IV.

Fr. Liszt's bahnbrechende und reformatorische Thätigkeit als Dirigent. (II)

Hector Berlioz.

»Benvenuto Cellini« und die zeitgenössische Kritik. Aufführung des »Cellini« in Weimar seitens Liszt's und die von ihm daselbst aufgeführten Werke Berlioz'. L.'s Harold-Aufsätze. Berlioz und Wagner. Die Fürstin und die »Trojaner«. Berlioz' Verstimmung gegen Liszt.


Den Wagner-Bestrebungen Liszt's schloß sich in gleicher Kraft und Hingabe die Propaganda für seinen älteren Freund Hector Berlioz an. Blieb auch sein Ziel, dessen Werke in Deutschland einzubürgern, noch unerreicht, so bleibt ihm dennoch der Ruhm mit seinen Berlioz-Aufführungen der Zeit um vierzig Jahre vorausgeeilt zu sein und mit Nachdruck auf den größten französischen Tonmeister des neunzehnten Jahrhunderts hingewiesen zu haben.

Das von Liszt in Weimar – überhaupt diesseits des Rheins zum ersten Mal – zur Darstellung gebrachte Bühnenwerk »Benvenuto Cellini« zählte zu den Schöpfungen, die zur Zeit ihrer Entstehung im schroffen Kontrast zu ihrer Umgebung und deren dominirender Richtung standen. Diese gipfelte in Paris in dem von Louis Philippe eingesetzten, von der Ruhe bedürftigen Bourgeoisie sorgsamst gepflegten und gehegten Juste-milieu. Der leidenschaftliche »Cellini«, mit seinem fieberhaften Pulsschlag, seinem brennenden Kolorit und seiner dramatischen Gewalt paßte nicht in diesen Sorgstuhl der Behäbigkeit. Und es kann kaum befremden, daß er dem Spießbürgerthum und Coterienwesen erlag, und vergeblich dem Moment seiner Aufrichtung entgegenseufzte.[74] Im Jahr 1837/38 komponirt, und am 2. September 1838 in Paris, hierauf in London, aufgeführt, verschwand »Cellini« von der Bühne und hinterließ kaum eine andere Spur als die der Verurtheilung seitens der Kritik. Mit lauter Stimme hatte sie ihn in allen seinen Fasern mit »revolutionär bis zum Skandal« gebrandmarkt. Alle in- und ausländischen Bühnen ordnungsgemäßen Sinnes hielten sich scheu vor ihm zurück. »Benvenuto Cellini« schien abgethan für immer. Im Hinblick auf Deutschlands schweigsames Verhalten gegen den Komponisten, der wie kein anderer Franzose symphonisch sich an Beethoven erstarkt hatte, nannte einer unserer biographischen Vorgänger1 das Eingreifen Liszt's mit Recht »einen feierlichen und energischen Protest gegen das gänzliche Ignoriren und Verkennen eines dem deutschen Genius so nahe verwandten Künstlers.« Liszt stellte den »Benvenuto Cellini« so hoch, daß er ihn mit Überzeugung einen »zweiten Fidelio« nannte,2 hiermit aber zugleich andeutete, in welchen Bahnen bezüglich der formellen Konception und Durchführung sich Berlioz im Gegensatz zu Wagner bewege.

Die erste Aufführung des »Cellini« – mit deutschem Text von A.F. Riccius – erfolgte am 20. März 1852.3 Ihr reihten sich noch im selben Jahre mehrere Wiederholungen an: am 27. (24.?) März, 17. April und, der Anwesenheit des Komponisten zu Ehren: am 17. und 21. November. Liszt dirigirte sämmtliche Aufführungen, die aber an seinen Taktstock gebunden schienen;4 denn sie fanden keine Folge und erst spät in den 1880er[75] Jahren, nachdem H.v. Bülow die Initiative für Berlioz ergriffen hatte, erinnerten sich einzelne Städte (Karlsruhe, Leipzig, Dresden, München) an Liszt's Vorgehen und folgten ihm mit »Cellini« nach – nun mit Pomp, Sicherheit und Erfolg.

Die Vorurtheile, welche jetzt ohne Kampf besiegt, damals unüberwindlich dem großen Dramatiker entgegenstanden, wurden fort und fort von der auf dem Geleise der Gewohnheit sich bewegenden Kritik auf das hartnäckigste genährt. Sie verwandelte jeden Versuch, selbst jeden Erfolg, in einen Mißerfolg.

