23.

Es will Abend werden.

[263] Die »Zauberflöte« war also nun vollendet, aufgeführt und Schikaneder durch den wahrhaft überraschenden und ungeheuren Erfolg gerettet; mehr wollte Mozart nicht, denn jetzt war auch Raum, Zeit und Muße für das Requiem gegeben. Und, in der That, Amadeus ging – trotz Constanzens Bitte: sich wenigstens nur einige Tage Ruhe zu gönnen – mit einer solch' fieberhaften Hast an diese Composition, daß etwas wahrhaft Beängstigendes und Beklemmendes darin lag.

»Ich kann den unbekannten Besteller nicht länger warten lassen,« – sagte Amadeus – »zumal er im Voraus bezahlt hat; – und dann drängt es mich auch unendlich, mich wieder einmal im großartigen Kirchenstyle zu versuchen. Es ist mir dabei immer, als ob mir dies Werk so recht Ruhe und Frieden der Seele bringen sollte.«

Und nun ging es wieder Tag und Nacht an die Arbeit, der er diesmal noch bei Weitem mehr Sorgfalt widmete, als sonst; – ja, die er mit einer gewissen heiligen Begeisterung erfaßte. Das Bedürfniß, auch einmal etwas für seine Mutter-Kirche zu thun, und da durch gleichsam für seine kleinen Sünden Versöhnung zu erlangen, mischte sich mit dem inneren musikalischen Beruf für diese Gattung erhabener Tonschöpfungen, der, durch die Bestellung des Requiem geweckt, jetzt in ihm durchgebrochen war und sich mit stürmischer Gewalt geltend machte.[263]

Die weiteren Aufführungen der »Zauberflöte« hinderten ihn dabei nicht; wohl aber erhob und er rischte ihn, wenigstens auf kurze Zeit, der ungeheure Erfolg, den diese Oper hatte. Der Beifall war – wir wiederholen es – beispiellos! Ganz Wien blieb fortwährend in der freudigsten Aufregung. Alles wollte diese Oper sehen. Es regnete Geld in Schikaneders Theaterkasse; man zankte, man riß, man schlug sich um die Billets. Das Theater selbst ertönte bei jeder neuen Vorstellung, wie bei der ersten, von so gewaltigem Beifalls-und Freudengeschrei, daß es außen, auf den Straßen, wiederhallte.85 Schikaneder hatte in dreifacher Beziehung Recht behalten und sein ungemeines Talent für das Praktische bewiesen. Einmal: sein unsinniger Text entsprach ganz dem Volksgeschmack; – dann: die Musik zur »Zauberflöte« war das Populärste, was Mozart bis dahin geschrieben, ward somit aber auch seines Ruhmes festeste Säule – – und endlich: die »Zauberflöte« rettete Schikaneder und machte ihn zum grundreichen Manne.

Und Mozart? – Mozart dirigirte sie einige Male; aber die Arbeit an dem Requiem erschöpfte ihn bald so sehr, daß sich die Ohnmachten häufiger und häufiger einstellten und er das Zimmer endlich auf einige Zeit hüten mußte.

Auch heute gab man die »Zauberflöte« wieder .... aber Wolfgang Amadeus Mozart – der große, herrliche Meister, der sie geschaffen – saß auf seinem Zimmer. Das Arbeiten war ihm heute unmöglich geworden! seine Frau – mehr als je für ihn besorgt – hatte ihn unter Thränen beschworen, doch nur einen Tag auszusetzen. Es war ein trüber peinlicher Tag für ihn, der sich aber jetzt seinem Ende zuneigte, denn schon war die Nacht angebrochen. Ein rauher Novemberwind brauste und heulte an den Fenstern vorüber und warf im wilden kecken Uebermuthe die dicken Tropfen eines kalten Regens barsch wider die Scheiben, daß sie klirrten und klapperten, als sollten sie in Stücke gehen; die Windfahnen auf den Dächern aber drehten sich knarrend, den gewaltigen Flügelschlägen des unbändigen Herbststurmes gehorchend.

Mozart lauschte, in einen Sessel gelehnt, den Stößen des Windes.

Es lag ein trüber Herbstabend über der Welt und – über seiner Seele.[264]

Neben ihm auf dem Tische brannte die kleine Lampe, ihm gegenüber auf dem Kaunitz pickte melancholisch die Standuhr. Er war allein; denn Constanze, seine treue Pflegerin, wiegte eben in einem der hinteren Zimmer den kleinen Wolfgang Amadeus mit dem schönen Wiegenliede ein, das der Vater eigens für seinen Jüngstgeborenen componirt hatte.

