19.

Zum zweiten- und drittenmale.

[218] Wer kennt nicht die alte deutsche Volkssage von Dr. Johann Faust – jene merkwürdige Sage, die Göthe so herrlich benutzt hat? Zwei Volksbücher behandeln sie ursprünglich: »Georg Rudolph Wiedemann, die wahrhaften Historien von gräulichen und abscheulichen Sünden und Lastern[218] u.s.w., so Dr. Johannes Faustus getrieben,« gedruckt zu Hamburg 1599, und: »Das ärgerliche Leben und schreckliche Ende des vielberüchtigten Erz- und Schwarzkünstlers Dr. Johannis Fausti u.s.w. durchJoh. Nicolaum Pfitzerum med. doct. Nürnberg. 1695.«

Unstreitig verdient diese Erzählung unter allen tragischen Sagen des deutschen Volksbuches die größte Aufmerksamkeit. Sie verdient sie, theils wegen der tiefen Idee, die in ihr verhüllt ist, theils eben weil sie den Stoff zu der originellsten Schöpfung unseres größten Dichters hergegeben hat.

Während wir in den beiden anderen tragischen Sagen, der vom Fortunat das Unglück des weltlichen Glücks, – im ewigen Juden aber die tiefergreifende Idee einer Unsterblichkeit, der die Ruhe und der Frieden des Herzens mangeln, durchgeführt finden, stellt uns die Sage vom Faust die innere Entzweiung und den inneren Kampf des Menschen zwischen Gut und Bös, zwischen Geist und Natur, die Verirrung der menschlichen Freiheit in das Böse mit schaudererregender Größe dar. Der Menschengeist, an der Unzulänglichkeit der eigenen geistigen Offenbarung irre geworden, verzweifelnd an der eigenen Kraft, und der allzumächtig anstürmenden Sinnlichkeit nicht mehr Herr, ergiebt sich derselben, d.h. – der Sage nach – dem Teufel, um von ihm Befriedigung seiner Gelüste, seines dunkeln Strebens zu erlangen.

Dies ist die großartige Idee, welche in dem Volksbuche von Dr. Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt anschaulich gemacht werden soll, und die Göthe in seinem Faust so durchgeführt hat, nur noch verklärt durch den endlichen Sieg des Göttlichen im Menschen.

Aber diesen Kampf, hat ihn denn nicht jeder Mensch mehr oder weniger durchzukämpfen? muß er daher nicht auch eben soweit verbreitet sein, als nur Menschen wohnen und walten? und so treffen wir denn auch in der That bei den Spaniern, Italienern, Engländern und Franzosen auf ähnliche Sagen, die freilich die Individualität jedes Volkes anders gestaltet hat.73

Aber, wie gesagt, jeder Mensch führt ja, mehr oder weniger, die Sage bei und in sich selbst durch; – er hat, wie[219] »Robert der Teufel« seinen Bertram auf der einen, seine Alice auf der andern Seite stehen, das gute und das böse Princip, und jedes von beiden will ihn zu sich heranreißen. Es ist der alte, Welt und Menschen zerklüftende Dualismus, der freilich vor dem ruhigen und klaren Blick der Vernunft in Nichts zerfällt.

Auch Mozart, so durch und durch edel er war, hatte in der Zeit seiner Kraft und Blüthe – wie wir wissen – gar manches schwache Stündchen, in dem er sich zwar nicht dem Teufel verschrieb, wohl aber den Lockungen der Sinnlichkeit vielleicht hie und da etwas zu viel nachgab. Aber sein gutes, wirklich kindlich-gutes Herz und seine Alice, d.h. sein treues Weib Constanze, führten ihn immer wieder auf den rechten Pfad zurück. Es waren kleine nebelhafte Verhüllungen der Sonne, die so göttlich schön in ihm strahlte; – menschliche Schwächen, die hie und da den kühnen, nach oben gerichteten Flug seiner Seele hemmten, die aber auch gar oft wieder gerade ein Antrieb zum Fluge waren. Nehmt diese Schwächen weg – und Mozart ist nicht mehr Mozart; streicht sie aus seinem Leben, und ihr habt seine Schöpfungen um tausend und abertausend Schönheiten ärmer gemacht.

