31.

[67] Folgende Anekdote möge den in Nr. 21 erwähnten Ärger Mozarts über die Vergötterung italienischer Sänger in Deutschland beurkunden.

Mozart besuchte die Residenz eines deutschen Fürsten, wo er von mehreren dringend angegangen wurde, ein Konzert zu geben, und dazu einwilligte.

Am Abend seiner Ankunft ließ sich eine bekannte sehr schätzbare Sängerin K., aus dieser Residenz gebürtig, und auf dem Theater einer größern engagiert, öffentlich hören.[67]

Die Versammlung war nicht sehr zahlreich, obschon das Entree zu sehr niedrigem Preise gestellt war.

Der erste Gesang bezauberte Mozarten: er ging zu der Sängerin und erbot sich, da ihm der Spieler des Klaviers sie nicht zu fassen geschienen, die folgenden Arien begleiten zu wollen.

Kenner bemerkten, daß der Gesang des Mädchens bei dieser Begleitung noch herrlicher wurde, aber die Versammlung ging, ohne der Sängerin Dank zu sagen, stille auseinander.

Mozart bat das Mädchen, ihm die erste Arie zu Hause bei seiner Begleitung noch einmal hören zu lassen.

Er fand die Familie sehr niedergeschlagen, sie hatte großen Beifall gehofft; es war aber nicht ein Mal applaudiert worden.

Was Mozart den Eltern aus voller Überzeugung sagte, stellte sie endlich zufrieden, noch mehr tat es seine Bitte, da Louise in seinem Konzerte singen möchte.

Spät am Abend kam im Gasthause Mozarts eine italienische Sängerin an, deren Talent berühmt, deren Charakter berüchtigt war. Ihre Ankunft war am nächsten Morgen kaum bekannt geworden, als es strömte, das Wunderkind zu sehen. Obschon sie, gleich nach ihrer Ankunft, beim Wirt verraten hatte, daß sie mit dem Plan, ein Konzert zu geben, nach *** gekommen wäre, so ließ sie sich doch bitten, ehe sie den Wünschenden zusagte, und sie tat es nicht eher, bis ihr ein sehr ansehnliches Auditorium bei sehr hohem Entree zugesichert worden war.

Es wurde der folgende Abend zum Konzert festgesetzt. Die Zwischenzeit benutzten die angesehensten Familien, um das Glück zu ringen, sie in ihren Häusern anbeten zu können.

Zum Konzert stellten sich wenigstens vier Mal so viel Zuhörer ein, als Louise gehabt hatte.[68]

Man wartete selten das Ende einer Arie ab, sondern fiel mit Bravo und Klatschen mitten ein; die Sängerin erhielt den Namen die Einzige. Man ging so weit, daß man Louisen hören ließ: der würde wohl nie wünschen, sie noch ein Mal zu hören, welcher die Italienerin gehört. Ihr Gesang könne in gar keine Vergleichung gesetzt werden.

Mozart stand eben neben Louisen, als einige diese Äußerung laut getan hatten. Sie wurden nun so unverschämt, sich ihr noch mehr zu nähern, und Mozarten um ein Urteil anzugehen.

Er antwortete: »Ich teile ihre Meinung, daß der Gesang der Fräulein K. sehr verschieden von dem der Italienerin sei.«

Nach dem Ende des ersten Teils wurde Mozart dem Fürsten präsentiert. Die Fürstin sagte zu ihm: »Sie sollten doch den schönen Abend durch ihr Spiel noch mehr verherrlichen.«

Mozart ging zu der Italienerin, legte es ihr aber selber in den Mund, daß das Konzert zu lange werden würde, wenn er auf einen Teil der Zeit Ansprüche machen wollte, und man kam davon ab.

War die Italienerin vorher mit Ehrenbezeugungen überhäuft worden, so geschah es nach dem Konzerte noch mehr. Sie wurde auch an den Hof geladen.

Nach Louisen fragte niemand, als ihre nächsten Verwandten.

Mozart dachte auf Beschämung. Er ging die Italienerin an, daß sie in seinem Konzerte noch ein Mal singen möchte. Sie willigte ein, und erbot sich zu zwei Arien, die sie vorschlug.

Beide Arien waren Mozarten genau bekannt. Er setze sie eiligst zu Hause um, und ließ sie so Louisen einstudieren. Niemand erfuhr, daß diese auch singen werde – auch machte die Italienerin die Probe allein mit.

Als diese bei der Aufführung die erste Arie gesungen,[69] und den reichsten Beifall eingeerntet hatte, führte Mozart Louisen zum Singen auf.

Alles blieb, da Louise geendet hatte, schweigend. Mozart setzte sich schnell wieder, eine Sonate zu beginnen, kehrte sich aber dabei um und rief ganz laut: »Und wie einzig!«

Die Italienerin zog vor der zweiten Arie ab. Sie klagte, als selbe beginnen sollte, über Übelsein, und eilte nach Hause.

Mozart ging, als er geendet, unter das Auditorium und erklärte mit einer weit vernehmbaren Stimme: daß es ihn freue, daß Mad. S. der Louise Gerechtigkeit habe widerfahren lassen. »Nur«, setzte er hinzu, »hätte sie bleiben, und sie noch ein Mal hören sollen, um zur Überzeugung zu kommen, daß ein Gesang aus dem Himmel kommen müsse, wenn er himmlisch sein solle.«

Man fühlte gewiß, was Mozart sagte, aber forderte ihn doch auf, sich deutlicher zu erklären.

