18.

Der räthselhafte Bote.

[204] Ein schönes Fest wurde heute im Mozart'schen Familienkreise gefeiert, – ein Fest, das auf heitere Weise den Gang des alltäglichen Wesens, die angestrengte Berufsthätigkeit, das fortwährende Componiren Mozarts an der »Zauberflöte« wohlthätig unterbrach: es war das Fest, welches man zu Ehren der Taufe seines jüngsten Kindes beging, daß soeben die Namen des Vaters: Wolfgang Amadeus erhalten hatte.

Constanze war überglücklich. Der Tod hatte ihr schon so viele Lieblinge geraubt, daß sie den Neugeschenkten mit doppelter Inbrunst an ihr treues Mutterherz drückte. Und sagten denn nicht alle Anwesenden, daß der kleine Weltbürger dem Vater gleiche: – hatte man ihm nicht eben bei der heiligen Handlung diejenigen Namen gegeben, die Constanzen die liebsten auf der weiten Welt waren, weil sie ihr geliebter Gatte trug? – und hatte nicht Amadeus gestern selbst scherzend gerufen: »Der Junge wird ein Mozart!« weil er weinend in den Ton einstimmte, aus dem der Vater eben auf dem Fortepiano spielte.66

[204] Constanze war, wie gesagt, überglücklich – und – Mozart war es auch, da Constanze es war, die ohnedem die schwere Niederkunft kaum überwunden hatte. Befand sie sich heute doch zum erstenmale wieder in Gesellschaft, und zwar in ihrem alten lieben trauten Kreise, bestehend aus ihrer ledigen Schwester Sophie, ihrem Schwager Hofer, dem würdigen Abt Stadler, den Freunden Schack67, Albrechtsberger, Görl und Mozarts beiden Lieblingsschülern, den talentvollen jungen Männern Süßmayer und Seyfried.

Das waren alle erprobte edle Seelen, längst bekannt im Mozartschen Hause und mit Mozarts selbst fast eine Familie ausmachend. So war Süßmayer, obwohl erst fünfundzwanzig Jahre alt, schon seit mehreren Jahren der vertraute Freund seines großen Lehrers, der Eingeweihte in alle seine musikalischen Gedanken, sein Copist, sein Gehilfe, ja selbst sein Mitarbeiter. Auch Constanze hielt sehr viel auf Süßmayer, da dieser äußerst bescheiden und doch, trotz seiner Jugend, ein fein gebildeter und erfahrener Kopf war, – ein Hausfreund im edelsten Sinne des Wortes, der der guten Frau gar manchmal schon in trüber Lage Trost, Rath und Hilfe gespendet.68 Ueberdies fesselte Süßmayer eine Herzensneigung an Sophie Weber, Constanzens noch ledige jüngere Schwester, – eine Neigung, die das schöne Verhältniß im Mozart'schen Hause nur noch fester knüpfte.

Und mit welcher Aufmerksamkeit hatte Amadeus heute wieder für Alles gesorgt, – wie schön und zweckmäßig hatte er Alles angeordnet, – wie liebevoll suchte er seinem treuen Weibe jede Last abzunehmen, – wie sprudelte er wieder in[205] Heiterkeit und in Witzen. Er war, geistig, ganz der Alte, und nur wer ihn scharf beobachtete, fand, daß sich seinen Zügen seit einiger Zeit ein ganz eigenthümlicher Ausdruck von Erschlaffung beigesellt hatte. Aber die Anspannung durch Freude verwischte diesen jetzt fast ganz.

Das heitere Mittagsmahl war bereits vollendet und Aller Augen blitzten jetzt höher auf, und Aller Herzen schlugen freudiger, als Abt Stadler das Glas ergriff und sagte:

»Wen drängt es nicht in solchen Stunden, wie wir jetzt welche verleben, zu dem herrlichen Erguß unseres großen Zeitgenossen des wackeren Dichters Schiller, – zu jenem Erguß eines vor Freude überströmenden Herzens, der sich vor wenigen Jahren, als er sich zu Gohlis im Kreise trauter Freunde befand,69 in dem wundervollen Liede ›an die Freude‹ so tief gefühlt, so hochpoetisch aussprach, – zu jenem unsterblichen Rundgesang, welcher mit den Riesenfittigen dithyrambischer Begeisterung alle Geister und alle Welten umarmt:


Freude, schöner Götterfunken,

Tochter aus Elysium,

Wir betreten wonnetrunken,

Himmlische, dein Heiligthum

Deine Zauber binden wieder,

Was die Mode streng getheilt;

Bettler werden Fürstenbrüder,

Wo dein sanfter Flügel weilt. –

Seid umschlungen, Millionen!

