27.

Signora Bernasconi.

[254] Signora Bernasconi, Italiens damals berühmteste Sängerin, hatte zu Mittag gespeist. Die kostbarfeine echt neapolitanische Suppe von Schnecken und Muscheln, die Frutti di Mare (Austern und kleine Schalthiere), die Maccaroni, Hummern, grüne Salate, Fische, Ziegen- und andere Braten waren hinausgetragen, und nur Apfelsinen, Feigen, Pfirsische und Trauben, nebst einigen Flaschen Capri- und Falerner Weine, standen noch auf der Tafel. Die Tafel war dabei mit zehn Couverts besetzt: aber augenscheinlich war nur eines davon gebraucht; was daher kam, daß jeden Mittag, auf den strengen Befehl der Signora Bernasconi, ein Diner für zehn Personen bereitet und servirt werden mußte, einerlei ob zehn, vier, zwei Gäste erschienen oder die Signora die Laune hatte, allein zu speisen.

Letzteres war heute geschehen. Die Hitze war der Sängerin zu unerträglich gewesen, um sich irgend den leisesten Zwang aufzulegen. Obgleich sich daher zu der stets offenen, vortrefflichen Tafel der blendend schönen, geistreichen und gefeierten Künstlerin auch heute Gäste genug gemeldet hatten – Gäste, unter denen sich sogar der Prinz Francavilla befunden – waren sie doch mit dem Bescheid abgewiesen worden: »Signora Bernasconi speise heute allein!«

Aber in Italien ist und war von jeher eine Primadonna von Ruf eine tyrannische Macht, von der nicht nur der Maestro, der für sie die Opern componirt, Alles zu hoffen hat, wenn er[254] gehorcht, und Alles zu fürchten, wenn er sich als rebellischer Sclave zeigt; – sondern auch der Theaterunternehmer, sammt jedem Verehrer und Anbeter, mag er Künstler oder Fürst, Marchese oder Prinz sein. Die Macht einer italienischen Primadonna ist absolut!

Signora Bernasconi lag jetzt auf einem Divan, den wundervollen Körper nur von einem ganz leichten aber kostbaren weißen Negligé eingehüllt. Sie war schön und stolz wie eine Juno und auf ihrem Antlitz lag etwas, anzusehen, »nicht etwa wie ein Maientag, sondern eher wie ein Himmel voll Gluth und Wetterleuchten!«

Ein unbändiger Stolz thronte dabei auf der hohen Stirne; die edel gebogene Nase, die kühn geschwungenen starken Augenbrauen, die blitzenden Augen, das feine Bärtchen auf der Oberlippe aber, kündeten Feuer, Kraft und Entschlossenheit. Wer dies Weib sah, fühlte, daß Muth dazu gehöre, mit ihr umzugehen.

Jetzt aber hatte sich diese hohe junonische Stirne auch noch in Falten gelegt, da Launen und Langeweile die Herrin plagten. Niemand freilich sah dies, als eine einzige Person, die Zofe der Signora, die in der fernsten Fensternische stand; – aber diese arme Person hielt auch vor Herzklopfen und Angst die Hand auf die beklommene Brust gedrückt, denn jeden Augenblick konnte sich ja ein Gewitter mit vernichtenden Blitzen und Donnern über ihrem Haupte entladen. Und wie schrak sie zusammen, als nun in der That plötzlich ein herrisches:

»Arabella!« – ertönte.

»Signora!« – entgegnete sie zitternd und trat einige Schritte vor.

»Näher!« – gebot die Sängerin – »soll ich meine Stimme anstrengen, wenn ich mit dir rede?«

Die Zofe folgte demüthig.

»Gieb mir Eiswasser.«

Arabella reichte es ehrerbietig und Signora trank; dann dehnte sie sich, im höchsten Grade gelangweilt, und sagte:

»Ist Niemand im Vorzimmer?«

»Niemand, Signora!«

»Und warum hat man heute alle Besuche abgewiesen?«

»Vergebung, meine gnädige Gebieterin,« – stammelte Arabella, – »Sie haben es selbst befohlen.«[255]

»Dummheit!« – entgegnete jene, – »ich wollte allerdings beim Speisen allein sein; keineswegs aber habe ich gesagt, daß auch nach dem Diner Niemand kommen dürfe!«

»Madonna ....!«

»Schweige!« – herrschte die Bernasconi, – »deine Albernheiten bringen mich noch um's Leben.«

Jetzt entstand eine kleine Pause, in welcher Signora durch eine heftige und ungeduldige Bewegung ihrer schönen Schultern das Spitzengewand etwas weiter vom Nacken gleiten ließ.

»Oeffne die Jalousien und die Fenster!« – rief sie dann, – »es ist unausstehlich heiß im Zimmer!«

Arabella that es; kaum aber war es geschehen, als Signora plötzlich in die Höhe fuhr, ihr feines, gesticktes Taschentuch rasch über die Achseln warf und mit zorniger Stimme rief:

»Warum denn alle? das zieht ja furchtbar. Ich werde meine Stimme verlieren!«

»Aber Signora!« –

»O! sie bringt mich um!« – rief jene weiter und die Augen schossen Blitze des Zornes: – »Die Fenster auf! die Jalousien zu!«

Auch dies geschah und eine abermalige Pause trat ein. Nach einigen Minuten, in welchen sich die Aufwallung der schönen Italienerin etwas gelegt haben mochte, hub sie von neuem an:

»Ist mein Oheim, der alte Narr von Philosoph zu Hause?«

»Ohne Zweifel!« -entgegnete Arabella, – »er verläßt ja fast nie sein Zimmer.«

»So gehe und sage ihm, ich wolle ihn sprechen.«

Arabella ging; doch noch ehe sie die Thüre des Gemaches erreicht, rief ihre Gebieterin: – »Nein, gehe lieber nicht, Arabella! .... er ist ein solcher Weiberfeind, daß er dich gar nicht in seine Zimmer lassen wird. Beauftrage lieber Stephano, ihn zu rufen.«

Die Zofe verneigte sich und ging.

