24.

Das Requiem.

[270] Langsam und ernst verhallten eben in dunkler Nacht die Glockenschläge von St. Stephan. Es war zwölf Uhr. Ueber die Erde aber fuhr ein unfreundlicher kalter Herbstwind. Und der Wind schüttelte draußen die Bäume, daß die letzten dürren Blätter, die nur noch matt und träumerisch an den Aesten hingen, weithin flogen, sich in irgend einem Winkel der Ferne ein Grab suchend; – durch die Straßen der Stadt aber fuhr er pfeifend und heulend, und die Wenigen, die sich hier noch fanden, flohen vor ihm, und bargen sich schüchtern in den schützenden Häusern.

Und wieder standen hochoben die glitzernden Sterne; aber ihr Glänzen war ein kaltes, einsames, erhabenes. Wie der Wind über die Bäume und durch die Straßen, so war der Sturm von Jahrtausenden und Jahrtausenden unter ihnen hinweggesaust: – und wie hier der Herbstwind welke Blätter[270] abstreifte und spurlos verwehte, so hatte hier der Zeitensturm vor ihren Augen Welten hinweggeweht, daß sie wie ein Stäubchen im All verschwanden. Und wie sie Welten kommen und gehen sahen, so waren Myriaden und Myriaden Menschen, mit ihren Freuden und ihrem Jammer, mit ihrer kurzen flüchtigen Lust und ihren langen verzehrenden Qualen, mit dem Aufblitzen ihres Seins und dem spurlosen Verschwinden ihres »Ichs«, an ihnen vorübergegangen. Sie sahen den Tod und die Vernichtung auch jetzt wieder unaufhörlich ihre Sichel schwingen; aber sie glänzten und leuchteten ruhig fort, denn sie wußten, daß auch dieses nur Schein sei, und daß es doch keinen Tod und keine Vernichtung gebe, sondern nur ein ewiges, einiges, unendliches Leben. Aber eine dunkle Wolke lag zwischen diesem Wissen und dem der Sterblichen, und auch jetzt weinten zahllose Augen an Krankenlagern und über Todtenbetten.

Und wie ein einziges großes gewaltiges Todtenbett, wie ein unermeßlicher Kirchhof lag jetzt die Welt. Selbst Wien – das sonst so üppige, heitere, genußsüchtige Wien – glich nun, in der Stille der Mitternacht einem Friedhofe, so leer und todt und einsam waren die Straßen, – so stumm, ernst und feierlich ragten die Häuser empor, gleich den gewaltigen Epitaphien derer .... die da gestern gewesen!

Nur hie und da leuchtete durch eines oder das andere Fenster ein schwacher Lichtschimmer.

Vor einem dieser Häuser aber, die noch Licht hatten, stand, in den Schatten gedrückt, eine dunkle Gestalt. Sie war so dicht verhüllt, daß sie Niemand erkannt haben würde, selbst wenn es hier in der Nähe sonst ein lebendes Wesen gegeben hätte. Ein weiter, faltenreicher, schwarzer Mantel umhüllte sie ganz und fiel selbst bis zur Erde herab, während eine Art Kaputze den Kopf bedeckte.

Der Nachtwind sauste mächtig an ihr vorüber, – sie bewegte sich nicht; – neugierig zauste er an dem Mantel, – sie zog ihn fester an und ließ es ruhig geschehen.

So stand die Gestalt schon seit zehn Uhr. Es hatte elf, es hatte zwölf Uhr geschlagen – sie war unbeweglich auf ihrem Platze geblieben. Aber es war auch ein eigenthümlicher Zauber, der sie hier fesselte: aus dem oberen Geschosse des Hauses nämlich ertönte eine wunderbar herrliche Musik! – ein Musik die Mark und Bein erschütterte, – eine Musik, die [271] eine unaussprechlich erhabene Trauer athmete, – eine Musik aus Thränen, Schmerz und Liebe gewoben!

Es waren nur wenige Instrumente und wenige Stimmen, aber was sie vortrugen, war göttlich groß, himmlisch schön!

