VI.

Was über Bachs äußeres Leben seit dem Jahre 1723 bisher erzählt worden ist, hatte den Zweck seine amtliche Stellung nach ihren verschiedenen Richtungen hin, sowie seine sonstigen Beziehungen zur Öffentlichkeit in Leipzig darzustellen. Wie sich während dieser Zeit sein Verhältniß zur musikalischen Welt im allgemeinen gestaltete, davon konnte bis jetzt nur gelegentlich die Rede sein, ebenso wie von dem häuslichen Leben und der in demselben entfalteten Persönlichkeit des Meisters.

Italien, das Eldorado der deutschen Musiker, hat Bach nie gesehen; er hat überhaupt Deutschlands Gränzen nicht überschritten. Aber ein gewisser Wandertrieb steckte ihm von seinen Ahnen her im Blute. Bach ist auch von Leipzig aus verhältnißmäßig viel gereist und hat dadurch die Verbreitung seines Künstlerruhms persönlich gefördert1. Er war cöthenischer Capellmeister geblieben, als er sich in Leipzig niederließ, und wurde in demselben Jahre auch weißenfelsischer Capellmeister von Haus aus. Solche Ämter bedingten, daß ihre Träger die betreffenden Höfe auf Verlangen mit Compositionen versorgten, sich auch hin und wieder persönlich vorstellten. Über Bachs Beziehungen zu Weißenfels hat ein seltsames Geschick gewaltet. Sie sind dem Blicke der Nachwelt fast gänzlich entzogen worden. Keine einzige Composition läßt sich bezeichnen, welche Bach für den Hof des Herzogs Christian neu geschrieben hat, seitdem er ihn im Jahre 1716 von Weimar aus zum ersten Male mit einer Cantate ansang; wir wissen nur, daß er diese selbe Cantate später noch einmal für eine Weißenfelser Hoffestlichkeit benutzte2. Die Vermuthung aber darf hier stehen, daß nach dem Tode des Herzogs Christian (1736) Bach wohl kaum noch für musikalische Leistungen in Anspruch genommen worden ist. Denn der Nachfolger Johann Adolph II. ließ, um sein tief verschuldetes Haus [702] wieder empor zu bringen, sofort eine sehr sparsame Verwaltung eintreten. Er starb 1746 und mit ihm erlosch diese sächsische Nebenlinie. Bach führte den Titel eines Hochfürstlich Weißenfelsischen wirklichen Capellmeisters bis an seinen Tod3; es folgt hieraus also nicht, daß er als solcher unter Johann Adolph noch activ war. In der Zeit von 1723–1736 aber hat er jedenfalls öfter am dortigen Hofe verweilt. Er selbst äußert gelegentlich, daß er zwischen 1723 und 1725 ein- oder zweimal »ob impedimenta legitima« von Leipzig habe verreisen müssen, und zwar das eine Mal nach Dresden4. Das andre Mal dürfen wir wohl auf Weißenfels deuten, da er kurz zuvor sein Amt von dort erhalten hatte. In der ihm unterstellten, nicht unberühmten Capelle befand sich sein Schwiegervater Johann Caspar Wülcken und seines Sohnes Emanuel Pathe Adam Emanuel Weltig.

Über Bachs Thätigkeit als cöthenischer Capellmeister von Leipzig aus wissen wir etwas mehr. Bei dem Fürsten Leopold war nach dem Tode der ersten Gemahlin das Musikinteresse offenbar in alter Stärke wieder erwacht. Die zweite Gemahlin, Fürstin Charlotte scheint selbst musikliebend gewesen zu sein, da Bach es unternehmen durfte, ihr zum 30. November 1726 mit einer Geburtstags-Cantate aufzuwarten5. Sie gebar in demselben Jahre (12. September 1726) ihrem Gemahl einen Erben, da Bach die erste Partita der Clavierübung als Opus I herausgab. Dies Zusammentreffen veranlaßte ihn, die Partita sorgfältig abzuschreiben und nebst einem Widmungsgedicht dem Erbprinzen in die Wiege zu legen. Für die gemüthvollen, ungezwungenen Beziehungen, welche zwischen Bach und dem anhaltischen Fürstenhause bestanden, ist dieses jedenfalls selbstverfaßte Gedicht ein gewichtiger Beleg. Die Widmung lautet: »Dem Durchlauchtigsten Fürsten und Herrn | Herrn Emanuel Ludewig, | Erb-Printzen zu Anhalt, Hertzogen zu Sachßen, | Engern und Westphalen, Grafen zu Ascanien, | Herrn zu Bernburg und Zerbst u.s.w. | Widmete diese geringe Musicalische Erst- | linge aus [703] unterthänigsterDevotion | Johann Sebastian Bach«. Das Gedicht selbst aber:


»Durchlauchtigst

Zarter Printz

den zwar die Windeln decken,

Doch den sein Fürsten-Blick mehr als erwachsen zeigt,

Verzeihe, wenn ich Dich im Schlaffe sollte wecken,

Indem mein spielend Blatt vor Dir sich nieder beugt.

Es ist die erste Frucht, die meine Saiten bringen,

Du bist der erste Printz, den Deine Fürstin küßt,

Dir soll sie auch zuerst zu Deinen Ehren singen,

Weil Du, wie dieses Blatt, der Welt ein Erstling bist.

Die Weisen dieser Zeit erschrecken uns und sagen:

Wir kämen auf die Welt mit Wünzeln und Geschrey,

Gleichsam als wollten wir zum vorauß schon beklagen,

Daß dieses kurtze Ziel betrübt und kläglich sey.

Doch dieses kehr ich um, und sage, das Gethöne,

Das Deine Kindheit macht, ist lieblich, klar und rein.

Drum wird Dein Lebens-Lauff vergnügt, beglückt und schöne,

Und eine Harmonie voll eitel Freude seyn.

So Hoffnungs-voller Printz will ich Dir ferner spielen,

Wenn Dein Ergözungen noch mehr als tausenfach.

Nur fleh ich, allezeit, wie jetzt den Trieb zu fühlen,


Ich sey

Durchlauchter Printz,

Dein

tieffster Diener

Bach«6.


Der Erbprinz Emanuel Ludwig gab indessen unserm Meister keine Gelegenheit, den Vorsatz »ihm ferner zu spielen« zur Ausführung [704] zu bringen: er starb schon am 17. August 1728. Fürst Leopold folgte seinem einzigen Sohne wenige Monate später in den Tod. Daß Bach dem Gönner und Freunde zur letzten Ehre eine großartige Trauermusik in Cöthen aufführte, habe ich an andrer Stelle zu berichten gehabt. Wie sich seine späteren Beziehungen zum cöthenischen Hofe gestalteten, ist unerfindlich geblieben.

In Dresden erfreute sich Bach seit 1717 eines wohlwollenden Angedenkens. Von Leipzig aus ist er jedenfalls häufig hinüber gegangen. Manchmal nahm er seinen ältesten Sohn mit7. Als dieser 1733 Organist an der Sophienkirche zu Dresden geworden und Sebastian selbst 1736 in ein Dienstverhältniß zum Hofe getreten war, wird der Verkehr noch lebhafter gewesen sein. Nachweisen lassen sich indessen zwischen 1723 und 1750 nur vier Besuche. Der erste fällt zwischen 1723 und 1725; aus dem was Bach darüber gelegentlich äußert, darf man schließen, daß er von Hofe aus hinbeordert worden ist8. 1731 war es die erste Aufführung der Cleofide, welche ihn nach Dresden lockte. Am 7. Juli des Jahres war der zum Capellmeister ernannte Johann Adolph Hasse mit seiner Gattin Faustina aus Venedig eingetroffen. Seine Oper, in welcher Faustina die Hauptpartie hatte, wurde am 13. September zum ersten Male gegeben. Dies war für Dresden, wie überhaupt für die italiänische Oper in Deutschland ein Ereigniß von entscheidender Wichtigkeit. Der Enthusiasmus über Hasses Musik und Faustinas Gesang kannte keine Gränzen; ein Berichterstatter meinte, dieses Künstlerpaar zu loben sei so vergebene Bemühung, als wenn man der Sonne ein Licht anzünden wolle. Bach unternahm es, am folgenden Tage Nachmittags 3 Uhr in der Sophienkirche als Orgelspieler aufzutreten. Es scheint nicht, daß ihn jemand vom Hofe des Anhörens gewürdigt hat. Aber die ganze Capelle, also auch Hasse, war zugegen und Bachs Erfolg bei dieser Künstlerschaar ein allgemeiner und sehr großer. Selbst die Publicistik nahm davon Notiz, was unter dem Eindruck der Cleofide gewiß etwas bedeuten will: ein Gelegenheitsdichter erhob die staunenswerthen Wunder seiner »hurtigen Hand« über die Thaten des Orpheus. Nachdem sodann Bach 1733 Kyrie und Gloria der H moll-Messe dem König [705] August III. persönlich in Dresden überreicht und 3 Jahre später auf nochmaliges Ansuchen den Titel eines Hofcomponisten erhalten hatte, ließ er sich wenige Tage darauf, am 1. December 1736 Nachmittags von 2 bis 4 Uhr auf der neuen Silbermannschen Orgel in der Frauenkirche hören. Diesmal bestanden die Zuhörer nicht nur aus den Capellmitgliedern. Auch viele Vornehme und andre Personen hatten sich versammelt und bewunderten den Meister9.

Unter ihnen befand sich der livländische Freiherr Hermann Carl von Kayserling, der einige Jahre später in noch nähere Berührung mit Bach treten sollte, aber ihm auch jetzt schon bekannt und besonders gewogen gewesen sein muß. Das Decret über Bachs Anstellung als Hofcomponist war am 19. November ausgefertigt, und am 28. November dem Freiherrn zur Aushändigung an Bach übergeben worden. Jedenfalls hatte Bach den Inhalt des Decrets zuvor erfahren und sich alsbald aufgemacht, um in Dresden persönlich seinen Dank abzustatten. Sonst hätte er nicht schon am 1. December dort ein Orgelconcert geben können. Kayserlings Vermittlung aber bezeugt, daß sein Interesse für Bach am Hofe schon eine bekannte Sache war. An ihm besaß Bach einen vermögenden, hoch und vielseitig gebildeten Gönner. Bevor er als Gesandter von Petersburg nach Dresden geschickt wurde (13. Dec. 1733), hatte er den Präsidentenstuhl der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Petersburg eingenommen. König August III erhob ihn am 30. October 1741 in den Grafenstand; er weilte in Dresden noch bis 1745. Als »großer Liebhaber und Kenner der Musik« versammelte er gern die hervorragendsten Künstler Dresdens um sich. Pisendel, Weiß, Friedemann Bach verkehrten in seinem Hause, auch zureisende Musiker schätzten es sich zur Ehre dort eingeführt zu werden10. Diese Umstände müssen dazu beigetragen haben, Bachs Beziehungen zu der Dresdener Künstlerwelt noch inniger zu machen. Dieselben waren als solche allgemein bekannt und schon in den Jahren 1727–1731 derart, daß jemand sagen konnte, man habe vermittelst ihrer in Leipzig fast jeden Tag über die Dresdener Capelle sichere und [706] gründliche Nachrichten erhalten können11. Pisendel, welcher schon im März 1709 auf seiner Reise von Anspach nach Leipzig Bach in Weimar aufgesucht hatte, wendete der von ihm erfundenen Viola pomposa sein Interesse zu. Er benutzte das Instrument gern zum Accompagniren; als im Jahre 1738 Franz Benda einmal zum Besuch nach Dresden gekommen war, musicirten sie bei Weiß miteinander vom Nachmittag bis um Mitternacht, indem Benda mit Pisendel nicht weniger als 24 Violinsoli und Weiß dazwischen noch 8 bis 10 Sonaten auf der Laute spielte12. Einer der besten Schüler Pisendels war Johann Gottlieb Graun; zu ihm hegte auch Bach ein solches Vertrauen, daß er ihm, als er 1726 von Dresden an den Hof des Herzogs Moritz Wilhelm von Sachsen-Merseburg als Concertmeister berufen wurde, seinen Sohn Wilhelm Friedemann zur zeitweiligen Unterweisung übergab13. Zu Zelenka, dem gediegenen Schüler des Fux, zog ihn dessen ernster und vorzüglich auf Kirchenmusik gerichteter Sinn; hierin soll er ihn über Hasse gestellt haben; ein Magnificat desselben mußte Friedemann für den Gebrauch der Thomaner abschreiben14. Über Bachs Umgang mit andern Dresdener Kunstgrößen, wie Buffardin, Heinichen, Hebenstreit, Quantz, fehlen die Einzelheiten. Sein Verkehr mit Hasse und Faustina aber beruhte auf gegenseitiger, aufrichtiger Bewunderung; das Ehepaar hat auch Bach mehre Male in Leipzig aufgesucht15.

Hamburg, das Ziel der musikalischen Pilgerfahrten Bachs von Lüneburg aus und seit dem Jahre 1720 ihm noch in frischer Erinnerung, hat er 1727 von neuem, und so viel wir wissen zum letzten Male gesehen. Jakob Wilhelm Lustig, Sohn eines Hamburger Organisten, Schüler Matthesons und Telemanns und später selbst ehrenwerther Organist in Gröningen, hörte ihn damals. Die Worte, mit denen er dieses selbst erzählt, sind in ihrer Schlichtheit überaus beredt: »er hörte große Virtuosen, ja, den Herrn Bach selbst«. So sehr erschien alles, was große Spieler leisteten nur als schwaches [707] Abbild eines einzig dastehenden Ideals. Wie Bach diesesmal mit Mattheson gefahren ist, läßt sich nicht erkennen. Matthesons Stimmung gegen ihn ist schon an einer andern Stelle charakterisirt worden. Er forderte Bach 1731 nochmals zu einem autobiographischen Beitrag für die »Ehrenpforte« auf, und überging ihn, als dieser nicht erfolgte, in jenem Werke ganz, weil er »ein unbilliges Bedenken getragen habe, was rechtes und systematisches von seinen Vorfällen zu melden«. Händel und Keiser hatten es nicht anders gemacht, wurden aber trotzdem der Aufnahme in den Ehrentempel gewürdigt. Seinen Jugendfreund Telemann, der sich wenn er nicht wankelmüthig gewesen wäre, vier Jahre vorher in das vacante Thomascantorat gemächlich hätte hineinsetzen können, ging Bach sicher nicht vorüber. Telemann nahm in das musikalische Journal »Der getreue Musik-Meister«, welches er 1728 herausgab, einen schönen vierstimmigen Canon von enormer Künstlichkeit auf, den Bach 1727 in Hamburg gemacht und dem Dr. Hudemann zugeeignet hatte. Lustig lernte auch diesen Canon kennen, machte sich darüber und löste ihn; die Auflösung theilte Mattheson zwölf Jahre später in dem »Vollkommenen Capellmeister« mit. Wie Hudemann für die ihm angethane Ehre sich erkenntlich gezeigt hat, erfuhren wir bei Gelegenheit der Cantate »Phöbus und Pan«16.

Auch sein heimathliches Thüringen hat Bach von Leipzig aus bisweilen wieder besucht. Vom weimarischen Hofe war er geschieden, nachdem Herzog Wilhelm Ernst in pedantischer Gewissenhaftigkeit den ganz unbedeutenden Sohn Samuel Dreses zum Capellmeister [708] gemacht hatte, während Bach das beste Recht auf diesen Posten besaß. Es ist hiernach nicht wahrscheinlich, daß zu Lebzeiten dieses Herzogs noch Verbindungen zwischen Bach und dem weimarischen Hofe bestanden. Sie sind aber jedenfalls unter Herzog Ernst August (1728–1748) wieder angeknüpft. Dieser seltsame von seinem Oheim in vielen Beziehungen grundverschiedene Herrscher scheint mit seinen Stiefbruder Johann Ernst die Liebe zur Musik vom Vater ererbt zu haben, in dessen Dienst sich Bach 1703 auf kurze Zeit befand. Er spielte eifrig Violine, manchmal gar schon des Morgens im Bette, und scheint auch an italiänischer Opernmusik, wie Herzog Christian von Weißenfels, Gefallen gefunden zu haben17. Eine der vielen Bestimmungen, welchen die Cantate »Was mir behagt« dienen mußte, war den Geburtstag Ernst Augusts zu feiern. Durch Vermittlung der älteren Söhne Bachs ist uns die Nachricht erhalten worden, daß der Herzog nicht minder als Leopold von Cöthen und Christian von Weißenfels dem Künstler »in herzlicher Liebe zugethan gewesen sei«18. Aber auch Erfurt, eine der alten Sammelstätten des Bachschen Geschlechtes, übte noch in Bachs späteren Jahren Anziehungskraft auf ihn aus. Ein Vetter Sebastians, Johann Christoph, Sohn von Aegidius Bach stand an der Spitze der Rathsmusikanten von Erfurt, als Sebastian den ihm ehrwürdigen Ort einmal wieder aufsuchte19. Es muß dies nach 1727 geschehen sein. Adlung war damals Organist an der Predigerkirche, eine Stelle welche seiner Zeit Johann Bach bekleidet hatte. Er schloß sich bei dieser Gelegenheit eng an Sebastian Bach an, fragte ihn wißbegierig über frühere Erlebnisse aus und legte es ihm nahe, ihm auf dem Claviere vorzuspielen, was alles der große Meister auch mit der Zuvorkommenheit und Gutwilligkeit gewährte, die ihm in solchen Fällen eigen war20.

[709] Andre Reisen Bachs haben noch gegen 1730 und im Juli 1736 stattgefunden. Erstere war es, die den Leipziger Rath so sehr gegen ihn aufbrachte, da er versäumt hatte sich pflichtschuldigst bei diesem Urlaub zu erbitten21. Letztere ging dem Ausbruche des Conflicts mit Ernesti unmittelbar vorher22. Wir wissen weder das Ziel der einen noch der andern, erfahren aber gelegentlich dieses Conflicts, daß Bach seit Ernestis Gedenken ziemlich häufig von Leipzig abwesend gewesen sein muß, da dieser angiebt, wie er es in solchen Fällen mit seiner Vertretung zu halten pflege.

In den letzten Lebensjahren war Bach begreiflicherweise weniger mobil, und der Hang zu »einem häuslichen, stillen Leben, zu einer steten, ununterbrochenen Beschäftigung mit seiner Kunst«23 erhielt das Übergewicht. So entschloß er sich schwer zu einem letzten größeren Ausflug, der aber von allen vielleicht das ruhmvollste Ergebniß gehabt hat. Emanuel Bach war 1740 Capellmusiker Friedrichs des Großen und dessen Accompagnist geworden. Da auch die übrigen hervorragendsten Mitglieder der Capelle: beide Graun, Franz Benda, Quantz, Nichelmann, vermuthlich auch Baron, persönliche Bekannte und zum Theil Schüler Sebastian Bachs waren, so konnte es nicht fehlen, daß der König oft von ihm reden hörte. Die Art wie dies geschah reizte sein Verlangen, den großen Künstler selbst kennen zu lernen und zu hören. Emanuel meldete dies nach Leipzig, allein der Vater fühlte sich nicht aufgelegt zu kommen. Nur weil der König immer dringender wurde, entschloß er sich Anfang Mai 1747, die Reise zu machen. Er nahm Friedemann mit, wird also seinen Weg über Halle genommen haben. Sonntag den 7. Mai traf er in Potsdam ein. Es pflegte allabendlich von 7 bis 9 Uhr Hofconcert zu sein, an welchem der König sich mit Solovorträgen auf der Flöte selbst betheiligte24. Emanuel und Friedemann haben die nun folgenden Vorgänge genau weitererzählt25. Als der König sich eben zu einem Flötenconcert anschickte, wurde ihm der Rapport über die am Tage einpassirten Fremden [710] gebracht. Mit der Flöte in der Hand übersah er das Papier, drehte sich aber sogleich gegen die versammelten Capellisten und sagte mit einer Art von Unruhe: Meine Herren, der alte Bach ist gekommen! Die Flöte wurde bei Seite gelegt, und der alte Bach sogleich auf das Schloß befohlen. Er war in Emanuels Wohnung abgestiegen. Es wurde ihm nicht Zeit gelassen, sein schwarzes Staatskleid anzulegen; im Reisecostüm, so wie er eben war, mußte er erscheinen. Friedemann sagte hernach, der Vater habe sich wegen der ungenügenden Toilette etwas weitläufig entschuldigt, der König habe die Entschuldigungen abgewehrt, und darüber sei ein förmlicher Dialog zwischen Künstler und Monarch entstanden26. Friedrich hielt viel von den Silbermannschen Fortepianos, an deren Vervollkommnung Bach selber einen Antheil hatte27. Er besaß mehre derselben und Bach mußte sie probiren und auf ihnen fantasiren. Dann bat dieser sich vom Könige ein Fugenthema aus, welches er sofort zur Bewunderung der Anwesenden durchführte. Am folgenden Tage ließ sich Bach in der Heiligengeistkirche zu Potsdam als Orgelspieler vor einer großen Zuhörermenge hören. Hier scheint der König nicht zugegen gewesen zu sein. Doch beorderte er ihn des Abends nochmals auf das Schloß und wünschte von ihm eine sechsstimmige Fuge zu hören, um zu erfahren, wie weit die polyphone Kunst getrieben werden könne. Hierzu durfte sich Bach ein Thema selbst wählen, da für eine so vollstimmige Durchführung nicht ein jedes geeignet ist und erntete auch nach dieser Leistung des Königs volle Anerkennung.