»Ja! ja!« – flüsterte jetzt Signora Bernasconi vor sich hin, und ein spöttisches Lächeln spielte um ihren Mund – »er soll kommen und mir die Langeweile vertreiben. Für was füttere ich ihn denn sonst? – Könige und Kaiser[256] hielten sich Zwerge als Hofnarren, warum soll die Bernasconi nicht einen Philosophen als Hofnarr halten? Es ist allerdings eine Sonderbarkeit von mir; aber ich liebe die Sonderbarkeiten!«

Sie schwieg. Nach einer kleinen Weile aber sagte sie:

»Und an welcher Seite werde ich ihn am besten packen? .... An welcher? o! – er ist ja ein fürchterlicher Weiberfeind und sicher auf diesem Gebiete am komischsten!«

Die Sängerin entwarf nun, auf dem Divan ausgestreckt, mit heiteren Mienen einen Feldzugsplan.

Aber welch' wundervolles Bild hätte diese königliche, jetzt so leicht hingegossene Gestalt einem Maler gegeben; zumal das dichte schwarze Haar sich losgewunden, und nun in vollen dunklen Locken auf Hals und Schultern herniederfloß.

Oder war es eine kleine Bosheit von Signora, dem »Weiberfeind« einen so entzückenden Anblick zu gönnen? – oder dachte sie ihn vielleicht damit zu verwirren? – oder gar zu ärgern?

Er trat ein. Es war eine kleine unansehnliche Gestalt, mit häßlichen und mehr noch grämlichen Zügen. Struppiges weißes Haar deckte den Kopf, eine vernachlässigte Kleidung den Körper. Jeder, der nur einigermaßen Menschenkenner war, sah auf den ersten Blick, daß Menschenverachtung diese Seele zum Sonderlinge gemacht; und wer es nicht sah, der konnte es aus dem ewigen halblauten Selbstgespräche entziffern, das der alte Mann in polterndem, zürnenden Tone mit sich selbst führte.

»Wird wieder was Rechtes sein!« brummte er, finstere Falten auf der Stirne, schon beim Eintreten vor sich hin. – »Albernheiten, Kindereien! und damit stört man mich im Studium!«

Die Bernasconi that, als ob sie nichts gehört habe; denn sie wollte sich erst an des Oheims Selbstgespräch divertiren, und da sie auf dem Divan lag, sah sie der zerstreute Mann gar nicht.

»Nicht einmal da!« – brummte er weiter, – »dummer Zeitverlust! .... hat freilich nichts zu thun, als Triller zu schlagen .... schöne Bestimmung, das Triller schlagen, – für sein ganzes Leben Triller, Rouladen .... o Weiber! Weiber!«[257]

Jetzt blieb der alte Herr vor einem Tischchen stehen, welches die Signora erst vor wenigen Tagen als Geschenk des Prinzen Francavilla erhalten hatte. Es war von außerordentlichem Werthe; nach den Auffindungen in Pompeji gearbeitet und mit antiker Mosaik eingelegt.

»Hm!« – brummte der Alte jetzt, – »schön, ... wirklich schön ... gehört aber nicht hierher ... wird hier zu Weibertand ... verstehen nichts von Kunst und Wissenschaft! – – da! da! da!« rief er zugleich, einige Bänder und Spitzen, die auf dem Tischchen lagen, mit seinen Händen herunterstreifend und auf den Boden werfend. – »Herrlichste Mosaik von der Welt, das .... und die verdeckt man mit solchem Plunder! .... o! .... o!«

Aber jetzt gewahrte er die Signora, die ihn lachend begrüßte, und fuhr erschrocken zurück; – nicht über das, was er gethan und gesprochen, denn das wußte er schon nicht mehr, aber über die Pracht der Erscheinung, die ihn zugleich verwirrte und ärgerte. Die Bernasconi ergötzte sich an seiner Verwirrung, dann sagte sie spöttelnd:

»Also immer ein solcher Weiberfeind, Oheim?«

Der Alte wollte sich entschuldigen, aber die Sängerin rief: »Kein Wort! ich habe alles gehört: schöne Bestimmung Triller zu schlagen .... verstehen nichts von Kunst und Wissenschaft ....«

»Lassen Sie das, lassen Sie das!« – bat der alte grämliche Herr, – »ich streite nicht gern mit Ihnen über diesen Gegenstand .... ja, wenn Sie ein Mann wären! ... aber .... Sagen Sie mir lieber, warum Sie mich rufen ließen.«

»Das nachher!« – versetzte die Signora – »jetzt muß ich erst die Ehre meines Geschlechts verfechten. Was würdet Ihr Männer denn ohne uns sein?«

»Was?« – rief der Philosoph, und seine Augen strahlten bei dem Gedanken freudig auf. – »Was wir sein würden? glücklich, unendlich glücklich würden wir sein!«

»So?« – sagte die Bernasconi, und der Ausdruck ihrer Stimme trug den Stempel des Spottes: – »Ich will es Ihnen besser sagen, Oheim. Ohne die Frauen wäre der Anfang Eures Lebens der zärtlichsten Sorgfalt, der Verlauf desselben der schönsten Freuden und das Ende der süßen Tröstung beraubt.«[258]

»Mit nichten!« – rief der Alte. – »Gerade im Gegentheil; die Mütter verziehen und die Weiber verderben unser Geschlecht! Schon der Anblick der weiblichen Gestalt lehrt, daß das Weib weder zu großen geistigen, noch körperlichen Arbeiten bestimmt ist. Es trägt die Schuld des Lebens nicht durch Thun, sondern durch Leiden ab: durch die Wehen der Geburt ....«

»Und die Unterwürfigkeit unter den Mann, nicht wahr?« – frug lachend die Sängerin.