Und leise, leise, – wie mit unendlichem namenlosem Schmerze und kindlich-frommer Hingabe tönte es durch die Nacht:

»Requiem aeternam dona eis Domine! et lux perpetua luceat eis. Ewige Ruhe schenke ihnen, o Herr! und unvergängliches Licht erleuchte sie.«

»Te decet hymnus, Deus, in Sion, et tibi reddetur votum in Jerusalem. Dich preiset die Hymne, o Gott, in Zion, und Gelübde werden dir erfüllt in Jerusalem.«

»Exaudi orationem meam, ad te omnis caro veniet. Erhöre unser Gebet, alle Sterblichen erscheinen vor dir.«

»Requiem aeternam dona eis Domine! et lux perpetua luceat eis! Ewige Ruhe schenke ihnen, o Herr! und unvergängliches Licht erleuchte sie!«

Es war ein Requiem – eine Todtenmesse, die man hier vortrug, wenigstens der Anfang davon.

Die verhüllte Gestalt sog athemlos jeden Ton ein. Sie hatte manches Requiem schon gehört, aber eine solch' erhabene Musik noch nicht. Sie lauschte und lauschte, und vor ihren Augen war es, als gestalte sich die Welt zu einem ungeheuren Dome, und die Nacht schlug ihn schwarz aus, und die Sterne waren die Lichter darin. Und in ihrer Aufregung sah sie vor sich aus der Erde einen Catafalk steigen, schwarz bedeckt und mit Lichtern umstellt, und auf dem Catafalk stand ein Sarg, .... und in dem Sarge lag ein stiller Schläfer. Und um und um knieeten Hunderte und beteten mit gebrochenem Herzen und thränenfeuchten Augen innig zu Gott, und es tönte von ihren Lippen:

»Requiem aeternam dona eis Domine! et lux perpetua luceat eis! Ewige Ruhe schenke ihnen, o Herr! und unvergängliches Licht erleuchte sie!«

Aber was ist das? erhebt sich, den Hymnus beginnend, jetzt nicht die Stimme eines Engels? Höre, höre nur? .... ist das nicht Cäcilie, die Heilige selbst, mit dem Zauberklang ihrer Orgel den sanften Gang der Stimme begleitend? – O nein, nein! das kann nicht das Werk eines Sterblichen sein! – wer dies geschrieben, der hat selbst dem Tode schon in das Auge gesehen, – dem hat der Allmächtige vergönnt, einen Blick in die Gefilde der Ewigkeit zu werfen.[272]

Die Gestalt bebt bei diesem Gedanken zusammen. Der Deckel des Sarges auf dem Catafalk springt auf – – – sie sieht – – Mozarts Leiche. Ein Schrei entfährt ihrer Brust – – es war der Schrei eines Weibes.

Aber der Schrei hatte die Verhüllte zu sich gebracht. Scheu sieht sie um sich, ... es ist still wie im Grab. Niemand hat sie gesehen, Niemand gehört. Sie kann ruhig sein, sich einsam und still ihrem Schmerze überlassen. Er? .... o er ahnt nicht, wer hier vor dem Hause steht, von trüben Nachrichten weit hergerufen – heute angekommen und heute schon – der Nacht und dem Sturme trotzend – hierher geeilt, um nur ihm noch einmal in treuer Liebe nahe zu sein, .... noch einmal .... ehe vielleicht seines Lebens Licht .... rasch verlischt.

Doch horch, horch! .... wie der Gesang sich in kanonischen Windungen kund giebt, welche lang gedehnt, gleich den Echos einer Hymne aus den ersten Tagen des Christenthums durch die Gallerieen und die Grabdenkmale einer ungeheuren Catakombe ertönen. Und jetzt, jetzt .... schließt Alles mit einer sanften und geheimnißvollen Feierlichkeit auf der Dominante: »luceat eis!«

»Requiem aeternam dona eis domini! et lux perpetua luceat eis! Ewige Ruhe schenke ihnen, o Herr! und unvergängliches Licht leuchte ihnen!«

Und es wird still. Athemlos lauscht die Verhüllte! ... Jetzt ein Geräusch .... man geht!

Rasch zieht die Gestalt die Kaputze tief über das Gesicht, schlägt den Mantel fester um und eilt nach der nächsten Straße. Dort – einem auf sie wartenden Diener das Zeichen gebend, ihr zu folgen, – ist sie wie ein Schatten verschwunden ....

Wenige Minuten später öffnet sich die Thüre des Mozartschen Hauses und Abt Stadler, Süßmayer, Seyfried, Schack, Albrechtsberger und Sophie Weber treten heraus. Aber nicht lachend und scherzend, wie früher so manchesmal; – Alle sind ernst gestimmt und tief ergriffen: sie haben auf Wolfgang Amadeus dringend wiederholte Bitten den Eingang seines Requiems probirt.