Diesen Kuß der ganzen Welt!

Brüder – über'm Sternenzelt

Muß ein guter Vater wohnen!«


»Ja,« – sagte Mozart in einem Tone, der trotz seiner heiteren Stimmung doch eine leichte Wehmuth durchblicken ließ – »dies Gedicht ist aber auch ein Ausfluß der freudigen Gemüthsstimmung, in der sich der Dichter seit dem Aufenthalte in Leipzig fühlte, die jubelnde Begrüßung des rosigen Morgenlichtes nach langer Nacht.«

»So ist es!« – versetzte Freund Stadler. – »Indeß kennt doch vielleicht, außer mir, Niemand von den Anwesenden die eigentliche Veranlassung zur Entstehung dieses Gedichtes.«

»Ich wenigstens kenne sie nicht!« – sagte Mozart. Auch den Uebrigen ging es so.[206]

»Nun!« rief Stadler – »sie ist so schön und bezeichnet den edlen Charakter Schillers so scharf, daß ich sie mittheilen will. Ich war damals selbst in Leipzig und fast Augenzeuge davon.«

»So erzähle uns die Geschichte!« – rief Mozart. – »Schiller ist eine so liebe Erscheinung, daß uns gewiß Alle die kleinste Kleinigkeit interessirt, die ihn betrifft; die Entstehung eines solch' herrlichen Gedichtes zumal.«

»Nun denn« – sagte Stadler – »so hört. Schiller hatte eines Morgens einen Spaziergang durch das Rosenthal unternommen. Er war schon ziemlich weit gegangen, als er an den Ufern der Pleiße einen halbentkleideten Jüngling in betender Stellung bemerkte, der gleich darauf Anstalt machte, sich zu ertränken. Schiller redete ihn an und vernahm, daß es ein armer Studiosus der Theologie sei, der lange mit dem schrecklichsten Mangel gekämpft habe, und nun nicht mehr wisse, wie er sein Leben ferner fristen solle. Der Dichter schenkte ihm seinen geringen Geldvorrath, und ließ sich von ihm das Versprechen geben, wenigstens acht Tage lang die Ausführung des frevelhaften Entschlusses auszusetzen. In der Zwischenzeit wohnte Schiller einer Hochzeitsfeier in einer wohlhabenden Leipziger Familie bei; es war ein äußerst heiterer Kreis, in dem auch ich ihm vorgestellt wurde. Mitten in der lautesten Freude stand er plötzlich auf, erbat sich auf ein paar Augenblicke Gehör, erzählte, was ihm auf jenem Spaziergange begegnet sei, forderte mit herzlichen, eindringlichen Worten die Anwesenden zu Beiträgen für den Unglücklichen auf, und sammelte diese selbst, im Kreise herumgehend, auf einem Teller. Sie fielen reichlich genug aus, daß der arme Studirende damit sein Leben bis zur Beendigung seiner Studien fristen konnte. Im frischen Bewußtsein solcher That nun, hochgetragen von der reinsten, seligsten Lust, schrieb Schiller jenen herrlichen Hymnus an die Freude!«

»Wie schön!« – rief Constanze – »jetzt hab' ich den Schiller noch einmal so gern!«

»Ich auch!« – sagte Mozart – »das Gedicht ist dabei aber auch prächtig.«

»Ja,« – versetzte Schack – »es wird in der That von den höchsten, Alles umfassenden Ideen getragen, und diese Ideen sind dadurch in hohem Grade belebt und veranschaulicht, daß sie einem Bunde von Freunden in den Mund gelegt[207] werden, welche wir singen und in den letzten Strophen sich zu allem Herrlichen, was diese Freude anregt, ermuntern sehen und hören.«

»Und dazu kommt der Chor«, – fiel hier Süßmayer ein, – »der in dieses lebensvolle Gemälde begeistert sprechender und handelnder Menschen, wie der Chor in die antike Tragödie eintritt, bald verallgemeinernd, bald tröstend, bald bekräftigend und immer die Ideen und Gefühle der Festfeiernden zum höchsten hinwendend.«

