36.

[84] Das Journal general etc. lieferte vor Kurzem folgenden, in mehr als einer Hinsicht äußerst interessanten Brief Mozarts, und behauptete, daß derselbe früher noch nicht in Druck erschienen sei. Es wird in ihm vieles, was die vorigen Nummern über den Verewigten gesagt, durch seine eigenen Worte bestätigt.[84]

Auch macht er, was diese Biographie ergänzt, mit Mozarts Schreibart und Briefstil bekannt.1 Wahrscheinlich wurde der Brief im Herbst des Jahres 1790 von Prag aus geschrieben.

»Hierbei sende ich Ihnen, mein lieber, vortrefflicher Baron, Ihre Partituren wieder zurück. Wenn sie mehr durchgestrichene Stellen als Noten darin finden, so werden Sie sich das aus dem, was ich Ihnen hier weiter sage, erklären können.

Die Ideen in ihrer Sinfonie haben mir sehr gefallen; allein diese Komposition wird wenig Effekt machen. Es ist ordentlich ein Haufen von Ideen darinnen, die man aber alle nur stückweise hört. Wenn ich wüßte, daß Sie mir hierüber böse werden könnten, so hätt ich hundertmal lieber geschwiegen, oder die Freimütigkeit unterdrückt. Doch soll Sie dies nicht abschrecken; denn es geht allen denen so, welche nicht von Jugend auf unter einem polternden Lehrmeister und seiner Zuchtrute und närrischen Laune schwitzten, sich dennoch aber einbilden: bei etwas natürlichen Anlagen und Liebe zur Kunst könne man auch mit dem Komponieren fertig werden. Manchen gelingt es denn auch, etwas Leidliches herauszubringen, aber meist doch nur durch das Zusammenflicken von ein paar Gedanken, die sie andern gestohlen haben, weil sie selbst keine hatten. Andere haben wohl auch Ideen, können sie aber nicht richtig auffassen und wiedergeben, und in diesem Fall befinden Sie sich. Aber im Namen der heiligen Cäcilia bitte ich Sie, nehmen Sie mir's ja nicht übel, daß ich so mit Ihnen umgehe. In Ihrem Thema ist ein schöner Gesang, und die liebe Fränzel muß es sehr oft singen; ich wünschte alsdann, daß Sie dabei wären, und sie hörten und sähen. – Das Menuett des Quartetts ist gar[87] nicht so übel, bis zur Stelle, wo ich ein Zeichen anbrachte; aber die Coda wird mehr Lärm als Effekt machen. Sapienti sat und auch nihil sapienti. Ich meine mich nämlich selber damit, der ich mich nicht darauf verstehe, viel darüber zu schreiben. Unser einer macht's lieber selber.

In meiner Freude habe ich Ihren Brief wohl hundertmal geküßt. Nur hätten Sie mich nicht so viel loben sollen. Ich kann's wohl noch anhören, wenn mir einer etwas Schmeichelhaftes sagt; denn man wird dergleichen wohl am Ende gewohnt; aber lesen tue ich's nicht gern. Ihr guten Leute macht viel, zu viel Wesens aus mir. Ich und alle meine Kompositionen sind's nicht wert.

Aber, liebster Baron, was muß ich zu Ihrem Präsent sagen? Es ist so gerade zu rechter Zeit gekommen, wie der Stern in der dunkeln Nacht, oder wie ein Blümchen in der Mitte vom Winter, oder wie ein Gläschen Madeira, wenn einer einen verdorbenen Magen hat, oder wie ... wie ... Schreiben Sie sich selber hier noch bei, was Sie meinen, das man noch sagen könnte. – Gott weiß es, wie ich mich plagen muß, um meinen Unterhalt zu verdienen, und Constanze2, die bedarf denn auch noch was.

Wenn ich nur wüßte, wer Ihnen gesagt haben könnte, daß ich faul sei. Geben Sie ihm nur, ich bitte Sie gar schön – denn einem Baron ist ja so etwas erlaubt – von meinetwegen ein paar tüchtige Maulschellen dafür. Ich wollte ja herzlich gern in einem fortarbeiten, wenn man mir nur erlauben wollte, bloß solche Sachen zu komponieren, die ich will und kann und mit denen ich bei mir selbsten Ehre einlege. Vor drei Wochen habe ich eine Sinfonie geschrieben und mit der morgigen Post biete ich Hoffmeistern drei Quartette für's Klavier an, wenn er sie mir bezahlen will.

