 1850 zu Weimar statt.23

Die Göthe- und Herder-Festlichkeit mit Liszt's Aufführung des »Lohengrin« hatte viele geistig distinguirte Fremde in Weimar versammelt, unter ihnen Dingelstedt, der den Fest-Prolog gedichtet,24 Gutzkow, Bettina, Julian Schmidt, Franz Brendel (?), J. Janin, J.E. Lobe, Raff, Alex. Ritter, Theod. Uhlig, Fischhoff, Schaller (er Bildner der Herder-Statue) und viele Andere.

Der Erfolg der Aufführung trat jedoch hinter dem des »Tannhäuser« zurück. Die Anwesenden waren enttäuscht. Weder die fremden Musiker noch die Dichter und Schriftsteller hatten eine Ahnung von dem, was Wagner erstrebt – nicht von der dramatischen Idee, die hier musikalisch geschaffen vorlag, nicht von dem sprachmelodischen Princip der Melodie, nicht von der Behandlung des Orchesters, nicht von dem großen scenischen Aufbau und seiner Durchführung – von nichts und nichts. Und daran trug die Schuld: das Ohr der Gewohnheit, der mächtigen Gewohnheit! Die Gäste verließen Weimar mit der Überzeugung, Wagner, wie Liszt, habe eine unbegreifliche Thorheit begangen. Letzterem gegenüber machten sie hieraus kein Hehl; es gab die heftigsten Debatten. Bei einer derselben – bei einem Souper,[63] das die einheimischen und fremden Künstler vereinte – eiferte namentlich Bettina gegen das Werk und gegen Liszt's Aufführung. Da sprang dieser auf und rief begeistert das historische Wort: »Hier stehe ich, ich kann nicht anders! Mit Wagner's Opern stehe und falle ich!«

An diesen aber schrieb er:


»Dein Lohengrin ist vom Anfang bis Ende ein erhabnes Werk. Bei gar mancher Stelle sind mir die Thränen aus dem Herzen gekommen. – Da die ganze Oper ein untheilbares Wunder ist, kann ich Dir unmöglich diesen oder jenen Zug, diese oder jene Kombination, diesen oder jenen Effekt besonders hervorheben.

– Gerade so wie es dem frommen Geistlichen erging, der Wort für Wort die ganze »Nachahmung Christi« unterstrich, möchte es geschehen, daß ich Note für Note Deinen ganzen Lohengrin unterstreiche. Für diesen Fall möchte ich jedoch gern mit dem Ende beginnen, nämlich mit dem Duett des 3. Aktes zwischen Elsa und Lohengrin, welches für mich der Höhepunkt des Schönen und Wahren in der Kunst ist.«25


Als Liszt nach den ersten »Lohengrin«-Aufführungen – insbesondere nach den Berichten Dingelstedt's in der »Augsb. A.Z.« – wahrnahm, daß der Kontrast zwischen den Ideen Wagner's und den Ideen der herrschenden Gewohnheit d.i. der eingerosteten Übel seitens der Sänger, der Kritik, des Publikums26 zu groß war, um ohne weitere Vermittelung aufgehoben werden zu können, setzte er sich hin und schrieb seine Essays über »Lohengrin«, welche in Frankreich im »Journal des Débats«, in Deutschland in der »Illustrirten Zeitung« und endlich noch in Broschürenform, verbunden mit Aufsätzen über »Tannhäuser« (vordem 1849 im »Journal des Débats« veröffentlicht) unter dem Titel: »Lohengrin et Tannhäuser de R. Wagner«27 in Druck erschienen, beide mit Notenbeispielen.

Diese Schrift, welche, wie Brendel es damals aussprach, »durch ihre Neuheit in der analytischen Behandlung des Stoffes epochemachend in die musikalische Literatur« eingriff,28 legte die[64] Bedeutung und den Werth der Werke Wagner's dar – ein Kunstwerk aus dem Kunstwerk. Als psychologischer Grundzug derselben tritt uns die schon bei Besprechung der »Tannhäuser«-Aufführung Liszt's erwähnte Geistesverwandtschaft beider Meister wie ein geheimnisvolles Naturwalten entgegen. Und wenn Wagner noch vor kurzem gegen Th. Uhlig äußern konnte: »In meiner Denkweise begreift er mich nicht, mein Handeln ist ihm durchaus zuwider«,29 so schreibt er jetzt an Liszt: – –


»– – – wir nähern uns in den allerwichtigsten Fragen fast schon so vollständig, daß wir mit vollem Grunde behaupten dürfen, – wir seien Eins!«30


