V.

Fr. Liszt's bahnbrechende und reformatorische Thätigkeit als Dirigent. (III.)

Robert Schumann.

»Genoveva«. Erstmalige Aufführung des »Manfred«. Die von Liszt in Weimar aufgeführten Werke Schumann's. Liszt's Schumann-Artikel. Rob. und Clara Sch.'s Antipathie gegen die Bestrebungen Liszt's. Clara Schumann und die Schumannianer gegen Liszt. Letzterer für Schumann.


Aber nicht allein Hector Berlioz, auch Robert Schumann konnte nicht überwinden, daß Liszt das neue Gestirn dem Gewölk der Zeit entrissen, nach Beider Ansicht wohl mehr erfunden hatte. Wie Berlioz den »Cellini«, hatte Schumann die »Genoveva« in die Wagschale zu werfen, das Werk, von dem er gehofft, daß es der Oper neue Gesichtspunkte darbieten, ihr eine Reform anbahnen, wenn nicht gar ein neues Geleis ihr legen werde. Die »Genoveva« aber war nach dreimaliger Aufführung in Leipzig (1850)1 nicht nur ad acta gelegt worden, sie hatte auch keinen Widerhall gefunden.2 Nach alle dem klang der Jubelruf um »Tannhäuser« und »Lohengrin« wie ein beleidigender Lärm an sein Ohr, und er konnte mit dem Dichterwort ausrufen: »Ich verstehe die Welt nicht mehr!«

[80] Liszt's Vorgehen in Weimar – sein Komponiren inbegriffen – war Schumann unsympathisch, ja zuwider, ebenso wie ihm die Individualität des großen Bahnbrechers von Jahr zu Jahr unverständlicher geworden war.3 Doch beeinflußte dieses weder Liszt's freundschaftliche Gesinnung für ihn, noch sein propagandisches Princip gegenüber seinen Schöpfungen. Dabei hegte er die Hoffnung, Schumann mit der Zeit doch noch den von ihm vertretenen Ideen geneigt zu finden, überhaupt, daß es ihm gelingen werde, die bedeutendsten der zeitgenössischen Komponisten zu einer Solidarität im Princip zu verbinden, vor allem gegenüber dem dramatischen Princip der Oper, und dem dichterischen Princip der symphonischen Kunst. Hierin aber lag sein großer Irrthum. Was Schumann betrifft, so nahm er mürrisch, mißtrauisch und doch voll Drang nach Erfüllung, Liszt's Annäherung und Bestreben seinen Werken Eingang zu verschaffen auf, worüber seine Briefe an Freunde manche Bemerkung enthalten.

Von seinen Werken, welche Liszt in Weimar aufführte, steht der »Manfred« oben an. Nach des Komponisten Wunsch führte er ihn dramatisch in Scene auf.4 Drei Mal – das erste Mal am 13. Juni 1852 – ging er solchergestalt über die Hofbühne. Allein ebenso, wie die »Cellini«–, blieben diese »Manfred«-Aufführungen auf Jahrzehnte hinaus die einzigen dieses bedeutsamen Werkes, von dem sich heute noch nicht sagen läßt, ob es in seiner dramatisch-dichterisch und musikalischen Verbindung zu einer melodramatischen Oper – wenn diese Bezeichnung zu gebrauchen erlaubt ist – nicht vielleicht die Bestimmung in sich trage, Vorläufer einer Kunstgattung zu werden, welche das sprachmelodische Princip zur Voraussetzung hat, und einer zukünftigen Generation die Stelle der gesungenen Oper vertreten wird. – Auch der »Genoveva«, die mehr Symphonie als Oper, stand Liszt mit einer Aufführung am 9. April 1855, welcher noch mehrere nachfolgten, zur Seite.

Mit der Ouvertüre war er schon 1850 in einem Theater-Koncert vorangegangen, zur Zeit, als die »Genoveva« in Leipzig ihren succés d'estime als einzigen ihrem Schöpfer gezollten Tribut entgegennahm. Zu ihr gesellten sich, in gleichfalls mehrmaliger Aufführung, die Ouvertüren zu »Manfred« und zur »Braut[81] von Messina« (29. Nov. und 20. Dez. 1855), die Symphonien in B und in D, das Hörner-Koncert, »Faust's Verklärung« (Göthe-Feier 1849) und endlich »Paradies und Perl«.

Mit der Feder sprach Liszt in mehreren »Rob. Schumann« überschriebenen Aufsätzen5 gleichfalls für ihn. Wie damals angesichts seiner Erstlingswerke,6 zählte er jetzt zu den Vorgehern, die sein Gesammtschaffen ins Auge faßten und ein Gesammtbild seiner Thätigkeit in bedeutsamster Weise entwarfen. Den Kritiker und bahnbrechenden Geist vor allem legte er in theils eingehenden, theils allgemeinen Zügen dar – die Linien klar und unverwischbar, wie Diamantschrift in Krystall; der Darlegung des Komponisten aber fühlt man ab, daß Ungesagtes hier mehr bedeute als das Gesagte. Auch folgt er ihm nur bis zur Grenze der noch nicht edirten Partituren, dabei mit jener Einschränkung, welche die Ahnung des unglücklichen Zustandes Schumann's gebot.

Diesen Artikeln war eine Charakteristik Clara Schumann's, veranlaßt durch ein von Liszt dirigirtes Schumann-Koncert in Weimar (27. Okt. 1854), in welchem sie das A-moll-Koncert interpretirt hatte, vorausgegangen.7 Es läßt sich nichts Anmuthigeres denken, als diese Schilderung der seltenen Künstlerin, die ihrem Gatten gläubig in die inneren Tiefen seines Genius folgte, Muse und Sybille zugleich ihm war und dabei die Eigenthümlichkeit mit ihm theilte, exklusiv in der einen Richtung Leben und Kunstheil zu fühlen. Nie ist das Bild einer Künstlerin edler, wärmer und höher geprägt, nie ihrer Grenze objektivere Schonung, und diese im liebenswürdigen Schimmer der Poesie, zu Theil geworden, wie hier.

