26.

[291] »Requiem aeternam dona eis Domine, et lux perpetua luceat eis!«

In dem Vorzimmer, das zu Mozarts Schlafgemach führte, hatten sich eine Menge Freunde versammelt: Stadler, Schack, Görl,94 Süßmayer, Albrechtsberger, Seyfried und sein Schwager Hofer. Aber sie sprachen alle nur wenig und dann leise: es ist ja immer ein drückendes und beengendes Gefühl, dem Tode nahe zu kommen – und – in diesem Hause, in diesen Zimmern wehte sein Athem schon. Es war ja jener eigenthümliche, meist von Moschus herrührende Geruch, der uns, wo wir ihn treffen, auch in gesunden Tagen so peinlich berührt.

Constanze war mit Dr. Clossel am Bette des Kranken. Er lag still und geduldig da, obgleich er körperlich und geistig litt; denn seit einigen Tagen waren seine Glieder angeschwollen und ein schlagartiger Anfall hatte seinen ganzen Körper gelähmt; während die Sorge um Weib und Kind mit Centnerschwere auf seiner Seele lastete. Aber glücklicher Weise gab es für den sterbenden Künstler einen Gedanken, der alle anderen niederdrückte, und das war der Gedanke an das Requiem und seine Vollendung. Er schrieb es ja für sich: es war sein größtes Meisterwerk – und – das letzte innige Gebet des Sterbenden zu seinem Schöpfer![291]

»Sind einige von den Freunden da?« – frug er jetzt leise.

»Ja!« – entgegnete Constanze, deren Augen fast keine Thränen mehr hatten, und sie nannte die Anwesenden.

»So laß sie kommen!« – fuhr Mozart fort – »ich möchte doch einmal das Requiem hören.«

Constanze sah den Arzt fragend an, da aberDr. Clossel zustimmend nickte, ging sie, die Freunde zu holen. Sie traten auf den Zehen ein und nahmen auf des Sterbenden Bitten mit schwerem Herzen die Stimmen des unseligen Todtengesanges. Süßmayer setzte sich an das Clavier, Schack sang den Sopran, Hofer den Tenor, Görl den Baß und Mozart .... Mozart, .... der sterbende Mozart .... den Alt.95

Aber welch' ein Gesang? – welch' eine Musik? – welche Stimmung in den Freunden, – in ihm selbst!

Der Arzt hatte Constanze hinweggeführt, die sich erschöpft und weinend in die Kissen des Sophas warf, das in dem Vorzimmer stand. Und doch klangen die Töne leise, leise zu ihr herüber, und es war ihr, als höre sie Engelchöre, die an dem Throne Gottes für ihren theuren, für ihren unaussprechlich geliebten Gatten flehten. Und sie sank auf die Kniee und betete aus voller, voller Seele.

In dem Krankenzimmer aber ging der Gesang weiter; bald seine imposante düstere Majestät entfaltend, bald in frommen, heiligen Klängen die tiefsten Tiefen eines anbetenden Menschenherzen erschließend.

So kam man bis zu dem Lacrymosa, – diesem herrlichen Gesang der Thränen – dem Eindringlichsten, was die Welt unter allen kirchlichen und profanen Chören besitzt, der – mächtiger wie alle andere Zerknirschung und Schrecken – vom höchsten Schmerz, das höchste, religiöse Flehen ausdrückt. Aber sein Eindruck war selbst für den Meister zu allgewaltig: Todtenblässe bedeckte plötzlich seine Züge, – die Augen füllten Thränen, die Hände ließen die Blätter sinken ... der Gesang verstummte .... Alle schwiegen in heiliger Ehrfurcht. – –

Es war dies am Morgen geschehen; die Freunde hatten das Haus wieder verlassen; auch der Arzt war dem Rufe seiner Pflicht gefolgt, jedoch mit dem Versprechen, gegen Abend wiederzukommen.[292] Nur Süßmayer war noch da. Ueber den Meister gebückt, lauschte er den Winken, die dieser ihm noch immer mit kaum vernehmlicher Stimme gab.

