139.

[273] kaysersheim den 18ten Decbre

1778


Mon trés cher Pére!


sonntags den 13ten bin ich gott lob und danck glücklich mit der schönsten gelegenheit von der welt hier angelangt, und habe gleich das unbeschreibliche vergnügen gehabt einen brief von ihnen zu finden; – warum ich ihnen nicht gleich geantwortet, ist die ursache, weil ich ihnen die sicherste und gewisseste nachricht meiner abreise von hier melden wollte, und ich aber es selbst noch nicht wuste – mich aber endlich entschlossen, weil der hl: Prälat den 26ten oder 27ten dieses nach München reiset, ihm wieder gesellschaft zu leisten – doch muß ich ihnen melden, daß er nicht über augsburg geht – ich verliere nichts dabey, doch wenn sie etwas vielleicht zu bestellen, oder zu betreiben haben, wo meine gegenwart etwa nothwendig seyn sollte, so kann [273] ich, wenn Sie befehlen, allzeit von münchen, weil es sehr nahe, eine kleine spazierfahrt hin machen; – meine reise von Mannheim bis hieher war für einen Mann, der mit leichtem herzen von einer stadt weg-reiset, gewis eine der angenehmsten – der hl: Prälat und sein herr kanzler, ein recht Ehrlicher, braver und liebenswürdiger Mann fuhren allein in einer chaise – der hl: kellermeister P: Daniel, bruder Anton hl: secretaire und ich fuhren allzeit eine halbe – bisweilen auch eine stunde voraus; – allein für mich, dem niemal etwas schmerzhafter gefallen ist, als diese abreise, war folglich diese reise nur halb-angenehm – sie wäre mir gar nicht angenehm, ja gar Ennuiante gewesen, wenn ich nicht von jugend auf schon so sehr gewohnt wäre, leüte, länder und städte zu verlassen, und nicht grosse Hofnung hätte, diese meine zurückgelassene gute freünde wieder, und bald wieder zu sehen – unterdessen kann ich nicht läugnen, sondern muß ihnen aufrichtig gestehen, daß nicht nur allein ich, sondern alle meine gute freunde, besonders aber das Cannabichische hauß, die lezten täge, da nun endlich der tag meiner traurigen abreise bestimmt war, in den bedauerns-würdigsten umständen war; – wir glaubten es seye nicht möglich daß wir scheiden sollten; – ich gieng erst morgens um halbe 9 uhr ab, und Madme Cannabich stund doch nicht auf – sie wollte – und konnte nicht abschied nehmen; – ich wollte ihr das herz auch nicht schwer machen, reisete also ab, ohne mich bey ihr sehen zu lassen – allerliebster vatter! – ich versichere sie, daß dies vielleicht eine meiner besten und wahrsten freundinen ist – denn ich nenne nur freünd und freündin eine Personn die es in allen situationen ist – die tag und nacht auf nichts sinnet, als das beste ihres freündes zu besorgen – alle vermögende freünde anspannt, selbst arbeitet, ihn glücklich zu machen; – sehen Sie, dies ist das wahre Portrait der Madme Cannabich – es ist freylich interesse auch dabey; allein, wo geschieht etwas, ja, wie kann man etwas thun auf dieser welt, ohne interesse? – und was mir bey der Madme Cannabich gar wohl gefällt, ist, daß sie es auch gar nicht läügnet; – ich will es ihnen schon mündlich sagen, auf was für art sie es mir gesagt hat; – denn, wenn wir alleine beysamm sind, welches sich leider sehr selten[274] ereignet, so reden wir ganz vertraut; – von allen guten freünden, die ihr haus frequentiren, bin ich der einzige der ihr ganzes vertrauen hat, der alle ihre haus-famillien-verdruß, anliegen, geheimnüsse und umstände weis; – ich versichere sie (wir haben es auch zu uns selbst gesagt) daß wir uns das erstemal nicht so gut gekennt haben – wir haben uns nicht recht verstanden; – aber wenn man in hauß wohnt, so hat man mehr gelegenheit einander kennen zu lernen; – und schon in Paris fieng ich an, die wahre freündschaft von Cannabichischen hauß recht einzusehen, indemm ich von guten händen wuste, wie er und sie sich um mich annahmen; Ich spare mir vielle sachen mündlich ihnen zu sagen und zu entdecken – denn seit meiner zurückunft von Paris hat sich die scene um ein merckliches verändert – aber noch nicht ganz; –

