9.

Wieder Nichts.

[111] Von jenem Tage an war der junge Mozart ein neuer Mensch. Er selbst kam sich männlicher vor, weil er jetzt mehr denn je daran dachte, sich eine feste Existenz zu gründen, um so bald als möglich Aloysia sein nennen zu können. Vater Weber sah dies mit Freuden; denn war das Verhältniß der beiden jungen Leute bis jetzt auch noch, wie sie glaubten, ihr Geheimniß, so wußten doch der alte Weber und seine Frau recht gut darum. Sie hätten ja auch taub und blind sein müssen, wenn sie die gegenseitige Neigung ihrer Lieblinge nicht aus dem Vortrage jenes Duettes am Weihnachtsabende und dem Benehmen Beider errathen haben würden.

Freilich war die Mutter lange sehr besorgt; aber des Vaters Vorstellungen beruhigten sie doch endlich. Der junge Mozart war ja ein so braver und sittlich guter Mensch, er besaß ja so eminente Talente, daß wohl von keiner Seite her etwas zu befürchten sein konnte. Und welche Aussicht, wenn sich nun noch die schönen Gaben ihrer Tochter mit den seinen verbanden; vielleicht auf Kunstreisen, – vielleicht auch bei gegenseitiger fester Anstellung.

Uebrigens waren die Schößlinge dieser aufkeimenden Liebe noch so zart, daß sie sich nicht an das Licht der Welt getrauten. Kein Wort der Liebe kam über beider Lippen, und was ihr Herz empfand, sagten nur freundliche, innige Blicke, oder verrieth höchstens ein leiser Druck der Hand. Außerdem richtete es die kluge Mutter auch so ein, daß sie ohne alles Auffallen immer zugegen war, wenn die beiden Leutchen sich[111] sahen. Selbst zu den Proben und Aufführungen begleitete sie jetzt, der Schicklichkeit halber, die Tochter; was sie um so eher thun konnte, als Constanze das ganze Hauswesen übernommen. Die Mutter konnte es ihr aber auch, trotz ihrer Jugend anvertrauen, denn sie war ernster, geschäftiger, anstelliger als je, und hätte – der Führung der Haushaltung nach – für ein Mädchen von achtzehn Jahren gelten können. Und mit welcher Milde, Liebe und Freundlichkeit begegnete sie Jedem: den Eltern, Aloysia und den jüngern Geschwistern. Alle trug sie auf den Händen und erfreute sie durch Aufmerksamkeiten wo und wie sie konnte. Auch dem jungen Mozart begegnete sie so; nur kam es diesem vor, als ziehe sie sich bei seinem Erscheinen etwas mehr als früher zurück und wenn er sie unerwartet freundlich ansah, so glaubte er manchmal einen feuchten Glanz in ihren Augen zu bemerken. Zu solchen Bemerkungen blieb Amadeus indessen wenig Zeit: er mußte sich jetzt endlich mit Ernst um eine Stelle bewerben.

»Apropos, Sie bleiben in Mannheim?« – hatte erst jüngst die Gouvernante der Churfürstlichen Kinder, Frau von Zoller, zu Mozart gesagt, und zwar in einem Tone, welcher in dem Munde dieser seiner freundlichen Gönnerin eine angenehme Nachricht unter der Form einer Frage errathen ließ.

Mozart war davon nichts bekannt, obgleich die Thatsache seinen liebsten Wünschen entsprochen hätte. Er äußerte sich also in diesem Sinne, worauf die Dame mit Erstaunen ausrief: »Das wundert mich. Mir sagte es neulich der Churfürst selbst. ›Apropos,‹ – sagte er, – ›der Mozart bleibt den Winter hier.‹«

Das war nun freilich eine sehr freudige Nachricht. In der That eilte denn auch Wolfgang voll der glänzendsten Hoffnungen sofort zu dem Grafen Saviola. Da der Churfürst ihn zurückbehalten wollte, so konnte dies doch gewiß nicht in der Absicht geschehen, daß der junge Mann sein Geld in Mannheim verzehre, sondern damit er den Unterricht bei den churfürstlichen Kindern fortsetze, den er seither aus freien Stücken undunentgeltlich ertheilt hatte.