»Und vergegenwärtigt uns nicht dieser Hymnus« – sagte Abt Stadler – »sowohl seines Verfassers in nige Empfindung für die sympathetischen Neigungen, als seinen stolzen, freien Sinn und sein ganzes sittliches Ueberzeugungsgefühl?«

»Und wie wahr spricht der große Dichter,« – rief jetzt Mozart, indem er Constanze, die neben seinem Stuhle stand, mit Innigkeit umschlang, wenn er sagt:


»Wem der große Wurf gelungen,

Eines Freundes Freund zu sein,

Wer ein holdes Weib errungen,

Mische seinen Jubel ein!

Ja – wer auch nur eine Seele

Sein nennt auf dem Erdenrund!

Und wer's nie gekonnt, der stehle

Weinend sich aus diesem Bund.«


Aber Constanze neigte sich jetzt, glühend vor Seligkeit und Liebe, zu dem Gatten, küßte ihn und sagte:

»Es giebt aber auch keinen Mann, der die Liebe seines Weibes mehr verdiente, als mein Amadeus

»Ist's wahr?« – rief Sophie hier ihrem Schwager scherzend zu.

Aber Constanze sagte rasch:

»Ja, ja! es ist wahr! Hört nur selbst, was er erst kürzlich aus Zartgefühl, Aufmerksamkeit und Liebe für mich gethan hat.«

»Stanzerl!« – rief Mozart – »mach' doch kein dummes Zeug!« – und er wollte ihr den Mund zuhalten; aber sie machte sich schäkernd los und sagte freudig:

»Nein, Männchen, die ganze Welt muß wissen, was du für ein Held sein kannst!«

»Held?« – wiederholte Amadeus.

»O! er hat es schon wieder vergessen. Aber hört nur: Als ich nach unseres lieben kleinen Wolfgang Amadeus Geburt so krank und schwach wurde, pflegte mich meine [208] Schwester Sophie mit ihrer bekannten treuen Sorglichkeit. Sie saß Tag und Nacht an meinem Bette und wenn es Amadeus die Zeit erlaubte, nahm auch er hier Platz. Eines Tages nun – ich erfuhr es erst später durch Sophie – als ich vor Mattigkeit eingeschlummert war, componirte Mozart an meiner Seite. Alles war still wie im Grabe und die beiden guten Seelen rührten sich nicht, um mich nicht zu wecken. Plötzlich trat die Magd so recht roh und dalket ein, wie es diese Leute fast immer machen, wenn sie leise thun sollen. Amadeus erschrak aus Furcht, mich aufgeweckt zu sehen; wollte – damit die alberne Person still sei – winken und rückte dabei leise den Sessel zurück. Da er aber zufällig das offene Federmesser in der Hand hielt, so spießte sich dieses zwischen den Sessel und seinen Schenkel und drang ihm bis an das Heft in das Bein. Nun weiß Jedes von den Anwesenden, daß Wolferl gewöhnlich sehr empfindlich für Schmerzen ist; hier aber machte der Gute keine Bewegung, verbiß aus Liebe und zarter Aufmerksamkeit seinen Schmerz wie ein Held und winkte nur der Schwester ihm hinauszufolgen.«

»Was ist da nun zu loben?« – rief Mozart. – »Du hättest dasselbe für mich gethan!«

»Die Wunde, lieber Schwager, war sehr tief!« – sagte hier Sophie – »und die Schmerzen blieben lange so bedeutend, daß du krumm gehen mußtest.«

»Und doch ließ er mich nichts, gar nichts davon merken!« sagte Constanze liebevoll und drückte abermals einen Kuß auf Mozarts Lippen.

Amadeus aber hob sein Glas und rief:


»Liebe heißt die starke Feder

In der ewigen Natur,

Liebe, Liebe treibt die Räder

In der großen Weltenuhr.

Blumen lockt sie aus den Keimen,

Sonnen aus dem Firmament,

Sphären rollt sie in den Räumen,

Die des Sehers Rohr nicht kennt.«


»Darum laßt uns hier dem Dichter in das Handwerk pfuschen, und – statt Freude, Liebe sagen; dabei aber auch der wahren, der ächten, der treuen Liebe und Freundschaft ein feuriges ›Hoch!‹ bringen.«[209]

Und die Gläser klangen und: »Hoch!« – »hoch!« – »hoch!« schallte es aus allen Kehlen.