Es giebt keinen Sterblichen, der nicht in seinem Innern Keime menschlicher Schwächen trüge, und in jedem Verhältnisse giebt es Anregungen und Reize die Menge, welche diese Keime wecken, befruchten und entfalten. Um aber diesem Wachsthum – das ja bei jedem Unkraut, besonders den Giftpflanzen, schnell und üppig zunimmt – zu wehren, verlieh uns Gott Dreierlei: einmal das Auge des Geistes, die Vernunft, die namentlich durch die Erfahrungen des Lebens einer großen Ausbildung fähig ist; dann die untrügliche Stimme des Gewissens, das in unserer Brust an des ewigen Richters Stelle zu Gerichte sitzt und vor jedem Unrecht warnt, und endlich: das innige Gefühl unserer Abhängigkeit von dem Ewigen, die Religion.

Religion hatte Mozart immer in seinem Herzen getragen, und zwar vor allen Dingen ....... die Religion des Schönen, Guten und Edlen. Hing doch seine Seele wie ein Kind so schlicht, so natürlich, so hingegeben warm an diesen drei himmlischen Genien, die ihm unbedingt das Höchste waren, und welche die Liebe – die wirklich unbegrenzte Liebe und Güte gegen alle Menschen – noch mit ihrem Sonnengolde[220] überstrahlte. Nach außen war er Katholik, d.h. er gehörte der katholischen Kirche an und achtete sie; aber es war ihm von der äußerlichen Religiosität durch das Leben, wie er oft selbst sagte, viel abhanden gekommen.

Mozart betete in seinen herrlichen Schöpfungen und war Christ – im edelsten Sinne des Wortes – durch sein kindlich-frommes Gemüth. Darum beruhigte er sich auch, so lange er kräftig und lebensfroh dastand, bei seinen kleinen Verirrungen und Schwächen mit der Absolution seines Gewissens und jener seiner guten Constanze, der er ja in der That alle seine kleinen Sünden beichtete, und die auch immer liebevoll vergab.

Anders aber gestaltete sich die Sache nach einiger Zeit. Seit einem halben Jahre hatten die physischen Kräfte des edlen Maestro merklich abgenommen. Was einst die Mannheimer Freunde vorausgesagt, was alle späteren Freunde, was seine Frau ihm tausendmal wiederholt: daß er sich durch das viele Arbeiten während der Nächte ruiniren würde, bewährte sich jetzt, und doch konnte Mozart noch immer diese unselige Gewohnheit nicht lassen. Die nächtlichen Arbeiten waren es indessen nicht allein, was seine körperliche und geistige Gesundheit mit der Zeit so völlig untergraben, daß jetzt der Körper ernstlich siechte und den Geist gar oft eine unheilvolle Melancholie zu überschatten anfing. Dies Werk der Zerstörung hatten zumeist die nicht endenwollenden Sorgen und das niederdrückende Gefühl des Verkanntwerdens fertig gebracht.

Früher freilich schüttelte Mozarts heiterer, lebenslustiger Geist, im Gefühle der eigenen Kraft und im Bewußtsein der ihm innewohnenden schöpferischen Fülle, alle Sorgen leicht ab. Welt und Leben lagen ja noch vor ihm – er fühlte, was er war, was er leisten konnte, wie hoch er über allen Musikern seiner Zeit stehe .... es konnte ihm ja nicht fehlen, einmal mußte das Verdienst siegen, einmal mußte ihm Gerechtigkeit werden!!

Aber Jahre auf Jahre vergingen, – er hatte der Welt Meisterwerke gegeben, die einzig in ihrer Art dastanden; – Werke, das fühlte er selbst, die ihn unsterblich machen mußten, .... und doch .... er blieb fast unbemerkt, ewig angefeindet, ewig den Intriguen der erbärmlichsten Menschen ausgesetzt, nie vollkommen durchdringend, ohne Anerkennung von oben, ohne eine seiner würdigen Anstellung, ohne jemals in finanzieller[221] Beziehung nur dahin gelangen zu können, wenigstens von Nahrungssorgen frei, mit voller, heiterer Seele und in dem Bewußtsein einer ruhigen Zukunft schaffen zu können. Und doch! und doch! welche theils ganz unbedeutenden, theils erbärmlichen Seelen machten vor seinen Augen die glänzendsten Carrieren, standen reich, angesehen, hoch geehrt in der Welt und schauten vielleicht noch mitleidig lächelnd auf ihn herab!