Beim Eintritt in das Palais des Intendanten begegnete Mozart dem Abt Vogler, der eben vom Grafen Saviola kam. An seiner Seite ging ein fein gekleideter Mann, dessen hohe Stirn und geistreiche Augen, trotz des leidenden und etwas melancholischen Aussehens den bedeutenden Menschen[112] verriethen. Vogler sprach sehr verbindlich mit ihm, und stellte ihn, en passant, dem jungen Künstler mit der Miene eines Gönners, als den zukünftigen Director des Mannheimer Theaters, den herzoglich Wolfenbüttel'schen Bibliothekar Dr. philosophiae Lessing, vor.48

Mozart war entzückt, den berühmten Verfasser der »Emilie Galotti« und der »Minna von Barnhelm« kennen zu lernen, für den er längst in jugendlichem Enthusiasmus schwärmte. Als er diesem aber in dem Ueberströmen seines Herzens die Hoffnung aussprach: ebenfalls hier eine Anstellung am Hofe oder an dem Theater zu finden, flog ein so eisiges, spöttisches, ja diabolisches Lächeln über die Züge des Abtes, daß – hätte es Mozart gesehen – ihm aller Muth und alle Hoffnung vergangen wäre. Aber Wolfgangs Blicke ruhten glücklicherweise auf dem edlen Antlitze des deutschen Dichters, während seine kühne Phantasie ihm schon ein herrliches Zusammenleben mit diesem großen Manne ausmalte.

Abt Vogler ließ indessen keinem längeren Gespräche Raum. Er hatte eben Lessing gewürdigt zu erfahren, daß er sich mit der Untersuchung der philosophisch-musikalisch-ästhetischen Frage beschäftigt: »Ob sich die Töne in einem weißen Zimmer besser ausnehmen als in einem schwarzen?« und setzte nun, – Mozart mit einem leichten Neigen des Hauptes entlassend – seinen Weg mit Lessing fort.

Amadeus lachte über den Abt und eilte doppelter Hoffnung voll die Stiege hinauf.

Der Herr Intendant war sehr beschäftigt. Er sagte indessen doch in den verbindlichsten und artigsten Worten, daß er sich glücklich schätzen werde, seinen ganzen Einfluß zu Gunsten des Schützlings der Frau Gouvernante in Bewegung zu setzen. Ja er ließ Mozart hoffen, daß er möglicherweise den Titel und die Anstellung als Kammer-Componist erhalten werde, da die beiden Capellmeisterstellen schon besetzt seien.

Wer war seliger als Amadeus! Seine Angelegenheiten standen ja ganz nach Wunsch. Es handelte sich jetzt nur noch um die Unterschrift des Churfürsten, der doch sicher vor Begierde brennen mußte, dieselbe unter ein Decret zu setzen, welches ihm[113] die Acquisition des jetzt schon so berühmten Künstlers sichern sollte.49

Indessen es vergingen wieder mehrere Tage und keine Antwort kam. Da meldete sich Mozart – auf Cannabichs und Webers Zurathen – zu einer persönlichen Audienz bei dem Churfürsten. Aber es war, als ob ihn sein guter Geist verlassen: erst traten einige Galatage hindernd in den Weg, an denen es dem Intendanten unmöglich wurde, mit Seiner Durchlaucht zu sprechen. Nach diesen verzögerte eine Jagd den Abschluß der Sache; – und dann wieder kam ein Ausflug des Hofes nach Kirchheim-Boland, zu der dort wohnenden Prinzessin von Oranien dazwischen.

Da verlor endlich Mozart die Geduld. Ach! während er sich die Sohlen ablief, um eine seit Monaten erbetene entschiedene Antwort zu erhalten, hatte der Charlatan Vogler, der zwar ein Nichts gegen Mozart war, dafür aber den Hof und die Weiber an demselben besser kannte, die Gunst, die sich Mozart immer mehr zuzuwenden schien, zu unterminiren gewußt.

Man hatte Karl Theodors väterliche Liebe zu beunruhigen gesucht, indem man auf die ungünstigen Folgen aufmerksam machte, welche die Veränderung des Lehrers auf die Schüler stets hervorzubringen pflege. Weiter setzte man mit giftiger Zunge hinzu: »Wer ist denn dieser Mozart, dem man den seitherigen Lehrer, der ein alter erprobter Diener ist, opfern will?« Ein kleiner Abenteurer, mit zwölf Gulden Gehalt, den der Erzbischof von Salzburg aus seinem Dienste gejagt hat, weil er nichts kann, und den er hätte nach Neapel schicken sollen, um in dem Conservatorium daselbst die Musik zu er lernen.50

»Und ein solches Subjekt sollte Kammer-Componist an einem churfürstlichen Hofe werden? Er sollte, was er selbst nicht versteht, Clavier spielen die Kinder Sr. Durchlaucht lehren?«

Diese und ähnliche Redensarten, durch Abt Vogler ausgestreut und Damen von Einfluß in den Mund gelegt, erreichten vollkommen den Zweck, den man beabsichtigte.