Sie drücken sich mit unterdrückten Seufzern die Hände und verschwinden ebenfalls in dem Dunkel der Nacht. – –

Der kommende Tag war heiter und schön. Der Wind, der in der Nacht so mächtig gehaust, hatte sich gegen Morgen[273] gelegt, und der aufgehenden Sonne einen reinen, tiefblauen Himmel überlassen.

Wer kennt solche erquickende Herbsttage nicht, die unwiderstehlich in's Freie locken. Die Luft ist dann kräftig und frisch, während die schon tiefer stehende Sonne ihre letzten sommerlichen Abschiedsküsse der Erde zuwirft. Auch das ist ein Scheiden, – ein Hinsterben der Natur, – und für jedes fühlende Herz hat daher der Herbst auch etwas Elegisches, nur daß wir hier über das Grab, in welches der Winter die Natur senkt, hinüber zu blicken vermögen und die Gewißheit eines Frühlings, der da kommen muß, uns schon im Voraus tröstet.

Die nächtliche Probe hatte Mozart sehr angegriffen; auch war Doctor Clossel, Wolfgang Amadeus Hausarzt, als er von derselben erfuhr, gar nicht damit einverstanden; jetzt aber rieth er Constanzen, das herrliche Wetter zu benutzen und mit ihrem Gatten nach dem Prater zu fahren.

»Nach dem Prater!« – ach! das ließ sich Mozart nicht zweimal sagen; der Prater war ja immer ein Lieblingsaufenthalt für ihn gewesen. Welche glückliche Stunden hatte er dort erlebt! welche heitere Erinnerungen knüpften sich hier an jedes Plätzchen.

»Nach dem Prater! – ja nach dem Prater!« – sagte er lächelnd. – »Wir wollen einmal wieder recht heiter sein.«

Seine Frau ging, das Dienstmädchen nach einem Wagen zu senden. Als sie wiederkam, stand Amadeus noch an dem Fenster, durch das die Sonne warm und mild hereinschien und spielte, seiner Gewohnheit nach, mit den Fingern Clavier auf den Scheiben. Jetzt wandte er sich langsam um und sagte fast träumerisch:

»Stanzerl, warum waren wir nur so lange nicht mehr heiter?«

Aber Constanze konnte nicht antworten; der Schmerz drückte ihr beinahe das Herz ab. Hätte sich Mozart im Spiegel besehen, wäre jede Antwort überflüssig gewesen.

»Du schweigst?« – fuhr Wolfgang Amadeus fort. – »Nicht wahr, du hast wieder recht viel Sorgen, arme Seele, – – Geldsorgen, – Sorgen über deinen kranken Mann – – und dann das Requiem!«

»Das Requiem?« – wiederholte Constanze unbefangen – »ich wüßte nicht, was mir das Requiem für Sorgen machen sollte – – insofern du nämlich das Arbeiten daran nicht[274] übertreibst. Und was dich betrifft, Wolferl, nun, so wird es auch wieder besser werden. Nur ein Bischen Geduld muß mein gutes Männchen haben, und sich etwas mehr Ruhe gönnen.«

Wolfgang schüttelte den Kopf, während ein eigenthümliches ungläubiges Lächeln um seinen Mund spielte.

»Den nächsten Sommer« – fuhr dann Constanze tröstend fort, indem sie ihren Arm um seine Schultern legte, und ihn zärtlich und freundlich ansah und auf die Stirn und Wangen küßte – »den nächsten Sommer machen wir dann zusammen eine Erholungsreise. Du weißt, daß uns Graf Thun, dein alter Freund und Verehrer, oft schon dringend eingeladen hat, einen Theil des Sommers auf seinen Gütern zu verbringen. Bis jetzt gab es immer Hindernisse; – diesen Sommer aber soll uns nichts davon abhalten. Und da soll mein Wolferl einmal sehen, wie gut ihm die Landluft, das Spazierengehen, das Kegelschieben und Billardspielen bekommen wird.«

Wolfgang schüttelte abermals den Kopf und lächelte trübe; dann sagte er in ganz eigenem Tone:

»Das Requiem, – das Requiem!«

»Nun?« – frug Constanze erstaunt – »was ist denn mit dem Requiem?«

Mozart wollte etwas antworten, hielt aber plötzlich zurück und sagte nur:

»Es muß erst fertig sein!«

»Bis zum Sommer?« – frug Constanze lachend; .... aber in demselben Augenblicke fuhr der von dem Dienstmädchen herbeigerufene Wagen vor. Beide setzten sich ein und fuhren dem Prater zu.