Constanze erwartete mit Ungeduld und namenloser, unaussprechlicher Angst ihre Schwester Sophie, diese treue helfende und tröstende Seele. Endlich, endlich trat sie ein: Constanze athmete auf:

»Gott Lob, daß du da bist!« – rief sie ihr entgegen. – »Heute Nacht ist er so krank gewesen, daß ich schon dachte, er erlebe diesen Tag nicht! Wenn er heute wieder so wird« – setzte sie mit dem Ausdrucke der Verzweiflung hinzu – »so stirbt er mir die Nacht! Gehe zu ihm und siehe, was er macht; ich kann nicht mehr!«

Sophie trat ein; aber sie hätte beinahe einen Schrei des Entsetzens ausgestoßen: die Züge des Schwagers waren verändert. Der Würfel war gefallen. Der Tod hatte sein Siegel auf dies Antlitz geprägt.

»Ha!« – sagte Mozart, der eben einen Augenblick erschöpft ausruhte – »gut, daß Sie da sind, liebe Sophie, ..... heute Nacht bleiben Sie bei mir: Sie müssen mich sterben sehen«.96

»O, nicht doch, lieber Schwager,« – entgegnete die Angeredete. – »Ich will schon bei Ihnen bleiben; aber Sie sollen schlafen, sanft und gut schlafen, damit Sie sich kräftigen und erholen.«

Aber Mozart sah sie starr und ernst an, schüttelte das Haupt und sagte:

»Nein, nein, es ist vergebens! ..... Ich habe ja schon den Todtengeschmack auf der Zunge, ich rieche den Tod, .... und .... wer wird meiner armen Constanze beistehen, wenn Sie nicht bleiben!«97

Er reichte ihr die Hand; sie war feucht und kalt. Sophie neigte sich über sie und weinte bitter.

Und die Stunden des Tages flogen dahin, und der Abend kam und ging. Wiederholt war Clossel, – wiederholt waren die Freunde erschienen ..... es stand gleich: Wolfgang Amadeus lag ruhig auf seinem Bett und[293] neben ihm stand Süßmayer, mit heiliger Begeisterung die letzten Anweisungen von den Lippen des Meisters erlauschend.

Da kam die Nacht .... die Nacht, die so wohlthuend dem Glücklichen, – – so ersehnt, so erquickend dem Müden, – so peinigend dem Sorgenbeladenen – so entsetzlich dem schlaflos Leidenden, – – so unaussprechlich qualvoll denen ist, die weinend an einem Sterbebette knieen.

Und weinend kniete Constanze am Bette ihres Mannes; – bleich und die Blicke voll qualvoller Spannung auf das Antlitz des Schwagers gerichtet, stand Sophie zu seinen Häupten; feierlich ernst beobachtete, neben ihr stehend, Süßmayer das langsame Herannahen des Todes.

Und es herrschte Grabesstille; nur die Uhr pickte tactmäßig und ließ das entsetzlich langsame Dahinschleichen der Stunden der Nacht noch langsamer, noch unerträglicher erscheinen.

Da stöhnte Mozart plötzlich und fuhr mit der Hand nach dem Herzen.

Constanze fuhr entsetzt empor; alle beugten sich über ihn und frugen: »Was ist's?«

»Der Tod!« – entgegnete Mozart.

Constanze schrie auf und warf sich über den Gatten.

»Wolfgang! Wolfgang!« – rief sie – »o verlaß mich nicht! Gott, mein Gott, laß mich mit ihm sterben!«

Der Sterbende aber sagte leise:

»Fasse Muth, .... liebe Seele .... ich sagte dir ja schon lange .... daß ich das Requiem ....... für mich schreibe! .... Jetzt .... ist es bald geschehen .... hole die Kinder!«

Sophie ging und brachte sie. Der kleine Wolfgang Amadeus schlief sanft und sein kindliches Gesichtchen glühte in seligem Behagen. Ach! er hatte keine Ahnung von der harten Schicksalsstunde, die hier, wie eine dunkle Gewitterwolke, über ihm dahinzog.