Das war der Wurm, der an seiner Seele nagte, und die Blüthe seines körperlichen und geistigen Lebens zerfraß! ... nicht Neid, nicht Mißgunst ..... die kannte Mozart nicht; aber .... niedergeschmettertes Selbstbewußtsein, tief gekränktes Ehrgefühl und der Gedanke ..... daß er all' das Herrliche, was er unter günstigeren Lebensbedingungen hätte leisten können, .... so nicht zu vollbringen vermöge! Daher der Trübsinn, der ihn mehr und mehr überschlich und in dessen Gefolge ihm auch die furchtbare Idee kam, die ihn nie mehr verließ: er sei von einem seiner Feinde vergiftet!

Sein Kopf war es dabei besonders, der litt. Der Ueberreiz der Nerven durch Schaffen, Sorgen, und dann wieder gewaltsame übertriebene Zerstreuungen griffen sein Gehirn an, und doch war seine geistige Aufregung nie größer gewesen, als eben jetzt. Eine gewisse Unruhe hatte sich seiner bemächtigt; unaufhörlich sprach eine innere Stimme in ihm: »Du lebst nicht mehr lange!« und diese Stimme fand durch den zeitweisen Blutzudrang nach Herz und Kopf, oder durch die Ohnmachten, die ihn oft bei seiner Arbeit überraschten, ihre bedeutungsvolle Bestätigung.

So war Mozart in der letzten Zeit ernster und ernster geworden, obgleich es Tage und Stunden gab, wo er auch seine ganze frühere Heiterkeit fand. Aber früher war die Heiterkeit Regel, und jede andere Stimmung Ausnahme, – jetzt war umgekehrt eine ernste, fast trübe Weise zur Regel geworden und die Ausnahmen machten nur Streiflichter der Heiterkeit.

Mit dieser Stimmung, mit diesen ewigen Todesmahnungen überkam ihn aber auch in musikalischer Beziehung eine dunkle Sehnsucht nach irgend einer ernsten, großartigen, gewaltigen, zur Ewigkeit und Unsterblichkeit hinanreichenden Leistung. Die Gedanken: Gott, Ewigkeit, Unsterblichkeit beschäftigten seinen Geist jetzt ohnedem oft, wenn der knöcherne[222] Arm des Todes aus der Tiefe des Grabes heraufgriff und den Schleier, der dieses so wohlthätig für uns bedeckt, ein wenig lüftete. Kein Wunder war es daher, daß ihn die Bestellung des Requiem im Anfange etwas verblüffte; – kein Wunder, daß er, bei seiner nervösen Aufregung, in der rätselhaften Sendung einen höheren Wink erblickte: die Fülle seiner Gefühle, den gewaltigen innern musikalischen Drang in einer ganz großartigen Kirchenmusik auszudrücken und darzulegen. Der Componist, der Mensch, der Christ und der Katholik fanden in diesen Gedanken eine gewisse Beruhigung.

Aber Mozart sollte vor der Hand doch noch nicht zu dieser Arbeit kommen. Einmal war die »Zauberflöte« noch nicht vollständig componirt, und dann erhielt der große Meister jetzt auch noch den ehrenvollen und vortheilhaften Antrag, für die Prager zur Krönung des Kaisers Leopold die Opera seria: »La Clemenza di Tito« zu schreiben.

Es versteht sich von selbst, daß er den Antrag annahm; Constanze und die Freunde hofften dabei sehr viel von der Reise nach der ihm so theuern Hauptstadt Böhmens, wo er erst vor wenigen Jahren mit Bondini's, Duschecks und den Uebrigen bei Gelegenheit der Entstehung und Aufführung »Don Juans« so glückliche Tage verlebt. Schon die Luftveränderung mußte wohlthätig wirken, und damit sich Mozart nicht allzusehr anstrenge – die für die Composition der Oper gegebene Zeit war sehr kurz – sollte Freund Süßmayer mitreisen und mithelfen.

Die Sache verhielt sich wie folgt: Metastasio's Gedicht war, seiner ursprünglichen Form nach, dem Rahmen und den Verhältnissen einer modernen Oper nur wenig entsprechend, indem es wenig Handlung durch drei Acte mühsam hindurch schleppte und Nichts, als eine Reihenfolge von Arien und Recitativen enthielt.