Ach, wenn ich doch ein großer Herr wäre, da würde ich sagen: ›Mozart, jetzt schreibst du für meine Rechnung,[88] aber so gerade das, was dir auch selber gefällt und so gut, als du's nur immer kannst. Du bekommst keinen Kreuzer, bevor du nicht etwas fertig gemacht hast; aber ich kaufe dir alle deine Manuskripte ab, und du brauchst sie nun nicht mehr auf'm Markt herumzutragen wie ein Fratschlerweib.‹ – – –

O Gott! wie trübsinnig und wild macht es mich oft, so viele Dinge in der Welt zu sehen, die ganz anders sind, als sie sein könnten und sollten.

Glauben Sie, daß es sich so verhällt, wie ich Ihnen hier schreibe; aber bösen und dummen Leuten müssen Sie nichts glauben. Meinetwegen aber gehe alles alla casa del Diavolo!

Jetzt komme ich zum schwersten Teil Ihres Briefes, den ich lieber ganz und gar überschlagen möchte, weil es meiner Feder in solchen Sachen nicht gelingen will Doch will ich Ihnen auch darauf antworten, und sollten Sie auch über meine Schreiberei lachen müssen.

Sie wünschen zu wissen, wie ich es anfange, wenn ich etwas Gutes oder Kraftvolles komponiere. Je nun, das will ich Ihnen, wie Sie es gleich lesen sollen, explicieren, aber besser kann ich's nicht.

Wenn ich gut aufgelegt und ganz in meinem Fache bin, wenn ich in einem Wagen fahre, oder nach einem guten Mittagessen einen Spaziergang mache, oder wenn ich im Bette liege und nicht einschlafen kann, dann kommen mir die Ideen haufenweise; wo sie herkommen, oder wie sie kommen, dies kann ich ihnen nicht sagen. Die mir aber gefallen, die halt ich fest im Gedächtnis, zuweilen trillere ich solche (wie mir andere schon oft sagten) so vor mich hin. Wenn ich sie einmal fest gepackt habe, so gelingt es mir dann auch nach und nach aus dem ganzen Teige eine Pastete zu kneten, nach den Regeln des Kontrapunkts und nach der Natur und Beschaffenheit eines jeden Instruments. Ich gerate dann darüber in Begeisterung;[89] wenn ich nicht gestört werde, so erweitern sich meine Ideen, entwickeln sich und werden immer klarer, und so ist die ganze Komposition in meinem Kopfe schon so weit zu Ende gebracht, daß, so groß und bedeutend sie auch sein mag, ich sie im Geist mit einem Blick übersehe, gerade so, als wie das Ganze eines schönen Gemäldes oder einer hübschen Figur sich vor meine Blicke stellt. Ich höre in meiner Einbildungskraft das Ganze auf ein Mal, nicht etwa nach und nach, wie es doch nachher nur gehört werden kann. Dann genieße ich einen wahren Schmauß. – Die Verrichtung des Erfindens und der Fertigung geht in mir vor wie ein schöner Traum. Aber das Vermögen, alles so auf ein Mal hören zu können, dies ist das Allerschönste dabei. Was ich einmal so aufgefaßt habe, vergesse ich nicht leicht wieder, und dies ist die größte Gabe, die mir Gott verliehen hat. Wenn ich alsdann anfange niederzuschreiben, so ziehe ich aus meinem Hirnkasten das hervor, was auf die Art, wie ich's Ihnen beschrieben habe, hineingekommen ist. Und weil also schon vorher das Ganze in meinem Kopfe war, so geht es auch mit dem Niederschreiben aufs Papier sehr geschwind. Ich kann deswegen wohl auch dabei gestört werden, und alles um wich her vorgehen lassen, ich arbeite dabei fort, und kann während der Arbeit auch wohl mit einem von Hühnern und Gänsen sprechen.

Aber wenn Sie mich fragen, wie es zugeht, daß alle meine Arbeiten die ihnen eigentümliche Mozartsche Manier haben und in nichts, auch nur im Mindesten, den Charakter von Kompositionen anderer Meister tragen, so kann ich Ihnen dies auf keine andere Art erklären, als daß es sich damit gerade so verhält als wie mit meiner Nase, welche durch ihre Biegung und Länge die echte Mozartsche Nase ist und die von allen andern Nasen unterschieden ist. Ich suche die Originalität nicht, kann Ihnen aber auch von der meinigen keine genauere[90] Erklärung geben. Warum sollte es denn in der Tat nicht ganz natürlich sein, daß die Menschen, von denen ein jeder seine eigene Physiognomie hat, auch im Innern sich eben so von einander unterscheiden müßten, wie sie im Äußern von einander unterschieden sind? Ich weiß wenigstens, daß, was meine innere Physiognomie anbelangt, ich mir sie eben so wenig als meine äußere gegeben habe.