Anfangs schien der Ausflug in der That günstig auf Wolfgang Amadeus einzuwirken; aber allmälig machte sich die in der Natur herrschende elegische Stimmung doch auch bei ihm geltend. Um nun der allzugroßen Einwirkung dieser Stimmung vorzubeugen, schlug Constanze vor, nach demjenigen Platze zu fahren, den ihr Mann sonst hier vor allen andern gern besucht, nach der Restauration zum »Regenbogen.«

Mozart nickte, und bald saßen Beide an ihrem Lieblingsplätzchen.

Aber .... sie waren allein .... und Wolfgang trank selbst den Burgunder, den er sonst doch leidenschaftlich[275] geliebt und so oft bei übersprudelndem Witz und der heitersten Laune hier getrunken, nur in kleinen, kleinen Schlückchen. Er schmeckte ihm heute nicht. Endlich sagte er:

»Es ist doch etwas Eigenthümliches mit diesem herbstlichen Absterben der Natur. Selbst der Leichtsinnigste wird ernst gestimmt, wenn er dies allmälige Versinken in das Grab des Winters beobachtet. Es erinnert uns unwillkürlich an das Kommen und Gehen – das Aufblühen und Welken – das Hoffen und Täuschen, – das wellenschlagende Vorüberrauschen aller irdischen Erscheinungen.«

»Aber auch an den Frühling!« – sagte Con stanze in dem heitersten Tone, der ihr zu Gebote stand – »und an all' die Pracht und den Jubel, die er mitbringt.«

»Die aber doch nur die neuen Blumen sehen und hören, die alten, verwelkten nicht mehr.«

»Ei!« – meinte die Gattin – »wer spricht denn von Blumen, und was liegt an diesen; jeder Frühling überschüttet ja die Welt mit Millionen und Millionen neuer Blüthen. Aber der Mensch überdauert sie, wenn er sich nur heiter und frisch in seinem Innern erhält. Ich weiß nicht« – fuhr sie dann gemüthlich fort – »auf mich kann dieser Wechsel der Natur keinen solch' trüben Eindruck machen. Nun ja, alles Irdische ist freilich dem Wechsel unterworfen; ist aber dieser ewige Wechsel nicht gerade unser Glück und von unendlich hoher Bedeutung für uns? Was wäre die Welt um uns her ohne Schatten und Licht? In dem Wechsel, der mich umrauscht, soll ich meine Bildung und Erziehung finden; – er gerade soll mich, durch den Gegensatz zu dem Ewigen, auf meine Bestimmung aufmerksam machen; er soll mich Weisheit lehren. Nur in der großen Schule des wechselvollen Lebens bildet sich der Character des Menschen und seine Thatkraft aus. Ich meine außerdem: gerade mein Wolfgang Amadeus hätte genugsam bewiesen, daß es in all diesem Wechsel auch etwas Dauerndes, Ewiges giebt.«

»Wie so?«

»Sind deine Tonschöpfungen nicht Beweise dafür?«

»Ei!« – sagte Mozart lächelnd – »du wirst diese doch nicht für ewig halten?«

»Nein!« – versetzte Constanze – »in der vollen Bedeutung des Wortes freilich nicht; obgleich ich überzeugt bin, daß sie die Unsterblichkeit meines theuren Amadeus begründen[276] werden. Ewig aber ist jedenfalls der Geist, der in ihnen lebt; – ewig sind die Schönheiten, die sie in so reichem Maße enthalten; ewig vor allen Dingen ist die Wahrheit, die in ihnen liegt. Deine Musik, Wolfgang, ist wahre Musik, – Musik, die aus dem Herzen kommt und zu dem Herzen dringt. Du hast in der Musik der Wahrheit den Weg gebahnt und dem italienischen Klingklang und Singsang den Todesstoß gegeben. Du hast eine deutsche Musik geschaffen – und das hebt gerade dich und deinen Namen über allen Wechsel empor!«

