39.

[101] Wenn nach N. 37 einige irrig angaben, daß Mozart das Requiem ganz allein vollendet habe, so ist hingegen vor kurzem von Herrn Gottlieb Weber zu Darmstadt, der auch ein Requiem komponiert und herausgegeben hat, fälschlich in Zweifel gesetzt worden, daß irgendein Teil des Mozartschen gänzlich von Mozart verfaßt worden sei. Er sagt in der musikalischen Zeitschrift Cäcilia: »Von allen Werken unsers herrlichen Mozarts genießt kaum irgendeines so allgemeine, so vergötternde Anbetung als sein Requiem. Dies ist aber sehr auffallend und beinahe wunderlich, indem gerade dieses Werk ohne Anstand sein unvollkommenstes, sein wenigst vollendetes, ja kaum wirklich ein Werk von Mozart zu nennen ist. Diese Äußerung wird, ich zweifle nicht, allgemein auffallen, weil die Tatsache, ich weiß es wohl allgemein vergessen ist.« Herr Weber nimmt an, Mozart habe nur flüchtige Umrisse, Skizzen etc. hinterlassen, nach welchen Süßmayer das Requiem bearbeitet habe, und glaubt eine kaum mehr zu bezweifelnde Gewißheit erlangt zu haben, daß das ganze[101] Werk größten Teils Süßmayers und kein einziges Stück rein Mozarts Arbeit sei.

Dieser Behauptung ist schon durch den in der vorigen Nummer vorgeführten Brief Süßmayers widersprochen worden. Noch ausführlicher, und fast zu ausführlich, da das Werk es selbst genug tut, hat sie aber ein Freund Mozarts der würdige Abbé Stadler zu Wien in zwei oben schon erwähnten Schriften1 widerlegt.

Herr Stadler konnte am sichersten entscheiden, was in dem Requiem, wie wir es haben, Mozarts und was Süßmayers Arbeit ist.

Er wurde, wie schon erwähnt worden, von Mozarts Witwe ersucht, den musikalischen Nachlaß ihres verstorbenen Gatten zu ordnen und einen Katalog darüber zu verfertigen. Dabei kam ihm auch das Requiem in die Hände, an welchem er Mozarten in dessen letzten Lebenswochen noch selbst hatte arbeiten sehen.

Es war keine Skizze, sondern eine förmliche von Mozart selbst auf welschem Papier mit 12 Linien geschriebene Partitur. Herr Stadler sah, daß das künstliche und himmlische Requiem mit dem Kyrie, das gewaltige Dies irae, das große Rex gloriae, das angenehme Recordare, das fürchterliche Confutatis mit dem beruhigenden Voca me, das herzdurchdringende Ora supplex und Lacrimosa bis zu dem Verse: Huic ergo parce Deus, das Domine mit dem tief eingreifenden Quam olim allein aus Mozarts[102] Feder geflossen waren. Die letzten Worte, welche er geschrieben, waren Quam olim da Capo2.

Der erste Satz Requiem mit der Fuge, und der zweite Dies irae bis Lacrymosa waren von Mozart größten Teils selbst instrumentiert. Auch bei dem Anfang des Lacrymosa hatte Mozart die Violinen selbst aufgeschrieben. Eben so hatte er bei dem dritten Satze: Domine in seiner Partitur, wo die Singstimmen schweigen, die Violinen selbst geschrieben, wo aber Singstimmen einfallen, die Motive deutlich für die Instrumente angezeigt. Vor der Fuge Quam olim hatte er den Violinen 2 und Takt allein auszuführen gegeben, bei dem Hostias hatte er die Violinen durch 2 Takte vor den eintretenden Singstimmen, bei dem Memoriam facimus durch 11 Takte geschrieben. Erst nach dem geendigten Hostias war von seiner Feder nichts weiter zu sehen als das: »Quam olim da Capo.«

Herr Stadler konnte alles dieses noch jetzt um so gewisser behaupten, da er aus Mozarts eigener Handschrift sowohl das Requiem und Kyrie, als auch das ganze Dies irae mit allen Teilen bis Lacrymosa in Partitur für sich abgeschrieben hatte. Außerdem war auch die Urschrift Mozarts vom ganzen Dies irae bis Lacrymosa bei einem Freunde von Herrn Stadler und die vom Domine bis Quam olim da Capo bei dem Kapellmeister Eybler noch zur Einsicht vorhanden.3[103]