Constanze nahm ihn auf den Arm, der kleine, siebenjährige Karl kniete, laut schluchzend, neber seiner Mutter nieder.

Mozart aber wandte sich mühselig, von Sophie und Süßmayer unterstützt, zur Seite, legte segnend die Hände auf die Häupter seiner Lieben und sagte milde:

»Lebt wohl, Ihr Guten, und Gott segne Euch! .... Er war mir durch mein ganzes Leben ein liebender Vater, ....[294] er wird es auch Euch sein! .... Lebe wohl .... Constanze, .... du gutes, treues Weib! .... Du warst immer mein guter Engel .... sei es jetzt auch .... unseren armen Kindern .... Vergieb, wenn ich dich hie und da ... vielleicht gekränkt ..... gewiß ..... es geschah willenlos .... ich habe dich doch .... aus tiefer Seele geliebt.«

Mozart hielt hier erschüttert einen Augenblick inne. Dann nahm er auch von Sophien und Süßmayer Abschied, hinterließ den Freunden einen Gruß der Liebe und ward ruhig. Plötzlich lispelte er noch einmal:

»Constanze!«

»Wolfgang?« – frug diese mit thränenerstickter Stimme.

»Halte meinen Tod geheim,« – sagte Mozart, – »bis Albrechtsberger .... meine Stelle erhalten hat. Denn ihm .... gehört mein Dienst von Gott .... und Rechtswegen.«98

Seine edle Seele dachte im Moment des Sterbens noch an die Freunde! – – Er, den das Schicksal und die Menschen sein ganzes Leben hindurch vergessen und vernachlässigt hatten – er versorgte sterbend noch den Freund mit dem einzigen, was er anzuwei sen hatte, – mit seiner eigenen, eben erhaltenen Stelle!

Wahrlich! diese letzte Handlung war ein schönes, göttlichschönes Gebet der Liebe.

In demselben Augenblicke öffnete sich die Thüre und Dr. Clossel trat ein. Er fand Mozart mit glühendem Kopfe und befahl kalte Umschläge.

Abermals trat lautlose Stille ein; aber die Wirkung der kalten Umschläge schien bald keine günstige. Sie erschütterten den Sterbenden so gewaltig ..... daß er Bewegung und Sprache zu verlieren anfing.

Da blickte er noch einmal Süßmayer groß und bedeutungsvoll an .... und Süßmayer – getragen von diesem hochheiligen Momente am Sterbebette seines großen Lehrers – verstand den Blick. Schweigend ging er, holte die Partitur des Requiems, und hielt sie dem Meister vor.[295]

Und Mozart schaute hinein und betrachtete sein erhabendstes Werk noch einmal mit feuchten Augen.

Als aber Süßmayer, der langsam umblätterte, an das Sanctus kam, blies Mozart, der nicht mehr sprechen konnte, die Wangen auf.99

»Die Posaunen!« – sagte Süßmayer – »ich werde sie nicht vergessen!«

Dann ward er ruhig, – das Bewußtsein schwand. Süßmayer legte ihm die Partitur des geliebten Requiems an das Herz ....

Ein tiefer, tiefer Seufzer .... ein Strecken des Körpers .... und ..... Wolfgang Amadeus Mozart war nicht mehr!

Die Glocke schlug Mitternacht, – der 5. Dezember 1791 und – – ein großes, herrliches Leben war zu Ende! – – –

»Requiem aeternam dona eis domine! et lux perpetua luceat eis.«

»Ewige Ruhe schenke ihnen, o Herr! und unvergängliches Licht erleuchte sie.«

»Te decet himnus, Deus, in Sion, et tibi reddetur votum in Jerusalem.«

»Dich preiset die Hymne, o Gott, in Zion, und Gelübde werden dir erfüllt in Jerusalem.«

»Exaudi orationem meam, ad te omnis caro veniet.«

»Erhöre unser Gebet, alle Sterblichen erscheinen vor dir.«

»Requiem aeternam dona eis Domine! et lux perpetua luceat eis.«

»Ewige Ruhe schenke ihnen, o Herr! und unvergängliches Licht erleuchte sie!«

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 291-296.
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