Das war nun für Mozart eine schlimme Sache. Sollte die ganze Oper nicht unendlich werden, mußte das Libretto vor der Composition umgearbeitet wer den. Aber wer sollte das thun? Endlich fand sich Signor Marroli, Hofpoet des Kurfürsten von Sachsen, der es denn auch übernahm und unter der unmittelbaren Leitung Mozarts ausführte. Man unterdrückte den zweiten Act, als für die Handlung unnöthig; knüpfte den ersten an den dritten mit einigen Bruchstücken[223] dessen an, der ausgemerzt worden war; und um die Einförmigkeit der auf einander folgenden Recitative und Arien zu unterbrechen, vereinigte man mehrere Scenen in dem Final-Quintette des ersten Actes, dem Hauptstücke des Werkes, welches wir daher Mozart zweifach verdanken: einmal, weil er es war, welcher den poetischen Stoff vorbereitete, und dann, weil er es wieder war, der die Partitur desselben schrieb.

Mittelst dieser Abkürzungen gewann nun der Text des »Titus« sehr viel an Schnelligkeit und Interesse; die kreuzenden Partieen der vier Liebenden, – welche sich stets bei Metastasio vorfinden, – wurden weniger schleppend, und was das Wesentlichste ist, man führte in die Oper die Ensemble-Scenen ein, die immer so günstig für die Entwicklung der großen Effecte der Bühnenmusik sind.

Aber! .... diese Umarbeitung hatte wieder Zeit gekostet und nun blieben Mozart für die Composition der ganzen Oper – nur achtzehn Tage! – – –

Achtzehn Tage zu einer Tonschöpfung wie der »Titus!« ....

Was war da zu machen? – Ja, wäre Amadeus noch der Alte gewesen, noch so rührig, noch so lebenskräftig, von solcher Elasticität an Körper und Geist, wie er es vor vier Jahren gewesen, da er den »Don Juan« schuf! ... aber .... Mozart fühlte, daß es nicht mehr so sei. Seine immer mehr abnehmenden Kräfte machten es ihm klar, daß die Sache für ihn unmöglich wäre, wenn er es unternehmen wollte, das ganze Werk in Mozartschem Style zu schreiben. Zwischen dieser traurigen Ueberzeugung und der gebieterischen Verpflichtung eingeengt, sah er sich in die Alternative versetzt, entweder ein mittelmäßiges Ganzes zu liefern, oder die Zeit und die Kräfte, die ihm geblieben waren, für einige auserwählte Scenen aufzusparen und den übrigen Theil des Geschäfts im laufenden Style der italienischen Musik abzufertigen.74

Was ihn hierfür aber mit bestimmte, war die eigenthümliche Unruhe und Sehnsucht an die Composition des Requiems zu kommen. Etwas ihm Unerklärliches zog ihn, wie mit Geistergewalt, an diese Arbeit. Er sehnte sich nach derselben, und doch durchfröstelte ihn manchmal ein leiser Schauer, wenn er an dies Todtenopfer dachte. Uebrigens hatte er ja auch [224] hier eine große Verpflichtung übernommen. Denn bald nachdem der räthselhafte, bleiche, in tiefe Trauer gehüllte Bote zum erstenmal dagewesen, erschien er zum zweitenmale, und brachte nicht nur das bedungene Honorar mit, sondern auch das Versprechen einer beträchtlichen Zulage bei Uebergabe der vollendeten Partitur, da Mozart bei seiner Forderung zu billig gewesen sei. Uebrigens – setzte der Bote auf seine ernste und kurze Weise hinzu – möge er ganz nach der Laune seines Geistes arbeiten. Doch solle er sich gar keine Mühe geben, den Besteller zu erfahren, indem es gewiß umsonst sein werde.75

Bei Mozarts krankhafter Stimmung, bei der Aufgeregtheit seines Geistes, bei der Unruhe, die ihn so oft erfaßte und der Melancholie, die ihn mit dem Gedanken einer Vergiftung quälte, mußte dies räthselhafte Auftreten des – eine Seelenmesse bestellenden – Boten ganz natürlich tief ergreifend auf ihn einwirken. Mozart war dabei, wie schon erwähnt, Katholik; das religiöse Element, welches das bewegte Künstlerleben während der Zeit seiner vollen Kraft zurückgedrängt – trat jetzt wieder mehr in den Vordergrund; – die Kirche blickte ernst auf ihren Sohn, der, seit seiner Kindheit, fast nichts für sie gethan. Vielleicht war die Bestellung des Requiem ein Wink, sein eminentes musikalisches Talent auch einmal dem Ewigen, dem Göttlichen – der, dieses Ewige und Göttliche auf Erden vertretenden Kirche zu weihen. Und – wenn er vergiftet war, wie er glaubte, stand dann nicht auch für ihn das Grab offen; – und dann – was lag hinter dem Grab? Dieselbe Kirche schmetterte bei diesem Gedanken ihm ihr: »Dies irae, dies illa!« entgegen. Auch Mozart fühlte sich Mensch, mancher Thorheiten bewußt, und: »Dies irae, dies illa!«