Und bald darauf:31


»Es ist mir, als ob in uns sich zwei Menschen begegneten, die von den beiden entgegengesetztesten Seiten ausgingen, um in das Herz der Kunst zu bringen und dort nun in der Freude ihrer Entdeckung sich brüderlich die Hand reichen. Nur in dieser Freude vermag ich es Deine bewundernden Ausrufe ohne Beschämung hinzunehmen, denn ich weiß, wenn Du meine Fähigkeiten und das durch sie Geleistete preisest, so drückst auch Du nur Deine Freude darüber aus, daß wir uns im Herzen der Kunst begegneten.«


Geradezu ergreifend aber klingt Wagner's Erguß, datirt: Zürich, 18. April 1851:32


»Und wie merkwürdig geht es mir immer mit Dir! Wenn ich Dir mein Liebesverhältnis zu Dir beschreiben könnte! Da giebt es keine Marter, aber auch keine Wonne, die in dieser Liebe nicht bebte! Heute quält mich Eifersucht, Furcht vor dem mir Fremdartigen in Deiner besonderen Natur; da empfinde ich Angst, Sorge – ja Zweifel – und dann wieder lodert es wie ein Waldbrand in mir auf, und alles verzehrt sich in diesem Brande, daß es ein Feuer giebt, das nur der Strom der wonnigsten Thränen endlich zu löschen vermag. – Du bist ein wunderbarer Mensch, und wunderbar ist unsere Liebe! Ohne uns so zu lieben, hätten wir uns nur furchtbar hassen können.«


Liszt's Lohengrin-Tannhäuser-Schrift mit ihrem hinreißenden Styl, der Neuheit und Kühnheit ihrer Bilder, dem Schwung ihrer Ideen, der tiefen Erfassung des innersten Wesens des Kunstwerks,[65] warf die ersten hellen Streiflichter über das von Wagner gegebene neue Opernideal. Nun folgten allmählich Bekenner auf Bekenner, Wagner's Schriften erschienen, Fr. Brendel trat mit der »Neuen Zeitschrift für Musik« für sie ein, Gleichgesinnte schlossen sich mit Wort und Werk an. Aber auch die Gegner mehrten sich gegen Liszt's und Wagner's Thun und Schaffen zu erbittertestem Kampfe.

Auf ihrer Seite standen so ziemlich die einflußreichsten großen und allgemeinen Zeit-, Tages- und musikalischen Fachblätter mit dem Literarhistoriker Julian Schmidt und dem Mozartbiographen Otto Jahn in den »Grenzboten«, dem Literaten G. Kühne in der »Europa«, dem Musikfeuilletonisten Ed. Hanslick in der Wiener »Freien Presse«, Al. v. Wolzogen in der »Augsb. Allg. Zeit.«, dem Redacteur Ludw. Bischoff und Ferd. Hiller in der »Rhein. Musik-Zeit.«, denen sich nicht minder erbost die Leipziger und Berliner »Allg. Musik-Z.«, das »Echo«, die »Signale« u.a. anschlossen. Das konservative Hüteramt in der Praxis aber besorgten die Dirigenten Fr. Lachner, Jul. Rietz, Ferd. Hiller u.A., die keinen Taktstock zur Vorführung eines von Liszt in Weimar vertretenen Werkes erhoben hätten.

Auf der anderen Seite stand kein Heer von Preßorganen, nur eine kleine Anzahl von den Fortschrittsideen begeisterter, zum Theil noch jugendlicher Männer: R. Wagner's Freund Theod. Uhlig, Rich. Pohl (»Hoplit«, der Schwerbewaffnete), Franz Müller (»Bertram«), H. Porges, Alex. Ritter, Rob. Franz, Graf Laurencin, Louis Köhler, auch der charakterstarken Louise Otto, als der ersten Frau,33 die zu den Vorkämpfern des musikalischen Fortschritts zählte, sei hier gedacht;34 ferner: der Theoretiker Weitzmann, die hochtalentirten jugendlichen Künstler, theils Schüler Liszt's, Feuergeister edelsten Schlags: H.v. Bülow, H.v. Bronsart, Felix Dräseke, P. Cornelius u.A.; die Dirigenten v. Seifriz (Löwenberg), Ed. Stein (Sondershausen), Carl Riedel (Leipzig), L. Damrosch (Breslau) u.A.