Nun aber, liebster Freund, bitte ich Sie gar schön, lassen Sie mich für immer in Ruhe und glauben Sie aber auch, daß ich, wenn ich diese Bitte tue, keinen andern Grund dazu habe, als weil ich nicht im Stande wäre, Ihnen noch ein Wort mehr darüber zu schreiben. Sie sind ein gelehrter Herr und werden kaum eine Vorstellung sich davon machen können, was ich für Mühe gehabt habe, um Ihnen nur so viel darüber zu schreiben. Einem andern hätte ich gar nichts darauf geantwortet und hätte bei mir selbst gedacht: mutschi, buschi, quittle, etsche, mollap, nevving. –

Während meines Aufenthalts in Dresden ist nichts Besonderes vorgefallen; die bilden sich dort ein, sie hätten alles aufs Beste, weil sie vor Zeiten einmal etwas Gutes gehabt haben. Ausgenommen ein paar ordentliche Leute, wußten sie weiter nichts von mir, als daß ich in Paris und London in der Bubenmütze ein paar Konzerte gespielt habe. In der Oper bin ich nicht gewesen, denn der Hof war im Sommer auf dem Lande. Naumann hat mir eine von seinen Messen in der Kirche gegeben; sie war schön, sie haben sie gut aufgeführt, aber es war eine gedehnte Komposition und ein bißchen frostig, wie Eu. Exzellenz manchmal zu sagen pflegen. Es kam so auf die Art von Hasse heraus, aber ohne sein Feuer, und die Melodie neuer. Ich habe vor den Herren dort sehr oft gespielt, aber sie wurden dabei nicht weiter hitzig und sagten mir nichts als fades Zeug, das ich schon tausendmal gehört habe. Sie forderten mich auch auf, auf der Orgel zu spielen; (die Orgeln, die sie dort haben, sind prächtig). Ich[91] sagte ihnen, was auch wahr ist, daß ich nicht gewohnt sei, auf der Orgel zu spielen; doch ging ich mit. Ich bemerkte bald, daß sie einen Orgelspieler von Profession in petto hatten, durch dessen Spiel sie mich herunterzusetzen gedachten. Er spielte brav, aber ohne Einbildungskraft und ohne originelle Gedanken. Ich nahm mich nun zusammen, um etwas aufzutischen, das Hände und Füße habe. Zum Schluße spielte ich eine Doppelfuge im gravitätischen Stil hübsch langsam, damit sie die Fortschreitung aller Stimmen hören könnten. Jetzt hatten sie genug und wollten nichts weiter haben. Häßler3, auf den ich's eigentlich gepackt hatte, lobte mich am herzlichsten und aufrichtigsten. Er hüpfte vor Freude in die Höhe und wollte mich alle Augenblicke küssen, auch aß und trank er mit mir in meinem Wirtshause. Die anderen, die ich einlud, gingen nicht mit.

Jetzt, lieber Freund und Gönner, ist mein Papier schon ganz voll gekritzelt, und die Flasche Weins, die meine Portion für den ganzen Tag sein sollte, wird gleich ausgeleert sein. Seit dem Brief an meinen lieben Herrn Schwieger-Papa, wo ich um seine Tochter anhielt, habe ich keine so lange Litanei geschrieben. Werden sie nur nicht böse. Im Plaudern und Schreiben muß ich mich zeigen, wie ich bin, oder das Maul halten und die Feder wegwerfen. Behalten Sie mich lieb, das soll mein letztes Wort sein.

O, wein Gott! könnte ich Ihnen doch auch einmal so eine Freude verschaffen, als Sie mir machten! Ich stoße mit mir selbst an und rufe dabei aus: Auf die Gesundheit meines guten und treuen B***! Amen!«

1

Ich bemerke hierbei noch, daß die Schrift Mozarts fein, aber doch sehr leserlich war. Auch die Noten schrieb er bei aller Geschwindigkeit, mit welcher er sie schrieb, sehr klein und deutlich.

2

Mozarts Frau.

3

Ein Kompositeur, der in der Bachschen Manier komponierte.

Quelle:
Johann Aloys Schlosser: Wolfgang Amad. Mozart. Prag 1828 [Nachdruck Prag 1993], S. 84-85,87-92.
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