»Die Bestellung des Requiem ist ein Ruf des Himmels!« – das stand daher bald in ihm fest; – »also so rasch daran als möglich, – – wir sind alle Sterbliche, – wer kann wissen, wie lange du noch lebst!«

Um aber an das Requiem zu kommen, mußten erst »Zauberflöte« und »Titus« vollendet sein. Dies war aber mit der »Zauberflöte« noch nicht der Fall, und »Titus« war noch gar nicht angefangen; heute jedoch sollte[225] das letztere geschehen und zugleich die Reise nach Prag angetreten werden. – –

»Nun, wie steht's Stanzerl?« – frug Mozart eben seine Gattin, die, – in Reisekleider gehüllt, ihr jüngstes Kind auf dem Arme, – in demselben Augenblicke in das Zimmer trat. – »Wie stehts, ist der Wagen, – ist Süßmayer noch nicht da?«

»Der Wagen noch nicht, Männchen,« – entgegnete die Angeredete, indem sie ihren kleinen Wolfgang Amadeus herzte und küßte – »aber Süßmayer wird gleich hier sein, ich sah vom Fenster aus ihn die Straße herunter kommen.«

»Das ist schön!« – versetzte Mozart. – »Süßmayer ist doch ein recht zuverlässiger, braver Mensch; ich vergesse oft ganz, daß er mein Schüler ist, so geht er auf meine Ideen ein.«

»Ja!« – meinte Constanze – »ich glaube nicht, daß es noch Jemand giebt, der dich in musikalischer Beziehung so gut versteht wie er.«

»Niemand!«

»Und er hat auch so ganz deine Art zu componiren angenommen.«

»Nun, wenigstens ist er auf dem besten Wege. Nur eines fehlt ....«

»Und das ist die Genialität. Aber, liebes Männle, es giebt eben auch nur einen Mozart – einen Wolfgang Amadeus!«

»O nein!« – sagte hier Mozart freundlich, denn die Reise nach Prag, die eben jetzt angetreten werden sollte, hatte ihn heute heiterer gestimmt, als er lange gewesen. – »O nein! es giebt deren zwei!« – und dabei küßte er herzlich den Säugling, den sein treues Weib auf dem Arme hielt. – »Aber« – fuhr er dann fort – »du willst doch den kleinen Kerl nicht mitnehmen?«

»Leider kann ich es nicht!« – sagte Constanze mit einem Ausdruck von Wehmuth und mütterlichem Schmerz auf das frische Kindesantlitz schauend. – »Ich muß ja Carl und mein Püppchen der Schwester überlassen!« – Und sie drückte, eine Thräne im Auge, das geliebte Kind an ihr Herz.

Es war ein schöner Anblick; denn Constanze war noch eine recht hübsche Frau, und nie hat es ja überhaupt auf Erden etwas schöneres gegeben, als eine junge Mutter, ihr blühendes Kind im Arme: sie, die Liebe, die Zärtlichkeit, die[226] Fürsorge selbst; der kleine Liebling mit rosig angeschlafenen Wangen und den hellblickenden, freundlichen Augen, ein Bild der Unschuld und der Hülflosigkeit. Ach! du lächelst noch nicht; – aber du wirst noch lernen .... zu lächeln .... und .... zu weinen!