Endlich, als es wieder etwas ruhiger geworden war, sagte Abt Stadler:

»Kinder, da wir doch eben von Schiller sprachen, muß ich euch noch einen höchst komischen Vorgang mittheilen, der unseren würdigen Zeitgenossen betrifft, und der wohl, wie das daraus hervorgegangene Scherzgedicht, ebenfalls wenig bekannt ist. Bei dem Dorfe Loschwitz an der Elbe besitzt ein sehr lieber Freund Schillers, Appellationsrath Körner, ein hübsches Landhaus, das mitten in einem lieblichen, von Weinbergen eingeschlossenen Thale liegt. Hierhin war nun Schiller auf einige Zeit zum Besuche gekommen. Man hatte ihm einen Gartensaal auf der Anhöhe eingeräumt, wo die Weinberge an ein Fichtenwäldchen grenzten. In diesem Tusculum nun war es, wo er – es sind jetzt 5 bis 6 Jahre – seinem damals schon in Prosa fertigen Don Carlos – diesem herrlichsten poetischen Werke unserer Zeit – eine ganz neue Gestalt gab. Der Druck der Tragödie hatte schon bei Göschen in Leipzig begonnen und eben war Schiller mit der Revision des zweiten Actes beschäftigt, als er an einem schönen Herbsttage von der Körnerschen Familie zu einer Landpartie eingeladen wurde. Um sein Werk rascher zu fördern, entschloß er sich indessen zu Hause zu bleiben. Nun wollte aber das Unglück, daß die Appellationsräthin – in der sicheren Voraussetzung, daß Schiller mitfahren werde – die Schränke und den Keller hatte verschließen lassen. Kaum war daher die Gesellschaft fort, so sah sich der Dichter ohne Speise und Trank, ja sogar ohne Holz, was sehr empfindlich sein mußte, da es ein ziemlich kalter Herbsttag war. Sein Unmuth aber steigerte sich noch mehr durch das Plätschern der Wäsche und das Geschwätz der Wäscherinnen unter seinem Fenster.«

»Eine schöne Situation!« – rief Constanze lachend.

»Allerdings!« – fuhr Stadler fort – »namentlich wenn man einen Don Carlos bearbeitet.«

»Und was that Schiller

»Er machte endlich seiner üblen Laune durch folgende drollige Strophen Luft, die als ein Document seines bedeutenden Talentes für das Komische angesehen werden können:


[210]

Unterthänigstes Promemoria

an die


Appellations-Rath Körner'sche weibliche Wasch-Deputation,

eingereicht von einem niedergeschlagenen Trauerspieldichter in Loschwitz.


Dumm ist mein Kopf, und schwer wie Blei,

Die Tabaksdose ledig,

Mein Magen leer, der Himmel sei

Dem Trauerspiele gnädig!


Ich kratze mit dem Federkiel

Auf den gewalkten Lumpen:

Wer kann Empfindung, wer Gefühl

Aus hohlem Herzen pumpen?


Feu'r soll ich gießen auf's Papier

Mit angefrornem Finger –

O Phöbus, hassest du Geschmier,

So wärm' auch deinen Jünger.


Die Wäsche klatscht vor meiner Thür,

Es plärrt die Küchenzofe,

Und mich – mich ruft das Flügelthier

Nach König Philipps Hofe,


Ich steige muthig auf das Roß,

In wenigen Secunden

Geb' ich Madrid; am Königsschloß

Hab' ich es angebunden.


Ich eile durch die Gallerie,

Und siehe da – belausche

Die junge Fürstin Eboli

Im süßen Liebesrausche.


Jetzt sinkt sie an des Prinzen Brust

Mit wonnevollem Schauer,

In ihren Augen Götterlust,

Doch in den seinen Trauer.


Schon ruft das schöne Weib Triumph,

Schon hör' ich – – – Tod und Hölle!

Was hör' ich? – einen nassen Strumpf

Geworfen in die Welle.


Und weg ist Traum und Feerei!

Prinzessin, Gott befohlen!