Alles im Zimmer war todtenstill. Mozarts Augen aber schauten unverwandt nach der Uhr. Er war in Gedanken bei seinem herrlichen Werke, das eben zum sechsundzwanzigsten Male aufgeführt wurde und folgte im Geiste der Vorstellung.

»Jetzt,« – sagte er leise und ein unendlich schmerzliches Lächeln spielte um seine Lippen, – »jetzt ist der erste Act zu Ende.«

Und er hörte den Beifallssturm der Menge, der nicht enden wollte; und er dachte daran, wie sein Werk so Viele reich und glücklich mache, und Jedem die schönen Augenblicke seines Lebens vermehre .... und er hier allein und verlassen sitze. Er dachte daran, wie man ihn im Orchester suchen werde .... und ein Anderer den Tactstab führe, den Scepter im Reiche der Töne, den in der Hand er so oft wie ein Feldherr, wie ein König geherrscht – und nun? Welcher Jubel schallte jetzt dort? – welch' zauberhafte Melodieen ergossen sich, wie süße Ströme der Lust, in aller Ohren und Herzen – – und er, der Schöpfer all dieser Herrlichkeiten, dieser meisterhaften Tongebilde .... er hörte sie nicht! er saß hier einsam und allein, .... matt, müde, krank .... gebrochen an Körper und Seele.

O! es war eine schreckliche Empfindung, die Mozart hier durchzuckte; – es war ihm fast, als sei er schon todt; als sei er weggeworfen, wie ein abgenutztes verbrauchtes Werkzeug; – vergessen von den Menschen, die sich nur an seinen Werken noch belustigten; – ersetzt bereits durch einen Anderen, wie man im Kriege in die Lücke eines Gefallenen gleichgültig einen Anderen schiebt. Er schauerte in sich zusammen über das entsetzliche Nichts des Lebens, über das Nichts aller seiner Anstrengungen, aller seiner zertretenen Hoffnungen und Wünsche.

So saß Mozart mit gesenktem Haupte lange da. Endlich sagte er, als wolle er sich selbst trösten:

»Nun, nun! mein Geist ist doch noch dabei; und schön bleibt es immer, Großes geschaffen und Andere damit beglückt[265] zu haben. Ach! – ich möchte so gerne noch viel Großes schaffen .... es ist so schön, so beglückend dies Schaffen .... es ist so schön .... zu leben!«

Und Mozart seufzte tief auf und versank abermals in Gedanken. Aber nach und nach erhob sich sein Haupt wieder und seine Augen suchten auf's Neue die Uhr:

»Jetzt« – fuhr er leise flüsternd fort – »jetzt singen sie: ›O Isis und Osiris‹« .... »Laßt sie der Prüfung Früchte sehen, doch sollen sie zu Grabe gehen, so lohnt der Tugend kühnen Lauf, nehmt sie in euren Wohnsitz auf.«

Aber plötzlich durchschaudert es ihn. Mit zerschmetternder Gewalt tritt der Gedanke vor seine Seele, daß das Alles für ihn aus sein werde, und seine Augen wenden sich mit Entsetzen von dem Zeiger der Uhr hinweg, der – wie von dämonischer Gewalt getrieben – jetzt rascher und rascher sich zu bewegen scheint und dann .... plötzlich stille steht!

In dem Augenblicke traten Constanze und Abt Stadler ein.

Mozart athmete hoch auf; es war ihm eine Bergeslast vom Herzen gewälzt. Aber Freund Stadler war heute nicht wie sonst. Während sonst immer ein würdevolles und doch freundliches Wesen, gepaart mit leidenschaftloser Ruhe, den Abt charakterisirten, ging er heute, nach kurzem Gruße, ziemlich heftig im Zimmer auf und ab, indeß ein gewaltiger Sturm sichtlich sein Inneres bewegte.

Mozart folgte dem Freunde einige Minuten mit den Augen, dann aber frug er, ganz überrascht über das ungewöhnliche Benehmen desselben, nach der Ursache seiner Aufregung.