Für Constanze mußte denn natürlich auch die Trennung von ihren beiden Kindern um so schmerzlicher sein, als sie schon so viele verloren und diese ihr daher doppelt an das Herz gewachsen waren. Aber konnte sie denn Amadeus unter den obwaltenden Umständen allein gehen lassen? ihn, der so sehr an sie und ihre kleinen Hülfeleistungen gewöhnt war; der ohne sie so wenig leben konnte, wie sie ohne ihn; dessen oft trübe, melancholische Stimmung so sehr ihrer freundlichen Aufheiterung bedurfte; dessen physische Erschlaffung und Kränklichkeit eine immerwährende Pflege und Leitung nöthig machte? Und war sie nicht von jeher sein guter Engel gewesen? – Nein! und hätte Constanze ihre Kinder noch länger verlassen müssen; hätte sie durch Zurückbleiben eine Welt von Schätzen und Freuden gewinnen können, sie würde dem Gatten doch gefolgt sein! – Und – ist denn dies nicht gerade ein Beweis, wie herzlich, wie treu und innig sie den Gatten liebte?

Wahre eheliche Liebe – nicht Verliebtsein – wahre eheliche Liebe ist ja eine auf das höchste gesteigerte, in göttlichem Lichte verklärte Freundschaft, und zwar eine Freundschaft, die keine vorübergehende Aufwallung: sie ist dauernde Stimmung und Hinneigung unseres Wesens zu einem andern gleichgestimmten Wesen; sie ist eine innige, treue Anhänglichkeit – ein Leben in der Ueberzeugung, daß man sich durch Vereinigung der Naturen wechselseitig beglücke; – ein stilles, aber wonnevolles Streben nach einem beglückenden Zusammenleben, einem geistigen Verschmelzen zweier Wesen zu Einem. Das ist wahre eheliche Liebe, und diese verband ja auch Mozart und sein Weib; wie hätte da Constanze den Gatten allein ziehen lassen können? Aber schmerzen mußte sie die Trennung von den Kindern natürlich doch immer.

Jetzt blieb ihr indessen keine Zeit übrig, diesem Schmerze nachzuhängen, denn eben trat Süßmayer ein.[227]

»Endlich!« – rief Mozart seinem Schüler entge gen – »ich warte mit Sehnsucht auf Sie; wir haben noch viel zu besprechen. Sind Sie zur Reise fix und fertig?«

»Ja, verehrter Maestro!« – sagte Süßmayer, dessen jugendliches Antlitz vor Freude über die bevorstehende Reise strahlte. – »Ich kann jeden Augenblick in den Wagen steigen.«

»Nun denn, also noch einmal unsere Übereinkunft!« – rief Mozart – »La Clemenza di Tito muß – wenn wir in Prag sind – in achtzehn Tagen fertig sein. Es bleibt mir also gar nichts übrig, als jetzt gleich im Wagen die Arbeit anzufangen. Versteht sich von selbst im Kopfe. Sie, mein lieber Süßmayer, als mein bester Schüler, – als ein Mann, der mich durch und durch versteht, – Sie begleiten mich. Ich gehe mit Ihnen, während wir über Berg und Thal reisen, den ganzen Plan der Oper durch, theile Ihnen auch den Gang der Instrumentation mit, und während ich dann die Hauptpiecen und die Finales componire, übernehmen Sie – es ist mir ja sonst unmöglich, das Werk fertig zu bringen – die Recitative; nur behalte ich mir natürlich die Revision vor.«

»Maestro!« – rief hier mit verklärten Zügen Süßmayer, indem er Mozarts Hand erfaßte und mit Begeisterung an sein Herz drückte, – »wie soll ich Ihnen, meinem großen Meister, meinem herrlichen aber unerreichbaren Muster und Ideal, für dieses große Vertrauen danken! Bei Gott! ich habe keine Worte dafür!«

»Nun, mein Lieber,« – sagte Mozart lächelnd – »danken Sie es mir dadurch, daß Sie es rechtfertigen!«

»Ja, das will ich!« – rief der junge Mann feurig – »alle meine Kräfte, Alles, was ich von Ihnen, dem großen genialen Mozart gelernt habe, will ich daran setzen, Würdiges zu schaffen.«

»Und nun« – fuhr Mozart fort, indem er eine Blechbüchse vom Tische nahm und sie mit noch unbeschriebenen Notenblättchen füllte – »sehen Sie hier, das ist mein Reise-Tagebuch. Jetzt steht freilich noch nichts darin, aber bis wir nach Prag, meinem lieben schönen Prag kommen, denke ich, soll wenig mehr unbeschrieben sein. Die Kapsel kommt in eine Seitentasche des Wagens; – – nun, ich werde schon während des Fahrens nach meiner alten Gewohnheit nicht nur meine Phantasie auf neue melodische Erfindungen ausgehen[228] lassen, sondern auch componiren und dabei, ohne es zu wissen, wie gewöhnlich, brummen und summen. Bildet sich alsdann im Kopfe etwas Gescheidtes .... wie der Blitz wird es auf ein solches Blättchen notirt; dann haben wir in Prag hübsche leichte Arbeit.«

»Sicher! ich verstehe ja ihre Chiffern, als ob ich sie selbst geschrieben hätte!« – versetzte Süßmayer.