»Auch!« – sagte der alte Herr eifrig, – »dem es eine geduldige und aufheiternde Gefährtin sein soll, obwohl fast nie ist.«

»Und die Erziehung?«

»Ja! .... die Erziehung!« – versetzte der Oheim mit dem Kopfe nickend und im Zimmer hin und her trippelnd. – »Zu Pflegerinnen und Erzieherinnen eignen sich die Weiber allerdings gerade dadurch, daß sie selbst kindisch, läppisch und kurzsichtig, mit einem Worte, zeitlebens große Kinder sind.«

»O ja!« – rief die Sängerin heiter – »bei vielen mögen Sie recht haben, Oheim. Aber haben Sie auch die Männer schon gezählt, die Zeitlebens Kinder bleiben?«

»Die zählen nicht!« – rief der Philosoph ernst – »sind Ausnahmen, und die Natur hat solche für alle Regeln.«

»Und denken Sie von uns Mädchen auch so schlimm?«

Der Alte wollte nicht herausrücken.

»Nur offen!« – sagte die Signora.

Der Philosoph strich mit der Hand über den grauen Kopf, dann sagte er:

»Mit den Mädchen hat es die Natur auf Das, was man einen Knalleffect nennt, abgesehen!«

»Göttlich!« – rief die Bernasconi. – »Ich bin also auch ein Knalleffect! der Knalleffect Bernasconi!« Und sie lachte von Herzen; dann rief sie – »Aber himmlischer Oheim, erklären Sie mir doch, wie so wir Mädchen Knalleffecte der Natur sind?«

»Indem sie die Natur auf wenige Jahre mit überreichlicher Schönheit, Reiz und Fülle ausstattet ....«

»Ei, wie galant!« –

»Ausstattet .... ja – aber auf Kosten ihrer ganzen übrigen Lebenszeit; damit sie nämlich während jener kurzen Jahre der Phantasie eines Mannes sich in dem Maaße[259] bemächtigen können, daß er hingerissen wird, die Sorge für sie auf Zeitlebens ehrlich zu übernehmen, zu welchem wahnsinnigen Schritte ihn die ruhige Vernunft schwerlich bringen würde.«

»Meinen Sie? und was wäre alsdann die Ehe?«

»Hm!« – brummte der Gefragte. – »In unserem monogamischen Welttheile heißt heirathen: seine Rechte halbiren und seine Pflichten verdoppeln!«

»Vortrefflich!« – rief die Bernasconi halb aufgerichtet. – »Oheim, für diesen Ausspruch verdienen Sie eine großartige Belohnung. Sie sind ein zweiter Platon. Heirathen heißt: seine Rechte halbiren und seine Pflichten verdoppeln. Sehen Sie, deshalb heirathe ich auch nicht.«

Der Alte schüttelte den Kopf, als wolle er anzeigen, daß er nicht recht verstanden worden; die reizende Nichte ließ ihm aber keine Zeit zum antworten, sondern fuhr eifrig fort:

»Und was Schönheit, Reiz und Anmuth betrifft, da haben Sie auch Recht. Dadurch hat die Natur das Weib, wie jedes andere ihrer Geschöpfe, mit den Waffen und Werkzeugen ausgerüstet, deren es zur Sicherung seines Daseins bedarf.«

»Wohl, wohl!« – brummte der Grämliche. – »Wobei die Natur denn auch mit ihrer gewöhnlichen Sparsamkeit verfahren hat. Wie nämlich die weibliche Ameise nach der Begattung die fortan überflüssigen, ja für das Brutverhältniß gefährlichen Flügel verliert, so das Weib nach kurzen Flitterjahren seine Schönheit. Zweifelsohne sogar aus demselben Grunde. Es soll dann nicht mehr nach Außen gefallen, es soll im Hause erziehen

»Schrecklicher Gedanke!« – meinte die Sängerin.

»Nein!« – rief der Alte hier fast hitzig. – »Schrecklich ist nur, daß so Viele diesen Gedanken für schrecklich halten! Daher kommt es denn auch, daß die meisten jungen Mädchen die häuslichen und weiblichen Pflichten in ihrem Herzen als Nebensache betrachten, wohl gar für bloßen Spaß.«

»Und was betrachten sie denn als ihren ernstlichen Beruf?«

»Was?« – wiederholte der Alte mit einem scharfen Blick auf die Fragende. – »Die Eroberungen .... und was damit in Verbindung steht, Toilette, Putz, Pracht, Luxus, Verschwendung!«

Der Eifer des Philosophen ward bei dieser Philippica so komisch, daß die Bernasconi ihr Taschentuch vor den Mund drückte, um nicht überlaut zu lachen. Endlich sagte sie:[260]

»Also sind wir Weiber in Ihren Augen, Oheim, gar nichts werth!«

»Wenigstens nicht viel!« – rief dieser grämlich.

»Das ist doch offen!« – meinte diese schöne Nichte. – »Aber so viel ich weiß, pflegen Philosophen nichts ohne Beweis zu behaupten. Wollen Sie den nicht zum Besten geben?«

»Unseliger Zeitverlust!« – rief der Alte, sich durch die schneeweißen Haare fahrend.