Der Teufel soll die Dichterei

Beim Hemdewaschen holen.«70
[211]

Alle lachten herzlich über das drollige Gedicht und die nette Weise, auf die Schiller hier seiner üblen Laune Luft gemacht hatte.

»Durch das Schaffen des Gedichtes« – sagte Mozart – »hat er sich aber zugleich auch über die fatale Situation hinausgehoben. Ich kenne das! Wenn ich noch so trübe, noch so verstimmt und durch Sorgen niedergedrückt bin – und komme in das Schaffen, sind Aerger, Sorgen und alle Trübsale der Welt und des Lebens vergessen.«

»Eben, weil du schaffst!« – versetzte Stadler. – »Schaffen ist immer göttlicher Natur, und alles Göttliche erhebt den Menschen über den Staub. Alle, die wir hier sitzen, lieben die irdischen Freuden; – aber – Kinder, es wird doch keines von uns leugnen, daß es noch höhere Genüsse giebt.«

»Ja!« – rief Schack – »ich habe schon, wenn ich aufmerksam auf mich war, die Entdeckung gemacht, daß mich sehr oft, selbst mitten unter den sinnlichen Vergnügungen, eine höhere und edlere Lust erfüllt, bei welcher meine Seele sich nie so klein und beschämt findet, als nach jenem blinden Taumel einer aufgewiegelten Sinnlichkeit. Aber ich gestehe, daß ich mir bis jetzt nicht recht Rechenschaft über die Quelle dieser Empfindung geben konnte.«

»Ei!« – sagte der Abt – »versuchen Sie es einmal, lieber Schack, den Ursprung dieser besseren Lust aus dem vermischten Haufen der Ergötzungen, die sie einnehmen, herauszuwickeln.«

»Das eben gelingt mir nicht.«

»Versuchen Sie es gelegentlich, und Sie werden gewahr werden, daß es Ihre innere Sympathie für Ordnung, Harmonie, Schönheit und Vollkommenheit ist. Sie, und wir Alle hier, haben eben Sinn für diese Dinge; tausend Anderen geht er ab.«

»Bei Gott!« – rief Schack – »so mag es sein! Mein Geist ist augenscheinlich dazu aufgelegt und eingerichtet, von diesen Eindrücken angenehm berührt zu werden.«

»Und bei wem dies der Fall, den vergnügen sie um so viel ruhiger und anhaltender, je ungestörter er der Vernunft und dem richtenden Nachdenken ihre völlige Thätigkeit läßt.«

»In der That!« – sagte hier Süßmayer – »sowohl die Regelmäßigkeit in den Figuren und in den Mischungen von Licht und Farben, als namentlich auch die harmonische[212] Abwechselung der Töne, führt etwas dem innersten Gefühle meiner Seele so Angemessenes bei sich, daß ich mich unausbleiblich dadurch erquickt finde.«

»Und was ist das?« – rief der Abt – »das ist gerade dasjenige, was Sie zum Künstler stempelt, – was Ihnen die Fähigkeit giebt: Kunstgenüsse in sich aufzunehmen. Die Kunst, die freilich keinen wahren Zusatz zu den Vortrefflichkeiten der Natur machen kann, da sie nur Etwas – nur Einzelnes – von dem Schönen, was in dieser unerschöpflich ist, nachahmt, – die Kunst macht doch in soweit einen Zusatz zu unseren Ergötzungen, als sie uns Gelegenheit giebt, die Geschicklichkeit der Hand, die Schöpfungen des Witzes, der Poesie, der Tonkunst, der Schauspielerkunst, der Malerei und Bildhauerei zu bewundern, die alle den Menschen in einem gewissen Maße zum Schöpfer machen. Daher auch die Lust an den Künsten. Bilder, Beschreibungen, jede Art trefflicher Musik, Charaktere, jeder richtige und feine Gedanke, in einem angemessenen Ausdruck gekleidet, jede regelmäßige Zusammenfügung von Gestalten oder Begebenheiten, mit allem, was das Genie schafft und verschönert, das sammelt sich in diesem Felde der höheren Lust und befriedigt die Neigungen in uns, die wir unstreitig als einen hauptsächlichen Theil der edlen, der göttlichen Natur unseres Geistes erkennen müssen.«'

»Halt!« – sagte hier Mozart mit einem Male wunderbar ernst. – »Alles, was Ihr da sagt, ist wahr und schön. Aber Freund Stadler, du mußt hier eine Frage erlauben.«