Er ist von Potsdam aus auch in Berlin gewesen und hat das von Knobelsdorf 1741–1743 erbaute Opernhaus besichtigt. Gespielt wurde damals nicht. Für die regelmäßigen Opern-Aufführungen waren nur die Montage und Freitage der Monate December und [711] Januar bestimmt, außerdem der 27. März als der Geburtstag der Königin-Mutter28. Bach interessirten indessen auch die Localitäten, welche zu Musikaufführungen bestimmt waren, als solche. Es klingt fabelhaft, wenn der Erzähler seines Lebens genöthigt ist, zu der Fülle der Talente, welche diesen einzigen Mann auszeichneten, immer noch neue Gaben zu fügen. Bachs Scharfblick war indessen auch in die Geheimnisse akustisch günstiger Bauart eingedrungen. Alles was in der Anlage des Opernhauses der Wirkung der Musik vortheilhaft oder hinderlich war, und was andre erst durch Erfahrung bemerkt hatten, entdeckte er ohne einen Ton Musik darin zu hören auf den ersten Blick. Er machte seine Begleiter auch auf ein im Speisesaale des Opernhauses zu beobachtendes akustisches Phänomen aufmerksam, das wie er meinte der Baumeister vielleicht unabsichtlich angebracht habe. Die Construction der Bögen der Saaldecke verrieth ihm das Geheinmiß. Wenn jemand an der einen Ecke des oblongen Saales auf der Gallerie leise gegen die Wand sprach, so konnte es von dem, der in der Diagonale gegenüber mit dem Gesicht gleichfalls gegen die Wand gewendet stand, deutlich vernommen werden, übrigens aber im Saale nirgends. Bach hatte das Vorhandensein dieser Merkwürdigkeit beim ersten Anblicke bemerkt, ein Probe bestätigte die Richtigkeit. Der Gewährsmann dieser Erzählung sagt auch, Bach habe es immer genau zu berechnen verstanden, wie große Musikstücke sich in diesem oder jenen Raume ausnähmen29. Es ist nicht überflüssig, hierauf nachdrücklich hinzuweisen, da manche sich den Meister so ganz in seine innere Tonwelt versunken denken möchten, daß er darüber die sinnliche Wirkung seiner Compositionen außer Acht gesetzt habe.

Bach hatte mit seinen Ex tempore-Vorträgen die Bewunderung des Hofes errungen; nur er selbst war mit sich nicht zufrieden gewesen. Das vom Könige gegebene Fugenthema gefiel ihm so gut, daß er sich gegen diesen sofort verpflichtete, dasselbe einer vollkommeneren [712] Ausarbeitung zu unterwerfen und sie dem Könige zu Ehren in Kupfer stechen zu lassen. Das Ergebniß dieses Vorsatzes war das Musikalische Opfer, dessen Kunstwerth an andrer Stelle gewürdigt worden ist30. Wie beflissen er war, sein Versprechen zu erfüllen, und wie hoch er demnach den ihm gewordenen Beifall des großen Königs geschätzt haben muß, geht aus der Hast hervor, mit der das Musikalische Opfer zu Stande gebracht wurde. Denkwürdig ist auch die Dedication, welche er ihm vorsetzte:


»Allergnädigster König,


Ew. Majestät weyhe hiermit in tiefster Unterthänigkeit ein Musicalisches Opfer, dessen edelster Theil von Deroselben hoher Hand selbst her rührt. Mit einem ehrfurchtsvollen Vergnügen erinnere ich mich noch der ganz besondern Königlichen Gnade, da vor einiger Zeit, bey meiner Anwesenheit in Potsdam, Ew. Majestät selbst, ein Thema zu einer Fuge auf dem Clavier mir vorzuspielen geruheten, und zugleich allergnädigst auferlegten, solches alsobald in Deroselben höchsten Gegenwart auszuführen. Ew. Majestät Befehl zu gehorsamen, war meine unterthänigste Schuldigkeit. Ich bemerkte aber gar bald, daß wegen Mangels nöthiger Vorbereitung, die Ausführung nicht also gerathen wollte, als es ein so treffliches Thema erforderte. Ich fassete demnach den Entschluß, und machte mich sogleich anheischig, dieses recht KöniglicheThema vollkommener auszuarbeiten, und sodann der Welt bekannt zu machen. Dieser Vorsatz ist nunmehro nach Vermögen bewerkstelliget worden, und er hat keine andere als nur diese untadelhafte Absicht, den Ruhm eines Monarchen, ob gleich nur in einem kleinen Puncte, zu verherrlichen, dessen Größe und Stärke, gleich wie in allen Kriegs- und Friedens-Wissenschaften, also auch besonders in der Musik, jedermann bewundern und verehren muß. Ich erkühne mich dieses unterthänigste Bitten hinzuzufügen: Ew. Majestät geruhen gegenwärtige wenige Arbeit mit einer gnädigen Aufnahme zu würdigen, und Deroselben allerhöchste Gnade noch fernerweit zu gönnen

Ew. Majestät

Leipzig den 7. Julii

1747.

allerunterthänigst gehorsamsten Knechte,

dem Verfasser.«


[713] Es ist bei allen conventionellen Ergebenheits-Phrasen ein würdiges Selbstbewußtsein in dieser Widmung, entsprungen dem Gefühle, nicht nur die Gnade eines großen Königs genossen zu haben, sondern von diesem auch in der eignen Künstlergröße verstanden worden zu sein. –

Zunächst war es immer, wie natürlich, Bachs eminente Orgelvirtuosität, welche die Welt zur Bewunderung niederzwang. Sie hat ihm nach Telemanns Zeugniß schon zu seinen Lebzeiten den Beinamen »der Große« eingebracht31. Aber auch seine Compositionen haben sich vom zweiten Jahrzehnt des Jahrhunderts an weit und immer rascher verbreitet. Allerdings mehr nur die Instrumental-, namentlich Clavier- und Orgelwerke. Vocalcompositionen findet man selten erwähnt. Mattheson spricht von solchen 1716, kritisirt auch 1725 die Cantate »Ich hatte viel Bekümmerniß«; der Adjuvant in Voigts »Gespräch von der Musik« (1742) rühmt sich, er besitze schon drei Packete Kirchencantaten »von den berühmtesten Componisten, als: Telemann, Stölzel, Bach, Kegel und andern mehr«32. Die weltliche Cantate über den Caffee scheint 1739 nach Frankfurt gedrungen zu sein33. Aber im allgemeinen waren Bachs concertirende Gesangscompositionen theils wohl zu schwierig, theils entsprachen sie auch nicht der Zeitempfindung, welche in Telemann ihr Ideal gefunden hatte. Es ist merkenswerth, daß Samuel Petri, der ein vortrefflicher Musiker, zudem Schüler Friedemann Bachs und ein Bewunderer von Sebastians Instrumentalmusik war, diesen als Cantatencomponisten nicht einmal nennt. »Zu Telemanns Zeit«, sagt er, »suchten sich zwar mehrere im Kirchenstyle ebenfalls hervorzuthun, als Stölzel, Kramer und Römhild des letzten Herzogs von Sachsen Merseburg Capellmeister, nebst anderen, deren Genies aber zu mittelmäßig waren, als daß sie Telemann hätten gleich kommen können«34.

[714] Es konnte nicht ausbleiben, daß Bachs immer wachsende Berühmtheit in der Welt auch auf seine Verhältnisse an dem Orte zurückwirkte, wo er seßhaft war. Künstler und Musikfreunde, vornehme und geringe, suchten mit ihm von auswärts in Verbindung zu treten oder pilgerten persönlich zu dem Hause am Thomaskirchhof. Emanuel Bach berichtet aus eigner Anschauung, wenn er in seiner Autobiographie schreibt: »es reisete nicht leicht ein Meister der Musik durch diesen Ort [Leipzig], ohne meinen Vater kennen zu lernen und sich vor ihm hören zu lassen. Die Größe dieses meines Vaters in der Composition, im Orgel-und Clavierspielen, welche ihm eigen war, war viel zu bekannt, als daß ein Musikus vom Ansehen, die Gelegenheit, wenn es nur möglich war, hätte vorbei lassen sollen, diesen großen Mann näher kennen zu lernen«35. Unter den vornehmen Musikfreunden nimmt neben Graf Sporck und Freiherr von Kayserling Georg von Bertuch einen hervorragenden Platz ein. Bertuch war aus Helmershausen in Franken gebürtig, studirte in Jena und machte hier die Bekanntschaft Nikolaus Bachs, mit dem er eine Reise nach Italien unternehmen wollte. Er disputirte 1693 in Kiel über eine juristisch-musikalische Abhandlung De eo quod justum est circa ludos scenicos operasque modernas, die 1696 zu Nürnberg gedruckt wurde. Später kam er in die militärische Laufbahn und wurde Generalmajor und Gouverneur der Festung Aggershuys in Norwegen36. Musik hatte er so eifrig getrieben, daß er gegen 1738 mit 24 Sonaten durch alle Dur- und Molltonarten hervortreten konnte. Ein Exemplar davon scheint er Bach übersendet zu haben; jedenfalls schrieb er ihm einen Brief, in welchem er die deutschen Componisten vor andern herausstrich und sich dabei auch auf Lotti berief, der seine Landsleute zwar für talentvoll aber nicht für Componisten erachte, sondern dafür halte, daß die wahre Composition sich in Deutschland fände37. Einer allerdings nicht unbedingt glaubwürdigen Quelle entnehmen wir, daß Bach mit einer vornehmen und reichen Familie aus Livland bekannt gewesen sei, deren ältester Sohn in Leipzig studirt habe, und daß Emanuel Bach [715] mit demselben eine Reise durch Frankreich, Italien und England habe unternehmen sollen; doch sei dieser Plan durch Emanuels Anstellung beim Kronprinzen Friedrich von Preußen vereitelt worden38. In Bachs letzten Lebensjahren bestanden auch Beziehungen zwischen ihm und einem Grafen von Würben, dessen Sohn 1747 in Leipzig studirt zu haben scheint39.

Um von zureisenden Musikern nur einige zu nennen, so machte der Böhme Franz Benda 1734 auf einer Reise von Berlin nach Bayreuth Bachs Bekanntschaft40. Der Schwabe Johann Christian Hertel, welcher 1726 in Weimar bei der Trauermusik mitgewirkt hatte, die der Herzog Ernst August auf den Tod seiner Gemahlin aufführen ließ, nahm seinen Weg nach Dresden über Leipzig, trat bei Bach ein und bewog ihn dazu, ihm vorzuspielen41. Johann Francisci aus Neusohl in Ober-Ungarn reiste zur Ostermesse 1725 nach Leipzig, »hatte das Glück, den berühmten Herrn Capellmeister Bach kennen zu lernen und aus dessen Geschicklichkeit seinen Nutzen zu ziehen«42. Balthasar Reimann, ein wackrer Organist zu Hirschberg in Schlesien, der von seinem Landsmanne Daniel Stoppe mehrfach angesungen wird, erzählt, er sei zwischen 1729 und 1740 auf Kosten eines vornehmen Gönners nach Leipzig gereist, um den berühmten Joh. Sebastian Bach spielen zu hören. »Dieser große Künstler nahm mich liebreich auf und entzückte mich dermaßen durch seine ungemeine Fertigkeit, daß mich die Reise niemals [716] gereuet hat«43. In vertraulicherer Beziehung zum Bachschen Hause scheint Georg Heinrich Ludwig Schwanenberger gestanden zu haben, Violinist in der herzoglich braunschweigischen Capelle44. Derselbe befand sich im October 1728 in Leipzig, da Bach grade ein Töchterchen taufen ließ. Zum Pathen war unter andern der Großvater Johann Caspar Wülcken gebeten; da dieser aber nicht persönlich erscheinen konnte, so vertrat der biedre Schwanenberger seine Stelle. Dem Besuche eines befreundeten Musikers verdankt auch ein geistreicher Canon aus Bachs vorletztem Lebensjahre seine Entstehung. Der Meister hat denselben mit sinnvollen lateinischen Sprüchen umgeben, die an die Beischriften des Musikalischen Opfers erinnern. Er hat sammt diesen folgendes Aussehen:

»Fa Mi, et Mi Fa est tota Musica


6.

Canon super Fa Mi, a 7. post Tempus Musicum.


6.

Domine Possessor

Fidelis Amici Beatum Esse Recordari

tibi haud ignotum: itaque

Bonae Artis Cultorem Habeas

Lipsiae d. 1 Martii

1749.

verum amIcum Tuum.«


[717] Es ist ein siebenstimmiger Canon über den Basso ostinato 6. Da diese Töne nach den Regeln der Solmisation ein zweimal wiederkehrendes fa mi darstellen, insofern die mittleren beiden dem sechsten, die äußeren dem fünften Hexachord angehören, so konnte Bach sagen, der Canon sei über das fa mi (oder mi fa) geschrieben. Die canonischen Stimmen setzen eine jede einen Doppeltakt (tempus musicum) nach der vorhergehenden ein. Außerdem bemerkt man in der Überschrift des Ostinato und wiederum in der zweiten Zeile der Unterschrift – in letzterer akrostichisch – den Namen Faber (Schmidt), wogegen die vorletzte Zeile der Unterschrift, ebenfalls akrostichisch gelesen, den Namen Bach ergiebt; die hervorstehenden Buchstaben der letzten Zeile I T bedeutenIsenaco-Thuringum (aus Eisenach in Thüringen). Wer die Persönlichkeit war, dem Bach das mit solch zierlichen Arabesken ausgestattete Kunstwerk widmete, läßt sich nur vermuthen. Es könnte Balthasar Schmidt aus Nürnberg gemeint sein, Sebastian und Emanuel Bachs Verleger, selber Organist und geschickter Musicus. Indessen läßt die Fassung der Unterschrift auf ein langdauerndes Freundschaftsbündniß schließen, und es fehlt an jedem Anhalte, ein solches zwischen Bach und Balthasar Schmidt zu vermuthen. Mehr Wahrscheinlichkeit hat Johann Schmidt, Organist zu Zella St. Blasii in Thüringen für sich. Dieser muß in Bachs Alter gewesen sein. Er war um 1720 Lehrer Johann Peter Kellners, welcher erzählt, daß man ihn mit Recht wegen seiner besondern Geschicklichkeit gerühmt habe45. Vermuthlich haben wir ihn auch unter dem Organisten Johann Ch. Schmidt zu verstehen, der am 9. November 1713 sich ein Clavierpraeludium Seb. Bachs abschrieb46. Darnach wäre die Verbindung zwischen ihm und Bach eine sehr alte. Johann Schmidt räumte freilich schon 1746 die Organistenstelle zu Zella seinem Sohne Christian Jacob, doch wird nicht berichtet, daß er auch in diesem Jahre gestorben sei. Und erwägt man, daß Bach grade in seinen letzten Lebensjahren zwei seiner Werke durch J.G. Schübler in [718] Zella stechen und verlegen ließ,47 so läßt sich mit Grund annehmen, daß diese übrigens auffallende Geschäftsverbindung Bachs mit einem unbekannten Manne in einem kleinen und entlegenen Orte durch Johann Schmidt herbeigeführt war.48

Wichtiger als solche vorübergehende wenn auch sehr häufige Berührungen mit auswärtigen Musikern wurden für Bachs Privatleben die Schüler, welche ihm von nah und fern zuströmten. Aus der Mühlhäuser, weimarischen und cöthenischen Zeit hatten wir nur Schubart, Vogler, Tobias Krebs, Ziegler, Schneider und Bernhard Bach als solche zu nennen gehabt, die Bachs Unterweisung genossen. Es mag zum Theil ein Zufall sein, daß uns die Kenntniß einer größeren Anzahl abgeht. Sicher aber ist doch auch, daß Bach erst in Leipzig die stärkste Wirksamkeit als Lehrer entfaltete. Das Gefühl der Zusammengehörigkeit, welches noch immer die Glieder des großen Bachschen Geschlechtes erfüllte, veranlaßte seit Sebastian in Leipzig war den jüngeren Nachwuchs der Nebenlinien, sich mit Vorliebe diesen Ort nicht nur zum musikalischen, sondern auch zum wissenschaftlichen Studium auszuersehen. Am 7. Mai 1732 ließ sich Samuel Anton, der älteste Sohn Johann Ludwig Bachs aus Meiningen auf der Leipziger Universität inscribiren. Er ging in Sebastians Hause aus und ein und schloß Freundschaft mit Emanuel, der ebenfalls seit einem Semester Student war. Samuel Anton besaß eine reiche und vielseitige Begabung; nicht ohne Erfolg legte er sich auf die Malerei und betrieb die Musik, jedenfalls unter Nachhülfe Sebastians, mit solchem Ernst, daß er hernach in Meiningen Hoforganist werden konnte.49 Einige Jahre später bezog Johann [719] Ernst, der Sohn Bernhard Bachs aus Eisenach die Thomasschule und studirte darauf an der Universität die Rechte. Sein Schülerverhältniß zu Sebastian zeigen 12 Vivaldische, von diesem für Clavier bearbeitete Concerte an, welche er sich abgeschrieben hat.50 Im Frühjahr 1739 kam sogar noch Johann Elias Bach, damals schon wohlbestallter Cantor in Schweinfurt, angezogen, um sich als Student der Theologie immatriculiren und in der Musik von Sebastian fördern zu lassen. Beweisen seiner dankbaren Gesinnung gegen den großen Verwandten werden wir weiter unten begegnen.51

In der Reihe derjenigen Schüler, die nicht durch Bande des Bluts an Sebastian Bach geknüpft waren, hat Heinrich Nikolaus Gerber den Vortritt. Er war 1702 zu Wenigen-Ehrich im Schwarzburgischen geboren, hatte das Gymnasium zu Mühlhausen besucht und hier dem genialen, aber verkommenen Friedrich Bach manches abgelauscht.52 1721 kam er auf das Gymnasium nach Sondershausen und im Mai 1724 als studiosus juris auf die Leipziger Universität. Er hegte jedoch die Absicht, auch die Musik weiter zu pflegen: litterarum liberalium studiosus ac musicae cultor pflegte er sich in jenen Jahren zu unterzeichnen. Seine Ehrfurcht vor Bach war so groß, daß er es ein Jahr lang nicht wagte, ihn um Unterricht zu ersuchen. Es hielt sich aber damals ein Musiker Namens Wilde in Leipzig auf, vermuthlich derselbe, welcher 1741 kaiserlicher Kammermusiker in Petersburg wurde und sich durch eine Reihe von verbessernden Erfindungen an verschiedenen Instrumenten einen Namen gemacht hatte. Dieser spielte den Vermittler und führte den Kunstjünger bei Bach ein. »Bach nahm ihn als einen Schwarzburger, besonders gefällig auf und nannte ihn von da beständig Landsmann. Er versprach ihm den erbetenen Unterricht und fragte zugleich, ob er fleißig Fugen gespielet habe? In der ersten Stunde legte er ihm seine Inventiones vor. Nachdem er diese zu Bachs Zufriedenheit durchstudirt hatte, folgten eine Reihe Suiten und dann das temperirte Clavier. Dies letztere hat ihm Bach mit [720] seiner unerreichbaren Kunst dreimal durchaus vorgespielt, und er rechnete die unter seine seligsten Stunden, wo sich Bach, unter dem Vorwande, keine Lust zum Informiren zu haben, an eines seiner vortrefflichen Instrumente setzte und so diese Stunden in Minuten verwandelte.« Gerber verließ Leipzig 1727 und begab sich dahin nur noch einmal gegen 1737, um den geliebten Lehrer wiederzusehen. Er wurde 1731 Hoforganist in Sondershausen und hat als wackrer und bescheidener Künstler seinem großen Meister Ehre gemacht.53

Johann Tobias Krebs, Bachs fleißiger und begabter Schüler während dessen weimarischer Zeit, sendete nach und nach nicht weniger als drei Söhne auf die Thomasschule. Der zweite, Johann Tobias trat 1729, dreizehnjährig, ein. Bach urtheilte über ihn, er habe »eine gute starcke Stimme und feine profectus«.54 Die Musik scheint indessen bei ihm durch die Wissenschaften allmählig in den Hintergrund gedrängt worden zu sein. Er absolvirte 1740 die Schule mit Auszeichnung, wurde 1743 an der Universität Magister philosophiae, später Rector der Landesschule zu Grimma. Noch ausschließlicher dürfte sich der dritte Sohn, Johann Carl, den gelehrten Studien hingegeben haben, welcher 1747 mit Ehren die Schule verließ.55 Das hervorragendste musikalische Talent aber besaß Johann Ludwig, der älteste. Er ist am 10. Februar 1713 zu Buttelstädt geboren, war von 1726 bis 1735 Thomasschüler, und studirte alsdann noch zwei Jahre auf der Universität. Das Verhältniß Bachs zu diesem Lieblingsschüler war ein besonders vertrautes. Er bewunderte seine musikalischen Leistungen und schätzte seine gelehrten Kenntnisse.56 Scherzend soll er gesagt haben: »Das ist der einzige Krebs in meinem Bache«.57 Im Musikverein ließ er ihn als Cembalisten anstellen,58 er empfahl ihn dem Professor Gottsched als Musiklehrer für seine [721] Frau,59 und ließ sich sogar herbei seine Compositionen zu vertreiben.60 Als Krebs die Schule verließ, stellte ihm Bach folgendes Zeugniß aus:


»Da Vorzeiger dieses Herr Johann Ludwig Krebs mich Endesbenannten ersuchet, Ihme mit einem Attestat wegen seiner Aufführung auf unserm Alumneo zu assistiren. Als habe Ihme solches nicht verweigern, sondern so viel melden wollen, daß ich persuadiret sey, aus Ihme ein solches Subjectum gezogen zu haben, so besonders in Musicis sich bey uns distinguiret, indem Er auf dem Clavier, Violine und Laute, wie nicht weniger in der Composition sich also habilitiret, daß er sich hören zu lassen keine Scheu haben darf; Wie denn deßfalls die Erfahrung ein Mehreres zu Tage legen wird. Ich wünsche Ihme demnach zu seinem Avancement göttlichen Beystand, und recommandire denselben hiermit nochmahligst bestens«.

