38.

[96] So erzählten Herr Hofrat Rochlitz und Herr Dr. Reichardt, im Ganzen übereinstimmend und nur in[96] Nebendingen von einander abweichend, die Entstehung des Requiem. Nach beiden hinterließ Mozart dasselbe vollkommen fertig. Diese Angabe ist aber unrichtig sowie auch manches Andere in der Erzählung.

Die Sache verhielt sich so:

Drei Monate vor Mozarts Tod brachte ihm ein Mann einen Brief, in welchem Mozart gefragt wurde, ob er die Komposition eines Requiem übernehmen wolle? was er dafür fordere? und wann er damit fertig zu werden gedenke?

Der Brief war ohne Unterschrift, und der Mann, welcher ihn brachte und Mozarten und seiner Gattin auch unbekannt war, verweigerte es, den Verfasser zu nennen, indem er erklärte, daß derselbe unbekannt bleiben wolle.

Mozart sagte zu, begehrte hundert Dukaten und verlangte gegen vier Wochen Zeit zur Verfertigung.

Der Mann ging, um Entschließung zu holen.

Er kam gleich wieder, brachte die hundert Dukaten, die Mozart erst nach Vollendung des Werks bedungen hatte, im voraus, versprach, daß bei Empfang desselben noch ein beträchtlicher Zuschuß erfolgen solle, und entband Mozarten von genauer Haltung der geforderten Zeit.

Mozart fragte jetzt, wohin er die Partitur, wenn sie fertig geworden, schicken solle.

»Ich werde sie schon selbst abholen«, war die Antwort. »Geben Sie sich keine Mühe, den Besteller zu erfahren, sie würde vergeblich sein. Es kann Ihnen gleichgültig sein, wer er sei: Sie sind gedeckt. Arbeiten Sie nur mit allem Fleiße, er soll nicht unbelohnt bleiben!«

Es fiel Mozarten das Dunkel, in welchem der Name des Bestellers gehalten wurde, ausnehmend auf. Der Auftrag wurde ihm deshalb um so interessanter.

Er schritt sogleich zum Entwurf, und begann dann die Ausführung mit solchem Eifer, daß sein schon geschwächter Körper bald noch schwächer wurde.[97]

Er war noch nicht weit gekommen, als er den Auftrag erhielt, zu Kaiser Leopolds Krönung in Prag die Oper Clemenza di Tito zu komponieren.

Der Auftrag war um so willkommener, da er Erheiterung und Genesung durch eine Reise versprach.

Indem sich Mozart zu derselben bereitete, so erschien der Sprecher des Bestellers des Requiem und fragte: wie es nun mit dem Werke werden werde?

Mozart antwortete, daß es ihm wohl wegen der Verzögerung der Vollendung und wegen seiner Freude an der Arbeit leid tue, sich von ihr auf einige Wochen trennen zu müssen; er hoffe hingegen, daß die Trennung sehr vorteilhaft für das Requiem werden werde. Bessere es sich durch die Reise mit seinem Körper, so werde er nach der Zurückkehr in größerer Heiterkeit des Geistes mehr leisten und auch fleißiger arbeiten können. Doch müsse er es dem Besteller überlassen, ob er so lange warten wolle.

Der Man sicherte dieses Warten zu.

Nach der Rückkehr von Prag wurde Mozart noch schwächer, als er vor der Hinreise gewesen war. Doch ließ er sich dadurch nicht abhalten, mit solchem Fleiße an dem Requiem fortzuarbeiten, als wäre er gesund. Die Anstrengung erschöpfte ihn jedoch so, daß seine Gattin in die peinlichste Sorge geraten mußte.

Sie tat das Möglichste zu seiner Zerstreuung, aber es half nichts. Auf einer Fahrt in den Prater fing er endlich an, ihr zu eröffnen, daß er täglich mehr fühle, daß er bald von ihr scheiden müsse. Er behauptete mit Tränen in den Augen, er habe Gift erhalten, und fand in der Aufforderung zum Requiem die Aufforderung seines Todesengels, es für sich zu setzen.

Dieser Furcht die Nahrung zu entziehen, entwand ihm die Gattin nach der Heimkehr die Partitur. Auch wurde dadurch und durch ärztliche Hilfe einige Besserung[98] erwirkt. Mozart wurde aufgelegt, die bekannte Freimaurer-Kantate zu verfertigen.

Die gute Aufnahme, welche dieselbe fand, erhob zu noch größerer Heiterkeit, und es hielt es die Gattin nun nicht mehr für bedenklich, in die wiederholte Bitte um Rückgabe des Requiem zu willigen.