Diese Pioniere fanden ihren literarischen Sammelplatz in der »Neuen Zeitschr. für Musik«, deren Redacteur, der nach[66] Seite der Kritik schöpferisch angelegte Musikhistoriker Franz Brendel, ein Mann war von gründlichem und breitangelegtem Wissen, objektiv, scharfdenkend, gesinnungshoch, mit entschieden der geistigen Bewegung der Zeit entgegenkommender Begabung, dabei unbestechlichen Charakters –: ein Bahnbrecher auf dem so wichtigen Gebiet der musikalischen Kritik, wie die hochgehende Zeitwoge mit ihrer Reformgewalt ihn bedurfte. In ihm centralisirte sich gleichsam nach kritischer Seite die von Liszt eingeleitete Fortschrittsbewegung.

Ungleich, wie die beiden Parteien in der Vertretung seitens der Presse waren, waren sie es auch bezüglich des Gewichts ihrer Namen und der Art ihrer Waffen. Während die Unterschriftsgiltigkeit der Fortschrittsbekenner noch der Zukunft anheimfiel, hatte die Gegenpartei schon längst das Certificat derselben durch eingebürgerte Namen und durch ihre Streitwaffe: sie fochten mit den bereits ausgestalteten Kunsttheorien und deckten sich mit dem Schild der klassischen Werke und des klassischen Unfehlbarkeitsdogma – dem Dogma von den »ewigen Gesetzen der Kunst«. Die Anderen besaßen nicht diesen Vortheil leichter Arbeit; sie mußten das Erz ihrer Waffen erst graben aus den neuen Werken selbst, sie mußten es reinigen im Glühofen der geschichtlichen und philosophischen Wahrheit und mußten es endlich noch formen zu Erklärungen, Beweisführungen und Lehrsätzen.

Aber einen andern Vortheil hatten sie: eine auf musikalischem Gebiet wohl einzig dastehende Begeisterung für die Sache durchdrang einen Jeden von ihnen. Jeder Einzelne war ergriffen von ihr wie von einer heiligen Flamme und trat ein für sie, uneigennützig, opfermuthig mit Sein und Gut. Die hochfliegenden Worte: »In hoc signo vinci et nunquam vincere desistam«, von H.v. Bülow in einem späteren Jahrzehnt unter eine Photographie, die ihn mit Liszt's »Ideale« in der Hand darstellt, geschrieben,35 waren das Zeichen für Alle. Diese Begeisterung wehte von der Altenburg her – dort entzündete sie sich, dort war ihr Herd.

Es scheint darum nur eine natürliche Strategie, wenn die Gegner ihre Angriffe zunächst dahin richteten. In dem Haupt der Fortschrittskämpfer, dem kühnen Herold des Genies Wagner's, hofften sie diesen selbst zu treffen und die Verbreitung seiner Opern[67] abzuschneiden. Denn mit Ausnahme eines halben Dutzend machtloser Freunde besaß Wagner nur den einen, der ihn durchzusetzen in jeder Weise befähigt war. Wagner war doppelt, ja dreifach vervehmt: als politischer, als künstlerischer Revolutionär und, nach Liszt's Siegen in Weimar, als meyerbeergefährlich. Das wob sich ineinander zu weitziehenden Kreisen. Seit der königl. sächs. Hofkapellmeister auf den Barrikaden Dresdens gestanden, war das Gesetz gegen ihn –, gegen ihn war die sächsische Regierung, die ihn verfolgte, mit ihr die übrigen Regierungen Deutschlands, die politisch-konservativen Kreise und die Entrüstung der loyal Gesinnten –; gegen ihn waren die musikalischen Vertreter der Höfe: die hofkapellmeisterliche Camarilla, welche sammt und sonders wohl wissend, daß das Jahr 1848 zu schmerzhafte Schnittwunden in der oberen Gesellschaft hinterlassen, als daß hier nicht die entschiedenste Verstimmung gegen revolutionäre Elemente und ihre Werke sich geltend machen sollte, schon aus Etiquette- und Dienstgründen keine seiner Opern in ihr Repertoire aufnahmen oder bei ihren Herrn befürworteten, am allerwenigsten aber, als Wagner's Schriften ihr eigenes Wirken im Zusammenhang mit den musikalischen Zuständen in ein nicht mehr zweifelhaftes Licht gesetzt hatten; gegen ihn war Meyerbeer mit seinem Troß von musikalischen und literarischen Vertretern und Bewunderern, welche aus den verschiedensten Gründen für ihn, den Rothschild unter den Komponisten, arbeiteten. Daß die »Rhein. Musik.-Z.« Bischoff's das Organ Meyerbeer's war, war kein Geheimnis, ebenso wenig, daß Ferd. Hiller eine Art ersten Ministeramts daselbst verwaltete. Und zu dieser Masse von Gegnern gesellten sich endlich noch die nicht-musikalischen Künstlerkreise: Literaten, Gelehrte, Künstler der bildenden Kunst, die durch Wagner's auf die höchste Spitze getriebene Kunsttheorien allarmirt und angegriffen sich fühlten.