»Den Beweis, daß wir Weiber weniger werth sind, als Ihr Männer!«

»Gut denn!« sagte der Alte. – »Je edler und vollkommener eine Sache ist, desto später und langsamer gelangt sie zur Reife. Dies ist ausgemacht und Grundsatz der Natur. Nun .... was bedarf es weiteren Beweises? Der Mann erlangt die Reife seiner Vernunft und Geisteskräfte kaum vor dem achtundzwanzigsten Jahre; das Weib mit dem sechszehnten, achtzehnten.«

»Oheim, Oheim!« – rief die Bernasconi mit dem Finger drohend – »da haben Sie schlecht docirt. Bis Euch Männern die Vernunft kommt, braucht es dreißig Jahre, – uns schenkt sie Gott, als der Spitze der Schöpfung, schon im vierzehnten Jahre!«

»Aber es ist auch eine Vernunft darnach!« – sagte der Alte achselzuckend. – »Sie ist noch so unreif, so knapp zugemessen, daß man immer nur das Nächste sieht, an der Gegenwart klebt, den Schein für die Sache nimmt, die kleinsten Kleinigkeiten den wichtigsten Angelegenheiten vorzieht!«

»Und« – rief die Bernasconi lebhaft – »statt wie die Männer über das Abwesende, Vergangene und Künftige, über Pläne und Hoffnungen, Ehrgeiz und Ruhmsucht die Gegenwart zu vergessen, bei dem Nächsten und Wichtigsten bleibt. Das Weib, Herr Philosoph, geht in der Gegenwart auf; darum aber genießt es auch dieselbe doppelt und gewinnt sich jene Lebensheiterkeit, die Euch Herren der Schöpfung zumeist fehlt.«

»Genießt! genießt!« – seufzte der Philosoph, den Blick verzweiflungsvoll nach der Decke des Zimmers sendend und sein dünnes weißes Haar mit beiden Händen unbarmherzig bearbeitend. – »Das ist es eben ..... der Genuß ist das Einzige, nach was sie streben .... und .... was meine schöne Nichte ›Lebensheiterkeit‹ zu nennen beliebt,[261] das heißt in Wahrheit ›Leichtsinn!‹ Weil sie aber nicht die Thatkraft und den Verstand haben, sich einen soliden Lebensgenuß zu erwirken, zu erarbeiten, selbstständig zu schaffen, oder auch sich zu vertheidigen, so begab sie die Natur mit ›List‹ .... mit diesem Fluch für uns Männer! .... mit jener instinktartigen Verschlagenheit, die uns ehrliche Seelen unter die Erde bringen kann! .... mit jenem unvertilgbaren Hang zur Intrigue, die einem das Leben sauer macht.«

Die Bernasconi schüttelte sich vor Lachen, dann sagte sie:

»Ein Beweis, wie gerecht die Natur ist. Der Löwe hat seine Klauen und sein Gebiß, der Elephant seine Stoßzähne, die arme kleine Sepia des Meeres ihre wassertrübende Tinte, um sich zu schützen und zu vertheidigen, und wir armen Weiber sollten Euch Männern, Euch wilden und oft rohen Barbaren, Euch, als den gefährlichsten Raubthieren, ohne schützende Waffen preisgegeben sein? – Nein, Oheim, daran, daß uns der Himmel mit List bewaffnet hat, daran erkenne ich erst wieder Gottes Güte und Gerechtigkeit!«

»Ja!« – rief der Alte eifrig – »und von diesen Waffen .... von dieser Begabung mit ›List‹ und ›Verstellung‹ macht Ihr den umfassendsten Gebrauch.«

»Und noch mehr!« – sagte die Bernasconi mit seinem Lächeln. – »Vermöge dieser unschätzbaren Begabung durchschauen wir Weiber fremde Verstellung so leicht, daß es für Euch Männer nie rathsam ist, uns gegenüber, es damit zu versuchen.«

»Weil wir zu gerade, zu offen, zu ehrlich sind!« polterte der Grämliche. – »Aber ....« unterbrach er sich hier und blieb vor seiner Nichte stehen – »ich bitte Sie, Signora, endigen wir dies unnöthige Gespräch. Es fruchtet doch nichts. Warum ließen Sie mich rufen? Womit kann ich dienen?«

»Sogleich!« – entgegnete die Angeredete. – »Wir haben indessen noch nicht vollkommen mit einander abgerechnet. Warum verstehen wir nichts von Kunst und Wissenschaft?«

»Signora!«

»Antwort, Oheim! Sie brummten dies Anathema über das zarte Geschlecht, als Sie eintraten!«

»Ich meinte Sie nicht damit.«[262]

»Das weiß ich, denn ich heiße Bernasconi, und ganz Italien liegt mir, als seiner ersten Künstlerin – hören Sie, Oheim .... als seiner ersten Künstlerin – zu Füßen!«

»Sie sind eine glorreiche Ausnahme!« – stotterte der Philosoph verlegen. – »Ich sprach vorhin von dem weiblichen Geschlecht im Allgemeinen.«

»Nun! – und die Belege für Ihr Anathema?«

»Nun denn!« – rief der Alte mißmuthig: – »Ich wiederhole es: weder für Musik, noch für Poesie, noch für die bildenden Künste hat das weibliche Geschlecht im Allgemeinen wirklich und wahrhaftig Sinn und Empfänglichkeit; – sondern bloße Aefferei, zum Behufe ihrer Gefallsucht, ist es, wenn sie solche affektiren und vorgeben!«

»Bei den meisten haben Sie recht, Oheim!« – sagte die Sängerin.