Leipzig, den 24. August 1735.

Johann Sebastian Bach

Capellmeister und Director Musicae«.61


Im April 1737 wurde Krebs Organist in Zwickau und einige Monate darauf schrieb der Organist Linke in Schneeberg einem Freunde: »Vor einiger Zeit habe die Ehre gehabt, Monsieur Krebsen, den neuen Organisten in Zwickau, einen sehr starken Clavier- und Orgelspieler, zu sprechen und zu hören. Ich muß gestehen, daß es etwas wichtiges sei, was dieser Mensch als ein Organiste vor andern thut, und ist er eine Bachische Creatur«.62 Krebs wurde im April 1744 Schloßorganist in Zeitz, wo er mit dem jüngern Schemelli zusammen wirkte,63 1756 aber Hoforganist in Altenburg und hier ist er 1780 gestorben. Unzweifelhaft war er als Orgelkünstler Bachs würdigster Schüler, und einer der größten, welche überhaupt nach Bach gelebt haben. An Spielfertigkeit mochte ihn Vogler erreichen, als Componist steht er tief unter ihm.

[722] Ein jüngerer Künstler, der seine Ausbildung durch Bach eigentlich schon in Cöthen erhielt, aber nach einer Unterbrechung auch in Leipzig wieder das Verhältniß des Jüngers zum Meister erneuerte, war Johann Schneider. Er wetteiferte 1730 mit Vogler um die Organistenstelle an der Nikolaikirche, und vermochte ihm den Rang abzulaufen. Ich habe dies an andrer Stelle schon erzählt.64 Hier gilt es nur, einen bedeutenden Musiker nicht vorüberzugehen, von dem ein Leipziger Ohrenzeuge meldet, seine Vorspiele auf der Orgel seien von so gutem Geschmacke, daß man in dieser Gattung, ausgenommen seinen Lehrer Bach selber, in Leipzig nichts besseres hören könne.65

1732 begab sich Georg Friedrich Einicke nach Leipzig, geb. 1710 zu Hohlstedt in Thüringen, wo sein Vater Cantor und Organist war. Er besuchte bis zum Jahre 1737 die akademischen Vorlesungen und bildete sich an Bach, zugleich aber auch durch den Verkehr mit Scheibe musikalisch weiter. Als Componist erwarb er sich einen geachteten Namen, und scheint auch bei seinem Meister in guter Erinnerung geblieben zu sein. Noch in Bachs Todesjahre fand zwischen ihnen Briefwechsel statt; Einicke war damals Cantor in Frankenhausen.66

Eine Schaar ausgezeichneter Talente sammelte sich um Bach Ende der dreißiger und Anfang der vierziger Jahre. Ein Thomasschüler war aber nicht unter ihnen, ebensowenig unter denen, die ihm noch später zuzogen und etwas bedeutendes geworden sind. Dies ist nach allem, was zwischen Bach und Ernesti geschehen war, begreiflich, beleuchtet aber hell die ungünstige Stellung, welche Bach seitdem als Cantor einnahm. Seine besten Schüler waren fortan Studenten, oder solche die sich für den musikalischen Lebensberuf schon ganz entschieden hatten. Johann Friedrich Agricola aus Dobitschen bei Altenburg (geb. 1720) ließ sich am 29. Mai 1738 immatriculiren, studirte Jurisprudenz, Geschichte und Philosophie und empfing daneben von Bach einen gründlichen Unterricht in Spiel [723] und Composition. Bach hielt ihn für geschickt genug, im Musikverein, den er also um 1738 noch geleitet haben muß, das Cembalo zu spielen; auch verwendete er ihn bei der Kirchenmusik als Accompagnisten. Agricolas Mutter war eine Verwandte Händels und soll mit ihm zeit seines Lebens in brieflichem Verkehr gestanden haben. Mit Händels Werken beschäftigte sich Agricola eifrig schon in Leipzig, was die Anerkennung und Theilnahme, mit welcher auch Bach seinem ebenbürtigen Zeitgenossen gegenüberstand, von neuem offenbar werden läßt. Im Herbst 1741 ging Agricola nach Berlin, wurde dort bald als der beste Orgelspieler anerkannt, wendete sich aber auch mit Eifer der Oper und italiänischen Gesangskunst zu. 1751 wurde er Hofcomponist und nach Grauns Tode (1759) königlicher Capellmeister. Er schrieb Kirchen- und Instrumentalmusik, namentlich aber Opern. Seine vortreffliche wissenschaftliche Bildung befähigte ihn zugleich, als Schriftsteller mit Erfolg zu wirken. Ihm und Emanuel Bach verdankt die Nachwelt den Nekrolog über Sebastian Bach, den Mizler 1754 in seiner Musikalischen Bibliothek veröffentlichte. In seinen Anmerkungen zu Adlungs Musica mechanica organoedi hat er uns werthvolle Einzelheiten über Bach vermittelt. Die mit Erläuterungen und Zusätzen begleitete Uebersetzung von Tosis Anleitung zur Singkunst kann noch heute als ein classisches Werk gelten. Er starb 1774.67

Ebenfalls 1738 kam Johann Friedrich Doles zur Universität, der 1716 zu Steinbach im Hennebergischen geboren, zu Schmalkalden und auf dem Gymnasium zu Schleusingen vorgebildet worden war.68 Er ist 1755 Bach im Cantorate nachgefolgt, hat sich aber mit der Richtung aufs weichliche, opernhafte und flach-populäre nicht als ein Geisteskind seines Lehrers erwiesen. Während seiner [724] Amtsführung verkümmerte die Pflege Bachscher Kirchenmusik in Leipzig. Er legte aber Gewicht darauf, als ein Schüler Bachs zu gelten.69 Doles erwarb sich durch sein gefälliges Talent schon zu seines Lehrers Lebzeiten in Leipzig viele Freunde. Er, und nicht Bach selber war es, der 1744 zur Jahresfeier des neugegründeten Musikvereins die Festmusik schreiben mußte. In demselben Jahre wurde er Cantor in Freiberg. Ueber seine Erlebnisse dort ist weiter unten noch einiges zu sagen.

Viel ernster gesinnt und auch von ausgiebigerer Begabung war Gottfried August Homilius, geb. 1712 zu Rosenthal an der böhmischen Gränze. Er hatte seine Studien bei Bach im Jahre 1742 beendigt, da er Organist an der Frauenkirche zu Dresden wurde. Später war er Cantor an der Kreuzschule und Kirchenmusikdirector daselbst und ist 1785 gestorben. Als Organist bewundert verschaffte er sich doch den größeren Ruhm durch seine kirchliche Vocalmusik. Das bedeutendste, was in dieser Art die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts aufzuweisen hat, ist unstreitig durch ihn geleistet. Wenn auch nicht durchaus ihrer Bestimmung angemessen, so tragen seine Werke doch noch einzelne Züge eines großen, edlen Kirchenstils.70

Wieder ganz anders geartet war Johann Philipp Kirnberger, geb. 1721 zu Saalfeld in Thüringen, der durch Gerber veranlaßt wurde, sich zu Bach zu begeben und von 1739–1741 dessen Schüler war. Dann ging er nach Polen, kehrte 1751 von dort zurück und wurde Hofmusicus der Prinzessin Amalia von Preußen in Berlin, wo er 1783 gestorben ist. Als Componist wurde er nicht bedeutend, wohl aber als Compositionslehrer. Hätte er eine gründlichere Allgemeinbildung und einen systematischer geschulten Geist besessen, so wäre er unbedingt der erste Theoretiker seiner Zeit geworden. Seiner Arbeiten, welche bis in unser Jahrhundert hinein für die Methode der Compositionslehre fast ausschließlich bestimmend geworden sind, ist in diesem Buche genugsam Erwähnung geschehen.

Vorzugsweise nur Claviervirtuosen waren Rudolph Straube aus Trebnitz an der Elster, der am 27. Febr. 1740 sich auf der Universität [725] einschreiben ließ, in den fünfziger Jahren durch Deutschland Kunstreisen machte und dann nach England ging;71 Christoph Transchel aus Braunsdorf (geb. 1721), als Student der Theologie und Philosophie immatriculirt am 21. Juni 1742, bald Bachs Schüler und Freund, welcher bis 1755 in Leipzig und dann bis zu seinem Tode (1800) in Dresden als gesuchter Clavierlehrer thätig, und ebenso durch Feinheit des Spiels wie durch hohe allgemeine Bildung ausgezeichnet war;72 endlich Johann Theophilus Goldberg. Diesen hatte der Freiherr von Kayserling in noch sehr jungen Jahren mit sich nach Dresden gebracht; als sein Geburtsort wird Königsberg genannt.73 Anfänglich unterrichtete ihn Friedemann Bach;74 später, gegen 1741, nahm ihn sein Gönner häufig mit nach Leipzig, um ihm Sebastians Unterweisung zu verschaffen. Seine Fertigkeit im Clavierspiel, dem er mit rast- und maßlosem Eifer oblag, wurde bald eine erstaunliche. Einen Maßstab für dieselbe gewähren die 30 Veränderungen, welche Bach auf Kayserlings Wunsch für Goldberg componirt hat. Kayserling war kränklich und litt an Schlaflosigkeit; er liebte es dann durch eine sanfte und etwas muntere Musik sich den Trübsinn vertreiben zu lassen. Diesem Zwecke schienen ihm die Variationen auf das vollkommenste zu entsprechen. Forkel erzählt, er habe sich nicht satt daran hören können und Bach durch eine mit hundert Louis d'or gefüllte Dose für seine Kunstgabe belohnt.75 Goldberg trat später als Kammermusicus in die Dienste des Grafen Brühl, starb aber früh. Er war ein grillenhafter, wie es scheint Friedemann Bach in manchem verwandter Charakter. Nach dem gemeinen Urtheil reichte seine Compositionsbegabung nicht [726] weit; indessen ist doch ein grösseres Clavierpraeludium aus C dur ein gediegenes, dabei, wie zu erwarten, sehr brillantes Stück.76

In den letzten Jahren waren es namentlich Altnikol, Kittel und Müthel, mit deren Ausbildung sich Bach beschäftigte. Johann Christoph Altnikol, der 1749 Bachs Schwiegersohn wurde, weilte noch bis 1747 in Leipzig und half bei den Kirchenaufführungen.77 Ein Versuch Friedemanns, ihn 1746 bei seinem Weggange von Dresden an seine Stelle zu bringen, war mißlungen.78 1747 wurde er indessen Organist in Niederwiesa bei Greiffenberg, und 1748 auf Bachs Verwendung Organist zu St. Wenceslai in Naumburg, wo er nach ehrenvollem Wirken im Juli 1759 gestorben ist.79 Johann Christian Kittel aus Erfurt ist einer der spätesten Schüler Bachs, da er bei des Meisters Tode erst 18 Jahre zählte. Er mag bis zu dem Eintritt dieses Ereignisses bei ihm geweilt haben. Von Leipzig ging er nach Langensalza und 1756 nach Erfurt, wo er im Laufe der Zeit Organist an der Predigerkirche wurde. Kittel war tüchtig als Spieler und Orgelcomponist, ausgezeichnet als Lehrer. Er hat eine große Zahl der besten thüringischen Organisten gebildet und in pietätvoller Erinnerung an seinen Meister die Traditionen Bachscher Kunst zu erhalten gesucht. Er starb hochbetagt 1809.80 Nur wenige Wochen [727] hat Johann Gottfried Müthel Bachs Unterricht genossen, wenn bei des Meisters Augenleiden und Kränklichkeit in dieser Zeit von einem solchen überhaupt noch die Rede sein konnte. Müthel kam vom herzoglichen Hofe zu Schwerin, wo er seit spätestens Michaelis 1748 als Nachfolger seines Bruders den Schloßorganisten-Dienst versah. Der Herzog war dem jungen, 1729 zu Mölln geborenen Künstler so sehr gewogen, daß er ihm im Mai 1750 unter Belassung seines Gehalts einen Urlaub auf ein Jahr ertheilte, damit er sich bei Bach in seiner Kunst vervollkommne. Ein Geleitsschreiben des Herzogs verschaffte ihm freundliche Aufnahme und die Vergünstigung in Bachs Hause wohnen zu dürfen. Er ist Zeuge von der letzten Krankheit und dem Hinscheiden des Meisters gewesen und hat sich dann, um sich für den vereitelten Zweck seiner Reise möglichst schadlos zu halten, nach Naumburg zu Bachs Schwiegersohne Altnikol begeben, bei welchem er am 2. Juni 1751 noch verweilte. Von Schwerin ging er im Juni 1753 nach Riga, wo er als Organist sein Leben beschloß. Die Familie Müthel blüht noch jetzt in Livland. Johann Gottfrieds Talent für Clavier- und Orgelspiel war ein außerordentliches und hoch entwickelt. Seine nicht sehr zahlreichen Compositionen galten als Probestücke höchster Virtuosität.81

Wie weit sich nach allen Seiten hin und auch über Dentschlands Gränzen hinaus Bachs Ruhm und lebendiger künstlerischer Einfluß erstreckt hat, mag man aus diesen Mittheilungen abnehmen. Die Zahl[728] seiner Schüler ist durch die angeführten Namen noch nicht erschöpft. Man drängte sich an ihn, manchmal nur um sich in der Welt überhaupt seinen Schüler nennen zu können. Thomaner, wenn sie auch nur im Haufen mit andern seine Unterweisung genossen hatten, setzten hierin ihren Stolz. Zu solchen gehört Christoph Nichelmann aus Treuenbrietzen (geb. 1717), später Capellmusiker bei Friedrich dem Großen. Er war 1730–1733 Bachs erster Discantist bei den Kirchenmusiken, und erhielt außerdem von Friedemann Bach Clavierunterricht.82 Johann Peter Kellner aus Gräfenroda (geb. 1705), der wohl durch den Organisten Schmidt in Zella in Bachs Werke eingeführt und für dieselben begeistert war, pries es öffentlich als sein Glück, die Bekanntschaft »dieses vortrefflichen Mannes« genossen zu haben; er kann mit Recht wenn auch kein eigentlicher Schüler, so doch ein geistiger Zögling desselben genannt werden.83 In einem ähnlichen Verhältniß wird Johann Trier gestanden haben. 1716 zu Themar geboren studirte er in Leipzig Theologie und war 1747 zugleich Dirigent des Telemannschen Musikvereins. Er meldete sich auch 1750 zum Nachfolger Bachs im Cantorat. Hier wurde ihm Harrer vorgezogen, dagegen schlug er 1753 in Zittau sämmtliche Mitbewerber aus dem Felde, unter denen sich auch Friedemann und Emanuel Bach, Krebs und Altnikol, also vier nachweisliche Schüler Bachs befanden. Als Organist der dortigen Kirche hat er bis 1790 in dem Rufe eines Bachschen Schülers und mit dem Ruhme eines der besten Organisten in Sachsen gewirkt und gelebt.84 Eine Empfehlung Bachs galt als Mittel sein Glück in der Welt zu machen. Gerlach erhielt durch eine solche die Organistenstelle an der Neuen Kirche zu Leipzig, Christian Gräbner der jüngere und Carl Hartwig beriefen sich auf die von Bach genossene Unterweisung, als sie 1733 Organisten an der Sophienkirche in Dresden werden wollten.85 Johann Christoph Dorn scheint sich mittelst eines schriftlichen Zeugnisses [729] des berühmten Mannes den Organistendienst in Torgau erobert zu haben. Das Zeugniß ist erhalten und von einem milden Wohlwollen dictirt, welches an Ähnliches des ehrwürdigen Heinrich Bach aus Arnstadt erinnert.86 Man wird es daher gern hier lesen:


»Vorzeiger dieses Mons. Johann Christoph Dorn, der Music Geflißener, hat mich endesbenannten ersuchet, ihme wegen seiner in Musicis habenden Wissenschaften einig attestatum zu ertheilen.

Wenn denn nach bey mir abgelegtem Specimine befunden, daß er auf dem Claviere sowohl als auch anderen Instrumenten einen ziemlichen habitum erlanget, mithin im Stande sey, Gott und der Republic Dienste zu leisten, so habe seinem billigen petito nicht entgegen seyn, sondern vielmehr bezeigen sollen, daß bei zunehmenden Jahren von seinem gutennaturel man einen gar habilen Musicum sich versprechen könne.

Leipzig, den 11. May 1731.