»Wohl gemerkt!« – fuhr der Maestro hier fort. – »Es ist nicht die Rede davon, als ob ich bei der Schöpfung dieser neuen Oper leichtsinnig zu Werke gehen, das Ding nur so flüchtig und schnell hinwerfen wollte. Aber ich muß der Zeit und« – setzte er trübe mit einem Seufzer hinzu – »leider auch meinen abnehmenden Kräften Rechnung tragen. An einer tüchtigen Durch- und Ausarbeitung soll es indessen doch nicht fehlen.«

Jetzt trat Sophie Weber, den kleinen Karl an der Hand ein und meldete, daß der Reisewagen vorgefahren sei.

»Nun denn, in Gottes Namen!« – rief Mozart. – »Laßt unsere Sachen aufpacken und dann fort. Es ist wahrlich keine Minute zu verlieren!«

Und er küßte Kinder und Schwägerin herzlich und eilte dann voran in den Wagen. Constanze kam nicht so schnell fort; zweimal noch trieb sie, nachdem sie schon Abschied genommen, das Mutterherz zurück, die Kinder mit Küssen zu bedecken. Endlich riß auch sie sich entschieden los und eilte dem Wagen zu. Mozart und Süßmayer saßen schon in demselben, Ersterer im Fond, Letzterer auf dem Rücksitze, dem Maestro gegenüber.

»Bist du endlich da?« – sagte Mozart ungeduldig. – »Warum denn solches Abschiednehmen, wir kommen ja in wenigen Wochen wieder. Nun eile dich, Herz, und steige ein.«

Constanze schickte sich in der That dazu an; – in demselben Augenblick aber fühlte sie, daß sie Jemand am Kleide zupfte, sie blickte sich um; – – – da entfuhr ihr und Mozart zu gleicher Zeit ein Schrei. Dicht neben dem Wagen stand, gleich einem Geiste, die lange, hagere, bleiche, in Schwarz gehüllte Gestalt des räthselhaften Boten.76

Wir wissen schon, welchen Eindruck die Bestellung des Requiem bereits auf Mozart gemacht. Weil ihn selbst die[229] schwarzen Schatten unseliger Todesahnungen überdeckten, galt es ihm als ein Wink des Himmels; – was ihm aber bis jetzt nur dunkel vorgeschwebt, erhob diese dritte, so ganz unerwartete Erscheinung des räthselhaften Boten in seinem schon leidenden Gehirne zur unumstößlichen Gewißheit. Und lag darin etwas Auffallendes, da dieses dritte Auftreten des Boten selbst Constanze, – die bisher gar nichts Absonderliches in der Bestellung gesehen – so peinlich überraschte, daß ihr ein Schrei des Schreckens entfuhr?

Aber die harten Züge des Boten veränderten sich nicht.

»Wie wird es nun mit dem Requiem aussehen?« – frug er ernst und lakonisch.

»Mit dem Requiem?« – entgegnete Mozart, und ein leichter Schauer rieselte durch seine Glieder, und es war ihm, als höre er aus der Tiefe die Posaunenstöße des jüngsten Gerichtes. – »Nun, ich kann diese Reise nicht verschieben! ... Eingegangene Verpflichtungen rufen mich nach Prag – – und – – da ich den Besteller nicht kenne, war es für mich eine Unmöglichkeit, ihn von dem Aufschube zu benachrichtigen. Sagen Sie indessen dem Unbekannten« – fügte hier Mozart langsam und mit einer eigenen Betonung bei – »daß das Requiem bei meiner Zurückkunft meine erste Arbeit sein soll. Es kommt freilich darauf an, ob der Unbekannte so lange darauf warten will?«

»Er wird so lange warten!« – entgegnete der Bote, verneigte sich und verschwand.77

Alle schwiegen. Mozart und Constanze drückten sich jedes in seine Ecke und der Wagen rollte davon.

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 218-230.
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