141.[221] 1

Salzburgden 18 octob: 1777


Mon très cher Fils!


Gestern erhielt euer schreiben vom 14ten datiert aus Augsp: welches den 15ten wird abgeschickt worden seyn. zu erst muß ich den Proceß wegen dem 11ten octb: ausmachen. und ich werde doch immer recht haben, daß ihr euch geirret: denn es stehet in klaren Worten von meiner lieben Ehewirthin unterschrieben: München den 11ten abends um 8 uhr. dann fängt meines Erbprinzen Handschrift mit den Worten an. München den 11ten octob: nachts um 3/4 auf 12 uhr schreibe folgendes x: Da [221] wart Ihr ja schon in Augsp: wer hat nun recht? – – Das der brief am Samstage erst um Mittag von München abgegangen, wie ihr, das hab mir wohl vorgestellt. Die Trompeter blasen, halte die ohrn zu! Wir erhielten auch gestern abends die schust:Duetten, denn des hl: v Kleymayrs Bagage kam erst mit dem letzten Postwagen wir steckten gleich Liechter auf, und zu meinem grossen Vergnügen spielte sie die Nannerl, ja zu meiner grossen Verwunderung, ohne Anzustehen, auch, was für sie im Adagio vor kam, und überhaupts mit gusto und Expreßion hl:Bullinger, der beym Abbé Henry war, kam eben da wir sie eröffnet, und wir waren alle frohe, daß Du in dem beygelegten schreiben angezeigt, daß hl: von Klaymeyr solche mit bringt, sonst hätten wirs dem Bedienten, der sie gebracht, unmöglich glauben können. ò wie lachte hl: Bullinger! – – Das Du auf deraltum Tempus ecclesiasticum2 getanzt freuet mich, bedaure, daß Du wegen abgang guter Tänzerinen nicht mehrer Unterhaltung hattest. daß Sr f: g: von Chiemsee mit hl: gr: Sensheim und Bergheim gesprochen, mag wohl seyn, es ist immer gut gethañ; non si deve lasciar Strada intentata x: der Bischof ist gleich nach Werffen um zu fürmen, dann geht er in sein Bistum in die Visitation, und nach Bischofhofen das neue gebäude anzusehen; so bald er zurück kommt, werde ihm aufwarten. Die Accademie am Albertischen Nahmenstag wird wunderlich ausgefallen seyn bey einem so tacktvesten violinisten als Dubreill ist. gr: Seeau wird ihn besser kennen, deswegen hat er bey Deiner opera Buffa den Jos: Cröner ersucht. Daß sie bey abspielung Deiner letzten Caßation alle groß dareingeschauet, wundert mich nicht, Du weist selbst nicht wie gut Du violin spielst, wenn Du nur Dir Ehre geben und mit Figur, Herzhaftigkeit und Geist spielen willst, ia, so, als wärst Du der erste Violin spieler in Europa. Du darfst gar nicht nachlässig spielen, aus närrischer Einbildung als glaubte man, Du hieltest Dich für einen grossen Spieler, da manche nicht einmal wissendaß Du violin spielest, und Du von Deiner Kindheit an als Clavierist bekannt bist, woher soll also der Stoff zu dieser Einbildung[222] und vermuthung kommen? – – zwey Worte: Ich bitte vorhin ein um Vergebung, ich bin kein violinspieler: Dann mit geist gespielt! das setzt Dich über alles hinweg. ò wie manchmal wirst Du einen Violinspieler, der hochgeschätzt wird, hören, mit dem Du Mitleiden haben wirst! – – Was Du mir von Augsp: und dem Besuche des Statpf: Longotabaro schreibst hat mit meiner vermuthung ganz übereins getroffen. Dieser Brief machte mich und dann auch uns alle (darunter ist allzeit hl Bullinger eine Hauptperson) erstaunlich lachen. So oft ich an Deine Reise nach Augsp: dachte, eben so oft fielen mir Wielands Abderitten ein: man muß doch, was man im lesen für pures Ideal hält, gelegenheit bekommen in Natura zu sehen. hl: Longotabaro war ein ausserordentlicher guter Kopf in seinem Studieren, kam aber nirgendshin als nach Salzb: und Innsprugg, seine Studia zu treiben und Juris utriusque Doctor zu werden: von da tratt er gleich die untersten Magistrats Stellen an, diente bey der Augsp: Statt Regierung durch alle Klassen von unten auf, und wurde endlich Statipster, welches die höchste Stuffe ist. Er hat also nichts in der Welt gesehen. Daß mein Bruder im vorhaus hat warten müssen, wird nur Dir, ihm aber gar nicht seltsam vorkommen seyn. Alle Bürger in Salzb: und wenn es der erste Kaufmann ist, müssen beym