112.

[165] Mannheim den 19ten februar 1778


Monsieur

mon trés cher Pére!


Ich hoffe sie werden meine lezte zwo briefe richtig erhalten haben: in dem lezten habe ich mich um die nach-haus-reise meiner Mutter bekümmert, nun aber aus ihren schreiben vom 12ten ersehen, daß es ganz unöthig war. Ich habe mir nie etwas anders vorgestellt, als [165] daß sie die Reise mit dln Wlblrischen1 misbilligen werden, denn ich habe es niemahl, bey unsern dermaligen umständen verstehts sich, im sinn gehabt; aber ich habe mein Ehren-wort gegeben, an ihnen das zuschreiben. h: weber weis nicht wie wir stehen; ich sag es gewis niemand; weil ich also gewünschet habe, in solchen umständen zu seyn, daß ich auf niemand zu dencken hätte, das wir alle recht gut stünden, so vergass ich in dieser berauschung die gegenwärtige ohnmöglichkeit der sache, und mithin auch – ihnen das zu melden was ich izt gethan habe. Die ursachen daß ich nicht nach Paris bin, werden sie genugsam in den lezten zwo briefen vernommen haben. wenn nicht meine Mutter selbst davon angefangen hätte, so wäre ich gewis mitgereist; nachdemm ich aber merkte daß sie es nicht gern sieht, so sah ich es auch nicht mehr gern; denn so bald man mir nicht trauet, so traue ich mir selbst nicht mehr. Die zeiten wo ich ihnen auf den Sessel stehend dasoragna fiagata fà sang2, und sie am Ende auf das Nasenspizt küste, sind freylich vorbey, aber hat dessentwegen meine Ehrfurcht, liebe und gehorsamm gegen sie abgenommen? – – mehr sage ich nicht. was sie mir wegen der kleinen sängerin in München3 vorwerfen, Muß ich bekennen daß ich ein Esel war so eine derbe lüge an sie zu schreiben. sie weiß ja gar noch nicht was singen heist. Das ist wahr, daß, für eine Persoñ die erst 3 Monath die Musick gelernt, sie ganz fortreflich sang; und überdas hatte sie eine sehr angenehme, reine stimme. Die ursach warum ich sie so lobte mag wohl gewesen sein, weil ich von früh morgens bis nachts nichts hörte, als: es giebt keine bessere sängerin in ganz Europa. wer diese nicht gehört hat, der hat nichts gehört; ich getrauete mir nicht recht zu wiedersprechen, theils weil ich mir gute freunde machen wollte, theils weil ich schnurgerade von salzbourg herkamm, wo man einem das widersprechen abgewöhnt. so bald ich aber allein war, so muste ich von herzen lachen, warum lachte ich doch auch nicht in ihren brief? – Das begreif ich nicht.

was sie so beissend wegen meiner lustigen unterhaltung mit ihres [166] bruderstochter schreiben, beleidiget mich sehr; weil es aber nicht demmalso ist, so habe ich nichts darauf zu antworten. wegen wallerstein weis ich gar nicht was ich sagen soll; da bin ich beym Beecke sehr zurückhaltend und serios gewesen; und auch an der officier tafl mit einer rechten auctorité da gessen, und mit keinen menschen ein wort geredet. überdas wollen wir alles hinausgehen, daß haben sie nur so in der hitze geschrieben.

was sie wegen der Madelle weber schreiben, ist alles wahr; und wie ich es geschrieben habe, so wuste ich so gut wie sie, daß sie noch zu jung ist, und daß sie action braucht, und vorher öfter auf den theaterRezitirn Muß, allein mit gewissen leuten muß man öfters nach und nach – weiter schreiten. Die guten leute sind müde hier zu seyn, wie – sie wissen schon wer und wo. mithin glauben sie es sey alles thunlich. ich habe ihnen versprochen alles an meinen Vatter zu schreiben. unterdessen als der brief nach salzbourg lief, sagte ich schon immer. sie soll doch noch ein wenig gedult haben, sie seye noch ein bischen zu jung, etc: von mir nehmen sie auch alles an, dann sie halten viell auf mir: izt hat auch der vatter auf mein anrathen mit der Madme toscani (Comödiantin) geredet, damit sie seine tochter in der action instruirt. es ist alles wahr, was sie von der weberin geschrieben haben, ausgenommen eins nicht, nemlich das sie wie eine gabrielli singt; denn das wäre mir gar nicht lieb, wenn sie so sänge. wer die gabrielli gehört hat, sagt und wird sagen, daß sie nichts als eine Pasagen- undRouladen-macherin war; und weil sie sie aber auf eine so besondere art ausdrückte, verdiente sie bewunderung, welche aber nicht länger dauerte, als bis sie das 4te mahl sang. Denn sie konnte in die länge nicht gefallen, der Pasagen ist man bald müde; und sie hatte das unglück das sie nicht singen konnte. sie war nicht im stande eine ganze Note gehörig auszuhalten, sie hatte keine meßa di voce, sie wuste nicht zu souteniren, mit einem wort sie sang mit kunst aber mit keinen verstand. Diese abersingt zum herzen, und singt an liebsten Cantabile. ich habe sie erst durch die grosse Aria an die Pasagen gebracht, weil es nothwendig ist, wenn sie in italien kommt, daß siebravurarien singt. [167] Das Cantabile vergist sie gewis nicht, denn das ist ihr natürlicher hang. Der Raff hat selbst (der gewis nicht schmeichelt) gesagt, als er um seine aufrichtige Meinung gefragt wurde: sie hat nicht wie eine scolarin sondern wie eine Professora gesungen. izt wissen sie also alles. ich reccomandiere sie ihnen immer vom ganzen herzen; und wegen derarien, Cadenzen etce: bitte nicht zu vergessen. leben Sie wohl. ich küsse 100000 dero hände und bi dero gehorsamste sohn

Wolfgang Amadé Mozart


ich kann nimmer schreiben für lauter hunger.

Meine Mutter wird ihnen unsere grosse geld-Caßa eröfnen. Meine schwester umarme ich von ganzem herzen, und sie soll nicht gleich über jedem Dr: weinen, sonst komme ich mein lebtag nimmer zurück. Meine Compliment an alle gute freund und freundinen, absonderlich an h: bullinger4.

Fußnoten

1 Auflösung der Chiffren: den Weberischen.


2 S. den Brief des Vaters vom 12. Februar.


3 Keiserin.


4 Folgt ein Brief der Mutter. – Antwort des Vaters: 25./26. Februar.


Quelle:
Die Briefe W. A. Mozarts und seiner Familie. 5 Bände, Band 1. München/ Leipzig 1914, S. 168.
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