Der Abt schwieg einen Moment, dann blieb er vor Wolfgang Amadeus stehen und sagte:

»Lieber Mozart, es giebt Dinge in der Welt, die den ruhigsten Mann aus dem Geleise bringen können. Ich kann nun einmal Schurkereien nicht ruhig mit ansehen!«

»Von welchen Schurkereien ist denn die Rede?« – frug Mozart matt.

Aber Abt Stadler ging abermals einige Minuten mit großen Schritten, schweigend im Zimmer auf und ab. Man sah ihm an, daß er innerlich mit sich kämpfe: ob er reden solle oder nicht. Endlich sagte er, halb zu sich, halb zu Mozart gewandt:[266]

»Ich kann, ich darf nicht schweigen.«

»Ist es denn etwas, was uns betrifft?« – frug hier Constanze mit einem besorgten Blick auf den Leidenden.

»Allerdings!« – versetzte Stadler. – »Ich würde gern schweigen; aber es ist zu wichtig.«

»Und können wir Beide die Sache nicht für uns abmachen?« – frug Constanze weiter. – »Ich möchte gern alles Unangenehme von Wolfgang ferne halten; er ist ohnedem so angegriffen!«

»Liebes Herzensweibchen!« – rief Stadler und seine Mienen drückten das Peinliche seiner Lage aus, – »wie gerne möchte ich das auch; aber hier muß Mozart selbst Aufschluß geben – und verschieben läßt sich die Sache auch nicht.«

»Nun, was ist's denn?« – frug Mozart mit der größten Ruhe.

»Sag' mir doch« – versetzte Stadler – »hast du mit Schikaneder in Beziehung auf die ›Zauberflöte‹ einen Contract gemacht?«

»Nein!« – sagte Mozart.

»Gar nichts Schriftliches?«

»Was braucht's Schriftliches unter Männern?«

»Dacht' ich's doch!« – rief der Abt, und seine Stirne legte sich in düstere Falten. – »Immer das unselige Vertrauen! Freund, wann wirst du einmal klug werden? Weil du ein Mann von Wort bist, glaubst du, Andere wären es auch.«

»Um Gottes Willen!« – fiel hier Constanze erblassend ein. – »Schikaneder wird doch nicht ....«

»Und wie lautete Eure Uebereinkunft?«

»Ich gab ihm die Partitur der ›Zauberflöte‹« – sagte Mozart – »unter der Zusage einer beliebigen Vergütung; nur behielt ich mir vor, daß die Partitur von ihm nicht weiter verkauft werde, damit ich, wenn die Oper Aufsehen mache, sie an die übrigen deutschen Theater verkaufen könne.«

»Und ging er darauf ein?«

»Ich meine denn! Er war entzückt über meine Bereitwilligkeit, ihm aus der größten Noth und Verzweiflung zu helfen, und überschüttete mich daher mit Betheuerungen unverbrüchlichen Einhaltens.«

Stadler hatte dem Freunde mit Spannung zugehört, aber, während jener sprach, wiederholt mit einer Miene den[267] Kopf geschüttelt, die deutlich sagte: es ist unmöglich. Jetzt, da Mozart schwieg, sagte er:

»Und hat dir Schikaneder, – in dessen Kasse es durch die ›Zauberflöte‹ Geld regnet, – jetzt, nach der fünfundzwanzigsten Vorstellung – denn heute ist, so viel ich weiß, die sechsundzwanzigste – eine Summe zukommen lassen?«

»Nein!« – sagte Mozart gelassen – »ich schenke sie ihm auch, denn er braucht viel, um sich oben zu halten. Wenn ich die Oper nur an ein paar andere Directionen gut verkaufen kann.«

»Schenken?« – wiederholte Constanze erschreckt. – »Liebes Männchen, bedenke, daß wir wieder in großer Geldverlegenheit sind. Was wir für ›Titus‹ eingenommen, ging vollständig darauf, um die alten Schulden, wenigstens teilweise, zu decken. Jetzt bist du auch noch leidend, du mußt dich also schonen.«

»Laß doch, gute Seele!« – sagte Mozart und zwang sich zu einem trüben Lächeln, – »mußt dir nicht so viel Sorgen machen. Sieh', die ›Zauberflöte‹ hat ja Glück gemacht, wie keine meiner anderen Opern, – der Lärm darüber erfüllt ja schon das ganze Reich; – – – wenn ich sie nun nach München, Stuttgart, Dresden und Berlin verkaufe ....«

Abt Stadler stampfte hier, sich selbst vergessend, mit dem Fuße ingrimmig auf den Boden, was er sonst nie that. Aber Schmerz und Zorn hatten ihn übermannt.