Statt Syndicus im Mantl erscheinen: und da läßt er, was sonderheitl. die gemeinen Bürger sind, solche manchmahl im vorhause stunden weis warten; und der Syndicus ist doch nichts als Syndicus und nicht der Regierende Fürst. Der Stattpfleger in Augsp: ist aber ihr regierender schellenkönig. Das sind diese Leute schon gewohnt, sie haben den erstaunlichsten respect, weil sie keinen grösseren Herrn können, und dieser ihr regierender Herr weis nicht geschwind, wie er mit anderen Leuten reden muß, da er meistens nur gewohnt ist mit seinen Magistrats dienern, oder mit seiner Bürgerschaft von der Höhe seines schmuzigen Thrones herunter zu sprechen, die niemals zu ihm kommen, ausgenommen seine Befehle zu vernehmen, oder ihn um eine Gnade zu bitten: und so sind alle diese so genannten vornehmen Herrn in den Reichsstätten. und diese stolze und unbesonnene Plumpheit[223] sind sie auch im Stande gegen wirklich grosse regierende Herrn auszuüben, welches dem Augsp: Magistratt, so lang Augsp: stehet, sonderheitlich gegen den Churf: aus Bayern, schon einige 100tausend gulden gekostet hat; da er ihnen, auf iede beleidigende Plumpheit den Lechfluß sperrt: dann haben sie kein Wasser, müssen Bezahlen, schmieren, und eingehen was man verlangt, und noch recht schöne Worte ausgeben. – – Die Prelaten in Augsp: waren alle, die ich, als iunger Mensch, kannte, alle solche schrollen, und werden es noch seyn: à bove majore discit arare minor. arare heisst das feld pflügen, oder mit dem Pflueg anbauen. – – Im Cofféhauß gieng es mir einmahl noch übler, denn es war bey der Nacht, wo nicht nur auf allen Tischen Liechter brannten, sondern, da man Billiard spielte, die Liechter beim Billiard mit dem Tobacksrauch vereinigt so einen gestank und dicken Nebel machten, daß ich beym Eintritte nur die Bewegung von Menschen, sonst aber nichts unterscheiden konnte. Montag den 20ten Octob:3 Nun erhielt ich dein schreiben vom 17te und war sehr vorwützig auf die folge der Augsp: geschichte. Die Betteley des Augsp: Patritiats ist aller Welt bekannt, und ieder ehrliche Weltmann in Augsp: lacht darüber; deswegen sind sie auch im Sold der reichen Kaufmanschaft, die fürs geld von der hungerigen Obrigkeit alles erhalten können. Was den jungen vonLongotabaro anbelanget, hat er die Liebhaberey zum foppen, und der spötteley nicht gestohlen; dann seincher Pere, war auch ein Liebhaber: folglich fehlt es an der Erziehung, und das ist auch all das Vorrecht, dessen sich die Patriziats Buben iederzeit angemasset, und also noch anmassen, über andere, wenns gelegenheit giebt, zu spassen, in diesem bestehet ihr hoher Adl. wer sich mit ihnen ein bischen gemein macht, der giebt ihnen gleich das Herz und verfällt in ihre Spötteley, die sie sonst nur gegen ihre Leute ausüben. Du hast Dich mit diesem Buben zu gemein gemacht. ihr wart mit einand in der Comödie! ihr ward Lustig! Du warst zu wenig zurückhaltend und zu vertraut! kurz! Du warst, für einen solchen Poppen zu natürlich, und er glaubte, nun därfte er mit Dir spassen. Das mag [224] Dir zur Regl dienen, mehr mit erwachsenen Personen frey und natürlich umzugehen, als mit solchen ungezogenen unzeitigen Bueben, die mit nichts groß thun können, als daß ihr vatter Stattpfl: ist: gegen solche Purschen muß man sich immer zurückhalten, und ihrem Umgang, folglich ihrer Vertraulichkeit mit allem fleiß ausweichen. Das ist bey allem dem gewiß; mich würden sie schwerlich in ihre Bettl-accademie gebracht haben. Basta! Du hast es dem hl: Stein zum gefahlen gethan, und ich glaube Du wirst nun auch eine öffentl: accademie gegeben haben: und dann abgereist seyn, oder wenigst itzt reisen. Ich habe mit der Vorigen Post einen grossmächtigen Brief Franco an dich ergehen lassen, darinn eine sammlung guter Sparten ist, du wirst es unterdessen erhalten haben. Damit ich es ja nicht vergesse, so folgt hier die Adreße an Bischof in Ch: À Son Alteße Reverendißime Monseigneur Ferdinand christofle Prince du St: Empire et Evêque de chiemsee à