Leider dauerte aber die Besserung nur kurze Zeit. Sobald Mozart an seinem Lieblingswerke wieder zu arbeiten begonnen hatte, fiel er in seine Melancholie zurück, und nach wenigen Tagen nahm die Krankheit so zu, daß er das Bett nicht mehr verlassen konnte.

Doch forderte er am Morgen vor seinem Tode die Partitur noch einmal. Er überlief sie mit nassen Augen und legte sie darauf mit dem wehmütigen Abschied weg: »Du wurdest für mich geschrieben.«

Er verschied in der darauf folgenden Nacht.

Das Werk war aber keineswegs, wie die Erzählung N. 37 sagt, vollendet.

Ebenso wenig wurde es auch, wie Herr Hofsekretär Gerber1 und das Brockhaussche Conversations-Lexikon angeben, unvollendet an den Besteller2 übergeben.

Die Witwe ersuchte den Kapellmeister Süßmayer, das noch Fehlende zu bearbeiten, und händigte die Partitur erst dann dem Besteller ein, nachdem diese Ergänzung geschehen war. Es ließ ihr dieser darauf noch hundert Dukaten übermachen.[99]

Die Ergänzung durch Süßmayer wird schon allein zur Genüge durch folgenden von demselben bei Verkauf des Werks an die Breitkopf- und Härtelsche Handlung zu Leipzig, an die Käufer geschriebenen Brief bestätigt.


»Wien, am 8. Sept. 1800.


Mozarts Komposition ist so einzig, und ich getraue mich zu behaupten, für den größten Teil der lebenden Tonsetzer so unerreichbar, daß jeder Nachahmer, besonders mit untergeschobener Arbeit noch schlimmer wegkommen würde als jener Rabe, der sich mit Pfauenfedern schmückte.

Daß die Endigung des Requiem, welches unsern Briefwechsel veranlaßte, mir anvertraut wurde, kam auf folgende Weise.

Die Witwe Mozart konnte wohl voraussetzen, die hinterlassenen Werke ihres Mannes würden gesucht werden; der Tod überraschte ihn, während er an diesem Requiem arbeitete. Die Endigung dieses Werkes wurde also mehreren Meistern übertragen; einige davon konnten wegen anderer Geschäfte sich dieser Arbeit nicht unterziehen, andere wollten aber ihr Talent nicht mit dem Talent Mozarts kompromittieren. Endlich kam diese Arbeit an mich, weil man wußte, daß ich, noch bei Mozarts Lebzeiten, die schon in Musik gesetzten Stücke öfters mit ihm durchgespielt und gesungen, daß er sich mit mir über die Ausarbeitung dieses Werkes sehr oft besprochen und mir den Gang und die Gründe seiner Instrumentierung mitgeteilt hatte.

Ich kann nur wünschen, daß es mir geglückt haben möge, wenigsten so gearbeitet zu haben, daß Kenner noch hin und wieder einige Spuren seiner unvergesslichen Lehren darin finden können.

Zu dem Requiem samt Kyrie, Dies Irae, Domine Jesu[100] Christe – hat Mozart die vier Singstimmen und den Grundbaß sammt Bezifferung ganz vollendet; zu der Instrumentierung aber nur hin und wieder das Motiv angezeigt. Im Dies irae war sein letzter Vers: qua resurget ex favilla, und seine Arbeit war die nämliche wie in den ersten Stücken. Von dem Verse an – judicandus homo reus – ist das Dies irae, Sanctus, Benedictus und Agnus Dei ganz neu von mir verfertigt; nur habe ich mir erlaubt, um dem Werke mehr Einförmigkeit zu geben, die Fuge des Kyrie bei dem Verse cum sanctis zu wiederholen etc.


Süßmayer.«

1

S. Neues historisch-biographisches Lexikon der Tonkünstler, welches Nachrichten von dem Leben und den Werken musikalischer Schriftsteller, berühmter Komponisten, Sänger, Meister auf Instrumenten, kunstvoller Dilettanten, Musikverleger, auch Orgel- und Instrumentenmacher älterer und neuerer Zeit aus allen Nationen enthält; von Ernst Ludwig Gerber, fürstlich Schwarzburg-Sondershausischen Hofsekretair zu Sondershausen. 4 Tle. Leipzig 1813.

2

Soviel ich weiß, wurde der Besteller des Requiem noch nie öffentlich genannt. Selbst in Wien ist er noch wenigen bekannt. Auch Herr Stadler nannte ihn nicht Es ließ es der Graf Wallsegg zu Stuppach bei Wiener-Neustadt, ein Besitzer mehrerer Herrschaften dortiger Gegend, durch einen Beamten bestellen.

Quelle:
Johann Aloys Schlosser: Wolfgang Amad. Mozart. Prag 1828 [Nachdruck Prag 1993], S. 96-101.
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