»Dies wird Jeder« – fuhr der Alte mit gesteigertem Eifer fort – »der über den Schein hinaus ist, schon bemerkt haben. Man darf nur die Richtung und Art ihrer Aufmerksamkeit im Concert, in der Oper und im Schauspiel, bei der Betrachtung der erhabenen Werke der Natur und der plastischen Künste in's Auge fassen. Wer wird nicht des Teufels, wenn sie unter der herrlichsten Musik ihr nichtssagendes Geplapper fortsetzen, als wären sie zu Hause. Die Griechen ließen die Weiber nie in's Schauspiel .... und daran thaten sie recht .... denn sie hörten alsdann auch etwas. Aber: ›was kann von Nazareth Gutes kommen!‹ .... Man kann von den Weibern nichts Anderes erwarten, wenn man erwägt, daß die eminentesten Köpfe des ganzen Geschlechtes es nie zu einer einzigen, wirklich großen, ächten und originellen Leistung in den schönen Künsten haben bringen, überhaupt nie irgend ein Werk von bleibendem Werth haben in die Welt setzen können. Diesem entspricht es denn auch, daß die Gewöhnlichen nicht einmal eigentliche Empfänglichkeit dafür haben, denn natura non facit saltus! –«

»So?« – sagte die Bernasconi – »und das sagen Sie mir, Oheim!«

»Ja!« – versetzte dieser – »aber ich habe schon bemerkt, daß ich Sie für eine Ausnahme ansehe; bleibe indessen dabei: Ausnahmen ändern die Sache nicht.«[263]

In diesem Augenblick trat Arabella ein und meldete »Maestro Caraffa

Das Kammermädchen entfernte sich.

»Nun!« – nahm der Philosoph wieder das Wort – »nun darf ich doch wohl bitten, mir Ihre Wünsche auszusprechen.«

Die Sängerin lachte; dann sagte sie: – »Die hat mein Oheim schon erfüllt, ohne daß er es wußte.«

»Wie?« – rief jener und seine Hände fuhren wieder durch die Haare. – »So hätten Sie mich zum Besten gehabt? Ich war nur eine Puppe, Ihnen die Langeweile zu vertreiben?«

»Nicht doch, Oheim!« – entgegnete die Sängerin mit spöttischem Lächeln. – »Wer wird so klein von dem starken Geschlechte denken. Hätte ich dies auch thun wollen, Sie würden die List des schwachen Weibes gewiß gleich durchschaut haben.«

Der Philosoph machte eine Miene, als ob er Essig getrunken.

»Ich war ein Esel!« – brummte er dann vor sich hin – »ein Esel, der sich wieder täuschen ließ .... den Narren hab' ich gemacht ....«

»Nein, mein Bester!« – versetzte die Signora freundlich, und jetzt war ihr Lächeln wahrhaft bezaubernd. – »Sie haben mir einen unschätzbaren Dienst geleistet, indem Sie mich zu der Wahrheit führten: ›Heirathen heißt, seine Rechte halbiren und seine Pflichten verdoppeln.‹ Dieser Dienst aber, den Sie gar nicht in seiner ganzen Größe kennen, verdient Belohnung. Nun denn, Oheim, ich weiß, Sie sind ein Liebhaber von alten Mosaiken: ich schenke Ihnen das Tischchen, das Ihnen vorhin so gut gefiel.«

»Signora!« – rief der Alte – »es ist unmöglich, das Tischchen ist von enormem Werth!«

»Wenn es für Sie und Ihre Sammlungen Werth hat, dann freut es mich!« – versetzte jene stolz, – »einen anderen Werth kennt eine Bernasconi nicht. Stephano soll es Ihnen bringen!«

Und sie nickte dem alten Herrn den Abschied zu, der sich mit leuchtenden Blicken dem Tischchen näherte, und – als er sah, daß seine Nichte es nicht bemerkte – es in eigener Person, wie eine Mutter ihr Kind, in die Arme nahm und fort trug.

Die Bernasconi hatte unterdessen ihr Haupt wie erschöpft in die Kissen des Divans sinken lassen. Das Gespräch[264] mit dem Oheim war nicht nur erheiternd und zerstreuend für sie gewesen – nein! es hatte sonderbarerweise eine viel tiefere Bedeutung für sie gewonnen. Sie versank daher in Gedanken und blieb so regungslos über eine halbe Stunde liegen, während ihre Lippen von Zeit zu Zeit die Worte: »Heirathen heißt: seine Rechte halbiren und seine Pflichten verdoppeln!« ernsthaft und bedeutsam flüsterten.

An Maestro Caraffa, der im Vorzimmer in stiller Verzweiflung harrte, dachte die Sängerin nicht mehr.

Und doch war der junge Componist Maestro Caraffa aus einer der ersten neapolitanischen Familien, die selbst den großen Cardinal Anton Caraffa – unter Papst Gregor XIII. Bibliothekar der vaticanischen Bibliothek – zu ihren Ahnen zählte. Der junge, schöne und sehr fein gebildete Mann hatte sich der Musik gewidmet und in der letzten Zeit eine Oper »Thisiphone,« für das Theater zu Neapel geschrieben. Die Bernasconi sollte in ihr als Prima-Donna singen, und für ihre Person und ihre Stimme war – wie dies in jener Zeit üblich – die Hauptpartie eingerichtet und gesetzt, so daß die ganze Oper von ihr abhing und mit ihr siegen oder fallen mußte.

