37.

[92] Mozart war, wie sich psychologisch leicht erklären läßt, immer furchtsam. In der letzten Zeit seines Lebens, in welcher er an einem kränkelnden Körper und besonders an zu starker Reizbarkeit der Nerven litt, wurde er sehr häufig von Todesgedanken beunruhigt.

Er arbeitete jetzt so viel, daß es schien, er wolle sich dadurch den peinlichen Gedanken entflüchten. Seine Anstrengung ging dabei so weit, daß er oft ganz entkräftet zurück sank, und zu Bett gebracht werden mußte.

Man suchte ihn davon abzubringen, aber alle Versuche blieben vergeblich. Er lebte nur in seinen Phantasien, es mußte denn ein Schauder vor dem Tode, der sich schon um seine Gebeine zu winden anfing – ihn daraus erwecken. Seine Gattin bestellte oft Personen, die er lieb hatte, heimlich zu ihm. Sie schwatzten ihm vor, er hörte aber nichts, oder gab kurze Antwort, schrieb aber immer fort.

Schon über der Zauberflöte, welche er in der damaligen Zeit verfertigte,1 versank er, wenn ihn der Genius ergriff, in öftere Ermattung und minutenlange ohnmächtige Bewußtlosigkeit. Seine Kränklichkeit hatte dabei so zugenommen, daß er die Aufführung, die zu Wien im ersten Jahre hundert Mal geschah, nur neun Mal dirigieren konnte.

Eines Tages, da er auch in schwermütige Phantasie versunken saß, fuhr ein Wagen vor, und ein Fremder ließ sich melden. Ein stattlicher, ernsthafter, etwas bejahrter Mann, von sehr würdigem Ansehen, den weder Mozart noch seine Gattin kannten, trat ein, und sagte: »Ich komme als Abgesandter eines sehr angesehenen Mannes zu Ihnen, welcher wünscht, nicht bekannt zu werden.«[93]

»Gut, was verlangt er von mir?«

»Es ist ihm eine Person gestorben, die ihm sehr teuer war, und ewig bleiben wird; er wünscht, jährlich ihren Todestag würdig zu feiern, und bittet Sie, ihm das Requiem dazu zu komponieren.«

Mozart war durch das Dunkel, welches über die Sache verbreitet wurde, durch den feierlichen Ton des Mannes innig ergriffen; er versprach, dem Verlangen zu willfahren.

Der Fremde fuhr fort: »Arbeiten Sie mit allem Fleiß; der Mann ist Kenner. Wieviel Zeit bestimmen Sie ungefähr?«

»Vier Wochen.«

»Und wieviel für Ihre Mühe?«

Mozart antwortete leicht hin: »Hundert Dukaten.«

»Hier sind sie« – sagte der Fremde, legte die Rolle auf den Tisch und ging.

Mozart versank von Neuem in tiefes Nachdenken, forderte dann Feder, Tinte und Papier und fing sogleich an, zu arbeiten.

Sein Interesse an der Sache schien mit jedem Takte zuzunehmen. Er schrieb Tag und Nacht. Sein Körper hielt die Anstrengung nicht aus; er sank über dem Arbeiten einige Male in Ohnmacht.

Alles Zureden zur Mäßigung war vergebens. Erst nach einigen Tagen erhielt es die Gattin von ihm, daß er mit ihr in der Prater fuhr. Er saß aber still und in sich gekehrt.

Endlich verleugnete er es nicht mehr, er glaube gewiß, er arbeite dies Stück zu seiner eigenen Todesfeier. Er ließ sich von dieser Idee nicht abbringen und arbeitete so wie Raphael seine Verklärung, indem er wie dieser die Verklärung seiner selbst lieferte.

Auch über das sonderbare Erscheinen und Bestellen des Fremden äußerte er auffallende Gedanken.

Es näherte sich indessen die Abreise Kaiser Leopolds zur Krönung in Prag. Die Operndirektion, welche erst[94] spät daran gedacht hatte, die Feierlichkeiten durch eine neue Oper zu vermehren, wendete sich jetzt an Mozart.

Es war diese Bestellung seiner Gattin und seinen Freunden sehr angenehm: sie hofften, daß ihn die Arbeit zu Zerstreuungen führen werde.