Diese Kreise warfen sich alle gegen Liszt, dessen Wagner-Vertretung eine um so intensivere Wirkung gesichert war, als sie frei von persönlichem Eigennutz, nur allein der künstlerischen Liebe und Überzeugung, dem neidlosen freudigen Erkennen des Genies Wagner's entsprang. Hierzu hatte er den Werken des Vervehmten Gunst und Schutz eines einflußreichen Fürstenhauses gewonnen. Die erbitterte Polemik gegen ihn, die als der zweite nicht minder inhaltsreiche Theil des musikalischen Fortschrittskampfes[68] sich entwickelte, fand ihre Hauptursache in der Erbitterung gegen Wagner. Und es läßt sich behaupten, daß ohne diese sie niemals zu der blinden Maßlosigkeit und dem Umfang, den sie einnahm, gediehen wäre. Aus jeder seiner Thätigkeiten bestrebte man sich, ihm eine Niederlage zu bereiten. Seine Dirigentenfähigkeit und -Principien,36 die in kurzer Zeit das kleine Weimaraner Hoftheater-Orchester zu dem bedeutungsvollsten erhoben und es befähigt hatten die noch unbekannten und unverstandenen Schöpfungen Wagner's, Berlioz', Liszt's zum ersten Mal der Welt vorzuführen, wurde geleugnet, seine Schriften wurden belacht und jedes seiner Werke mit Zischen und Hohn bedeckt. Je mehr die Feinde Wagner's dem Vordringen seiner Bekenner Zoll um Zoll weichen mußten, um so fester klammerten sie sich an Liszt. Als endlich Wagner siegreich seinen Fuß auf Feindesnaken setzen konnte –: an Liszt's Rockschößen hingen sie noch immer! Machten sie es vordem zu einer Modesache nur den Virtuosen zu rühmen, so begannen sie jetzt nach Wendung der Dinge ihm auch als »Wagner-Propagandisten« Anerkennung und Bewunderung zu zollen, – den Komponisten ignorirten sie.

Allein, nichts beirrte Liszt, er ermüdete nicht, er gab keiner Bitterkeit Raum, aber er füllte mehr und mehr die Luft mit der Atmosphäre seiner Überzeugung und Begeisterung. Obwohl nach der ersten Aufführung des »Lohengrin«37 unzählige Gegenstimmen[69] laut wurden und selbst die Weimaraner trotz ihrer Liebe zu »Tannhäuser« murrten, blieb die Partitur des »Lohengrin« auf seinem Dirigentenpult. Unterstützt von der Sympathie des Hofes, welcher die neue Oper wieder und wieder befahl, konnte der Meister sein angefangenes Werk durchführen. So ging auch sie in Herz und Blut der Weimaraner über und verbreitete sich von Weimar aus über ganz Deutschland und weiter.

Der Aufführung des »Lohengrin« folgte am 16. Febr. 1853 – abermals zu einer Geburtstagsfeier Marie Paulowna's – die Aufführung des reformatorischen Erstlingswerks R. Wagner's, des »Fliegenden Holländers«.38 Diese Oper bedurfte nicht mehr der außerdentlichen Anstrengungen seitens Liszt's. Das Orchester-, wie das Sängerpersonal war bereits in Wagner's Weise eingedrungen, welche im »Holländer«, im Vergleich zu »Tannhäuser« und »Lohengrin«, keine erheblichen Schwierigkeiten bereitete. Auch seitens des Weimaraner Publikums fand er ungehindert Eingang, aber nicht die Popularität, wie die beiden andern Werke.

Dem »Holländer« widmete Liszt ebenfalls eine analytische Abhandlung, aber ohne Notenbeispiele.39 Sie kam im Feuilleton der »Weimar'schen Zeitung« und in der »N.Z.f.M.« 1854 zum Abdruck. Wagner schrieb über sie an Liszt:40 »In diesen Artikeln habe ich mit bestimmtester Deutlichkeit endlich mich wieder gefunden und daraus erkannt, daß wir mit dieser Welt nichts gemein haben. Wer verstand denn mich??Du – und kein Anderer! Wer versteht denn jetzt Dich? Ich und kein Anderer! Sei des gewiß. Du hast mir zum ersten und einzigsten male die Wonne erschlossen, ganz und gar verstanden zu sein: sieh, in Dir bin ich rein aufgegangen, nicht ein Fäserchen, nicht ein noch so leises Herzzucken ist übrig geblieben, das Du nicht empfunden.«[70]