Ein gleiches Geschick widerfuhr den symphonischen Werken Berlioz'. Seine deutsche Reise vom Jahr 1843 hatte das Programmgespenst –le spectre rouge – erzeugt, das jetzt (1852), als Liszt eine Einladung Berlioz' seitens des Hofes angeregt, eine Berlioz-Woche veranstaltet und dieser seine »Faust«-Musik5 und »Roméo und Julie-Symphonie«6 aufgeführt hatte, von neuem herumspukte. Die Worte »Zukunftsmusik«, »Programm-Musik« wirbelten in der Presse umher, wie Spreu in einer Windsbraut. Es war eine heillose Verwirrung. Mit der Vorführung jedes neuen dieser Richtung angehörenden Werkes mehrte, ja steigerte sie sich wohl auch dazwischen, gleich dem berüchtigten bayreuther Schopenhauerdisput, bis zum Schoppenhauer – wenn auch nur literarisch.7 Außer den genannten in der Berlioz-Woche vorgeführten Symphonien brachte Liszt (1851) die »Harold-Symphonie«, die Ouvertüren »Die Vehmrichter«, »König Lear« (2 mal), »Waverley« und »Le Captive« zu Gehör. Bei einer zweiten Berlioz-Woche (1855) folgten, dirigirt vom Komponisten: die Trilogie »Die Kindheit des Herrn«, die»Symphonie fantastique«,8 und ihre Fortsetzung: die Symphonie »Le Retour à la vie«.

Der »Harold-Symphonie« widmete Liszt eine Besprechung reichen Inhalts.9 In ihr legte er seine Auffassung und Ideen[76] über »Harold«, verflochten mit einer Darlegung und Beleuchtung der Aufgabe der Programm-Musik, gleich seinen Wagner-Aufsätzen in der hohen Sprache des Genies nieder, das berufen ist die Zeichen der Zeit zu verstehen und ihnen die Erklärung zu geben.

Dem Aufsatz über die Harold-Symphonie war ihre Bearbeitung als Klavier-Partitur, nebst anderen Übertragungen, welcher wir schon früher gedachten,10 voraus gegangen.

Mit der Aufführung des »Cellini« und den symphonischen Schöpfungen des Meisters folgte Liszt dem sympathischen Zug, der ihn, noch Jüngling, zu seinem Bekenner gezwungen hatte. Dabei hoffte er angesichts des durch ihn erreichten Sieges Wagner's, mit seinem Eintreten für Berlioz dem von der Welt verkannten Freund Genugthuung zu geben und Genugthuung zu gewinnen. Diese Absicht aber wollte sich nicht ganz erfüllen, auch nicht ihr persönlicher Theil. Zweifellos litt Berlioz unter dem immer weitere Dimensionen annehmenden Vordringen Wagner's und litt umsomehr, je stärker er die vom Flügelschlag des Wagner'schen Genius erzitterte Luft um seine Schläfe fühlte, ohne sich zu sagen, woher sie komme. Während der zweiten Berlioz-Woche (1855) führte Liszt dem Freunde – an einem Vormittag – »Lohengrin« vor. Berlioz saß mit der Partitur in einer Loge und las eifrig nach. Bei der Schwanenscene aber schlug er sie heftig zu und verließ die Loge.11 Später ließ er sich auf[77] der Altenburg als krank entschuldigen. Anderntags war er, mißmuthig, mit der Fürstin allein. Zartfühlend umging sie jede Berührung des wunden Fleckes, suchte aber den in seinem Ehrgeiz gekränkten Meister auf seinen eigenen Genius hinzudrängen. Er trug sich damals mit dem Projekt seiner »Trojaner.« Die Fürstin wußte ihn so sehr zu diesem zu ermuthigen, auch: das Libretto selbst zu schreiben, daß Berlioz entflammt an das Werk ging und in Dankbarkeit an diese Stunde die Partitur, Musik und Text von ihm, der Fürstin dedicirte.

Liszt's inniges Bemühen, Berlioz und Wagner zu einer gegenseitigen Würdigung zu verhelfen, gelang es nur annähernd. Wagner behielt Recht mit der Bemerkung: »mich wird er nie recht kennen lernen; die Unkenntniß der deutschen Sprache wehrt ihm dies; er wird mich immer nur in trügerischen Umrissen sehen können. So will ich denn mein Vorrecht ehrlich gebrauchen, und ihn desto näher mir zuzuführen suchen.« Wie schwer es dagegen dem französischen Meister ward, sich »zuführen« zu lassen, geht aus der Thatsache hervor, daß, nachdem ihm Wagner eines der ersten Exemplare der im Druck beendeten »Tristan«-Partitur mit der Widmung:


Ȉ Romeo et Juliette,

Tristan et Jseult«


zugesandt hatte, es mehrerer Wochen bedurfte, ehe er Notiz davon nahm.12 Ja, als einer seiner eifrigsten literarischen Befürworter13 die drei großen Komponisten der Zeit – Wagner-Liszt-Berlioz – in dem Wort »Triumviren« zusammenfaßte, protestirte Berlioz gegen die Zusammenstellung mit Wagner.