Es war die Oper: Clemenza di Tito von Metastasio zur Komposition vorgeschlagen worden. In der zu kurzen Zeit konnte der Kranke die unbegleiteten Rezitative nicht selber schreiben, auch mußte er jeden gelieferten Satz sogleich in Stimmen aussetzen lassen. Gezwungen, entweder ein ganz mittelmäßiges Werk, oder nur die Hauptsätze sehr gut, die minder interessanten aber nur leichthin und bloß dem Zeitgeschmack des großen Haufens gemäß zu bearbeiten, wählte er das letzte.2

So krank Mozart nach Prag abgereist war, so half doch die Reise, daß er sich gleich nach der Ankunft etwas besserte. Die Menge der Arbeiten regte die Kräfte seines Geistes noch mehr auf, und die vielen Zerstreuungen erheiterten seinen Sinn – es flammte das Lämpchen vor dem Erlöschen noch einmal hell auf. Diese Anstrengung entkräftete ihn aber auch desto mehr, und er kehrte noch kränker nach Wien zurück, als er es verlassen hatte.[95]

Doch fiel er mit Heißhunger über die Fortsetzung der unterbrochenen Arbeit an dem Requiem her.

Kaum daß er wieder begonnen hatte, so waren die von ihm bestimmten vier Wochen vorüber, und der fremde Mann erschien.

»Ich habe nicht Wort halten können«, sagte Mozart.

»Ich weiß es« – war die Antwort. »Sie haben recht getan, sich nicht zu binden. Wie lang bestimmen Sie nun die Zeit?«

»Noch vier Wochen – die Arbeit ist mir immer interessanter geworden; ich führe sie viel weiter aus, als ich anfangs wollte.«

»Bravo! – Sie müssen deshalb auch mehr Bezahlung haben. Hier sind noch hundert Dukaten. In vier Wochen bin ich wieder bei Ihnen.« –

Man gab acht, wohin er ging: die nachgeschickten Leute wurden aber irre geleitet – sie erfuhren nichts.

Mozart war jetzt fest überzeugt, der Fremde sei ein ungewöhnlicher Mensch, der mit jener Welt in näherer Verbindung stehe, und ihm zugesandt worden, ihm sein Ende anzumelden.

Er entschloß sich nun noch ernstlicher, seinem Namen ein würdiges Denkmal zu stiften. Mit diesen Ideen arbeitete er weiter, und so war es wohl kein Wunder, daß er das vollendetste Werk lieferte.

Mozart sank während der letzten Arbeit in immer größere Ermattung. Eine Ohnmacht verdrängte die andere. Er war vor dem Ende der vier Wochen fertig, aber auch – entschlummert.

1

Das Übrige, was Mozart außer der Zauberflöte in den letzten vier Monaten seines Lebens leistete, ist S. 32 angegeben worden.

2

Mozart legte hierbei einen Beweis für die Richtigkeit seines Geschmacks und seiner Theater- und Publikumskenntnis sowohl dadurch ab, daß er die in Ewigkeit gedehnte Verwechslung, welche bei Metastasio ziemlich den ganzen mittlern Akt füllt, wegschnitt, wodurch die Handlung raschern Gang bekam, das Ganze mehr konzentriert, dadurch weit interessanter und in zwei mäßig langen Akten vollendet wurde, als auch dadurch, daß er, um mehr Mannigfaltigkeit in die einförmige stete Abwechslung von Arien und Rezitativen zu bringen, mehrere dergleichen Sätze gegen das Ende des ersten Akts zusammenschmolz und daraus das große Meisterstück, das Finale des ersten Akte bildete – eine Komposition, die, wie in N. 26 bemerkt worden, im Ganzen zwar nach einer Szene Idomeneo angelegt ist, aber Mozarts Shakespearsche, allmächtige Kraft im Großen, Prachtvollen, Schrecklichen, Furchtbaren, Erschütternden so unverkennbar, und so bis zum Haaremportreiben darlegt als kaum das berühmte Finale des ersten Akts seines Don Giovanni.

Quelle:
Johann Aloys Schlosser: Wolfgang Amad. Mozart. Prag 1828 [Nachdruck Prag 1993], S. 92-96.
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