Nachdem obige Oper ihre Aufführung gefunden, rekapitulirte Liszt auf das eindringlichste seine bisherige Wagner-Thätigkeit, indem er eine Wagner- Woche (27. Febr. bis 5. März 1853) veranstaltete und während derselben den »Tannhäuser«, »Lohengrin« und »Fliegenden Holländer« mit denselben Sängern in Weimar aufführte; – zum ersten Mal überhaupt (die Berlioz-Woche vom November 1852 mit inbegriffen), daß ein derartiger Gedanke, der heutigen Tags durch Shakespeare-Wochen und andere geläufig ist, seine Durchführung fand.41

Neben dieser vielseitigen Propaganda Liszt's sproßten als poetische Blüthen seine Klavierübertragungen verschiedener Scenen empor,42 welche nicht minder, wie seine Aufsätze, für Wagner's Genius warben.

Mit der Creirung und Verbreitung des »Lohengrin« zeigt sich Liszt's Mission für Wagner im eigentlichen Sinne erfüllt, die Anerkennung desselben war zum Durchbruch gekommen und fluthete unaufhaltsam weiter. Daß aber jene Mission erfüllt sei, war damals noch nicht ersichtlich und Liszt's Streben für den Freund sah noch keineswegs eine Grenze; er hoffte vielmehr, jedes neue Werk Wagner's von Weimar aus der Welt übergeben zu können. Als das »Rheingold« beendet, lag die Partitur auch schon in seinen[71] Händen (1854), und Karl Alexander, seit 1853 Großherzog, schien nicht abgeneigt, für den zu gewärtigenden »Ring des Nibelungen« die Initiative zu ergreifen. Schon 1855 waren Unterhandlungen mit dem Komponisten im Gange, Techniker wurden zu Rathe gezogen; allein es ergab sich, daß die Kosten der Inscenirung für die kleine Hofbühne das vom Großherzog gestellte Budget weit übersteigen würden. Dem Großherzog blieb der Sinn, sich mit seinen Mitteln in einer Sache zu koncentriren und diese dem Boden mittlerer Höhe entreißend zu einem Gipfelpunkt zu erheben, versagt. Er ging dem schönen Gedanken universeller Ausbreitung nach, Deutschland eine neue Malerschule, eine neue Dichterschule zu geben; der Punkt aber, in dem künstlerisch der große Hebel der Zeit lag, entzog sich seiner Sehweite. So wurden die Unterhandlungen bezüglich der »Nibelungen« bis auf weiteres sistirt. Aber noch zu Anfang der sechziger Jahre trug sich Liszt mit dem Gedanken, außergewöhnliche Opfer seitens des Hofes würden die entgegenstehenden Schwierigkeiten doch noch beseitigen. Diese Hoffnung scheiterte. Die Unmöglichkeit Wagner's Riesendrama in Weimar zur Aufführung bringen zu können und damit das musikalisch-dramatische Reformwerk, das durch ihn an Weimars Boden sich geknüpft, auch hier zum Abschluß und zur Vollendung zu bringen, trug nicht wenig zu den Umständen bei, welche den Meister später an Rom (1861) fesselten und ihn überwiegend sein Domicil daselbst aufschlagen ließen. Bleibt Liszt's künstlerische Einsetzung und Rettung des Genies Wagner's für die fernsten Zeiten ein seltenster Akt hoher Künstlerliebe, so werden dieselben auch stets beklagen, daß die Unsicherheit des Regenten diesem Akt die Krone geraubt. Die Berufung Dingelstedt's ward zu einer Abdikation: Weimar mußte erleben zum Vorort Bayreuths zu werden, ohne nach anderer Seite hin den Glanz zu erringen, der hierfür Entschädigung böte.

Liszt's persönliche Beziehungen zu Wagner wahrend seiner Weimarperiode ergeben sich aus dem schon mehrfach citirten »Briefwechsel«. Sie wurzelten in seiner Künstlerliebe und blieben in dieser. Wagner liebte in ihm die wunderbare Hülfe in tiefer äußerer und innerer Noth. Das ist aus jedem seiner Briefe an Liszt zu erkennen. Wie rührend klingen seine Bitten, seine Dankesworte, die bewundernden, ja extatischen Ausrufe über den selbstlosen Künstler-Menschen, dessen Liebe ohne Grenzen, dessen[72] geistverwandtes Wesen ihn über sich selbst erhebt und seinem Genius in die Arme treibt.43