»Ja«, sagte er, »da hapert's, daß ich alles so klar geben könnte, als ich s in mir fühle. Aber doch etwas! Die S. hat eine Kehle, die die Natur sehr gut gebauet hatte. Auch ihre Brust ist so gut, wie die der Fräulein K. Sie würde eine vortreffliche Sängerin geworden sein, wenn auch das dritte Haupterfordernis jedes Singkünstlers, das Organ aller Organe, in ihr geläutert und von Gott gefühlt worden wäre. Sie hat Noten lesen und wiedergeben gelernt, hat Meister gehabt, die ihr Vortrag und Manieren gelehrt; aber fest ist sie doch nicht. Sie fiel zwei Mal um 1/4 Ton, und ein Mal sogar um 1/2 Ton aus dem Gleise, das die Fräulein K. nie tut, nie tun kann. Die Italienerin kann nur die gesehenen Noten singen, die Fräulein K. singt nach gefühlten. An einem rein gestimmten Klavier kann ich, wenn mir die Klänge gefallen, nichts weiter loben, als den Meister, der es gebaut hat. Der Künstler, der gut gesetzt hat, ist wieder etwas Anderes, und der,[70] welcher das gut Gesetzte gut spielt, hat, wenn er weiter nichts dazu tut, kein Verdienst, als daß er gut lesen lernte. Wer mit fremden erlernten Manieren aushelfen will, muß nicht wissen, daß jedes Stück oder Lied seine eigene Art des Vortrags verlange. Fremde Manieren, wenn sie gut sind, müssen studiert, aber nicht kopiert werden. Der gebildete Geschmack muß, was dem einzelnen Stücke gebührt, aus sich selber finden. Diese Eingebung muß von keinem andern, sondern aus dem eigenen Herzen kommen. Wer nur Noten wiederzugeben, und Vortrag nach anderer Manier gelernt, von dem kann man nur sagen, daß er Talent gehabt, etwas zu lernen. Aber Talent«, sagte Mozart etwas satirisch, »halte ich nur für etwas Zufälliges, man kann es nur schätzen, es hat einen Marktpreis, und es gebührt ihm nichts weiter, als dieser Preis, aber keine Achtung. Ich ziehe für das bloße Talent nur den Beutel, aber nicht den Hut. Ganz anders ist es, wenn mir ein edles gereinigtes Herz, ein schöner begründeter Charakter erscheint, da schlage ich an meine Brust und mag anbeten. Diese bringt man nicht mit auf die Welt, sie sind nichts Zufälliges, das die Natur gegeben, sie müssen erworben werden – nur sie verdienen Feier und Achtung. Es kann keinen großen Künstler geben ohne ihren Besitz. Nur aus einem solchen reinen Herzen, wie das der Fräulein K. kann eine himmlische Musik kommen, die wieder zu Herzen geht. Die Gaukelei der Italienerin geht nicht weiter als in die Ohren.«

Doch ich rede und Sie lassen mich auch reden als stände ich auf der Kanzel.

»Alles was ich sagte«, fuhr er beißender fort, »haben Sie alle schon selbst gesagt. Indem Sie der Fräulein K. kein lautes Zeichen des Beifalls gaben, sondern in sich gekehrt, stille blieben, so gaben Sie ihr das größte. Sie gestanden ihr, daß sie Töne in Ihnen erregt habe, die Sie gern noch lange vernehmen möchten. Und da Sie der[71] Italienerin bravo riefen und klatschten, so warfen Sie ihr zugleich vor, daß ihr Gesang nicht einmal in ihren Ohren geblieben sei.«

Der größte Teil der Gesellschaft nahm die letzte Erklärung für eine galante Wendung; nur der kleinere fühlte, was Mozart damit gesagt und gewollte hatte.

Jetzt war aber auch alle Erbitterung aus Mozarten heraus. Er bat nun die aufs innigste bewegte Louise die zweite Arie zu singen, die man im Konzert der Italienerin anders gesetzt, schon von dieser gehört hatte, und man drängte sich, als sie geendet, ohne bravo zu rufen, herbei, um sie mit Dank um eine Wiederholung zu bitten. Mozart zeigte sich erkenntlich und bat, als Louise willfahrt hatte, noch um Aufgaben für ihn, und exekutierte weit über die gewöhnliche Konzertzeit hinaus alles, was man von ihm verlangte.

Eine Unpäßlichkeit des Fürsten hatte ihn und die Fürstin verhindert, in Mozarts Konzert zu kommen. Der Vorgang war aber berichtet worden, und am folgenden Tage wurde Mozart und Louise zu Hof geladen. Auch wetteiferte man nun allgemein, Louisen Beweise von Achtung und Dankbarkeit zu geben, und es ihr bemerken zu lassen, daß es sehr freue, daß sie aus *** gebürtig sei.

Die Italienerin war noch am Abend des Konzerts weggefahren.

Quelle:
Johann Aloys Schlosser: Wolfgang Amad. Mozart. Prag 1828 [Nachdruck Prag 1993], S. 67-72.
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