Joh. Seb. Bach

Hochf. Sächß. Weißenfl. Capellmeister und

Direct. Chori Musici Lipsiensis.«87


Nach alter Meistersitte bildeten die Lehrlinge einen Theil der Familie. Bach hielt es wie seine Vorfahren mit dem zünftigen Musikantenthum, und Müthel wird nicht der einzige Schüler gewesen sein, dem er eine Wohnstätte in seinem Hause einräumte. Die Schüler haben uns gewissermaßen in Bachs häusliches Leben eingeführt, und wie dieses und die Persönlichkeit des Familienhauptes sich ausnahm, mag noch, so weit die Mittel reichen, geschildert werden. Fragt man nach dem gewöhnlichen Verkehr, soweit derselbe nicht Künstler und Kunstangelegenheiten betraf, so dürfte er bei der Abgeschlossenheit des bürgerlichen Hauses jener Zeit, bei Bachs einfachem und haushälterischem Sinne und bei seiner ununterbrochenen [730] Beschäftigung mit Spiel und Composition nur ein enger und wenig bewegter gewesen sein. Die Persönlichkeiten, welche Bach für seine zahlreichen Kinder zu Pathen nahm, und die hierdurch gewisse familiäre Beziehungen zu seinem Hause verrathen, gehören größtentheils der höheren Beamtenwelt oder den vornehmen Kaufmannskreisen an. Auch Advocaten und Docenten der Universität sind darunter. In den späteren Jahren scheint namentlich zwischen dem Hause eines Handelsherrn Namens Bose und der Bachschen Familie ein intimeres Verhältniß bestanden zu haben. Einen regeren und durch persönliche Geneigtheit belebten Verkehr mit dem Hof-Instrumentenmacher Johann Christian Hoffmann darf man ebenfalls annehmen. Hoffmann war schon 1725 in Leipzig ansässig und wohnte auf dem Grimmaischen Steinwege;88 er ging Bach, der mit Vorliebe über allerhand Verbesserungen an den Instrumenten nachsann, in der Construction derselben treu zur Hand. Von der Viola pomposa z.B. verfertigte er mehre Exemplare.89 Als er am 1. Februar 1750 gestorben war, fand sich, daß er aus Verehrung für Bach diesem ein von ihm verfertigtes Instrument testamentarisch vermacht hatte.90

Von einem Umgange mit den litterarischen Größen der Stadt, sofern sie nicht Collegen Bachs waren, finden sich nur einige wenige Spuren. Mit Gotsched war er durch die Trauerfeierlichkeit für die Königin Christiane Eberhardine in Berührung gekommen. Er mochte übrigens mit einem Manne, der ein abgesagter Feind der Oper war, nicht grade sympathisiren,91 und Gottscheds Bestrebungen für die Dichtkunst haben ihn schwerlich sehr interessirt. Indessen knüpfte sich zwischen dem Hause des Gelehrten und dem des Künstlers zeitweilig eine Verbindung dadurch, daß Krebs von Gottsched zum Musiklehrer seiner Frau angenommen wurde.92 Luise Adelgunde Victoria, die 1735 als Neuvermählte ihren Einzug in Leipzig hielt,[731] besaß neben ihren hervorragenden Geistesgaben auch ein bedeutendes Talent zur Musik. Sie spielte schon vortrefflich Clavier und Laute, wollte nun auch die Composition erlernen und Krebs ward ausersehen, sie hierzu anzuleiten. Sie brachte es darin bald so weit, eine Suite und eine Cantate componiren zu können. Krebs selbst war von seiner Schülerin, die damals im Anfang der zwanziger Jahre stand, bis zur Schwärmerei entzückt. 1740 noch widmete er ihr von Zwickau aus ein Heft mit sechs Praeambulen, die er bei Balthasar Schmidt in Nürnberg hatte in Kupfer stechen lassen, und stellte sie in einem überschwänglichen Dedicationsgedicht als die Überlegene hin,


»Die den, der Dein Gehör zu unterweisen dachte,

Sobald Du nur gespielt, zu einem Schüler machte«.93


Gottscheds Haus wurde zeitweilig zu einer Art von musikalischem Mittelpunkt. Sylvius Leopold Weiß, der einst von Dresden aus nach Leipzig gekommen war, besuchte die begabte Frau, hörte sie mit Beifall spielen und spielte ihr selbst vor; Gräfe widmete ihr die zweite Sammlung seiner Oden, auch Mizler suchte durch eine Dedication sich ihr angenehm zu machen. So wird denn wohl auch Bach zuweilen bei ihr eingetreten sein. Die Bewunderung, mit welcher T.L. Pitschel in den »Belustigungen des Verstandes und Witzes« im Jahre 1741 Bachs gedenkt, spricht dafür, dass er dem Gottschedschen Kreise um diese Zeit nicht fern gestanden und ihn wohl zuweilen durch sein Spiel entzückt hat.94

Dauernde Freundschaft verband Bach mit einem andern beliebten, wenn auch weniger als Gottsched berühmten Universitätslehrer. Johann Abraham Birnbaum war schon am 20. Febr. 1721 neunzehnjährig zum Magister promovirt, und hatte sich am 15. October desselben Jahres als Docent habilitirt.95 Sein Hauptfach war die Rhetorik, über welche er stark besuchte Vorlesungen hielt. Es bestand in Leipzig eine »Vertraute deutsche Rednergesellschaft«, deren Mitglied Birnbaum war; auch gab er 1735 eine Sammlung von Reden heraus, die er dort in reinem, flüssigem aber etwas ciceronianisch [732] phrasenhaftem Deutsch gehalten hatte.96 Mit Bach hatte ihm seine Musikliebe – er spielte selber hübsch Clavier – zusammengebracht. Er wohnte im Brühl und starb am 8. August 1748 unverehlicht.97

Bach erwähnt sein Ableben in einem Briefe an Elias Bach vom 2. November 1748 in einer Weise, die schließen läßt, daß der Vetter sich nach ihm erkundigt hatte. Die Freundschaft zwischen Birnbaum und Bach hatte einen thatsächlichen Ausdruck gefunden, der sie auch in weiten Kreisen bekannt machte. In der periodischen Schrift, welche Johann Adolph Scheibe unter dem Titel »Critischer Musikus« vom 5. März 1737 an herausgab, war unter dem 14. Mai desselben Jahres ein anonymer Brief erschienen, welcher einen Angriff auf Bach enthielt. Sein Name war nicht genannt, aber die Persönlichkeit unverkennbar. Scheibe gestand später, daß der Brief eine Fiction und er selbst der Verfasser des Aufsatzes sei. Es wurde in demselben zwar die außerordentliche Fertigkeit Bachs im Clavier- und Orgelspiel gerühmt, aber an seinen Compositionen ein Mangel an Natürlichkeit und Annehmlichkeit, ein schwülstiges und verworrenes Wesen und ein Uebermaß von Künstlichkeit getadelt. Der Schreiber meinte hiermit hauptsächlich die concertirende Vocalmusik und kam zu dem Schlusse, Bach sei in der Musik dasjenige, was ehemals Lohenstein in der Poesie gewesen.98 Ein Jahr später äußerte Scheibe nochmals, »Bachsche Kirchenstücke« seien allemal künstlicher und mühsamer, keineswegs aber von solchem Nachdrucke, Überzeugung und von solchem vernünftigen Nachdenken, als die Telemannschen und Graunschen Werke.99 Mit dieser Ansicht stand er nicht allein, wie bei dem Geschmacke der damaligen Zeit und der verfälschten Vorstellung, die man von Kirchenmusik hatte, begreiflich ist. Trotzdem machte die Sache allgemein ein peinliches Aufsehen, nicht nur wegen der hohen, für unnahbar gehaltenen Stellung [733] des Angegriffenen, sondern besonders auch durch den Ton, in welchem der Tadel gehalten war, und wegen der Person des Angreifers. Scheibe war ein junger Mann von Kenntnissen, Scharfsinn und schriftstellerischem Talent, aber nur ein mäßiger praktischer Musiker. Jedermann in Leipzig wußte, daß sein Probespiel behufs Erlangung der Organistenstelle an der Nikolaikirche keine Gnade vor Bachs Urtheil gefunden hatte, und die übelsten, wenngleich gewiß übertriebenen Gerüchte liefen über dasselbe um. Scheibe war eine ehrgeizige und eifersüchtige Natur. Er hatte seitdem gegen Bach agitirt, und eine Strömung hervorgerufen oder doch sicher befördert, wider die schon im Jahre 1731 Bach und seine Anhänger sich in ihrer Art zur Wehre setzten. Daß der Charakter des Midas in der Cantate »Der Streit zwischen Phöbus und Pan« auf Scheibe zu deuten ist, glaube ich an andrer Stelle augenscheinlich gemacht zu haben.100 Die Welt sah in diesem aus sicherer Ferne unternommenen Angriffe allgemein einen Act unwürdiger persönlicher Rache.

Bach fühlte sich durch denselben tiefer verletzt, als er vielleicht gedurft hätte. Er fiel aber gerade in eine Zeit, da er ohnehin durch den Conflict mit Ernesti in eine sehr gereizte Stimmung versetzt war. Fast scheint es, als habe er den Gedanken gehegt, selbst zu einer Erwiederung gegen Scheibe die Feder zu ergreifen. Da war es Birnbaum, der für ihn eintrat. Zunächst ließ er im Januar 1738 eine anonyme Schrift ausgehen »Unparteiische Anmerkungen über eine bedenkliche Stelle in dem sechsten Stücke des critischen Musikus«. Als Scheibe zwei Monate darauf eine »Beantwortung« derselben erscheinen ließ, trat er ihm im März mit offenem Visir und einer ausführlichen »Vertheidigung« entgegen. Beide Schriften widmete er Bach, die letztere mit einer längeren Zueignung. Sie ist bei weitem die gelungenere. In der ersteren hatte er den Tadel gegen Bachs Musik zu entkräftigen gesucht, und hier bewegte er sich doch auf einem Gebiete, das ihm nicht genau genug bekannt war. Scheibes »Beantwortung« ist ein impertinentes Pamphlet. Allerhand Klatsch, den er sich von Leipzig hatte schreiben lassen, findet darin nebst häßlichen Insinuationen, Verdrehungen und kleinlichen Wortklaubereien seine unerquickliche Verwerthung. Das Äußerste des Anmaßlichen [734] leistet er, wenn er behauptet, Bach habe sich nicht sonderlich in den Wissenschaften umgesehen, die eigentlich von einem gelehrten Componisten erfordert würden. »Wie kann derjenige ganz ohne Tadel in seinen musikalischen Arbeiten sein, welcher sich durch die Weltweisheit nicht fähig gemacht hat, die Kräfte der Natur und Vernunft zu untersuchen und zu kennen? Wie will derjenige alle Vortheile erreichen, die zur Erlangung des guten Geschmacks gehören, welcher sich am wenigsten um critische Anmerkungen, Untersuchungen und um die Regeln bekümmert hat, die aus der Redekunst und Dichtkunst in der Musik doch so nothwendig sind, daß man auch ohne dieselben unmöglich rührend und ausdrückend setzen kann«. Auf derartiges gehörte sich eine derbe Abfertigung allgemeiner Art, und sie hat Birnbaum Scheibe zu Theil werden lassen. Übrigens war er grade in Rhetorik und Poetik selbst ein sehr competenter Beurtheiler, und was er aus eigner mit Bach gemachter Erfahrung den Ausstellungen Scheibes entgegensetzt, hat den vollsten Anspruch auf Glaubwürdigkeit. Es ist hiervon schon früher die Rede gewesen.101

Scheibe schwieg alsdann und rächte sich nur noch durch ein boshaftes Pasquill auf Bach, das er als Brief eines gewissen Cornelius unter dem 2. April 1739 in den »Critischen Musikus« einrücken ließ.102 Bei einer zweiten Auflage desselben konnte er es sich freilich nicht versagen, die Schriften seines Gegners, mit Anmerkungen versehen, neu zum Abdrucke zu bringen. Er unterlag in diesem Streite, nicht weil sein Tadel über Bach als sachlich unhaltbar nachgewiesen worden wäre, sondern wegen der Ungehörigkeit, mit der er ihn aussprach und weiter verfocht. Es hagelte Püffe von verschiedenen Seiten. Da er die ganze weit verzweigte Bachsche Schule gegen sich aufgebracht hatte, so verfolgte ihn das Gedächtniß an dieses sein Auftreten wie ein böser Geist durchs Leben; noch im Jahre 1779 hieb Kirnberger bei einer günstigen Gelegenheit grimmig auf ihn ein.103 Auch wer ihm sonst die billige Anerkennung seiner Fähigkeiten und Leistungen nicht versagte, verwahrte sich, wie Mattheson und Marpurg, doch dagegen, seinem Urtheile über Bach beizupflichten.104 [735] Er selbst scheint später zu der Einsicht gekommen zu sein, diesem Großen gegenüber doch nicht den richtigen Ton angeschlagen zu haben. Aus der 1745 geschriebenen Vorrede zur zweiten Auflage des Critischen Musikus klingt es deutlich hervor.105

An den Birnbaumschen Streitschriften nahm Bach ein ungewöhnlich lebhaftes persönliches Interesse. Scheibe wollte wissen, er habe die erste derselben am 8. Januar 1738 seinen Freunden und Bekannten »mit nicht geringem Vergnügen« selbst mitgetheilt. Seine eigne Antwort gab er, wie es ihm am besten anstand, mit der Veröffentlichung des dritten Theiles der »Clavierübung«, über welchen Mizler bemerkt: »Dieses Werk ist eine kräftige Widerlegung derer, die sich unterstanden, des Herrn Hofcompositeurs Compositionen zu kritisiren«.106 Wenn indessen Scheibe in dem erwähnten Pasquill Bach in den Schein eines Mannes zu bringen sucht, der sich niemals die Zeit genommen, einen weitläufigen Brief schreiben zu lernen, der sich niemals mit gelehrten Sachen abgegeben, auch sehr selten musikalische Schriften oder Bücher gelesen, so ist dies entweder leichtfertige Verleumdung oder schwere wissentliche Unwahrheit. Seine Biographie für die »Ehrenpforte« hatte Bach allerdings zu Matthesons Verdruß trotz wiederholten Bittens nicht geliefert. Sonst aber bewies er, soweit seine praktische Kunstübung, die ihm mit vollstem Rechte als eigentlichster Lebenszweck galt, es zuließ mehr Interesse für litterarisch-musikalische Dinge, als mancher Zeitgenosse. Seine Bibliothek musikalischer Bücher, die nach seinem Tode größtentheils in Emanuels Hände kam, muß nicht unbedeutend gewesen sein.107 Litterarische Fehden hat er mehrfach mit Interesse verfolgt. Als Sorge in Lobenstein 1745–1747 das »Vorgemach der musikalischen Composition« herausgegeben hatte, ließen sich Stimmen vernehmen, die seine [736] Autorschaft anzweifelten: Telemann sollte es geschrieben und Sorge nur den Namen hergegeben haben. Bach bekümmerte sich um die Sache und neigte zu Sorges großem Leidwesen ebenfalls der Vermuthung zu, daß jener mit fremdem Kalbe gepflügt habe. Er mußte sich hierfür noch nach seinem Tode der mißgünstigen Gesinnung zeihen lassen.108 Zu lebhaftem Meinungsaustausch gab Bachs Betheiligung an einer Angelegenheit Veranlassung, die von 1749 an die musikalischen Gemüther eine Weile erhitzte.

Doles war 1744 als Cantor nach Freiberg gegangen und wirkte dort seit 1747 unter dem durch Gelehrsamkeit ausgezeichneten Rector Johann Gottlieb Biedermann. Dieser beschloß im Jahre 1748 zur Erinnerungsfeier des vor 100 Jahren geschlossenen westphälischen Friedens durch die Freiberger Schüler ein Singspiel aufführen zu lassen. Ein blinder Dichter Namens Enderlein machte den Text: »Das nach schweren Kriegen durch einen allgemeinen Frieden erfreute Deutschland«. Act I: »Das Elend des dreißigjährigen Krieges«, Act II: »Die anscheinende Hoffnung zum Frieden, nebst denen vorgefallenen Hindernissen«, Act III: »Der völlig geschlossene Friede«, Act IV: »Der zum allgemeinen Nutzen und Vergnügen ausschlagende Friede«. Die Musik war von Doles, welcher, wie Biedermann vor dem gedruckten Texte bemerkte, seine Arbeit so eingerichtet hatte, »daß sowohl geübte als zärtliche Ohren dadurch gereizt werden«. Das Stück war keine eigentliche Oper im damaligen Verstande, sondern ein Singspiel mit gesprochenem Dialog, wie sie in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in sächsischen Schulen mehrfach aufgeführt und in ihrer Bedeutung für die Geschichte der deutschen Oper noch nicht hinlänglich gewürdigt worden sind. Der Rath hatte die Bühne erbauen lassen und dem Unternehmen auch sonst allen möglichen Vorschub geleistet. Am 14. October und folgenden Tagen, Nachmittags 4 Uhr fand im Kaufhause die Aufführung statt.109 Die Theilnahme war groß, auch aus der Umgegend strömten die Menschen zu, den Hauptbeifall aber erhielt die Musik. Es mochte Biedermann [737] unbequem sein, daß hierdurch das Ansehen des Cantors und sein Einfluß auf die Schüler sich bedeutend steigerte, und somit die Musik die Wissenschaften zu beeinträchtigen drohte. Auch munkelte man von allerhand Unzukömmlichkeiten, die sich bei Berechnung der Einnahmen und Honorirung des Componisten ereignet haben sollten. Kurz, der vielerorten schon erlebte Zwist zwischen Rector und Cantor wurde auch in Freiberg zur Thatsache. Biedermann gab seiner Gereiztheit in dem nächsten Schulprogramm vom 12. Mai 1749 einen nur allzu deutlichen Ausdruck. Der Grundgedanke des lateinischen Programms, welchen er gestützt auf eine Stelle aus der Mostellaria des Plautus (Musice hercle agitis aetatem, ita ut vos decet, Act III, Sc. 2, v. 40) ausführt, daß nämlich eine übermäßige Pflege der Musik die Jugend leicht zu einem zügellosen Leben verführe, war richtig und unverfänglich. Wenn er aber, grade nachdem wenige Monate zuvor die Musik in der Freiberger Schule einen ehrlichen, ihm aber unwillkommenen Triumph gefeiert hatte, einige schlechte Subjecte, die der Musik ergeben gewesen seien, zur Warnung vorführte, wenn er darauf hinwies, daß Horaz die Musiker in eine Classe mit Bajaderen, Quacksalbern und Bettelpriestern setze, daß die Christen alter Zeit die Musiker von ihren frommen Versammlungen fern hielten und jährlich nur einmal zum Abendmahl zuließen, so konnte sich hierdurch mit Recht der ganze Musikerstand beleidigt fühlen. Und so geschah es auch. Genannte und Ungenannte fielen über Biedermann her, Mattheson allein mit fünf Schriften. Andre wieder suchten ihn zu vertheidigen. Es entbrannte ein heftiger litterarischer Krieg, der erst 1751 sein Ende erreichte; Biedermann mußte zur Strafe seiner Taktlosigkeit viele grundlose Kränkungen erdulden.

Als Bach die Vorgänge in Freiberg erfuhr und Biedermanns Programm las, brachen alte Wunden bei ihm auf; hatte er doch mit seinem Rector ähnliche Dinge erlebt. Er schickte das Programm an Schröter in Nordhausen, ein Mitglied der musikalischen Societät, und bat ihn es zu recensiren und zu widerlegen, da er in Leipzig und Umgegend niemanden finden könne, der dazu geschickter wäre. Schröter willfahrte, sandte Bach die Recension zu und überließ ihm, dieselbe in einer periodischen Schrift zum Abdruck zu bringen. Sie entsprach Bachs Wünschen und er schrieb am 10. December [738] 1749 an Einicke in Frankenhausen: »Die schröterische Recension ist wohl abgefaßt, und nach meinem gout, wird auch nächstens gedruckt zum Vorschein kommen ... Herrn Matthesons Mithridat hat eine sehr starke Operation verursachet, wie mir glaubwürdig zugeschrieben worden. Sollten noch einigeRefutationes, wie ich vermuthe, nachfolgen, so zweifle nicht, es werde des Auctoris Dreckohr gereiniget, und zur Anhörung der Musik geschickter gemacht werden«. Die Besorgung zum Druck aber übertrug er einem andern, der eigenmächtiger Weise einige Änderungen vornahm, Zusätze machte und den Ton des mäßig und würdig gehaltenen Schriftstückes verschärfte. In der veränderten Fassung wurde Biedermann zu verstehen gegeben, daß er in der heidnischen Litteratur bewanderter sei, als im Worte Gottes, daher auch die Schrift, wiederum gegen Schröters Absicht, den Titel »Christliche Beurtheilung« erhielt. Schröter war über die Behandlung, die seine Recension erlitten hatte, mehr als billig empfindlich, und ersuchte Einicke am 9. April 1750 schriftlich, Bach davon Mittheilung zu machen. Am 26. Mai 1750 antwortete Bach an Einicke: »An Herrn Schrötern bitte mein Compliment zu machen, bis daß ich selber im Stande bin zu schreiben, da ich mich alsdenn, der Veränderung seiner Recension wegen, entschuldigen will, weil ich gar keine Schuld daran habe; sondern solche einzig demjenigen, der den Druck besorget hat, zu imputiren ist«. Schröter wollte sich hiermit nicht zufrieden geben und verlangte unter anderm eine öffentliche Erklärung Bachs. Aber der Tod machte in seiner Weise der Sache ein Ende. Ganz ohne sein Verschulden war auch der gute Einicke noch in den Streit hineingezogen. Ein Vertheidiger Biedermanns hielt ihn für den Verfasser der »Christlichen Beurtheilung« und nannte ihn »einen gewissen Cantor zu F. [rankenhausen], der vorher ein schlechtes Dorfschulmeisterlein zu H. [ohlstedt] gewesen wäre«. Das veranlaßte ihn denn, Mattheson gegenüber den ganzen Sachverhalt aufzudecken.110

[739] Die Veranlassung einer Recension durch Schröter war aber nicht das einzige, was Bach gegen Biedermann that. Er suchte die Cantate »Der Streit zwischen Phöbus und Pan« wieder hervor, die er 18 Jahre früher zur satirischen Abwehr gegen die Tadler seiner Musik componirt hatte, und brachte sie aufs neue zur Aufführung. Es scheint, daß die Aufführung in einem der studentischen Musikvereine stattgefunden hat, ob gleich Bach in directer Beziehung zu ihnen nicht mehr stand. Seit dem 12. März 1749 studirte in Leipzig Johann Michael Schmidt aus Meiningen, der einige Jahre später ein sinniges und mit großem Beifall aufgenommenes Buch, genannt Musico-Theologia, herausgab.111 In diesem Buche wird Bachs verschiedene Male bewundernd gedacht; an einer Stelle aber (S. 263) heißt es, das Hauptstreben des Componisten solle sein, den auszudrückenden Gemüthszustand und die daher fließenden Handlungen wohl vorzustellen und der Natur nachzuahmen. Je mehr man die Nachahmung in seinen Stücken erkenne, desto mehr Vergnügen brächten sie. Aus dieser Betrachtung seien der musikalische Kalender, »das Bachische Gesprächspiel«, die Leyer, der Kuckuck, die Nachtigall, das Posthorn und andre Sachen hervorgekommen. Mit den übrigen Namen werden offenbar heitere Cantaten bezeichnet, die damals populär waren, uns jetzt aber unbekannt geworden sind. Das »Gesprächspiel« kann nur eine weltliche Cantate Bachs sein. An eine der dramatischen Gelegenheitsmusiken darf man in dem Zusammenhange, in welchem es hier genannt wird, nicht denken. Es bliebe also die Wahl zwischen der Caffee-Cantate und »Phöbus und Pan«. Da aber die Rede von scharfer Charakterisirung und von Nachahmung der Natur ist, was beides im weitesten Verstande in der letzteren Cantate sich findet, so wird man um so weniger zweifeln, daß diese gemeint ist, als wirklich ein geschriebenes Textbuch derselben mit der Jahreszahl 1749 vorliegt. Michael Schmidt dürfte also die Cantate mitgesungen, oder doch bei ihrer Aufführung gegenwärtig gewesen sein.