Unglücklicherweise aber hatte es der junge Caraffa nicht verstanden, die Gunst der stolzen Bernasconi zu gewinnen. Im heiligen Eifer für sein Erstlingswerk war ihm nämlich auf der Probe die Bitte entschlüpft: die Signora möge doch bei einer gewissen Arie sich mehr an seine Composition halten. Das war ein unerhörter Frevel gegen eine Prima-Donna von Ruf, den auch ein furchtbarer, vernichtender Blick der Sängerin strafte, und sonderbarer Weise war die Bernasconi von diesem Augenblick an unausgesetzt heiser, wenn eine Probe der »Thisiphone« stattfinden sollte, und wenn sie auch den Abend zuvor zum Entzücken ganz Neapels in Jomelli's »Caja Mario« wie eine Nachtigall gesungen hatte.

Monate lang ging dies nun schon so fort, die »Thisiphone« war völlig einstudirt, der König hatte ihre Anführung an seinem Namensfeste, welches in drei Tagen stattfinden sollte, befohlen: Signora Bernasconi war durch Heiserkeit noch immer verhindert, die Zeit für eine Hauptprobe zu bestimmen. Der junge Caraffa hatte sie bereits schon mehr denn einmal fast fußfällig angefleht, seine ganze künstlerische Zukunft nicht zu vernichten .... umsonst[265] – die unselige und eigensinnige Heiserkeit wollte nicht weichen; – – er hatte der Signora die kostbarsten und herrlichsten Geschenke gesandt, .... die unbestechliche Prima-Donna sandte sie kalt zurück.

Jetzt waren noch drei Tage bis zum Namensfeste des Königs, und Caraffa – der unter der Zeit vor Aerger und Verzweiflung blaß und schmal geworden, so daß ihn seine Freunde fast nicht mehr kannten, – wartete nun bereits dreiviertel Stunden in dem Vorzimmer der Prima-Donna, um einen letzten Versuch zu wagen.

Da erklang die silberne Schelle der erlauchten Signora. Caraffa fuhr erfreut auf, und die Zofe, die längst Mitleiden für den armen hübschen jungen Mann empfunden und schon manches Goldstück für Anmeldungen und Vertretung seiner Interessen – obgleich vergeblich – empfangen, eilte hinein.

»Signora befehlen?« – sagte sie mit tiefer Verneigung.

»Gieb mir jenes niedliche Blumenbouquet aus der kleinen chinesischen Vase!«

»Dasjenige, was Ihnen heut früh Prinz Bocatelli übersandte?«

»Dasselbe!«

Arabella gehorchte. Die Signora betrachtete es mit Wohlgefallen, denn es war aus den schönsten und seltensten Blumen mit unübertrefflicher Zierlichkeit gebunden, und bezeugte, als Geschenk des Prinzen, dessen hohe Verehrung und zarte Aufmerksamkeit.

»Und doch« – sagte sie dann leise mit stolzem Lächeln – »wirst du dem Prinzen nicht das gewünschte Zeichen geben. Er mag mir immer den Tribut seiner Verehrung zollen, das kann ich als Künstlerin von ihm fordern; aber auf mehr als ein freundliches Wort rechne er nicht. Dagegen sollst du einem Anderen einen um so schlimmeren Streich spielen.«

Sie schwieg einen Augenblick, dann rief sie aufs Neue:

»Arabella! ... Tinte, Papier und Feder!«

Aber Arabella gehorchte diesmal nicht sofort:

»Meine Gnädigste« – sagte sie schüchtern – »darf ich Sie daran erinnern, daß Signor Caraffa schon über dreiviertel Stunden im Vorzimmer wartet?«

Aber welchen Sturm, welches Wetterleuchten kündete jetzt die hohe Stirne, die zornflammenden Blicke der Bernasconi.[266]

»Unverschämte!« – rief sie dem armen zitternden Mädchen mit einer Stimme entgegen, die die Wände beben machte, – »wie kannst du es wagen, mir vorzuschreiben, was ich thun soll? – Wie kannst du mir diesen verhaßten Namen nennen? .... Ich weiß, daß dich der Elende bestochen und darum .....«

»Gnädigste ....« – stammelte Arabella.

»Schweige!« herrschte ihr die Gebieterin entgegen, während ihre Hand im vollsten Zorne die silberne Schelle krampfhaft und nach dem Kopf der Zofe schleuderte, die sich nur durch ein schnelles Beugen nach der Seite zu retten vermochte. – »Noch ein einziges Wort des Ungehorsams, und du bist entlassen! .... Mein Schreibzeug!«

Das arme Mädchen, dem solche Auftritte nicht fremd waren, ging schweigend hin, das Verlangte herbeizuholen.

»Setze dich, nimm einen schmalen Streifen Papier und schreibe!« – herrschte die Signora weiter.

»Ich bin bereit.«

»Heirathen heißt: seine Rechte halbiren und seine Pflichten verdoppeln!« – dictirte die Bernasconi. – »Beides widerstreitet meiner Seele. Ich bin daher fest entschlossen, die Gefühle meines Herzens meiner Freiheit zu opfern.«

»Zu opfern!« – wiederholte Arabella.

