35.

[82] Von dem in Nr. 12 und 33 erwähnten, von Mozart in Leipzig gegebenen Konzerte verdient auch die Probe einer Erwähnung. Herr Hofrat Rochlitz erzählt von derselben Folgendes:

»Über Nichts klagte Mozart mehr als über Verhunzung seiner Kompositionen bei öffentlicher Aufführung durch Übertreibung der Schnelligkeit der Tempos,

›Da glauben sie, hierdurch soll's feurig werden‹, sagte er.[82] ›Wenn das Feuer nicht in der Komposition steckt, so wird's durch Abjagen sicher nicht hineingebracht.‹

Besonders unzufrieden war er deshalb mit den meisten neuen italienischen Sängern. – ›Sie jagen, oder trillern und verschnörkeln‹, – sagte er, ›weil sie nicht studieren und keinen Takt halten können.‹

Am Abend vor der Probe seines öffentlichen Konzerts zu Leipzig hörte ich ihn gerade über diese Punkte sehr lebhaft deklamieren.

Als ich am folgenden Tag in die Probe kam, bemerkte ich jedoch, daß er den ersten Satz, der probiert werden sollte – es war das Allegro einer Sinfonie von seiner Komposition – sehr, sehr schnell nahm.

Kaum waren zwanzig Takte gespielt, als – was leicht vorauszusehen war – das Orchester das Tempo zurückhielt und schleppte.

Mozart machte Halt sagte, worin man fehle, rief Ancora, und fing noch ein Mal eben so geschwind an.

Der Erfolg war derselbe.

Er tat alles, das Tempo gleich fortzuhalten; stampfte einmal den Takt so gewaltig, daß ihm eine prächtig gearbeitete stählerne Schuhschnalle in Stücke zersprang: aber alles war umsonst.

Er lachte über seinen Unfall, lie die Stücke liegen, rief nochmals Ancora, und fing zum dritten Mal in demselben Tempo an.

Die Musiker wurden unwillig auf das fremde Herrchen, das sie so hudelte; arbeiteten erbittert darauf los, und nun ging es.

Alles Folgende nahm Mozart gemäßigt.

Ich gestehe es – ich nahm jenes schon für eine kleine Übereilung, bei der Mozart nicht sowohl aus Rechthaberei, sondern mehr, um sich sein Ansehen nicht gleich anfangs zu vergeben, auf seinem Sinn bestanden sei.

Aber nach der Probe sagte er einigen Kennern beiseits:[83] ›Wundern Sie sich nicht über mich; es war nicht Kaprice: ich sah aber, da die meisten Musiker schon ziemlich bejahrte Leute waren. – Es wäre des Schleppens kein Ende geworden, wenn ich sie nicht erst ins Feuer getrieben und böse gemacht hätte. Aus lauter Ärger taten sie nun ihr Möglichstes.‹

Da Mozart dieses Orchester noch nie hatte spielen hören; so zeugte das ja wohl von nicht geringer Menschenkenntnis; so war er doch wohl nicht in allem, was nicht Musik war, ein Kind, was man so oft sagte und schrieb.

Noch mehr, der brave Mann wollte sich nun auch die Liebe des erzürnten Orchesters wieder gewinnen, ohne jedoch die gute Wirkung seines Eifers zu verscherzen. Er lobte also nun das Akkompagnement und sagte: ›Wenn die Herren so zu spielen vermögen, brauche ich meine Konzerte nicht zu probieren; denn die Stimmen sind richtig geschrieben, Sie spielen richtig und ich auch: was braucht s beim Akkompagnement mehr?‹

Und das Orchester akkompagnierte wirklich bei der Aufführung das angeführte, äußerst schwere und intrigante Konzert ohne Probe, und zwar nun vollkommen richtig – denn es spielte mit Ehrfurcht gegen Mozart – und mit möglichster Delikatesse – denn es spielte mit Liebe zu ihm.«

Quelle:
Johann Aloys Schlosser: Wolfgang Amad. Mozart. Prag 1828 [Nachdruck Prag 1993], S. 82-84.
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