»Nun?«

»Auch ich kenne, wie Ihr Alle wißt, diese höheren Freuden – die Seligkeit des Schaffens; die mir von Gott gegebenen Fähigkeiten beglücken mich; aber .... ich fühle, daß diese Fähigkeiten in mir eines Wachsthums in das Unendliche fähig sind. Sollte nun mein Vermögen, Großes und Schönes zu schaffen, aufhören, wenn es erst durch die Uebung, durch immer wachsende Kraft und Einsicht geschickt werden kann, noch Größeres und Höheres zu vollbringen? – Das wäre doch« – setzte hier Mozart fast trübe hinzu – »zu viel Vergebliches in den Veranstaltungen einer unendlichen Weisheit.«

Es entstand eine kleine Pause. Constanze und Stadler sahen sich an; sie erkannten in dieser Frage zu ihrem Bedauern wieder den Gedankengang Mozarts. Endlich sagte der Abt:[213]

»Ich bin überzeugt, daß der große Urheber aller Dinge – der ohne Zweifel in tiefer Weisheit und nach den edelsten Absichten handelt – nicht willens sein kann, das Große und Herrliche zu vernichten, was er in der Seele der Menschen durch ein ganzes prüfungsreiches Menschenleben hervorgerufen hat. Fasse ich mich – abgesehen von unseren kirchlichen Dogmen – selbst in's Auge, so sagt mir mein Verstand, daß meine eigene innerliche Beschaffenheit mich davor in Sicherheit setzt. Je mehr ich nämlich auf mich Acht gebe, desto mehr finde ich, daß ich in dem strengsten Sinne des Wortes Einer bin. Diese Glieder, die meine Werkzeuge ausmachen, das bin ich nicht; sie sind, meiner deutlichen Empfindung nach, von mir unterschieden. Mein ›Ich‹ ist eigentlich das, was in mir Vorstellung hat, urtheilt, sich entschließt; und dieses ›Ich‹ ist ganz gewiß nicht etwas in vielen, oder in verschiedenen außer einander befindlichen Theilen, Bestehendes. ›Ich,‹ der ich den Eindruck des Lichtes fühle, ich bin eben derselbe, der zu gleicher Zeit die Wärme der Sonne, den Geruch der Blume, den Schall des Wortes, die Harmonie der Töne empfindet; der diese Empfindungen unter sich vergleicht, d.h. der denkt: ›Cogito, ergo sum!‹ ›Ich denke, darum bin ich!‹ Darin liegt für den Philosophen Alles. Meine körperlichen Theile wechseln in Stoff und Masse; aber ich selbst, der ich dies denke, ich bin mir, vermittelst der innigsten Empfindung, bewußt, daß ich, mitten unter allen diesen gewaltigen und stets fortgehenden Veränderungen, immer derselbe bin und bleibe, der ich jemals war, seitdem ich mich meiner Empfindung erinnere. Kein Strom der Zeit hat mich – mich selbst – verwandelt, oder von meinem geistigen ›Ich‹ etwas hinweggerissen. Ich werde also auch, bei noch so vielen Umkehrungen und Zerstörungen, die mich ferner treffen mögen, immer derselbe bleiben.«

»Und ich denke« – sagte Mozart mit ungewöhnlichem Ernst – »nicht nur das bloße Dasein, sondern auch mein geistiges Leben und Schaffen wird mir von der inneren Natur meines Geistes verbürgt. Die wahre Thätigkeit desselben ist ja unstreitig nicht von den Gliedmaßen des Körpers, nicht von den äußeren Sinnen abhängig. Beide sind, meiner Ansicht nach – denn ich sinne jetzt manchmal über solche Dinge – gleichsam nur das Gerüste und die Hebezeuge, durch welche uns, in unserer gegenwärtigen Verhüllung, von[214] den äußeren Gestalten, Bewegungen und Eigenschaften der Dinge, die Materie zum Denken und Empfinden zugebracht wird; und die können wohl, wenn der erforderliche Gebrauch von ihnen gemacht worden ist, niedergebrochen und weggeworfen werden, ohne daß damit uns selbst etwas abgeht. Ein Kind, das noch nicht gehen kann, stellen wir in den Laufkorb; hat es gehen gelernt, wird der Laufkorb weggenommen, und das Kind ist nun, ohne dies Schutzgerüste, dasselbe, was es früher mit diesem war.«