Das genannte Textbuch enthält außerdem eine Stelle, die den [740] Zweck der wiederholten Aufführung deutlich verräth. Im letzten Recitativ hat Picander ursprünglich gedichtet:


Ergreife, Phöbus, nun die Leyer wieder,

Es ist nichts lieblichers als deine Lieder.


Daraus ist nun gemacht worden.


Verdopple, Phöbus, nun Musik und Lieder,

Tob auch Hortensius und ein Orbil darwider.


Und dann endgültig:


Verdopple, Phöbus, nun Musik und Lieder,

Tobt gleich Birolius und ein Hortens darwider.


Orbilius ist der bekannte Horazische Schulmeister,112 Birolius eine durch Umstellung der Buchstaben gewonnene Form, bei welcher das Bestreben auf den Namen Biedermann anzuspielen unverkennbar scheint. Auch die mit Hortens gemeinte Persönlichkeit glaube ich zu erkennen. Quintus Hortensius war ein Zeitgenosse Ciceros und als Redner der einzig ebenbürtige. Beide galten als Vertreter der classischen lateinischen Diction. Der Mann, welcher diese unter den Gelehrten Deutschlands im 18. Jahrhundert wiederherstellte, war Ernesti, welcher auch 1737 eine Gesammtausgabe der Schriften Ciceros veranstaltet hatte. Ihn mit dem Namen Hortensius zu beehren lag in diesem Falle um so näher, als man schon für Biedermann den Namen einer Persönlichkeit der römischen Litteratur als passend erfunden hatte. Der Rector zu Freiberg und der Rector zu Leipzig bilden hier ein Paar, das der Satire der Bachschen Cantate zur Zielscheibe dienen sollte.113 Bachs Verbitterung gegen Ernesti zeigt sich dadurch als eine unausrottbar eingewurzelte. Biedermann blieb es übrigens keinesfalls unbekannt, in welchem Sinne Bach gegen ihn vorging. Von einer der polemischen Schriften, über deren [741] intellectuellen Urheber er eine unbegründete Vermuthung hatte, sagt er, sie sei »aus dem stinkenden Bach der Dummheit und Lügen geflossen«.114 Bis zu solchen Artigkeiten hatte man sich allmählig gesteigert. Nach seinem Programm konnte man Biedermann der Verachtung der Musik allerdings nicht zeihen. Aber die Vorgeschichte desselben war jedenfalls in Leipzig durch Doles sehr genau bekannt geworden, und sie brachte den Rector in ein ungünstiges Licht. Die Leidenschaftlichkeit, mit welcher der alte Tonmeister die Ehre seiner geliebten Kunst rein zu halten sich bemüht, erhält etwas rührendes, wenn man bemerkt, wie er noch in einer andern Composition, die er in dieser Zeit bei drei verschiedenen Gelegenheiten aufführte, begeistert ihr Lob singt. Ich meine die Cantate »O holder Tag, erwünschte Zeit«, welcher bei ihrer Wiederholung ein Text ausschließlich zum Lobe der Musik untergelegt worden ist. In ihm heißt es unter anderm: »Wiewohl, geliebte Musica, So angenehm dein Spiel So vielen Ohren ist, So bist du doch betrübt Und stehest in Gedanken da; Denn es sind ihrer viel, Denen du verächtlich bist. Mich dünkt, ich höre deine Klagen Selbst also sagen: 'Schweigt, ihr Flöten, schweigt ihr Töne, Klingt ihr mir doch selbst nicht schöne; Geht ihr armen Lieder hin, Weil ich so verlassen bin'. Doch fasse dich, Dein Glanz ist noch nicht ganz verschwunden Und in den Bann gethan«.115

Alle diese Vorgänge erscheinen in zweifacher Hinsicht bedeutsam. Sie bekunden Bachs litterarische Interessen und lassen auch einen Charakterzug scharf hervortreten. In Bachs Natur lebte – wir wiesen schon einmal darauf hin116 – eine gewisse Streitfreudigkeit, die ihn in dieser Beziehung als einen Geistesverwandten der lutherischen Orthodoxie erscheinen läßt, wie sie sich beispielsweise in dem Mühlhäuser Pastor Eilmar verkörperte. Wer unsern Auseinandersetzungen über Bachs Compositionen gefolgt ist, wird in ihnen denselben Zug mehrfach bemerkt haben. Ich erinnere hier nur an die Cantaten »Christ lag in Todesbanden« und »Es erhub sich ein Streit«, an den Doppelchor »Nun ist das Heil und die Kraft«. Freilich unterscheidet er sich von den Orthodoxen wieder durch die [742] tiefe Innigkeit seines Empfindens und, wenn nur die rechte Stelle seines Gemüthes getroffen wird, eine rührende Naivetät. Ein voller deutscher Mann, Recke und Kind in einer Person, wild und doch wieder hingebend weich; unter den deutschen Theologen kann ihm ganz doch nur Luther verglichen werden. Auch die Hartnäckigkeit, mit welcher er sein Recht verfocht und von der wir Beispiele genug anzuführen hatten, gehört als wesentlicher Zug in dieses Bild. Reizbar wie diejenige aller Künstler konnte seine kräftige Natur wohl in unbändigem Zorne losbrechen. Der Organist der Thomaskirche, Gräbner oder Görner, soll es bei einer Probe einmal auf der Orgel versehen haben. Da riß sich Bach in Wuth die Perrücke ab, schleuderte sie dem Missethäter an den Kopf und donnerte: »Er hätte lieber sollen ein Schuhflicker werden!«117 Einen ungehorsamen Schüler mitten im Gottesdienst mit Lärmen vom Chor zu treiben, ihn Abends gar noch vom Speisetische kurzer Hand zu verjagen, darauf kam es gelegentlich nicht an. Da er so seiner Lehrerwürde wohl manchmal etwas vergab, wurde es ihm natürlich schwer, die Rotte der Thomaner jederzeit zu bändigen. Aber diese Schwächen konnten bei denen, die ihn näher kannten, doch die hohe Meinung von dem redlichen Ernst seiner Natur nicht vermindern. Bürgen hierfür sind seine Einzelschüler, die ausnahmslos mit unbegränzter Verehrung an ihm hingen. »Von seinem moralischen Charakter«, heißt es im Nekrolog, »mögen diejenigen reden, die seines Umgangs und seiner Freundschaft genossen haben, und Zeugen seiner Redlichkeit gegen Gott und den Nächsten gewesen sind«.118

Bach besaß ein berechtigtes hohes Selbstgefühl, das mußte unter andern der Leipziger Rath mehr als einmal erfahren. Aber er war wie alle großen Naturen frei von Eitelkeit und menschlich nachsichtig gegen andre. Die Schüler sollten sich nur seinen Fleiß zum Muster nehmen, über die größere oder geringere Naturbegabung rechtete er nicht mit ihnen. Lob ließ er sich nur bis zu einem gewissen Grade gefallen. Als einmal jemand seine bewunderungswürdige [743] Fertigkeit auf der Orgel mit vielen Lobsprüchen erhob, sagte er ganz gelassen: »Das ist eben nichts bewunderungswürdiges, man darf nur die rechten Tasten zu rechter Zeit treffen, so spielt das Instrument selbst«.119 Ebenso war es ihm fremd, mit seinen Leistungen affectirt oder hochmüthig zurückzuhalten. Er spielte bereitwillig und gern vor, oder musicirte gemeinsam mit andern. Als eine Eigenthümlichkeit bemerkte man es an ihm, daß er, der Meister der freien Fantasie, doch nicht mit etwas eigenem zu beginnen liebte. Gern ließ er sich zuvor eine ihm fremde Composition vorlegen und spielte diese vom Blatte, dann erst ging er zur eigenen Fantasie über, gleich als ob er eines äußeren Anlasses bedurft hätte, um die Schwingen seiner Erfindungsgabe zu entfalten. Die hierüber erhaltenen Zeugnisse sind merkwürdig genug, um wörtlich mitgetheilt zu werden. Sie rühren von einem gewissen T.L. Pitschel her, der Ende der dreißiger Jahre des Jahrhunderts in Leipzig Theologie studirte, 1740 Magister wurde und 1743 dort 27 Jahre alt starb. Er gehörte zu Gottscheds Anhängern, und veröffentlichte in dem Organe der Gottschedianer »Belustigungen des Verstandes und Witzes« ein Schreiben an einen Freund »von Besuchung des öffentlichen Gottesdienstes«. Hier sagt er: »Sie wissen, der berühmte Mann, welcher in unserer Stadt das größte Lob der Musik, und die Bewunderung der Kenner hat, kömmt, wie man saget, nicht eher in den Stand, durch die Vermischung seiner Töne andere in Entzückung zu setzen, als bis er etwas vom Blatte gespielt, und seine Einbildungskraft in Bewegung gesetzt hat«. Und später noch einmal: »Der geschickte Mann, dessen ich Erwähnung gethan habe, hat ordentlich etwas schlechteres vom Blatte zu spielen, als seine eigenen Einfälle sind. Und dennoch sind diese seine besseren Einfälle Folgen jener schlechteren«.120 Mit dieser Eigenthümlichkeit ist es wohl in Verbindung zu bringen, daß Bach sich auch in der Composition gern durch Gelegenheiten künstlerische Motive zuführen ließ, wovon ja seine Gesangswerke so vielfältig Zeugniß ablegen.

[744] Fremde Musik spielte er auch deshalb, weil es ihm von Interesse war, dasjenige was andre producirt hatten, kennen zu lernen. Ebenso ließ er sich gern fremde Compositionen vormusiciren. Was ihn besonders anzog, schrieb er sich ab und nicht blos in früherer Zeit, wo er sich noch in aufsteigender Entwicklung befand, sondern auch zur Zeit seiner höchsten eigenen Reife. Vocalcompositionen Lottis, Caldaras, Ludwig und Bernhard Bachs, Händels, Telemanns, Keisers, auch Clavierstücke von Grigny, Dieupart, ja selbst von Hurlebusch existiren in seiner Handschrift noch heute. Nicht klein wird auch die Sammlung gedruckter und von andern geschriebener Musikalien gewesen sein, die er besaß. Leider wurden sie von den Söhnen nach seinem Tode so rasch über die Seite gebracht, daß sie nicht in das Inventar seines Nachlasses aufgenommen sind. Wie weit zurück aber sein Interesse sich erstreckte, beweisen Elias Ammerbachs »Orgel oder Instrument Tabulatur« von 1571 und Frescobaldis Fiori musicali von 1635, Werke, die sich beide in seiner Bibliothek befunden haben121: daß er auch Bücher über Musik sammelte, ist oben schon bemerkt. Wenn er auswärts irgendwo über Sonntag verweilte, pflegte er der Kirchenmusik mit besonderer Aufmerksamkeit zu folgen. Kam in derselben eine Fuge vor, und er hatte etwa einen seiner Söhne bei sich, so sagte er nach den ersten Themaeintritten stets vorher, was der Componist von rechtswegen mit dem Thema weiter machen müsse und was er möglicherweise machen könne. Kam es dann so wie er gesagt hatte, so freute er sich und stieß den Sohn an.122 Die Veranlassung zu tadeln war begreiflicherweise viel häufiger vorhanden als zu loben. Seine Söhne wußten aber zu rühmen, wie mild sein Urtheil auch in solchen Fällen stets gewesen sei, und in harten Ausdrücken über ein Werk eines Kunstgenossen zu sprechen habe er sich nie erlaubt, außer gegenüber seinen Schülern, welchen er reine, strenge Wahrheit schuldig zu sein glaubte. Hurlebusch aus Braunschweig, ein unruhiger, eitler Wandervirtuose, stellte sich einmal in Leipzig bei ihm ein, nicht um ihn spielen zu hören, sondern um sich selbst [745] hören zu lassen. Bach erzeigte ihm den Gefallen auch mit aller Geduld. Beim Abschied schenkte Hurlebusch den ältesten Söhnen eine gedruckte Sammlung seiner Claviercompositionen, mit der Ermahnung sie recht fleißig zu studiren. Daß Friedemann und Emanuel schon ganz andern Sachen gewachsen waren, wußte Bach sehr wohl, er lächelte aber nur still in sich hinein und wurde gegen Hurlebusch nicht im mindesten unfreundlicher. Seine eigne Ueberlegenheit über andre Musiker herausfordernd an den Hut zu stecken, war ihm durchaus zuwider. Von seinem Wettstreite mit Marchand, der über Deutschland hinaus das größte Aufsehen gemacht hatte, sprach er nie freiwillig. Schon zu seinen Lebzeiten bildeten sich allerhand Mythen über ihn. Man erzählte sich z.B., daß er bisweilen, als armer Dorfschulmeister verkleidet, in eine Kirche gekommen sei, und den Organisten gebeten habe, ihm seinen Platz einzuräumen. Dann habe er das Staunen der Anwesenden und des Organisten genossen, der erklärt habe, das sei entweder Bach oder der Teufel. Er wollte von solchen Geschichten, kamen sie ihm zu Ohren, nie etwas wissen.123

Er lebte in Musik, wo er ging und stand. Eine Erzählung, die wenigstens in ihrem Kern nicht wohl erfunden sein kann, mag hierfür den Beweis liefern. Er wurde oft von gewissen Bettlern angegangen, in deren sich steigernden Klagetönen er eine Folge von musikalischen Intervallen entdeckt zu haben glaubte. Dann that er anfänglich, als wollte er ihnen etwas geben und fände nichts; nun hob sich die Klage zu eindringlichster Höhe. Darauf gab er ihnen einige Male äußerst wenig, in Folge dessen wurde den Intervallen etwas von ihrer Schärfe genommen. Endlich gab er ihnen ungewöhnlich viel, wodurch dann zu seinem Ergötzen eine vollständige Auflösung und ein vollkommen befriedigender Schluß herbeigeführt wurde.124

Bachs Grundcharakter war übrigens ein ernster, und daher auch sein Auftreten bei aller Höflichkeit und Zuvorkommenheit, die er seinen Mitmenschen bewies, ein würdevoller und respectgebietender. Kann man den Bildern trauen, die von ihm erhalten[746] sind,125 so unterstützte diesen Eindruck auch seine äußere Erscheinung. Nach ihnen war er von kräftiger, bürgerlich breitschultriger Gestalt, hatte ein volles aber energisches Gesicht, bedeutende Stirn, starke, kühngeschwungene Augenbrauen und zwischen ihnen einen Zug von strengem, ja finsterem Wesen. Dagegen scheint in Mund und Nase bequeme Gutmüthigkeit ausgeprägt. Die Augen sind lebhaft, doch wissen wir, daß Bach von Jugend auf etwas kurzsichtig war.126

Sein ganzes Wesen ruhte auf einer Frömmigkeit, die nicht in inneren Kämpfen errungen, sondern angeboren und natürlich war. Er hielt es mit dem Glauben seiner Väter. Theologische und Erbauungsbücher las er gern; seine Bibliothek umfaßte deren bei seinem Tode 81 Bände.127 Die Autoren derselben zeugen klar für Bachs religiöse Ansichten. Allen voran ist Luther zu nennen, dessen Werke Bach sogar in zwei Ausgaben besessen zu haben scheint;128 die Tischreden und eine Haus-Postille sind besonders vorhanden. Die Mehrzahl der übrigen Werke stammt von altlutherischen Theologen des 16. und 17. Jahrhunderts. Calovius, der mit drei Bänden in Folio vertreten ist (geb. 1612, gest. als Professor zu Wittenberg 1686), war einer der geharnischtesten Streittheologen und leidenschaftlichsten [747] Vorkämpfer der Orthodoxie. Sanfter geartet ist der Rostocker Superintendent und Professor Heinrich Müller (gestorben 1675), von dessen Werken Bach eine bedeutende Anzahl besaß.129 Unter ihnen sind die »Geistlichen Erquickstunden« und die »Himmlische Liebesflamme« (ursprünglich unter dem Titel »Himmlischer Liebes-Kuß, oder Uebung des wahren Christenthums, fließend aus der Erfahrung göttlicher Liebe«) auch unserer Zeit noch wohl bekannt. Die Schola Pietatis des Johannes Gerhard von Jena (gestorben 1637), welcher Gelehrsamkeit, mannhaften Muth und innige Frömmigkeit in einer Weise vereinigte, die Bachs Charakter besonders zusagen mußte, enthält in fünf Büchern Abhandlungen über die Pflichten des Christen. Auch seines Lehrers und Freundes Johann Arnds, der 1621 als Generalsuperintendent zu Celle starb, weit verbreitetes Buch vom »wahren Christenthum« nannte Bach sein eigen. Mit einer Menge von Werken findet sich ferner August Pfeiffer vor, ein geschätzter Leipziger Professor und Prediger des 17. Jahrhunderts, der von 1681 mehre Jahre Archidiaconus der Thomaskirche war. Die Bücher »Evangelische Christenschule«, »Anticalvinismus« und »Antimelancholicus« erwecken uns ein besonderes Interesse, weil ihre Titel auch vorn in Anna Magdalenas Clavierbüchlein aus dem Jahre 1722 eingezeichnet sind. Diese Einzeichnungen sind also keine freien Spielereien Bachs, sondern enthüllen sich als eine Bezugnahme auf ihm liebgewordene Bücher, deren Inhalt das Clavierbüchlein gleichsam ins Musikalische übersetzt darbieten sollte.130

Neben den Denkmalen orthodox-lutherischer Gesinnung finden wir indessen auch einige Werke mystischer Tendenz. Von besonderm Interesse ist das Vorhandensein der aus der mittelalterlichen Mystik hervorgegangenen Predigten des Dominicaner-Mönches Tauler. Speners Ausgabe von 1703, welche Quartformat hat, kann [748] nicht die gewesen sein, welche Bach besaß; das Exemplar war wohl alt und zerlesen, da es bei der Inventarisation nur auf 4 gr. geschätzt wurde. Von Matthäus Meyfart, dem Verfasser des Liedes »Jerusalem, du hochgebaute Stadt« findet sich die Schrift aus dem Jahre 1636 »Christliche Erinnerung von den aus den hohen Schulen in Deutschland entwichenen Ordnungen und ehrbaren Sitten«. Die Pietisten sind durch Spener und Francke mit je einem Werke vertreten, jener mit dem »Gerechten Eifer wider das Antichristliche Papstthum«,131 dieser mit einer Haus-Postille.132 Es wird hierdurch wieder bewiesen, daß Bach trotz seiner alt-lutherischen Gesinnung doch kein fanatischer Parteigänger der Orthodoxie war, sondern einen höheren unparteiischen Standpunkt einnahm.133 Johann Jakob Rambach, dessen Schriften Bach liebte,134 kann zu den eigentlichen Pietisten nicht gerechnet werden. Die »Betrachtung der Thränen und Seufzer Jesu Christi« erschien 1725 und enthält zwei Predigten zum 10. und 12. Trinitatis-Sonntage. Unter der einen jener andern »Betrachtungen«, welche das Verzeichniß noch aufweist, sind die »Betrachtungen über den Rath Gottes von der Seligkeit der Menschen« gemeint. Das Buch erschien 1737 nach dem Tode des Verfassers.135

Ein merkwürdiges Buch ist der Judaismus des Hamburger [749] Pastors Johann Müller.136 Der Anlaß zu demselben, sagt der Verfasser in der Vorrede, sei der Zustand der Kirche gewesen, an welcher er angestellt sei. »Es wohnen in dieser Stadt viel Jüden, Hispanischer und Teutscher Nation, welche täglich für unsern Augen herum gehen, mit Christen viel conversiren, auch der Religion halber sich mit ihnen bereden ... Es kommen auch unsere Zuhörer zu uns, und fragen um Rath, wie man den Jüden ihre Einwürfe beantworten und was man ihnen im täglichen Gespräche fürhalten solle, denen wir amtshalber Bericht und Antwort zu geben schuldig seyn. Weil auch etliche Jüden sehr triumphiren, als ob sie große Geheimnisse hätten wider unsre christliche Lehre, insonderheit wider das Neue Testament, in vertraulichem Gespräche mit guten Freunden dem christlichen Predigtamt Hohn sprechen, und sich bedünken lassen, daß ihres gleichen an Verstand in Religionssachen nicht sei, als habe ich mich bemühet, solche Geheimnisse zu erforschen und ans Tageslicht zu bringen, damit ihre Thorheit und Blindheit je mehr und mehr bekannt werden möchte: Welches alles ich in diesem Buche zusammengetragen, und auf vieler frommen Christen Begehren und eifriges Vermahnen an Tag geben wollen«. Auf 1490 Seiten in Quart hat Müller seinen Plan ausgeführt. Daß aber Bach sich mit solcher Lecture beschäftigte, zeigt wie ihm als echtem Protestanten sein Christenglaube Gegenstand des Nachdenkens war und er das Bedürfniß hatte, ihn gelegentlich mit stichhaltigen Gründen vertheidigen zu können.

