34.

[81] Noch mehr Beweis für dieses Gedächtnis liefert das Gelingen folgenden Pochens auf dasselbe.

Die ausgezeichnete Violinspielerin Strinasacchi aus Italien, die als Madame Schlick in Gotha in herzoglichen Diensten gestorben ist, kam nach Wien, spielte mit vielem Beifall bei Hofe und kündigte nun ein öffentliches Konzert an, wozu ihr Kaiser Joseph sein italienisches Hoftheater bewilligt hatte.

Sie wollte gern auch mit einem noch unbekannten vorzüglichen Solostück, und wo möglich mit einem von Mozart und neben ihm auftreten, und ging darum den Meister um Komposition und Spiel an.

Mozart gefällig und schnell zur Hand wie immer versprach beides.

Er sann die große, treffliche, von einem feierlichen Adagio eingeleitete Sonate aus B-Dur für Violin und Pianoforte aus. Das Aussinnen ging schnell, mit dem Aufschreiben wollte es aber nicht gehen.

Der Tag des Konzertes nahte sich, aber noch hatten die Bitten der Frau Mozarten nicht zum Schreiben gebracht.

Erst am Abend vor dem Konzerttage erpreßte sie ihre[81] Stimme von ihm, um sie am folgenden Vormittag noch einstudieren zu können.

Dies Einstudieren geschah jedoch ohne Begleitung von Mozart. Er sah die Frau erst im Konzerte selbst wieder.

Hier spielte er die Sonate mit ihr zum höchsten Entzücken des Publikums über Komposition und Vortrag.

Der Kaiser lorgnierte aus seiner Loge auf die Spielenden herunter, und es schien ihm, als habe Mozart ein leeres Blatt vor sich liegen. Er ließ es abfordern, und sah, da er richtig gesehen hatte.

»Haben sie es wieder einmal darauf ankommen lassen?« sagte der Kaiser.

»Euer Majestät – ja«, antwortete Mozart, »es ist aber doch keine Note ausgeblieben.«

Hätte Mozart das Stück, wenn auch nicht eingelernt, doch mehrmals gespielt gehabt, so hätte er nicht mehr gewagt, als was jedes gute Gedächtnis wagen kann. Es erschien aber sein Gedächtnis als ein bewundernwürdiges, da er das Stück mit der Virtuosin nicht ein einziges Mal probiert, und es sogar mit der Violin noch nicht gehört hatte.

Quelle:
Johann Aloys Schlosser: Wolfgang Amad. Mozart. Prag 1828 [Nachdruck Prag 1993], S. 81-82.
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