»Gut!« sagte die Primadonna. – »Jetzt nimm das Papier und verbirg es vorsichtig aber sicher in dem Bouquet des Prinzen Bocatelli; läßt sich dann Marchese Brignola melden, so sagst du ihm: deine Herrin sei ausgefahren, habe aber dies Bouquet für ihn mit den Worten hinterlassen: ›Auch Blumen sprechen!‹«

Sie lachte bei diesen Worten laut auf, dann fuhr sie, mit sich selbst redend, fort:

»Der arme Marchese! Er wird in Verzweiflung sein ..... Es ist wahr, er ist schön, jung ..... sehr reich und angesehen .... aber meine Freiheit, mein Ruf, meine Herrschaft! .... und dann, ›Heirathen heißt: seine Rechte halbiren und seine Pflichten verdoppeln!‹ – Nein! nein! nein! ich heirathe nicht. O Oheim, welch' einen Schatz der Weisheit hab' ich deiner Narrheit zu verdanken. Der Bernasconi gehört Italien, die Welt! .... Der Bernasconi liegen Könige und Fürsten zu Füßen,[267] ihr huldigen Prinzen und Cardinäle, Künstler und Priester, ihr jauchzt das Volk entgegen und überdeckt sie mit Lorbeeren – – – die Marchese Brignola wäre ein gewöhnliches Weib!«

Und abermals versank sie in ein tiefes Nachdenken – und abermals verging eine halbe Stunde. Nach Ablauf dieser Zeit endlich ertönte die silberne Glocke auf's Neue. Arabella erschien.

»Ist der Maestro noch im Vorzimmer?« – frug die Sängerin.

»Ja!« – entgegnete die Zofe schüchtern.

»Und was macht er?«

»Ach, Signora,« – versetzte Arabella mit feuchten Augen – »ich fürchte .....«

»Daß er den Verstand verliert?«

»In der That.«

»Da kannst du ein empfindsames Herz beruhigen: wer keinen Verstand hat, kann auch keinen verlieren. Uebrigens mag er jetzt eintreten, ich habe seine Arroganz geziemend bestraft.«

Arabella athmete freudig auf; sie hatte kein weiteres Interesse, als das der Menschlichkeit, an Caraffa, aber die Qualen, die der junge strebsame, in seiner ganzen künstlerischen Existenz bedrohte Mann seit Monaten durch den Künstlerstolz und die Launen ihrer Herrin erlitten, und die ihn augenscheinlich körperlich und geistig in so kurzer Zeit fast zerrüttet hatten, fielen auf ihr eigenes Herz zurück.

Und jetzt trat er ein, der junge bleiche Mann, mit den feinen Zügen, dem schwarzen Haare und den dunkeln, in sich verglühenden Augen. Schmerz, Scham, Zorn, Verzweiflung und Rache tobten und kochten in ihm, – ja sie machten ihn fast unfähig, Worte der Begrüßung zu finden.

Signora Bernasconi dagegen lag noch immer nachlässig auf dem Divan hingegossen. Sie hatte es auch nicht der Mühe werth geachtet, den Spitzenbesatz ihres reichen und reizenden Negligé's wieder über die Schultern heraufzuziehen oder ihre dunkeln Locken zu ordnen, noch weniger aber: sich wegen des langen Zögerns zu entschuldigen.

»Maestro Caraffa!« – sagte sie jetzt ganz gelassen, und als ob gar nichts vorgefallen sei – wobei sie indessen[268] ihre Stimme, Heiserkeit affectirend, dämpfte, »Maestro Caraffa, Sie hören es wohl, daß ich noch immer heiser bin; doch geht es etwas besser.«

Caraffa biß sich auf die Lippen, daß sie beinahe bluteten; dann sagte er, mit einem leisen Anflug von Zorn und Hohn:

»Ich bin glücklich, Signora, wenigstens etwas von Besserung zu hören; aber trösten kann mich dies nicht. In drei Tagen ist das Namensfest des Königs, der für diesen Abend – wie Sie wissen – die erste Aufführung der ›Thisiphone‹ befohlen hat, und Sie wollten noch immer nicht die Gewogenheit haben, eine vollständige große Probe anzusetzen.«

»Ich wollte nicht!« – wiederholte die Primadonna mit einem finsteren Blick.

»Sie konnten nicht!« – verbesserte der junge Componist mit vor Ingrimm zitternder Stimme.

»Das kommt daher!« – sagte die Sängerin, – »weil Sie Ihre Arien für mich ungeschickt geschrieben haben.«

»Aber mein Gott!« – rief Caraffa, – »sie gefielen Ihnen anfangs ja so ungemein?«

»Ich lernte erst später ihre Schwächen kennen. Sie greifen zu sehr an.«

»So will ich daran ändern.«

»Dann verlieren sie an Interesse.«

»Liegen sie Ihnen zu hoch?«

»Was glauben Sie? Es giebt keine Sängerin in Italien, die wie die Bernasconi eine ganze Octave über den gewöhnlichen Umfang des Soprans geht. Nicht die Bastardella erreicht mich!«

»Signora, das weiß die ganze Welt!« – versetzte Caraffa begütigend, – »und Ihre höchsten Töne klingen gleich einer Orgel weich und lieblich. Man nennt Sie nicht umsonst: Italiens Nachtigall!«

Die Bernasconi lächelte.

»Aber,« – sagte sie dann, – »diese Nachtigall wird sich eben doch in keiner Probe der ›Thisiphone‹ hören lassen.«

»Was sagen Sie?« – rief entsetzt der junge Mann und alles Blut war nach seinem Herzen zurückgewichen.

»Daß ich in keiner Probe der ›Thisiphone‹ singe.«

»Aber dann bin ich verloren!«

»Keineswegs! Ist die Oper vollkommen einstudirt?«

»Vollkommen.«[269]

»So mag die Aufführung am Namenstage des Königs stattfinden.«

»Ohne Probe mit der Primadonna.«

»Signore!« – rief hier die Sängerin stolz und verächtlich, – »eine Bernasconi bedarf keiner Probe.«

»Aber der Director wird es nicht wagen?!«

»Dann mag er es lassen! – Es ist mein letztes Wort. Seiner Majestät gefällig zu sein, will ich Ihre holprigen Arien übermorgen singen, – nicht Ihnen zu gefallen. Aber auf eine Probe komme ich nicht.«

»Signora!« – rief jetzt Caraffa schmerzlich; aber in demselben Augenblicke trat Arabella ein und meldete den Marchese Brignola.