Bachs Bibelkunde muß ein jeder, der seine Kirchencantaten studirt, als eine ebenso gründliche anerkennen, wie seine Kenntniß des Kirchenliedes. Wie er sich aber auch die biblische Geschichte lebendig und anschaulich zu machen suchte, zeigt Büntings (Pintingii) Itinerarium sacrae scripturae.137 In diesem »Reise-Buche« sind alle Reisen der Patriarchen, Richter, Könige, Propheten, Fürsten und Völker, sowie Josephs und der Jungfrau Maria, der Weisen aus dem Morgenlande, Christi und seiner Apostel verfolgt und nach [750] deutschen Meilen ausgerechnet; außerdem enthält es Beschreibungen aller Länder, Städte, Gewässer, Berge und Thäler, die in der Bibel vorkommen. Mag man über den wissenschaftlichen Werth dieses Buches urtheilen wie man will; immerhin ist es ein Zeugniß, daß Bach die Bibel nicht nur als Fundgrube lyrischer Poesie und dogmatische Grundlage seines Christenthums betrachtete, sondern daß er sich in ihrer Welt nach allen Seiten hin heimisch zu machen suchte. Dasselbe bezeugt sein Besitz von Josephus' Geschichte des jüdischen Volks.

Religiöse Dichtung fand sich, außer dem umfassenden, achtbändigen Gesangbuche von Paul Wagner,138 in seinem Nachlasse nicht mehr vor, als zur Inventarisirung desselben geschritten wurde. Auch in dieser Beziehung müssen einige der Erben vorher aufgeräumt haben. Von Neumeister sind zwei Sammlungen mit je 52 Predigten aus den Jahren 1721 und 1729 angemerkt. Ganz sicher waren auch dessen geistliche Dichtungen, ebenso wie diejenigen Francks, Rambachs und Picanders in Bachs Besitz. Was er sonst noch derartiges gehabt haben mag, davon ist uns die Kunde eben so wohl entzogen worden, wie über den etwaigen Bestand seiner Bibliothek weltlicher Litteratur. –

Als Bach in die Cantorwohnung am Thomaskirchhofe zu Leipzig im Jahre 1723 mit seiner zweiten Gattin einzog, folgten ihm vier Kinder erster Ehe.139 Aus zweiter Ehe sind ihm noch sieben Töchter und sechs Söhne geboren worden. Doch nur drei Töchter und drei Söhne sollten den Vater überleben. Von den übrigen wurden drei nur wenige Tage alt, die andern sah der Vater im Sarge liegen, als sie eben begonnen hatten zu einer regeren Theilnahme am Leben sich zu entfalten. Die Mythenbildung ist auch über Bachs Familienleben hergewuchert. Er soll einen blödsinnigen Sohn David besessen haben, der, »in der Musik ganz ununterrichtet, durch seine zwar verworrenen, doch innigen Ausdrucks vollen, melancholischen Phantasien auf dem Claviere die Zuhörer oft bis zu Thränen hingerissen« habe. Man wollte sogar wissen, daß er 14 bis 15 Jahre alt gestorben sei.140 Diesen David hat es nie gegeben, auch ist kein Kind [751] Bachs in diesem Alter gestorben.141 Jedenfalls hat Gottfried Heinrich, der erste Sohn zweiter Ehe, zur Entstehung der Fabel Veranlassung geboten. Er war nach Emanuels Urtheil ein großes Genie, das aber nicht entwickelt wurde. In den Gerichtsverhandlungen über Bachs Nachlaß wird er »blöde« genannt und als nicht verfügungsfähig erkannt. Er starb im Februar 1763 zu Naumburg, wohin ihn sein Schwager Altnikol, wie es scheint, schon vor dem Tode des Vaters, genommen hatte.

Von seinem innig gepflegten Familienleben, den Hausconcerten, welche er mit seinen Söhnen, seiner Gattin und ältesten Tochter auszuführen liebte, hat Bach uns selbst Kunde gegeben.142 Für die Erziehung der Kinder sorgte er gewissenhaft. Ein Hauptgrund, sich zur Übersiedlung von Cöthen nach Leipzig zu entschießen, war für ihn die Aussicht auf die besseren Bildungsmittel, welche die Universitätsstadt bot. Wilhelm Friedemann, seinen Liebling, ließ er schon am 22. Dec. 1723 für die Immatriculation vormerken.143 Dieser sowie sein jüngerer Bruder Emanuel haben sich auch, nach guter damaliger Sitte, eine vollständige akademische Bildung angeeignet. Es lag ursprünglich nicht in des Vaters Absicht, daß auch Emanuel den Musikerberuf wähle; als aber sein großes Talent ihn dennoch hineindrängte, ließ er es sich wohl gefallen. Dem musikalischen Treiben der Söhne folgte er zeitlebens mit liebevoller Theilnahme. Er vertrieb ihre Compositionen wie er die seinigen durch sie vertreiben ließ,144 verlegte mit ihnen bei demselben Verleger,145 schrieb was ihm von ihren Sachen besonders gefiel auch wohl eigenhändig ab.146 Friedemanns Weise stand ihm näher als Emanuels; [752] bei seiner großen Liebe zu diesem ältesten Sohne übersah er es vielleicht, daß derselbe schon während des Vaters Lebzeiten Gefahr lief, nur dessen Carricatur zu werden. Emanuels kleinere Tonformen haben ihre Wurzel freilich auch in Sebastians Werken. Der zweitheilige erste Sonatensatz, mit dessen Ausbildung dieser der Vorgänger Haydns wurde, steckt z.B. in den zweitheiligen Praeludien des Wohltemperirten Claviers, in weiteren Umrißzeichnungen bieten ihn auch viele Arien Sebastians, deren erster Theil nicht in der Haupttonart schließt. Ehe noch Emanuel mit den bekannten sechs Claviersonaten von 1742 hervortrat, hatte schon Krebs in seinen Praeambulen von 1740 ganz dieselbe Form gewählt. Indessen Emanuels Neigung zum Populären, Leichtanmuthigen entfernte ihn doch weiter von des Vaters Bahnen. Galt es den Kindern ihre Lebenswege zu ebnen, so scheute Bach keine Mühe. Als der dritte Sohn erster Ehe, Bernhard, 20 Jahre alt war und grade die Organistenstelle an der Marienkirche in Mühlhausen frei wurde, bemühte sich Bach, dem Sohne das Amt in der Stadt zu verschaffen, wo er selbst 28 Jahre zuvor gewirkt hatte. Der Brief, welchen er in dieser Sache nach Mühlhausen schrieb, ist erhalten:


»Hochedelgebohrner Vest und Hochgelahrter

Besonders Hochgeehrtester Herr Senior

Hochgeschätzter Gönner


Es soll dem Verlaut nach vor kurtzem der StadtOrganist zu Mühlhaußen Herr Hetzehenn daselbst verstorben, und deßen Stelle biß dato noch nicht ersetzet seyn. Nachdem nun mein jüngster Sohn Johann Gottfried Bernhard Bach sich zeither so habil in derMusic gemachet, daß ich gewiß dafür halte wie er zu bestreitung dieses vacant gewordenen Stadt Organisten Dienstes vollkommen geschickt und vermögend sey. Als ersuche Ew: Hochedelgeb. in schuldigster Ehrerbietung, Sie belieben zu Erlangung mehr gemeldten Dienstes meinen Sohne Dero vielgeltende Intercession zu schencken, und mich dadurch bittseelig, meinen Sohn aber zugleich glücklich zu machen, damit ich hierbey noch Dero alt Faveur wie vor, also auch ietzo mich zu vergewißern Ursache finden und dagegen versichern könne, daß mit unveränderter Ergebenheit allstets verharre.


[753] Ew. Hochedelgeb.

Meines besonders Hochgeehrtesten Herrn Senioris

Leipzig

den 2. Maji

1735

gantz ergebenster Diener

147Joh. Sebast. Bach

vormals Organist. zu D Blas.

in Mülhausen.


[Adresse:]

Dem Hochedelgeb. Vest und Hochge-

lahrten Herrn, Herrn Tobia Rothschieren, vornehmenJure Consulto und Hochansehnl. MitGliede, wie auch hochmeritirten Seniori E HochEdl. und Hochweisen Raths, bey der Kayserl. freyen Reichs-Stadt Mühlhausen

in

Mühlhausen«.148


Nicht ohne Erfolg erinnerte Bach an die wohlwollende Gesinnung, welche ihm der Rath der Stadt seiner Zeit bezeigt hatte. Bernhard wurde gewählt, hat die Stelle jedoch nach kurzer Zeit wieder aufgegeben, um sich einem wissenschaftlichen Berufe zuzuwenden. Er ging nach Jena, dem Wohnorte Nikolaus Bachs, des würdigen Seniors der Familie. 1738 war er schon da und studirte Rechtswissenschaft. Im folgenden Jahre aber ergriff ihn ein hitziges Fieber und raffte ihn am 27. Mai dahin.149 Es waren nun, außer Gottfried Heinrich, nur mehr vier Söhne vorhanden, auf welche der Vater seine Hoffnungen setzen konnte. Er erlebte es noch, daß Johann Christoph Friedrich (geb. 1732) in jungen Jahren als Kammermusicus beim Grafen von der Lippe in Bückeburg angestellt wurde. Als der Instrumentenmacher Hoffmann dem befreundeten Meister [754] ein Clavier seiner Arbeit testamentarisch vermacht hatte, überließ dieser es dem Sohne, wohl um ihn für seine neue Stellung auszustatten.150 In dem kleiner gewordenen häuslichen Kreise scheint sich der Benjamin der Familie, Johann Christian (geb. 1735), dessen große Begabung früh bemerkt worden sein wird, einer besonders zärtlichen Zuneigung des alten Vaters erfreut zu haben. Er schenkte ihm drei Claviere mit Pedal auf einmal – eine so ungewöhnliche Bevorzugung, daß nach dem Tode Bachs die Kinder erster Ehe sie beanstanden wollten.151

Die Töchter blieben unvermählt bis auf Elisabeth Juliane Friederike (geb. 1726), welche am 20. Januar 1749 Altnikols Gattin wurde. Daß die jungen Leute sich ihren Hausstand gründen konnten, brachte wiederum der Vater zuwege. Der Rath von Naumburg hatte 1746 behufs Reparirung der dortigen Orgel Bachs Sachkenntniß in Anspruch genommen. Seitdem war die Organistenstelle daselbst offen geworden. Als Bach dies erfuhr, bewarb er sich um dieselbe für Altnikol unverzüglich, und ohne diesen vorher zu fragen. Er empfahl ihn warm, seinen »ehemaligen lieben Ecolier«, der »bereits ein Orgelwerk geraume Zeit (in Niederwiesa) unter Händen gehabt, und Wissenschaft, solches gut zu spielen und zu dirigiren besitze«, der auch von »ganz besonderer Geschicklichkeit in der Composition, im Singen und auf der Violine« sei. Altnikol wurde denn auch am 30. Juli 1748 für die Stelle ausersehen.152 Der erste Enkel, der aus dem Ehebunde von Bachs Tochter entsproß (4. Oct. 1749), wurde Johann Sebastian genannt.153

Die einzige Hochzeit, welche in seinem Hause ausgerichtet wurde, war natürlich für Bachs Familiensinn ein besonders wichtiges Ereigniß. Es leuchtet davon etwas hervor aus dem letzteren von zwei Briefen, die er Ende des Jahres 1748 an seinen Vetter Elias Bach in [755] Schweinfurt schrieb. Diese Briefe eröffnen auch sonst einen Blick in Bachs hausväterliche und wirthschaftliche Gesinnung. Der erste bezieht sich zumeist auf eine musikalische Angelegenheit:


»Leipzig, d. 6. Octobr

1748.


Hoch-Wohl-Edler

Hochgeehrter Herr Vetter


Ich werde wegen Kürtze der Zeit mit wenigem viel sagen, wenn so wohl zur gesegneten Wein-Lese als bald zu erwartendem Ehe Seegen Gottes Gnade und Beystand herzlich apprecire. Mit dem verlangten exemplar der Preußischen Fuge kan voritzo nicht dienen, indem justement der Verlag heute consumiret worden; sindemahl154 nur 100 habe abdrucken laßen, wovon die meisten an gute Freünde gratis verthan worden. Werde aber zwischen hier und neüen Jahres Meße einige wieder abdrucken laßen; wenn denn der Herr Vetter noch gesonnen ein exemplar zu haben, dürffen Sie mir nur mit Gelegenheit nebst Einsendung eines Thalers davon post geben, so soll das verlangte erfolgen. Schließlich nochmahlen bestens von uns allen salutiret beharre


Ew. HochWohlEdlen

ergebener

J.S. Bach«


[links am Rande quergeschrieben:] »P.S. Mein Sohn in Berlin hat nun schon 2 männliche Erben, der erste ist ohngefehr um die Zeit gebohren, da wir leider! die Preußische Invasion hatten;155 der andere ist etwa 14 Tage alt.«


[Adresse:]

»A Monsieur

Monsieur J.E. Bach

Chanteur et Inspecteur

du Gymnase


a

p l'occasion.Schweinfourth«.156


[756] Elias Bach war seit seiner Studienzeit in Leipzig Sebastian auch persönlich nahe getreten und von Dank und Verehrung gegen ihn erfüllt. Dieser Empfindung gab er durch ein Geschenk Ausdruck, welches die Veranlassung zu Bachs zweitem Briefe wurde.


»Leipzig, d. 2. Novembr.

1748.


Hoch Edler

Hochgeehrter Herr Vetter.


Daß Sie nebst Frauen Liebsten sich noch wohl befinden, versichert mich Dero gestriges Tages erhaltene angenehme Zuschrifft nebst mit geschickten kostbaren Fäßlein Mostes, wofür hiermit meinen schuldigen Danck abstatte. Es ist aber höchlich zu bedauern, daß das Fäßlein entweder durch die Erschütterung im FuhrWerck, oder sonst Noth gelitten; weiln nach deßen Eröffnung im [so!] hiesiges Ohrtes gewöhnlicher visirung, es fast auf den 3ten Theil leer und nach des visitatoris Angebung nicht mehr als 6 Kannen in sich gehalten hat; und also schade, daß von dieser edlen Gabe Gottes das geringste Tröpfflein hat sollen verschüttet werden. Wie nun zu erhaltenem reichen Seegen dem Herrn Vetter herzlichen gratulire; als muß hingegen pro nunc mein Unvermögen bekennen, üm nicht im Stande zu seyn, mich reellement revengiren zu können. Jedoch quod differtur non auffertur, und hoffe occasion zu bekommen in etwas meine Schuld abtragen zu können. Es ist freylich zu bedauern, daß die Entfernung unserer beyden Städte nicht erlaubet persöhnlichen Besuch einander abzustatten; Ich würde mir sonst die Freyheit nehmen, den Herrn Vetter zu meiner Tochter Ließgen EhrenTage, so künfftig Monat Januar. 1749. mit dem neuen Organisten in Naumburg, Herrn Altnickol, vor sich gehen wird, dienstlich zu invitiren. Da aber schon gemeldete Entlegenheit, auch unbeqveme Jahres Zeit es wohl nicht erlauben dörffte den Herrn Vetter persöhnlich bey uns zu sehen; So will mir doch ausbitten, in Abwesenheit mit einem christlichen Wunsche ihnen zuassistiren, wormit mich denn dem Herrn Vetter bestens empfehle, und nebst schönster Begrüßung an Ihnen von uns allen beharre

Ew. HochEdlen

gantz ergebener treüer Vetter

und willigster Diener

Joh. Seb. Bach.


[757] [links am Rande quergeschrieben:] P.S.M. Birnbaum ist bereits vor 6 Wochen beerdiget worden.

[auf der folgenden Seite:] P.M.

Ohnerachtet der Herr Vetter sich geneigt offeriren, fernerhin mit dergleichen liqueur zu assistiren; So muß doch wegen übermäßiger hiesiger Abgaben es depreciren; denn da die Fracht 16 gr. der Überbringer 2 gr. der Visitator 2 gr. die Landaccise 5 gr. 3 Pf. und general accise 3 gr. gekostet hat, als können der Herr Vetter selbsten ermeßen, daß mir jedes Maaß fast 5 gr. zu stehen kömt, welches denn vor ein Geschencke alzu kostbar ist.