Nun etwas von meinem klosterleben; – Das kloster an sich selbst hat keinen grossen eindruck auf mich gemacht, denn wenn man einmal Kremsmünster gesehen hat, so – ich rede von äußerlichen, und von dem was man hier Hof heist – das kostbareste muß ich erst sehen; – was mir am lächerlichsten vorkömmt, ist das grausame militaire – möchte doch wissen zu was? – nachts höre ich allzeit schreyen: Wer da? – gieb aber allzeit fleissig antwort; schmecks! – daß der hl: Prälat ein recht liebenswürdiger Mann ist, wissen sie; – daß ich mich aber unter die claße seiner favoriten zählen darf, wissen sie nicht; – es wird mich aber weder in glück noch unglück bringen, glaube ich; – doch ist es immer gut einen freund mehr in der welt zu haben; – ich kenne weder Madelle Ballon, noch hl: Heigl und seine frau1 – was die monodrame oder Duodrame betrift, so ist eine stimme zum singen gar nicht nothwendig, indemme keine Note darin gesungen wird – es wird nur geredet – mit einem wort, es ist ein Recitativ mit instrumenten – nur daß der acteur seine worte spricht, und nicht singet; – wenn sie es nur einmal an clavier hören werden, so wird es ihnen schon gefallen; – hören sie es aber einmal in der Execution, so werden Sie ganz hingerissen, da stehe ich ihnen gut dafür; – allein einen guten acteur oder gute actrice [275] erfordert es; – Nun schäme ich mich in der that, wenn ich nach München komme ohne meine sonaten – ich begreife es nicht; – das war wohl ein dummer streich von grimm – ich habe es ihm auch geschrieben, daß er nun einsehen wird, daß es eine kleine übereilung von ihm war; – mich hat noch nichts so geärgert, als dieses; – überlegen sie es; – ich weis, daß meine sonaten heraus sind seit anfangs Novembre – und ich als author habe sie nicht – und kann sie der Churfürstin, der sie dedicirt sind, nicht über reichen; – ich habe unterdessen anstalten gemacht, daß sie mir nicht fehlen können; – ich hoffe, daß sie meine baase in augsburg nun erhalten hat, oder daß sie beyjoseph Killian alda liegen – und hab schon geschrieben, daß sie mir sie gleich schicken soll; – nun, bis ich selbst komme empfehle ich ihnen bestens einenorganisten – zugleich auch guten Clavieristen – hl: Demmler2 in augsburg; – ich dachte gar nicht mehr an ihn, und war sehr froh als man hier von ihm sprach – das ist ein sehr gutes genie – die salzburgerischen dienste könnten ihm zu seinen ferneren glück sehr nützlich seyn – denn es fehlt ihm nichts als ein guter wegweiser in der Musick – und da wüste ich ihm keinen bessern Conducteur als sie mein liebster vatter – und es wäre währlich schade, wenn er auf abwege gerathen sollte! –

Nun wird zu München die trauerige Alceste vom schweizer aufgeführt! – – das beste (nebst einigen anfängen, mittelpassagen und schlüsse einiger arien) ist der anfang des Recitativ O jugendzeit! – und dieß hat erst der Raaff gut gemacht; er hat es dem hartig3 (der die Rolle des admet spiellt) Punckirt, und dadurch die wahre Expression hineingebracht; – das schlechteste aber, (nebst dem stärckesten theil der opera) ist ganz gewis die ouverture; Wegen den kleinigkeiten die im kuffer abgegangen, ist es ganz natürlich, daß bey dergleichen umstände leicht etwas verloren, ja auch gestohlen wird; – das kleine ammadistene Ringl, habe ich der garde geben müssen, die bei meiner mutter seel: gewacht hat, weil sie sonst den brautring behalten hätte; – Das Dintenfas ist zu voll, und ich bin [276] zu hitzig im einduncken, das sehen sie ganz klar – wegen der uhr haben sie es errathen, die hat studirt; habe aber nicht mehr als 5louisd'or dafür bekommen können, und das in ansehung des wercks, welches gut war – denn die façon wissen sie von selbst, daß sie alt war, und izt gar ganz aus der mode; – weil wir just von uhren reden, so will ich ihnen sagen daß ich mir eine uhr mitbringe – eine wahre Pariserin; – sie wissen was an meiner steinerl-uhr war? – wie schlecht die steinerl waren, wie Plump und ungeschickt die façon – doch das würde ich alles noch nicht achten, wenn ich nur nicht so viell unnützes geld für repariren und richten hätte ausgeben müssen! – und doch gieng die uhr einen tag eine stunde auch 2 zu frühe, den andern Tag so viell zu spätt; – die von kuhrfürsten machte es just auch so, und war aber noch dabey so schlecht und gebrechlich gearbeitet, daß ich es ihnen nicht sagen kann – diese meine 2 uhren habe mit sammt den ketten für eine Pariserin von 20 louisd'or hergegeben – Nun weis ich doch einmal wie viell uhr das es ist? – so weit hab ich es mit sammt meinen 5 uhren nicht gebracht; – Nun habe ich doch unter vier, eine, wo ich mich darauf verlassen kann; – izt leben sie recht wohl, allerliebster vatter; so bald ich in München seyn werde, werde ich ihnen meine anckunft benachrichtigen; – unterdessen küsse ich ihnen 1000mahl die hände, und meine liebe schwester umarme ich von ganzen herzen und bin Dero

gehorsamster sohn

Wolfgang Amadè Mozart4


meine Empfehlung an alle gute freunde besonders aber an unsern lieben hl: Bullinger

die adreße an heyna ist;

à Monsieur

Monsieur Heina rue de Seine

feauxbourg st: germain, à l'hôtel de Lille

à

Paris.

Fußnoten

1 Mitglieder der Münchener Bühne.


2 S. den Brief vom 24. Oktober 1777.


3 Der Tenorist Frz. Hartig, ein Schüler Raaffs.


4 Antwort des Vaters: 28. Dezember.


Quelle:
Die Briefe W. A. Mozarts und seiner Familie. 5 Bände, Band 1. München/ Leipzig 1914, S. 277.
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