Von Liszt's Kompositionsgenie zeigt er sich gleichfalls tief beeindruckt, und es ist nicht so ganz schlechtweg zu glauben, daß er, wie Hauslick in seiner Besprechung des »Briefwechsels«44 es versichert, demselben auswich, weil er seine Kompositionen keineswegs hochhielt. Dagegen protestiren viele Stellen der Briefe Wagner's, auf die wir gelegentlich zurückkommen werden. Wenn aber solche sparsam fließen, so liegt der Grund ebensowohl in Liszt's Zurückhaltung über alles, was ihn selbst betraf und nur besonderem Drängen seines Freundes wich, als auch – im vollsten Gegensatz zu ihr – in Wagner's keine Dämmung kennender Natur, deren Schaffensstrom ihn selbst überwältigte und musikalisch kaum einen Augenblick erübrigen ließ, sich von dem eigenen Ich abzulösen, um einem anderen in seiner Eigenart zu folgen. –

Die Beziehungen der beiden Meister hier noch eingehender zu erörtern, müßte ein Einfall in ein Specialgebiet genannt werden. Der »Briefwechsel« erschließt vieles, um nicht zu sagen alles. Auf ihn sei der Leser verwiesen. Nur die eine Bemerkung finde noch Platz, daß, so sehr er nach seiner Veröffentlichung zu Gunsten der einen oder der andern Individualität ausgebeutet und verdeutet worden ist, er zu dem werthvollsten und eigenartigsten aller Briefliteratur zählt. Denn er gewährt uns auf das Unmittelbarste, nicht durch Töne, sondern durch das Wort, einen Einblick in das psychische Räthsel »Musiker« genannt und auch in das Innere zweier Größen, die in ihrer Ergänzung berufen waren musikalisch der Zeit ein neues Ideal zu entwinden. Speciell für Liszt's Weimarperiode bleibt derselbe ein treuer Begleiter jener Phase seiner Thätigkeit, die sich »seine geschichtliche Mission für Wagner« nennen läßt.

Fußnoten

1 »Die Hauptströmungen der Literatur des neunzehnten Jahrh.« – V. Bd. S. 281 u.f.


2 Liszt's »Ges. Schriften«, IV. Bd., S. 210.


3 Über die historischen Ausgangspunkte dieser Principien, siehe I. Bd. dieses Werkes, VII. und VIII. Kapitel.


4 »Eine Mittheilung an meine Freunde«. R. Wagner's Gesammelte Schriften, IV. Bd.


5 Ob 1840 oder 1841, ist weder von W. noch von L. präcisirt worden, bleibt auch ohne Belang. Doch läßt sich folgendes hierüber argumentiren. Ein in jüngster Zeit von der Presse (s. »N. Zeitschrift f.M.« 1887 S. 355) gebrachter, R. Wagner zugeschriebener Brief, nennt das Jahr 1839 (!) als das Jahr ihrer ersten Begegnung, was, da Liszt erst 1840 Paris wieder besuchte, nicht möglich ist. – Nach Glasenapp (R. Wagner's Leben u. Wirken. I. Bd. S. 110) wäre sie im Winter 1841 gewesen, was jedoch in sofern nicht zutrifft, als er Liszt's Beethoven-Koncert mit erwähnt, dieses aber im Frühjahr am 24. April 1841 stattfand (II. Bd. d.W.S. 103), Wagner aber – ebenfalls nach Glasenapp – schon am 7. April Paris verlassen hatte. –

Wenn diese Begegnung im Jahr 1840 war, so müßte es zur Zeit gewesen sein, als L. seine Privatmatinéen in den Sälen Erard (II. Bd. d.W.S. 96) gab, – war sie im Jahr 1841, so dürfte sie gewesen sein, nachdem Wagner's Name in Folge eines Schlesinger'schen Koncertes, welches am 4. Febr. eine Ouvertüre von ihm gebracht, in Künstlerkreisen mehr in Umlauf gekommen war. –


6 Briefwechsel zwischen Wagner und Liszt. (Breitkopf & Härtel, Leipzig 1887.) I. Bd. Nr. 2–9.


7 Damaliger Intendant der Hofbühne zu Dresden.


8 In Ermangelung eines Koncertsaales wurden in Weimar die Koncerte im Hoftheater abgehalten.


9 Glasenapp deutet auf eine zweite Aufführung hin, die vor der zu Weimar in München unter Lachner stattgefunden habe, was jedoch ein Irrthum ist. Die erste Aufführung der »Tannhäuser«-Ouvertüre fand in München am 1. November 1852 in einem Abonnement-Koncert der Hofkapelle statt.


10 »N. Zeitschrift f.M.« 1845/II S. 159.