»Es ist dasselbe!« – sagte der Abt – »aber es steht höher in seiner Entwicklung.«

»Sicher,« – versetzte Mozart – »und so wird es auch mit uns nach dem Tode sein. Ich werde dann wohl, statt der wenigen Eingänge, durch welche ich jetzt die Vorstellungen von den Gegenständen außer mir empfange, von allen Seiten den Eindrücken derselben offen stehen; – mein ganzes Wesen denke ich mir dann Gehör, musikalische Empfindung; mein ganzes Sein ein höheres Aufgehen in einem gewaltigen harmonischen Schaffen, das wie eine Quelle ewigen Lebens aus mir selbst hervorsprudelt. Denn« – sagte er jetzt fast unruhig, stand auf und ging einige Mal mit großen Schritten im Zimmer auf und ab – »die musikalischen Welten, die ich noch in mir trage, können doch nicht verloren gehen.«

»Ei!« – rief hier Constanze mit anscheinender Heiterkeit, während sie sich zwang, eine Thräne zurückzuhalten – »das sollen sie auch nicht. Bist du, Unersättlicher im Schaffen, jetzt nicht an einem neuen herrlichen Werke?«

Mozart schüttelte ernst das Haupt und sagte:

»Ist nicht das Rechte.«

»Nun« – fuhr Constanze, der Alles daran lag, die finsteren Gedanken des Gatten zu verscheuchen, fort – »zu Kaiser Leopolds Krönung in Prag soll eine neue große Festoper componirt werden. Man hat dir Hoffnung gemacht ...«

»Ist nicht das Rechte!« – wiederholte Mozart. – »Ich weiß freilich selbst nicht klar, nach was es mich zieht..«

In diesem Augenblicke trat das Dienstmädchen ein und meldete, daß sich ein Bote draußen befinde, der den Herrn Capellmeister Mozart zu sprechen wünsche.

»Von wem kommt er?« – frug die Hausfrau; aber das Dienstmädchen konnte keine Auskunft geben.[215]

»Er will den Herrn Capellmeister selbst sprechen.«

»So laß ihn herein kommen!« – sagte dieser, der ja täglich Bestellungen und Einladungen erhielt.

Jetzt öffnete sich die Thüre und ein ältlicher Mann von bleichem Ansehen und ernsten Zügen, in schlichte Trauerkleider gehüllt, trat ein.

Zu jeder anderen Zeit hätte diese Erscheinung gar nichts Auffälliges an sich gehabt; – jetzt – gerade bei der gehobenen, im Augenblick selbst sehr gespannten Stimmung, und dem eben geführten, an Tod und Ewigkeit hinstreifenden Gespräche, berührte sie allgemein peinlich. Selbst Mozart war etwas frappirt. Aber er faßte sich sogleich, und, auf den Mann zugehend, frug er ihn freundlich:

»Wen habe ich das Vergnügen vor mir zu sehen?«

»Ich bin nur der Bote eines Anderen!« – sagte dieser lakonisch – »und habe dies hier abzugeben.«

Und damit zog er einen Brief aus seiner Tasche und überreichte ihn Mozart. Er war schwarz gesiegelt. Mozart erbrach das Schreiben und sah hinein.

»Ohne Unterschrift!« – sagte er dann etwas überrascht und las. Aber plötzlich erblaßte er, dann wieder flog ein tiefes Roth über seine Züge, und, den Brief in der Hand, die Arme auf den Rücken gelegt, ging er einige Mal im Zimmer auf und ab. Endlich blieb er stehen und murmelte leise vor sich hin: »Ja! das ist das Rechte!«

Die ganze Gesellschaft war bis dahin mit ihren Blicken und einer eigenthümlichen Spannung dem Maestro schweigend gefolgt. Jetzt unterbrach Constanze die drückende Stille:

»Nun, Männchen,« – rief sie, in Ton und Weise so viel Gleichgültigkeit legend, als ihr möglich war – »darf man vielleicht auch wissen, was der Bote bringt?«

»O ja!« – entgegnete Mozart. – »Du weißt ja, daß ich nie etwas von Wichtigkeit ohne dich thue und die Meinung der Freunde wird mir hier auch zu hören lieb sein.«

»Und?«

»Nun« – fuhr Mozart fort – »es wird hier angefragt, – ob ich die Composition eines Requiem – einer Todtenmesse – übernehmen wolle? – um welchen Preis? – und binnen welcher Zeit?«

»Eines Requiem?« – wiederholte Constanze, und sie wußte nicht, warum sie diese schon tausend Mal gehörte[216] Benennung einer oft selbst mitgemachten kirchlichen Feier in diesem Augenblicke unangenehm berühre.