Berlioz verbitterte. Gegenüber Liszt schien er nie mehr so ganz über das Gefühl hinausgekommen zu sein, daß er es[78] gewesen, der, wie er glaubte, »seinem Nebenbuhler«, dem von ihm unterschätzten deutschen Meister den Weg zur Öffentlichkeit gebahnt hatte. Damals in Weimar zeigte sich sein Wesen gegen Liszt gedrückt. Dieser begleitete ihn noch nach Leipzig, aber Berlioz erfrischte nicht. Wollte auch der ursprüngliche Ton seinen Klang nicht mehr finden, so war ihr Scheiden doch ein freundschaftliches und ihre Beziehungen blieben ungelöst.

Fußnoten

1 W. Neumann (Pseudonym: Busenius) »Die Komponisten der neueren Zeit in Biographien geschildert«. Cassel, Balde 1855. 16. Theil, S. 114.


2 »Ges. Schriften« III/1. Bd., S. 14.


3 Die Solisten dieser 1. Aufführung des »Cellini« waren:


Herr BeckBenvenuto Cellini,

Herr MayerhoferSchatzmeister,

Herr Mildeder Bildhauer Fieramosca,

Herr HöferKardinal Salvati,

Herr KnoppKünstler aus Cellini's Werkstätte,

Herr GrambachKünstler aus Cellini's Werkstätte,

Herr FrankePompeo,

Herr SchmeißerSchänkwirth,

Frau MildeTeresa,

Frl. WolfAscanio.


4 Liszt dirigirte den »Cellini« 5 mal – den Kömischen Karneval (die Ouvertüre zum II. Akt) 6 mal.


5 Am 20. Nov. 1852; von Liszt wiederholt am 3. Febr. 1853.


6 Ebenfalls von Liszt wiederholt.


7 Als ein hierhergehöriges »klassisches Traktat« sei auf Rich. Pohl's (Hoplit): »Die Niederrheinische Musikzeitung in der Schulprüfung. Eine katechetische Übung« hingewiesen, (»N.Z.f.M.« Bd. 38 Nr. 20). – Desgl. auf seine Reisebriefe: »Vom Aachener Musikfest« (1867). Ges. Schriften etc. R. Pohl. II. Bd. (Leipzig, Schlicke 1883).


8 I. Bd. d.W.S. 186 u.f.


9 »Ges. Schriften« IV. Bd. 1882. – Separatausgabe: Nr. 35/36 der »Musik-Vorträge«, herausgegeben von Graf Waldersee. – Vordem: »N.Z.f.M.« 1855, hier ohne Notenbeispiele, die ich bei Herausgabe der Ges. Schriften mit des Autors Zustimmung hinzufügte. Den Aufsatz selbst hatte Liszt bereits 1850 für ein französisches Journal geschrieben, wurde aber als»trop élogieux« zurückgewiesen.


10 I. Bd. S. 288. Nach einer daselbst gemachten Bemerkung ging das MS. der Übertragung verloren. Im Jahr 1877 jedoch stellte es sich bei Liszt (damals in Weimar) in Form von Korrekturbogen ein, die ihm von Paris aus zugesandt wurden und denen alsdann erst eine Aufrage von C. Sander, den Verlag betreffend, folgte.

Die Partition de Piano von Harold en Italie erschien 1880 bei Schlesinger (Ph. Marquet & Co.) zu Paris und C. Sander (Leuckart) zu Leipzig.


11 Es kursirte, darauf: Berlioz sei in den »Erbprinzen« gestürzt und habe sich mit Henry Litolff – dem Herausgeber des Klavierauszugs des »Cellini« – bei einer Flasche Wein erholt. Nach der Probe sei Liszt mit Cornelius und erschienen Lassen, um Beide zum Diner abzuholen. Ein Meinungsstreit sei über Wagner's Werth entstanden, wobei heftigste Worte gefallen, bis Liszt mit dem Zuruf: »Er steht doch weit höher als Ihr Beide zusammen!« das Gastzimmer verlassen habe.

Liszt hat mir diese Scene nicht verneint, aber die ihm in den Mund gelegten Worte entschieden dementirt.


12 Als H.v. Bülow, der dieses Faktum miterlebt, einige Zeit danach Berlioz um sein Urtheil fragte, antwortete dieser: »Je n'y comprend rien!«


13 R. Pohl.

Quelle:
Ramann, Lina: Franz Liszt. Als Künstler und Mensch, Band 2.2, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1892.
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