[114] Mozart bemerkte auch in der That bald, daß der Graf Saviola, der früher so freundlich gewesen, ihm auszuweichen anfing. Er begab sich also wieder zu demselben und wieder begegnete ihm, diesmal im Vorzimmer, wie Unheil verkündend, Abt Vogler. Der Abt grüßte kaum, Mozart that dasselbe. Bei dem Intendanten aber drang Wolfgang jetzt kategorisch auf eine Antwort. Der Graf zuckte die Achseln. Da aber war es aus mit Mozarts Geduld.

»Was?« – rief er – »noch keine Antwort?«

Saviola schob abermals die Schultern in die Höhe, als wollte er mit dem Kopfe wie eine Schildkröte in das Haus schlüpfen, rieb sich die Hände ganz verlegen und sagte:

»Bitte um Vergebung, aber leider Nichts!«

Da schoß dem jungen Mann das Blut zu Kopfe:

»Eh bien!« – rief er, seinen Hut zerdrückend, in gerechter Indignation – »das hätte mir der Churfürst auch eher sagen können. Uebrigens bitte ich Sie, Herr Graf, in meinem Namen dem Churfürsten zu danken, für die zwar späte, doch gnädige Nachricht.«51

Und sich leicht verbeugend, verließ er in höchster Aufregung das Haus.

Also abermals eine schmerzliche Täuschung! Abermals ein ganz unnöthiges, Monate langes Hinhalten; abermals ein vollkommenes Mißkennen seiner Fähigkeiten und ganz ungewöhnlichen musikalischen Kenntnisse und Leistungen!

Dort stand das schöne große Haus, in dem Abt Vogler, der churpfälzische Vice-Capellmeister – wie ein kleiner Fürst eingerichtet und behandelt – wohnte. Er, den Mozart so schnell in seinen Schwächen durchschaut, der ein Nichts als Componist, Clavier- und Orgelspieler gegen Mozart war, dessen lächerliche musikalische Charlatanerien Amadeus aus dem Grunde seines Herzens verachten mußte ... dort wohnte er in den glänzendsten Verhältnissen, geschätzt bei Hofe, gepriesen von der Welt, angestaunt von der geblendeten Menge. Und hier stand Mozart auf der Straße, ohne Amt und Anstellung, weggewiesen wie ein Stümper von drei deutschen Fürsten, die nicht wußten, daß er schon vor sieben Jahren von der ganzen italienischen Nation als bewunderter Liebling auf den Händen getragen worden, – die die Siege vergessen, wel che[115] dies glänzende Genie schon als Kind in Wien, München, Mannheim, Paris, London, in Holland und ganz Deutschland, als Knabe in Bologna, Rom, Neapel und Mailand gefeiert.

Da stand endlich Mozart, um alle seine schönen Hoffnungen betrogen; – dem Hohne und dem Spotte eines Menschen, wie Vogler, ausgesetzt, von dem – wie er jetzt fest überzeugt war – sein ganzes Mißgeschick in Mannheim ausging!

Es bedurfte in der That einiger Zeit, ehe sich die gerechten Wallungen seines Blutes legten. Er fühlte dies und ging daher, trotz Schnee und Eis, nach dem benachbarten Orte Neckarau.

Der Tag war schön. Die Sonne leuchtete herrlich am rein-blauen Himmel und gab der weitausgedehnten Schneelandschaft einen ganz eigenen Reiz. Dabei wehte, von der in gefälligen Linien sich in der Ferne hinziehenden Bergstraße her, eine frische kräftige Luft, die das Blut kühlte und dem Körper Frische und Elasticität mittheilte.

Hätte Amadeus nicht das Verhältniß mit Aloysia gehabt, er wäre schon nach der ersten Viertelstunde von seinem Aerger und Mißmuth geheilt gewesen: .... stand ihm denn nicht die ganze Welt offen? Sagte ihm denn nicht das Bewußtsein seines inneren Werthes, du wirst sie einst doch noch Alle überragen? – Bei der Neigung zu Webers hübscher Tochter aber, war ihm ein Weggehen von Mannheim jetzt ebenso peinlich, als er sich – Webers, Cannabichs und Wendlings gegenüber – der Abweisung schämte.

Kein Wunder daher, daß weder der schöne blaue Himmel, noch die freundliche Sonne und die reizende Winterlandschaft die Falten seiner jugendlichen Stirne so schnell glätteten. Mit ungewöhnlichem Ernst schritt er vorwärts und es läutete gerade Mittag, als er in Neckarau einbog. Da nun sein Magen, wie es schien, so ziemlich neutral geblieben war, und es zum Mittagessen in Mannheim zu spät geworden wäre, kehrte er im Schwanen ein und verlangte ein Glas Wein und etwas zu essen.

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 111-116.
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