»Ja!« – sagte hier Mozart, und über seine Züge lief eine stille Verklärung – »das habe ich gethan. Und ich glaube wirklich, mir im Reiche des Geistes dadurch das Ehrenbürgerrecht erkämpft zu haben, wenn man mir es auch in den Reichen dieser Welt bestreitet. Ich schuf Manches, was dauern wird – woran sich die Menschen noch lange erfreuen, heranbilden, veredeln und erheben werden!«

»Nun?« – frug Constanze mit einem Blick voll stolzer Freude – »ist dies nicht ein schöner, erhebender Gedanke?«

»Gewiß!« – versetzte Mozart – »es ist ein trostvoller, das Herz erhebender Gedanke; – ein Gedanke, der mich in der That schon oft gekräftigt und gestärkt hat. Und dann, liebes Kind,« – fügte er unendlich milde hinzu – »ich darf auch die Hand auf das Herz legen und mir zugestehen, daß ich, mein ganzes Leben hindurch, wacker gearbeitet und – stets das Gute gewollt habe.«

»Gewiß, gewiß!« – rief Constanze.

»Und wenn auch hie und da bei meinem künstlerischen und menschlichen Streben die Ausführung hinter dem guten Willen noch zurückblieb; – wenn ich auch das nicht geleistet habe, was mir als Ideal vor der Seele schwebte, .... so habe ich doch als schwacher Mensch redlich gestrebt. Ich war dabei immer, wie ich mich gab, und so müssen mich selbst meine Feinde achten, und mein Andenken wird bleiben, auch wenn mein Körper längst in Staub zerfallen ist.«

»Vorher aber« – sagte hier Constanze, indem sie mit der ganzen Kraft der Seele ihre innere Bewegung niederkämpfte, – »vorher soll mein Wolfgang Amadeus noch viele schöne Siege erleben!«

Mozart schüttelte abermals mit dem Kopfe, und dem Gange seiner Gedanken folgend, fuhr er trübe und mit mattem Tone fort:[277]

»Man hat mich viel verfolgt, – hat mir mein lebensfrohes Wesen, meine Offenheit, meine Wahrheitsliebe und Unbestechlichkeit, mein Ankämpfen gegen veraltete und verrostete Vorurtheile, mein Wirken für eine freie nationale Entwicklung der Musik zum Verbrechen gemacht; – – ich weiß es – – weiß auch, wer mich um die Liebe unseres guten Kaiser Joseph gebracht, – wer mir Ehre, Ruhm und Lebensglück geraubt.«

»Liebes Herz!« – rief hier Constanze mit der ganzen Fülle innigster Theilnahme – »sieh doch nicht Alles so finster an! Sonst ....«

»Sonst!« – fiel ihr Mozart in's Wort, – »ja sonst! Sonst war ich auch ein anderer, ein lebensfroher, ein heiterer und glücklicher Mensch; – – – jetzt – – jetzt bin ich eine Ruine, zerstört, in sich selbst zerfallend – nur noch ein Schatten von dem, was ich war.«

»Und das kann Wolfgang Amadeus Mozart sagen?« – versetzte Constanze – »dessen Zauberflöte, dessen Titus – beide in den letzten Monaten geschaffen – bereits die Welt durch ihre ungeheuren Erfolge mit neuem Ruhme füllen?«