11 Ebendaselbst.


12 Die »Augsb. A. Zeitung« vom 7. Nov. 1845 Nr. 311 (geschr. von Dr. H. Franck); die »Deutsche A.Z.« 1845 Nr. 295 und 320.


13 Der Hof-Theaterzettel dieser epochemachenden »Tannhäuser«-Aufführungen führt als Personal an:


Landgraf HermannHerr Hofer.

TannhäuserHerr Tichatschek von Dresden.

WolframHerr Milde.

WaltherHerr Schneider.

BitterolfHerr Schulz II.

Heinrich der SchreiberHerr Fuhrmann.

ReimarHerr Weiß.

ElisabethFrl. Agthe.

VenusFrl. v. Haller.

HirtFrl. Baum.


14 I. Bd. Nr. 13.


15 Diese Freundlichkeit seitens der Großherzogin war nach Annahme der Fürstin ein Ausdruck der großherzoglichen Hoffnung: die Zwangslage der Fürstin bald aufgehoben zu sehen, daß sie sich dort wohl fühle und hiemit der große Künstler Weimar erhalten bleibe.


16 I. Bd. Nr. 25.


17 Die Kenntnis dieser Zusammenkunft dankt die Verf. Herrn v. Milde.


18 Die betreffende Stelle lautet (I. Bd. des »Briefwechsels« S. 27):

»Dir persönlich kann ich wohl versichern, daß meine durch unbemäntelte Sympathie mit der in Dresden zum Ausbruch gekommenen Bewegung kund gegebenen Gesinnung weit entfernt von jenem lächerlich fanatischen Charakter ist, der in jedem Fürsten einen verfolgungswürdigen Gegenstand erblickt: theilte ich diesen wunderlichen Fanatismus, so würde ich natürlich schon haben Skrupel empfinden müssen, als ich mich mit höchster Unbefangenheit der Großherzogin von Weimar näherte. Nun, gegen Dich habe ich mich wohl nicht zu vertheidigen: Du kennst den bittern Quell der Unzufriedenheit, der mir aus der Ausübung meiner geliebten Kunst entsprang,« u.s.f.


19 »Briefwechsel« etc. Brief Nr. 17. (An Herrn O.L.B. Wolff.)


20 Hier bricht dieser Brief ab, welcher augenscheinlich coupirt, weder Datum noch Ort angiebt. (»Briefwechsel« I. Bd. Nr. 21).


21 Ebend. I. Bd. Nr. 31.


22 Brief Nr. 36. Ohne Datum.


23 Das Sängerpersonal, welches diese erste »Lohengrin«-Aufführung mit ermöglichte und die einzelnen Rollen gleichsam praktisch schuf, bestand laut des Hof-Theaterzettels aus:


Herr Höfer –König Heinrich

Herr Beck–Lohengrin

Frl. Agthe –Elsa,

Herr Milde–Telramund.

Frl. Fastlinger–Ortrud

Herr Pätsch–der Heerrufer.

Frau Hettstedt–Gottfried.


Die Sängerin Rosa Agthe (spätere Frau Milde) hat sich insbesondere durch die edle Interpretation der Elsa einen bleibenden Namen erworben.

Wiederholungen des »Lohengrin« erfolgten am 31. August, 14. Sept., 9. Okt. desselben Jahres; – 1851 würde er nur einmal (11. Mai), 1852 dagegen viermal (11. Jan., 5. Juni, 3. Okt., 27. Nov.) aufgeführt.


24 Vor der »Lohengrin«-Aufführung von dem Hofschauspieler Jaffé gesprochen.


25 I. Bd., 40. Brief.


26 Siehe »Briefwechsel« etc. I. Bd. S. 92.


27 Bei F.A. Brockhaus in Leipzig 1851; deutsch: bei Eisen in Köln. »R. Wagner's Lohengrin und Tannhäuser« 1851. – Neu bearbeitet: bei Breitkopf u. Härtel in Leipzig, »Fr. Liszt's Gesamm. Schr.« 1881, III. Bd. 2. Abth.


28 »N. Zeitschr. f.M.« 35. Bd. (1851) Nr. 22.


29 »Briefe von Wagner an Uhlig« etc. Brief Nr. 14. Breitkopf und Härtel 1888.


30 »Briefwechsel« etc. I. Bd. Brief Nr. 46.


31 Ebend. Brief Nr. 49.


32 Ebend. Brief Nr. 59.


33 Als zweite darf sich die Verfasserin nennen, die von Holstein aus, in den Hamburger »Jahreszeiten«, herausgegeben von dem freisinnigen Feodor Wehl, propagandirte.