»Das Bouquet!« – rief die Sängerin, – »und dann Toilette machen!«

Und mit diesen Worten erhob sie sich, kehrte stolz dem in Verzweiflung dastehenden Maestro den Rücken und verschwand in der Thüre des anstoßenden Zimmers.

Caraffa ging. Aber Blitze der Rache folgten dem stolzen Weibe. – –

Nach anderthalb Stunden – das heißt nach einem ebenso langen Zeitraume unausgesetzter Folterqualen für Arabella – war die Toilette der Signora vollendet, und dieselbe erschien nun in dem prachtvoll möblirten Empfangssaale, in welchem sich bereits die Prinzen Francavilla und Bocatelli, der Marchese di Castello, Salvatore, der damals beliebteste Dichter Neapels, Jomelli und die beiden Mozarts befanden.

Aber wie ganz anders erschien Signora Bernasconi jetzt!

Das glücklichste und anmuthigste Lächeln verklärte ihr schönes Antlitz; der geschmackvolle, einer Fürstin würdige Anzug hob noch die schlanke imponirende Gestalt und die Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit ihres Benehmens waren so hinreißend, daß es Amadeus – der doch gewöhnlich ziemlich kalt bei Vorstellungen blieb – wirklich Ernst war, als er sie »die charmanteste Dame« nannte, die er je gesehen.

Die Primadonna war denn auch für das Compliment nicht unempfänglich, wurde aber noch mehr für die beiden Mozarts eingenommen, als ihr der kluge Capellmeister versicherte, daß sich die Bastardella in der That so wenig[270] als die Amicis mit ihr vergleichen könnten. Ueberhaupt schmeichelte ihr der kluge Mann, ohne sich etwas zu vergeben; hing doch von ihr der Erfolg der Oper ab, welche Wolfgang für Mailand schreiben sollte. Es war »Mithridate Re di Ponto.« Jedermann aber kannte das Schicksal des unglücklichen Caraffa, der sich durch ein einziges unvorsichtiges Wort die vernichtende Ungnade der alles beherrschenden Primadonna zugezogen hatte.

Außerdem hatte übrigens die Bernasconi Amadeus schon bei der Gräfin Kaunitz gehört und aufrichtig bewundert, wie sie denn auch jetzt sein Lob auf das beredteste und freundlichste aussprach.

Sie war mit einem Wort ein Engel an Güte und Lieblichkeit, und die beiden Deutschen wunderte es gar nicht, als ihr der Prinz Francavilla mit den Ausdrücken der unbegrenztesten Hochachtung ein Geschmeide von wahrhaft fürstlichem Werth überreichte. Auch Salvatore war nicht mit leeren Händen gekommen, denn er brachte ein – nach italienischer Art abgefaßtes pompöses Gedicht auf den »Stern des Tages,« das heute im neuesten Blatte erschienen war und die Bernasconi in den Himmel erhob.

Nur der Prinz Bocatelli schien nicht ganz heiter; suchte er doch sein reizendes Bouquet vergebens. Es war nicht zu finden, weder an dem Busen seiner angebeteten Dame, noch auf einem Tische ihres Zimmers, noch in einer der vielen kostbaren Vasen und Väschen, die rings im Empfangsaale und den anstoßenden Zimmern standen.

Aber die Herrin des Hauses ließ in ihrer Heiterkeit Niemandem Zeit, sich mit sich selbst zu beschäftigen, und da Jomelli so klug gewesen, eine von Amadeus für sie componirte Bravour-Arie mitzubringen, so sang sie dieselbe jetzt mit solcher Fertigkeit und Pracht in Coloratur und Ausdruck, daß alle Anwesenden hingerissen und begeistert waren. Aber sie selbst fand auch die Composition des jungen Maestro vortrefflich und drückte unverhohlen ihre Freude darüber aus, gegen Ende Oktober mit Amadeus in Mailand zusammenzutreffen, wo dann »Mithridate Re di Ponto« componirt und einstudirt werden sollte.

Heute aber ließ sie die beiden Mozarts gar nicht mehr von sich. Sie mußten sie, zum Aerger des Prinzen Bocatelli, in ihrem prächtigen Wagen bei der Corso-Fahrt durch[271] die Riviera di Chiaja begleiten. Vier Diener – der eine an der Seite des Kutschers auf dem Bocke – drei hinten auf dem Wagen, hielten Flambeaux, der Prinz Francavilla ritt an der Seite.

Die Nacht war herrlich und die Fahrt pompöse. Vier Wagenreihen fuhren neben einander, zwei dieRiviera di Chiaja hinauf und zwei hinab. Und welche Masse Bouquets regnete es in den Schooß der Dame. Und die Reiter, die heransprengten und um einen freundlichen Blick der schönen Signora buhlten. Alles war Lust, Herrlichkeit und Freude – und so ging es fort bis Mitternacht.

Als Signora Bernasconi endlich an ihrem Hotel ausgestiegen, und der Wagen nun umdrehte, die beiden Mozarts ebenfalls nach Hause zu bringen und Amadeus noch einmal zurückblickte, ....... verschwand die herrliche Gestalt der Italienerin am Arm des Prinzen Francavilla auf den blumenbestellten Treppen.

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 254-272.
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