[Adresse:]

A Monsieur

Monsieur J.E. Bach

Chanteur et Inspecteur

des Gymnasiastes, de

la Ville Imperialle

a

Franquè Coburg.Schweinfourt.«157


Bach war, wie man auch aus diesen Briefen wieder sieht, haushälterisch und genau. Um diesen Zug seines Charakterbildes nicht zu hervortretend werden zu lassen, muß dagegen bemerkt werden, daß die gastliche Aufnahme, die ein jeder, von nah oder fern, in seinem Hause fand, allgemein bekannt und in Folge dessen sein Haus auch fast nie von Besuchern leer war.158 Aber ohne die Eigenschaft der Sparsamkeit wäre es ihm bei seiner zahlreichen Familie unmöglich gewesen, zu jener, wenn auch einfachen, so doch behaglichen, solid ausgerüsteten Häuslichkeit zu gelangen, deren er sich in Wirklichkeit erfreute. Das Inventar seines Nachlasses ermöglicht es, sich in derselben genau zu orientiren.159 Einen gewissen Luxus gestattete sich Bach in Instrumenten. Claviere allein besaß er fünf (oder sechs, wenn man das »Spinettgen« mit zählen will), uneingerechnet die vier Claviere, welche er seinen jüngsten Söhnen schenkte. Außerdem hatte er eine Laute, zwei Lautenclaviere, eine [758] Gambe, und Violinen, Bratschen und Violoncelle in so großer Anzahl, daß er jede einfachere concertirende Musik damit besetzen konnte. Im übrigen bietet das Hauswesen von dem mäßigen Silbergeräth an bis zu den schwarzledernen Stühlen und den mit Auszügen versehenen Schreibtische des arbeitsamen Meisters das Bild bescheidenen bürgerlichen Wohlstandes. Auch kleine Ersparnisse sind gemacht worden. Der altbachische Zug, überall wo es noth that in der Familie zu helfen, offenbart sich darin, daß er diese zum Theil an Verwandte ausgeliehen hatte.160

In solchen häuslichen Verhältnissen, menschliche Trübsal fromm ertragend, das Glück deutschen Familienlebens mit ernster Heiterkeit genießend, lebte und wirkte Johann Sebastian Bach dem Tode entgegen. In seinem kräftigen Körper wohnte ein gesunder, bis ins Alter lebens- und schaffensfrischer Geist. Nur eine angeborne Schwäche der Augen war durch rastloses, in der Jugend oft Nächte hindurch fortgesetztes Arbeiten während der letzten Jahre zu einer beschwerlichen Augenkrankheit gesteigert. Im Winter 1749 auf 1750 entschloß er sich, auch dem Rath einiger Freunde folgend, durch einen wohlberufenen englischen Augenarzt, der grade in Leipzig weilte, eine Operation vornehmen zu lassen. Sie mißglückte ein erstes und auch ein zweites Mal, so daß Bach des Gesichtes nunmehr ganz beraubt war. Auch hatte die mit der Operation verbundene allgemeine ärztliche Behandlung einen so üblen Erfolg, daß seine bis dahin unerschütterte Gesundheit einen bedenklichen Stoß erhielt. Am 18. Juli konnte er plötzlich wieder sehen und das Licht vertragen. Aber es war der letzte Gruß des Lebens. Wenige Stunden darauf rührte ihn der Schlag, dem ein hitziges Fieber folgte. Er starb Dienstag den 28. Juli 1750 Abends nach einem Viertel auf neun Uhr.161

Um das Sterbebett standen neben der Gattin und den Töchtern der jüngste Sohn Christian, der Schwiegersohn Altnikol und der letzte Schüler Müthel. Mit Altnikol hatte Bach noch wenige Tage vor seinem Tode gearbeitet. Ein Orgelchoral aus alter Zeit schwebte vor seiner sterbensbereiten Seele, dem er die Vollendung geben wollte. Er dictirte und Altnikol schrieb. »Wenn wir in höchsten [759] Nöthen sein« hatte er den Choral früher bezeichnet; jetzt schöpfte er die Stimmung aus einem andern Liede: er ließ ihn überschreiben »Vor deinen Thron tret ich hiemit«. Johann Michael Schmidt, jener junge Theologe, der Bach noch in seinem letzten Lebensjahre bewundern durfte, meinte später: was auch die Verfechter des Materialismus vorbrächten, bei diesem einzigen Beispiel müsse es alles über den Haufen fallen.162

Die Beerdigung fand Freitag den 31. Juli früh morgens auf dem Johanniskirchhofe statt. Wie es bei Kirchen- und Schulbeamten üblich war, geleitete die ganze Schule den Todten zu Grabe. Auch großes Geläute pflegte in solchen Fällen statt zu finden. Der 31. Juli war der zweite Bußtag des Jahres. In der Kirche, durch welche während 27 Jahren so oft Bachs gewaltige Tonströme hingerauscht waren, verkündigte der Prediger von der Kanzel: »Es ist in Gott sanft und seelig entschlafen der Wohledle und Hochachtbare Herr Johann Sebastian Bach, Seiner Königlichen Majestät in Polen und Churfürstlichen Durchlaucht zu Sachsen Hofcomponist, wie auch Hochfürstlich Anhalt-Cöthenscher Capellmeister und Cantor an der Schule zu St. Thomae allhier am Thomas-Kirchhofe, Dessen entseelter Leichnam ist heutiges Tages christlichem Gebrauche nach zur Erden bestattet worden«.163 Sein Grab war ihm nahe der [760] Johanniskirche bereitet worden. Als in unserm Jahrhundert der Friedhof weiter von der Kirche abgedrängt und der Platz um dieselbe dem Straßenverkehr zugänglich gemacht wurde, hat man Bachs Grab mit den Gräbern vieler andrer zerstört. Genau läßt sich daher die Stätte nicht mehr bestimmen, wo man seine Gebeine zur letzten Ruhe hinabsenkte.164

Die Trauer über Bachs Tod war eine allgemeine, wo es ernste Musiker und Musikfreunde gab. Die musikalische Societät feierte sein Angedenken durch ein Trauergedicht in Cantatenform, und Telemann widmete dem geschiedenen Freunde ein wohlgemeintes Sonnett.165 Auch Bachs College an der Thomasschule, Magister Abraham Kriegel, gedachte seiner in einem kurzen, aber warmen öffentlichen Nachrufe.166 Weniger schien der Rath zu empfinden, was die Stadt an Bach verloren hatte. In den Sitzungen vom 7. und 8. August fielen ironische und anzügliche Bemerkungen: »die Schule brauche einen Cantor und keinen Capellmeister« und »Herr Bach wäre zwar ein großer Musicus, aber kein Schulmann gewesen«.

Ein Testament hatte Bach nicht aufgesetzt. Sein Nachlaß ward, nachdem ihn die ältesten Söhne um den ganzen Musikalienbestand geschmälert hatten, gerichtlich abgeschätzt; dann schlossen Wittwe [761] und Kinder einen Erbvergleich. Anna Magdalena übernahm die Vormundschaft über die Unmündigen, bei Ausmachung des Erbtheils stand ihr Johann Gottlieb Görner, der zu Lebzeiten Bachs sich manchmal angemaßt hatte, sein Rival sein zu können, hülfreich zur Seite. Auch erhielt Anna Magdalena das Gnadengehalt für die Quartale Crucis und Luciae.167 Dann ging die Familie nach allen Richtungen auseinander. Friedemann, der zugleich Emanuels Rechte vertreten hatte, kehrte nach Halle, Friedrich nach Bückeburg zurück; Heinrich fand bei Altnikol in Naumburg ein dauerndes Unterkommen, den 15jährigen Christian nahm Emanuel einstweilen zu sich nach Berlin. Mit großen, theilweise sehr großen Gaben ausgestattet versuchten die Söhne, auf den Ruhm des größeren Vaters gestützt, nunmehr ohne dessen erfahrenen Beistand in der Welt ihr Glück. Ihren Lebenswegen weiter nachzugehen, ihre Kunstleistungen abzuschätzen, liegt nicht im Plane dieses Buches. Aber sie haben es vermocht, daß wenigstens noch eine Generation hindurch der Name Bach in der deutschen Kunstwelt in hellem Glanze leuchtete.

Anna Magdalena, mit drei Töchtern zurückgeblieben, gerieth in Armuth. 1752 erhielt sie eine Geldunterstützung, da sie bedürftig sei und auch einige Musikalien überreicht habe. Wollten die Söhne ihr nicht helfen oder konnten sie es nicht, jedenfalls wurde ihre Lage immer bedrängter, sie existirte zuletzt von der öffentlichen Wohlthätigkeit. Am 27. Februar 1760 starb sie in einem Hause der Hainstraße »eine Almosenfrau«. Ihrem Sarge folgte die Viertelschule wie bei den gänzlich armen Leuten; ihr Grab kennt man nicht. So ließ die Stadt die kunstverständige Gattin eines ihrer größten Bürger zu Grunde gehen. Die zurückgelassenen drei Töchter sahen eine Zeit, welche der Musik ihres Vaters fremd und fremder wurde: Katharina Dorothea lebte noch bis zum 14. Januar 1774, Johanna Carolina bis zum 18. August 1781. Nur das jüngste Kind Regina Johanna erlebte es, daß Deutschland wieder anfing sich auf Sebastian Bach zu besinnen. Auch sie litt Noth in der Einsamkeit; ein Verdienst Rochlitzens ist es, durch einen öffentlichen Aufruf ihr endlich noch einen freundlicheren Lebensabend bereitet zu haben. Sie starb am 14. December 1809, als die letzte der Geschwister.

[762] Wer dem Lebenslaufe eines großen Mannes bis ans Ende nachgegangen ist, dessen Blick soll nicht zu lange bei dem wehmüthigen Bilde verweilen, welches der Verfall alles dessen, was er äußerlich gebaut und zusammengehalten hat, immer darstellt. Es ist der geringste Theil seines Schaffens, was so zu Grunde geht. Freilich wirkte der schöpferische Geist Bachs auch in der Kunstwelt der nächsten Generationen matter fort, als solches sich wohl bei andren großen Genien beobachten läßt. Und grade Bachs Söhne waren es, die uns die nachlassende Kraft eines mehrhundertjährigen Aufstrebens fühlbar machen, welche in ihren Nachkommen endlich ganz erstarb. Aber dafür hat seit bald hundert Jahren das ganze deutsche Volk sich zum Erben seiner Schöpfungen erklärt. Es hat den Zusammenhang mit ihm und in ihm mit fast vergessenen Jahrhunderten seiner eignen Musik-Geschichte wieder gefunden. Was er geschaffen hat als höchster Vollender einer Kunstrichtung echt nationaler Art, die zu den Zeiten der Reformation hinabreicht und an sie anknüpft, ist wie eine edle Saat, die endlich aufgeht, um sich in immer reicheren Garben erndten zu lassen. Fortan wird es unmöglich sein, Bach wieder zu vergessen, so lange überhaupt noch deutsches Wesen ist. In den Thaten nachwachsender Künstler hat er bereits angefangen seine Renaissance zu erleben. Aber auch wir andern haben die Pflicht, ein jeder an seinem Theile daran zu arbeiten, daß das Wesen des Großen immer weiteren Kreisen seines Volkes verständlich und vertraut werde.

Fußnoten

1 Forkel ist also bis zu einem gewissen Grade im Irrthum, wenn er S. 48 meint: »Wenn er hätte reisen wollen, so würde er, wie sogar einer seiner Feinde gesagt hat, die Bewunderung der ganzen Welt auf sich gezogen haben«. Der Feind soll wohl Scheibe sein, der aber diesen Ausspruch in anderem Zusammenhange thut; s. Critischer Musikus, S. 62.


2 S. Band I, S. 559.


3 S. »Nützliche Nachrichten von denen Bemühungen derer Gelehrten .... in Leipzig.« 1750. S. 680.


4 S. S. 45 dieses Bandes.


5 S. Band I, S. 765.


6 Die Existenz dieses Autographs wurde erst im Februar dieses Jahres vermittelst der Magdeburger Zeitung bekannt, in welcher der Besitzer eine Beschreibung desselben nebst Widmung und Widmungsgedicht veröffentlichte. Die Veröffentlichung ging dann auch in das Berliner Fremdenblatt vom 20. Februar dieses Jahres über. Die Schritte, welche ich sofort that, um mir Einsicht in das Autograph zu verschaffen, blieben erfolglos: ich erhielt auf meine Anfrage keine Antwort. Für völlige Genauigkeit der Mittheilungen kann ich daher nicht einstehen. Die Bedenken indessen, ob es unter solchen Umständen gestattet sei, hier überhaupt auf sie Bezug zu nehmen, schwanden bei genauer Erwägung von Form und Inhalt derselben, welche die Gewähr ihrer Echtheit, glaub' ich, in sich tragen.


7 Forkel, S. 48.


8 S. S. 45 dieses Bandes.


9 Fürstenau, Zur Geschichte der Musik am Hofe zu Dresden. II, S. 171 und 222 f.


10 Hiller, Lebensbeschreibungen. S. 45. – Fürstenau, a.a.O. S. 222, Anmerk.


11 Scheibe, Über die musikalische Composition. Vorrede, S. LIX.


12 Hiller, a.a.O. S. 45 f.


13 Marpurg, Historisch-Kritische Beyträge I, S. 430.


14 Es befindet sich noch jetzt in Partitur und Stimmen auf der Bibliothek der Thomasschule zu Leipzig.


15 Forkel, S. 48 f.


16 Bachs Hamburger Reise von 1727 war mir, als ich Band I, S. 632 schrieb, entgangen. Sie ergiebt sich aber aus Marpurg, Kritische Briefe II, S. 470, wo selbst Lustig seine Lebensgeschichte erzählt. Lustig berichtet über seine Erlebnisse chronologisch. Kunze der Sohn war im September 1720 geboren, Lustig unterrichtete ihn also 1724 und 1725. Dann folgte der Compositionsunterricht bei seinem Vater und Telemann. 1728 ging er nach Gröningen. Zuvor aber hatte er Bach in Hamburg gehört; 1727 dedicirte dieser den gegannten Canon an Hudemann. Also ist er jedenfalls in diesem Jahre in Hamburg gewesen und hat den Canon dort componirt. Derselbe ist außer bei Mattheson (S. 412 und 413) auch zu finden bei Mizler, Musikalische Bibliothek III, S. 482 und Marpurg, Abhandlung von der Fuge. Zweiter Theil, S. 99 f. (Tab. XXXIII, Fig. 2). Unaufgelöst hat ihn Hilgenfeldt als letzte Notenbeilage wieder abdrucken lassen.


17 S. die Mittheilungen aus den Memoiren des Baron von Pöllnitz bei v. Beaulieu Marconnay, Ernst August, Herzog von Sachsen-Weimar-Eisenach. Leipzig, Hirzel. 1872. S 143 und 144. S. auch S. 104 daselbst.


18 Forkel, S. 48.


19 S. Band I, S. 27.


20 Adlung, Anleitung zu der musikalischen Gelahrtheit. S. 691: »Als Herr Bach zu einer gewissen Zeit bey uns in Erfurt war« u.s.w. Daß die »gewisse Zeit« nach 1727 fällt ergiebt sich daraus, daß erst Ende dieses Jahres Adlung von Jena wieder nach Erfurt kam. Die Worte »bey uns« deuten auf nahe Beziehungen Adlungs zu Bachs Erfurter Verwandten. – S. ferner ebenda S. 716, Anmerk. g.


21 S. 70 dieses Bandes.


22 S. 486 dieses Bandes.


23 Forkel, S. 48.


24 Marpurg, Historisch-Kritische Beyträge. I, S. 76.


25 S. Forkel, S. 9.


26 Ob hier Friedemann Bach seiner Phantasie nicht hat die Zügel schießen lassen, mag dahin gestellt bleiben. Die Spenersche Zeitung berichtet – worauf zuerst Bitter hingewiesen hat – unter dem 11. Mai 1747 über die Vorgänge ebenfalls. Hier heißt es aber nur: ... »ward Sr. Majestät berichtet, daß der Capellmeister Bach in Potsdam angelangt sey, und daß er sich jetzo in Dero Vor-Cammer aufhalte, allwo er Dero allergnädigste Erlaubniß erwarte, der Music zu hören zu dürfen. Höchstdieselben ertheilten sogleich Befehl, ihn herein kommen zu lassen«.


27 S. Band I, S. 656 f.


28 S. Marpurg, Historisch-Kritische Beyträge. I, S. 75. – Brachvogel erzählt in seiner Geschichte des Königl. Theaters zu Berlin (Berlin, Janke 1877) Bd. I, S. 129. Bach habe in einem Hofconcerte zusammen mit der Signora Astrua musicirt. In Wahrheit aber trat die Astrua zum ersten Male im August 1747 in einem zu Charlottenburg aufgeführten Schäferspiele auf; s. Marpurg a.a.O. S. 82.


29 Forkel, S. 20 f.


30 S. S. 671 ff. dieses Bandes.


31 S. Sonnett Telemanns auf S. Bach in »Neueröffnetes Historisches Curiositäten-Cabinet. Dresden, 1751. S. 13. – Wiederabgedruckt ist das Sonnett bei Marpurg, Historisch-Kritische Beyträge I, S. 561.


32 Gespräch von der Musik, zwischen einem Organisten und Adjuvanten. Erfurt, 1742. S. 2.


33 S. S. 472 dieses Bandes.


34 Petri, Anleitung zur praktischen Musik. S. 99.


35 Burney, Tagebuch III, S. 201.


36 Walther, Lexicon S. 90 f.


37 Mizler, Musikalische Bibliothek. Erster Band. Vierter Theil, S. 83.


38 Rochlitz, Für Freunde der Tonkunst. Vierter Band. S. 185 (3. Aufl.). Rochlitz schöpfte aus Mittheilungen von Doles, Emanuels Jugendfreunde. Die vornehme Familie wird doch nicht die des Freiherrn von Kayserling gewesen sein?


39 Die Autographensammlung des Herrn Ott-Usteri in Zürich enthielt 1869 ein Blatt folgenden Inhalts:


»Quittung.

Daß mir Endes Gefertigtem von des Tit: Herrn Gravens von Werben [so] Herrn Hoffmeister Ignatz Ratsch für das Clavier vor [ein Wort unleserlich] anwiederumb seynd bezahlt worden, ein Rthlr acht Groschen thue hiermit gebührend bescheinigen.

Leipzig, d. 5. Decemb. 1747.

Id est 1 rthlr 8 gr.

Joh: Sebast: Bach.«


40 Hiller, Lebensbeschreibungen S. 44.


41 Hiller, a.a.O. S. 156.


42 Mattheson, Ehrenpforte. S. 79.


43 Mattheson, a.a.O. S. 292.


44 S. Chrysander, Jahrbücher für musikalische Wissenschaft. Erster Band. S. 285.


45 Marpurg. Historisch-Kritische Beyträge I, S. 441. – Eine Composition desselben bewahrt die Bibliothek des königlichen akademischen Instituts für Kirchenmusik zu Berlin.


46 S. Band I, S. 430, Anmerk. 65.


47 Vermuthlich Johann Wolfgang Georg Schübler, Sohn eines Büchsenschäfters Johann Nikolaus Schübler daselbst (aus Acten des Pfarr-Archivs mitgetheilt von Herrn Pfarrer Buddeus in Zella). Eine Composition von Schübler in einem handschriftlichen Sammelband auf der königl. Bibliothek zu Berlin (s. Buxtehude, Orgelcompositionen. Band I, Vorwort S. IV, Nr. 10).


48 Den Canon ohne die Um- und Überschriften überliefert als eine Composition Seb. Bachs Marpurg, Abhandlung von der Fuge. Zweyter Theil. Tab. XXXVII, Fig. 6 und 7; vergl. ebenda S. 67. – Vollständig fand ich ihn in einer schönen Abschrift aus dem vorigen Jahrhundert im Grasnickschen Nachlasse, aus welchem er nun der königlichen Bibliothek zu Berlin einverleibt ist. – Die Auflösung ist mitgetheilt als Musikbeilage 5.


49 S. Band I, S. 12 und die Inscriptionsbücher der Leipziger Universität vom Jahre 1732.


50 S. Band I, S. 848.


51 S. Band I, S. 154 und die Inscriptionsbücher von 1739: außerdem den Nachtrag zu I, S. XV.


52 S. Band I, S. 139.


53 Gerber, Lexicon I, Sp. 490 ff.


54 S. S. 66 dieses Bandes.


55 »Nützliche Nachrichten von Denen Bemühungen derer Gelehrten« u.s.w. Leipzig. 1740. S. 67; 1746, S. 164; 1747, S. 289.


56 So berichtet Köhler, Historia scholarum Lipsiensium.


57 J.F. Reichardt, Musikalischer Almanach. Berlin, 1796. Bogen L 3.


58 Gerber, Lexicon I, Sp. 756.


59 »Der Frau Luise Adelgunde Victoria Gottschedinn sämmtliche kleinere Gedichte«. Leipzig, 1763. In dem vorausgeschickten Lebenslauf.


60 S. Tonhalle, Organ für Musikfreunde. Jahrgang 1869, S. 831.


61 Aus den Acten des Zwickauer Rathsarchivs. Zuerst mitgetheilt von Dr. Herzog im Zwickauer Wochenblatt vom 26. März 1875.


62 [Voigt] Gespräch von der Musik zwischen einem Organisten und Adjuvanten. 1742. S. 103.


63 S. S. 590 dieses Bandes.


64 S. S. 92 dieses Bandes.


65 Mizler, Musikalische Bibliothek. III, S. 532.


66 Marpurg, Kritische Briefe. II, S. 461. – Mattheson, Sieben Gespräche der Weisheit und Musik. Hamburg, 1751. S. 189 f.


67 Marpurg, Historisch-Kritische Beyträge. I, S. 148 ff. – Burney, Tagebuch III, S. 58 ff. – Ein Verzeichniß seiner Werke bei Gerber, L. I, Sp. 17.


68 Ich folge mit diesen Angaben einer von Doles selbstverfaßten lateinischen Vita, welche ich in den Leipziger Consistorialacten fand (Acta die Besetzung des Cantoramts bei der Schule zu St. Thomä zu Leipzig bet. L. 127). – Die ergötzlichen Geschichten, welche zwischen Friedemann Bach und Doles, der in Bachs Hause gewohnt habe, vorgefallen sein sollen (s. Bitter, Bachs Söhne II, S. 156 f.), gründen sich auf die falsche Voraussetzung, daß Friedemann damals noch in Leipzig geweilt habe. Er war aber schon seit 1733 in Dresden.


69 S. die Vorerinnerung zu seiner Cantate »Ich komme vor dein Angesicht«. Leipzig 1790.


70 Forkel, S. 42. – Gerber, L. I, Sp. 665.


71 Inscriptionsbücher der Leipziger Universität. – Adlung, Anleitung zu der musikalischen Gelahrtheit. S. 722. – Gerber, L. II, Sp. 599.