»Ja, wenn, wenn!« – rief er dann, und seine Augen leuchteten in einer heiligen Indignation. – »Wenn eben Schikaneder nicht ein Schurke wäre, und die Partitur gegen Recht und Gewissen an alle jene Theater schon verkauft hätte!«

Constanze stieß einen Schrei aus; dann folgte eine längere Pause.

»Ich glaub's nicht!« – sagte Mozart endlich.

»Und ich weiß es!« – versetzte der Abt. – »Du hast Süßmayer aufgetragen, die Oper den genannten Theatern zu offeriren.«

»Ja!«

»Nun, die Antworten sind da. Süßmayer hatte nur nicht den Muth, sie dir mitzutheilen, was ich thue, um, wenn[268] es noch möglich ist, zu helfen. Die Directionen danken, da sie die Partitur schon besitzen.«

»Es ist nicht möglich!« – rief Constanze, über den neuen Schlag alle Fassung verlierend – »es ist nicht möglich! Schikaneder ist Mozarts Freund, hat Mozart seine Rettung zu verdanken, hat so unendlich viele glückliche und genußreiche Stunden in unserem Hause verlebt, hat ihm so oft Liebe, Treue und Dankbarkeit gelobt und geschworen; – die ›Zauberflöte‹ macht ihn zum reichen Mann, und er sollte ....« sie konnte nicht weiter reden, Ueberraschung, Staunen, Angst und Schmerz machten das Wort auf ihrer Zunge ersterben.

Stadler ging mit aufeinandergepreßten Lippen, Flammen eines edlen Zornes in den Augen auf und ab. Nur Mozart blieb ruhig, und sagte einzig:

»Der Lump!«86

»Und soll man nicht gerichtlich gegen ihn auftreten?« – frug jetzt Stadler. – »Ich will alles besorgen, auslegen, selbst ....«

Mozart schüttelte mit dem Kopfe; dann sagte er, zu seinem Weibe und dem Freunde gewandt:

»Wenn Ihr mich lieb habt, so redet mir nicht mehr von der Sache. Schikaneder ist ein Mensch, wie wir Alle. Das Böse ist nicht in ihm, sondern an ihm; es ist ein schmutziges Kleid der ursprünglich reinen Seele. Die armen Teufel von Menschen sind meist gut, wenn man sie nur recht kennt. Jede Dissonanz, jeder Mißklang in und unter ihnen löst sich endlich doch auf in dem harmonischen Allklang des Ewigen und Göttlichen.«

Mozart, in dessen Ton etwas unendlich Mildes gelegen hatte, schwieg. Constanze erhob sich und verließ unbemerkt das Zimmer. Sie mußte sich an der Wiege ihres schlummernden Lieblings ausweinen – – ausweinen über den Schlag, der sie und ihren nur zu guten Mann wieder getroffen; – ausweinen in Angst und Entsetzen über die Zukunft, die ihr finster entgegengähnte. Abt Stadler aber war voll Staunen und Bewunderung vor Mozart stehen geblieben. Welch' eine große, edle Seele, in die selbst ein solcher Verrath an der Freundschaft, eine solche empörende Schurkerei auch nicht [269] einen Schatten von Zorn und Unwillen zu werfen vermochte! Stadler konnte sich in seiner aufrichtigen Bewunderung kaum fassen. Er hätte sich in diesem Augenblicke vor dem Freunde beugen, ihm die Hände küssen können. Er gestand sich ein: Mozart hatte hier wieder sehr, sehr unklug, sehr unpraktisch gehandelt .... aber .... was hatte ihn wieder dazu verführt: sein unendlich gutes Herz. Er rettete Schikaneder mit der größten Uneigennützigkeit, und als ihn dieser um Alles betrog .... sprach er ein Wort der Verachtung .... und vergab!

Und während Abt Stadler dies dachte, ward es wieder ruhiger in seinem Innern, und die Liebe und Verehrung, die er schon so lange Mozart entgegengebracht, erfüllten jetzt sein Herz mit doppelter Gluth. Aber beide sprachen auch aus seinen Blicken, sprachen sich aus in dem innigen Druck der Freundeshand, die er erfaßt, – sprachen sich aus in den Worten:

»Wahrlich, du bist eine edle Seele!«

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 263-270.
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