»RuhmErfolg!« – wiederholte Wolfgang melancholisch – »das sind auch Dinge, die meinem Sonst angehören. Sieh!« – fuhr er fort, rückte seinen Stuhl näher und lehnte sich vertrauensvoll an sein Weib; – »sieh, mit dem ›Sonst‹ und ›Jetzt‹ ist es eine eigene Sache. Schaue einmal um dich, liebe Seele. Sonst – ja noch vor wenig Wochen – da prangten alle diese Bäume in dem vollen Schmucke ihres Laubwerkes. Wie stolz hoben sie da ihre Häupter gen Himmel, – wie freuten sie sich des gefiederten Orchesters, das unter ihrem grünen Blätterdache nistete, und so froh und fröhlich seine Lieder zum Himmel sandte, – wie lachte da noch die ganze Natur .... und jetzt? – ... wo ist all' das Leben, all' der Glanz, all' die Freude hingekommen? Entlaubt nackt und traurig stehen die Bäume – ein weites, ödes Grab ist die Welt. Ist es mit mir und meinem Leben anders? Sind nicht alle meine Hoffnungen und Erwartungen zerknickt und zertreten .... und zu welchen Hoffnungen hatte mich einst das Leben berechtigt! – – Du weißt, welche Triumphe das Kind schon feierte. Ach! welche Erwartungen knüpfte mein edler Vater an diesen kindischen Enthusiasmus[278] der Menschen für sein Kind. Der gute Mann schläft längst im kühlen Schooß der Erde, sein Sonn hat es in dreißig langen Jahren voll Streben, Mühen, Kämpfen und Arbeiten nicht einmal zu einer seiner würdigen Stellung, – nicht zu einer sorgenfreien Existenz gebracht. Ich sah als Knabe Italien, – – das schöne, liebe Italien – – und Italien, damals das Land der Musik, huldigte dem Knaben; Papst und Kardinäle kamen mir freudig entgegen und Pater Martini – der große, gewaltige Heros im Gebiete der Musik – reichte mir liebevoll die Bestallung als Mitglied der philharmonischen Akademie. O, Constanze! Constanze! welche Zukunft sah ich damals vor mir liegen, – welche Träume der Größe stiegen da in meiner Seele auf! was wollte ich alles erreichen, was alles schaffen, werden?! Noch höre ich den Jubelruf der tausend und aber tausend Stimmen nach der ersten Aufführung meines ›Mithridate Re di Ponto‹ – ›Evviva il maestro! evviva il maestrino!‹ erklang dem 14jährigen Kinde so süß, – nicht aus Eitelkeit – nein wahrlich nicht! aber der Knabe fühlte, daß er des Ruhmes erste Stufe erstiegen habe. Deutschland, sein liebes Deutschland – sein theures Vaterland sollte ihm den vollen Kranz der Ehre auf die Schläfe drücken.«

Mozart hielt hier einen Augenblick inne; ein schmerzlicher Gedanke schien ihn zu durchzucken, und Constanze ehrte schweigend das Gefühl, was sie errieth und mit ihm theilte. Endlich fuhr er fort:

»Deutschland that es nicht! Die Zeit der Jugend, des Glückes war vorüber und Täuschungen folgten auf Täuschungen. Ich suchte eine entsprechende Stellung, einen Wirkungskreis in München – – vergebens: man wies mich zurück, man hieß mich nach Italien gehen und etwas lernen – und Italien hatte mir längst so freundlich und ehrenhaft zugejauchzt. Ich ging nach Mannheim und fand – dich, meinen lieben, guten, treuen Engel – aber sonst wieder Täuschungen auf Täuschungen. Charlatane glänzten am Hofe; für mich gab es kein Plätzchen. Da eilte ich nach Paris. Ich sah es zum zweitenmale, um bittere Erfahrungen zu sammeln, meine gute Mutter dort für ewig zu betten und ärmer heimzukehren, als ich gekommen. Und nun – nein! – laß mich von dem knechtischen, unwürdigen Verhältniß schweigen, in welchem ich von da an in Diensten[279] des Fürstbischofs von Salzburg leben mußte. Mein Innerstes empört sich bei dem Gedanken daran und – ich möchte nicht bitter werden. Ich habe auch ihm verziehen.«

Mozart hielt abermals einen Augenblick inne. Das Sprechen und die innere Aufregung hatte ihn erschöpft, Constanze füllte sein Glas, er nahm einen Schluck und fuhr fort:

»Da machte ich mich frei, und von da an begann eine glücklichere Epoche. Ich liebte dich, ich fühlte in jugendlichem Muthe die Kraft in mir: Welt, Menschen und Schicksal – Anerkennung, Ehre und Glück abzutrotzen; – ich hoffte das Höchste, strebte und rang nach dem Höchsten – und – in diesem Hoffen und Streben war ich glücklich, seelig! – – Aber – – ich sollte es eben auch nur darin werden. Kaiser Joseph liebte mich, – ich sollte der deutschen Musik den Weg bahnen, – sollte, was mein höchster Wunsch von jeher gewesen, eine deutsche Oper gründen, leiten, dirigiren ... sollte endlich, endlich einen Wirkungskreis erlangen, indem ich, ach! so Herrliches hätte leisten können – da – untergrub man den Boden, auf dem ich stand – – raubte mir des Kaisers Gunst und Vertrauen, und wandte mir hohnlachend den Rücken. Ach, liebes Weib, der Stachel ist immer geblieben, – an der Wunde habe ich mich verblutet! – – Meine ›Entführung‹, mein ›Figaro‹, mein ›Don Juan‹ haben nichts oder wenig hier gemacht. Ich habe ewig, ewig zu kämpfen, zu sorgen, mich um des elenden Geldes willen zu quälen gehabt – – – und nun – nun ja ›die Zauberflöte‹ gefällt, ich freue mich darüber, aber ein Anderer wird reich – und ich muß dich wieder darben sehen und bin selbst in all' den Stürmen zur Ruine geworden, morsch, gebrochen – ein Nichts! – dies, mein Herz, ist mein ›Sonst‹ und mein ›Jetzt!‹ Dies ist die Dornenkrone, die mir das Leben, die mir das Vaterland statt der geträumten Lorbeerkrone gab.«