72 Inscriptionsbücher der Leipziger Universität. – Gerber, L. II, Sp. 671 f. und N.L. IV, Sp. 382. – Transchel schrieb 6 Polonaisen für Clavier, welche Forkel nach den Friedemann Bachschen Polonaisen für die besten der Welt halten möchte. Eine Composition von ihm enthält auch ein Sammelmanuscript auf der königlichen Bibliothek zu Berlin (s. Buxtehudes Orgelcompositionen, Band I, Vorwort S. IV, Nr. 10).


73 Forkel, S. 43. – Reichardt (Musikalischer Almanach. 1796; unter 20. April) läßt ihn in Danzig geboren sein.


74 Fürstenau II, S. 222, Anmerk.


75 Forkel, S. 51 f., s. auch S. 43.


76 Handschriftlich auf der königl. Bibliothek zu Berlin. – Daselbst auch eine Kirchencantate seiner Composition.


77 Er erhielt sechs Thaler, weil er »in denen beyden Haupt Kirchen dem Choro Musico von Michael. 1745 bis 19. May 1747. assistiret«. S. Rechnungen der Thomaskirche von Lichtmeß 1747–1748, S. 54.


78 S. das von Bitter, Bachs Söhne II, S. 356 mitgetheilte Actenstück. Vrgl. ebenda, S. 171.


79 Nach den Todten-Registern der Wenceslaus-Kirche unter dem 25. Juli. – S. noch Forkel, S. 43.


80 Genau habe ich es nicht ermitteln können, wenn Kittel nach Langensalza kam. 1751 befand er sich jedenfalls schon da, weil er sich im Februar 1752 mit Dorothea Fröhmer daselbst verheirathete. Er war Organist an der Bonifacius-Kirche und »Mägdlein-Schulmeister«. Sein Nachfolger, der zu hohen Jahren kam, erzählte, er habe sich in der Mädchenschule auf die Länge nicht wohl gefühlt, sein Eifer für Componiren und Notenschreiben habe ihn öfter verleitet, dieses in der Schule zu treiben, und dadurch sei er mehrfach in Conflict mit seiner Behörde gekommen. Deshalb habe er auch endlich die Stelle aufgegeben (Mittheilung des Herrn Kirchner Stein in Langensalza). Im übrigen s. Gerber L. I, Sp. 728 und N.L. III, Sp. 57 ff.


81 Was bei Burney III, S. 268 ff. über Müthel zu lesen ist, habe ich nach Acten des großherzoglichen Archivs zu Schwerin prüfen und ergänzen können. Den Geleitsbrief des Herzogs wird man hier mit Interesse lesen:

»Demnach Vorzeiger dieses, Unser Organist Johann Gottfried Müthel zu dem berühmten Capellmeister und Music-Director Bachen nach Leipzig, um sich in seinem Metier daselbst zu perfectioniren, und auf ein Jahr dahin zu reisen Vorhabens; So gelanget an jedes Ohrts hohe Landes- und Stadt-Obrigkeiten, dero hohen und niedrigen Civil- und Militair-Befehligs-Habern, auch gemeine Soldatesca zu Roß und Fuß, und sonst jedermänniglichen Unser respectivé freündlich Gunst- und Gnädiges ersuchen, gesinnen und Begehren, Sie wollen bemeldten Unsern Organisten aller ohrten frey, sicher und ungehindertpassiren lassen, welches wir um einen jeden Standes erheischung nach .... zu erkennen und ... wieder also zu halten geneigt seyn. Uhrkundlich .... Schwerin den May 1750.«

Die Anwesenheit Müthels in Naumburg constatiren die Taufregister der Wenceslaus-Kirche unter dem 2. Juni 1751.


82 Marpurg, Historisch-Kritische Beyträge. I, S. 431 ff.


83 Marpurg, a.a.O. S. 439 ff.


84 Nach Acten des Pfarr-Archivs zu Themar und des Raths- und Kirchen-Archivs zu Zittau. – Daß Trier Bachs Schüler gewesen sei, wußte Friedrich Schneider nach Überlieferung der Seinigen zu sagen; s. Kempe, Friedrich Schneider. Dessau 1859, S. 9.


85 S. S. 51 dieses Bandes. – Bitter, Bachs Söhne II, S. 159.


86 S. Band I, S. 32.


87 Aus den Anstellungsacten der Torgauer Organisten zuerst veröffentlicht von Dr. Otto Taubert, Die Pflege der Musik in Torgau. Torgau, 1868. S. 36. – Als Bachsche Schüler erwähnte Emanuel Bach gegen Forkel noch Schubert und Voigt in Anspach. Unter Schubert ist wohl Johann Martin Schubart, der weimarische Organist, zu verstehen. Johann Georg Vogt in Anspach blies aber Oboe und Flöte (s. Walther, Lexicon S. 640); auch der Waldenburgische Organist J.C. Voigt kann wohl nicht gemeint sein; s. Bd. I, S. 350, Anm. 25.


88 S. Taufregister der Thomaskirche unter dem 23. Sept. 1725.


89 Hiller, Lebensbeschreibungen S. 45, Anmerk.


90 S. Anhang B, XVI, gegen Ende.


91 Sein Freund Hudemann in Hamburg trat 1732 Gottsched mit einer Vertheidigung der Oper entgegen; s. Mizler, Musikalische Bibliothek II, 3, S. 120 ff.


92 S. Leben der Gottschedinn vor ihren sämmtlichen kleineren Gedichten, herausgegeben von Gottsched. Leipzig, 1763.


93 Ein Exemplar dieses Werkes besitzt die königliche Bibliothek zu Berlin.


94 [Johann Joachim Schwabe], Belustigungen des Verstandes und Witzes. Erster Band. Leipzig, 1741. S. 499 und 501.


95 Sicul, Leipziger Jahr-Geschichte. 1721. S. 199 und 236.


96 Leipziger Neue Zeitungen von gelehrten Sachen. 1735. S. 603. – Eine der in der Gesellschaft gehaltenen Reden, über »den Hohen Geist des erblaßten Thomasius« erschien schon 1729. Die gräfliche Bibliothek zu Wernigerode besitzt ein Exemplar derselben.


97 Nach den Leipziger Todten-Registern.


98 Critischer Musikus S. 62.


99 Mattheson, Kern melodischer Wissenschaft. Hamburg. 1738. Anhang (»Gültige Zeugnisse« u.s.w.) S. 10 f.


100 S. S. 475 ff. dieses Bandes.


101 S. S. 64 dieses Bandes.


102 S. hierüber Schröter in Mizlers Musikalischer Bibliothek III, S. 235.


103 Kunst des reinen Satzes II, 3. S. 39.


104 Mattheson, Anmerkungen zu den »Gültigen Zeugnissen« im »Kern melodischer Wissenschaft«. S. 10 und 11. – Marpurg, Kritische Briefe I, S. 87.


105 Birnbaums Schriften und Scheibes Entgegnungen findet man in der zweiten Auflage des Critischen Musikus, S. 833–1031.


106 Musikalische Bibliothek II, S. 156 f.


107 Emanuel schenkte mehre derselben, »seltne alte Bücher und Abhandlungen über die Musik«, an Burney; s. Tagebuch, III, S. 215.


108 S. Marpurg, Kritische Briefe I, S. 139.


109 Ein Exemplar des gedruckten und von Biedermann mit einem Vorberichte versehenen Textes, 2 Bogen in Folio, bewahrt die Bibliothek des Freiberger Alterthumsvereines. – Übrigens s. Beyträge zur Historie und Aufnahme des Theaters. Stuttgart, 1750. S. 596.


110 Mattheson, Sieben Gespräche der Weisheit und Musik. Hamburg, 1751. S. 181 ff. – Ausführliches berichten über den Streit im allgemeinen Adlung, Anleitung zu der musikalischen Gelahrtheit. S. 10 ff.; Marpurg, Kritische Briefe. I, S. 253; neuerdings Lindner, Zur Tonkunst. S. 64 ff. – Die »Christliche Beurtheilung« hat Bitter, J.S. Bach II, S. 340 ff. vollständig abdrucken lassen.


111 MUSICO-THEOLOGIA, Oder Erbauliche Anwendung Musikalischer Wahrheiten; Bayreuth und Hof. 1754. – Vrgl. Marpurg, Historisch-Kritische Beyträge. I, S. 346 ff.


112 Horaz, Episteln II, 1, v. 70 und 71.


113 Wenn Dehn in der S. 479, Anmerk. erwähnten Abhandlung sagt, daß einige unter dem Hortensius einen gewissen Gärtner verstehen wollen der Bach gelegentlich den Vorwurf machte, daß er die Thomaner zu viel mit Musik beschäftige, so weiß ich nicht, worauf sich diese Vermuthung gründet. Karl Christian Gärtner, der spätere Herausgeber der Bremer Beiträge, war allerdings ein geborener Freiberger und lebte auch zeitweilig in Leipzig, aber nur bis 1745, und daß er überhaupt zu Bach je in Beziehung getreten wäre, ist unbekannt.


114 S. Lindner, a.a.O. S. 85.


115 S. S. 466 dieses Bandes.


116 S. S. 479 dieses Bandes.


117 Diese Geschichte berichtet Hilgenfeldt S. 172. Ich kann ihre Quelle nicht nachweisen. Hilgenfeldt pflegte aber in seine Compilation nichts aufzunehmen, wofür er nicht einen glaubwürdigen Gewährsmann hatte.


118 Nekrolog, S. 173.


119 Diese charakteristische Anekdote überliefert Köhler, Historia Scholarum Lipsiensium. Beiblatt zu S. 94.


120 [Johann Joachim Schwabe,] Belustigungen des Verstandes und Witzes. Erster Band. Leipzig 1741. S. 499 und 501.


121 S. Becker, Systematisch-chronologische Darstellung der musikalischen Litteratur. Leipzig, Friese. 1836. Sp. 384. – Band I, S. 418.


122 Forkel, S. 46 f.


123 Forkel, S. 45 f.


124 Reichardt, Musikalischer Almanach. Berlin, 1796. Bogen L 2 und 3.


125 Oelbilder gab es vier, darunter zwei von dem sächsischen Hofmaler Hausmann. Eines derselben besitzt die Thomasschule zu Leipzig; es ist mit dem Canon versehen, welchen Bach der musikalischen Societät einreichte (dessen Auflösung s. bei Hilgenfeldt, Notenbeilage Nr. 3). Das andre der Hausmannschen Bilder gehörte später Emanuel Bach. Ein drittes Oelbild besaß Kittel, ein viertes die Prinzessin Amalie; letzteres wird noch jetzt auf der Amalienbibliothek des Joachimsthalschen Gymnasiums zu Berlin aufbewahrt.


126 Nekrolog, S. 167.


127 S. die Anhang B, XVI mitgetheilten Hinterlassenschaftsacten. Den Hinweis auf diese werthvolle archivalische Quelle verdanke ich meinem Freunde Herrn Dr. Wustmann zu Leipzig, welcher dieselbe bei seinen Forschungen im Archiv des dortigen Bezirksgerichts entdeckte.


128 Die siebenbändige wird die Wittenberger von 1539 ff., die achtbändige die Jenaer von 1556 ff. gewesen sein. – Im Inventar steht nach den »Tischreden«: Ejusdem Examen Concilii Tridentini. Hier liegt ein Schreibfehler vor: das genannte Buch ist vonMartinus Chemnitzius, geb. 1522, von 1547–1553 in Königsberg, dann in Wittenberg und Braunschweig, seit 1568 in Rostock. Von demselben Verfasser werden auch die beiden folgenden Bücher sein. Ich habe das Verzeichniß natürlich so abdrucken lassen, wie ich es geschrieben fand.


129 Die Folio-Ausgabe von »Evangelische Schluß Kett und Krafft-Kern« erschien 1734 zu Frankfurt a.M., kann also von Bach erst in seinen späteren Lebensjahren angeschafft sein. Unter »Schaden Josephs« ist gemeint »Evangelisches Praeservativ wider den Schaden Josephs in allen dreyen Ständen, herausgezogen aus denen Sonn- und Fest-Tags-Evangelien«. Erschien in neuer Ausgabe in 4. zu Erfurt 1741. Der Schaden Josephs ist die Hoffart, s. Amos 6, 6.


130 Hiernach ist Band I, S. 756 zu berichtigen. –


131 Aus seinen Schriften zusammengetragen von Johann Georg Pritius. Frankfurt a.M. 1714. Enthält acht Predigten, zwei Gebete und ein »Christliches Glückwunsch- und Ermunterungs-Schreiben an einen Teutschen Printzen.«


132 Wahrscheinlich die »Kurtzen Sonn- und Fest-Tags-Predigten«, die zuerst 1718 erschienen.


133 Vrgl. Band I, S. 364.


134 Vrgl. S. 177 dieses Bandes.


135 Einige der im Verzeichniß angezeigten Werke habe ich nicht constatiren können. »Scheubleri Gold-Grube« ist wohl die Aurifodina theologica oder »Glaubens-, Sitten- und Trostlehre« von Christoph Scheibler, geb. 1589 zu Armsfeld im Waldeckischen, gest. 1653 als Superintendent zu Dortmund. Johann Gottlob Pfeiffer gab 1727 in Leipzig das Buch in Folio neu heraus Nikolaus Stenger (1609–1680), ein Erfurter Theolog, schrieb eine Postilla evangelica und eine Postilla credendorum et faciendorum; eine von beiden wird also wohl die im Verzeichniß befindliche sein. Aegidius Hunnius, von welchem die »Reinigkeit der Glaubenslehre« angeführt wird, war ein Würtemberger und starb 1603 als Professor der Theologie in Wittenberg.


136 Judaismus oder Jüdenthumb, Das ist Außführlicher Bericht von des Jüdischen Volckes Unglauben, Blindheit und Verstockung. Hamburg, 1644.


137 Erschien 1579, wurde häufig aufgelegt, im Jahre 1718 von Leuckfeld, auch 1752 noch. Heinrich Bünting, 1545 zu Hannover geboren, war Superintendent zu Goslar, und starb 1606 in Hannover.


138 S. S. 109 dieses Bandes.


139 S. Band I, S. 620.


140 Rochlitz, Für Freunde der Tonkunst. IV, S. 182 (3. Aufl.). Ihm ist es dann bis in die neueste Zeit nachgeschrieben worden.


141 S. Anhang B, XV. Dreizehn Kinder zweiter Ehe, wie sie dort nachgewiesen werden, giebt auch der Nekrolog (S. 170) an. Die Genealogie des Bachschen Geschlechtes weiß ebenfalls von einem David nichts.


142 S. S. 83 f. dieses Bandes.


143 Vrgl. S. 36 dieses Bandes.


144 Friedemanns Claviersonate von 1744 »in Verlag zu haben 1. bey dem Autore in Dresden, 2. bey dessen Herrn Vater in Leipzig und 3. dessen Bruder in Berlin.« – Sebastians sechs dreistimmige Choräle »sind zu haben in Leipzig bey Herr Capellmeister Bachen, bey dessen Herrn Söhnen in Berlin und Halle, und bey dem Verleger zu Zella.«


145 Balthasar Schmidt in Nürnberg.


146 So Friedemanns Orgelconcert in D moll. Die Handschrift ist auf der königlichen Bibliothek zu Berlin.


147 Nur die Unterschrift autograph.


148 Siegel: Rosette mit Krone darüber. – Rathsarchiv zu Mühlhausen i. Th. Actenfascikel mit der Aufschrift: »Organista D. Blasij de Anno 1604 usque 1677.« S. 47.


149 Walther, Handschriftliche Zusätze zum Lexicon: »lebet jetzo (1738) in Jena; woselbst er den 30. May 1739 am hitzigen Fieber verstorben.« Das Datum ist falsch; die Jenaer Kirchenregister sagen: »Am 27. Mai 1739 starb Herr Gottfried Bernhard Bach, der Rechtsgelahrtheit Beflissener aus Leipzig.«


150 S. Anhang B, XVI gegen Ende.


151 S. Anhang B, XVI unter §. 8.


152 Die auf diese Vorgänge sich beziehenden beiden Briefe Bachs vom 24. und 31. Juli 1748 vollständig hier mitzutheilen, schien unnöthig, da sie neue Seiten von Bachs Wesen nicht hervortreten lassen. Sie wurden nach den Originalen veröffentlicht von Friedrich Brauer in der Musik-Zeitschrift Euterpe (Leipzig, Merseburger), Jahrgang 1864. S. 41 f.


153 Geburts-Register der Wenceslaus-Kirche zu Naumburg.


154 Die Klammer ist später nicht geschlossen.


155 30. Nov. 1745.


156 Zwei Quartblätter; der Brief füllt nur eine Seite. Siegel fast abgebröckelt. Im Besitz des Herrn Oberregierungsrath Schöne in Berlin.


157 Zwei Quartblätter, größtenteils beschrieben. Siegel abgebrochen. Im Besitz des Herrn Oberregierungsrath Schöne in Berlin.


158 Forkel, S. 45.


159 S. Anhang B, XVI.


160 Die »Frau Krebsin« war Anna Magdalenas Schwester.


161 Nekrolog, S. 167. – Spenersche Zeitung vom 6. August 1750.


162 Musico-Theologia. S. 197.


163 Den Abkündigungs-Zettel, ein querbeschriebenes Quartblatt, fand ich in der Bibliothek des Vereins für die Geschichte Leipzigs. Unter den oben mitgetheilten Worten befindet sich noch die Notiz: »Ist am andren Buß-Tage als den 31 Julii. 1750 abgekündiget worden.« Zu dem Ausdruck »andern Buß-Tage« bemerke ich, daß damals alljährlich drei Bußtage in Leipzig begangen zu werden pflegten. – Im Leichenbuch Tom XXVIII. Fol. 292b steht: »1750. Freytag den 31.Julii. Ein Mann 67. Jahr, Hr. Johann Sebastian Bach, Cantor, an der Thomas Schule, starb S. 4. K.« Nebengeschrieben: »accid. 2 Thlr. 14 gr.« Das Lebensalter ist falsch angegeben; wenn die Notiz: »4. K.[inder]« richtig ist, so würde daraus wohl hervorgehen, daß Heinrich beim Tode des Vaters schon in Naumburg war. Die Leichengebühren, welche sich gewöhnlich bei ganzer Schule auf ungefähr 20 Thaler beliefen, sind hier auf 2 Thlr. 14 gr. ermäßigt, wie das bei Kirchen- und Schulbeamten immer der Fall war. Sie summirten sich aus diesen Posten: 12 gr. ins Almosenamt, 6 gr. den Todtengräbern, 12 gr. dem Leichenschreiber, 1 Thlr. 8 gr. den beiden Thürmern. – Ein auf der Leipziger Stadtbibliothek befindlicher Zettel meldet: »Ein Mann 67. J. Hr. Johann Sebastian Bach Capellmeister, und Cantor, der Schule zu St. Thomas, auf der Thomas-Schule, wurde mit dem Leichenwagen begraben den 30ten July 1750.« Er stammt ebenfalls aus der Leichenschreiberei. Der Leichenwagen (im Gegensatz zur Leichenkutsche) wurde bei solennen Beerdigungen gebraucht. Wenn man das Datum »30. Juli« nicht für einen Schreibfehler halten will, so ließe sich wohl annehmen, die Leiche sei schon am Donnerstag Abend nach dem Leichenhause des Johanniskirchhofs übergeführt.


164 Die annähernde Bestimmung der Grabstätte giebt der Nekrolog S. 172. Keine Auskunft gewähren die Begräbnißbücher des Johanniskirchhofs. Sie wurden wohl nur nachlässig geführt, möglich ist aber auch, daß einzelne Blätter jener Listen, die erst der jetzige Inspector Heyne in dauerhafte Bände vereinigt hat, vorher verloren gegangen sind. H. Heinlein (Der Friedhof zu Leipzig in seiner jetzigen Gestalt. Leipzig, 1844. S. 202) äußert sich, als ob er ein Bach betreffendes Blatt gesehen hätte, das ihm aber unleserlich gewesen wäre.


165 Nekrolog, S. 173 ff. – Neueröffnetes Historisches Curiositäten-Cabinet. 1751, S. 13.


166 Nützliche Nachrichten von denen Bemühungen derer Gelehrten, und andern Begebenheiten in Leipzig. 1750. S. 680.


167 Ersezung Derer Schul-Dienste in beyden Schulen zu St. Thomae und St. Nicolai. Vol. III. VII B. 118. Fol. 43.

Quelle:
Spitta, Philipp: Johann Sebastian Bach. Band 2, Leipzig: Breitkopf & Härtel 1880..
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