»Nun ja,« – sagte Mozart – »was ist denn dabei? – Ich glaube, das ist gerade das Rechte, was ich vorhin meinte. Ich sehne mich schon lange darnach, mich auch einmal in dieser Gattung von Compositionen zu versuchen, und zwar um so mehr, als der höhere pathetische Styl der Kirchenmusik immer mein Lieblingsstudium war.«

»Und wer ist der Besteller?« – frug Constanze weiter.

»Der Brief trägt keine Unterschrift!« – entgegnete Mozart. – »Vielleicht wird es uns der Bote sagen?« – Und auf ihn hinschreitend frug er:

»Von wem kommt der Auftrag? – wer sendet Sie, mein Herr!«

Aber des Boten bleiche und ernste Züge veränderten sich nicht:

»Es thut dies nichts zur Sache!« – sagte er kalt – »ich bitte nur um die Antwort.«

Mozart war entschlossen. Diese räthselhafte Botschaft kam ihm ordentlich wie eine Sendung des Himmels vor, die ihn über sich und das, was ihm längst gefehlt, klar mache, und da ihm auch Constanze und die Freunde zuriethen, den Antrag anzunehmen, so schrieb er sofort an den unbekannten Besteller der Todtenmesse: daß er die Composition des Requiem übernehmen wolle, setzte – wie immer – ein sehr bescheidenes Honorar an, bemerkte aber zugleich, daß er die Zeit der Vollendung nicht genau bestimmen könne, doch wünsche er den Ort zu wissen, wohin er das vollendete Werk abzuliefern habe.

Diesen Brief gab er dem Boten und dieser entfernte sich mit einer tiefen ernsten Verbeugung.71

Aber mit ihm war auch alle wahre Heiterkeit und jede festliche Stimmung für heute verschwunden. Nicht als ob irgend Jemand weiteren Werth auf den – allerdings etwas seltsamen – Vorfall gelegt hätte; wohl aber kamen die Männer nun auf Kirchenmusik zu sprechen; die Unterhaltung ward sehr ernst und das Fest endete mit der Aufführung einiger klassischer Tonstücke Palestrina's.

Als Alle weg waren, und Mutter und Kinder lange schliefen, ging Wolfgang Amadeus Mozart noch in seinem[217] Arbeitszimmer auf und ab. Tiefes Sinnen lagerte auf seiner Stirne: er dachte an den räthselhaften Boten, an die Aufforderung des Unbekannten – und an das sonderbare Zusammentreffen mit seinen, ihm selbst jetzt erst klar gewordenen Wünschen.

Ja! ja! das war es, was ihm gefehlt! Im großartigen Kirchenstyle mußte er sich einmal versuchen; – es kam ihn eine wahre Sehnsucht an, einmal den Staub der Erde abzuschütteln und sich auf den Riesenfittigen einer heiligen Begeisterung in gewaltigen Harmonien emporzuschwingen zu Gottes Thron. Die Posaunen des jüngsten Gerichtes schmetterten in seine Ohren und im gewaltigen Chore hörte er Unsichtbare rufen:


Dies irae, dies illa

Solvet saeculum in favilla,

Teste David cum Sibilla.


Quantus tremor est futurus,

Quando judex est venturus

Cuncta stricte discussurus.


Aber nach und nach ward es wieder stiller in ihm. Die furchtbaren Bilder jenes Tages des Schreckens und des Gerichtes schwanden, das Glühen seines Kopfes, das Stürmen seines Herzschlages mäßigten sich. Er ging ruhiger auf und ab, dem Ausdruck einer hohen, einer fast wilden Begeisterung folgte jener tiefer Trauer, und Thränen im Auge murmelte er: »Requiem aeternam dona eis Domine! et lux perpetua luceat eis.«72

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 204-218.
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