Allein die Bestrebungen Liszt's fanden keinen oder wenig Anklang, weder bei den Gegnern der Weimaraner Kunstvorhut,8 noch bei Schumann selbst. Er, Robert, dessen große Natur vormals kleinlichem Verkennen so abgeneigt war, stand verloren in sich, zu sehr unter seinem sich nahenden Verhängnis, um einen Geist, wie Liszt, objektiv würdigen zu können – und sie, Clara,[82] hatte sich als liebendes Weib zu sehr über die denkende Künstlerin erhoben, um sich nicht von jedem, der nicht unbedingt und ausschließlich dem Genius ihres Gatten huldigte, unwillig abzuwenden. Die Weimaraner Schumanniania war herzlichste Gerechtigkeit, kein Kultus. Die mangelnde Atmosphäre des letzteren empfand sie jedoch als persönliche Kränkung.

Diese Stimmung Beider gegen Liszt verleugnete sich selbst nicht im persönlichen Verkehr. Bei einem Besuch, den Liszt in Düsseldorf (1853?), wohin er die Fürstin begleitete, die mit ihrer Tochter die Gemäldegallerie besichtigen wollte, Schumann abstattete, zeigte sich das Wesen des letzteren in seiner ganzen Abnormität. An einem Vormittag machte Schumann seine Gegenvisite und Liszt stellte ihn der Fürstin vor. Versunken in sich, scheiterte jeder Versuch, ihn zu einer Konversation zu bringen. Denselben Nachmittag war Liszt nebst der Fürstin und deren Tochter bei Schumann's. Clara bewegte sich unfrei, »verzwickt« nannte es die Fürstin. Auch andere Künstler waren zugegen – Clara spielte, dann Liszt. Letzterer hatte sein Koncert-Solo im Manuskript mitgebracht. Schumann saß hinter seinem Stuhl, ihm die Notenblätter zu wenden. Schon bei der zweiten Seite wurde er unruhig und schob sich mit seinem Stuhl zurück, immer weiter zurück. Als Liszt sich nach ihm umwandte – siehe da! war Schumann verschwunden! – –: er saß auf seinem Stuhl vor der Thüre ...

Wie dann Frau Schumann in Weimar auftrat, kam ihr die Fürstin in freundlicher Gesinnung mit einigen Aufmerksamkeiten entgegen, die sie aber schroff zurückwies. – Nach ihres Gatten Tod brach ihr Groll unbehindert los, alle Schleusen offen, ohne sich je wieder zu schließen.9 Von diesem Moment an wurde die sogenannte Schumann-Partei Liszt-gegnerisch bis über des letzteren Grab hinaus; sie wurde es nicht allein bezüglich seiner Kompositionen, sie wurde es auch bezüglich der pianistischen Wiedergabe und Auffassung der Werke Schumann's u.A. seitens Liszt's und seiner Jünger, von der sie behauptete: sie sei falsch.[83]

Derartige Strömungen hemmten im großen Ganzen Liszt's Vordringen, aber beeinflußten nicht sein künstlerisches Urtheil und seine thätige Freude gegenüber den Werken seiner Kunstgenossen. Gegen Wagner äußerte er über diesen Punkt:10 »Mehrere meiner näheren Freunde, Joachim z.B., und früher Schumann und andere, haben sich meinen musikalischen Gestaltungen gegenüber fremd, scheu und ungewogen gestellt. Ich verübele ihnen dies keineswegs und kann es nicht entgelten, da ich stets ein aufrichtiges und eingehendes Interesse an ihren Werken mitempfinde.«

Letzteres aber bewahrte Liszt vorzugsweise den Kompositionen der ersten Schaffensperiode Schumann's.

Fußnoten

1 Die erste Aufführung am 25. Juni 1850 dirigirte R. Schumann. Anwesend waren Liszt, Spohr, Meyerbeer, Hiller u.A.


2 Nichtsdestoweniger wollte Schumann dennoch das Schicksal bezwingen und der »Genoveva« eine zweite Oper nachsenden. Es ist noch wenig bekannt, daß er kurz vor seinem Tode sich mit einer Nibelungen-Oper trug, die Textdichtung von Luise Otto (s. »N.Z.f.M.« 1845). Die Unterhandlung mit der Dichterin brach sein jähes Ende ab.


3 Siehe II/1. Bd., S. 72.


4 Die Titelrolle ausgeführt von Hofschauspieler Graus.


5 (1855, »N.Z.f.M.«). Liszt's Ges. Schr. IV. Bd.


6 I. Bd. d.W., S. 348. – Liszt's Ges. Schr. II. Bd.: »Kompositionen für Klavier von R. Schumann«.


7 (1854, »N.Z.f.M.«) – Liszt's Ges. Schr. IV. Bd.


8 S. Niederrh. Musikzeitung (1855): »Die musik. Kritik unserer Zeit« von Anton Schindler.


9 Als Clara Schumann eine Gesammtausgabe der Werke ihres Gatten herausgab, erschien sogar – was sich kaum als zufällig annehmen läßt – die s. Z. Liszt gewidmete Phantasie opus 17 ohne Widmung. Sein Name war getilgt.


10 »Briefwechsel« etc. II. Bd., Nr. 238.

Quelle:
Ramann, Lina: Franz Liszt. Als Künstler und Mensch, Band 2.2, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1892.
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