Mozart schwieg. Sein Haupt senkte sich matt auf seine Brust, seine Augen schlossen sich, und kaum mochten die freundlichen, liebevollen Tröstungen, die seine Gattin an ihn richtete, in ihm zu klarem Bewußtsein gelangen. Erst nach längerer Zeit hob sich sein Haupt wieder:[280]

»Mag dem Allen sein, wie ihm wolle« – sagte er dann, und eine edle Zuversicht leuchtete auf Augenblicke aus seinen Augen – »der Gedanke, daß ich immer das Gute und Rechte angestrebt, hat mich gehalten und richtet mich noch auf.«

»Ach ja!« – sagte hier Constanze – »wären nur alle Menschen so offen, wahr, kindlich gut und strebsam, wie mein Wolfgang, dann würde die Welt weniger schöne Worte hören, aber mehr gute Thaten sehen; dann würde der Freund nicht mehr zum Feinde werden; dann würde die Treue nicht mehr so oft die Farbe wechseln und Verrath und Betrug der Lohn der Liebe und der Freundschaft sein! – Aber« – setzte sie dann, sich an ihn schmiegend, tröstend hinzu – »fasse nur Muth, Wolferl, du wirst dich am Ende doch noch durchkämpfen. Es dauert auch gewiß nicht mehr lange, bis dir eine, deiner würdige Anstellung wird, so daß du dich sorgenfreier bewegen, ganz nach Muße schaffen kannst.« ....

»Nein!« – sagte hier Mozart, indem er seine kalt-feuchte Hand auf die seiner Gattin legte, und diese mit einem so wunderbar ernsten und tiefen Blicke ansah, daß sie in sich zusammenschauerte, – »nein! das werde ich nicht erleben

»Und warum nicht?« – frug Constanze mit zitternder Stimme.

Mozart sah schweigend, wie in tiefe Gedanken verloren, vor sich hin. In demselben Augenblicke trieb ein leiser Wind ein welkes Blatt auf der Erde langsam und raschelnd vor sich her – da kam ein stärkerer Stoß – und fort war es, – verweht in alle Lüfte.

Mozart nickte schwermüthig, dann sagte er leise:

»Das Requiem, das Requiem!«

»Und was ist's schon wieder mit ihm?« – frug Constanze.

Da füllten sich plötzlich Mozarts Augen mit Thränen, und – einen langen unaussprechlich schmerzlichen Blick auf seine geliebte Constanze werfend – sagte er:

»Kind, ich überlebe es nicht. Ich schreibe es für mich selbst!«87

Constanze erblaßte. Aber sie faßte sich rasch wieder.

»Welche Träume!« – rief sie – »ich werde dir die Partitur wegnehmen, wenn dich die Arbeit daran so melancholisch[281] stimmt! Gewiß, du wirst bald wieder wohl sein, und dann lachst du über deine jetzigen schwarzen Phantasien!«

»Nein!« – fuhr Mozart kopfschüttelnd fort, – »nein! ich fühle es zu sehr, mit mir dauert es nicht mehr lange: gewiß, man hat mir Gift gegeben! Ich kann mich von diesem Gedanken nicht loswinden!«88

Und er stand auf, nach dem Wagen zu gehen. Constanze, der diese Rede wie Bergeslast auf das Herz gefallen, versuchte Alles, ihm das Grundlose seiner schwermüthigen Vorstellungen zu beweisen und die trüben Gedanken auszureden. – Umsonst! Mozart antwortete nur noch durch ein verneinendes Kopfschütteln. Beim Aussteigen aber wiederholte er:

»Ich fühle, – ich weiß esich schreibe das Requiem für mich selbst!«

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 270-282.
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