Das Requiem und Kyrie, welche Herr Stadler aus der Urschrift in Partitur abschrieb, bestehen aus fünf Bogen, und jedes Blatt hat, wie die von Mozarts eigener Hand, seine eigene Nummer, von N. 1 bis inclus. 10. Die Urschrift des Dies irae besteht aus 11 Bogen von N. 11 bis N. 32. Das Lacrymosa fängt Nro. 33 an. Das Domine, Quam olim, Hostias, Quam olim da Capo haben die N. von 34 bis 45.4

Diesen Angaben gemäß blieb also Süßmayer zur Vollendung des Werks sehr wenig zu tun. Er füllte, nach Herrn Stadler, die Instrumente nicht in Mozarts Urschrift aus, sondern machte sich eine gleiche Partitur, in welcher er, nach dem er Note für Note, was das Original enthielt, eingetragen, der Anleitung zur Instrumentierung aufs genaueste nachging, und dann den letzten Vers in Lacrymosa: Huic ergo parce Deus, das Sanctus, Benedictus und Agnus Dei durch seine Komposition ausführte.

Nachdem von dieser Partitur zwei Kopien gemacht worden, wurde die Handschrift Süßmayers dem Besteller eingehändigt. Die eine Abschrift wurde der Breitkopf- und Härtelschen Handlung in Leipzig zum Druck gesandt, die andere zum Ausschreiben für die erste Aufführung in Wien benutzt, welche zum Besten der Witwe im Jahnschen Saale geschah.5

Die Witwe, sagte Herr Stadler, hätte auf Mozarts[104] Schreibepult noch einige Zettelchen mit Musik gefunden, welche sie Süßmayern übergeben habe. Sie wußte aber nicht, ob dieselben Ideen enthalten hätten, welche derselbe zu seinen Nachträgen habe benutzen können.

Es kommt indes hierauf nicht an. Es ist genug, daß Herr Stadler bewiesen hat, daß Süßmayer den drei ersten Sätzen, den Vers im Lacrymosa »Huic ergo parce Deus« ausgenommen, nichts weiter beizufügen gehabt habe, als was jedem nicht ganz unwissenden Notisten hätte zugemutet werden dürfen, indem es nichts weiter war, als die Begleitung hier und da fortzusetzen, die Mozart nur nicht ausgeschrieben, aber doch vorgeschrieben hatte. Daß Süßmayer dabei aufs beste verfahren, läßt sich um so mehr voraussetzen, da ihm nicht bloß schriftliche, sondern auch mündliche Anleitung Mozarts zu Hilfe war. Übrigens kann, wenn man den Geist und den hohen Wert, welche in den Nachträgen liegen, mit einer weitern Musik von Süßmayern vergleicht, gewiß nicht bezweifelt werden, daß er auch bei diesen Nachträgen auf ähnliche Weise von Mozarten geleitet worden sei.

1

Vertheidigung der Echtheit des Mozartischen Requiem. Allen Verehrern Mozart's gewidmet von Abbé Stadler. Wien bei Tendler und von Manstein 1826.

Nachtrag zu der Vertheidigung der Echtheit des Mozartischen Requiem v. Abbé Stadler. Wien 1826.

Die erste Schrift mußte schon die 2te Auflage erhalten. Ein Beweis, wie groß die Anzahl der Verehrer Mozarts ist.

2

Herr Stadler sagt: »Es ist sehr merkwürdig, daß Mozarts letzte Worte in dem Domine nach dem Hostias, die er geschrieben, Quam olim da Capo waren, als hätte er anzeigen wollen, daß er nun selbst zum ewigen Leben übergehe, welches Gott dem Abraham und seinem Geschlecht verhießen.«

3

Herr Stadler vermutet mit vielem Grunde, daß auch die Urschrift des Requiem und Kyrie noch von einem Verehrer Mozarts als eine Reliquie aufbewahrt werde.

4

Ich freue mich sehr, daß es mir vergönnt war, den Herrn Abbé Stadler persönlich kennen zu lernen. Dieser ins achtzigste Jahr tretende, allgemein verehrte Greis hat mich sehr angesprochen. Bei einem Besuche ist mir auch das Vergnügen geworden, nicht bloß seine Abschrift des Mozartschen Requiem, sondern auch die oben erwähnten Urschriften zu sehen, welche sich jetzt in Herrn Stadlers Händen befinden.

5

»Bei dieser Aufführung«, erwähnt Herr Stadler, »war allen Sängern und Instrumentisten genau bekannt, was in dem Werke von Mozarten und was von Süßmayern herrühre.«

Quelle:
Johann Aloys Schlosser: Wolfgang Amad. Mozart. Prag 1828 [Nachdruck Prag 1993], S. 101-105.
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