34 Siehe »N. Zeitschr. f.M.« 1889 Nr. 9.


35 Sie war Liszt gewidmet und stand auf seinem Schreibtisch zu Pest.


36 II/1. Bd. S. 221 und II/2. Bd. XXVII. Kapitel.


37 Dieser Zeit entstammt so manches geflügelte Wort, das noch heute nicht verklungen ist, und zum Stichwort der Parteien ward, wie z.B. die Redensart »überwundener Standpunkt«. Sie wer bei Brendel eine Schleuder gegen das Infallibilitätsdogma des Klassicismus seitens der Konservativen. Bedeutungsvoller wurde das Wort »Zukunftsmusik«, das keines wegs von dem Wagner'schen Buchtitel: »Kunstwerk der Zukunft« abgeleitet ist. Es kam aus dem Munde der Fürstin, die es gelegentlich einer »Lohengrin«-Aufführung, nach welcher sich die Fremden – unter ihnen Brendel – auf der Altenburg in ihrem Salon zusammengefunden, gebraucht hatte. Brendel hatte gegen sie geäußert: der »Lohengrin« sei verfrüht, er sei noch nicht für die Gegenwart. –

»Gut«, unterbrach sie ihn, »machen wir dann Zukunftsmusik!«

Dieses Wort erhaschte Liszt, welcher soeben den Salon betrat, und bei einem nächsten Souper die »Männer der Zukunftsmusik« hochleben ließ. Das Stichwort war gegeben. Bald tauchte es in einem Aufsatz Brendel's auf, die Gegner ergriffen es als spottende Waffe und tauften die kleine Schaar »Zukunftsmusiker«, womit sie ein öffentliches Gelächter hervorriefen. Die kleine Partei aber nahm die Taufe an, schrieb das Wort auf Waffen und Schilder, wie Hans v. Bülow sagte und glich dem kleinen Häuflein der »Geusen«, welches seinen Spottnamen annahm und historisch machte. – Im geistigen Übermuth des Moments nannten sie sich selbst »Zukunftsmusiker«, bis Brendel 1859 vorschlug (Tonkünstler-Versammlung) die neue Richtung ihrem Charakter gemäß als: »neudeutsche Schule« zu bezeichnen.


38 Das Sängerpersonal bestand aus den Sängern: Höfer (Daland), Knopp (Erik), Meyer (Steuermann), Milde (der Holländer); aus den Sängerinnen: Milde (Senta), Pätsch (Mary): Repetitionen 1853: 16. Febr. (erste Auff.), 19. Febr., 30. Okt.; – 1854: 2. Jan., 21. Mai; – 1855: 21. Okt. u.f.


39 »Ges. Schriften« III./2 Bd. (1881). Dieser neuen Bearbeitung fügte die Herausgeberin, unter Liszt's Zustimmung, Notenbeispiele ein.


40 Brief Nr. 165.


41 Als Vorläufer dieser Idee dürfte Liszt's Beethoven-Koncert in Paris. 1841 (s. II/I Bd. d.W.S. 99) anzunehmen sein.


42 Liszt's gesammte Wagner-Übertragungen stellen sich, wie folgt, zusammen:


Edirt

1849Tannhäuser-Ouvertüre.1849Meser in Dresden

(Ad. Fürstner).

»O Du mein holder1849Fr. Kistner.

Abendstern.«

1852Einzug der Gäste auf1853Breitkopf u. Härtel.

Wartburg.

Elsas Brautzug zum1853Breitkopf u. Härtel.

Münster

Elsas Traum u. Lohengrin's1853Breitkopf u. Härtel.

Verweis

(?) Festspiel und Brautlied1854Breitkopf u. Härtel.

1857(?) Chor der jüngeren1864(?)C.F. Meser

Pilger(Ad. Fürstner).

1857Ballade.1873(?)C.F. Meser

Der fliegende Holländer(Ad. Fürstner).

1860Spinnerlied.1862Breitkopf u. Härtel.

Der fliegende Holländer

Rienzi. Phantasiestück1861Breitkopf u. Härtel.

1867Isoldens Liebestod.1868Breitkopf u. Härtel.

1871Am Stillen Herd.1871Trautwein

(M. Bahn)

1875Der Ring des Nibelungen.1871Schott's Söhne.

Walhall.

1888Parsifal. Marsch z.h.1883Schott's Söhne.

Gral.


43 »Briefwechsel« etc. II. Bd. 44. Brief.


44 Wiener »Freie Presse« vom 8. Januar 1888.

Quelle:
Ramann, Lina: Franz Liszt. Als Künstler und Mensch, Band 2.2, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1892.
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