wo wirst Du aber nun hinschreiben? – – er kommt itzt wieder nach Salzb: zurück: du must immer nach Salzb: schreiben, oder abwarten bis ich Dir Nachricht gebe, daß er wieder in München ist. inwendig schreibst: Hochwürdigster des Heil: Röm: Reichs Fürst!


gnädigster Fürst!

im Contextu Euer Fürstlich gnaden x: – – Hochdieselben x:

Hochderoselben x:

am Ende Euer Fürstl: gnaden

unterthänigst gehorsamster

Wolfg: Amad:


Daß ich dem Missl:4 geschrieben hab dir berichtet. Wenn Du nach Manheim kommst, muß die Hauptperson, der Du Dich gänzlich vertrauen kannst, Sgr. Raaff5 seyn, der ein Gottsförchtiger, erlicher Mann ist, die deutschen liebt, und Dir vieles rathen und helfen kann. wenn er es nur dahin bringen könnte, daß dich der Churfürst6 den Winter durch bey sich behielt um zu [225] untersuchen, was Du kannst, und Dir gelegenheit verschaffte, daß Du Dich zeigen kannst. Sgr. Raaff kann Dir am besten rathen, und mit diesem must Du Dir eine besondere unterredung ausbitten. hl: Danner7 violinist, ist unser alter freund und bekannter, der wird Dich bey ihm aufführen. Deine Absicht must Du aber niemand als hl: Raff entdecken, der Dir sagen wird, ob Du beym Churfürsten audienz nehmen sollst. und vielleicht Dir solche selbst erleichtern kann. anfangs solltest Du nur suchen Dich hören zu lassen: alsdann muß man erst audienz nehmen und das andere in Bewegung setzen. Ist gar nichts zu machen, so bekommt doch ein schönes Regal. Die Sache bleibt auch mehr verdeckt; dann wenn Du Dich produciert hast, dann präsentirst Du auch dem Churf: etwas von DeinerComposition. und endlich bitte st Du den Churf: selbst, daß er Dich mehr untersuchen, und Dir gelegenheit geben möchte Dich in allen Arten der Composition zeigen zu können. sonderheitl auch in Kirchen sachen. Du must in die Capelle zu gehen nicht versäumen, und ihre art – länge oder kürze x: bemerken. denn solche Herrn halten immer die Methode, an die sie gewohnt sind, für die beste: Consuetudo est altera natura! da giebt es, glaube, schon einen besseren Kirchen Componisten als in München. Es wird noch ein guter alter da seyn. in Manheim giebst auch gelegenheit fürs deutsche Theater zu schreiben. Aber NB nur sich niemand vertrauen, denn, mancher sagt: ich wünschte daß sie hier blieben, um deine Absicht Dir abzulocken, und dann entgegen zu arbeiten. Basta! Vernunft! und Zurückhaltung! Gott gebe euch gesundheit, ich befinde mich (gottlob)Cento per Cento besser, hab gar keine Huste mehr, und hoffe noch eine bessere Zeit für uns arme Narren mit gottes hilfe zu erleben. Ich bitte Dich, halte Dich an gott, der muß es thun, dann die Menschen sind alle Böswichter! ie älter Du wirst, ie mehr Du Umgang mit den Menschen haben wirst, ie mehr wirst Du diese traurige Wahrheit erfahren. Denke nur auf alle versprechen, Maulmacherey und hundert Umstande die mit uns schon vorgegangen, und mache den[226] schluss selbst, wie viel auf Menschenhilf zu bauen ist, da am Ende ieder geschwind eine scheinbare Ausflucht weis, oder erdichtet, um die verhinderung seiner guten gesinnung auf die schuld eines dritten hinüber zu wälzen. Ich küsse die Mamma und wünsche ihr gedult, und sie soll sich für die kälte wohl verwahren. Dich küsse ich und bitte dich, alles was Du thust, männlich zu überlegen, und Dich mit freundschaft und vielem vertrauen nicht so geschwind iedem Maulmacher zu überlassen, gott segne euch auf eurer Reise, und da ich euch beyde noch Millionmahl Kisse bin ich der alte

Mozart8.


Unser beyder Empf: an meinen lieb: Bruder frau schwägerin und Jungf: Bäsle. Daß mein jungfer Bäsle schön, vernünftig, lieb, geschickt und lustig ist, das freut mich unendlich, und ich hab gar nichts dagegen einzuwenden, sondern wünschte vielmehr die Ehre zu haben, sie zu sehen. Nur scheint es mir, sie habe zu viel bekanntschaft mit Pfaffen. wenn ich mich betriege, so will ich ihrs vor lauter freuden Kniefällig abbitten. dann ich sage nur: es scheint mir; und der schein betrügt, absonderlich so weit – – von Augsp: bis Salzburg, absonderlich itzt, wo die Nebl fallen, daß man nicht auf 30 schritte durchschen kann. – Nun mögt ihr lachen wie ihr wollt! Es ist schon recht, daß sie schlimm ist: aber die geistlichen Herrn sind oft noch weit schlimmer. Ich erwarte die Continuation wegen der Steinischen Instrumente: und der Duchesse Arschbömmerl etc:

Fußnoten

1 Antwort auf Wolfgangs Briefe vom 14. Oktober.


2 S. hierzu Wolfgangs Brief vom 6. Oktober.


3 Antwort auf Wolfgangs Brief vom 17. Oktober (81).


4 Misliveczek.


5 Der Tenorist Anton Raaff (1714–1797), der damals am Mannheimer Hofe wirkte.


6 Karl Theodor.


7 Christian Danner.


8 Hier folgt eine Nachschrift der Tochter.


Quelle:
Die Briefe W. A. Mozarts und seiner Familie. 5 Bände, Band 3. München/ Leipzig 1914, S. 227.
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